Kein Gentleman fürs Leben?

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Die junge Messalina Greycourt ist erschüttert. Ihr Onkel, der Duke of Windemere, will sie zwingen, den ungeschliffenen Gideon Hawthorne zu heiraten! Niemals käme eine solche Verbindung für sie infrage, aber der Duke lässt ihr keine Wahl. Die verzweifelte Adelige fasst einen mutigen Plan: Nur zum Schein will sie gehorchen und im richtigen Moment mit ihrer Mitgift fliehen. Doch je mehr Zeit sie mit ihrem Zwangsverlobten verbringt, desto mehr erkennt sie, dass sich hinter der rauen Fassade ein ehrenwerter Mann verbirgt, dessen Herz längst für sie entflammt ist. Allerdings hat Gideon noch eine letzte furchtbare Aufgabe im Dienste des Dukes zu erledigen …


  • Erscheinungstag 17.01.2023
  • Bandnummer 146
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517904
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war einmal ein froher Kesselflicker, der kreuz und quer durchs Land streifte und seine Dienste feilbot …

Aus: „Bet und der Fuchs“

September 1760

Am Stadtrand Londons

Natürlich gab es keinen passenden Augenblick dafür, von Straßenräubern überfallen zu werden, aber ein wirklich besonders schlechter Zeitpunkt war es, wenn man gerade dabei war, seine Blase zu entleeren.

Messalina Greycourt erstarrte, und die letzten Tropfen plätscherten in das hübsche, aus Porzellan gefertigte Bourdalou, das sie sich zwischen die Beine hielt. Sie stand unbeholfen in der Kutsche. Sowohl ihre Zofe Bartlett als auch Mr. Hawthorne, der als finsterer Handlanger ihres Onkels fungierte, hatten die Kutsche vor nicht einmal zwei Minuten verlassen, um ihr etwas Privatsphäre zu gönnen.

Draußen vor der Kutsche war es gespenstisch still, als hätte der gebrüllte Befehl: „Stehen bleiben und Geld her!“, auch dort alle erstarren lassen.

Sie schluckte und lauschte auf irgendein Geräusch.

Wumm! Ein Gewehrschuss zerriss die Stille.

Messalina ließ ihre Röcke fallen.

Die Kutschentür flog auf, und Bartlett wurde hereingestoßen. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah Messalina Mr. Hawthornes raues Gesicht, und seine wilden schwarzen Augen blitzten in der Dunkelheit. „Hierbleiben!“, befahl er schroff.

Dann knallte die Tür wieder zu. Schüsse, Gebrüll und das Wiehern der Pferde erhoben sich.

Bartlett, eine normalerweise eher robuste, praktisch veranlagte Frau, sah Messalina aus weit aufgerissenen Augen an.

Die Kutsche schaukelte, als wäre etwas Großes und Schweres dagegen geschleudert worden.

„Wie viele Räuber sind es?“, fragte Messalina.

„Ich weiß es nicht, Miss“, gab Bartlett mit bebender Stimme zurück. „Über ein halbes Dutzend, glaube ich.“ Ihr Blick fiel auf das Bourdalou, das Messalina noch immer in Händen hielt. Etwas prosaischer fügte sie hinzu: „Oh, geben Sie mir das.“

Das Bourdalou sah eigentlich eher aus wie eine Sauciere. Länglich mit einem Griff an einer Seite, in Zartrosa gehalten und mit einem Goldrand. Normalerweise hätte Messalina es ihrer Zofe aus der Kutsche gereicht, damit diese den Inhalt entsorgen konnte, doch nun stand die arme Bartlett einfach da und hielt das Porzellangefäß voller Urin in der Hand, und das in einer schwankenden Kutsche.

Das war alles Mr. Hawthornes Schuld. Wenn der Mann sie einfach hätte anhalten lassen, bevor es dunkel geworden war, wie Messalina vorgeschlagen hatte, dann …

Wieder wurde die Tür aufgerissen, und ein großer schmutziger Mann erschien vor ihnen, die fleischigen Lippen zu einem anzüglichen Grinsen verzogen.

Bartlett kreischte.

Messalina schnappte ihrer Zofe das Bourdalou aus der Hand und schleuderte es ihrem Angreifer ins Gesicht. Das Porzellangefäß prallte von seiner Stirn ab, und der Inhalt ergoss sich über ihn. Mit aller Kraft schubste Messalina ihn nach hinten.

Er stolperte rückwärts aus der Kutsche.

Sie schlug die Tür zu und drehte sich zu Bartlett um.

Das Gesicht ihrer Zofe war kreideweiß. „Das war … ähm … äußerst geistesgegenwärtig, Miss.“

Messalina straffte die Schultern und versuchte, die Hitze, die ihr in die Wangen stieg, niederzuringen, was ihr jedoch misslang. „Ja, nun, was sein muss, muss eben sein.“

Draußen schrie jemand, doch der Schrei brach unvermittelt ab.

Vor Angst hielt Messalina unwillkürlich den Atem an.

Ein weiteres Mal wurde die Kutschentür aufgerissen, und Gideon Hawthorne kletterte herein.

Sie stieß ein tiefes, erleichtertes Seufzen aus und ließ sich auf die Kutschenbank sinken.

„Oh, Gott sei Dank!“, rief Bartlett und legte damit eine bisher ungekannte religiöse Inbrunst an den Tag.

Mr. Hawthorne zuckte mit den Schultern. „Oder mir.“

Messalina musste sich ein Lachen verbeißen, als sich Bartlett neben sie plumpsen ließ.

Dann fiel ihr Blick auf das blutige Messer in Mr. Hawthornes Hand.

Seine Miene gab nichts preis, als er sie ansah. „Ich gehe davon aus, dass Sie unverletzt sind?“

Er hatte für sie getötet – und für sich selbst natürlich. „Mir geht es gut.“

Mr. Hawthorne nickte und setzte sich ebenfalls. Er zog ein Taschentuch hervor und begann damit, das Blut von seinem Messer zu wischen. Hellrote Flecken breiteten sich auf dem weißen Stoff aus. Ohne aufzublicken, murmelte er: „Ich säubere meine Messer immer sofort. Die Klinge könnte stumpf werden, wenn sie … schmutzig bleibt.“

„Ich werde beim nächsten Mal daran denken, das Blut von meinen zahllosen Messern umgehend zu entfernen“, gab sie scharf zurück.

„Tun Sie das.“ Es klang vollkommen ernst. „Außerdem bekommt man die Blutflecke sonst kaum wieder aus den Kleidern.“

Bestürzt starrte sie ihn an.

Mr. Hawthorne war kein sonderlich großer Mann. Wer ihn zum ersten Mal sah, dachte nicht sofort: Oh, diesem Kerl sollte ich wohl lieber aus dem Weg gehen, wenn mir mein Leben lieb ist. Zu dieser Erkenntnis gelangte man erst auf den zweiten Blick. Dann fiel einem nämlich auf, wie muskulös seine Statur war, wie gefährlich sparsam seine Bewegungen waren, wie er plötzlich erstarren konnte, wenn er sich für den Angriff bereit machte.

Und dann war da noch sein Gesicht.

Mr. Hawthorne trug die Züge des Teufels. Seine Brauen formten ein steiles V über den dämonischen Katzenaugen. Auf seiner rechten Wange prangte eine lange vertikale Narbe, schmal und geheimnisvoll. Er war ein einschüchternder Mann.

Ein Mann, der einem Angst machte.

Als Messalina die Stille nicht mehr ertrug, räusperte sie sich. „Und?“

Er sah auf. Seine Augen waren so glänzend schwarz wie sein Haar. „Was und?“

Messalina musterte ihn fragend. „Sind die Räuber weg?“

„Natürlich.“ Er klappte sein Messer zusammen und ließ es irgendwo in seinem Mantel verschwinden, bevor er aufstand, um gegen das Kutschendach zu klopfen.

Dann setzte er sich wieder und musterte sie auf äußerst enervierende Art.

Sie hatten nur zwei weitere Bedienstete dabei. Selbst wenn Bartlett die Anzahl der Straßenräuber überschätzt hatte, waren Hawthorne und seine Männer hoffnungslos in der Unterzahl gewesen.

„Haben Sie sich Sorgen um mich gemacht?“ Seine raue Stimme schnitt durch ihre Gedanken. Es klang durchtrieben.

„Nein“, gab sie rundheraus zurück.

„Dann wären Ihnen die Straßenräuber lieber gewesen als ich?“ Sein Tonfall verriet eine Spur des Akzents der Straßen Londons.

„Ja!“

„Glücklicherweise werden Sie nie die Gelegenheit bekommen, eine so dumme Entscheidung zu treffen“, antwortete er leise. Unheilvoll. „Nicht, solange Sie zu mir gehören.“

„Zu mir gehören.“ Messalina funkelte ihn zornig an, auch wenn sie dabei einen Schauer unterdrücken musste. Warum hatte er ausgerechnet diesen Ausdruck verwendet? Als wäre sie sein Besitz. „Wie kommen Sie auf die Idee …“, setzte sie an, dann sah sie, wie er etwas aus der Tasche holte.

Es war ihr Bourdalou, rosa und schmutzig.

„Ich glaube, das hier gehört Ihnen“, meinte er und musterte das Porzellangefäß mit geradezu unschicklichem Interesse.

Messalina klappte der Mund auf.

Bartlett zog ihm das Ding aus der Hand und steckte es weg. „Also wirklich!“, murmelte sie.

Mr. Hawthorne grinste, lehnte sich zurück und schob den Hut vor, sodass die Augen von der Krempe verborgen wurden und nur noch sein Mund zu sehen war.

Nachdrücklich wandte sich Messalina zum Fenster und spähte in die Dunkelheit hinaus.

Vor etwas über einer Woche hatte Mr. Hawthorne ihre Kutsche im Norden Englands abgepasst und Messalina darüber informiert, dass ihr Onkel Augustus Greycourt, der Duke of Windemere, ihre sofortige Anwesenheit wünschte. Die Angelegenheit war von solcher Dringlichkeit, dass der Duke ihnen Mr. Hawthorne geschickt hatte, damit er sie persönlich zurück nach London geleitete. Sie hatte sowohl ihre eigene Kutsche als auch ihre jüngere Schwester Lucretia zurücklassen müssen. Es war gerade noch genug Zeit geblieben, Lucretia anzuweisen, dass sie zu ihrem ältesten Bruder Julian weiterreisen und ihn um Hilfe bitten sollte, dann hatte Mr. Hawthorne sie auch schon davongeschleift.

Seither war eine Woche vergangen, die Messalina mit diesem abscheulichen Menschen in einer Kutsche hatte verbringen müssen.

Unter gesenkten Wimpern hervor warf sie ihm einen raschen Blick zu.

Er schien zu schlafen, nun, da die Gefahr vorüber war. Die Arme über der Brust verschränkt und die Beine an den Knöcheln überkreuzt.

Das Licht der Laterne erhellte sein markantes Kinn und die verblüffend hohen Wangenknochen. Selbst im Schlaf waren seine Mundwinkel leicht gekräuselt, als amüsierte er sich über einen bösen Witz. Seine Oberlippe war schmal mit einem klassischen Amorbogen. In aberwitzigem Kontrast dazu stand die geradezu unverschämte Üppigkeit der Unterlippe.

Er hatte den sündigsten Mund, den Messalina je an einem Mann gesehen hatte.

Hastig sah sie weg. Mr. Hawthorne war ein Rohling. Er stammte aus der schlimmsten Ecke Londons, wie Messalina wusste – wie alle wussten. Es kursierten Gerüchte darüber, ihr Onkel habe ihn gefunden, als er seinen Lebensunterhalt mit Messerwettkämpfen verdient hatte. Mr. Hawthorne war damals gerade erst siebzehn gewesen. Bis vor zehn Minuten hatte Messalina dieses Gemunkel immer als reißerischen Unsinn abgetan.

Allmählich war sie da nicht mehr so sicher.

Sie musterte die weiße Narbe auf Mr. Hawthornes Wange. Schmal und silbrig, wie eine Tränenspur. Eine Erinnerung daran, dass Mr. Hawthorne seit seiner Jugend an brutale Gewalt gewöhnt war.

Abgestoßen erschauerte Messalina und wandte sich von ihrem Wachhund ab. Anstatt über ihn nachzugrübeln, sollte sie sich lieber fragen, warum Onkel Augustus sie zu sich rief. Mr. Hawthorne hatte sich schlichtweg geweigert, sie darüber in Kenntnis zu setzen, warum ihr Onkel sie in London haben wollte. Was natürlich dazu geführt hatte, dass sie im Laufe der vergangenen Woche immer nervöser geworden war.

Was sie sich selbstverständlich nicht hatte anmerken lassen.

Ob Onkel Augustus nun beschlossen hatte, sie in die amerikanischen Kolonien ins Exil zu schicken, ihr ein neues Reitpferd zu schenken oder ihre Unterhaltszahlungen komplett zu streichen – sie würde alles mit gleichermaßen stoischer Miene aufnehmen.

Der Duke of Windemere nährte sich von Furcht.

Es war besser, wenn sie ihre Gedanken fest auf die kleine Geldmenge richtete, die sie im Laufe der vergangenen Jahre angespart hatte. Sobald Messalina genug zusammen hatte, würde sie Lucretia holen und gemeinsam mit ihr auf den Kontinent oder in die Neue Welt gehen.

An einen Ort, an dem ihr Onkel nicht mehr über ihr Leben bestimmen konnte.

„Ah, jetzt sind wir endlich richtig in London, Miss“, flüsterte Bartlett und nickte den hellen Lichtern zu, die draußen vor dem Kutschenfenster vorbeizogen. „Nach so vielen Nächten auf der Straße wird es guttun, wieder in einem anständigen Bett zu schlafen, wenn ich das sagen darf.“

Messalina nickte. „Allerdings.“ Sie machte sich nicht die Mühe zu flüstern.

Mr. Hawthorne regte sich nicht. Entweder schlief er immer noch, oder er tat nur so, um sie besser ausspionieren zu können.

Sie blickte aus dem Fenster, während sie langsam durchs West End fuhren. Sie war erschöpft und müde.

Nach fast einer weiteren Stunde hielt die Kutsche endlich vor der gewaltigen klassischen Fassade von Windemere House, der Londoner Residenz des Duke of Windemere.

Sofort setzte sich Mr. Hawthorne auf, so munter wie an einem frischen neuen Morgen. Zum Teufel mit ihm.

Er sah sie an, und für die Dauer eines Herzschlags hatte sie den Eindruck, dass sein Blick sanfter wurde. Es schien, als wollte er etwas sagen.

Da öffnete sich der Kutschenschlag, und ein Bediensteter half Messalina beim Aussteigen. Sie schüttelte ihre Röcke aus, sah auf und zuckte unwillkürlich zusammen.

Augustus Greycourt, der Duke of Windemere, erwartete sie am Kopf der Treppe. Er war ein freundlich aussehender Mann, klein und rund. Sein Gesicht wirkte geradezu gütig, solange man nicht wusste, wie von Grund auf verdorben er war.

Hawthorne stellte sich neben sie und nahm ihren Arm. Verwirrt sah sie auf seine Hand hinab. Auf dem Daumennagel hatte er einen Blutfleck übersehen.

Angeekelt wich sie zurück.

„Ah, Messalina!“, rief Onkel Augustus. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, du könntest zu spät zu deiner eigenen Hochzeit kommen.“

Messalina spürte, wie es ihr eiskalt über den Rücken lief. Ihre Hochzeit?

Schmunzelnd fuhr Onkel Augustus fort: „Aber wie könntest du zu spät kommen, wenn dein Bräutigam deine schützende Begleitung ist?“

Langsam drehte Messalina den Kopf.

Und begegnete dem diabolisch glühenden Blick von Mr. Hawthornes schwarzen Augen.

Gideon Hawthorne war immer schon der Meinung gewesen, dass Messalina Greycourt faszinierende Augen hatte. Sie waren grau – ein kühles, klares Grau – mit einem fast schwarzen Ring um die Iris.

Nun sah er zu, wie sich der Blick dieser fesselnden Augen mit Abscheu füllte – Abscheu vor ihm.

Gideon wandte sich ab. Er hatte gewusst, dass ihr dieser Plan nicht gefallen würde. Trotzdem versetzte es ihm einen Stich – einen sehr kleinen Stich.

Sein Blick wanderte zu Windemere. Was hatte der Alte vor? Messalina war eigenwillig, klug und sturköpfig. Es war abzusehen gewesen, dass sie einer erzwungenen Heirat nicht einfach zustimmen würde, und es klang fast so, als wollte Windemere sie mit seinen Worten noch dazu anstacheln, sich zu wehren.

Vielleicht war es genau das, worauf es Windemere abgesehen hatte: ein Streit, der nur damit enden konnte, dass er selbst triumphierte und Messalina gedemütigt wurde.

Gideon würde dafür sorgen, dass es nicht dazu kam.

Windemere grinste. „Na, komm, Mädchen!“, rief er ihr zu. „Bring deinen Verlobten herein, damit wir in meinem Arbeitszimmer ein wenig plaudern können.“

Messalinas Miene gab nichts preis. Die meisten hätten nichts davon bemerkt, dass sie hinter dieser gefassten Fassade fieberhaft nachdachte.

Doch Gideon hatte Jahre damit verbracht, Messalinas Gesicht zu studieren. Er wusste, dass er sowohl eine Angriffs- als auch eine Verteidigungsstrategie bereithalten musste.

Er verstärkte den Griff um ihren Oberarm. Es war unwahrscheinlich, dass sie davonrennen und in den dunklen Straßen Londons untertauchen würde – Messalina war nicht dumm –, aber der Alte tat sein Bestes, um sie wütend zu machen. Gideon wollte verdammt sein, wenn er sie jetzt verlor.

Seine Berührung schien sie aus ihrer Starre zu reißen. Sie blinzelte und versuchte, sich loszureißen. Zornig funkelte sie ihn an, als er sich weigerte, seinen Griff zu lockern.

Er ließ zu, dass ihm ein kleines Lächeln um die Lippen spielte – es war immer noch besser, wenn sie wütend auf ihn war, als wenn sie ihn überhaupt nicht zur Kenntnis nahm.

Windemere unterbrach ihr stummes Kräftemessen. „Du hast alle Bewerber um deine Hand abgewiesen, die ich dir vorgeschlagen habe, Nichte, aber heute Nacht wirst du verheiratet, und du wirst dich nicht wieder herauswinden können. Ich habe schon nach dem Pfarrer geschickt. Wenn du nicht in diesem zerknitterten Reisekleid heiraten möchtest, dann musst du dich mit dem Umziehen beeilen.“

Gideon sah Windemere aus zu Schlitzen verengten Augen an.

Der Duke strahlte sie beide an. Zum Teufel mit ihm!

Gideon beugte sich zu Messalina vor und murmelte: „Wir sollten lieber reingehen.“

„Natürlich, es wundert mich nicht, dass Sie das sagen“, fauchte sie, setzte sich aber in Bewegung und erklomm die Eingangsstufen.

Als sie schließlich vor dem Alten standen, sagte Messalina ein einziges unmissverständliches Wort: „Nein.“

Das war sein Mädchen. Unwillkürlich empfand Gideon einen Anflug von Stolz, obwohl Messalinas Sturheit in diesem Fall nicht zu seinem Vorteil war.

Ihre unumwundene Weigerung wischte dem Duke endlich das dümmliche Grinsen vom Gesicht. „Was hast du gesagt, liebste Nichte? Überleg dir, was du jetzt antwortest, denn ich weiß von deinem kleinen Geldvorrat.“

Sie wurde blass. „Was hast du getan?“

„Ich habe gar nichts getan“, gab Windemere zurück. „Hawthorne allerdings hat deinen Geldbeutel an sich genommen.“

„Natürlich hat er das.“ Messalina warf Gideon einen lodernden Blick zu. „Ich hoffe doch, Sie haben es genossen, in meinem Gepäck herumzuwühlen?“

Gideon hob eine Braue, verärgert sowohl von ihren Worten als auch von der Verachtung in ihrer Stimme. „Ich versichere Ihnen, dass es mich zutiefst gelangweilt hat.“

Aus irgendeinem Grund ließ sie dies erröten. „Weil Sie schon so oft in den Besitztümern einer Dame geschnüffelt haben?“

Bevor er etwas erwidern konnte, mischte sich der Duke ein.

„Das reicht!“ Ungehalten sah er Messalina an. „Liebste Nichte, du hast keine Chance – nicht mal den Hauch einer Chance –, mir zu entkommen. Und jetzt geh hinauf und bereite dich auf deine Hochzeit vor.“ Er hielt inne und fügte dann mit berechnender Beiläufigkeit hinzu: „Es sei denn, es wäre dir lieber, dass Lucretia deinen Platz einnimmt?“

Gideon spürte, wie an seinem Kiefer ein Muskel zuckte. Er hatte eingewilligt, Messalina zu heiraten, und zwar nur Messalina. Er hatte weder den Wunsch noch die Absicht, Lucretia Greycourt zu ehelichen.

Messalina keuchte leise, als der Duke seine Trumpfkarte ausspielte. Sie reckte ihr trotziges kleines Kinn, doch das leichte Beben ihrer Stimme verriet sie. „Ich werde deinen Handlanger niemals heiraten, und meine Schwester wird das genauso wenig tun.“

Gideon räusperte sich und warf dem Duke einen nachdrücklichen Blick zu. „Es ist kalt, Euer Gnaden. Wäre es Ihnen nicht lieber, im Haus weiterzusprechen, in Ihrem Arbeitszimmer, wie Sie vorhin gesagt haben?“

Der Duke zögerte, eindeutig verstimmt über Gideons Vorschlag, doch dann verzog er nur mürrisch das Gesicht und schlenderte zurück ins Haus.

Messalina rührte sich nicht. Sie hielt den Kopf hocherhoben, doch ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Die Drohung, die über ihrer geliebten Schwester hing, hatte sie offensichtlich getroffen.

„Wollen Sie hier stehen bleiben, bis Sie aus lauter Stolz zu Stein erstarren?“, fragte Gideon leise.

„Als ob Sie das kümmern würde“, zischte sie wütend.

„Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr mich das kümmern würde“, entgegnete er wahrheitsgemäß.

Ungläubig starrte sie ihn an.

Er hielt ihren klaren Blick. Diese Augen würden noch sein Untergang sein. „Gehen wir lieber rein, einverstanden?“

Messalina stieß den Atem aus und murmelte: „Mir bleibt wohl keine andere Wahl.“

„Nein“, sagte er sanft. „Wohl nicht, aber ich werde es Ihnen so leicht machen, wie ich kann.“

Sie schnaubte und betrat das Haus.

Windemere erwartete sie in der Eingangshalle. Seine gute Laune war zurückgekehrt.

Misstrauisch musterte Messalina ihn, dann sagte sie: „Ich muss mich frisch machen. Wenn du mich entschuldigen würdest, Onkel.“ Damit eilte sie die Treppe hinauf.

Gideon unterdrückte ein Seufzen. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sie zu zähmen. Das würde später kommen.

Der Duke machte eine finstere Miene. „Sie wird versuchen, durch die Hintertür zu entkommen.“

Gideon machte sich nicht die Mühe, ihn anzusehen. „Meine Männer stehen schon an den Türen Wache, Euer Gnaden.“

Windemere gab einen mürrischen Laut von sich. „Gut. Kommen Sie mit mir.“

Er wandte sich ab und lief über den rot-weiß-schwarzen Marmorboden zur Eingangshalle hinüber. Die Dienstboten wichen vor ihm zurück. Gideon folgte still. Einer der Dienstboten stieß die Tür zu der gewaltigen Bibliothek auf, als sich Windemere näherte.

„Tür zu“, knurrte der Duke den Mann an, nachdem sie eingetreten waren. „Und sorg dafür, dass uns niemand stört.“

Ohne das leiseste Geräusch wurde die Tür wieder ins Schloss gezogen.

Der Duke ließ sich in einen Ohrensessel sinken, doch Gideon blieb lieber stehen.

Windemere betrachtete ihn missmutig, und Gideon spürte, wie sich seine Oberlippe kräuselte.

Es war fast schon komisch.

Die Aufgaben, die er für Windemere erledigte, waren gesetzeswidrig und manchmal auch brutal. Vermutlich wusste Gideon mehr über die Geschäfte des Alten als jede andere lebende Person, was ihm eine gewisse Macht über Windemere verlieh. Allerdings wusste der Duke nur zu genau, was Gideon in seinen Diensten getan hatte. Gideon zweifelte nicht daran, dass der Alte Buch führte und Beweise aufbewahrte, falls es denn welche gab. Mit ein, zwei Worten an der richtigen Stelle konnte der Duke ihn hängen lassen – falls er gewillt sein sollte, mit Gideon zusammen unterzugehen.

Ihre Vergangenheit war ein zweischneidiges Schwert, mit dem keiner von beiden sonderlich zimperlich umging.

Windemere stieß ein unwilliges Grollen aus. „Wenn sie entkommt, dann werde ich sie Ihnen kein zweites Mal anbieten.“

Gideon ließ ein höhnisches Lächeln seine Lippen umspielen. „Weshalb ich sie nicht entkommen lassen werde.“

„Das wäre verdammt noch mal auch besser“, knurrte der Duke, offensichtlich gereizt von Gideons Gelassenheit. „Dieses kleine Biest ist ein Vermögen wert. Wenn sie flieht, verlieren Sie nicht nur eine Ehefrau, ich werde außerdem ihre Mitgift aus Ihnen herausholen.“

Gideon antwortete nicht einmal. Er hatte das alles schon gehört, eine endlose, verstaubte Litanei aus Drohungen und Beschwerden.

Auf einmal lächelte Windemere jedoch, was Gideons volle Aufmerksamkeit weckte. „Obwohl es mir vielleicht viel Ärger ersparen würde, sollte Messalina verschwinden.“

„Ich würde entschieden protestieren, falls es dazu käme“, entgegnete Gideon freundlich. „Sie haben versprochen, mir Messalina zu geben.“

Die Miene des Dukes wurde angesichts dieser Drohung finster, aber er winkte ab. „Zwei Wochen eingeschlossen in ihren Gemächern bei Wasser und Haferschleim werden sie schon weichklopfen. Das Mädchen musste noch nie ohne drei Mahlzeiten am Tag leben. Sie wird schon einlenken.“

„Zweifellos“, sagte Gideon vorsichtig. Wenn er sich zu besorgt zeigte, dann würde der Alte seine Drohung wahr machen, und Gideon wollte nicht, dass Messalina hungern musste – oder Schlimmeres. „Sagten Sie nicht gerade, dass Sie schon den Pfarrer haben rufen lassen? War das nur eine Täuschung, Euer Gnaden?“

„Nein.“ Der Duke machte eine finstere Miene. „Ich werde ihn wieder wegschicken müssen, aber der Pfarrer wird trotzdem seine Guineas verlangen, auch wenn er nichts dafür getan hat. Die Kirchenleute sind ein gieriges Volk.“

Dann lag es an Gideon, Messalina dazu zu bringen, ihn zu heiraten, wenn er keine weiteren Verzögerungen riskieren wollte. Er ging auf die Tür zu.

„Wohin wollen Sie?“, rief ihm der Duke ungehalten hinterher.

Gideon warf einen Blick über die Schulter. „Ich möchte Miss Greycourt davon überzeugen, zu ihrer eigenen Hochzeit zu erscheinen.“

Windemere schnaubte. „Es ist leichter, an den Wapping Docks eine Hure ohne Pocken zu finden, als dieses Mädchen umzustimmen.“

Gideon ließ eine Braue in die Höhe schnellen, wandte sich dann jedoch wieder der Tür zu.

Der Duke rief ihm nach: „Vergessen Sie nicht, ganz gleich, wie sie sich entscheidet, Sie haben den Handel schon geschlossen und Ihr Wort gegeben. Sie sind mein Mann, und werden tun, was ich verlange.“

Mit der Hand auf dem Türgriff hielt Gideon inne. Seine Knöchel wurden weiß. „Das vergesse ich sicher nicht. Euer Gnaden.“

Damit verließ er den Raum.

Er schloss die Tür der Bibliothek hinter sich und nahm sich einen Moment Zeit, um tief durchzuatmen und sich gegen die Tür zu lehnen. Vor fast einem Jahr hatte er beschlossen, dass es mehr als an der Zeit war, die Dienste des Alten zu verlassen – sowohl, weil er die Aufgaben verabscheute, die Windemere ihm stellte, als auch, weil er sich auf sein eigenes Geschäft konzentrieren wollte.

Doch aus den Diensten des Duke of Windemere zu scheiden, war nicht leicht. Das, was Gideon über den Alten wusste, konnte ihm gefährlich werden. Er wollte lieber nicht als auf der Themse treibende Leiche enden.

Also hatte Gideon abgewartet und seinen Abgang sorgfältig geplant. Als er dem Duke schließlich davon erzählt hatte, war dessen Antwort ein Angebot gewesen, das Gideon einfach nicht hatte ablehnen können: Messalina Greycourt.

Nun musste er jedoch erst einmal dafür sorgen, dass er seine Dame auch bekam, und zwar, ohne dass der Duke sie aushungerte.

Er straffte die Schultern und schnippte mit den Fingern.

Eine schlanke Gestalt glitt ins Licht und verwandelte sich in einen verwahrlosten Jugendlichen mit gebrochener Nase und den großen, unschuldigen blauen Augen eines Engels. Der Junge – oder besser der junge Mann, denn Keys war älter, als er aussah – richtete sich auf und nickte. „Aye, Guv?“

„Wo ist sie, Keys?“

Keys sah zur Decke. „Oben, in ihren Räumen. Jedenfalls, als ich gerade noch mal mit Reggie nachgeschaut hab.“

Gideon nickte. Nun musste er nicht nur verhindern, dass sie ihm entkam, er musste außerdem sicherstellen, dass der Duke seine beiläufige Drohung ihr gegenüber nicht wahr machte. „Mach deine Runde, sorg dafür, dass Pea und seine Jungs im Garten und an beiden Seiten bereitstehen. Dann komm rein und bleib bei Reggie. Klar?“

Als Antwort berührte Keys nur seine Stirnlocke, dann huschte er davon.

Gideon stieg die breite Treppe in den nächsten Stock hinauf. Die roten Marmorstufen bogen sich, sodass die Treppe wie eine zusammengerollte Schlange aussah. Gideons Muskeln an Armen und Beinen spannten sich, bereit zuzuschlagen. Vielleicht war es die Nachwirkung seines Kampfes mit den Straßenräubern, vielleicht auch der Gedanke daran, was fast schon ihm gehörte.

Oder vielleicht war sie es.

Sie war noch ein Mädchen gewesen, als er in den Dienst des Alten getreten war. Jung und langgliedrig, mit vierzehn Jahren kein Kind mehr, aber auch eindeutig noch keine Frau. Sie war ihm aufgefallen, genau wie die anderen Greycourt-Geschwister: Julian, der Älteste von ihnen, war genauso vertrauenswürdig wie sein Onkel. Quintus war damals mit achtzehn Jahren schon ein Säufer gewesen und hatte den Tod seiner Zwillingsschwester Aurelia betrauert. Messalina, so ernsthaft, dass es nicht zu ihren jungen Jahren passte. Und Lucretia, die Jüngste, hübsch und spitzbübisch.

Für Gideon war Messalina nur irgendein adliges Mädchen gewesen. Dazu geboren, Juwelen zu tragen, auf Seidenkissen zu ruhen und sich mit zarten weißen Fingern orientalische Süßigkeiten in den Mund zu schieben, während der Rest der Welt Sklavenarbeit verrichtete. Sie war genau wie all die anderen hochwohlgeborenen Damen.

Trotzdem hatte er sie sogar damals schon im Auge behalten. Er hatte sie aus den Schatten heraus beobachtet, ein ungehobelter St-Giles-Junge, unsichtbar zwischen all den anderen Dienstboten des Dukes. Gideon mochte nur ein paar Jahre älter sein als Messalina, doch es waren Welten, die sie trennten. Er hatte zugesehen, wie sie zur Frau geworden war, wie sie raschelnde Kleider angezogen und ihr Haar zu komplizierten Frisuren auf dem Kopf aufgesteckt hatte. Er hatte zugesehen, wie sie über die jungen Gecken gelacht hatte, die um sie herumschwirrten wie Wespen um verschüttetes Bier.

Sie war nicht für ihn bestimmt, daran hatte es nie einen Zweifel gegeben.

Trotzdem hatte er den Blick einfach nicht von ihr abwenden können. Sie weckte eine Art Sehnsucht in ihm.

Messalina war der Stern, den er so sehr wollte, den er jedoch nie erreichen konnte – und der Alte hatte es gewusst.

Mit finsterer Miene stieg er die Treppe hinauf. Es gefiel ihm gar nicht, dass Windemere ihn so leicht durchschauen konnte. Seine Sehnsüchte und Gedanken gehörten nur ihm, und es war einfach zu gefährlich, anderen etwas davon preiszugeben. Doch damals, als er vor vierzehn Jahren in den Dienst des Dukes getreten war, da war er noch so jung gewesen – siebzehn – und er hatte kaum Übung darin gehabt, jede Gefühlsregung hinter einer steinernen Miene zu verbergen.

Ihre Gemächer lagen am Ende eines langen Gangs. Gideon nickte Reggie zu, dessen große, finstere Gestalt ein paar Schritte vor der Tür aufragte.

„Vorsicht, Guv“, sagte Reggie leise.

Scharf sah Gideon ihn an. Er brauchte keine Warnung von einem seiner eigenen Männer.

Er schob die Tür auf und hob gleichzeitig den rechten Arm, um seinen Kopf zu schützen. Mit einer kleinen Marmorstatue ging sie auf ihn los.

Marmor. Ob er wollte oder nicht, sie nötigte ihm Bewunderung ab. Er riss ihr die Statue aus der Hand und hielt sie fest. „Wie ich sehe, schrecken Sie auch vor einem Mord nicht zurück, Miss Greycourt.“

Sie wand sich wie ein Aal und versuchte, ihm zu entkommen, doch er hielt ihre Handgelenke fest gepackt. Als sie begriff, dass sie sich nicht würde befreien können, griff sie an. Sie trat nach ihm, wobei ihre Röcke ihr allerdings hinderlich waren.

Er drängte sie zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Für den Bruchteil eines Augenblicks betrachtete er sie. Ihr schweres schwarzes Haar hatte sich gelöst und fiel ihr um das Gesicht, und ihre Wangen waren rot vor Anstrengung. Sie war gefangen zwischen ihm und der Wand. Aus ihren grauen Sturmaugen funkelte sie ihn an, und eine unmissverständliche Warnung lag in ihrem Blick.

In den klaren Tiefen dieses Blicks war keine Furcht zu erkennen. Überhaupt keine. Irgendwo in ihm frohlockte ein Teil seiner Selbst, weil sie sich nicht einschüchtern ließ. Nicht einmal von ihm.

Er neigte den Kopf, und ihm war durchaus bewusst, dass er ihr nahe genug war, um ihr den Mund auf die Lippen zu drücken. „Na dann“, murmelte er. „Ich glaube, wir haben einiges zu besprechen.“

Messalina begegnete Mr. Hawthornes schrecklich finsterem Blick. Sie war ihm so nah, dass sie sehen konnte, wie lang und dicht seine Wimpern waren, als wären seine Augen mit Kohle umrahmt. Bei jedem anderen Mann hätten sie vielleicht mädchenhaft gewirkt.

Nicht bei ihm. Auf keinen Fall bei ihm. Fast konnte sie seinen männlichen Geruch wahrnehmen. Bisher waren ihr nur sehr wenige Männer jemals so nah gewesen wie er in diesem Moment.

„Lassen Sie mich los“, fauchte sie, ein wenig verspätet, und versuchte vergeblich, sich von ihm loszumachen.

Angesichts ihrer Bemühungen hob er nur eine seiner geschwungenen Brauen. Er wirkte amüsiert, dieser verdammte Bastard! Dann beugte er sich über sie, und sein Atem strich über ihre Lippen. „Geben Sie mir Ihr Wort, dass Sie mich nicht wieder angreifen werden?“

Sie nickte knapp.

Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück.

Sie holte tief Luft, als hätte seine Gegenwart ihr das Atmen schwer gemacht.

Was vielleicht ja auch stimmte.

„Ich werde Sie nicht heiraten“, sagte sie, so ruhig sie konnte. „Ganz gleich, was mein Onkel sagt.“

Der Duke mochte Mr. Hawthorne damit beauftragt haben, ihre Ersparnisse zu stehlen, aber es gab noch andere Möglichkeiten. Bei der Drohung gegen Lucretia war ihr übel vor Angst geworden, doch wenn sie Onkel Augustus’ Plan wenigstens aufschieben könnte, dann würde ihr schon ein Ausweg einfallen.

„Tatsächlich?“ Er wandte ihr den Rücken zu – was sie irgendwie beleidigend fand – und schlenderte zu dem Tisch vor dem Kamin hinüber. Irgendjemand hatte eine Karaffe voll Wein dort bereitgestellt, neben einem Korb mit Brot und einer Platte mit kaltem Fleisch. Er goss ein Glas ein und kehrte zu ihr zurück. „Selbst wenn mir Seine Gnaden stattdessen Ihre Schwester als Gemahlin überlässt?“

Er hielt ihr das Glas hin.

Sie schluckte und ignorierte den verdammten Wein. „So etwas würde er nie tun.“

„Weil Ihr Onkel ein so vernünftiger Mann ist?“ Spöttisch sah Mr. Hawthorne sie an, dann trank er selbst einen Schluck. „Nein, Seine Gnaden wird Lucretia mit Freuden dazu zwingen, mich zu heiraten, sowohl aus Bosheit als auch, weil er wünscht, mich in seinen Diensten zu behalten.“

Damit hatte er recht, und sie wussten es beide. Sie biss sich auf die Unterlippe, suchte nach irgendeinem Ausweg aus dieser Falle. „Was haben Ihre Dienste für meinen Onkel mit Lucretia und mir zu tun?“

„Ihr Onkel wünscht, dass ich eine bestimmte Aufgabe für ihn übernehme. Ich habe abgelehnt. Doch dann hat er mir etwas angeboten, das ich nicht ablehnen konnte.“ Sein Blick wanderte über ihre Gestalt, ein Lächeln zuckte um seine Lippen, die ärgerlicherweise ständig ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen schienen, und er sah ihr in die Augen. „Sie.“

Sie wollte ihn schlagen. Die Intensität dieses brutalen Verlangens erschreckte sie. Als sie endlich etwas erwidern konnte, stotterte sie vor Zorn. „Dann w-würden Sie also auch Lucretia heiraten, wenn ich mich weigere?“

„Nein.“ Seine Unterlippe schimmerte feucht von dem Wein. „Ich will nur Sie.“ Als sie verwundert die Augen aufriss, zuckte er mit den Schultern. Er wollte sie? „Ich wollte nur betonen, dass Ihr Onkel launisch ist. Wenn Sie seinen Plänen in die Quere kommen, wird er nicht nur Sie, sondern auch all jene bestrafen, die Ihnen lieb und teuer sind. Er hat bereits vorgeschlagen, Sie einzusperren und auszuhungern. Wollen Sie, dass er dasselbe mit Lucretia tut, um sie davon zu überzeugen, irgendeinen alternden Lord zu heiraten?“

„Nein.“ Finster starrte sie Hawthorne an. Leider hatte er recht. Onkel Augustus war ein Ungeheuer, und er scherte sich nicht darum, auch nur den Anschein von Moral zu wahren. „Mein Onkel ist grausam – da stimme ich Ihnen zu, aber ich verstehe Sie trotzdem nicht. Warum sollten Sie mich heiraten wollen?“

Da lächelte er, als hätte er gerade einen Punktsieg errungen – und vielleicht hatte er das auch. „Ich glaube, Sie vergessen Ihre gewaltige Mitgift.“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Die habe ich nicht vergessen. Allerdings wird Lucretias Mitgift genauso groß sein. Warum ich und nicht sie?“

Er sah sie unter seinen bemerkenswerten Wimpern hervor an. „Wäre es Ihnen denn lieber, wenn ich Ihre Schwester heiraten wollte?“

„Natürlich nicht.“ Er wollte sie verwirren, doch das würde sie nicht zulassen. Um diesen Kampf durchzustehen, brauchte sie ihre gesamte Aufmerksamkeit. „Bitte beantworten Sie mir meine Frage.“

Auf einmal stand er wieder vor ihr, so nah, dass er sie hätte küssen können, und der Blick seiner schwarzen Augen schien sie zu durchbohren. „Weil ich dich will, Messalina. Ich will deinen Reichtum. Ich will deinen Rang. Ich will die Macht und den Einfluss, den mir dein Familienname bringen wird, aber vor allem?“ Er legte den Kopf schief und hob die Hand, als wollte er ihr über die Wange streichen. Er berührte sie nicht, doch sie spürte die Wärme seiner Fingerspitzen auf der Haut. Den Geist einer Liebkosung. „Vor allem will ich dich.“

Sie musste sich beherrschen, nicht zu zittern. Die Intensität seines Blicks war überwältigend. Hatte je ein Mann sie so angesehen? Als könnten weder die Fesseln der Zivilisiertheit noch von Menschen gemachte Gesetze ihn davon abhalten, sie an sich zu ziehen.

Sie sah ihm in die Augen, diesem bösen, abscheulichen Mann, und sagte knapp: „Sie können mich nicht haben.“

„Nicht?“ Er wich einen Schritt zurück und leerte das Glas in einem Zug. „Ich glaube doch.“ Er schlenderte zu dem Tisch zurück, auf dem die Karaffe stand. Erst dann sah er sie wieder an. „Dein Onkel hat jedenfalls vor, dich mir zu geben.“

Ihr waren die Wahlmöglichkeiten ausgegangen. Man würde sie in die Ehe zwingen, sie verkaufen wie eine Milchkuh. Wie sollte sie sich selbst treu bleiben – ihrem Willen, ihrem Stolz, ihrem Schwur, Onkel Augustus zu entkommen? „Ich bin kein Ding, das man einfach jemandem geben kann.“

Er hielt inne, die Karaffe in der Hand. Nachdenklich betrachtete er Messalina. „Nein, das bist du nicht. Ich weiß das, auch wenn es dein Onkel nicht zu wissen scheint. Allerdings werde ich sein Angebot annehmen. Ich bin zu skrupellos, um es abzulehnen. Trotzdem wäre es mir ehrlich gesagt lieber, wenn meine Ehefrau aus freien Stücken in diese Verbindung einwilligen würde.“ Er goss sich ein weiteres Glas ein und stellte die Karaffe ab. „Also, lass uns verhandeln. Nur wir beide. Was willst du?“

„Ich will mein Leben.“ Das war tatsächlich das Einzige, was sie wollte – das und Lucretias Sicherheit. „Mein Leben, über das ich selbst entscheiden kann.“

Er schüttelte den Kopf, wobei er sich nicht einmal die Mühe machte, vorzugeben, es täte ihm leid. „Das kannst du nicht haben. Nächster Vorschlag.“

Oh, sie wollte ihm wehtun. Sie wollte sich schreiend auf ihn stürzen. Ihn schlagen oder mit etwas stechen. Auf ihn schießen, wenn sie nur eine Waffe gehabt hätte. Sie hätte es tatsächlich getan, das wusste sie in diesem Moment. Sie würde diesen Mann töten, wenn es ihr irgendwie helfen könnte. Sie würde ihn töten und in die amerikanischen Kolonien fliehen – und endlich frei sein.

Nur würde sie damit Lucretia und ihre Brüder im Stich lassen. Julian konnte zwar für sich selbst sorgen, und wahrscheinlich konnte das auch Quintus, sogar trotz Onkel Augustus, doch Lucretia konnte es nicht.

Lucretia war eine Frau, und in England war nicht einmal eine so kluge, fähige Frau wie ihre kleine Schwester einem Mann gewachsen – besonders nicht einem so mächtigen Mann wie dem Duke of Windemere. Er war blutrünstig genug, um sowohl Lucretias als auch Messalinas Leben zu zerstören, einfach nur, weil er es konnte.

Sie atmete tief durch und ging zu einem Sessel beim Kamin hinüber. Das Feuer war nicht entzündet worden – wahrscheinlich wollte Onkel Augustus verhindern, dass sie sich in ihren Gemächern allzu willkommen fühlte, doch es war eine laue Nacht. Immerhin war Sommer.

Gedankenverloren starrte sie in den dunklen Kamin. Was wollte sie? Wichtiger noch, was konnte sie bekommen?

Schließlich sah sie auf und stellte fest, dass sich Mr. Hawthorne ihr schräg gegenüber niedergelassen hatte. Er thronte dort wie ein König und trank von seinem Wein, während er wartete.

Sie verabscheute ihn.

„Ich will frei sein von meinem Onkel und seinen Machenschaften“, sagte sie. „Doch das steht nicht in Ihrer Macht, oder? Sie sind sein Dienstbote, sein Lakai. Wie könnten Sie mir irgendetwas geben, das ich will?“

„Ich glaube, wenn du deine Fantasie benutzt, dann werden dir viele Wege einfallen, wie ich dir geben kann, was du willst“, antwortete er gelassen.

Aus seinen schwarzen Augen sah er sie über den Rand seines Glases hinweg an, während er einen Schluck nahm. Sein Blick schien zu lodern.

Messalina erkannte eine doppeldeutige Bemerkung, wenn sie eine hörte. Das Spiel, das er spielen wollte, war gefährlich für sie, doch sie hatte sich über zehn Jahre in den anspruchsvollsten Zirkeln Londons bewegt.

Sie wusste, wie man gefährliche Spiele mit Männern spielte und dabei unbeschadet blieb. Zwar hatte sie sich nie einen Liebhaber genommen – im Gegensatz zu einigen der erfahreneren Damen –, doch sie hatte Gespräche mit angehört. Sie hatte bis spät in die Nacht mit verheirateten Frauen geplaudert, und sie hatte ein wenig mit Männern kokettiert, die keine Bedrohung für sie darstellten.

Sie konnte dies – sie konnte mit dem Teufel verhandeln und sich selbst einen kleinen Vorteil in dieser schrecklichen Situation verschaffen.

Sie streckte den Rücken durch und straffte die Schultern.

Es war Zeit, dass sie die Sache in die Hand nahm. Das Einzige, was sie für ihre Flucht benötigte, war genug Geld, um England verlassen zu können, mit Lucretia. Die Frage war nur, ob sie es von ihm bekommen würde.

„Ach, tatsächlich?“, fragte sie beiläufig. „Ihr könnt mir also geben, was ich brauche?“ Sie ließ den Blick an seinem Körper hinabwandern, über seine breiten Schultern und die schmalen Hüften. Einen Moment lang verharrte sie bei der Wölbung unter der Knopfleiste seiner schwarzen Hose, bevor sie die langen Beine und die in Stiefeln steckenden Füße musterte. Als sie ihm wieder in die Augen sah, setzte sie eine zweifelnde Miene auf. „Vielleicht. Aber könnt Ihr mir auch geben, was ich will, Mr. Hawthorne?“

Ein Lächeln zuckte um seinen teuflischen Mund. „Frag mich, dann werden wir ja sehen.“

„Nun gut.“ Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und ahmte seine entspannte Haltung nach. Am besten fing sie klein an. „Ich will, dass Lucretia bei mir wohnt.“

Er zögerte nicht. „Abgemacht. Sie wird bei uns wohnen.“

Sie schluckte, versuchte jedoch, die Betonung auf dem vorletzten Wort zu ignorieren. „Ich möchte meine Ersparnisse zurückhaben.“

„Natürlich“, entgegnete er langsam. „Du wirst allerdings darauf warten müssen, bis wir verheiratet sind.“

Ihre Ersparnisse reichten ohnehin nicht aus, um sie in Sicherheit zu bringen. Sie reckte das Kinn, ihr Herz schlug schnell. Sie durfte ihn nicht merken lassen, wie groß ihre Angst war. Wie viel für sie auf dem Spiel stand. „Ich wünsche nicht, mit Ihnen das Bett zu teilen.“

„Das trifft mich schwer.“ Er legte sich eine Hand auf die Brust, als würde er scherzen, doch sein Lächeln war hart. „Ich fürchte, du kannst deine Unschuld nicht behalten. Ich habe kein Interesse daran, dass du oder jemand aus deiner Familie die Ehe wieder zu annullieren versucht. Außerdem“ – spöttisch neigte er den Kopf – „will ich dich vögeln.“

Das derbe Wort jagte ihr einen körperlich spürbaren Schock durch die Adern. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie Mr. Hawthorne wohl nackt aussah. Schlank, muskulös und gefährlich. Sie bezweifelte nicht, dass er wusste, wie er eine Frau zum Stöhnen bringen konnte. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen.

Was jetzt jedoch alles nichts zur Sache tat.

Sie senkte den Blick, als wäre sie enttäuscht. „Dann sind unsere Verhandlungen wohl in einer Sackgasse gelandet, nicht wahr?“

„Ich glaube nicht.“ Eine Weile starrte er sie an, wobei er langsam mit dem Finger auf die Sessellehne tippte. „Ich bin bereit, dir entgegenzukommen – dir zuliebe.“

Dir zuliebe. Etwas flackerte bei diesen Worten in ihrer Brust auf, auch wenn sie wusste, dass es reine Heuchelei war.

Sie musste sich konzentrieren. Sie stand mit dem Rücken zur Wand. Man würde sie gegen ihren Willen verheiraten, und das ausgerechnet mit ihm.

Mit einem Schurken.

Sie zog die Brauen hoch, als würde diese ganze Unterhaltung sie langweilen. „Nur weiter. Inwiefern wollen Sie sich beugen?“

Dieses Mal war sein Lächeln fast aufrichtig. „Ich werde dir etwas Zeit lassen, bevor ich dich in mein Bett hole – sagen wir, eine Woche nach der Hochzeit?“

„Drei Monate“, zischte sie und ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern ihrer Finger zu verstecken. Sie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich darüber diskutierten, wann sie zulassen würde, dass er sie …

„Ein Monat.“ Erbarmungslos sah er sie aus seinen schwarzen Augen an, während er einen weiteren Schluck Wein trank.

Seine Kehle bewegte sich, als er schluckte. „Zwei Monate.“

Er schüttelte den Kopf. „So lange werde ich nicht warten. Ein Monat.“

Gott. Als sie an diesem Morgen aufgewacht war, hatte ihre größte Sorge darin bestanden, ob sie sich wieder mit ihrem verrückten Onkel würde herumstreiten müssen, und nun saß sie hier und verscherbelte ihre Jungfräulichkeit.

Sie holte tief Luft. Wenn es schon sein musste, dann würde sie dabei so viel wie möglich für sich herausholen. „Nun gut. Ein Monat. Im Gegenzug verlange ich allerdings etwas von Ihnen.“

Fragend hob er eine Braue.

„Einen Teil meiner Mitgift.“

Er nickte. „Ich werde dir alle Vierteljahre einen Teil als Nadelgeld zukommen lassen.“

„Nein.“ Dieses Mal konnte sie nicht verhindern, dass ihre Stimme bebte – vor Wut und nicht aus Angst. „Es ist mein Geld. Geld, das mir mein Vater hinterlassen hat. Sobald ich Sie geheiratet habe, werden Sie im Besitz eines Vermögens sein, und ich werde mich nicht länger mit einem Almosen zufriedengeben, das Sie mir nach Lust und Laune zukommen lassen. Ich will die Hälfte.“

Seine Braue hob sich noch weiter. „Du hältst viel von deiner Jungfräulichkeit.“

„Warum auch nicht?“, schoss sie zurück. „Das ist es doch, was die Männer interessiert. Soll ich tun, als wäre ich ein schüchternes kleines Mädchen, und dabei ignorieren, dass es im Grunde nur um Geld geht? Soll ich so tun, als wüsste ich nicht genau, was ich wert bin?“

„Nein, wohl nicht.“ Er schürzte die Lippen. Sie würde nicht hinsehen. „Ein Zehntel. Am Ende des ersten Jahres unserer Ehe.“

So lange konnte sie nicht warten. „Ein Viertel am Tag unserer Hochzeit.“

Seine Augen wurden schmal. „Du erwartest von mir, dass ich dich bezahle, bevor ich meinen Preis bekommen habe?“

Mit Mühe unterdrückte sie ein höhnisches Schnauben. „Meine Mitgift ist Ihr Preis.“

„Tatsächlich?“ Sein Blick ruhte einen Moment auf ihren Lippen, bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Ein Zehntel in sechs Monaten.“

„Ein Zehntel in einem Monat.“ Sie verbarg ihre Abscheu nicht. „Am Tag, nachdem unsere Ehe vollzogen wurde.“

„Einverstanden.“ Nachdenklich betrachtete er sie, dann lehnte er sich vor und fuhr geschäftsmäßig fort: „Es wird eine echte Ehe. Du wirst mir treu sein – ich werde es nicht dulden, dass du dir einen Liebhaber nimmst.“

Dieser Punkt war hinfällig. Sobald sie ihren Anteil an der Mitgift hatte, würde sie nicht mehr lange genug bei ihm bleiben, um sich einen Liebhaber nehmen zu können. „Natürlich.“

„Du wirst mit mir zusammenleben, als meine Ehefrau. Du wirst jeden Abend mit mir speisen. Außerdem werden wir uns bei gesellschaftlichen Anlässen sehen lassen“ – er machte eine vage Geste – „zu Bällen gehen und dergleichen.“

„Was?“, fiel sie ihm ins Wort. „Sie müssen doch wissen, dass Sie in vornehmer Gesellschaft nicht willkommen sein werden.“

Er rümpfte die Nase, und auf einmal musste sie daran denken, dass er an diesem Abend getötet hatte. „Mit deinem Geld und deinem Namen werde ich es sein.“

Sie konnte ihn nur anstarren.

Er nickte, als wäre dieser Punkt entschieden, und sprach weiter: „Wenn wir unter uns sind, kannst du mich verspotten, so viel du möchtest, aber in der Öffentlichkeit wirst du tun, als wärst du eine hingebungsvolle Ehefrau.“

Der Mann war ein eingebildeter Dreckskerl. „Hingebungsvoll?“

Wieder seufzte er. Offensichtlich ermüdete ihn dieses Gespräch allmählich. „Dann eben eine zufriedene Ehefrau. Ist das annehmbar für Sie, Madam?“

Nein. Nichts an dieser widerwärtigen Situation war annehmbar für sie. Doch es musste nun mal getan werden, wenn sie ihre eigene und Lucretias Freiheit gewinnen wollte. Ein Zehntel ihrer gewaltigen Mitgift war mehr, als sie zum Leben brauchten, wenn sie vorsichtig damit umgingen. Sie konnten entkommen. Irgendwo im Ausland leben.

Messalina musterte Hawthorne. Sie traute ihm nicht. Sie mochte ihn nicht. Doch ihr blieb keine andere Wahl. „Wenn ich zustimme – wenn ich so tue, als wäre ich zufrieden, dann werden Sie sich an die Bedingungen halten, auf die wir uns geeinigt haben?“

Er nickte. „Ja. Du hast mein Wort.“

Das Wort eines bezahlten Schlägers. Charmant.

„Sie werden diesen Tag noch bereuen“, raunte sie, leise, tückisch und voller Aufrichtigkeit. „Sie werden es bereuen, mich dazu gezwungen zu haben, Sie zu heiraten.“

„Das glaube ich nicht.“ Er klang so selbstsicher. „Und? Wollen wir dann heiraten?“

Sie beugte sich vor, nahm ihm das Weinglas aus der Hand und leerte es in einem Zug. „Einverstanden.“

2. KAPITEL

Eines Tages kam der Kesselflicker in einen alten Wald, der seltsam unberührt wirkte. Seltsam still. Seltsam finster. Der Kesselflicker wagte sich tiefer und tiefer unter die gewaltigen Bäume, bis er den Himmel nicht mehr sehen konnte und die Sonne selbst in der Schwärze versank …

Aus: „Bet und der Fuchs“

Julian Greycourt erwachte davon, dass jemand an die Tür des Cottages hämmerte. Sofort war er hellwach.

Niemand durfte ihn hier stören.

Er stand auf, nackt, ignorierte den aufflammenden Schmerz auf seinem Rücken und streifte einen Morgenmantel über. Glücklicherweise war er bereits wieder allein.

Julian sah sich um. Es war eine schlichte Unterkunft. Ein einzelner Raum, ein Kamin, eine Liege, ein Stuhl.

Sonst nichts. Nichts, das sein Hiersein hätte verraten können.

Gut.

Er ging zur Tür, entriegelte sie und zog sie auf.

Lucretia sah zu ihm auf, die Faust noch immer erhoben, als wollte sie gleich an seine Brust klopfen. „Oh, Gott sei Dank! Quintus hat gesagt, dass du in einem der Cottages bist, aber er muss mich in die falsche Richtung geschickt haben. Ich suche schon seit fast einer Stunde nach dir.“

„Was machst du hier?“ Seine Worte waren vielleicht etwas zu harsch, doch eigentlich sollte niemand etwas von diesem Ort wissen.

Quinn hatte die kleine Bauernkate nur entdeckt, weil er Julian eines Abends gefolgt war. Danach hatte Julian fast einen Monat lang nicht mehr mit seinem Bruder gesprochen. Er hatte gedacht, er hätte deutlich gemacht, dass Quinn verdammt noch mal den Mund halten sollte, was dieses Cottage betraf. Trotzdem war seine kleine Schwester jetzt hier, mit großen Augen und roten Wangen.

Julian räusperte sich. „Wo ist Messalina?“

„Bei Mr. Hawthorne“, antwortete Lucretia, und es klang gereizt, weil Julian dies nicht schon längst wusste. „Er hat unsere Kutsche angehalten, als wir uns auf der Heimreise von der häuslichen Gesellschaft der Lovejoys befunden haben. Du kennst doch ihr Anwesen an der Grenze zu Schottland? Ich muss sagen, dass es eine höchst ungewöhnliche Gesellschaft war …“

„Was hat Hawthorne getan, Lucretia?“, frage Julian ungeduldig.

Lucretia presste die Lippen aufeinander. „Er hat Messalina befohlen, die Kutsche zu verlassen und mit ihm zu kommen. Ihr ist gerade noch Zeit geblieben, mir zu sagen, dass ich mich an dich wenden soll.“

Julian runzelte die Stirn. „Warum sollte Hawthorne so etwas tun?“

„Er hat gesagt, dass Onkel Augustus nach ihr verlangt – nur nach ihr, nicht nach mir.“ Lucretia verschränkte die Finger ineinander. „Das war vor über einer Woche – inzwischen sind es schon fast zwei Wochen. Ich habe den Kutscher angewiesen, auf direktem Weg nach Adders zu dir zu fahren, aber die Straßen waren in einem so grässlichen Zustand, und die Pferde …“

„Einen Moment“, sagte Julian. „Warte.“

Er schlug ihr die Tür vor der Nase zu, ohne auf ihren empörten Ausruf zu achten. Eilig zog er sich an und sog zischend die Luft ein, als sein Leinenhemd die Wunden auf seinem Rücken streifte. Was zum Teufel hatte Augustus vor? Was hatte sich ihr Onkel dabei gedacht, Lucretia dazu zu zwingen, ganz allein eine so weite Reise hinter sich zu bringen?

Er warf seinen Mantel über, zog das lange Haar aus dem Kragen und band es im Nacken zusammen.

Dann öffnete er die Tür erneut.

„Ich kann nicht fassen, dass Quintus schon so früh am Morgen betrunken ist“, bemerkte Lucretia verärgert, als hätte es in ihrer Unterhaltung keine Unterbrechung gegeben. „Er hat gerochen.“

Sie rümpfte die kleine, gerade Nase, als stünde sie neben einer Jauchegrube.

„Das glaube ich“, murmelte Julian. „Komm. Lass uns nach Adders fahren.“

Ihre Kutsche stand vor der Kate. Der Fahrer und ein Bediensteter saßen halb schlafend auf dem Kutschbock, während der zweite Bedienstete an der Kutsche lehnte und immer wieder einnickte. Als sie sie erblickten, wurden die Männer jedoch wach. Der Bedienstete an der Kutsche beeilte sich, Lucretia beim Einsteigen zu helfen.

Julian sah zum Fahrer. „Zurück nach Adders Hall.“

„Sir!“, rief der Mann, und sobald Julian in der Kabine saß, setzten sie sich in Bewegung.

Julian setzte sich Lucretia gegenüber und musterte sie. Die frühe Morgensonne verwandelte die feinen Strähnchen, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatten, in einen Heiligenschein. „Wo ist deine Zofe?“

„Ich habe Messalina gesagt, dass sie Bartlett mitnehmen soll“, antwortete Lucretia. „Immerhin konnte sie ja nicht nur in Mr. Hawthornes Begleitung nach London reisen.“

Angesicht dieser Logik hob Julian eine Braue, denn schließlich hatte Lucretia nun allein in der Gesellschaft des Kutschers und der beiden Bediensteten reisen müssen, doch er erwiderte nichts.

Sie fuhren an weiteren Katen vorüber, von denen einige bewohnt waren, andere jedoch nicht. Dies hier war einmal ein blühender Landstrich gewesen, mit hübschen Cottages und Feldern voller Schafe und Rinder. Doch das war vor dem Tod seiner Mutter gewesen.

Adders Hall befand sich im Westen Oxfords, nahe der walisischen Grenze, eigentlich ein wohlhabendes Gebiet. Als Julian damals Adders Hall und die umgebenden kleinen Ländereien geerbt hatte, waren seine Hoffnungen groß gewesen. Er hatte ein fähiger Gutsherr sein wollen. Einer, der moderne landwirtschaftliche Methoden bei Ackerbau und Viehzucht einsetzte. Einer, der sich um seine Pächter und deren Familien kümmerte.

Er war damals erst siebzehn gewesen. Noch sehr jung, und er hatte nicht gewusst, dass laut dem Testament seines Vaters das gesamte Vermögen seiner Eltern von Augustus Greycourt, dem Duke of Windemere, verwaltet werden sollte, bis Julian volljährig sein würde und selbst über seine Angelegenheiten entscheiden konnte.

An Julians einundzwanzigstem Geburtstag hatte ihm Augustus jedoch nur einen äußerst armseligen Betrag überschrieben und behauptet, dass es nie ein Vermögen gegeben habe. Dass – abgesehen von Lucretias und Messalinas gewaltiger Mitgift, über die nun ebenfalls der Duke of Windemere entschied – nichts mehr übrig sei. Augustus hatte gelächelt, als er Julian erklärt hatte, sein Vater habe seinen gesamten Reichtum durchgebracht wie ein Verschwender.

Die Kutsche holperte eine Straße entlang, die schließlich in der Auffahrt von Adders Hall mündete. Die Buchenallee, von der die Auffahrt gesäumt wurde, war in erschreckendem Zustand. Die Bäume mussten dringend zurückgeschnitten und an einigen Stellen neue gepflanzt werden. Die Auffahrt selbst war zerfurcht und überwuchert.

Adders Hall kam in Sicht, und Julian musste sich zusammenreißen, um nicht das Gesicht zu verziehen. Es war einmal ein kleines, aber vornehmes Herrenhaus gewesen, erbaut aus grauem Stein, doch nun war der Westflügel abgeriegelt, das Dach war undicht, und viele der Fenster waren verbrettert. Um die Eingangsstufen wuchsen Unkraut und Sträucher, wie Mäuse, die am Rocksaum einer Matrone nagten.

Eine einsame Gestalt stand leicht schwankend vor der Tür.

„Oh, gut“, sagte Lucretia. „Quintus ist nach Hause gekommen.“ Sie sah Julian an. „Ich habe ihn in einem der Cottages gefunden. Ich weiß nicht, warum ihr beide euch in den Katen der Pächter herumtreibt, obwohl ihr hier ein gutes, solides Haus habt.“

Betont wandte sich Julian der Ruine zu, der sie sich näherten.

Lucretia runzelte die Stirn. „Na ja, zumindest ein Haus.“

Er schnaubte.

Abrupt hielt die Kutsche an, und fast wäre seine Schwester auf seinem Schoß gelandet.

Julian stieg als Erster aus, gerade rechtzeitig, um seinen Bruder aufzufangen, der auf sie zugewankt kam. Schwer sackte Quinn gegen ihn. Er war genauso groß wie Julian, allerdings gute zwanzig Pfund schwerer.

„Dachte ich doch, dass-s-s ich Lu-Lu-Lu-cre-tia gesehen habe“, lallte Quinn und blies Julian dabei seinen schalen Atem ins Gesicht.

Grundgütiger. Quinn stank tatsächlich – eine Mischung aus Alkohol, ranzigem Schweiß und schmutzigen Kleidern. Außerdem musste er auf dem Heimweg zu guter Letzt noch in den Schlamm gefallen sein.

„Du hast mich gesehen“, verkündete Lucretia, die inzwischen ebenfalls aus der Kutsche gestiegen war. Sie mochte einen Kopf kleiner sein als sie beide, aber ihre Miene stand der einer strengen Kinderfrau, die drauf und dran war, ihren Schützlingen eine Gardinenpredigt zu halten, in nichts nach. „Messalina braucht unsere Hilfe.“

Dümmlich blinzelte Quinn sie an. Wie lange war er schon in diesem Zustand?

Julian seufzte. „Einen Moment, Schwester.“

Er gab einem der Bediensteten mit einem Kinnrucken zu verstehen, dass er ihm helfen sollte, woraufhin dieser von der Kutsche kletterte. Sowohl Julian als auch der Bedienstete schlangen sich je einen von Quinns Armen um die Schultern, und zusammen schleiften sie ihn ins Haus, einen dunklen Gang entlang bis zur Küche. Julians Diener Vanderberg, der gerade in ein offenbar amüsantes Gespräch mit der Köchin Mrs. McBride vertieft gewesen war, hob überrascht den Kopf.

Vanderberg war ein kleiner Mann – er maß kaum fünf Fuß –, doch er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug, der seinen Goldschopf und seine helle Haut bestens zur Geltung brachte. Der Diener war schon bei Julian, seit sie beide noch Jugendliche gewesen waren, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, dass er sich mit einem so armseligen Gehalt zufriedengab.

Vanderberg sprang auf und setzte eine stoisch dienstbeflissene Miene auf, die in starkem Kontrast dazu stand, wie er sich verhielt, wenn er mit Julian allein war. „Mr. Greycourt! Ich hatte keine Ahnung, dass Sie schon zurück sind. Und das in diesem Zustand.“

Nur schlecht verhohlenes Entsetzen zeigte sich in dem Blick, mit dem er Julians Frisur betrachtete.

„Wem sagst du das“, kommentierte Julian knapp, da er im Augenblick schlicht und einfach keine Zeit für Vanderbergs Zartgefühl hatte. „Hol uns einen Eimer Wasser.“

Der Diener öffnete den Mund, klappte ihn dann jedoch wieder zu und wandte sich ab. In der Ecke der Küche stand eine irdene Zisterne, und rasch füllte Vanderberg einen Eimer mit Wasser und brachte ihn zu seinem Herrn.

Mit dem Kinn wies Julian in Quinns Richtung. „Drüberkippen.“

Vanderberg ließ eine Braue in die Höhe schnellen, tat jedoch wie geheißen und schüttete Quinn den gesamten Inhalt des Eimers über den Kopf.

Hustend und spuckend fuhr Quinn hoch. „Was? Wa…?“

„Badet ihn und macht ihn vorzeigbar“, befahl Julian den Dienstboten, bevor er sich an Lucretia wandte. „Trink eine Tasse Tee, ich bin in einer halben Stunde fertig.“

Er wartete ihre Antwort nicht ab, verließ die Küche und eilte den Korridor entlang, Vanderberg dicht auf den Fersen, der in Laufschritt verfallen musste, um mitzuhalten. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief Julian die Treppe hinauf, wobei er darauf achtete, das Geländer nicht anzurühren – es hatte die Angewohnheit, einfach abzubrechen.

„Pack meine Sachen!“, rief er Vanderberg zu, als sie seine Gemächer erreicht hatten.

Julian ignorierte das unwillige Murmeln seines Dieners und zog sich Mantel und Hemd aus.

Hinter ihm fiel etwas klappernd zu Boden.

„Sag es nicht“, knurrte er und goss Wasser aus einem Krug in eine Schüssel, um sich zu waschen.

„Aber, Sir, Ihr Rücken“, protestierte Vanderberg.

Impertinenter Mann. Julian achtete nicht weiter auf ihn, während er sich mit einem Stofflappen und kaltem Wasser abrieb. Dann streifte er ein frisches Batisthemd über und kleidete sich, so schnell er konnte, in einen silbergrauen Anzug. Als er sich schließlich umdrehte, stellte er erleichtert fest, dass Vanderberg mittlerweile bereits mehrere Truhen gepackt hatte.

„Darf ich Ihnen wenigstens das Haar frisieren?“ Es klang gekränkt.

Julian setzte sich auf einen Hocker und ließ zu, dass Vanderberg sein langes welliges Haar ausbürstete und zu einem festen Zopf flocht. Schließlich band er eine schwarze Schleife darum.

Vanderberg trat einen Schritt zurück und musterte Julian. „So gut es in dieser Eile eben geht.“

„Das ist schon in Ordnung“, entgegnete Julian. „Lass dir vom Kutscher mit den Truhen helfen.“

Unten fand er Lucretia vor, die eines der verstaubten Bücherregale in der Bibliothek betrachtete, eine Tasse Tee in einer, ein Stück Kümmelkuchen in der anderen Hand. „In zehn Minuten fahren wir ab. Steig schon mal in die Kutsche.“

Sie seufzte. „In diesem Fall brauche ich noch ein Stück Kuchen.“

Er machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten, sondern ging stattdessen zurück zur Küche.

Quinn schien kein bisschen nüchterner zu sein, aber wenigstens wirkte er sauber. Aus seinen blutunterlaufenen grauen Augen sah er Julian an, als dieser eintrat. „Wohin wollen wir denn?“

„London“, erwiderte Julian knapp und nahm seinen Bruder ein weiteres Mal am Arm, woraufhin ihm der Bedienstete von vorhin wieder zu Hilfe ging.

„Warum?“, lallte Quinn.

„Darum“, knurrte Julian, während sie sich mühsam Richtung Haustür bewegten. „Wir müssen Augustus aufhalten, was auch immer er vorhat.“

Der Himmel weinte am Tag seiner Hochzeit, aber wenigstens tat es die Braut nicht, wie Gideon am nächsten Vormittag feststellte.

Das Trommeln des Regens, der gegen die Fensterscheiben schlug, untermalte das monotone Leiern des Pfarrers. Des in letzter Minute in Kenntnis gesetzten Pfarrers. Gideon musterte ihn und fragte sich, welches Druckmittel der Duke wohl eingesetzt hatte, um sich sowohl den Kirchenmann als auch eine Sonderlizenz der Kirche zu sichern. Vermutlich war es eine Erpressung gewesen in Anbetracht der Tatsache, wie nervös der Pfarrer den Alten immer wieder musterte. Fast hätte er Gideon leidgetan – wenn er denn jemals Zeit oder irgendwelche Gefühlsregungen auf einen Aristokraten verschwenden würde.

Er verscheuchte die Gedanken an den Pfarrer und dessen missliche Lage und betrachtete stattdessen den Duke. Windemere machte ganz den Anschein eines gutmütigen Onkels, und dunkles Vergnügen leuchtete in seinem Blick.

Am vergangenen Abend war der Alte fest entschlossen gewesen, sie so schnell wie möglich miteinander zu verheiraten. Es hatte Gideon eine halbe Stunde Überredungskunst gekostet, bis der Duke schließlich eingewilligt hatte, wenigstens bis zum Morgen zu warten. Wie die Dinge standen, gab es nur Messalinas Zofe und den Butler von Windemere House, die als Zeugen anwesend sein konnten. Nun ja, und Keys, doch den würde niemand als Zeuge ernst nehmen. Der Junge drückte sich in einer Ecke herum.

Endlich sah Gideon seine Braut an. Messalina trug ein dunkelgraues Kleid, das zu den Schatten unter ihren Augen passte. Sie war blass vor Erschöpfung und hatte die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Ihr dunkles Haar war zu einem strengen, wenig schmeichelhaften Knoten zurückgebunden.

Trotzdem wollte er sie, er wollte sie so sehr, dass er es als ein Ziehen im Bauch spürte.

Sie fing seinen Blick auf und funkelte ihn zornig an, woraufhin er am liebsten gelacht hätte. Was jedoch nicht sonderlich klug gewesen wäre – nicht nur, weil es sie provoziert, sondern auch, weil es dem Duke seine Stimmungslage enthüllt hätte.

Es war ein gefährliches Unterfangen. Er stahl dem Duke seine Nichte. Windemere war ein Mann, der Kontrolle mochte – einer der Gründe, warum Gideon nicht länger in seinen Diensten stehen wollte.

Wenn ihm der Alte irgendetwas anderes – oder irgendjemand anderen – angeboten hätte, wäre Gideon jetzt ein freier Mann gewesen.

Genau das war der Punkt: Messalina war seine Schwäche. Auf keinen Fall hätte er sie gehen lassen können.

Murmelnd erklärte der Pfarrer sie zu Mann und Frau, woraufhin der Alte leise lachte. „Herzlichen Glückwunsch, Liebes. Was für eine vorteilhafte Verbindung du doch eingegangen bist.“ Er fing Gideons stechenden Blick auf und wandte sich hüstelnd an den Pfarrer. „Wollen wir diesen Anlass mit einem Hochzeitsfrühstück feiern? Ich habe die Köchin angewiesen, ein paar angemessene Erfrischungen vorzubereiten.“

Der Duke schlenderte aus dem Raum, und der Butler eilte voran, um ihm die Türen zu öffnen. Der Pfarrer folgte deutlich langsamer. Als sich Gideon an Messalina wandte und sie am Ellbogen berührte, sah er kurz in Keys’ Richtung. Der junge Mann richtete sich auf und nickte.

Gideon verbiss sich ein Grinsen. Keys stand nun seit drei Jahren in seinen Diensten, und trotz seiner nachlässigen Kleidung war er in der Art, wie er Gideons Anweisungen befolgte, tadellos. Während er Messalina aus dem Raum führte, sah er aus dem Augenwinkel, wie Keys ihre Zofe aufhielt – sehr zu deren Missfallen, wie es schien.

Dann war Gideon auch schon durch die Tür und im Korridor. Er ging mit seiner Frau – seiner Frau – hinter dem Alten her ins Frühstückszimmer. Der lange ebenholzschwarze Tisch war bereits mit einem Festmahl gedeckt, von dem gut ein Dutzend hungriger Männer satt geworden wären.

Der Duke saß am Kopf der Tafel und schnippte ungeduldig mit den Fingern, damit ihm ein Dienstbote Wein brachte, während Gideon einen Stuhl für Messalina zurechtrückte.

Der Alte trank mit großen Schlucken, während die Gläser der anderen erst gefüllt wurden, dann hob er eine Hand, damit ihm nachgeschenkt wurde. „Auf das glückliche Paar!“

„Und ob, und ob“, murmelte der Pfarrer und leerte sein eigenes Glas in einem Zug.

Messalina presste nur die Lippen aufeinander.

Trotz der vor ihnen ausgebreiteten Delikatessen aß seine Braut kaum etwas, was ihr Onkel allerdings mehr als wettmachte. Gierig brach er einen Rinderknochen auf, um an das Mark darin heranzukommen. Gideon ließ sowohl den Alten als auch Messalina nicht aus den Augen, und als sich der Duke schließlich von der Tafel erhob, stand auch er selbst rasch auf.

Er verbeugte sich vor dem Duke und dem Pfarrer. „Meine Frau scheint erschöpft zu sein. Ich werde sie nun in unsere Gemächer begleiten, damit sie sich etwas ausruhen kann.“

Was wie vorhergesehen ein anzügliches Grinsen vonseiten des Alten zur Folge hatte. „Natürlich wollen Sie so schnell wie möglich mit meiner Nichte allein sein, was, Hawthorne? Man sagt, dass bei Angehörigen der Unterklasse die tierischen Triebe stärker ausgebildet sind.“ Er heftete den Blick auf Messalina. „Was du, wie ich annehme, gleich selbst herausfinden wirst, nicht wahr, Liebes?“

Messalina ließ sich nicht anmerken, ob sie ihren Onkel gehört oder auch nur wahrgenommen hatte, stattdessen legte sie eine Hand auf Gideons dargebotenen Arm.

Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Gideon schon, der Duke würde seine Nichte zwingen, ihn zur Kenntnis zu nehmen, doch wie es schien, hatte das schwere Mahl ihn milde gestimmt. Der Alte entließ sie nur mit einer trägen Handbewegung.

Gideon schlenderte mit Messalina am Arm hinaus und auf die Treppe zu.

Messalina runzelte die Stirn. „Hier geht es nicht zu meinen Gemächern.“

„Nicht zu deinen alten Gemächern, nein.“

Sie sah sich um, dann fragte sie: „Wohin bringen Sie mich?“

Er sah sie an und konnte es sich nicht verkneifen, ihr zuzuzwinkern. „In deine neuen Gemächer.“

Sie sah noch immer besorgt aus, protestierte jedoch nicht.

Sie verließen das Haus durch die Hintertür, durchquerten einen schlecht gepflegten Garten und traten durch ein Tor auf das Gelände der Stallungen hinaus.

Wo seine Kutsche wartete. Daneben stand Keys.

Gideon sah ihn an. „Hast du alles?“

Keys schnaubte. „Nich mal die Hälfte, Guv, aber das Wichtigste, sagt jedenfalls die Zofe.“

Er öffnete den Kutschenschlag.

Messalina starrte ihn an. „Was …?“

„Oh, Miss!“, rief Bartlett aus der Kutsche. Das Gesicht der Frau war rot vor Empörung. „Ich wusste nicht, was ich tun soll. Dieser junge Kerl da behauptet, es wäre ein Befehl von Mr. Hawthorne, dass …“

Dafür hatten sie jetzt keine Zeit.

Autor

Elizabeth Hoyt
Elizabeth Hoyt zählt zu den US-amerikanischen Bestseller-Autoren der New York Times für historische Romane. Ihren ersten Roman der Princess-Trilogie „Die Schöne mit der Maske“ veröffentlichte sie im Jahr 2006, seitdem folgten zwölf weitere Romane. Gern versetzt die erfolgreiche Schriftstellerin ihre Romanfiguren in das georgianische Zeitalter. Nachdem ihre beiden Kinder zum...
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