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Zum Glück ist auf Gifford Verlass! Der beste Freund ihres Bruders begleitet Temperance Lattimar bei ihrer ersten – und hoffentlich einzigen – Ballsaison. Denn Temperance ist entschlossen, niemals zu heiraten! Doch nicht nur, dass ausgerechnet die zwielichtigsten Verehrer sie umschwärmen, nein, sie stellt auch noch fest, dass Gifford plötzlich eine fatale Anziehungskraft auf sie ausübt! Und er selbst muss dringend eine reiche Erbin heiraten. Die Möglichkeit einer Vernunftehe klingt immer verlockender … Aber kann es vernünftig sein, den besten Freund zu heiraten?


  • Erscheinungstag 26.10.2021
  • Bandnummer 616
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502634
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

London, Anfang April 1833

Bist du dir sicher, dass du nicht mit mir kommen willst?“, fragte Prudence Lattimar ihre Zwillingsschwester und sah von dem Koffer auf, in den sie gerade das letzte in Seidenpapier gehüllte Kleid gelegt hatte. „Ich weiß, Bath ist nicht mehr der gesellschaftliche Mittelpunkt von einst. Aber es werden Bälle, Musikabende und Soiréen stattfinden, die wir besuchen können. Und mit etwas Glück werden wir dabei nicht von dem Getuschel über Mamas letzte Eskapade verfolgt.“

Temperance verließ ihren Platz am Fenster, von dem aus sie über den winzigen Garten blicken konnte, der zu Lord Vraux’ Haus in der Brook Street gehörte, und trat zu Prudence, um sie zu umarmen. „So sehr ich dich auch vermissen werde, meine liebste Pru, habe ich doch keinesfalls die Absicht, London zu verlassen. Ich werde mich nicht von den Klatschbasen vertreiben lassen. Aber ich hoffe wirklich sehr, dass Bath freundlich zu dir sein wird …“ Auch wenn ich es nicht glaube, denn die Londoner Klatschtanten dürften ihresgleichen in Bath über die neuesten Skandale auf dem Laufenden halten. „… und dass du den Gentleman finden wirst, der dich lieben und dir die normale Familie schenken kann, die du dir immer gewünscht hast.“ Dann ließ Temper ihre Schwester los und lachte. „Allerdings bezweifle ich, dass du erkennen wirst, was normal ist, nachdem du in dieser Familie aufgewachsen bist.“

„Du meinst“, fragte Prudence ironisch und ärgerlich zugleich, „dass nicht jeder mit einem Vater aufwächst, der einen nie berührt. Mit einer Mutter, deren Liebhaber täglich treppauf und treppab laufen. Und mit Gerüchten, dass nur der älteste Bruder tatsächlich der Sohn des Vaters ist?“

„Erinnerst du dich noch, wie sehr wir uns über all die gut aussehenden jungen Männer gefreut haben, die uns Süßigkeiten und Haarbänder schenkten, als wir klein waren?“, erwiderte Temper und versuchte, ihrer Schwester die schlechte Laune auszutreiben.

Pru faltete gerade das Seidenpapier, das sie als Polster zwischen ihre Kleider legen wollte, und warf ihrer Zwillingsschwester einen Blick zu, den Temper mühelos deuten konnte.

„Ich nehme an, nur auf uns, die sogenannte ‚Vraux-Mischung‘ trifft diese armselige Beschreibung zu“, sagte Temper, die zwar Verständnis für den Kummer ihrer Zwillingsschwester aufbrachte, aber auch Zorn darüber verspürte, wie die Mitglieder der Gesellschaft ihre Mutter behandelten. „Gregory, der anerkannte Erbe, dann du und ich und Christopher, die … Dreingaben. Himmel, was hätte Papa nur getan, wenn Gregory nicht überlebt hätte? Dann hätte er sich Mama vielleicht noch einmal nähern müssen.“

„Wenn er das getan hätte, wäre es ihnen vielleicht möglich gewesen zu überwinden, was immer zwischen ihnen stehen mag, und wir wären eine ganz normale Familie geworden.“

Temper seufzte. „Gibt es so etwas? Aber wenn du fair bist, musst du zugeben, dass Mama das Versprechen gehalten hat, das sie uns an unserem sechzehnten Geburtstag gab. In den vergangenen sechs Jahren hat sie sich sehr zurückgenommen.“

„Mag sein, bis dahin war der Schaden allerdings schon angerichtet“, sagte Pru voller Bitterkeit. „Wie großartig, wenn du bei dem ersten Anlass, an dem du einen langen Rock und aufgestecktes Haar tragen darfst, einen Raum betrittst und jemanden flüstern hörst: ‚Da sind sie – die Skandal-Schwestern‘. Außerdem beweist der letzte Zwischenfall, dass Mama ihren Ruf weg hat. Sie muss gar nichts mehr tun, um einen solchen Tumult zu verursachen.“

„Nicht, wenn sie ständig von einfältigen Männern umgeben ist, die das für sie erledigen“, erwiderte Temper mit schneidender Stimme. „Nun, daran können wir nichts ändern.“

Nachdem sie ihrer Zwillingsschwester geholfen hatte, den Deckel nach unten zu drücken und ihn zu verriegeln, umarmte Temper sie noch einmal. „Erledigt! Tante Gussie holt dich heute Morgen ab, oder? Also ab mit dir nach Bath, finde den passenden Gentleman und schaffe dir die normale, glückliche Familie, nach der du dich so sehr sehnst. Niemand verdient ein Happy End mehr als du, meine süße Schwester.“

„Danke, Temper“, sagte Pru, als ihre Schwester zur Tür ging. „Ich werde gewiss mein Bestes tun, um das zu erreichen. Doch – bist du immer noch fest entschlossen, nicht zu heiraten? Ich weiß, das hast du seit unserem sechzehnten Geburtstag regelmäßig verkündet, aber …“

Das Entsetzen, sein erstickendes Gewicht, der Schmerz … Temper holte tief Luft und schob die schrecklichen Erinnerungen beiseite, wartete mit ihrer Antwort, bis sie sicher sein konnte, dass ihre Stimme wieder fest genug klang. „Du glaubst wirklich, ich würde meine Freiheit aufgeben, mich rechtlich und finanziell unter den Pantoffel irgendeines Mannes begeben, der mich ignorieren oder schlagen oder meine gesamte Mitgift verschleudern kann, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun könnte?“

„Ich weiß, wir haben kein Beispiel gesehen, das uns Anlass zu besonderen Hoffnungen gibt, aber nicht alle Ehen entpuppen sich als Katastrophe. Sieh dir Christopher und Ellie an.“

„Sie haben Glück.“

„Christophers Freunde scheinen ähnliches Glück zu haben – Lyndlington mit seiner Maggie, David Smith mit seiner Duchess, Ben Tawny mit Lady Alyssa“, zählte Pru auf.

Temper bewegte sich unbehaglich hin und her. Wenn sie ehrlich war, verspürte sie einen Hauch von Neid auf das strahlende Glück, das ihr Bruder Christopher und seine Freunde bei den Frauen gefunden hatten, die sie als ihre Gattinnen gewählt hatten.

Aber die Aussicht, vielleicht das Glück in einer Ehe zu finden, zählte nichts im Vergleich zu der Tatsache, dass sie sich einem Trauma stellen müsste, mit dem sie nie fertiggeworden war – oder dass sie einem anderen Menschen davon erzählen müsste.

„Außerdem“, fuhr Pru fort, „ist es der Charakter des Mannes, der darüber entscheidet, wie gerecht und freundlich seine Frau behandelt wird. Und wir wissen beide, dass es gerechte, freundliche und bewundernswerte Männer in London gibt. Sieh dir nur Gregory an – oder Gifford!“

Gifford Newell. Der beste Freund ihres Bruders und sein Zechkumpan, der fast wie ein weiterer älterer Bruder für sie war. Doch in der letzten Zeit schien sich etwas zwischen ihnen verändert zu haben. Wenn sie zusammen waren, herrschte eine wortlose Spannung, die sich aufregend und bedrohlich zugleich anfühlte.

Sie mochte unerfahren sein, aber bei einer Mutter wie ihrer wusste Temper, wozu diese Art von Spannung führen konnte. Und davon wollte sie nichts wissen.

„Also schön, ich bestätige, dass es in England ein paar anständige Gentlemen gibt und einige von ihnen tatsächlich die glücklichen Ehen führen, die sie verdienen. Ich … glaube nur nicht, dass die Ehe für mich das Richtige ist.“ Sie drückte ihrer Schwester die Hand und ging zur Tür. „Vergiss nicht, zu mir zu kommen und dich zu verabschieden, bevor du das Haus verlässt. Und jetzt solltest du am besten herausfinden, wohin deine Zofe mit deinen restlichen Hauben verschwunden ist, ehe Tante Gussie ankommt. Du weißt, sie hasst es zu warten.“

Pru sah sie besorgt an, doch zu Tempers Erleichterung stellte sie keine weiteren Fragen. Sie hatte nur wenige Geheimnisse vor ihrer Schwester, aber dieses konnte sie unmöglich mit ihr teilen.

Pru akzeptierte Tempers Themenwechsel und sagte: „Natürlich werde ich mich von allen verabschieden. Und du hast recht. Tante Gussie wird es mit dem Aufbruch eilig haben. Aber da du in diesem Jahr nicht in die Gesellschaft eingeführt werden kannst – was hast du in der Zwischenzeit in London vor?“

„Oh, ich weiß nicht“, gab Temper zurück und drehte sich an der Tür noch einmal zu ihrer Schwester um. „Vielleicht werde ich selbst den einen oder anderen Skandal verursachen.“

Temper versuchte, das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, das die bevorstehende Abreise ihrer Zwillingsschwester in ihr weckte – die seit jeher ihre Begleiterin und Vertraute war. Sie schloss die Tür zu dem Zimmer, das sie miteinander teilten, und zögerte dann.

Vielleicht sollte sie ihren Umhang holen, ihre Zofe suchen und das geplagte Mädchen zu einem Spaziergang in den Hyde Park mitnehmen. Da der Morgen bereits weit vorangeschritten war, kam ein Ausritt im Galopp nicht mehr infrage. Und so rastlos und unruhig, wie sie sich an diesem Morgen fühlte, würde sie keinen standesgemäßen Trab ertragen. Während sie zögerte und überlegte, hörte sie, wie die Tür unten geschlossen wurde. Dann vernahm sie Stimmengemurmel, das sich zum vorderen Salon bewegte.

Eine Stimme klang wie die von Christopher. Voller Freude, dass der jüngere ihrer beiden Brüder sie vielleicht besuchte, lief Temper leichtfüßig die Treppe hinunter und in den Salon.

„Christopher, du bist es!“, rief sie, als sie ihren Bruder erblickte. „Aber du hast Ellie nicht mitgebracht?“

„Nein, meine Frau ist heute Morgen in ihrer Schule“, sagte Christopher und trat zu ihr, um sie zu umarmen. „Newell hat mich erwischt, als wir das Parlament verließen. Und als er hörte, dass ich vorhatte, dich und Gregory zu besuchen, wollte er unbedingt mitkommen.“

Etwas verspätet drehte Temper sich um und knickste vor dem Gentleman, der neben ihrem älteren Bruder Gregory am Kamin stand. „Giff, entschuldige. Ich habe Christophers Stimme gehört, aber nicht deine. Wie geht es dir?“

„Sehr gut, Temper. Und du bist so schön wie immer“, antwortete er, während er sie aus grünen Augen musterte.

Der intensive Blick, mit dem der Freund ihres Bruders sie ansah, ließ sie irgendwie – erschauern. Doch Temper verdrängte das Gefühl. Was stimmte nicht mit ihr? Das war Giff, den sie schon seit einer Ewigkeit kannte.

„Blond, blauäugig und liederlich, das wahre Abbild von Mama, nicht wahr?“, gab sie zurück und verbarg ihre Verletzlichkeit wie so häufig hinter einer kecken Fassade. „Ich nehme an, du hast die neuesten Gerüchte gehört.“

„Das ist der Hauptgrund, warum ich gekommen bin“, sagte Christopher und bedeutete ihr, sich neben ihn auf das Sofa zu setzen. „Ich wollte sehen, ob ich irgendetwas tun kann. Und um mich zu entschuldigen.“

„Himmel, Christopher, du musst dich für nichts entschuldigen. Ellie ist wirklich reizend. Hättest du sie nicht geheiratet, hätten wir dich enterbt.“

Ihr Bruder schenkte ihr ein herzliches Lächeln. „Natürlich denke ich ebenso. Die Unterstützung meiner Familie und der engsten Freunde macht mich dankbar und verlegen. Aber es besteht keine Hoffnung, dass die Mitglieder der Gesellschaft uns jemals empfangen werden. Und eine Frau zu heiraten, die zehn Jahre ihres Lebens als Kurtisane verbrachte, hat die Heiratschancen meiner beiden Schwestern nicht gerade verbessert. Ihr Zwillinge müsst ja schon kämpfen, weil der Ruf von Mama auf euch abfärbt.“

„Wenn die Mitglieder der Gesellschaft euch nicht empfangen, ist das ihr Verlust“, sagte Temper. „Ein Mädchen auf ewig zu bestrafen, das wortwörtlich vom Vater verkauft wurde – nun, das ist typisch für unsere Welt, in der sich alles um Gentlemen dreht. Deswegen müssen wir Frauen ins Parlament wählen.“ Sie warf ihrem Bruder und Newell einen herausfordernden Blick zu.

Statt zurückzuschrecken, was sie eigentlich erwartet hatte, lachte ihr Bruder nur. „Das sagt auch Maggie, die Frau von Lyndlington. Seit sie Mutter einer kleinen Tochter ist, vertritt sie eine ziemlich militante Meinung.“

„Vielleicht kann ich sie bei ihren Bemühungen unterstützen“, erwiderte Temper. „Wenn ihr, du und die anderen Teufelsbraten im Parlament, so versessen darauf seid, die Gesellschaft zu reformieren, dann solltet ihr mit den Gesetzen anfangen, die eine verheiratete Frau faktisch zum Eigentum ihres Ehemanns machen.“

„Vielleicht sollten wir das. Aber bei der einzigen weltbewegenden Angelegenheit, die ich heute ansprechen wollte, geht es darum herauszufinden, was wegen dir und Pru entschieden wurde“, gab Christopher zurück. „Tante Gussie ist also auch der Ansicht, dass es in Anbetracht des Skandals keine kluge Entscheidung wäre, euch in diesem Jahr in London debütieren zu lassen?“

„Vielleicht ist es Temperance lieber, wenn du das nicht in meiner Gegenwart diskutierst“, mahnte Newell und sah sie an. „Das ist eine Familienangelegenheit.“

„Du gehörst doch praktisch zur Familie“, meinte Temper und musste wieder diese seltsame Spannung unterdrücken, die sie empfand, als sie Gifford in die Augen sah. Wenn sie das Gefühl ignorierte, würde es sicher verschwinden.

„Mir macht es nichts aus, ein derart vertrauliches Thema in deiner Anwesenheit zu besprechen“, fuhr sie fort und wandte sich von ihm ab. „Da du nicht wirklich zur Familie gehörst, hast du vielleicht eine andere Perspektive.“

„Seit vergangener Woche hat sich die Lage ein kleines bisschen verbessert“, sagte Gregory. „Wie es aussieht, wird Hallsworthy sich wohl doch wieder erholen, damit könnte Farnham vom Kontinent zurückkommen.“

„Dumme Männer“, murmelte Temper. „Es wäre besser gewesen, wenn sie richtig geschossen und einander eine Kugel in die Holzköpfe gejagt hätten. Also wirklich, sich heutzutage wegen Mamas Tugend zu duellieren. Man könnte glauben, wir befänden uns im Zeitalter der gepuderten Perücken und des Wangen-Rouges. Es ist ja nicht so, als hätte sie je mehr als ein paar höfliche Worte an die beiden gerichtet.“

„Wären sie beide tot, hätte das den Skandal kaum gemildert“, gab Gregory zu bedenken.

„Vielleicht nicht. Aber Londons Bevölkerung hätte davon profitiert, wenn es zwei Wirrköpfe weniger gäbe, die nie etwas Nützlicheres im Leben tun werden als Brandy trinken, Karten spielen und sich wegen irgendwelcher Frauen lächerlich machen.“

„Was hast du doch für eine schlechte Meinung über das männliche Geschlecht“, widersprach Newell. „Komm schon. Du musst zugeben, dass alle Männer egozentrische, verschwenderische Narren sind.“

Wenn Temper ehrlich war, musste sie ihm recht geben. „Also schön“, räumte sie ein. „Ich gebe zu, dass es noch ein paar Männer von Ehre und Charakter in England gibt, dich, Giff, und meine Brüder eingeschlossen.“

„Genau meine Meinung“, sagte er und blickte sie wieder mit seinen funkelnden grünen Augen an. „Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass sich auch ein paar Angehörige des schönen Geschlechts nicht gerade als Musterbeispiele an Perfektion bezeichnen lassen.“

„Wie diese Drachen, die es ablehnen, Ellie zu empfangen? Ja, das gebe ich zu. Aber du, Giff, musst einräumen, dass die Ladies mit den scharfen Zungen kontrollieren, wer sich wie in der Gesellschaft bewegt. Und Frauen werden für jeden Verstoß gegen die Regeln bestraft, während die Männer zum größten Teil davon ausgenommen sind.“

„Stimmt“, erwiderte Giff. „Das Leben ist ungerecht.“

„Können wir vom Philosophischen mal zum Praktischen kommen?“, mischte Gregory sich ein. „Wie du vielleicht weißt, Christopher, hat Tante Gussie angeboten, die Mädchen nach Bath mitzunehmen, da ein Debüt in London während dieser Saison bestenfalls … unerfreulich wäre. In Bath können sie sich zumindest ein bisschen in der Gesellschaft bewegen, vielleicht sogar ein paar heiratswillige Gentleman treffen.“

„Ich habe nicht die Absicht, einen älteren Witwer zu ehelichen und den Rest seines Lebens damit zu verbringen, ihm seine Medizin zu verabreichen und ihn im Rollstuhl in die Trinkhalle zu schieben“, erklärte Temper.

„Und wie du dir vielleicht denken kannst“, fuhr Gregory fort, „war die praktische Pru einverstanden, während die uneinsichtige Temper darauf besteht, in London zu bleiben und dem Ganzen die Stirn zu bieten. So sehr ich dich liebe, Schwester, ich würde wirklich gern sehen, dass du dieses Haus verlässt und dich auf einem eigenen Besitz niederlässt.“

„Warum muss ich überhaupt eine Saison absolvieren, wenn ich gar nicht beabsichtige zu heiraten?“ Als keiner der Gentlemen sich die Mühe machte, darauf zu antworten, seufzte sie. „Na gut. Aber wenn ich schon eine haben muss, dann lieber gleich und nicht erst in einem Jahr. Die meisten Mädchen werden mit sechzehn Jahren in die Gesellschaft eingeführt. Doch weil es immer irgendeine Katastrophe gab, die unser Debüt verhinderte, gehen Pru und ich auf die zweiundzwanzig zu und sind praktisch schon alte Jungfern. Natürlich wird die Saison katastrophal verlaufen, aber vielleicht lassen mich danach alle in Ruhe, sodass ich machen kann, was ich will.“

„Bist du dir sicher, dass du das noch in diesem Jahr auf dich nehmen möchtest?“, fragte Gifford. „Wenn die meisten Mitglieder der Gesellschaft dich ausgrenzen, wirst du kaum Einladungen zu Bällen oder Dinner erhalten. Wäre es nicht klüger, ein weiteres Jahr zu warten und es dann zu versuchen, wenn dieser Skandal unter einem Haufen neuer begraben ist?“

„Wer sagt denn, dass uns im neuen Jahr nicht ein neuer Skandal erwartet?“, wandte Temper ein. „Mamas Schönheit die Referenz zu erweisen, ist praktisch ein Ritual für die Dummköpfe, die frisch von der Universität kommen. Obwohl sie sich in der Gesellschaft längst nicht mehr so häufig wie früher sehen lässt, ist sie noch genauso schön wie einst. Und genauso faszinierend für die Gentlemen.“

„Vielleicht sogar noch mehr, weil sie niemanden ermutigt“, meinte Gifford mit einem etwas schiefen Lächeln. „Die Verlockung der unerreichbaren Schönheit.“

„Eher die Verlockung des Wissens, dass sie nicht immer unerreichbar gewesen ist, und die Arroganz, die manchen Mann auf die Idee bringt, er könnte derjenige sein, der bei ihr Erfolg hat“, wurde er von Temper verbessert.

„Lass uns zum Ausgangspunkt zurückkehren“, sagte Gregory. „Ich würde deine Zukunft auch lieber vor dem nächsten Jahr regeln. Aber wenn du darauf bestehst, hier zu debütieren, brauchen wir eine außerordentlich respektable Dame, die dich unterstützt, denn Tante Gussie wird sich mit Pru in Bath aufhalten. Und dass Mama dafür nicht infrage kommt, ist mehr als offensichtlich.“

„Das gilt auch für Ellie, aus ebenso naheliegenden Gründen“, sagte Christopher. „Doch ich könnte Maggie fragen. Als Tochter eines Marquess und Ehefrau eines Viscounts dürfte sie über genügend Einfluss verfügen, um das zu bewerkstelligen.“

„Nein, Christopher, ich würde sie nicht fragen wollen, auch wenn sie vermutlich einverstanden wäre“, warf Temper ein. „Sie ist mit dem Baby noch immer vollauf beschäftigt, und seien wir ehrlich: Eine der skandalumwitterten Schwestern unter ihre Fittiche zu nehmen, würde sich auf die gesellschaftliche Stellung der Person, die das versucht, negativ auswirken. Maggie ist als politische Gastgeberin zu wichtig für Giles, dem sie hilft, die Reformen voranzutreiben. Sie darf nicht riskieren, ihren Einfluss zu verringern, indem sie ihrem Ruf schadet, weil sie mir geholfen hat.“

„Aber die Mitglieder der Gesellschaft wissen, wie nah wir alle uns stehen, fast so nah wie eine Familie. Sie würden akzeptieren, dass sie sich dir gegenüber loyal verhält und dich unterstützt.“

„Sie akzeptieren vielleicht die Loyalität, würden allerdings ihr Urteilsvermögen infrage stellen. Nein, wenn ich das wirklich durchsetzen will, brauche ich eine Patronesse, deren Ruf so unantastbar ist, dass niemand es wagen würde, sich ihr in den Weg zu stellen.“

„Was ist mit Lady Sayleford?“, schlug Gifford vor.

„Maggies Großtante?“, fragte Temper und runzelte die Stirn. „Das ist eine etwas weit hergeholte Verbindung, findest du nicht? Ich bezweifle nicht, dass Maggie sich um mich kümmern würde, doch warum sollte Lady Sayleford die Mühe auf sich nehmen, jemanden wie mich zu fördern?“

„Vielleicht, weil ich sie darum bitte.“ Ehe Temper etwas erwidern konnte, grinste er. „Sie ist meine Patin. Wusstest du das nicht? Meine Mutter und ihre Tochter waren Busenfreundinnen.“

Während Christopher und Gregory lachten, schüttelte Temper den Kopf. „Ich wusste es nicht, bin aber auch nicht überrascht. Die oberen Zehntausend sind stets ein Herz und eine Seele.“

„Du kannst nicht leugnen, dass sie über die gesellschaftliche Stellung verfügt, die man haben muss, um das durchzusetzen“, sagte Gifford.

Temper lächelte. „Wenn Lady Sayleford ihr Protegé nicht überall dorthin bringen kann, wohin sie will, dann würde die Londoner Gesellschaft, so wie wir sie kennen, aufhören zu existieren. Aber selbst sie würde soziales Kapital einbringen müssen. Das würde ich nicht von ihr verlangen wollen.“

„So wie ich Lady Sayleford kenne, wird sie das als Herausforderung verstehen. Sie hat nie nach irgendjemandes Pfeife getanzt, weiß alles über jeden und hat ihre Finger in so vielen Angelegenheiten, dass niemand es wagt, sich mit ihr anzulegen.“

„Ich bin ihr nie begegnet, doch das klingt nach einer Frau, die ich bewundern würde“, gab Temper zu.

„Wenn du ihr Einverständnis erhältst, wäre Lady Sayleford eine ausgezeichnete Patronesse“, sagte Gregory und sah sehr ermutigt aus. „Wenn jemand eine passende Partie findet, um mir den kleinen Zankteufel hier abzunehmen, dann ist es die Dowager Countess.“

„Muss ich wiederholen, dass ich keine Saison, nicht einmal eine, die von der Ehrfurcht gebietenden Lady Sayleford unterstützt wird, mit einer Heirat beenden will?“

Die Gentlemen ignorierten ihre Bemerkung jedoch. Als Christopher seinem älteren Bruder zustimmte, dass Lady Sayleford eine exzellente Patronesse wäre, und Gifford noch einmal fragte, ob er meinte, sie zu einem Einverständnis überreden zu können, schlug Temper mit der Hand auf den Tisch.

„Genug! Also schön, ich gebe zu, dass Lady Sayleford bessere Chancen hat, mich in die Gesellschaft einzuführen als jede andere Matrone, die mir einfällt. Aber machen Sie bitte noch keine Pläne, Gentlemen. Ich möchte wenigstens einmal mit Papa reden und ihn fragen, ob er mir einen Teil meiner Mitgift zu überlässt, damit ich mein eigenes Heim gründen kann – und dir somit nicht länger zur Last falle, lieber Bruder.“

Die Männer sahen einander zweifelnd an.

„Wenn ich ihn dazu überreden kann, meine Mitgift freizugeben“, beharrte Temper, „gibt es keine heikle Situation, die es zu besprechen gilt.“

„Doch, die gäbe es“, sagte Gifford. „Wir würden versuchen, einen Weg zu finden, dich zurückzuhalten, ehe du eine Expedition in den Maghreb oder nach Indien organisierst – so wie Lady Hester Stanhope.“

„Auf Kamelen reiten oder durch den Ganges waten.“ Temper nickte mit einem strahlenden Lächeln. „Diese Aussicht gefällt mir weit besser, als mich eine Saison lang durch gesellschaftliche Untiefen zu kämpfen.“

„Nun, du kannst es versuchen, aber erwarte nicht zu viel“, mahnte Christopher. „Du kennst Papa.“

Trotz ihrer kühnen Behauptung wusste Temper gut wie ihr jüngerer Bruder, dass sie nur wenige Chancen auf Erfolg hatte. „Das tue ich“, räumte sie seufzend ein. „Ich kann mich schon glücklich schätzen, wenn er überhaupt bemerkt, dass ich den Raum betrete, geschweige denn, dass er sich herablässt, mit mir zu reden. Zumindest ist es unwahrscheinlich, dass er mich anschreit oder mit Gegenständen nach mir wirft. Bei all den Säbeln und Dolchen, die er gerade katalogisiert, ist das beruhigend. Nun, ich gehe dann mal los und versuche mein Glück.“

„Falls ich fort bin, ehe du fertig bist, sag mir, was bei dem Gespräch herausgekommen ist“, meinte Christopher. „Ich werde gern für eine weitere Strategiebesprechung zurückkehren.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und versetzte ihr einen kleinen Schubs. „Du solltest jetzt besser gehen, damit du es nicht versäumst, dich von Pru zu verabschieden.“

„Du hast recht“, sagte Temper und warf einen Blick auf die Kaminuhr. „Tante Gussie könnte jeden Augenblick eintreffen. Also gut, ich begebe mich in die Höhle des Löwen.“ Sie warf den anderen eine Kusshand zu und ging hinaus. Dabei spürte sie Gifford Newells Blick wie ein Brennen auf ihren Schultern.

2. KAPITEL

Gifford Myles Newell, der jüngere Sohn des Earl of Fensworth, sah der Schwester seines besten Freundes nach, als sie anmutig das Zimmer verließ. Wann hatte sich das lebhafte kleine Mädchen in diese überwältigende Schönheit verwandelt?

Eine Schönheit, die – das musste er zugeben – äußerst unbrüderliche Gefühle in ihm weckte. Seufzend kämpfte er gegen die Erregung an, die ihn während der letzten Zeit häufig in ihrer Gegenwart erfasste.

Leider kam es nicht infrage, die jungfräuliche Schwester seines besten Freundes zu verführen. Egal, wie sehr ihr Gesicht und ihre Figur ihn auch an die unwiderstehlichsten Verführerinnen erinnerten. Zudem war sie eine interessante und amüsante Kameradin, bei der man nie wusste, was sie als Nächstes tun oder sagen würde – außer, dass es etwas Unkonventionelles wäre. Doch wenn er heiratete, würde er eine reife, elegante, ernsthafte Lady brauchen, die seinem Haushalt vorstand und mit Takt und Diplomatie die politischen Dinner leitete, bei denen so viele Regierungsangelegenheiten verhandelt wurden. Keinen Wildfang, der mit dem herausplatzte, was ihm gerade durch den Kopf ging, ohne sich um die Konsequenzen zu kümmern.

Wenn er heiratete, würde er vermutlich und mit großem Bedauern die Verbindung beenden, die sein Leben fröhlicher gemacht hatte – und das seit dem Tag, an dem er ihr zum ersten Mal begegnet war. Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Er lachte leise und dachte an den Stein, den sie geworfen hatte, und wie er sich ducken musste, als er den rückwärtigen Garten in der Brook Street betrat. Sie hatte sich entschuldigt und erklärt, dass sie ihn für den bösen Mann gehalten hätte, der ihre Mama zum Weinen gebracht hatte.

Zwar mochte ihr Körper der Stoff sein, aus dem die erotischen Träume eines Mannes gemacht waren. Doch sie verhielt sich immer noch wie das impulsive, stürmische Kind von einst. Eine reife, elegante, ernsthafte Frau wäre eine kluge Wahl für einen Mann, der eine parlamentarische Karriere anstrebte. Trotzdem würde er den spontanen, direkten Ideenaustausch vermissen, die reine Freude, mit Temperance zu sprechen und dabei nie zu wissen, wohin ihr lebhafter Geist und ihre unerwarteten Reaktionen ihn als Nächstes führen würden.

Er wünschte dem Mann, der sie schließlich heiratete, viel Glück dabei, dieses Energiebündel zu bändigen. Ungeachtet ihrer kindlichen Behauptung, sich niemals binden zu wollen, wäre das im Grunde unvermeidlich. Für eine junge Frau aus guter Familie gab es keine andere Aufgabe. Und er bezweifelte ernsthaft, dass ihr Vater, Lord Vraux, ihre Mitgift freigeben würde, damit seine Tochter allein durch die Welt ziehen konnte. Wie sollte sie ihren Lebensunterhalt finanzieren, wenn sie nicht heiratete?

Sie war zu direkt, um als bezahlte Gesellschafterin zu arbeiten. Außerdem würde keine Lady, die Augen im Kopf hatte, eine schöne Frau wie Temperance Lattimar engagieren, um ihre Kinder zu unterrichten. Es sei denn, ihre Söhne waren noch sehr jung und ihr Ehemann ein Diplomat, der im Ausland einen Posten innehatte.

Zum Glück musste er sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie Temperance Lattimar zu bändigen wäre. Bis zu dem Tag, an dem ein anderer armer Mann diese Aufgabe übernahm oder er selbst sich ins Unvermeidliche fügte, dem ewigen Drängen seiner Mutter nachgab und eine reiche Frau heiratete, würde er schlicht das Vergnügen ihrer Gesellschaft genießen.

Und die Tatsache unterdrücken, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte.

Er sah auf und stellte fest, dass Christopher und Gregory ihn anstarrten. Er spürte, dass er errötete, und sagte: „Sie ist immer noch genauso ein Wildfang wie mit sechs, oder?“

Die Brüder seufzten. „Pru wird das Nötige tun, um sich anzupassen, doch bei Temper habe ich ein ungutes Gefühl“, meinte Christopher. „Das ist eine Frau, die besser als Mann geboren wäre.“

Gifford unterdrückte den Protest, der ihm bei dieser Bemerkung fast über die Lippen gekommen wäre, und sagte: „Ich sähe sie gern im Parlament, wo sie über die Tories herfallen kann, die erklären, welchen Schaden ein Verbot der Sklaverei für den Handel in der Karibik bedeuten würde.“

„Sie wäre großartig“, stimmte Christopher zu. „Aber da das Wahlrecht für Frauen vermutlich nicht mehr zu ihren Lebzeiten kommen wird, sollten wir uns besser ein paar andere Optionen überlegen. Ich glaube nicht, dass sie viel Glück bei dem Versuch haben wird, Vraux etwas Geld zu entlocken.“

Gifford wusste, welche Spannung zwischen Christopher und seinem gesetzlichen, wenn auch nicht biologischen Vater herrschte, und sagte: „Vermutlich nicht. Allerdings wäre ich zu gern das Hausmädchen, das vor der Bibliothek gerade etwas abstaubt, wenn Temper ihn zu überreden versucht, ihr einen Wagen für eine Reise zu den Pyramiden auszurüsten.“

Wie es sich ergab, war Christopher bereits aufgebrochen. Doch Gifford ging gerade durch den Flur zur Vordertür, als Temper mit aufgebrachter Miene die Treppe von der Bibliothek herunterkam, die Lord Vraux als sein privates Reich betrachtete.

„Ich nehme an, die Antwort war nicht positiv.“

Sie stöhnte frustriert. „Wie befürchtet, hat er kaum bemerkt, dass ich den Raum betrat. Du weißt, wie er ist, wenn er sich gerade damit beschäftigt, seine neuesten Errungenschaften zu katalogisieren. Ich habe mich direkt vor ihm aufgebaut und mit den Händen gewedelt, bis er mich ansah. Dabei runzelte er leicht die Stirn, wie immer, wenn er unterbrochen wird. Jedenfalls hörte er still zu und winkte mich dann weg.“

Gifford wusste von Gregorys Berichten, wie sehr der Baron es hasste, berührt zu werden. Doch es musste seine Kinder verletzen, dass ihr Vater unfähig zu sein schien, Zeichen der Zuneigung zu zeigen oder zu empfangen.

„Hat er irgendetwas gesagt? Oder einfach weiter katalogisiert?“

Voller Abscheu schüttelte sie den Kopf. „Er sagte, ich muss debütieren, um einen Ehemann zu finden, der mich beschützt. Dass Frauen Schutz benötigen. Ich konnte nicht anders als ihn zu fragen, ob das der Grund war, warum er Mama geheiratet hatte. Aber er hat nicht geantwortet, sondern seine Aufmerksamkeit wieder dem Tisch zugewandt und sich den nächsten Dolch genommen.“ Sie holte tief Luft. „Fast hätte ich mir gewünscht, auch einen Dolch zu packen.“

Obwohl der Baron ein großes Vermögen besaß, was bedeutete, dass Gregory, anders als er selbst, während ihrer gemeinsamen Schulzeit nie hatte Hunger leiden oder seine Kleidung flicken müssen, hatte Gifford die Lattimar-Kinder immer bedauert. Sie hatten eine Mutter, die zwar liebevoll war, sich aber einen so schlechten Ruf erworben hatte, dass ihre Töchter in der Gesellschaft nicht anerkannt wurden, und einen Vater, der sich benahm, als würden sie nicht existieren.

„Ich bin froh, dass du keinen Dolch genommen hast“, sagte er leichthin und versuchte, sie über ihre Enttäuschung hinwegzutrösten. „Die Nachricht, dass du deinen Vater erstochen hast, gleich nach dem jüngsten Skandal, würde dein Debüt nur noch komplizierter gestalten.“

Sie lachte leise und freudlos. „Danke für den Versuch, mich aufzuheitern, Giff. Ich denke, dass ich schließlich doch mit einer Saison geplagt werde. Doch gerade jetzt ertrage ich es nicht, darüber nachzudenken. Also ruf bitte nicht nach Gregory, damit nicht gleich eine weitere Strategiesitzung einberufen wird.“ Sie seufzte vernehmlich. „Am liebsten hätte ich einen Schluck von Gregorys Brandy, aber ich werde mich mit Tee zufriedengeben. Würdest du eine Tasse mit mir trinken?“, fragte sie und bedeutete ihm, zum Salon zurückzugehen. „Seit du im Parlament sitzt, hatte ich noch keine Gelegenheit, mit dir zu reden.“

Wann hatte er ihr jemals etwas abschlagen können? Er war immer neugierig auf das, was sie zu sagen hatte – genau wie jetzt, trotz seines Unbehagens wegen der körperlichen Reaktionen, die sie in ihm auslöste. „Ich nehme an, dass ich ein paar Minuten erübrigen kann.“

„Giff, ein ernsthafter, nüchterner Parlamentarier“, sagte sie staunend, nachdem sie einen Diener um Tee geschickt und ihn in den Salon zurückgeführt hatte. „Das ist eine Vorstellung, an die ich mich erst einmal gewöhnen muss. Wenn man dich im vergangenen Jahr morgens um diese Zeit traf, dann bedeutete das, Gregory und du kamt nach einer durchfeierten Nacht nach Hause, oder?“

Lachend sah sie zu ihm hoch, der Blick aus ihren wunderschönen Augen war neckisch, ihr lächelnder Mund wie eine Einladung zu einem Flirt. Er holte tief Luft und schloss die Augen. Das ist die kleine Schwester deines Freundes. So darfst du nicht über sie denken.

Vielleicht würde es helfen, wenn er sie nicht direkt ansah. Oder nicht so nah bei ihr saß, dass er den leisen Hauch von Jasmin riechen konnte, der sie umgab und Hitze und Sinnlichkeit verhieß.

Er ließ sich in einigem Abstand von ihr nieder und widersprach. „Nicht vergangenes Jahr.“

„Nun, dann vielleicht im Jahr davor. Gregory war gerade fünfundzwanzig geworden, als er zufällig herausfand, in welch chaotischem Zustand die Bücher auf Entremer waren, und entschied, die Dinge klären zu müssen, da Papa sich offensichtlich nicht dafür interessierte.“

„Und du musst zugeben, dass er ausgezeichnete Arbeit geleistet hat.“

„Ja, wer hätte das gedacht? Bis zu jenem Zeitpunkt hatte er kaum Bemerkenswerteres zustande gebracht als drei Flaschen Portwein in einer Nacht zu trinken und mit drei Damen gleichzeitig zusammen zu sein. Während er mit dir unterwegs war, soweit ich mich erinnere. Allerdings hat er deine Zahlen nicht verraten.“

„Woher weißt du …?“, entfuhr es Giff, und er spürte, wie er errötete.

Temperance lachte leise. „Greg und Giff, was seid ihr doch für ein Paar. Als ihr um acht Uhr morgens in unsere Haupthalle getaumelt seid, habt ihr schlüpfrige Lieder gegrölt, und Gregory hat aus voller Kehle mit seiner Leistung geprahlt – in zurückhaltenden Worten natürlich, aber Pru und ich wussten sehr genau, was er meinte.“

„Manchmal seid ihr Mädchen zu aufmerksam“, murmelte Giff.

„Wenn wir in jungen Jahren etwas über Dinge lernen, über die kein unschuldiges Mädchen Bescheid wissen sollte, ist das nicht gerade unsere Schuld, oder?“, widersprach sie, und ihr Tonfall klang leicht gereizt.

Der Diener kam mit dem Tee, und einen Moment lang verstummte das Gespräch, während Temper einschenkte. Als sie beide eine Tasse mit dem dampfenden Getränk vor sich stehen hatten, fuhr sie fort: „Ich muss sagen, dass ich einigermaßen überrascht war, als Gregory uns erzählte, du hättest beschlossen, für das Parlament zu kandidieren.“

„Junge Männer müssen sich vermutlich die Hörner abstoßen, aber irgendwann muss man sich entscheiden, welche Spuren man auf der Welt hinterlassen will. Vor allem wir jüngeren Söhne, die wir uns nicht darauf freuen können, einmal den Familiensitz zu führen.“ Vor allem die jüngeren Söhne, die von ihren Familien faktisch ausgeschlossen wurden, weil Vater und Mutter ihre Aufmerksamkeit auf den Sohn konzentrierten, der einmal alles erben würde, fügte er im Stillen hinzu und fühlte bei dieser Erkenntnis wieder den vertrauten stechenden Schmerz.

„Sich den Reformpolitikern anzuschließen, ist eine Entscheidung, die ich bewundere. Findest du die Arbeit des Parlaments so anregend, wie du gehofft hast?“

Er war so dankbar für ihr Lob, dass ihn das von seinem Schmerz und auch von dem Unmut ablenkte, den ihre Situation oft in ihm weckte. Ehrlich, direkt und hochintelligent wie sie war, schmeichelte Temper niemals jemandem und lobte auch nur selten. Trotz ihrer Jugend war sie von allen Frauen in seinem Bekanntenkreis wohl diejenige, deren Zustimmung ihm am meisten bedeutete.

„Ich muss zugeben, anfangs war ich skeptisch, als Gregory und Christopher mich dazu drängten, aber – es ist anregend.“

„Dann hast du deine Berufung gefunden.“

Er lächelte. „Ich glaube, ja. Dort in dem Bewusstsein zu stehen, dass das, was du tust, etwa das Ende der Sklaverei zu verlangen oder die Kinderarbeit in den Fabriken einzuschränken, das Leben tausender Menschen verbessert, hier und überall im britischen Empire. Es ist sowohl ein Gefühl von Demut als auch aufregend. Selbst wenn die Veränderungen nicht so weit und nicht so schnell gehen, wie wir es gern hätten.“

„Ja, Christopher sagte mir, dass es schwierig genug sein wird, das Wahlrecht für alle Männer durchzusetzen. Ich soll deshalb nicht mit einer ähnlichen Entwicklung für die Frauen rechnen. Außer, die Frauen sind mit eingeschlossen, wenn es gilt, das Ende der Sklaverei zu erwirken“, fügte sie hinzu.

Er lachte, genau wie sie es erwartet hatte. „Ich kann bestätigten, dass verheiratete Frauen wirtschaftlich benachteiligt sind. Und selbst wenn ihre Lebenssituation nicht so angespannt sein mag, sind auch Männer benachteiligt, die ihr Vermögen nicht kontrollieren.“

„Hat deine Mama dich wieder wegen des Geldes belästigt?“

Er war so überrascht, dass er seine Vorsicht vergaß und sie ansah. Bezaubernd und feinfühlig zugleich. Rasch wandte er sich ab, bevor ihre Schönheit eine Welle der Erregung in ihm auslöste, und sagte nur: „Ich dachte, ein jüngerer Sohn, der sich in der Hauptstadt seinen Vergnügungen hingibt, wäre kostspielig genug, aber einen im Parlament zu haben, erweist sich als noch teurer.“

„Gewiss versteht deine Mama, dass du die Meinungen der Machtträger nicht in einem zweimal gewendeten Rock und ausgetretenen Stiefeln beeinflussen kannst. Und von Christopher weiß ich, dass selbst unverheiratete Parlamentsmitglieder gelegentlich einladen müssen – in Gasthäuser und Clubs, wo so viele Kompromisse ausgehandelt werden.“

Er unterdrückte seine Verlegenheit darüber, dass Temperance bemerkt hatte, wie schäbig seine Kleidung manchmal war, wenn der Unterhalt zu spät gekommen war – oder überhaupt nicht –, und erwiderte: „Das stimmt. Als Mitglied von Lyndlingtons ‚Hadley’s Hellions‘ Gruppe genießt Christopher den Vorteil, zu den Dinnerpartys eingeladen zu werden, die Giles und Maggie geben. Leider habe ich keine solchen Verbindungen zu einer politisch einflussreichen Gastgeberin.“

„Weswegen deine Mama dich ständig drängt, eine solche zu heiraten. Oder zumindest ein Mädchen mit Geld.“ Die Überraschung schien ihm ins Gesicht geschrieben, denn Temper fügte hinzu: „Sie muss sich wünschen, dass du reich heiratest – und sei es nur, um das Familienvermögen nicht länger mit deinem Unterhalt zu belasten. Aber vielleicht möchte sie auch ein paar Enkelkinder auf ihrem Schoß wiegen.“

Gifford versuchte, sich ein solches Bild vorzustellen, doch es gelang ihm nicht. Mama mochte sich für die Kinder des Erben interessieren – aber niemals für seine. „Das bezweifle ich. Eher möchte sie meine Unterstützung einsparen, um sich dafür ein neues Retikül ans Handgelenk zu hängen und teurere Kleider zu tragen.“

„Ich mag gelegentlich böse auf Mama sein, doch wenigstens weiß ich, dass sie uns liebt – so berüchtigt sie auch sein mag.“

Lady Vraux mochte eine liebevolle Mutter sein, aber ihr skandalöses Benehmen in früheren Jahre hatte ihren Töchtern auf eine Weise geschadet, die nicht wiedergutzumachen war. Es fiel Gifford schwer, ihr diese Sünde zu verzeihen.

„Da ich trotz Mamas stetigem Drängen noch nicht bereit für die Ehe bin, vermeide ich Anlässe, bei denen ich potenziellen Heiratskandidatinnen begegnen könnte.“ Er lachte. „Nicht, dass ich als guter Fang gelten würde.“

„Ach, ich weiß nicht. Du siehst gut aus, bist intelligent, weißt dich auszudrücken, hast Prinzipien und entstammst einer ausgezeichneten alten Familie. Alles, was dir fehlt, ist Geld, und für ein Mädchen mit einer großen Mitgift wäre das kaum ein Hinderungsgrund. Wenn du für die Ehe allerdings noch nicht bereit bist, ist es vermutlich klug, alle Orte zu meiden, an denen die eine oder andere entschlossene junge Miss versucht, dich zu angeln.“ Sie grinste. „Außerdem magst du mit deinen Eroberungen zwar nicht mehr so schamlos wie in früheren Jahren sein, ich weiß aber mit Sicherheit, dass Gregory und du immer noch etwas leichtlebigere Damen bevorzugt, wenn es um weibliche Begleitung geht.“

„Du besitzt wirklich keine mädchenhafte Zurückhaltung, oder?“, fragte er, halb belustigt, halb entsetzt wegen ihrer offenen Art.

„Nachdem ich in diesem Haushalt aufgewachsen bin? Ich müsste taub und blind sein, um in meinem Alter noch über so etwas zu verfügen. Also gibt es zurzeit keine passenden jungen Damen aus guter Familie. Möchtest du, dass ich nach entsprechenden Partien Ausschau halte, falls es mir gelingt, zu Anlässen eingeladen zu werden, bei denen sich tugendhafte Mädchen treffen?“

„Willst du es meiner Mutter nachmachen? Das wäre nicht sehr fair, zumal du selbst etwas gegen die Ehe hast.“

„Ich halte dir keine Predigt deswegen, und unsere Situationen lassen sich kaum vergleichen. Solange ich Papa überzeugen kann, mir eigenes Geld zur Verfügung zu stellen, bietet eine Ehe mir keine Vorteile. Während es deine Arbeit im Parlament leichter machen würde, wenn du eine reiche Braut findest, deren Vermögen dich von der widerstrebenden Wohltätigkeit deiner Familie befreit. Eine Frau wie Maggie zu gewinnen, die klug und charmant ist und sich für Politik interessiert, wäre noch segensreicher.“

Die Ehefrauen von Christopher und seinen Freunden waren bewundernswert. Alle Beteiligten wirkten glücklich mit den Verbindungen, die sie geschlossen hatten. Und alles, was Temper über ein Ende seiner Geldsorgen und eine fähige Gastgeberin gesagt hatte, stimmte. „Vielleicht“, gab er zu. „Aber ich bin noch nicht bereit, mich den Vorteilen einer Ehe zu stellen.“

„Du meinst, dass du noch nicht bereit bist, deine Frauengeschichten aufzugeben.“

„Lass uns zu deiner Situation zurückkommen“, sagte er. Er hatte genug Bemerkungen über seine Vorliebe für leichtlebige Damen gehört. „Ich meinte es ernst, als ich sagte, dass ich Lady Sayleford fragen würde, ob sie dich unter ihre Fittiche nimmt. Sie ist wirklich so angesehen, wie ihr Ruf vermuten lässt. Wenn du debütieren musst, um deinen Vater zu beschwichtigen, wäre sie die beste Kandidatin als Patronesse. Du weißt, dass ich alles tun würde, um dir zu helfen, Temper.“

Jetzt sah sie ihn nicht mehr amüsiert an, sondern lächelte traurig, und das rührte an sein Herz. „Ich weiß, Giff. Du bist uns allen ein guter Freund, und das schon solange ich denken kann. Dafür danke ich dir“, sagte sie, streckte den Arm aus und berührte seine Hand.

Es sollte eine beiläufige, freundliche Geste sein. Doch die leichte Berührung ließ eine Erregung in ihm aufsteigen wie ein leidenschaftlicher Kuss.

Er erstarrte, wehrte sich gegen diese Reaktion. Unglücklicherweise erstarrte auch Temper, betrachtete ihre Hand, die auf seiner ruhte, und ihre Miene drückte Schrecken und Unsicherheit aus.

Dann errötete sie und zog ihre Hand ruckartig zurück. „Ja … äh … das wäre sehr … hm … ich meine, wenn ich eine Saison absolvieren muss, dann würde ich es zu schätzen wissen, wenn du Lady Sayleford ansprichst.“

Ihre Stimme klang genauso seltsam wie ihre stockende Sprechweise. Was bedeuten musste, dass die Berührung, die ihn quasi gelähmt hatte, auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen war. Er fragte sich, ob er von dieser Tatsache befriedigt oder beunruhigt sein sollte.

Vielleicht war es Zeit zu gehen, ehe er sich von dem lüsternen Teil in ihm dazu drängen ließ, diese reizvolle Möglichkeit weiter zu erforschen. Die Teetasse klirrte hörbar, als er sie abstellte. „Ich muss aufbrechen. Soll ich meine Patin besuchen und sehen, was ich erreichen kann?“

Falls sie den Moment ebenso intensiv wie er empfunden hatte, schien das jetzt vorbei zu sein, denn der Blick, mit dem sie zu ihm hochsah, war wieder der eines lachenden, übermütigen Kindes. „Ja, ich denke, das musst du tun. Stell dir nur vor, Temperance Lattimar ganz in Weiß gekleidet, gibt ihr Debüt zwischen all den tugendhaften Mädchen. Das würde doch bedeuten, die Katze in den Taubenschlag zu schicken, oder?“

„Es dürfte auf jeden Fall … interessant werden“, räumte er ein. „Ich melde mich, wenn ich Gelegenheit hatte, mit ihr zu sprechen. Danke für den Tee und auf Wiedersehen, Temper.“

„Auf Wiedersehen, Giff.“ Sie streckte die Hand aus, um sich von ihm zu verabschieden, wie sie es zuvor schon zahllose Male getan hatte. Dann schien sie es sich allerdings anders zu überlegen, denn sie zog die Hand hastig wieder zurück. Nicht, dass er so dumm gewesen wäre, ihr seine Hand zu reichen, nicht nach der verstörend heftigen Reaktion bei ihrer Berührung vorhin.

Egal, wie gern er sie berührt hätte – und mehr als das …

Verstimmt durch die Anziehung, die er so schwer ignorieren konnte, verließ Gifford das Haus. Nachdem der Butler die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ging er die Stufen vor dem Eingang hinunter und holte tief Luft.

Als er Temperance versprochen hatte, alles zu tun, was möglich war, um ihr zu helfen, hatte er es ernst gemeint. Aber die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, schien eher noch zu wachsen, und wenn er sich für sie einsetzte, würde er sie häufiger treffen, als wenn er vorbeikam, um Gregory zu besuchen.

Die Aussicht, mehr von Temperance Lattimar zu sehen, war genauso verlockend wie beunruhigend.

3. KAPITEL

Nachdem sie beobachtet hatte, wie Gifford Newell das Zimmer verließ, setzte Temperance sich wieder auf das Sofa und schenkte sich noch eine Tasse Tee ein.

War es klug von ihr, seine Hilfe zu akzeptieren? Sie hatte nichts weiter getan, als seine Hand zu berühren, aber – du liebe Güte! Die Anziehung war so heftig, dass sie sie erstarren ließ. So heftig, dass sie vergessen hatte, wo sie sich befand und was sie gerade tat. Und sie konnte an nichts anderes mehr denken als daran, wie es sich wohl anfühlen mochte, ihn zu küssen.

Sie hatte sich ziemlich ungeschickt dabei angestellt, die Anziehung zu ignorieren. Widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass sich ihre bis dahin sorglose Freundschaft verändert hatte, und dass sie wachsam sein sollte.

Schließlich wollte sie sich von der Neugier nicht verleiten lassen herauszufinden, wohin das Ganze führen konnte.

Und dann musste sie lachen. Es war höchst unwahrscheinlich, dass der gut aussehende, bestimmende, sehr männliche Gifford Newell, der in ihr vermutlich nie mehr als die kleine Schwester seines besten Freundes gesehen hatte, interessiert daran sein könnte, diese Gefühle mit ihr zu entdecken … Nicht, wenn er schon lange und beiderseits zufriedenstellende Beziehungen mit Damen führte, die wesentlich erfahrener und verführerischer als sie waren.

Was völlig in Ordnung war. Es wäre nicht fair, ihn zu einem Gang einzuladen, von dem sie jetzt schon wusste, dass sie ihn nicht bis zum Ende gehen würde. Der bloße Gedanke daran, was das bedeuten würde, ließ sie vor Abscheu erschauern.

Trotz der unbehaglichen Anspannung, die er in ihr auslöste, genoss sie seine Gesellschaft und zählte ihn zu den wenigen Menschen, auf deren Ehrlichkeit und Verlässlichkeit sie zählen konnte. In der Vergangenheit hatte er sie häufiger mit seinen Neckereien geärgert. Als sie älter wurde, begann er allerdings, ihr mit einer Aufmerksamkeit und einem Verständnis zuzuhören, wie sie sie sonst nur bei ihrer Schwester fand. Sie weigerte sich zuzulassen, dass diese … irrationale Anziehung, die sie offenbar nicht ignorieren konnte, eine Freundschaft zerstörte, die ihr so viel bedeutete.

Wenn sie gezwungen war, eine Saison zu absolvieren, und sie sah nicht, wie sie das vermeiden sollte, so unangenehm diese Aussicht auch sein mochte, war es ihr lieber, das so bald wie möglich hinter sich zu bringen. Als sie mit ungefähr fünfzehn Jahren zum ersten Mal die Andeutungen vernommen hatte, sie könnte ihrer Mutter ähnlich sein, hatte sie sich geschworen, niemals jemandem zu zeigen, wie sehr diese Verurteilung und die unverdiente Kritik sie verletzten. Nein, sie beabsichtigte, der sie verachtenden Gesellschaft mit Stolz entgegenzutreten – und alles mit innerer Kraft zu ertragen. Auch wenn sie gelegentlich, sobald der Zorn in ihr überhand nahm, etwas wirklich Kühnes anstellen könnte, nur um die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen.

Die Freude darüber, das tun zu können, würde es nicht leichter machen, den Rest der Qual zu ertragen.

Es wäre wirklich hilfreich, Lady Sayleford an ihrer Seite zu wissen. Angenommen, die Dowager Countess wäre bereit, sie zu empfangen und anzuhören, dann würde das bedeuten, dass Gifford Newell als ihr Vermittler auftrat.

Das würde nicht zwangsläufig heißen, dass sie einander häufiger sahen, als sie es jetzt taten – abgesehen vom ersten Gespräch mit Lady Sayleford. Er hatte nur bestätigt, was sie schon wusste: dass er, weil er noch nicht bereit war, sich eine Frau zu suchen, keineswegs vorhatte, die Art von Heiratsmarkt-Veranstaltungen zu besuchen, zu denen sie gehen musste. Er würde sie einfach seiner Patin übergeben und sich dann wieder seinen eigenen Interessen widmen.

Einen kleinen Seufzer des Bedauerns konnte sie nicht unterdrücken. Trotz der kürzlich aufgetretenen Komplikationen in ihrer Beziehung wusste sie, dass sie sicher sein würde, wenn Gifford in der Nähe war – geschützt vor den schlimmsten Beleidigungen und der Verachtung all jener, die sie missbilligten, und vor allen Männern, die sie ausnutzen wollten. Außerdem würde es ihr gefallen, seine Reaktion auf all die Dinge auf dem Heiratsmarkt zu beobachten.

Aber da es sehr unwahrscheinlich war, dass er eine der Veranstaltungen besuchte, auf die man sie schleifen würde, sollte sie besser den Mut aufbringen, sich all dem allein zu stellen. Schließlich würde Temper ganz allein sein, wenn ihre Schwester heiratete – was sie zweifellos tun würde, denn welcher kluge Mann konnte schon ihrer geliebten Pru widerstehen? Und das auf Dauer.

Zum ersten Mal sah Temper dieser düsteren Aussicht ins Auge. Nicht als etwas, das in weiter Ferne lag, sondern als etwas, das vermutlich bald eintreten würde. Sie musste sich eine Hand auf den Bauch legen, um das Gefühl der Trauer und Leere einzudämmen, das in ihr aufstieg.

Doch hatte sie nicht unabhängig sein wollen? Sie versuchte, sich wieder zu beruhigen. Immerhin würde sie noch Gregory und Christopher haben, Giffords besondere Freundschaft, und sie durfte sich darauf freuen, die stolze Tante von Prus späteren Kinder zu sein. Sicher konnte sie irgendwo in der Familie eine bedürftige Frau finden, mit der sie sich vertrug und die bereit war, mit ihr zu leben.

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