Im Chalet der Träume

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Tias größter Wunsch? Mit dem Mann, den sie liebt, einen prächtigen Christbaum schmücken, sich unter dem Mistelzweig in seine Arme schmiegen … Stopp! Kellnerin Tia weiß genau, ihre Affäre mit Prinz Antonio war so flüchtig wie eine Sternschnuppe am Winterhimmel. Mutig gesteht sie ihm trotzdem, dass sie sein Kind erwartet. Aber als er sie in ein romantisches Chalet in den Bergen entführt, um sie vor der Presse zu schützen, glaubt sie zu träumen. Schon bald spricht er sogar von Heirat! Aber kann Prinz Antonio ihr geben, wonach sie sich am meisten sehnt?


  • Erscheinungstag 17.11.2020
  • Bandnummer 232020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714543
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mai …

Zehn Minuten bis Mitternacht …

Zehn Minuten, dann war die Wohltätigkeitsgala vorbei und die Gäste würden endlich gehen. Noch eine Dreiviertelstunde klar Schiff machen, dann hätte auch sie Feierabend.

Tia war zu Tode erschöpft. Schließlich hatte sie vor der Gala ihre volle Tagesschicht im Café abgeleistet, und samstags war dort immer die Hölle los. Normalerweise folgte danach nur noch ein Entspannungsbad, bevor sie es sich mit ihrer Mutter auf dem Sofa bequem machte und einen Film anschaute.

Doch ausgerechnet heute Abend veranstaltete ihre alte Schulfreundin eine Wohltätigkeitsgala, und Tia hatte spontan versprochen, sie zu unterstützen: Canapés servieren, Gläser abräumen – eben alles, was anfiel. Und ihre Versprechen hielt sie grundsätzlich.

Heute sogar besonders gern, weil es bei dem Charity-Abend um die Unterstützung verwaister Kinder ging. Ein Thema, das Tia sehr am Herzen lag, wusste sie doch aus erster Hand, wie es sich anfühlte, ein geliebtes Familienmitglied, das beim Militär diente, zu verlieren. Und das gleich zwei Mal …

Nur selten gelang es Grace Phillips, ihre Tochter zu überreden, sich selbst einmal eine Auszeit zu gönnen. Und bei den wenigen Gelegenheiten sprang ihre Nachbarin Becky ein und blieb bei ihrer Mutter.

Tia seufzte. Morgen war Sonntag, da begann ihre Schicht im Café erst um zehn. Sie hatte schon härtere Wochenenden überstanden, obwohl …

Das Gefühl, angestarrt zu werden, brach in ihre Gedanken. Sie hatte es schon den ganzen Aber über immer wieder verspürt.

Als Tia sich umdrehte, fing sie den Blick eines großen dunkelhaarigen Mannes auf, der sie quer über den sich langsam leerenden Saal hinweg fixierte.

Sie runzelte die Stirn. Er kam ihr seltsam vertraut vor, was angesichts der Gästeliste dieser Wohltätigkeitsgala nichts bedeuten musste. Die Palette reichte von Musikern über Filmstars bis hin zu Models. Alle Männer trugen Smoking, die Frauen Designerkleider und – schuhe, wie Tia sie sich in einer Million Jahre nicht leisten könnte.

Dies war eine fremde Welt, in der sie eigentlich unsichtbar sein sollte – eine anonyme Kellnerin mit dem typischen Servicelächeln, die schnell und effizient Häppchen servierte und Gläser abräumte. Der aufdringliche Typ dürfte sie nicht einmal wahrnehmen.

Während sie nach draußen auf den Hotelbalkon ging, um auch dort die inzwischen verwaisten Tische abzuräumen, hatte sie sein Bild immer noch vor Augen. Und plötzlich wusste sie, wer er war.

Antonio Valenti. Präziser ausgedrückt: Prinz Antonio Valenti aus Casavalle.

Er war der beste Freund ihres älteren Bruders gewesen und hatte als Teamkommandant zusammen mit Nathan in einem Bündnis internationaler Streitkräfte gedient. Und er hatte vor vier Monaten Tias Herz und das ihrer Mutter gebrochen, als er ihnen die Nachricht von Nathans Tod überbracht hatte: kalt und unbewegt.

Ein stoischer Soldat in Militäruniform, der nicht einmal blinzelte, als er sie darüber informierte, dass Nathans Jeep bei seiner letzten Mission über eine Landmine gefahren war, die ihn auf der Stelle getötet hatte.

Sie selbst war zu schockiert gewesen, um etwas zu sagen oder überhaupt zu reagieren. Doch ihre Mutter brach unter der furchtbaren Nachricht, nach dem Ehemann auch noch ihren Sohn verloren zu haben, völlig zusammen. So hatte Tia ihren eigenen Kummer verdrängt, um ihre Mutter zu unterstützen.

Prinz Antonio selbst schien Nathans Tod nicht übermäßig nahegegangen zu sein, da er nicht einmal versuchte, Grace Phillips zu trösten. Nachdem er ihnen die schreckliche Nachricht überbracht hatte, brach er fast überhastet wieder auf. Er war nicht einmal auf eine Tasse Tee geblieben, geschweige denn zu Nathans Beerdigung gekommen. Abgesehen von einer förmlichen Beileidskarte mit eingeprägtem Wappen hatte es keinen weiteren Kontakt gegeben.

Gut, der Mann war ein Prinz und Armeeangehöriger und hatte sicher jede Menge royale Verpflichtungen, dafür musste sie wohl Verständnis aufbringen. Tia war schließlich weder dumm noch naiv.

Aber hätte es ihm irgendwie geschadet, einige Minuten mit der trauernden Mutter zu verbringen, um ein paar Erinnerungen an den geliebten Sohn zu teilen? Alles, was Grace gebraucht hätte, wäre ein kleines Zeichen gewesen, dass Nathan auch ihm etwas bedeutet hatte.

Stattdessen hatte Prinz Antonio sich in tiefes Schweigen gehüllt.

Prince Charming? Eher Prinz Eis-Herz! dachte Tia, verzog verächtlich die vollen Lippen und verstand immer noch nicht, wie ihr Bruder derart eng mit jemandem hatte befreundet sein können, der so steif und kaltherzig war.

Wahrscheinlich betrachtete er die heutige Spendengala auch nur als lästigen offiziellen Termin, den es irgendwie zu überstehen galt. Warum sollte ihm mehr an anonymen Kindern liegen, die Eltern oder Geschwister durch Kriegswirren verloren hatten, als an den Angehörigen eines angeblich engen Freundes?

Resolut verbannte Tia den kalten Prinzen in den Hinterkopf und stapelte mit finsterer Miene leere Gläser auf ihr Tablett, um sie zum Abwasch in die Küche zu tragen.

Tia Phillips sah unglaublich erschöpft aus.

Heftige Schuldgefühle schnürten Antonios Kehle zusammen.

Vor seinem inneren Auge sah er wieder den Jeep seines stellvertretenden Kommandanten, der im Konvoi vor ihm fuhr, wie er durch eine Landmine in die Luft gesprengt wurde. Da der Tod sofort eingetreten war, hatte Nathan zumindest nicht leiden müssen, trotzdem hatte ihn der Verlust des Freundes zutiefst erschüttert. Während seiner Militärjahre war Antonio das Team um ihn herum zur Familie geworden, und Nathan war nicht nur sein Stellvertreter gewesen, sondern auch sein bester Freund.

Aber als Prinz von Casavalle war er dazu erzogen worden, sich in der Öffentlichkeit stets neutral und souverän zu präsentieren. Seit er denken konnte, standen für ihn und seinen älteren Bruder Luca Pflicht und Haltung an erster Stelle. Antonio konnte sich beim besten Willen an keine Situation erinnern, in der sie sich soweit hätten gehen lassen, dass sie die anerzogene eiserne Kontrolle über ihre Emotionen verloren hätten.

Seine militärische Ausbildung hatte das noch verstärkt, sodass er selbst während der schweren Mission, Nathans Familie von seinem Tod zu unterrichten, die Fassung hatte wahren können … vielleicht sogar etwas zu sehr in ihren Augen.

Antonio wusste, wie sehr Nathan seine Familie geliebt und sich ihr verbunden gefühlt hatte. Er wusste auch, dass Grace Phillips gesundheitliche Probleme hatte, weshalb Nathan und seine kleine Schwester schon von klein auf für sie gesorgt hatten, anstatt mit ihren Freunden zu spielen, wie es anderen Kindern vorbehalten war.

Und so hatte er Nathan posthum versprochen, ein Auge auf seine Mutter und Schwester zu haben.

Doch dann wurde er zu einer dringenden Mission abberufen, sodass er nicht einmal an Nathans Gedenkgottesdienst teilnehmen konnte. Deshalb verfasste er in letzter Minute eine Notiz und bat Miles, den Palastsekretär, sie für ihn abzusenden. Trotzdem war es kein adäquater Ersatz für sein persönliches Erscheinen und fühlte sich eher wie eine schwächliche Entschuldigung oder Ausrede an.

Kurz darauf zwang ihn das überraschende Ableben seines eigenen Vaters, den Armeedienst umgehend zu quittieren.

In den letzten vier Monaten hatte Antonio sein Bestes getan, Luca, der baldmöglichst die Regentschaft in Casavalle übernehmen sollte, Schützenhilfe zu leisten. Sowohl für die Krönung wie auch für die bevorstehende Hochzeit seines Bruders mit Prinzessin Meribel standen etliche Vorbereitungen an. Meribel war die älteste Tochter von König Jorge aus dem Königshaus Asturias im benachbarten Königreich Aguilarez.

So hatte Antonio kaum eine Minute für sich, seit er nach Casavalle zurückgekehrt war, und ließ sein unausgesprochenes Versprechen an den Freund daher zunächst auf sich beruhen.

Gut ging es ihm damit nicht, zumal er wusste, wie schrecklich sich Nathan gefühlt hatte, als er mit sechzehn Jahren in die Armee eintrat und es seiner Schwester überlassen musste, sich allein um ihre Mutter zu kümmern. Das alles tat er nur, damit er Geld nach Hause schicken konnte, um sie wirtschaftlich abzusichern.

Antonio fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er hätte sich mehr ins Zeug legen müssen, um die Familie seines besten Freundes zu unterstützen. Einfach für sie da sein, weil er wusste, dass sie sonst niemand hatten.

Tia hatte sich noch einmal nach ihm umgeschaut, bevor sie mit einem leeren Tablett auf den Balkon gegangen war, vermutlich um Gläser abzuräumen, aber er hätte nicht sagen können, ob sie ihn erkannt hatte oder nicht.

Wie es aussah, war sie hier beschäftigt, und es würde ihrem Boss sicher nicht gefallen, sie mit Gästen plaudern zu sehen. Angesichts ihrer prekären Verhältnisse war sie unter Garantie auf den Verdienst angewiesen. Es wäre nicht fair zu riskieren, dass sie ihren Job womöglich verlor, nur um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Aber ihr zufälliges Zusammentreffen einfach auf sich beruhen zu lassen, damit wollte Antonio sich auch nicht abfinden. Nicht, nachdem er Tia jetzt wiedergesehen hatte. Vielleicht konnte sie ja doch zwei Minuten für ihn erübrigen?

„Ich wünsche Ihnen weiterhin einen angenehmen Abend“, entschuldigte er sich mit charmantem Lächeln. „Man erwartet von mir …“ Mehr brauchte es nicht, da jeder wusste, dass es zu seinen Pflichten als Schirmherr der Wohltätigkeitsorganisation gehörte, möglichst mit jedem Gast zu sprechen und für die Unterstützung zu danken. Aber Antonio war sich ziemlich sicher, dass er das schon getan hatte. Also war sein Gewissen rein, als er in Richtung Balkon ging.

Tia stand auf der anderen Seite der Glasscheibe und ließ fast das Tablett fallen, als er die Tür für sie öffnete. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich freue mich, dich zu sehen, Tia.“

„Danke, Königliche Hoheit“, gab sie kühl zurück. „Ich würde ja einen Hofknicks machen, befürchte allerdings, das Tablett …“

Antonio zuckte zusammen, wohl wissend, dass er diese Zurechtweisung verdient hatte. „Knicksen ist nicht notwendig, und für dich bin ich Antonio“, erwiderte er lächelnd. „Dein Bruder war immerhin mein Freund, und …“

„Ja, Königliche Hoheit.“

Was ihn erneut auf seinen Platz verwies. Er hatte sich in einer sensiblen Situation wie ein Fremder verhalten und verdiente es wohl, als solcher behandelt zu werden – trotz seines Versuchs, die Wogen zu glätten. Wie es aussah, stand er bei ihr immer noch in Ungnade und sollte die demonstrative Förmlichkeit wohl besser respektieren.

„Mir ist bewusst, dass ich Sie von Ihrer Arbeit abhalte, Miss Phillips. Ich möchte Sie aber bitten, mir ein paar Minuten zu schenken.“

„Es steht mir nicht zu, die Zeit der Gäste in Anspruch zu nehmen, Königliche Hoheit.“

Eine weitere Zurechtweisung, aber so schnell gab er nicht auf.

„Nach Ihrer Schicht“, schlug er vor und schaute rasch auf seine Uhr. „Die Gala endet in fünf Minuten, Tia … bitte, es täte so gut, mit jemandem zu sprechen, der Nathan kannte“, fügte er rau hinzu.

Ihr Atem stockte. Für einen Sekundenbruchteil verdunkelten sich Antonios Augen in einem namenlosen Schmerz, bevor seine markanten Züge wieder zur gewohnt neutralen Maske wurden. Vielleicht war der Prinz doch nicht so kalt und herzlos, wie sie angenommen hatte. Der Anflug von Schmerz in den ausdrucksvollen Augen verriet ihr, dass ihm wirklich viel an ihrem Bruder gelegen haben musste.

Vielleicht sollte ich ihm noch eine Chance geben … Nathan zuliebe.

„Einverstanden, sobald ich hier fertig bin. Aber nur kurz. Ich muss morgen arbeiten.“

„Danke.“ Er zögerte kurz. „Ich bewohne die Penthouse-Suite. Wenn es Ihnen lieber ist, kann ich natürlich eine neutrale Person bitten …“

„Nicht nötig, Königliche Hoheit.“ Dass er – wie ihr Bruder – ein Ehrenmann war, daran zweifelte Tia nicht eine Sekunde. „Also die Penthouse-Suite …“, wiederholte sie.

„Meine Security wird Sie einlassen. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich muss mich als Schirmherr der Wohltätigkeitsorganisation noch von einigen Gästen verabschieden.“

Dann war er also in offizieller Mission hier? Hatte sie sich bisher ein falsches Bild von ihm gemacht? Angesichts seiner steifen und unterkühlten Haltung beim Überbringen der Nachricht von Nathans Tod fiel es Tia schwer, ihm Empathie und echtes Mitgefühl für Kriegswaisen zu attestieren. Aber möglicherweise hatte ihm der Verlust seines Freundes ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen beigebracht.

Zu Tias Überraschung hielt er wieder die Tür für sie auf. Mit einem knappen Nicken und einem gemurmelten Dank machte sie sich auf in Richtung Küchentrakt.

Habe ich mich wirklich gerade mit einem Prinzen in seiner Penthouse-Suite verabredet? Einem Prinzen und zugleich bestem Freund ihres Bruders, obwohl Nathan Arbeit und Familie immer strikt getrennt hatte. Daher begegnete Tia Prinz Antonio heute auch erst zum zweiten Mal. Sie kannten sich nicht. Das Einzige, was sie teilten, waren Nathan und die Lücke, die sein Tod in ihrem Leben hinterlassen hatte.

Die nächsten Minuten verbrachte Tia damit, letzte Gästewünsche zu erfüllen und die restlichen Tische abzuräumen, dann war endlich alles erledigt und sie konnte gehen.

„Danke für deine Hilfe!“ Sadie umarmte sie. „Ich schulde dir etwas.“

„Unsinn, dafür sind Freunde doch da“, wiegelte Tia mit einem Lächeln ab. „Und du weißt, wie sehr mir dieses Projekt am Herzen liegt.“ Sie konnte nur zu gut nachfühlen, wie es den Kindern ging, denen von der Wohltätigkeitsorganisation geholfen wurde.

„Bitte ruf dir ein Taxi für die Heimfahrt und lass die Rechnung an mich schicken“, bat Sadie.

Tia schüttelte den Kopf. „Nicht nötig, ich nehme die U-Bahn, und ein kleiner Spaziergang hilft mir runterzukommen.“ Nach dem Treffen mit Prinz Antonio …

Nicht, dass sie vorhatte, ihrer Freundin davon zu erzählen.

„Dann lade ich dich irgendwann in der nächsten Woche zum Essen ein, keine Widerrede!“, wurde Sadie energisch.

„Hört sich gut an“, murmelte Tia. „Hängt davon ab, wie es Mum geht.“ Familie ging in jedem Fall vor.

„Oder ich komme mit einem Dinner für drei zu euch“, schlug Sadie vor.

„Das wäre noch netter, wenn es dir nichts ausmacht. Ich bin sicher, Mum würde das gefallen.“ Mal ein anderes Gesicht zu sehen, tat ihrer Mutter bestimmt gut.

„Gut, das wäre geklärt. Check gleich morgen deinen Kalender und schreib mir eine SMS mit deinen freien Terminen.“

Jeder Tag, der dir passt, hätte Tia darauf erwidern können, behielt das aber lieber für sich.

Sie war ihrer alten Schulfreundin einfach dankbar, dass sie so viel Verständnis für ihre schwierige Situation zeigte und weiterhin mit ihr in Kontakt blieb.

Grace ermutigte Tia immer wieder, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Da ihre Noten durch all die Fehlzeiten wegen der Krankheit ihrer Mutter nicht gut genug waren, um auf Lehramt zu studieren, hatte Grace vorgeschlagen, vielleicht zunächst als Klassenassistentin oder in einer Spielgruppe mitzuarbeiten. Oder einen Grundkurs an der Uni zu belegen, um mit der erworbenen Qualifikation doch noch ein Studium anzuschließen.

Doch Tia wollte ihre Mutter nicht allein lassen, da sie wusste, dass es um Graces Gesundheit nicht gut stand. Wenn sie unterwegs war, quälte sie ständig Angst vor dem, wie es in der Zwischenzeit wohl zu Hause ging. So hatte sie ihre Mutter davon überzeugt, dass es ihr am besten ging, wenn alles so blieb, wie es war.

„Das werde ich“, versprach Tia ihrer Freundin, war mit den Gedanken aber schon woanders.

Anstatt das Hotel zu verlassen, nahm sie den Aufzug zur Penthouse-Suite. Als die Türen auseinanderglitten, sah sie sich einem Mann im dunklen Anzug gegenüber, der wie beiläufig an der Wand neben den Aufzügen lehnte. Offensichtlich der Sicherheitsbeamte des Prinzen.

„Miss Phillips.“ Das war keine Frage, sondern eine nüchterne Feststellung. „Würden Sie mir bitte folgen?“

Eine höfliche Bitte, doch der Ton besagte, dass sie ohnehin keine Wahl hatte.

„Ja, danke.“

Er geleitete sie zur Tür der Penthouse-Suite und klopfte an. „Ihr Gast ist eingetroffen, Sir.“

Nicht Eure Königliche Hoheit? Aber vielleicht gehörte er ja auch zum Militär.

„Danke, Giacomo“, erwiderte Antonio, nachdem er die Tür geöffnet hatte. „Bitte, treten Sie doch ein, Miss Phillips.“

Der Teppich in der Suite war so dick, dass Tia glaubte, darin zu versinken. Eine Wand des riesigen Raumes war komplett verglast mit Blick auf die Themse. Viel sehen konnte man zu der späten Stunde zwar nicht, aber die Lichter von der Brücke und den Gebäuden am anderen Ufer spiegelten sich im dunklen Wasser.

„Danke, dass Sie gekommen sind“, sagte Antonio, sobald sie allein waren. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Vielleicht einen Schluck Champagner?“

Dies war ihr Stichwort, um höflich, aber nachdrücklich abzulehnen und ihn zu bitten, ihr zu sagen, was er eben zu sagen hatte. Aber nachdem sie den ganzen Tag über auf den Beinen gewesen war …

„Ein Tee wäre nicht schlecht, Königliche Hoheit.“

„Oh, natürlich.“ Er lächelte. „Sie sind Ihrem Bruder sehr ähnlich, wissen Sie das? Zum Feierabend entspannte sich der größte Teil unseres Teams bei einem kühlen Bier. Aber Nathan behauptete, nichts könne erfrischender sein als eine Tasse Tee.“

Tia glaubte fast, ihren Bruder zu hören, und spürte einen dicken Kloß im Hals.

„Stark genug, dass ein Löffel darin stehen kann. Ein Stück Zucker, ein Schuss Milch und nicht in der Tasse, sondern im Becher …“

Jetzt wusste sie mit Sicherheit, dass er Nathan wirklich nahegestanden haben musste, denn genau das waren immer seine Worte gewesen. Und schon fühlte sich Tia wesentlich entspannter.

„Ich erinnere mich noch gut daran“, sagte sie leise.

„Trinken Sie Ihren Tee genauso?“

„Ja danke, Königliche Hoheit.“ Normalerweise reichte es ihr schon, wenn der Tee schön heiß war.

Staunend schaute sie zu, wie ihr Gastgeber ihren Tee tatsächlich selbst zubereitete. Kein Zimmerservice, keine Umstände. War das normal für einen Prinzen?

Und dann leistete er ihr auch noch Gesellschaft bei ihrem Tee, obwohl er sicher etwas Stärkeres bevorzugt hätte. Allerdings trank er seinen Tee ohne Zucker.

„Cheers.“ Antonio hob lächelnd seinen Becher zum Toast. „Auf Nathan.“

Tia folgte seinem Beispiel. „Auf Nathan.“

„Wenn ich bedenke, wie sehr er mir fehlt …“, er schüttelte den Kopf. „Für Sie muss es unendlich viel schlimmer sein. Es tut mir sehr leid, dass ich nicht mit Ihnen in Kontakt geblieben bin, aber … sagen wir es so: Das Leben ist momentan kompliziert.“

„Kompliziert?“, echote Tia.

„Mein Vater ist kurz nach Nathans Tod überraschend verstorben. Und auch wenn mein Bruder seine Nachfolge antreten wird, gilt es eine Menge unvorhersehbare Probleme und politische Verwicklungen zu klären.“

Tia hatte nicht gewusst, dass auch der Prinz seinen Vater verloren hatte. „Mein Beileid zum Verlust Ihres Vaters, Königliche Hoheit“, sagte sie förmlich.

„Vielen Dank, ich weiß ja, dass auch Sie diesen Verlust haben hinnehmen müssen.“

„Ja, allerdings war ich damals erst zehn Jahre alt. Auch er ist gefallen.“

„Wie schrecklich, den Vater und den Bruder auf dieselbe Weise zu verlieren.“

„Das ist einer der Gründe für meinen Einsatz heute Abend“, erklärte Tia. „Ich wollte auch meinen Teil dazu beitragen, diese Wohltätigkeitsorganisation zu unterstützen.“

„Sie gehörten heute Abend zu den freiwilligen Helfern?“, fragte Antonio.

„Ja, eigentlich arbeite ich in einem Café.“

In einem italienischen Café, das ein neapolitanisches Ehepaar mittleren Alters führte. Tia hatte die beiden, die ihr zum Schichtende immer kleine Leckereien als Gruß für ihre Mutter einpackten, richtig ins Herz geschlossen.

„Wie schön, dass Sie so eine gute Sache unterstützen. Danke.“ Er machte eine Pause. „Wie geht es Ihrer Mutter?“

„Gut.“ Das stimmte nicht wirklich, obwohl Grace diese Woche glücklicherweise nicht ganz so erschöpft und antriebslos war wie meistens. Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronisches Erschöpfungssyndrom genannt, war eine tückische Erkrankung mit unvorhersehbaren Tiefen, aber glücklicherweise auch immer mal wieder mit Höhen.

Doch aus leidvoller Erfahrung wusste Tia, dass eine gute Woche wie diese unweigerlich irgendwann von einer schlechten Phase abgelöst wurde, die ihre Mutter nahezu komplett ans Bett fesselte, was deutlich mehr Unterstützung bei der Tagespflege erforderte.

„Es tut mir leid, dass ich nicht in Kontakt geblieben bin“, wiederholte Antonio.

„Und zur Beerdigung gekommen sind“, platzte Tia gegen ihren Willen heraus.

Antonio neigte den Kopf angesichts der unverblümten Rüge. „Ich wollte wirklich dabei sein“, gestand er rau. „Aber ich wurde auf eine Mission abberufen, deren Leitung ich niemand anderem übertragen konnte.“

Darauf wäre sie nie gekommen. Aber warum hatte er ihrer Mutter dann nicht zumindest eine persönliche Nachricht geschickt, in der er …

„Ich habe einen Brief geschrieben, um meine Abwesenheit zu entschuldigen.“

„Mum hat aber keinen Brief bekommen.“

Antonio runzelte die Stirn. „Das tut mir aufrichtig leid, wobei ich nicht verstehe …“

„Es geht ja immer mal etwas auf dem Postweg verloren“, lenkte Tia versöhnlicher ein. Obwohl … er hätte sich ja auch nach seiner Mission noch einmal bei ihnen melden können.

Antonio holte tief Luft. „Wie könnte ich Sie beide denn aktuell unterstützen?“

„Gar nicht“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

Wenn es um Hilfe ging, die den Beigeschmack von Almosen trug, reagierte Tia allergisch. Ihre Mutter und sie kamen allein zurecht. Sie hatten ihre Routinen und gute Freunde, die sie bei Bedarf unterstützten.

Schon gar nicht waren sie auf einen Prinzen angewiesen, der nur sein Gewissen entlasten wollte …

Ihr defensiver Blick traf auf ein fast belustigtes Lächeln. „Nathan behauptete immer, Sie seien sehr stolz, unabhängig und eine Spur eigenwillig“, entgegnete Antonio sanft. „Was alles in allem ein exzellentes Zeugnis ist. Aber Ihr Bruder gehörte nicht nur zu meinem Team, er war auch ein enger Freund – und damit Familie. Wenn ich Ihr Leben, auf welche Art auch immer, erleichtern kann, dann lassen Sie es mich bitte wissen, Miss Phillips. Nathan hätte sicher nicht gewollt, dass Sie sich dagegen sträuben.“

Bot der Prinz ihr etwa finanzielle Unterstützung an?

Nur mit Mühe gelang es Tia, sich zu beherrschen. „Besten Dank, Königliche Hoheit, aber wir kommen sehr gut allein zurecht“, klärte sie ihn schärfer als beabsichtigt auf.

„Ich wollte Sie nicht beleidigen.“ Für einen kurzen Moment wirkte er tatsächlich schuldbewusst. „Es ist nur … ich konnte nichts tun, um Ihren Bruder zu retten.“

„Sie tragen keine Schuld an seinem Tod. Nathan kannte die Risiken, bevor er in die Armee eintrat.“ Ihr Bruder hatte von klein auf in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollen.

„Ich weiß, aber das mindert nicht den Schmerz des Verlustes, und es hält mich nicht davon ab, ihn schrecklich zu vermissen …“

Tia hielt angesichts dieses emotionalen und überraschenden Ausbruchs instinktiv den Atem an, und als der Prinz aufblickte, war nicht zu übersehen, wie entsetzt er selbst war.

Wieder verdunkelte diese namenlose Trostlosigkeit für einen Moment seinen Blick, bevor er die Lider senkte.

Tia schluckte. Trotz seines privilegierten Standes erschien ihr Prinz Antonio in diesem Moment wie der einsamste Mann auf Erden. Fast glaubte sie die Stimme ihres Bruders in ihrem Kopf widerhallen zu hören: Er könnte eine Umarmung vertragen …

Was das offizielle Protokoll selbstverständlich nicht zuließ. Andererseits gab es wahrlich Wichtigeres als ein verstaubtes Protokoll, oder nicht?

Aus einem spontanen Impuls heraus stellte Tia ihren Becher ab, ging auf Prinz Antonio zu, nahm ihm den Teebecher aus der Hand, stellte ihn zur Seite und schlang ihre Arme um Nathans besten Freund.

Lange standen sie einfach nur stumm und reglos voreinander, doch als Tia sich irgendwann zurückziehen wollte, kam Leben in den starken Männerkörper. Jetzt waren es Antonios Arme, die sie warm und beruhigend umschlossen.

Es war nur als eine Geste des Trostes gedacht gewesen. Doch irgendwann bewegte sich einer von ihnen – wer, das hätte Tia unmöglich sagen können –, und sie spürte plötzlich seine Wange an ihrer.

Tia stockte der Atem. Ihre Haut prickelte, da wo sie seine berührte, und es bedurfte nur noch einer winzigen Bewegung … von ihr … oder ihm … bis ihre Lippen sich in einem Kuss fanden, der nicht enden wollte.

Ich sollte das nicht tun! schoss es ihr durch den Kopf.

Er war ein Prinz und sie eine Kellnerin. Ihre Leben waren so weit voneinander entfernt, dass es zu nichts führen konnte. Davon abgesehen erstickte er nahezu in offiziellen Verpflichtungen, und sie musste quasi rund um die Uhr für ihre Mutter da sein.

Daraus könnte einfach nichts werden …

Was für absurde und unsinnige Überlegungen! rief Tia sich energisch zur Ordnung.

Doch die Versuchung, sich von ihm zu trösten zu lassen und gleichzeitig ihn zu trösten, war einfach zu groß. Vielleicht war es auch etwas, was sie beide dringend brauchten? Nur für eine Nacht. Keine Bindungen, keine Verpflichtungen …

Möglicherweise hatten sie sogar mehr gemein als bisher angenommen?

Denn so wie Antonio keine Emotionen gezeigt hatte, als er ihnen die Nachricht von Nathans Tod überbracht hatte, versagte sie sich immer noch die eigenen, erlösenden Tränen, weil sie für ihre Mutter stark sein musste.

Vielleicht konnten sie heute Abend so etwas wie Heilung erfahren, wenigstens für eine Nacht.

„Bleib bei mir, Tia“, flüsterte Antonio rau, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
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