Ich werde Sie verführen, Boss!

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Sein neuer Boss ist eine Frau - und was für eine! Mit Andrea leitet nämlich eine atemberaubende Blondine das Bauunternehmen, in dem Jim Nicolosi anheuert. Offiziell nur als Zimmermann, undercover aber muss er in der Firma dieser aufregenden Traumfrau ermitteln. Dabei will er bald nur noch eins: heiße Leidenschaft in der kühlen Schönen wecken …


  • Erscheinungstag 26.07.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742706
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Wieder waren Graffiti an der Wand – hässliche rote Schmierer auf dem frischen weißen Putz und der matt schimmernden Walnusstäfelung darunter. Seit dem letzten Vorfall war fast eine Woche vergangen, und Andie hatte bereits gehofft, dass der zornige Sprayer seine Attacken gegen sie endlich aufgegeben hatte. Aber offenbar hatte er nur eine Pause eingelegt. Diese Botschaft ging über das Stadium pubertärer Kraftausdrücke, die ihre weibliche Normalität infrage stellten, weit hinaus. Dies hier war eine unverhüllte Drohung. DU BIST DRAN, MISTSTÜCK! leuchtete es blutrot von der Wand, und diesmal bekam Andie Angst.

Sie blickte sich vorsichtig um. Vielleicht lauerte der Vandale in einem der leeren Räume hinter ihr oder oben im Korridor, um seine hasserfüllten Worte in die Tat umzusetzen. Andie war ganz allein in der weitläufigen alten Villa – ihre Crew würde erst in zehn bis fünfzehn Minuten zur Arbeit erscheinen. Zeit genug für einen Verrückten, der einer Frau gewaltsam beibringen wollte, wo ihr Platz war.

Einen Moment lang stand sie wie gelähmt da. Doch dann schüttelte sie ihre Angst ab und besann sich auf ihren gesunden Menschenverstand. Männer, die bösartige Sprüche an Wände sprühten, hatten selten den Mut, mehr zu tun. Dies war die typische Einschüchterungstaktik eines Feiglings, der sein Opfer nur erschrecken wollte. Und Andrea Wagner würde sich nicht mehr einschüchtern lassen. Von niemandem. Nie mehr.

Es war nicht das erste Mal, dass ihr so etwas passierte. Und es würde mit Sicherheit nicht das letzte Mal sein. Gewisse Kollegen in der Baubranche sahen es nicht gern, dass eine Frau in einem „Männerberuf“ Erfolg hatte, und sie hatten keine Hemmungen, dies kundzutun.

Die Triezereien – mal spaßhaft, meistens nicht – hatten am Tag begonnen, als Andie bei der Handwerkskammer zur Aufnahmeprüfung für die Klempnerlehre angetreten war. Sie war eine von fünf Frauen in einem Raum voller Männer gewesen, und sie alle hatten um die wenigen Ausbildungsplätze konkurriert. Andie besaß keinerlei praktische Kenntnisse, aber im mathematischen Teil des Tests erreichte sie die höchste Punktzahl. Sie war selbst überrascht gewesen, wie mühelos sie mit räumlichen Relationen zurechtkam. Bei ihrem ausgezeichneten Testergebnis konnte man ihr laut Gesetz den Ausbildungsplatz nicht verweigern. Aber man konnte versuchen, sie zu vergraulen. Was einige skrupellos getan hatten.

Sie war mit sämtlichen groben Namen tituliert worden, hatte sich derbe Anträge angehört und die „Überraschungen“ in ihrem Werkzeugkasten ertragen. Mal waren es Pin-up-Fotos nackter Sexprotze aus einschlägigen Männermagazinen, mal ein verschwitzter Unterleibschutz, wie ihn Sportler benutzen, mal die ausgerissene Anzeige eines Lesbenlokals. Anfangs war das alles eine Qual für Andie gewesen. Sie hatte so manche Nacht wach gelegen und sich gefragt, ob sie das Richtige tat. Aber sie hielt durch, machte ihre Prüfung und hängte noch eine Tischlerlehre an. Nebenher eignete sie sich die Grundkenntnisse des Elektrikerhandwerks an und erhielt schließlich die Zulassung, sich selbstständig zu machen. Sie setzte eine Anzeige ins Branchenbuch, und zwei Wochen später hatte sie ihren ersten Auftrag.

Mit den Jahren war Andie zäher geworden, seelisch und körperlich. Sie war kein Grünschnabel mehr, der bei der leisesten Anzüglichkeit rot wurde. Und Anfeindungen – auch das hatte sie gelernt – konterte man am besten, indem man sie ignorierte. Auch dieser Graffiti-Künstler würde mit seinem Geschmiere aufhören, wenn er merkte, dass es nicht die gewünschte Wirkung hatte. Bloß keine große Sache daraus machen – das würde ihn nur ermuntern, sie weiter zu attackieren.

Andie befeuchtete einen sauberen Lappen mit Terpentin und begann, die rote Farbe vorsichtig fortzureiben. Da sie noch etwas feucht war, ließ sie sich von der kunstvoll geschnitzten Täfelung leicht entfernen. Ein Schliff mit feinem Sandpapier, und das Holz würde wieder wie neu sein und konnte weiterbehandelt werden. Eine andere Sache war die Wand. Die Farbe war tief in den frischen Putz eingezogen, sodass der gesamte obere Teil entfernt und erneuert werden musste. Andie konnte nur eins tun, bevor ihre Mannschaft eintraf – die Farbe verschmieren, um die Worte unleserlich zu machen. Es war nicht nötig, dass alle sich wegen nichts verrückt machten.

Dennoch fuhr sie erschrocken zusammen und wirbelte herum, als die Eingangstür hinter ihr quietschte. „Also wirklich, Nat!“, fuhr sie die Frau an, die die Halle betrat. „Dich von hinten anzuschleichen! Du hast mich zu Tode erschreckt.“

„Wenn bei hellem Tageslicht jemand durch die offen stehende Vordertür kommt, würde ich das nicht anschleichen nennen“, wandte ihre Schwester ein und legte ihren Aktenkoffer auf ein Trittbrett des Baugerüsts an der Wand neben der Treppe. „Außerdem hört man auf dem gepflasterten Weg jeden Schritt“, fügte sie hinzu, während sie die Schlösser des Koffers aufschnappen ließ und den Deckel hochklappte. „Aber selbst wenn die Pflastersteine nicht wären, könnte man auf hohen Absätzen nicht hier hereinschleichen. Das ist rein physikalisch unmög…“ Natalie brach mitten im Wort ab und rückte ihre modisch gefasste Brille zurecht. „Graffiti? Schon wieder? Was hat der Typ denn diesmal geschrieben?“

„Das Übliche“, erwiderte Andie betont gleichmütig und wischte ihre Finger am Lappen ab. Sie konnte nur hoffen, dass die Schrift unleserlich war – hätte sie sich zur Wand umgedreht, wäre ihre Schwester erst recht neugierig geworden. „Hast du vielleicht ein paar Zimtschnecken da drin?“ Sie zeigte auf die weiße Bäckertüte in Natalies Aktenkoffer. „Ich habe heute außer Kaffee noch nichts zu mir genommen und bin am Verhungern.“ Vielleicht konnte sie ihre Schwester in eine Diskussion über gesunde Ernährung verwickeln. Obwohl Natalie drei Jahre jünger war als sie, erteilte sie ihr gern mütterliche Lektionen. „Ich hatte keine Zeit, zu frühstücken.“

Natalie nahm die Tüte aus dem Koffer und warf sie ihrer Schwester zu. „Es sind Vollkornbrötchen, aber bedien dich“, sagte sie und ging nah an die Wand heran, um sich die Schmierereien anzusehen. Andie indessen biss herzhaft in ein Brötchen und tat, als sei sie an nichts anderem interessiert. Sie hatte wirklich Hunger, in dem Punkt hatte sie nicht gelogen. Und mit vollem Mund würde sie Natalies Fragen nicht beantworten können.

Leise vor sich hin murmelnd, versuchte ihre Schwester, die Wörter zu entziffern. „Du …“ Das erste Wort hatte sie schnell heraus. Mit dem nächsten war es schon schwieriger. „Bi… Bi… Birt… Ich hab’s! Dieser Schwachkopf weiß nicht mal, dass Biest mit ‚ie‘ geschrieben wird. Du Biest – sehr originell.“

Andie kaute und schluckte den trockenen Brotbrei herunter. „Was erwartest du? Ein Rechtschreibgenie? Oder einen Poeten?“ Wenn Natalie meinte, der Kerl hätte sie als Biest ohne „e“ tituliert – umso besser.

Aber ihrem Gemurmel nach zu urteilen schienen noch mehr erkennbare Wortfragmente an der Wand zu sein. Wieder versuchte Andie es mit einem Ablenkungsmanöver. „Wie geht’s Dad und den Kindern?“ Ihre beiden kleineren Kinder verbrachten den Sommer am Moose Lake, einem herrlichen See im Norden von Minnesota. Ihr Ältester war bei seinem Vater und bei Stiefmutter Nummer zwei in Los Angeles. „Jammern sie schon, dass sie nach Hause wollen?“

„Keine Spur. Emily hat sich in den Knaben verliebt, der am Jachthafen Fischköder verkauft. Sie hat ein leidenschaftliches Interesse für den Angelsport entwickelt.“ Natalie warf ihrer Schwester einen mitfühlenden Blick zu. „Kein Grund zur Beunruhigung. Der Junge ist fünfzehn und hat noch nicht mal ihre Existenz bemerkt.“

„Dem Himmel sei Dank“, murmelte Andie erleichtert. Emily war gerade zwölf geworden.

„Christopher lernt Windsurfen. Ich soll dich von den beiden grüßen.“ Natalie rückte ihre Brille zurecht und beugte sich näher zur Wand. „Du Biest … nein, doch nicht Biest. Du bist …“

„Und Dad? Was macht er?“

„Er beklagt sich darüber, dass die Verbrechensrate in Minneapolis seit seiner Pensionierung gestiegen ist.“ Natalie lächelte liebevoll. „Zwar hat er es nicht direkt ausgesprochen, aber ich bin sicher, dass er zwischen seinem Abschied von der Polizei und dem Anstieg der Kriminalität einen unmittelbaren Zusammenhang sieht.“ Plötzlich schwand ihr Lächeln, und ihr voller, weicher Mund wurde zu einer harten Linie. „Du bist dran“, sagte sie, und ihre Worte hallten in dem großen leeren Raum wider. Mit dem Zeigefinger ergänzte sie nun die von der Täfelung fortgewischte untere Hälfte des letzten Wortes. „Du bist dran, Miststück.“ Sie drehte sich zu Andie und starrte sie vorwurfsvoll an. „Sagtest du nicht, es seien die üblichen Schimpfnamen? In meinen Ohren hört sich dies sehr nach einer Drohung an.“

„Es ist das Übliche!“, beharrte Andie.

„Bedroht hat er dich bisher noch nicht.“

„Er tut es auch jetzt nicht, obwohl es so scheint. Und Miststück bin ich schon öfter genannt worden.“

„Von wem?“, fragte Natalie entrüstet. Der Gedanke, jemand könnte ihre Schwester als Miststück bezeichnen, entsetzte sie. Andie war einer der liebenswertesten Menschen, die sie kannte. Und sie sah hinreißend aus. Sogar in ihrem fleckigen Overall und in den schweren Arbeitsstiefeln wirkte sie wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe.

„Zum Beispiel von der Hälfte der Männer, die ich bei der Bewerbung um diesen Job ausgestochen habe. Meine geschätzten … Zunftbrüder …“, sie betonte das Wort ironisch, „sind fest davon überzeugt, dass ich diesen Auftrag nur deshalb bekommen habe, weil ich mit dem gesamten Vorstandsgremium der Belmont-Stiftung ins Bett gegangen bin. Den besonders gut Informierten zufolge mit den männlichen und weiblichen Mitgliedern.“ Andie tat ihren zweifelhaften Ruf mit einem Schulterzucken ab. „Was soll’s? Ich habe dir oft genug erzählt, wie rau es in der Baubranche zugeht. Besonders, wenn eine Frau ins Territorium eindringt.“

„Ich weiß, aber …“ Natalie schüttelte abwehrend den Kopf, obwohl sie selbst in einer sogenannten Männerdomäne arbeitete und die Realität allzu gut kannte. „Sehen die denn nicht, dass deine Arbeit für sich selbst spricht? Du hast den Job bekommen, weil du eine der besten und zuverlässigsten Bauunternehmerinnen in Minneapolis bist. Du bist innovativ und bewegst dich nicht wie viele andere in ausgefahrenen Gleisen. Du bist ehrlich und integer. Du überziehst nie das Budget, du hältst die Termine ein, und es gab noch nie eine Beschwerde über dich oder deine Arbeit. Das müsste doch sogar bei diesen primitiven Neandertalern zählen.“

„Bei denen zählt nur, dass ich eine Frau bin. Apropos Neandertaler …“ Andies Grinsen verwandelte sie von der entzückenden Porzellanschäferin in eine freche Straßengöre. „Wie geht’s Lucas?“, fragte sie.

Natalie verdrehte die Augen. „Ach, Lucas.“ Dann lachte sie weich, und Andie wusste, dass sie sie vom Thema abgelenkt hatte. Lucas war Natalies Ehemann, und seine ausgeprägten Tendenzen zum Macho waren eine Quelle endlosen Ärgers wie auch endlosen Entzückens. Der Mann war bei den Marines gewesen, der hart gedrillten Spezialtruppe der US-Streitkräfte. Er war tätowiert und muskelbepackt und eingebildet und abgöttisch in seine kleine, zierliche Frau verliebt – sogar noch nach sechs Ehejahren. „Als wir letztes Wochenende oben am See waren, haben er und Dad sich zusammengetan und auf mich eingeredet, dass ich weniger arbeiten und kürzertreten sollte.“

„Jetzt schon?“ Andie musterte Natalies schlanken Körper. „Man sieht es noch nicht mal.“

„Das liegt am Schnitt der Jacke.“ Natalie strich über die Vorderseite ihres nagelneuen apfelgrünen Kostüms. „Es ist zu sehen, und wie. Ich hab’ mir Sonntag ein Hemd von Lucas angezogen, um zu verstecken, dass ich meine Shorts nicht mehr zuknöpfen kann. Was Dad natürlich noch mehr Munition geliefert hat.“ Natalies Stimme rutschte eine Oktave tiefer. „‚Eine Frau, die so offensichtlich schwanger ist wie du, kann nicht in der Gegend rumrennen und Privatdetektiv spielen. Erst recht nicht, wenn sie einen Mann hat, der willens und in der Lage ist, sie zu ernähren. Nicht wie deine arme Schwester, die …‘“

„… keinen Mann mehr hat, der sie versorgt“, endete Andie im Gleichklang mit ihrer Schwester. Sie schüttelte amüsiert den Kopf. „Noch ein Neandertaler! Dad und seine steinzeitlichen Ansichten! Ich habe ihm tausendmal gesagt, dass ich nicht die Absicht habe, je wieder zu heiraten. Aber hört er mir zu? Natürlich nicht. Ich bin ja nur eine Frau. Und eine Frau braucht einen Mann, der auf sie aufpasst. Wie soll ich ihm bloß klarmachen …“

„Er macht sich Sorgen um dich. Nicht nur Dad – wir alle.“

„Nicht nötig. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen.“

„Du sorgst für alle und jeden – nur nicht für dich selbst“, widersprach Natalie. „Und du tust es, seit dein entzückender Ehemann mit seiner entzückenden Sekretärin nach Kalifornien durchgebrannt ist. Findest du nicht, dass du endlich mal verschnaufen solltest? Deinen Kindern geht’s prima. Du hast einen super Job an Land gezogen, der für deine Firma ein Vorzeigeobjekt sein wird. Du hast es geschafft, Andrea. Du solltest dir etwas Zeit für dich selbst gönnen.“

„Um was zu tun?“, fragte Andie. Sie hatte fast vergessen, was freie Zeit war.

„Geh ins Kino, oder lies ein Buch, oder …“ Natalie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, bummle durch die Kaufhäuser und Kunstgalerien. Ein Besuch im Museum. Eine Pediküre, ein Verwöhntag auf einer Schönheitsfarm. Oder stürz dich richtig ins Abenteuer und such dir einen Lover. Eine hübsche kleine Affäre wäre genau das, was du brauchst. Wir beide wissen, dass du längst überfällig bist, Schatz.“ Sie tätschelte Andies Wange und schob ihr eine Strähne ihres welligen blonden Haars hinters Ohr. „Es würde dir guttun, dich mal richtig zu entspannen.“

Andie lächelte schwach. „Das kann ich mir nicht leisten. Noch nicht.“

„Was soll das heißen – ‚nicht leisten‘? Ich dachte, dein Geschäft läuft gut.“

„Das tut es.“

„Warum kannst du es dir dann nicht leisten, ab und zu einen freien Tag einzulegen?“

„Weil mein guter Ruf nicht der einzige Grund ist, warum ich den Auftrag für das Belmont House bekommen habe. Ich habe auch fast alle anderen konkurrierenden Firmen unterboten, um den Job zu kriegen. Und zwar bis an die Grenze meiner Mittel.“

„Du übernimmst dich doch hoffentlich nicht mit dieser Sache? Jetzt, da du endlich aus der Talsohle raus bist?“

„Nicht, wenn ich termingemäß fertig werde und meine Kostenkalkulation einhalte.“

„Und um das zu schaffen, wirst du rund um die Uhr arbeiten.“

„Wenn es sein muss …“

„Oh, Andrea“, sagte Natalie, hin und her gerissen zwischen Mitleid, Stolz und Bewunderung. Ihre Schwester mochte aussehen wie eine Porzellanpuppe, aber hinter ihrem zarten Äußeren verbarg sich eine Persönlichkeit wie aus purem Stahl – gehärtet von der Zeit und den Umständen. Andie hatte mit achtzehn geheiratet, zwei Wochen nach dem Highschool-Abschluss. Ihr Mann sah ihren Job darin, zu Hause zu bleiben und für ihn zu sorgen. Für ihn und die Familie, die auch Andie wollte – trotz der zwei Universitätsstipendien, die ihr angeboten worden waren. Fasziniert von dem Märchentraum immerwährenden Glücks an der Seite eines treuen, zuverlässigen Mannes, gab sie dessen Wünschen willig nach.

Elf Jahre lang war Andrea eine treue, pflichtbewusste und liebende Ehefrau. Sie machte für ihren Mann wissenschaftliche Recherchen, tippte seine Referate und seine Examensarbeit. Als er sein Wirtschaftsdiplom gemacht hatte und in einer großen Firma seine erste Stelle antrat, gab sie entzückende kleine Dinner-Partys, um seine Karriere zu fördern. Sie war in die Oper statt in Musicals gegangen, weil die Oper seine Leidenschaft war. Sie hatte sich angezogen, wie er es wollte, hatte gedacht, wie er es wünschte, und kein einziges Mal hatte sie einen Dollar mehr ausgegeben, als er ihr wöchentlich zuteilte.

Und dann – ihr drittes Kind war gerade aus den Windeln – hatte er sie verlassen und war mit seiner Sekretärin nach Kalifornien durchgebrannt. Quasi über Nacht verlor Andrea fast alles, was ihr Leben ausmachte: ihren Mann, ihr Heim, ihren Lebensstandard, ihre gesellschaftliche Stellung. Sie verlor ihre Selbstachtung. Ihre Identität. Sie verlor alles außer ihren Kindern.

Ohne nennenswerte Fähigkeiten und mit Unterhaltszahlungen, die kaum bis zum Monatsende reichten, machte sie irgendwann eine nüchterne Bestandsaufnahme. Was hatte die Welt einer Frau in ihrer Lage zu bieten? Die Antwort war die von der Handwerkskammer angebotene Umschulung.

Unglaublich, wie radikal ein Mensch sein Leben umkrempeln kann, dachte Natalie. Dieselbe Frau, die sich vor neun Jahren über die Lockerheit ihrer Soufflés und über meisterhaft gebügelte Oberhemden definiert hatte, verlegte nun Kupferrohre, hämmerte Bleche in Form und schleppte Armaturen, die fast so schwer waren wie sie selbst. Mit unwahrscheinlicher Willensstärke und harter Arbeit hatte Andrea für ihre Kinder und sich eine neue Existenz aufgebaut. Sie hatte bis zur Erschöpfung geschuftet, um dorthin zu kommen, wo sie heute war.

Nun sah es so aus, als würde sie sich wieder bis zum Extrem belasten.

Natalie wünschte, sie könnte mit ihr reden. Ihr sagen, dass sie nicht so schwer zu arbeiten brauchte, dass sie ihre Zukunft nicht aufs Spiel setzen sollte, dass die Familie ihr jederzeit helfen würde. Aber sie wusste, alles Reden würde sinnlos sein. Genau wie damals würde Andrea darauf beharren, es allein zu schaffen.

„Ist dieser Job wirklich so wichtig für dich, dass du alles riskierst, wofür du gearbeitet hast?“, fragte Natalie.

„Ja, und du weißt es. Nach der Renovierung von Belmont House werde ich so viel Publicity bekommen, dass ich Aufträge ablehnen kann, statt Klinken zu putzen. Jedenfalls hoffe ich es.“

„Dann ist es noch wichtiger für dich, dass du hiergegen etwas unternimmst.“ Natalie deutete zu der farbverschmierten Wand. „Ich meine, mehr, als es abzuwischen, damit deine Leute es nicht sehen. Bis jetzt war es nur ein geringfügiges Ärgernis, aber das nächste Mal könnte es schlimmer werden. Denk mal an die Arbeit, an die Zeit und zusätzlichen Kosten, die das bedeuten würde.“

Das hatte Andie bereits getan. Wie alle guten Bauunternehmer hatte sie in ihrer Kalkulation einen gewissen Spielraum für unvorhergesehene Kosten gelassen. Allerdings war dieser Faktor sehr gering. Zu gering, um größere Schäden abzudecken. „Was schlägst du vor?“, fragte sie Natalie.

„Du solltest die Sache der Polizei melden. Wozu bezahlst du Steuern? Lass die Jungs für dich arbeiten.“

„Ja, toll“, spottete Andie. „Und bevor meine Unterschrift auf der Anzeige getrocknet ist, hört Dad davon. Er würde hier mit einem ganzen Bataillon seiner Polizeikumpel aufkreuzen, die Untersuchung an sich reißen, mich beschützen wollen und wie die zerbrechliche kleine Frau behandeln, für die er mich – und dich übrigens auch – hält. Nein, danke.“ Sie reckte trotzig das Kinn. „Auf Dads Hilfe kann ich verzichten. Ich werde allein damit fertig.“

„Es ist Vandalismus, Andrea. Unbefugtes Betreten eines Grundstücks und Einbruch. Es sei denn, du sicherst deine Baustellen nicht.“

„Natürlich hatte ich abgeschlossen!“

„Dann hat dieser Kerl sich mehrerer Straftaten schuldig gemacht. Wer weiß, wozu er noch fähig ist!“

„Er ist nur eines Vergehens schuldig. Die Trauben sind ihm zu sauer.“

„Wie bitte? Wovon redest du?“

„Die Fabel vom Fuchs und den Trauben, du weißt schon. Jemand ist wütend, weil er nicht gekriegt hat, worauf er scharf war. In diesem Fall, weil er gegen eine Frau verloren hat.“ Andie erklärte ihrer Schwester ihre Theorie. „Wenn ich einen Riesenaufruhr mache und die Polizei verständige, dann hat er gewonnen, weil nämlich bald die ganze Branche über die Memme Andrea Wagner lachen würde. Wenn ich ihn hingegen ignoriere, wird er die Lust verlieren, seine Spraydose einpacken und nach Hause gehen.“

„Und wenn er nicht aufhört? Was ist, wenn du ihn durch deine Nichtbeachtung provozierst? Oder wenn er beschließt, sich dir zu zeigen, sodass du ihn nicht länger ignorieren kannst? Was dann, Andie?“, drängte Natalie. „Meinst du, du wirst damit auch allein fertig?“

„So etwas wird nicht passieren. Diese Sprayer sind wie Exhibitionisten. Sie kriegen ihren Kick aus dem Entsetzen ihrer Opfer. Und wenn das Opfer nicht reagiert, ist das Spiel vorbei. Darüber hinaus geht es nicht.“

„Manchmal schon.“

Andie schüttelte den Kopf. „Nein. Dies hier ist anders als deine Fälle, Natalie. Dieser Sprayer ist kein Krimineller.“

„Woher willst du das so genau wissen?“

„Weil ich ihn kenne, okay?“

Natalie starrte ihre Schwester an. „Was sagst du da? Du kennst den Kerl, der dich seit Wochen terrorisiert? Und du hast ihn nicht angezeigt? Andrea, das ist unglaub…“

„Nein, nein, natürlich kenne ich ihn nicht persönlich. Ich meinte nur, dass ich diesen Typ Mann kenne. Er könnte einer von einem Dutzend Männern sein, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Etwa der Kerl, der das Aufklappfoto aus dem ‚Hustler‘ an meine Wagentür geklebt hat. Oder der Spaßvogel, der den Vibrator in meinen Werkzeuggürtel gesteckt hat. Oder der Vorarbeiter, der mich im zweiten Lehrmonat die schwersten, dreckigsten Jobs machen ließ und grinsend darauf wartete, dass ich mich beschwerte oder zu heulen anfing. Aber ich habe weder gejammert noch geweint. Überhaupt habe ich nie so reagiert, wie sie es gern gehabt hätten. Und allmählich hörten sie mit ihren Streichen auf und haben mich in Ruhe arbeiten lassen. Genau das wird auch hier passieren.“

Natalie sah sie fassungslos an. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm war.“ Sie fasste ihre Schwester am Arm. „Warum hast du mir das nie erzählt?“

„Weil du dich aufgeregt und mich bemitleidet hättest. Und natürlich hätte Lucas sich diese Typen vorgenommen und sie verprügelt. Und Dad hätte auf mich eingeredet und darauf bestanden, mich und die Kinder zu versorgen. Unglücklich, wie ich war, hätte ich wahrscheinlich nachgegeben. Ich musste einfach lernen, allein zurechtzukommen.“

„Aber zu welchem Preis!“, sagte Natalie bestürzt.

„Hey, so schrecklich ist es nun auch wieder nicht – sonst wäre ich nicht mehr in diesem Geschäft. Der Verdienst ist viel besser als in den meisten Bürojobs, die Arbeit macht Spaß, und ich bin mein eigener Boss. Und ich war noch nie so gut in Form wie jetzt.“ Als Andie zur Bekräftigung ihren winzigen Bizeps spielen ließ, musste Natalie lachen. „Außerdem ist nicht jeder Mann im Baugewerbe ein Schuft. Die meisten sind anständige, normale Arbeiter, die mit dem, was sie können, ihre Familien ernähren. Einige haben mich sogar zu dem Vertrag beglückwünscht. Dieser hier …“, Andie fuhr mit den Knöcheln über den rot verschmierten Putz, „hat noch nicht begriffen, dass es so etwas wie Männer- oder Frauenberufe nicht gibt. Er denkt …“

Ein Pfiff ertönte, und gleich darauf verkündete eine volle Frauenstimme: „Oh, Baby, was für ein knackiger Po!“ Dem Ausruf folgte schallendes Lachen.

„Hör nicht auf sie, Darling, und komm her zu Mama“, rief eine andere. „Ich kann dich soooo glücklich machen.“

Die beiden Schwestern sahen sich an. „Warst du hier mit Lucas verabredet?“, fragte Andie grinsend.

2. KAPITEL

Die Person, die den kernigen Einzeiler über Jim Nicolosis sehenswerte Kehrseite improvisiert hatte, war eine mittelgroße, stämmige Frau mit silbergrauen Strähnen in dem kurzen dunklen Haar. Sie trug Jeans und Arbeitsstiefel und hatte sich einen Werkzeuggürtel um die üppige Taille geschnallt.

Jim grinste sie an. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass seine Anatomie so offen kommentiert wurde. „Vielen Dank, Ma’am“, sagte er, während die drei Frauen, die vor dem Belmont House standen und aus Pappbechern ihren Morgenkaffee tranken, ihn abwartend musterten. „Ein nettes Kompliment hört man immer gern.“

„Ich hätte auch ein paar nette Komplimente auf Lager“, tönte die Frau mit den wilden blonden Korkenzieherlocken, die sich als „Mama“ bezeichnet hatte. Sie war Anfang zwanzig und hatte einen Körper, der ihre Leidenschaft fürs Bodystyling verriet. „Komplimente der ganz besonderen Art, die jeden Mann in Ekstase versetzen.“

„Tiffany!“, rief die dritte Frau in schockiertem Ton. Sie war die größte von den dreien, mit den prägnanten Gesichtszügen einer Indianerin. Ihr mahagonibraunes Haar war zu einem Zopf geflochten, und ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde. „So etwas Frivoles sagt man nicht zu einem Fremden“, schalt sie sanft und senkte züchtig den Blick, als Jim ihr zulächelte.

„Aber ich bin frivol“, gurrte Tiffany, „und du magst frivole Frauen, stimmt’s, Süßer?“ Sie warf Jim einen Blick zu, der heiß genug war, um Stahl zu schmelzen. „Hinter diesem alten Schuppen ist eine Laube, in die wir uns zurückziehen könnten …“

„Tja, also … das ist wirklich ein verführerischer Vorschlag“, erwiderte Jim und ließ den Blick über ihren fantastischen Körper gleiten. Er nahm sie genauso gründlich ins Visier wie sie ihn. „Aber dummerweise habe ich diese alte Kriegsverletzung und … na ja …“

Er hob bedauernd die Hände.

„Oh, ich kann drum herum arbeiten“, versprach Tiffany.

„Hör auf, Mädchen“, sagte die älteste der Frauen und lachte. „Du machst dem armen Kerl Angst.“

„Er sieht aber gar nicht ängstlich aus.“ Tiffany klimperte verführerisch mit den Wimpern. „Hast du Angst vor mir, sexy Boy?“

„Mir wackeln die Knie“, sagte Jim schwach, aber seine Augen glitzerten.

Autor

Candace Schuler
Candace Schuler hat ihrem Mann, Joe, zu verdanken, dass sie ihre Liebe zum Schreiben zu ihrem Beruf gemacht hat. Es waren Joe’s Kommentare bei einer Briefbesprechung auf einer Reise nach New Orleans, die ihr klar machten, dass sie tatsächlich Talent zum Schreiben anderer Dinge als Büromemos und PC – Anleitungen...
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