Krone aus Gold - Herz aus Rubin?

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Er ist ein auffallend schöner Mann: Abgelenkt arbeitet die junge Künstlerin Indigo am offiziellen Porträt Seiner Hoheit Istvan von Rydiania. Warum muss sie ausgerechnet jetzt an die Legende des Rubinherzens denken? Staunend standen sie und Istvan vor dem tiefroten, funkelnden Juwel, das in einer Glasvitrine ausgestellt war und einem Paar angeblich ewige Liebe verspricht! Dabei hat ihr Vater sie doch eindringlich vor dem Kronprinzen und seiner Familie gewarnt. Eine Warnung, die Indigo komplett vergisst, als sie auf einmal Istvans hungrige Lippen auf ihrem Mund spürt …


  • Erscheinungstag 27.06.2023
  • Bandnummer 132023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518635
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ein Prinz.

Ein echter, äußerst sexy aussehender königlicher Prinz!

Indigo Castellanos schluckte schwer. Sie konnte kaum glauben, dass sie vorhin wirklich Prinz Istvan von Rydiania getroffen und ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte. Sie wollte nicht beeindruckt sein, aber sie konnte nicht leugnen, dass seine hypnotisch blauen Augen und sein tief gebräuntes Gesicht sie fasziniert hatten.

Und dieser maskuline, kraftvolle Körper …

Sie hätte nicht im Traum damit gerechnet, dass sie sich tatsächlich begegnen würden. Schon als sie die Anstellung als Künstlerin im Ludus Resort angenommen hatte, wusste sie, dass der Prinz enge Verbindungen zu dieser Privatinsel hatte. Aber es war eine große Anlage – groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen.

Sicher, hier fand auch die berühmte königliche Regatta statt, aber Indigo hatte angenommen, der Prinz wäre zu beschäftigt, um persönlich daran teilzunehmen. Und wenn er doch auftauchte, würde er doch bestimmt nicht wie ein gewöhnlicher Gast durch das Resort schlendern.

Doch genau so war es gewesen, und sie hatte kein Wort herausgebracht. Sie hatte sofort gewusst, dass sie sich in diesen tiefgründigen Augen rettungslos verlieren könnte.

Nein! Sie schüttelte sich innerlich.

Seine Anziehungskraft auf sie war ohne Bedeutung. Viel wichtiger war die Tatsache, dass der Prinz aus derselben Familie stammte, die ihren Vater aus seinem Heimatland vertrieben hatte. Das bekam Indigo nicht mehr aus dem Kopf.

Nachdenklich betrachtete sie ihre rot lackierten Zehennägel und vergrub sie im warmen Sand.

„Sitzt sie in der richtigen Position?“

Die Frauenstimme riss Indigo aus ihren Gedanken. Sie konzentrierte sich und lächelte die kleine Tochter ihrer Kundin an. Das Mädchen saß auf einem gepolsterten Hocker.

„Ähm, ja. Warum?“

„Weil Sie die Stirn gerunzelt haben.“ Die Mutter verzog das Gesicht.

„Entschuldigen Sie, die Sonne hatte mich kurz geblendet“, erklärte Indigo. „Nein, alles in Ordnung, Ihre Tochter ist perfekt.“ Sie bemühte sich, die Karikatur der Kleinen fertig zu zeichnen.

Ohne zufriedene Kunden kein Job. Sie war so dankbar dafür. Immerhin machte er es möglich, dass sie sich gut um ihre kranke Mutter kümmern und die Arztrechnungen bezahlen konnte.

Ihre Kunst hatte sie durch die schwersten Zeiten in ihrem Leben begleitet, vom plötzlichen Tod ihres Vaters bis hin zum Zusammenbruch ihrer Mutter. Während manche Menschen ein privilegiertes Leben führten – wie zum Beispiel der umwerfend attraktive Prinz Istvan –, hatten andere eben nicht so viel Glück.

Nichtsdestotrotz strebte Indigo nach einem besseren Leben, und sie glaubte fest daran, dass sie es erreichen würde. Sie musste nur weiter entschlossen dafür arbeiten.

Minuten später war sie mit der Karikatur des Mädchens fertig und löste das Papier vorsichtig von ihrer Staffelei. Sie reichte es der Mutter, die schweigend Indigos Arbeit betrachtete. Dann hielt sie es ihrer neunjährigen Tochter hin und fragte sie nach ihrer Meinung. Die Augen des Mädchens weiteten sich, und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Mehr brauchte es nicht, um Indigo den Tag zu retten.

Was hatte ihr Vater immer gesagt? Es sind die kleinen Dinge im Leben, in denen man die größte Bestätigung findet.

„Warte, bis ich das meinen Freunden zeige“, jubelte das Mädchen.

„Was sagt man da?“, fragte die Mutter.

Die Kleine wandte ihre Aufmerksamkeit Indigo zu. „Danke sehr.“

„Gern geschehen.“ In diesem Moment spielte es keine Rolle, dass Indigo keine großen Kunstwerke, sondern bloß lustige Skizzen anfertigte. Das Einzige, was zählte, war, dass sie dem Mädchen eine Freude gemacht hatte.

„Darf ich es mal sehen?“, erkundigte sich eine männliche Stimme.

Indigo drehte den Kopf und blickte überrascht ins Gesicht des gut aussehenden Prinzen. Ihr Herz begann zu klopfen. Unglaublich: Es war schon das zweite Mal, dass sie sich zufällig begegneten.

„Oh.“ Die Mutter presste sich eine flache Hand an die Brust. „Eure Hoheit.“ Sie machte eine tiefe Verbeugung.

Die Augen des Mädchens füllten sich mit Verwirrung, als ihr Blick zwischen ihrer Mutter und Prinz Istvan hin und her wanderte. Dann gab ihre Mutter ihr ein Zeichen, und die Kleine machte einen Knicks.

Indigo überlegte, ob er hier war, um die Mutter zu treffen. Hatten sie irgendetwas miteinander zu tun? Denn um Indigo selbst konnte es nicht gehen. Auf gar keinen Fall. Die Königsfamilie und die Castellanos kamen nicht mehr zusammen. So stand es im königlichen Erlass.

Die Erinnerung daran ließ sie mit den Zähnen knirschen. Und sie weigerte sich, sich vor ihm zu verbeugen.

Allerdings sollte sie etwas sagen, aber ihr Mund war staubtrocken. Die Worte blieben ihr im Hals stecken, und ihr Herz hämmerte unkontrolliert. Was war nur los mit ihr?

Der Prinz wandte seine Aufmerksamkeit der Zeichnung zu. „Das ist fabelhaft. Und wer ist wohl die hübsche junge Frau auf dem Bild?“

„Das bin ich“, sagte das Mädchen stolz.

Konzentriert begutachtete er das Kunstwerk, dann reichte er es dem Kind zurück. „Du hast Glück, dass du so eine tolle Zeichnung von dir hast. Einen schönen Tag wünsche ich euch noch.“

Mutter und Tochter knicksten erneut. Dann griff die Mutter in ihre leuchtend orange-weiße Strandtasche, holte ihr Handy heraus und bat den Prinzen um ein Selfie mit ihm. Obwohl er für das Foto lächelte, bemerkte Indigo, dass er angespannt wirkte.

Nachdem sich die Frau wiederholt bei ihm bedankt hatte, wandte sie sich an Indigo.

„Wie viel schulde ich Ihnen?“

„Nichts“, sagte Indigo. „Das ist ein Service des Resorts.“

„Ach so.“ Sie ließ ihr Telefon in ihre Tasche fallen. „Dann vielen Dank.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Prinzen und machte erneut einen Knicks.

Indigo fragte sich, ob sie neulich auch so lächerlich ausgesehen hatte, als sie den Prinzen zum ersten Mal getroffen hatte. Sie war immerhin völlig überrumpelt gewesen.

Sie erwartete, dass er einfach weitergehen würde, aber das tat er nicht. „So sieht man sich wieder“, bemerkte er mit rauer Stimme.

Mühsam schluckte sie. „Eure Hoheit.“

Um ehrlich zu sein, wusste sie nicht, was sie ihm erwidern sollte. Er wollte sicher nichts von dem hören, was sie über ihn oder seine Familie zu sagen hatte – darüber, wie kalt und gefühllos sie alle waren und wen sie schon alles im Namen der Krone zutiefst verletzt hatten. Nein, es war das Beste, dieses Thema nicht anzusprechen. Das wäre höchst unprofessionell.

Sie starrte auf das leere Blatt vor sich, doch sie konnte den Blick des Prinzen auf sich spüren. Was er wohl gerade dachte? Hatte er sie überhaupt wiedererkannt?

Unmöglich. Damals – bei der Flucht ihrer Familie aus Rydiania – war sie noch ein kleines Kind gewesen, verängstigt und verwirrt. Sie hatte keine Ahnung gehabt, warum sie ihre Heimat verlassen mussten, um nach Griechenland zu ziehen, in ein Land, in dem sie noch nie gewesen war und wo sie keinen einzigen Menschen kannte.

„Soll ich mich hier hinsetzen?“ Die tiefe Stimme von Prinz Istvan riss sie aus ihren trüben Gedanken.

„Wenn Sie es wünschen.“ Mühsam vermied sie es, auf seine gebräunte Brust zu starren, und blickte ihn vorsichtshalber kaum an. Obwohl es eine große Versuchung war. Wirklich sehr verlockend. Stattdessen fummelte sie mit dem leeren Blatt Papier auf ihrer Staffelei herum und tat so, als würde sie es begradigen.

Was wollte er hier? Sicherlich nicht mit ihr flirten, weil sie in seiner königlichen Welt nämlich absolut keinen Platz hatte! Was aber sollte dieser Auftritt?

Die Neugier übermannte sie schließlich. „Kann ich etwas für Sie tun?“

Istvan lächelte sie an, aber in seinen Augen lag ein nachdenklicher Ausdruck. Als würde etwas an ihm nagen, das er nicht mit ihr teilen wollte. Doch was könnte einem Prinzen wohl dermaßen schwer auf der Seele liegen?

„Ich möchte, dass Sie mich zeichnen.“

Dann verschränkte er seine Arme über der perfekt geformten Brust.

Oh, Mann! Der Atem stockte ihr in der Brust, als sie einen Anblick seines durchtrainierten Körpers in sich aufnahm. Ob er seine gesamte freie Zeit im Fitnessstudio verbrachte?

Denn es war unmöglich, dass jemand so gut aussah wie er, ohne hart dafür zu arbeiten.

Ihr Blick glitt über die Muskeln an seinen Armen hinunter und zu seinem Sixpack und blieb am Bund seiner blau-weißen Boardshorts hängen. Erst da wurde ihr klar, dass sie ihn nicht anstarren sollte.

„Wäre das ein Problem?“ Seine Stimme lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sein Gesicht.

Als sie ihm dieses Mal in die Augen sah, bemerkte sie einen Hauch von Belustigung darin. Sie fühlte sich ertappt und spürte, wie ihr brennende Hitze am Hals hinaufstieg und langsam ihr Gesicht überzog. Wenn sie ihren Job behalten wollte, musste sie sich dringend zusammenreißen!

Indigo holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. „Sie haben doch sicher Wichtigeres zu tun, als sich von mir skizzieren zu lassen.“

„Ich bin genau da, wo ich sein will. Also bitte, zeichnen Sie mich!“

Noch zögerte sie. Wäre er jemand anderes als ein Mitglied der rydianischen Königsfamilie, hätte sie die Gelegenheit sofort beim Schopf gepackt, diesen prachtvollen maskulinen Körper zu Papier zu bringen.

Doch sie war mit Geschichten darüber aufgewachsen, dass man der königlichen Familie nicht über den Weg trauen dürfe, weil sie die Krone über alles und jeden stellte. Ihr eigener Vater war nie mehr derselbe gewesen, nachdem der frühere König Georgios und dessen Diener aus dem Königreich vertrieben worden waren.

Ein herzloser Akt voller Machtgier.

„Gibt es ein Problem?“ Der Gesichtsausdruck des Prinzen war wachsam.

Wenn Indigo nicht die Wahrheit aufdecken und ihre neue Arbeitsstelle im Ludus Resort gefährden wollte, sollte sie sich besser an die Arbeit machen. Sie musste einfach nur so tun, als wäre er ein Gast wie jeder andere. Nur leider war sie keine gute Schauspielerin.

„Ich glaube nicht, dass meine Skizze Ihnen gerecht werden würde“, sagte sie und schluckte.

Er zog eine Braue hoch. „Weigern Sie sich etwa?“

Darüber hatte sie ernsthaft nachgedacht. Wie oft war Prinz Istvan schon etwas verweigert worden, was er wollte? Wahrscheinlich nie. Wie gerne wäre sie die Erste! Aber so leichtsinnig durfte sie nicht sein.

„Natürlich nicht“, versicherte sie und griff nach ihren Malutensilien. „Ich möchte nur zu verstehen geben, dass es kein konservatives, traditionelles Porträt sein wird.“

„Das ist mir bewusst. Tun Sie einfach so, als wäre ich irgendein beliebiger Passant.“

Er ließ sich auf dem Hocker nieder, während sich seine Sicherheitsleute um ihn herum verteilten.

Dieser Mann war definitiv kein gewöhnlicher Mensch, nicht einmal annähernd. Und doch hatte er keine Ahnung, wer sie war oder auf welche Weise seine Familie die ihre zerstört hatte.

Kurz dachte sie daran, es ihm mitzuteilen, aber was würde das bewirken?

Als sie ihre Hand zum Blatt hob, bemerkte sie das leichte Zittern ihrer Hände. Je eher sie die Skizze fertigstellte, desto eher würde der Prinz weiterziehen. Also setzte sie den Pinselstift an und machte sich an die Arbeit.

Dabei war sie gezwungen, Istvan immer wieder anzusehen. Ihre Finger kribbelten vor der Versuchung, in seine dunklen, weichen Locken zu greifen, die an den Seiten und am Hinterkopf kurz geschoren waren. Sein gebräuntes Gesicht hatte ein aristokratisches Aussehen, mit einer geraden Nase, die weder zu groß noch zu klein war. Dunkle Brauen betonten seine intensiven blauen Augen mit den langen dunklen Wimpern. Ein kurz getrimmter Bart, der an den Stil der Musketiere erinnerte, umrahmte seine sinnlichen Lippen.

Für ihre Aufgabe musste sie jedes winzige Detail seiner Person in sich aufnehmen und zu Papier bringen, was ihr normalerweise nicht schwerfiel. Aber den Prinzen zu skizzieren, könnte die größte Herausforderung ihrer Karriere werden, denn ihr Herz raste vor Aufregung, und ihre Finger weigerten sich, ihr zu gehorchen.

Sie warf einen kurzen Blick auf die fein gekleideten Männer mit kräftigen Bizepsen und dunklen Sonnenbrillen. Sie standen mit dem Rücken zu Istvan und Indigo, als wollten sie ihnen etwas Privatsphäre geben und sie gleichzeitig vor dem Rest der Welt schützen.

„Machen Sie sich keine Gedanken um meine Leute“, riet ihr Prinz Istvan, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Sie sind hier, um dafür zu sorgen, dass es keine unerwünschten Störungen gibt.“

Indigo bewegte den schwarzen Pinselstift immer wieder über das Blatt. Und nach einer Weile war es wirklich ein Vergnügen, den Prinzen mit seinem kräftigen Kiefer und dem festen Kinn zu skizzieren. Und dann war da noch dieses kleine Grübchen auf seiner linken Wange.

Unter anderen Umständen würde sie bereitwillig zugeben, dass er der schönste Mann war, den sie je gezeichnet hatte. Aber sie weigerte sich, sich das ernsthaft einzugestehen – nicht bei einem Mitglied der rydianischen Königsfamilie!

Prinz Istvan hatte zwar persönlich nichts mit der Entlassung ihres Vaters aus seinem lebenslangen Dienst in der königlichen Familie oder der anschließenden Verbannung aus dem Land zu tun. Dennoch war Istvan einer von ihnen und dazu erzogen worden, genau wie die gefühllosen Royals zu agieren, die ihre Familie zerstört hatten.

„Dauert es lange, eine Skizze anzufertigen?“ Seine sanfte, volle Stimme unterbrach ihre Gedanken.

„Nein.“

„Wie lange normalerweise?“

Sie war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte, dass er sich die Mühe machte, einen Small Talk zu beginnen. „Fünf bis zehn Minuten. Das hängt davon ab, wie viel Detailarbeit ich einbringe.“

„Das ist erstaunlich. Ich würde doppelt so lange brauchen, um ein Strichmännchen zu zeichnen.“ Er schenkte ihr ein freundliches Lächeln, das seine tiefblauen Augen zum Glitzern brachte.

Sie ignorierte, wie sich ihr Magen zusammenzog, und konzentrierte sich wieder auf die Zeichnung. Warum musste ausgerechnet er der Prinz aus Rydiania sein? Warum konnte er nicht einfach ein beliebiger Gast des Resorts sein?

Ein Seufzer drang aus ihrer Kehle, und Indigo schluckte ihn schnell herunter. Ihre Aufgabe bei einer Karikatur war es, bestimmte Merkmale zu übertreiben. Sie entschied sich dafür, sein Kinn zu verlängern und seine makellosen weißen Vorderzähne zu betonen. Sein Haar war perfekt gestylt, als ob keine einzige Strähne es wagen würde, dem Prinzen zu trotzen. Das änderte sie, indem sie sein Haar etwas länger und unordentlicher zeichnete. Und dann nahm sie sich noch ein wenig mehr kreative Freiheit und fügte eine Krone hinzu, die ihm seitlich vom Kopf fiel.

Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Das war definitiv kein Bild eines richtigen Prinzen. Dieser Mann auf dem Papier nahm sich selbst nicht zu ernst und würde niemals den Untergang von unschuldigen, loyalen Untertanen befürworten.

Wenn sie ihn betrachtete, war es, als könne er durch sie hindurchsehen. Sie fragte sich, was ihm dabei wohl durch den Kopf ging. Wahrscheinlich sah er nichts weiter als jemanden, der ihm zu Diensten war.

Indigo arbeitete sich weiter durch die Farben, und Istvan wurde durch sein Telefon abgelenkt. Da seine Aufmerksamkeit woanders lag, war es für sie einfacher, ihre Aufgabe zu beenden.

„Wie ich sehe, haben Sie sich für eine Karikatur entschieden“, sagte eine weibliche Stimme.

Erschrocken hielt Indigo inne und sah über ihre Schulter ihre Chefin auf sich zukommen. Hermione lächelte den Prinzen herzlich an, so als hätte sie eine besondere Schwäche für ihn. Aber andererseits trug Hermione jetzt einen großen, funkelnden Diamantring. Und ihr Verlobter war – das wusste Indigo – fast genauso gut aussehend wie Istvan.

Hermione und der Prinz plauderten miteinander, während Indigo die Skizze mit weiteren Details ergänzte. Irgendwann lehnte sie sich zurück, um ihr Werk zu betrachten. Sie war selbst überrascht. Es gab keinen einzigen negativen Aspekt an der Zeichnung. Wie konnte das sein?

Kein Makel, der zu übertrieben wäre. Keine hervorstehenden großen Vorderzähne. Keine knollige Nase. Kein spitzes Kinn. Nichts als schöne Konturen, die auf dem Papier zu einer etwas neckischen Karikatur geworden waren. Und die Krone, die sie ihm verpasst hatte, um ihn wie einen sorglosen Monarchen aussehen zu lassen, wirkte eher keck und niedlich.

Während Hermione sich verabschiedete, grübelte Indigo immer noch über das Bild nach, das keine ihrer üblichen Frechheiten aufwies. Hatte sie Istvan wirklich so gesehen? Wie einen lustigen, unbekümmerten und freundlichen König?

Nun, momentan war er nur der Thronfolger. Doch irgendwann würde er anfangen, zu tun, was die Generationen vor ihm auch getan hatten: geliebte Menschen und deren Familienangehörige mit Füßen treten – zum Wohle der Krone.

Hatte er etwas Besseres mit seiner Zeit anzufangen? Definitiv.

Interessierten ihn die zahllosen Nachrichten auf seinem Telefon? Nein.

Prinz Istvan hob den Kopf und starrte auf den Scheitel der jungen Frau, die hinter der Staffelei arbeitete. Er beugte sich zur Seite, um einen besseren Blick auf sie zu haben. Ihr langes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der ihr über die Schulter fiel. Und er verspürte das Verlangen, mit den Fingern durch die dunklen, seidigen Strähnen zu kämmen.

Sein Blick fiel auf ihr goldenes Namensschild. Indigo. So ein hübscher Name für jemanden, der so auffallend schön war.

Seine Aufmerksamkeit kehrte zu ihrem Gesicht zurück. Zwischen ihren feinen Brauen bildeten sich Linien, während sie sich konzentrierte. Eine kleine Stupsnase über herzförmigen Lippen, die aussahen, als ob sie geküsst werden wollten. Das war eine so verlockende Vorstellung.

In diesem Moment sah sie hoch. Ihre Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen, was ein warmes Gefühl in seiner Brust auslöste. Wusste sie, dass er gerade davon geträumt hatte, sie in seine Arme zu ziehen?

Ohne ein Wort zu verlieren, arbeitete sie weiter.

Sie hatte etwas an sich, das ihm das Gefühl gab, als kannten sie sich von irgendwoher. Doch ihre Wege konnten sich bisher nicht gekreuzt haben, daran hätte er sich erinnert. Sie hatte eine unvergessliche natürliche Schönheit an sich, von ihren großen braunen Augen mit goldenen Flecken, die sie zum Funkeln brachten, bis zu ihrer kecken Nase und ihren üppigen Lippen.

Aber er hatte keine Zeit, sich davon ablenken zu lassen. Zu Hause warteten Probleme auf ihn. Sein Vater war an einem Punkt angelangt, an dem seine Gesundheit ihn zwang, als Herrscher abzutreten. Von Istvan wurde erwartet, dass er in Vorbereitung auf die Machtübergabe immer mehr königliche Pflichten übernahm.

Das Problem war: Je mehr Verantwortung er übernahm, desto unglücklicher wurde er. Es war nicht die Arbeit, die er nicht mochte, sondern dass ihm Zeit für seine Lieblingsprojekte fehlte. Er hatte Arts for Children, Homes for All und sein größtes Projekt We Care – eine Stiftung zur Unterstützung kranker Kinder und ihrer Familien – unter seine Fittiche genommen. Alle diese Projekte waren extrem wichtig und brauchten mehr Aufmerksamkeit, als er ihnen nach seiner Thronbesteigung schenken konnte.

Weil sein Name untrennbar mit den Wohltätigkeitsorganisationen verbunden war, meldeten sich immer mehr Menschen, um zu helfen und ihre Zeit, ihre Energie und ihr Geld zu investieren. Wenn er sich jetzt zurückzog, wäre die Zukunft der Stiftungen gefährdet, da sie nicht mehr als königliche Wohltätigkeitsorganisationen anerkannt wären.

Und wenn er ehrlich war, wollte er das alles nicht aufgeben. Die Stiftungen brachten ihn auf eine besondere Weise in direkten Kontakt mit den Menschen seines Königreichs, die er nie kennengelernt hätte, wenn er zurückgezogen im Palast geblieben wäre. Wie sollte er ein Land regieren, wenn er nicht wusste, was den Menschen dieses Landes wichtig war?

Er hatte erkannt, dass die Vorstellungen seiner Familie hoffnungslos veraltet waren. Eine ernüchternde Offenbarung, die er mit niemandem zu teilen wagte.

Was war nur los mit ihm? Er sollte es genießen, ganz oben angekommen zu sein, aber je näher der Tag seiner Krönung rückte, desto mehr zog er sich von seiner Familie zurück.

Ob es seinem Onkel ähnlich ergangen war, bevor dieser auf den Thron verzichtet hatte? Nicht, dass Istvan mit demselben Gedanken spielte. Er war noch jung gewesen, als es passiert war, aber er erinnerte sich deutlich an den Aufruhr, den dieser Rücktritt in seiner Familie ausgelöst hatte. Das durfte sich nicht wiederholen.

Sein Telefon klingelte, und er holte es aus seiner Tasche. Es war seine älteste Schwester Gisella, und er ahnte bereits, was sie beschäftigte: königliche Angelegenheiten. Sie war zwar nicht die Thronfolgerin, aber das hinderte sie nicht daran, einen wichtigen Platz im Palast einzunehmen.

Wahrscheinlich wollte sie ihn ermahnen, weil er irgendein Treffen verpasst hatte. Er hörte immer den missbilligenden Ton in ihrer Stimme, wenn er nicht im Palast anwesend war und sie ihn nur telefonisch erreichte.

Es war aber nicht so, dass diese Reise spontan gewesen wäre. Sie stand schon seit einem Jahr in seinem Kalender. Morgen fand das Rennen auf dem Wasser statt, und er hatte vor, es zu gewinnen. Er würde nicht zulassen, dass ihm jemand diese paar Tage der Entspannung verdarb, also drückte er das Gespräch auf seinem Telefon weg. Was auch immer sie von ihm wollte, es konnte warten.

„Wenn Sie beschäftigt sind, kann ich das auch ohne Sie zu Ende bringen.“ Die süße, melodiöse Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Istvan blinzelte und starrte die Künstlerin an. „Entschuldigen Sie bitte. Was haben Sie gesagt?“

„Dass ich diese Zeichnung auch ohne Sie fertigstellen und abliefern kann.“

„Das wird nicht nötig sein.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, um ihr zu versichern, dass alles in Ordnung war.

Sie sah ihn noch einen Moment lang an, sagte aber nichts. Zu gern hätte er gewusst, was für Gedanken sich hinter ihrer Stirn verbargen.

Einige Minuten später löste die junge Frau das weiße Papier von den Klammern an der Staffelei. Dann kam sie auf ihn zu. „Hier, bitte.“

Er nahm ihr das Bild ab. Eigentlich wusste er nicht, was er erwartet hatte. Tatsächlich erkannte er sich einen Moment lang nicht wieder. Anstatt zu lächeln, runzelte der Istvan in der Skizze die Stirn. Hatte sie ihn so gesehen?

Aber das Stirnrunzeln wurde durch die kleine Krone ausgeglichen, die an der Seite seines Kopfes herunterglitt, während seine Augen mit einem leicht verwirrten Ausdruck nach oben gerichtet waren. Er nahm die sorgfältig beobachteten Details in sich auf, von seinen blauen Augen und langen Wimpern bis hin zu den winzigen Falten in seiner vollen Unterlippe.

War sie wirklich so aufmerksam? Und außerdem in der Lage, seine Gedanken zu Papier zu bringen? Denn er hatte tatsächlich gerade darüber nachgedacht, wie unglücklich er über die Beschränkungen war, die die Krone seinem Leben auferlegen würde. Aber ein zufälliger Beobachter würde das nie bemerken.

Diese Frau war eine scharfe Beobachterin.

„Das ist bemerkenswert“, murmelte er.

Ihre feinen Brauen hoben sich kurz, als wäre sie von seinem Lob wirklich überrascht. „Ich bin froh, dass es Ihnen gefällt.“

„Und ich finde es erstaunlich, was man alles in nur wenigen Minuten verewigen kann. Ich wünschte, so etwas könnte ich auch.“

„Haben Sie es jemals versucht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich bin sicher, dass jeder Versuch, den ich unternehmen würde, eine Katastrophe wäre.“

„Das weiß man erst, wenn man es ausprobiert hat.“

Kunst war nie ein wichtiger Teil seiner Erziehung gewesen. Sein Unterricht hatte die Grundlagen von Grammatik und Mathematik umfasst, aber der Schwerpunkt hatte auf Geschichte gelegen, insbesondere auf der Geschichte Rydianias, seiner Regierung und dem Staatsbürgerkundeunterricht. In seinem vollen Terminkalender war kein Platz für Sport oder Kunst gewesen.

Er fragte sich, was er dadurch wohl alles verpasst hatte. War er vielleicht ein unentdeckter großer Pianist? Na, vermutlich nicht. Gegen das Klavier war nichts einzuwenden, aber er war nie besonders neugierig darauf gewesen. Aber vielleicht wäre er ein guter Gitarrist geworden? Leadgitarrist in einer Rockband?

Seine Eltern wären absolut entsetzt gewesen, wenn er diesen Weg hätte einschlagen wollen, das musste er mit einem Lächeln zugeben.

Indigo machte einen Schmollmund und zog die Augenbrauen zusammen. „Finden Sie diesen Vorschlag lustig?“

„Überhaupt nicht. Ich habe an die Reaktion meiner Eltern gedacht, wenn ich ihnen sagen würde, dass ich den Thron aufgebe, um etwas im künstlerischen Bereich zu machen.“

„Oh.“ Ihre üppigen Lippen glätteten sich, genau wie ihre Stirn.

„Sie würden die Idee hassen“, erklärte er.

In diesem Moment trat der Leiter seines Sicherheitsdienstes zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Seine Schwester wollte ihn unbedingt erreichen und beschwerte sich darüber, dass er nicht an sein Telefon ging.

Istvan räusperte sich. „Ich muss jetzt gehen. Aber ich möchte Ihnen für diese … interessante Zeichnung danken. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wie viel schulde ich Ihnen?“

Heiße Röte überzog ihre Wangen. „Nichts. Es ist ein Service des Resorts.“

„Aber sicherlich darf ich Ihnen Trinkgeld geben?“

Sie schüttelte den Kopf. „Danke, nein. Ich werde gut bezahlt.“

„Ich verstehe.“ Er zögerte. So eine Situation passierte ihm nie. Die meisten Menschen baten ihn um viele Dinge. Einige Wünsche konnte er erfüllen, aber es gab auch viele andere, die weit über seine Möglichkeiten hinausgingen. Aber diese schöne Frau wollte absolut nichts von ihm. Er war fasziniert.

„Sir, wir müssen los“, erinnerte ihn sein Sicherheitschef.

Selbst hier auf der Insel, weit weg von seinem Königreich, war sein Leben noch nicht sein eigenes. „Ja. Ich komme.“ Er wandte sich wieder an Indigo. „Ich möchte Ihnen ehrlich und aufrichtig für Ihre Arbeit danken. Sie ist wirklich einzigartig.“

Ihr Gesicht fühlte sich noch heißer an. „Gern geschehen.“

Ihm fiel es schwer, sich loszureißen, und er war versucht, einen Blick über die Schulter auf diese eindrucksvolle Frau zu werfen, die ihn nicht gerade wie einen Kronprinzen behandelt hatte. War sie wirklich so immun gegen seine Reize? Oder steckte mehr dahinter?

Gab es einen anderen Grund, warum sie eine spürbare Mauer zwischen ihnen errichtet hatte? Ihm blieb keine Zeit, um über die Antworten auf seine drängenden Fragen nachzudenken. Die königliche Pflicht hatte Vorrang vor allem. Angespannt griff er nach seinem Telefon und wusste – ohne hinzusehen –, dass er es mit Prinzessin Gisella zu tun hatte.

Autor

Jennifer Faye
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Greek Paradise Escape