Lady Dianas größte Versuchung

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"Werde meine Geliebte!" Bei diesem skandalösen Vorschlag steht Lady Dianas Herz fast still. Sie weiß, dass Alastair Ransleigh sich an ihr rächen will, weil sie ihn damals für den Duke of Graveston verlassen hat. Er ahnt ja nicht, dass sie zur Ehe mit dem grausamen Duke gezwungen wurde. Doch nun ist Diana verwitwet und, ja, sie will Alastairs Mätresse werden! Denn auch wenn es ein unmoralisches Arrangement ist: In seinen Armen findet sie wieder ein wenig Zuneigung, ein bisschen Zärtlichkeit - und die feurige Leidenschaft, nach der sie sich schon immer gesehnt hat …


  • Erscheinungstag 27.10.2015
  • Bandnummer 562
  • ISBN / Artikelnummer 9783733762407
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Sie war es wirklich!

Der Schock hätte kaum größer sein können, wenn direkt neben ihm eine Kanonenkugel eingeschlagen wäre. Alastair Ransleigh, der bereits mit den Dragonern Ihrer Majestät gegen Napoleon gekämpft hatte, blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen.

Auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass die große dunkelhaarige Frau, die ihm hier in Sydney Gardens von Bath entgegenkam, unmöglich Diana sein konnte, wusste er doch insgeheim, dass sie es war. Keine andere Frau bewegte sich so anmutig, beinahe schwebend. Sie schien eher zu tanzen als zu gehen.

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Alastair atmete scharf aus, unfähig, den Blick von ihr abzuwenden.

Mit genau diesen Schritten war sie bei ihrer ersten Begegnung in den Raum geschwebt und hatte dabei einen Hauch frischer Frühlingsluft mitgebracht. Es hatte Alastair überrascht, ein so entzückendes Mädchen in Mr Northcots Haus anzutreffen. Der wissbegierige Student Alastair Ransleigh hatte den Oxforder Gelehrten aufgesucht, um einige botanische Fragen zu besprechen.

Wie sich herausstellte, war die bezaubernde junge Dame die Tochter des Botanikers. Alastair hatte sich Hals über Kopf in Diana verliebt. Sie wurden ein Paar.

Die Erinnerungen übermannten ihn und hielten ihn grausam umklammert. So hingerissen wie jetzt hatte Alastair Diana auch vor achteinhalb Jahren betrachtet, als sie den Ballsaal der Coddingfords betrat. An diesem Abend wollten sie erreichen, dass Dianas Vater ihre Verlobung bekannt gab. Doch dann hatte Diana dem älteren Mann den Arm gereicht, der ihr in den Ballsaal gefolgt war. Es war der Duke of Graveston, wie Alastair bemerkte. Der Mann, den Dianas Vater den versammelten Gästen als ihren zukünftigen Ehemann vorstellte.

Irgendetwas stieß so heftig gegen Alastairs Beine, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor und abrupt in die Gegenwart zurückgeholt wurde.

„Onkel Alastair!“, rief sein sechsjähriger Neffe Robbie. Der Junge schlang die Arme um Alastairs Hüfte und hüpfte gleichzeitig auf und ab. „Seit wann bist du in Bath? Wie lange bleibst du? Bitte sag, dass du bleibst! Können wir zu Sally Lunn gehen und Kuchen essen? Und können wir meinen Freund mitnehmen?“

Alastair, der sich noch nicht vom Schock über Dianas Anblick erholt hatte, hockte sich zu Robbie nieder und umarmte ihn. Seine Hände zitterten ein wenig. Es gelang ihm kaum, den Impuls unterdrücken, in Dianas Richtung zu sehen. Er zwang sich, sich ganz auf seinen Neffen zu konzentrieren.

„Ich bin gerade erst angekommen und weiß noch nicht, wie lange ich bleiben werde. Deine Mama sagte mir, dass du mit dem Kindermädchen in Sydney Gardens bist. Also habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Natürlich werden wir Kuchen essen gehen. Wo ist dein Freund?“

Robbie wies mit dem Finger auf einen etwa gleichaltrigen Jungen, der eine Strickjacke, feste Schuhe sowie eine Hose aus Nankin-Stoff trug und jetzt scheu zu Alastair aufschaute. Die Augen unter den dunklen Locken waren tiefblau. So tiefblau wie die Augen Dianas.

Es war ein weiterer Schock für Alastair. Das Kind musste Dianas Sohn sein.

Es hätte unser Sohn sein sollen!

Ein heftiger Schmerz gepaart mit Zorn durchzuckte Alastair. Ich soll diesem Jungen ein Stück Kuchen kaufen? Lieber würde ich es einer Viper zum Fraß vorwerfen!

Gleich darauf schämte er sich für seinen Gedanken. Was auch immer zwischen ihm und Diana vorgefallen war, dieses unschuldige Kind traf keine Schuld. Dennoch fiel es Alastair schwer, sich zu beherrschen. Die Situation brach viel zu unerwartet über ihn herein. Er hatte keine Möglichkeit gehabt, sich gegen die Bitterkeit zu wappnen, die das Wiedersehen mit Diana hervorrufen musste. Er konnte nicht vergessen, wie sehr sie ihn damals gedemütigt und wie hilflos er sich gefühlt hatte.

Damals bei den Coddingfords hatte er zunächst noch an ein Missverständnis geglaubt. Er war zu ihr geeilt und hatte sie gedrängt, ihm alles zu erklären. Er hatte ihr hinterhergerufen, doch der Duke hatte ihn nur warnend angehsehen und Diana hinausgeleitet. Alastairs Cousins hatten ihn letztendlich, während er immer noch gebrüllt hatte, mit Gewalt aus dem Ballsaal gezerrt.

Der Schmerz über Dianas Betrug war nahezu unerträglich. Und nun, da Alastair daran zurückdachte, spürte er ihn aufs Neue.

Er atmete tief durch. Es war lächerlich, so wegen einer Frau zu leiden oder ihretwegen so wütend zu sein. Diana war es nicht wert, dass er überhaupt einen Gedanken an sie verschwendete. Das hatte sie damals bewiesen.

Verflixt, ich bin doch schon seit Jahren über sie hinweg!

Da er allerdings nicht zum Selbstbetrug neigte, musste er sich eingestehen, dass er Diana und ihrem Verrat nicht so gleichgültig gegenüberstand, wie er gehofft hatte.

Immerhin, habe ich durch sie begriffen, wie wenig man den Frauen trauen kann.

Frauen konnten amüsant sein und von hinreißender Schönheit, einige waren wirklich unterhaltsam. Und auf die Lust, die ihre weichen warmen Körper einem Mann schenken konnten, wollte er nicht verzichten. Aber er durfte nie vergessen, dass Frauen kaltherzig, selbstsüchtig und tückisch waren.

Deshalb betrachtete er sie seit jener Nacht vor nunmehr acht Jahren lediglich als Gefährtinnen auf Zeit. Er genoss ihre Gesellschaft, brachte ihnen jedoch niemals Vertrauen entgegen. Nie wieder würde ihm eine Frau das Herz brechen.

Ich werde Diana höflich, aber kühl begegnen.

Dank seiner zurückgewonnenen Selbstbeherrschung wagte er es, sich nach Diana umzuschauen. Ja, sie war es wirklich. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt, doch gleich musste sie ihn entdecken. Würde sie vor Scham erröten? Oder würde sie sich so ruhig und selbstbewusst geben, als habe sie ihn nie hintergangen und ihn nicht in aller Öffentlichkeit gedemütigt?

Obwohl er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Knaben richtete, spürte er, wie Diana abrupt stehen blieb. Als er sich schließlich zu ihr umdrehte, schaute sie nicht zu ihm, sondern konzentrierte sich ganz auf ihren Sohn.

„Mannington!“

Der Klang ihrer Stimme jagte Alastair einen Schauer über den Rücken und weckte hundert weitere Erinnerungen an jene Zeit, in der er täglich romantische Gedichte für Diana verfasst hatte.

„Bitte, Mama, darf ich mit meinem neuen Freund Kuchen essen gehen?“, fragte der Junge, während Alastair versuchte, die Vergangenheit zu verdrängen. „Robbie hat mich eingeladen.“

„Vielleicht beim nächsten Mal. Komm jetzt.“ Sie sah ihren Sohn streng an, blickte dann kurz zu Robbie und schließlich zu Alastair hinüber. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Nichts verriet, ob sie ihn erkannt hatte oder nicht. Sie nickte ihm knapp zu, wandte sich ab und ging davon.

„Bist du morgen wieder hier, Robbie?“, fragte Mannington hoffnungsvoll. „Vielleicht darf ich dann mitgehen.“

„Ich bin bestimmt hier“, versprach Robbie und schaute seinem Freund nach, der nun gehorsam, aber enttäuscht seiner Mutter hinterhertrottete. Rasch wandte sich Robbie an Manningtons Kindermädchen. „Sie kommen doch morgen wieder mit ihm hierher?“

Die junge Frau lächelte. „Ich werde es versuchen, junger Herr. Da sich die Duchess so wenig um den armen Jungen kümmert, wird es wohl keinen Unterschied machen, ob er im Haus bleibt oder hier im Park ist. Aber jetzt muss ich mich beeilen.“

Alastair bekämpfte den Impuls, Diana zu folgen. Er wollte sich ihr zu erkennen geben. Oder wusste sie längst, wer er war? Schließlich hatte er sich äußerlich kaum verändert. Nur den verliebten Träumer, der Diana in Versform ewige Liebe geschworen hatte, gab es nicht mehr.

Verflixt, kaum eine Woche bevor sie sich für den alten, reichen und angesehenen Duke entschied, hatte sie mir ihre Liebe gestanden.

Hatte sie in ihm nur den Lückenfüller gesehen? Jemanden, der mit seiner Bewunderung nur das Interesse anderer an ihr wecken sollte, bis schließlich ein stattlicher, wohlhabenderer Verehrer um ihre Hand anhielt?

Wut flammte in ihm auf. Er hatte geglaubt, er habe den Schmerz, den Kummer und die Scham über jene Demütigung überwunden. Doch kaum tauchte Diana auf, erlebte er die ganze Qual noch einmal. Oh, wie ich sie hasse, dachte er. Vor allem aber hasste er ihre Macht, ihm noch immer wehzutun.

Seit jener Nacht hatte er jede Menge Frauen gehabt und ein rastloses Soldatenleben geführt. Er schloss sich den Dragonern an und kämpfte jahrelang gegen Napoleon. Wie ein Wahnsinniger stürzte er sich dabei in jede Schlacht, weil er hoffte, so die Erinnerung an seine Liebe ausmerzen zu können. Und doch genügte der bloße Anblick Dianas, um ihn nun erneut aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie hingegen hatte damals wie heute vollkommen unbeteiligt gewirkt.

Robbie schob seine kleine Hand in Alastairs große und plapperte eifrig drauflos. Er berichtete von seinem neuen Freund, seinem Pony und seiner Zinnsoldaten-Sammlung, mit der er nun die Schlachten nachzuspielen gedenke, in denen der Onkel gekämpft hatte.

Wortlos ging Alastair neben ihm zum Ausgang des Parks, über die Brücke auf die andere Seite des Flusses und durch die Straßen zum Royal Crescent, wo Robbies Eltern lebten. Die ganze Zeit über gelang es ihm nicht, Dianas Bild aus seinen Gedanken zu verdrängen. Verflixt, sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte!

Daheim angekommen begab sich Robbie bereitwillig ins Kinderzimmer. Allerdings erst, nachdem ihm sein Onkel versprochen hatte, ihn später dort zu besuchen und mit ihm zu spielen.

Alastair selbst reichte dem Butler Simms Hut und Stock und war im Begriff, sich zurückzuziehen, als Simms sagte: „Lady Guildford erwartet Sie im Frühstückszimmer, Sir.“

Eigentlich wäre Alastair in diesem Moment lieber allein geblieben, um sein inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen, zumal seine Schwester ein erschreckend gutes Gespür für seine Stimmungen hatte. Doch wenn er ihre Bitte jetzt abschlug, würde sie ihn später umso aufmerksamer beobachten. Also gab er sich seufzend geschlagen. „Danke. Sie brauchen mich nicht anzumelden. Ich finde den Weg allein.“

Gleich darauf betrat er das sonnendurchflutete Zimmer.

„Alastair!“, rief seine Schwester erfreut. Sie sprang vom Sofa auf und eilte ihrem Bruder entgegen. „Es tut mir so leid, dass ich heute Morgen kaum Zeit für dich hatte. Ich war einfach zu beschäftigt. Wenn du dich angemeldet hättest, wäre ich vorbereitet gewesen.“

„Willst du etwa Mutters Rolle einnehmen und mit mir schimpfen, weil ich dich nicht rechtzeitig von meinem Besuch unterrichtet habe?“, lachte er.

„Unsinn! Ich freue ich, dass du da bist. Du bist doch nicht nach Bath gekommen, weil du ein Rendezvous hier hast? In dem Fall wärest du wohl kaum bei uns abgestiegen.“

„Ein Rendezvous? Willst du mich in Verlegenheit bringen? Was weiß eine so ehrbare Dame wie du von heimlichen Verabredungen?“

„Nichts, abgesehen davon, dass es heißt, du hättest welche“, gab Jane errötend zurück.

„Du solltest nichts auf das Geschwätz der Klatschbasen geben“, erwiderte er gespielt herablassend. „Ich schwöre, dass ich mich nicht wegen einer Liaison in Bath aufhalte. Es gibt bedeutend bessere Orte, um eine Mätresse unterzubringen.“

„Über Affären und Mätressen möchte ich nicht reden. Warum gestattest du mir nicht, dich mit ein paar netten jungen Mädchen bekannt zu machen? Es gibt so viele, die ebenso klug wie hübsch sind und die sich nicht für reiche Männer mit Titel interessieren.“

„Das weiß ich. Schließlich hast du Viscount Guildford auch nur aus überschäumender Leidenschaft heraus geheiratet, wie du mir schriebst“, neckte er sie.

„Nur weil eine Verbindung passend erscheint, bedeutet das nicht, dass die Beteiligten eine reine Vernunftehe schließen“, wies sie ihn zurecht. „Es gibt so etwas wie wahre Liebe.“

„Ich glaube selbst an die Liebe und genieße sie so oft wie möglich. Gerade deshalb kann ich mich mit keiner deiner ehrbaren Jungfrauen einlassen.“ Jane wollte etwas erwidern, doch Alastair brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Lass uns nicht darüber streiten, Schwesterchen. Ich bin in Bath, weil ich Sehnsucht nach dir und Robbie hatte. Und ich hoffe, dass ich euch willkommen bin.“

„Natürlich bist du das! Wie kannst du daran zweifeln?“

Er war erleichtert, Jane vom Thema Heirat abgelenkt zu haben. Er liebte seine Schwestern ebenso wie seine Mutter, doch sein grundsätzliches Misstrauen allen anderen Frauen gegenüber war mit der Zeit immer größer geworden. Viele, mit denen er nach der Trennung von Diana ein Verhältnis eingegangen war, zeigten sich sehr interessiert an seinem Geld und an seiner gesellschaftlichen Stellung. Das bestätigte ihn nur in seiner schlechten Meinung über das weibliche Geschlecht.

Jane reichte ihm den Arm und ließ sich von ihm zum Sofa zurückführen. „Fühl dich frei zu kommen und zu gehen, wie es dir behagt, Alastair. Aber es wäre schön, wenn du uns keinen Anlass zur Sorge geben würdest. Wir haben schon zu lange Angst um dich gehabt. All die Jahre, die du in der Armee warst, kam keine einzige Nachricht von dir! Wir haben so sehnsüchtig auf irgendein Lebenszeichen von dir gewartet.“

„Nun, ich lebe noch. Und ich bin hier. Vermutlich findest du mich noch genauso lästig wie in unseren Kindertagen.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wolltest du mich so dringend sprechen, weil ich unangemeldet bei dir aufgetaucht bin? Ehrlich gesagt dachte ich, du würdest dich über männliche Gesellschaft freuen, solange der Viscount zu den Sitzungen des House of Lords in London weilt. Oder genügt dir die Anwesenheit deines Schwiegervaters, der, wie ich gehört habe, hier in Bath zur Kur weilt? Wie geht es ihm?“

„Das Heilwasser scheint ihm gutzutun. Im Übrigen mag ich Bath, auch wenn es nicht mehr so beliebt ist wie vor einigen Jahren.“

Alastair nickte. „Prinny hat dafür gesorgt, dass heutzutage alle Welt in Brighton kuren will. Aber du hast mir noch immer nicht verraten, warum du mich so dringend sprechen wolltest.“

Zu seiner Überraschung wurde seine Schwester plötzlich ernst.

„Es geht nicht um irgendetwas, das du getan hast, sondern um … um eine Komplikation.“ Sie zögerte. „Ich weiß nicht so recht, wo ich beginnen soll.“

Jane runzelte die Stirn und sah so besorgt drein, dass er drängte: „Nun sprich doch!“

„Also.“ Jane verstummte und sah ihn forschend an. Und obwohl er hätte schwören können, dass er keine Miene verzog, riss sie plötzlich die Augen auf und atmete tief durch. „Du weißt es schon“, stieß sie hervor. „Du hast sie gesehen.“

Verflixt! Da geriet er in genau jene Art von Befragung, die er hatte vermeiden wollen. Er kannte Jane gut genug, um zu wissen, dass alles Leugnen sinnlos war. „Du sprichst von Diana? Der Duchess of Graveston? Ja, ich bin ihr in Sydney Gardens begegnet. Jedenfalls nehme ich an, dass sie es war. Wir haben nicht miteinander gesprochen. Und da unsere letzte Begegnung schon Jahre zurückliegt, kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob sie es wirklich war.“ Er bemühte sich um einen gleichgültigen Ton. „Eine Dame, die Diana ähnelte, rief nach ihrem Sohn, als ich gerade Robbie entdeckt hatte.“

Jane betrachtete ihn voller Mitleid. „Wie bedauerlich, dass ihr euch so bald nach deiner Ankunft hier begegnet seid. Ich hätte dich gern darauf vorbereitet, dass sie sich in Bath aufhält. Leider habe ich es selbst auch erst heute Morgen erfahren. Hetty Greenlaw, die alte Klatschbase, strahlte vor Genugtuung, als sie mir die Neuigkeit erzählte. Zweifellos wollte sie sehen, wie ich darauf reagiere.“

„Hoffentlich mit kultiviertem Desinteresse.“ Alastair war froh, dass es nun nicht mehr um ihn ging.

„Ich würde der Klatschtante nie etwas von meinen wahren Gefühlen offenbaren! Dahingegen interessiert es mir aber sehr, wie du reagiert hast.“

Er zuckte mit den Schultern. „Du solltest wissen, dass meine Gefühle für Diana schon lange erloschen und begraben sind.“

„Wirklich?“

„Zweifelst du etwa daran?“ Er wandte sich schnell ab, da er errötete.

Jane hob indigniert die Augenbrauen. „Es verstößt gegen jede Regel des guten Benehmens, dass sie hier nur zwei Tage nach dem Dahinscheiden ihres Gatten auftaucht. Nun, immerhin müssen wir ihr keinen Höflichkeitsbesuch abstatten. Natürlich fragen sich alle, warum sie Graveston Court so überstürzt verlassen hat und warum sie ausgerechnet nach Bath gekommen ist. Angeblich hat sie so gut wie kein Gepäck dabei und kaum Hauspersonal mitgebracht. Sie ist jung und schön und denkt bestimmt nicht daran, sich aufs Witwenteil zurückzuziehen. Sollte sie sich jedoch wieder verheiraten wollen, wäre es besser, nicht den größten Teil der guten Gesellschaft durch ein skandalöses Verhalten vor den Kopf zu stoßen. Sollte sie auf irgendwelchen gesellschaftlichen Veranstaltungen erscheinen, werde ich sie wenigstens schneiden.“

„Das dürfte schwierig werden, denn Robbie hat sich mit ihrem Sohn angefreundet. Die beiden wollen sich morgen wieder im Park treffen.“ Alastair bemühte sich um ein Lächeln und hoffte, dass es nicht wie eine Grimasse wirkte. „Ich habe versprochen, mit den beiden bei Sally Lunn Kuchen zu essen.“

Wäre er selbst nicht so aufgewühlt, würde er wohl jetzt über die fassungslose Miene seiner Schwester lachen.

„Ich werde mir etwas einfallen lassen, um Robbie von diesem Plan abzubringen“, sagte Jane. „Wir dürfen nicht zulassen, dass du irgendetwas mit dieser Frau zu tun hast.“

Alastair wusste, wie hartnäckig sein Neffe sein konnte. „Robbie hat auf dem Heimweg von quasi nichts anderem gesprochen als von seinem neuen Freund. Ich fürchte, er wird darauf bestehen, die Verabredung einzuhalten. Außerdem wird es sich kaum vermeiden lassen, dass ich der Duchess hin und wieder begegne, solange wir uns beide in Bath aufhalten.“

„Aber wir dürfen nicht riskieren, dass ihr euch trefft!“

„Riskieren? Ich bitte dich, Jane. Das alles liegt Jahre zurück.“

Jane schüttelte langsam den Kopf. „Selbst wenn es stimmt, dass du über Diana hinweg bist, was ich sehr hoffe, werde ich ihr doch nie verzeihen, wie weh sie dir getan hat. Du warst ein so lebenslustiger junger Mann und ein so begabter Poet. Aber seit sie dir den Laufpass gegeben hat, hast du nie wieder eine Zeile geschrieben.“

Er zwang sich zu einem Lachen. „Die Armee ist nicht gerade der ideale Ort, um Liebesgedichte zu schreiben. Ich bin erwachsen geworden.“

„Und warum zeigst du dann nicht das geringste Interesse daran, eine eigene Familie zu gründen?“

„Du tust gerade so, als gehöre die Ehe untrennbar zum Erwachsensein dazu!“

Zu seinem Entsetzen brach die sonst so unerschütterliche Jane in Tränen aus. „Du warst ein so optimistischer junger Mann. Diana hat dich über Nacht in einen verbitterten, die ganze Welt hassenden Mann verwandelt, der alles getan hat, um im Krieg den Tod zu finden.“

Alastair zog seine Schwester in die Arme. „Übertreibst du da nicht ein wenig? Du hast doch sonst nicht so nah am Wasser gebaut. Bist du etwa wieder schwanger?“

Seine Worte hatten den gewünschten Effekt. „Nein, ich bin nicht schwanger.“ Jane hörte auf zu schluchzen. „Ich mache mir lediglich Sorgen um dich.“

„Das ist lieb von dir.“

Sie begann, unruhig im Raum auf und ab zu gehen. „Ich denke, du hast dir nie wirklich klargemacht, welche Ängste wir deinetwegen ausgestanden haben.“

„Liebes, ich bin gesund und sehr lebendig.“ Tatsächlich hatte er sich aber oft gewünscht, den Krieg nicht zu überleben. So viele gute Männer waren gefallen, obwohl sie leben wollten. Er hingegen hatte sich nicht einmal eine gefährliche Verletzung zugezogen.

„Versprich mir, sie nicht aufzusuchen!“, verlangte Jane.

„Ich verspreche es. Allerdings werde ich sie wohl hin und wieder treffen, wenn die Freundschaft zwischen Robbie und ihrem Sohn anhält.“

„Ich möchte nicht, dass Robbie sich mit dem Jungen anfreundet. Womöglich ist er ebenso falsch und hinterlistig wie die Mutter.“

„Ich bitte dich, Jane! Kein Kind ist für die Fehler seiner Eltern verantwortlich.“

„Er könnte durchaus ihre schlechten Eigenschaften geerbt haben. Du ahnst ja nicht einmal, was man ihr alles nachsagt. Ich habe nie mit dir darüber gesprochen und dir auch nichts darüber geschrieben, doch es gab unzählige Gerüchte. Fest steht, dass sie sich in London ständig über die gesellschaftlichen Regeln hinweggesetzt hat. Sie hat sich so schlecht benommen, dass sie der Duke irgendwann auf seinen Landsitz verbannt hat. Seitdem hat sie nie wieder einen Fuß in die Stadt gesetzt. Doch kaum ist er tot, taucht sie in Bath auf. Dabei hat man ihn noch nicht einmal beerdigt!“

„Das genügt jetzt aber, Jane! Ich habe nicht vor, gesellschaftlichen Umgang mit ihr zu pflegen. Ich werde ihr gegenüber höflich sein. Mehr nicht.“

In diesem Moment klopfte es, und die Köchin streckte den Kopf zur Tür herein. Jane wurde in der Küche gebraucht, wo irgendein kleines Unglück geschehen war.

Alastair nutzte die Gelegenheit, sich in sein Zimmer zurückzuziehen, um in Ruhe über alles nachzudenken. Es erschien ihm traurig, dass das lebendige, offene, wissbegierige Mädchen, das er einst gekannt hatte, auf einen Landsitz verbannt worden war. Diana hatte fernab von ihren Freundinnen und den Zerstreuungen einer Stadt wie London leben müssen. Hatte sie das wirklich verdient?

Sie hatte ihn zutiefst verletzt, das stand fest. Aber sie hatte auch dafür gesorgt, dass aus dem naiven Jüngling, der an die ewige Liebe glaubte, ein Mann geworden war, der sich keine Illusionen mehr über die Welt machte.

Ich werde ihr keine Beachtung schenken, nahm er sich vor. Doch eine kleine Stimme in seinem Herzen flüsterte, er solle sich nicht selbst belügen.

2. KAPITEL

Diana, die verwitwete Duchess of Graveston, betrat das bescheidene Haus am Laura Place, das sie zwei Tage zuvor gemietet hatte. Ein Diener eilte herbei, um ihr Hut und Mantel abzunehmen. Als sie in den Salon trat, folgten ihr Sohn und sein Kindermädchen Minnie unaufgefordert.

„Sie können Mannington ins Kinderzimmer bringen, damit er sich etwas ausruht“, sagte Diana.

„Kommst du nachher hoch, Mama, um mit mir Tee zu trinken?“, fragte der Junge hoffnungsvoll.

„Vielleicht. Lauf jetzt!“ Sie war den enttäuschten Gesichtsausdruck ihres Sohnes gewohnt und wandte sich unbeeindruckt dem Fenster zu. Dort blieb sie reglos stehen, bis sie hörte, dass die Tür geschlossen wurde. Dann erst stieß sie einen langen Seufzer aus.

Sie hätte Mannington in die Arme schließen sollen. Bestimmt hätte er sich an sie geschmiegt, jeder kleine Junge brauchte eine Mutter, an die er sich vertrauensvoll schmiegen konnte. Und jetzt brachte sie ihn ja auch nicht mehr in Gefahr, wenn sie ihn an sich zog. Sie brauchte sich keine Sorgen mehr über die Folgen ihrer Zuneigung zu machen.

Würde es ihr gelingen, wieder so etwas wie Normalität herzustellen? Eine Erinnerung, die sie lange verdrängt hatte, meldete sich zurück. Sie erinnerte sich an die Ehrfurcht und die Zärtlichkeit, die sie empfunden hatte, als sie ihr neugeborenes Kind zum ersten Mal in den Armen hielt. Das Baby war, obwohl sie seinen Vater verabscheute, ein Wunder.

Oh, wie sie seinen Vater hasste, weil er sie nach und nach gezwungen hatte, alle mütterlichen Gefühle für ihren Sohn zu unterdrücken.

Am Tag von Manningtons Geburt war der Duke of Graveston an ihr Bett getreten, als sie dem Neugeborenen gerade die Brust gab. Er hatte ihr den Säugling entrissen und erklärt, er habe eine Amme eingestellt, da es sich für eine Duchess nicht gehöre, ihr Kind selbst zu stillen. Sie hatte versucht, ihn umzustimmen, doch er schnitt ihr das Wort ab und drohte ihr, das Kind wegzugeben, sollte sie sich uneinsichtig zeigen. Es gäbe genug Familien unter seinen Pächtern, die sich gern ein paar Münzen dazuverdienen würden.

Natürlich hatte sie nachgegeben und sich damit getröstet, dass sie den Säugling, dessen Wiege in ihrem Zimmer stand, hin und wieder würde in die Arme schließen können.

Doch eine Woche später war die Wiege plötzlich verschwunden. Das Kind gehöre in ein Kinderzimmer, teilte der Duke ihr mit. Diana protestierte vergeblich. Nach Meinung des Dukes hatte eine gesellschaftlich so weit unten stehende Frau wie eine Amme nichts im Zimmer einer Duchess zu suchen.

„Wenn du darauf bestehst, dass der Junge hierbleibt“, hatte der Duke gesagt, „wird er hungern müssen. Denn niemand kann dafür garantieren, dass er schnell genug zu seiner Amme gebracht wird, sobald er anfängt zu weinen. Du müsstest zuerst nach einer Dienerin läuten. Und diese müsste dann die Amme finden.“

Sie hatte nicht gewollt, dass der Säugling vor Hunger schrie. Ebenso wenig hatte sie gewollt, dass man dem Kind seinen Ball fortnahm. Das tat der Duke, als er Diana im Kinderzimmer überraschte, wo sie mit dem kleinen Jungen spielte.

Um ihres Sohnes willen hatte sie damals zum ersten und einzigen Mal versucht, sich den Erwartungen entsprechend zu benehmen, damit ihr Gatte zufrieden war. Doch gleichgültig, wie viel Mühe sie sich gab, der Duke fand immer etwas an ihrem Verhalten auszusetzen. Sie gab ihre Bemühungen auf, als sie erfuhr, dass er das Kind hatte schlagen lassen, nur weil sie im Garten mit Mannington gespielt hatte. Angeblich hatte sein Lachen den Duke bei der Arbeit gestört.

Diana begriff, dass sie den Knaben nur schützen konnte, indem sie ihm aus dem Weg ging. Das aber war nur möglich, wenn sie alle mütterlichen Gefühle aus ihrem Herzen verbannte.

Dennoch hatte Graveston versucht, den Jungen weiterhin als Druckmittel einzusetzen. Es hörte erst auf, als sie eines Abends erklärte, dass es ihr völlig egal sei, was er mit seinem Sohn täte. Sie werde seinen Befehlen auf keinen Fall folgen und ein bestimmtes Kleid zum Dinner tragen.

Anschließend hatte sie sich heimlich übergeben müssen, denn natürlich hatte Mannington dafür Prügel bekommen. Diana war danach noch mehrere Tage lang unpässlich gewesen. Doch im Laufe der Zeit zeigte sich, dass der Duke of Graveston tatsächlich nicht mehr versuchte, sie zu manipulieren, indem er das Kind quälte.

Jetzt war der Duke tot. Mannington war endlich vor ihm sicher.

Die Erinnerungen ließen Diana frösteln. Es war ihr so schwergefallen, die Zuneigung zu ihrem Sohn zu unterdrücken. Und nun wusste sie nicht, wie sie ihre mütterlichen Gefühle wieder zum Leben erwecken sollte, zumal der Knabe seinem Vater immer ähnlicher sah.

Sie holte tief Luft. Ihr Mann weilte nicht mehr unter den Lebenden, aber noch immer konnte sie kaum glauben, dass sie frei war.

Sie hatte sich so lange seinen boshaften Launen beugen müssen, dass sie kaum noch wusste, wie sich Freiheit anfühlte. Sie hatte gelernt, all ihre Gefühle zu verbergen und der Welt stets ein ausdrucksloses Gesicht zu präsentieren. So ausdruckslos wie ihr Spiegelbild, das sie jetzt betrachtete. Ja, auch der Schock über die unerwartete Begegnung mit Alastair Ransleigh war unsichtbar geblieben.

Dabei hatte sein Anblick etwas tief in ihr berührt. Sie musste an den wundervollen Sommer denken, in dem sie sich in Alastair verliebt hatte. Damals war sie eine andere gewesen, eine Frau, die ihr jetzt fremd vorkam. Hatte es wirklich jemals eine Zeit gegeben, in der sie fröhlich und sorglos war? Eine Zeit, in der sie einen Mann von ganzem Herzen liebte und das Leben in vollen Zügen genoss?

Diana hielt den Atem an, weil ihr Brustkorb schmerzte. Es war wahrhaftig nicht gut, an die Vergangenheit zu denken. Viel wichtiger war es, sich über die Folgen des Treffens mit Alastair klar zu werden.

Vermutlich hätte sie damit rechnen müssen, ihm irgendwann einmal zu begegnen. Allerdings nicht hier in Bath. Sein Anwesen, Barton Abbey, lag in Devon, wo er, wenn sie dem wenigen, was sie in Graveston Court gehört hatte, trauen konnte, seit seiner Rückkehr aus dem Krieg den größten Teil seiner Zeit verbrachte.

Wäre ich überhaupt nach Bath gekommen, wenn ich geahnt hätte, dass ich ihn hier treffe?

Wie dem auch sei, sie hatte Graveston Court nach dem Tod ihres Mannes in aller Eile verlassen müssen. Sie musste untertauchen, bevor Blankford, der älteste Sohn und Erbe des Dukes, aus Schottland eintraf. Nach London konnte sie nicht zurück, weil das Leben dort teuer war und sie damit rechnen musste, Menschen aufzufallen, vor denen sie sich lieber verstecken wollte.

Was sollte sie tun, wenn sich der neue Duke nicht damit zufrieden gab, nach Graveston Court zurückzukehren und dort zu leben? Wenn er sich an ihr rächen wollte, weil er sie für den Tod seiner Mutter und die Entfremdung zum Vater verantwortlich machte?

Sie wusste keine Antwort auf all diese Fragen. Also wandte sie sich ihrem anderen Problem zu. Was sollte sie in Bezug auf Alastair unternehmen?

Es hatte Jahre gedauert, bis sie ihre Liebe zu ihm und ihren Traum vom Glück so tief in ihrem Inneren begraben hatte, dass nicht einmal ein Schatten davon an die Oberfläche drang. Sie würde es verborgen halten, auch wenn sie sich einst geschworen hatte, ihm irgendwann einmal die Wahrheit zu erzählen, warum sie sich damals ohne ein Wort von ihm abgewandt und Graveston geheiratet hatte.

Vielleicht würde sich schon morgen die Gelegenheit dazu ergeben. Mannington würde in den Park gehen wollen, um seinen neuen Freund wiederzusehen. Es bestand natürlich die Möglichkeit, dass der andere Junge gar nicht erst kommen würde oder dass ihn nur ein Kindermädchen begleitete. Robbie hieß das Kind, und es musste irgendwie mit Alastair verwandt sein. War der Knabe womöglich Alastairs Sohn?

Dass mich die Begegnung mit Alastair so aufgewühlt hat, spricht eigentlich eher dafür, ihm aus dem Weg zu gehen, dachte Diana. Sie fürchtete, dass ihre Maske der Gleichgültigkeit doch irgendwann einmal zerbrechen würde, was weitreichende Folgen haben konnte. Welche das waren, mochte sie sich nicht einmal ansatzweise ausmalen.

Als brauche sie eine weitere Warnung, blitzten plötzlich Erinnerungen an ihre Ehe auf. Die Hoffnung, Alastair eines Tages alles erklären zu können, hatte Diana jahrelang davor bewahrt, sich der Verzweiflung hinzugeben. Ihre Entschlossenheit, ihm die Wahrheit zu sagen, hatte sie davon abgehalten, sich in den Tod zu flüchten oder den Tod ihres verhassten Gatten herbeizuführen. Ja, auch wenn Alastair sie längst aus seinem Herzen verbannt hatte, verdiente er doch so etwas wie eine Entschuldigung dafür, dass sie ihn damals so gedemütigt hatte.

Also gut! Sie nickte ihrem Spiegelbild zu. Sie würde Mannington in den Park begleiten und mit Alastair reden, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Es war durchaus vorstellbar, dass er sich weigerte, sie anzuhören. Doch wenn er bereit war, mit ihr zu sprechen, würde sie ihren Schwur erfüllen und ihm ihre Geschichte erzählen.

Bei dem Gedanken daran, dass sie ihn wiedersehen würde, meldete sich ein winziger Funken Vorfreude, den Diana sofort unterdrückte.

Alastair erwachte, lange bevor die Sonne aufging. Unruhig schritt er in seinem Zimmer auf und ab. Da er seine innere Unruhe nicht unterdrücken konnte, beschloss er, das Frühstück ausfallen zu lassen. Es wäre nicht gut, wenn seine aufmerksame Schwester ihn so sähe.

Doch als der Vormittag voranschritt, trat er mit Robbie aus dem Haus und schlenderte mit ihm in Richtung Park. Unterwegs sagte er sich immerzu, dass dies ein Tag wie jeder andere sei, an dem er sich mit seinem Neffen beschäftigte. Aber es war sinnlos, sich selbst zu belügen. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu Diana, und er fragte sich, ob er sie wohl treffen würde.

Die Vorstellung weckte in ihm widerstreitende Gefühle. Einerseits wollte er ihr all die Vorwürfe ins Gesicht schleudern, die er ihr in den letzten Jahren heimlich gemacht hatte. Er wollte sehen, wie sie darauf reagierte. Andererseits verspürte er den Wunsch, sie vollkommen zu schneiden. Das alles wurde überlagert von einem tief sitzenden Zorn darüber, dass sie noch immer eine so große Macht über ihn hatte. Verflixt, sie war schuld daran, dass er so schlecht geschlafen hatte und von Wunschträumen und Albträumen gequält worden war.

Müde und gereizt, wie er war, bemühte er sich redlich, seinem fröhlich plappernden Neffen zuzuhören.

„Du weißt, dass dein neuer Freund heute womöglich gar nicht kommen kann“, versuchte Alastair die überschäumende Begeisterung des Kindes ein wenig zu dämpfen. „Sei also nicht allzu enttäuscht, wenn du mit der Gesellschaft deines langweiligen Onkels vorliebnehmen musst.“

Robbie lachte. „Du bist nicht langweilig, Onkel Alastair! Können wir Kuchen essen gehen, auch wenn mein Freund James nicht kommt? Ach, er kommt bestimmt. Sein Kindermädchen hat es versprochen.“

„Tatsächlich?“ Alastair hob die Brauen. Es war faszinierend, wie unbeschwert der Junge eine Möglichkeit in eine Gewissheit umdeutete, nur weil er es sich so sehr wünschte. Diese unschuldige Sicht auf die Welt war wirklich beneidenswert.

Oder auch nicht. Seine eigene glückliche Unschuld hatte ein äußerst schmerzvolles Ende genommen.

Was auch immer Robbie als Nächstes sagte, Alastair hörte es nicht mehr. Sie hatten Sydney Gardens erreicht, und dort entdeckte er sofort Diana. Er fühlte sich wie vom Blitz getroffen, er konnte einen Moment lang nicht mehr atmen.

Sie trug Schwarz, wie es sich für eine Witwe gehörte, und beobachtete ihren Sohn von einer Bank aus, wie er seinem Kindermädchen gerade einen Ball zuwarf.

Während Alastair sich bemühte, seine Fassung zurückzuerlangen, stieß Robbie einen Freudenschrei aus und rannte über die Wiese auf seinen Freund zu.

Mit einem Anflug von Panik erkannte Alastair, dass er noch immer nicht wusste, wie er sich gegenüber Diana verhalten wollte. Sollte er mit ihr sprechen, wenn sie auf ihn zukam, oder sich nur kühl von ihr abwenden? Und sollte er auf sie zugehen, wenn sie ihn ignorierte?

Noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, erhob sich Diana so anmutig, wie er es in Erinnerung hatte, und ging ein paar Schritte auf ihn zu.

„Mr Ransleigh“, sagte sie ernst, während er eine steife Verbeugung andeutete, „darf ich Ihre Zeit kurz in Anspruch nehmen?“

„Glauben Sie, dass Sie meine Aufmerksamkeit verdienen?“ Der Satz kam heraus, ohne dass Alastair die Worte bewusst gewählt hätte.

„Nein, durchaus nicht.“ Ihr Gesicht zeigte keine Reaktion auf seine Feinseligkeit. „Ich habe mir allerdings geschworen, dass ich versuchen werde, Ihnen zu erklären, warum ich mich vor acht Jahren so und nicht anders verhalten habe.“

Der Duft des Veilchenparfüms, das sie schon damals benutzt hatte, stieg Alastair in die Nase. Ohne es zu wollen, suchte er Dianas Blick, und versank einen Moment lang in ihren tiefblauen Augen. Er bemerkte, dass ihre Haut noch immer einen samtenen Schimmer hatte und dass ein paar dunkle Locken unter ihrem Hütchen hervorlugten. Ach, wie gern hatte er damals seine Hände in diesem seidigen Haar vergraben! Und plötzlich spürte er, wie das Verlangen nach ihr aufs Neue Besitz von ihm ergriff. Es war ein so mächtiges, unwiderstehliches Verlangen, dass es ihn zu ersticken drohte.

Er musste fliehen! „Denken Sie etwa, dass mich Ihre Erklärung nach all diesen Jahren noch interessieren würde!“, spottete er. „Duchess.“ Er verbeugte sich, drehte sich auf dem Absatz um und ging davon.

Er hörte hinter sich auf dem Kies Schritte. Die Steine knirschten. Diana folgte ihm. Gut, denn damals war er ihr hinterhergelaufen!

„Sie sind ein Gentleman, Mr Ransleigh“, stieß sie atemlos hervor. „Und deshalb werden Sie mich anhören, auch wenn ich Ihre Aufmerksamkeit nicht verdiene. Da ich den Klatschbasen keinen Stoff für neue Gerüchte geben möchte, wäre es mir lieb, wenn wir hier und jetzt miteinander reden könnten.“

„Klatsch interessiert mich nicht.“ Er drehte sich zu ihr um und sah, dass ihre Wangen gerötet waren und dass sich ihre Brust rasch im Rhythmus ihres Atems hob und senkte. Sie sah aus, als läge gerade eine leidenschaftliche Stunde hinter ihr. Das genügte, um seine Begierde aufs Neue aufflammen zu lassen. Sein Puls begann zu rasen. Wütend fragte sich Alastair, warum es der Allmächtige zuließ, dass diese Frau immer noch eine so heftige Anziehungskraft auf ihn ausübte.

Verflixt!

Und natürlich hatte sie recht: Wenn sie darauf bestand, mit ihm zu reden, dann war der Park der beste Ort dafür.

„Dann sprechen Sie!“

„Danke. Gehen wir ein Stück?“

Hätte er ihren Wunsch, selbst wenn er wollte, überhaupt ablehnen können? Seine Neugier war stärker als seine Vernunft und sein Selbsterhaltungstrieb. Zum Glück schien sie wenigstens nicht zu erwarten, dass er ihr den Arm reichte. Dennoch war er sich ihrer Nähe nur allzu bewusst. Es fiel ihm entsetzlich schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie begehrte.

„Ich habe den Duke of Graveston auf einem der ersten Bälle in meinem Debütantinnenjahr kennengelernt“, begann Diana. „Er forderte mich zum Tanz auf und bezeugte mir höfliches Interesse. Aber ich achtete nicht darauf, weil er viel älter war als ich und zudem verheiratet. Vor allem aber, weil ich nur Augen und Ohren für einen Mann hatte.“

Ihre Stimme klang flach, emotionslos. Und doch trafen ihre Worte Alastair so, dass er Mühe hatte, seinen Atem zu kontrollieren.

„Der Duke kam hin und wieder zu Besuch. Vater sagte, sie beide teilten wissenschaftliche Interessen. Monate sollten vergehen, bevor ich erfuhr, worum es dem Duke wirklich ging. Zwischenzeitlich war seine Gattin verstorben. Dennoch glaubte ich zuerst, er erlaube sich einen geschmacklosen Scherz, als er mir einen Heiratsantrag machte. Höflich erklärte ich ihm, ich fühle mich geehrt, doch mein Herz gehöre einem anderen. Seine Antwort verwirrte mich, denn er entgegnete lediglich, er bekäme immer, was er wolle. Im Übrigen würde sich jede kluge Frau für die Ehe mit einem Duke entscheiden. Reichtum und Einfluss seien wichtiger als die Zuneigung eines jungen Mannes ohne Titel und Geld.“

Alastair wunderte sich, dass sie noch immer so gelassen sprach, als beträfe das Ganze sie nicht.

„Eine Woche später wiederholte er seinen Antrag. Ich bat ihn, sich eine andere Braut zu suchen, denn ich könne ihm auch für die Zukunft keinerlei Hoffnung machen. Doch auch diesmal wies er mich nur darauf hin, dass ihn niemand daran hindern könne, sich zu nehmen, was er wolle. Es sei also am besten für mich, wenn ich mich damit abfände, seine Frau zu werden.“

Jetzt lachte Alastair laut auf. „Sie wollen mir tatsächlich erzählen, er habe Ihnen keine Wahl gelassen? Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Heutzutage kann eine junge Frau nicht mehr zur Ehe gezwungen werden.“

„Das dachte ich auch, nur leider hatte ich mich getäuscht. Der Duke hatte meinen Vater nicht nur besucht, um sich mit ihm über wissenschaftliche Themen auszutauschen. Die beiden haben auch um Geld gespielt. Leider war mein Vater im Gegensatz zum Duke ein miserabler Spieler. Als ich mich weigerte, ihn zu heiraten, zeigte mir der Duke die Schuldscheine meines Vaters. Es war eine unfassbar hohe Summe, die mein Vater niemals hätte aufbringen können. Der Duke versicherte mir, er werde meinen Vater hinter Gitter bringen, sollte ich mich unserer Heirat weiterhin widersetzen.“

Noch immer klang Dianas Stimme vollkommen unbeteiligt, und auch ihr Gesicht zeigte keine Spuren von Zorn, Kummer oder Abscheu.

„Sie wissen selbst, Mr Ransleigh, wie anfällig mein Vater für alle möglichen Krankheiten war. Er hätte keine drei Monate im Gefängnis überlebt. Der Duke of Graveston machte mir unmissverständlich klar, dass er es ernst meinte. Er drohte mir sogar, meinen Vater ins Gefängnis zu bringen, sollte ich auch nur mit irgendjemandem über diese Angelegenheit reden. Ich musste einsehen, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihn zu heiraten.“

Es fiel Alastair schwer, einem Mann von Stand eine solche Bosheit zuzutrauen. „Sie hätten sich an mich wenden können“, sagte er. „Ich hatte zwar noch nicht geerbt, aber mein Vater hätte mir bestimmt etwas geliehen, und ich hätte mir auch auf andere Art Geld verschaffen können.“

„Der Duke drohte, auch Sie zu ruinieren.“

„Wie hätte er das tun sollen? Ich hatte keine Schulden. Und trotz einiger Studentenstreiche, an denen ich mich beteiligt hatte, war mein Ruf einwandfrei.“

Diana schüttelte den Kopf. „Glauben Sie mir, er hätte Sie ruiniert.“

„Unsinn! Mir ist klar, dass er über großen Einfluss verfügte, aber es war dennoch dumm von Ihnen, seinen Drohungen Glauben zu schenken.“

Zum ersten Mal spiegelte ihr Gesicht ein Gefühl wider. Alastair erkannte Traurigkeit. „Sie erinnern sich an meinen Spaniel?“

„Ribbons?“

„Ja. Nachdem der Duke of Graveston mich über seine Absichten informiert hatte, gab er mir einen Tag Bedenkzeit. Als er dann wieder bei mir vorsprach, fragte er mich, wie es meinem Hündchen gehe. Ich hatte Ribbons an diesem Tag noch nicht gesehen. Also suchte ich ihn. Ich fand ihn, tot! Der Duke lächelte und sagte, als seine Duchess könne ich mir so viele Hunde leisten, wie ich nur wolle.“

Alastair runzelte die Stirn.

„Sie wissen sicher noch, dass die wenigen Dienstboten, die mein Vater beschäftigte, damals schon viele Jahre in seinem Dienst standen und ihm treu ergeben waren. Ich befragte alle, ob ihnen etwas an Ribbons aufgefallen sei. Und alle behaupteten, der Hund habe wie immer gewirkt. Da begriff ich, dass es dem Duke gelungen war, jemanden aus unserem Haushalt zu bestechen. Und dass er in der Lage sein würde, seine anderen Drohungen wahr zu machen. Wenn ich verhindern wollte, dass er Vater und Sie ruiniert, musste ich ihn heiraten.“

Noch immer konnte Alastair nicht glauben, was er gehört hatte.

„Wenn ich Sie damals um Hilfe gebeten hätte, hätten Sie mich nicht ernst genommen“, stellte Diana fest. „Sie tun es ja auch heute nicht.“

„Das stimmt. Ich glaube Ihnen diese fantastische Geschichte nicht. Im Übrigen bedeutet mir Ihre Entschuldigung nichts. Allerdings könnte ich Ihnen mehr Achtung entgegenbringen, wenn Sie mir die Wahrheit sagen würden.“

Sie blieb stehen und sah ihn nachdenklich an. „Ich habe die Wahrheit gesagt. Trotzdem rechne ich nicht damit, dass Sie mir Achtung entgegenbringen. Ich habe Sie zutiefst gekränkt und in aller Öffentlichkeit gedemütigt. Es gibt nichts, was ich tun könnte, um das wiedergutzumachen.“

„Sie könnten, da ich zurzeit keine Geliebte habe, ein paar Wochen lang meine Mätresse sein. Als eine Art Wiedergutmachung.“ Alastair erschrak, als er sich so reden hörte. Das hatte er nicht sagen wollen! Er rechnete fest damit, dass Diana ihn ohrfeigen würde.

Doch auch jetzt blieb sie ganz ruhig. Und nach einem Moment sagte sie: „Einverstanden. Treffen Sie Ihre Vorbereitungen und geben Sie mir Bescheid. Ich wohne am Laura Place 15.“

Ehe Alastair etwas erwidern konnte, kamen zwei kleine Jungen auf ihn zugerannt. Einer griff nach seiner Hand und rief: „Gehen wir jetzt Kuchen essen, Onkel Alastair? Wir sind furchtbar hungrig.“

Der andere fragte scheu: „Darf ich mitgehen, Mama?“

„Ja, du darfst.“

Während die Kinder einen Freudentanz aufführten, wandte sich Diana ab und ging davon.

Verwirrt sah Alastair ihr einen Augenblick lang hinterher.

3. KAPITEL

Nachdem Alastair die Jungen darauf hingewiesen hatte, dass sie sich in einem Café nicht wie Wildfänge benehmen dürfen, machten sie sich zu viert auf den Weg. Die beiden Knaben waren aufgeregt, aber gehorsam. Manningtons Kindermädchen gab sich möglichst unauffällig. Alastair konnte noch immer kaum fassen, was sich zwischen ihm und Diana zugetragen hatte.

Sie verließen Sydney Gardens, überquerten die Pulteney Bridge, folgten der Walcot Street ein Stück am Kloster vorbei und bogen dann in die Straße ein, in der die berühmten Kuchen gebacken wurden. Alastair bestellte süße Teilchen für alle, obwohl Minnie schüchtern einwandte, sie gehöre doch gar nicht dazu.

Glücklicherweise benahmen sich die Kinder anständig. Vielleicht lag es daran, dass das Kindermädchen ein Auge auf sie hatte, Alastair hätte es nicht zu sagen gewusst. Tatsächlich erinnerte er sich später weder daran, worüber gesprochen worden war, noch daran, was er gegessen hatte. In seinem Kopf war nur Platz für Diana. Er versuchte, sich jedes ihrer Worte, jede ihrer Gesten ins Gedächtnis zu rufen. Dennoch blieb es absolut unverständlich, dass er sie aufgefordert hatte, seine Mätresse zu werden, und dass sie diesen beleidigenden Vorschlag tatsächlich angenommen hatte.

Wenn sie nicht so rasch davon geeilt wäre, hätte er sein überstürzt ausgesprochenes Angebot wahrscheinlich zurückgenommen. Er hätte Diana vermutlich noch mehr beleidigt, indem er behauptet hätte, es sei nur ein Scherz gewesen, denn sie verfüge weder über die Schönheit noch über den Charme, die er von einer Mätresse erwarte. Stattdessen hatte er stumm und starr dagestanden, während sie scheinbar zufrieden mit sich und der Welt nach Hause ging.

Alastair schämte sich. Es gehörte sich einfach nicht für einen Gentleman, eine Dame zu beleidigen, selbst dann nicht, wenn sie sich ihm gegenüber so hinterlistig und boshaft benommen hatte wie Diana damals. Eine solche Beleidigung war noch unverzeihlicher, weil sie einer Duchess galt, die gesellschaftlich weit über dem betreffenden Gentleman stand. Er würde Diana eine schriftliche Entschuldigung schicken, sobald er Gelegenheit dazu fand.

Obwohl. Widerwillig gestand sich Alastair ein, dass ihm sein Treffen mit Diana gewisse Dinge nur allzu deutlich gemacht hatte. Auch wenn er es noch so heftig abstreiten mochte, er war nie wirklich darüber hinweggekommen, dass sich Diana damals gegen ihn entschieden hatte. Er hatte anschließend jede Frau mit ihr verglichen. Und keine hatte sich mit ihr messen können. Jede Frau, mit der er das Bett geteilt hatte, war nur ein sehr unzureichender Ersatz gewesen.

Vielleicht kann ich mich endlich von ihr befreien, wenn ich sie körperlich besessen habe, dachte er. Dann würde er sein idealisiertes Fantasiebild von ihr durch das der wahren Frau ersetzen können. Diana würde nicht mehr die romantische, kluge, lebenslustige junge Frau für ihn sein, die er vor Jahren geliebt hatte, sondern das, was sie wirklich war: die egoistische Witwe eines Mannes, den sie allein wegen seines Titels und seines Reichtums zum Mann gewählt hatte.

Ja, wenn er sie zu seiner Mätresse machte, würde er den Schmerz, den sie ihm bereitet hatte, endlich überwinden können.

Die Vorstellung, sie in sein Bett zu holen, ließ ihn nicht mehr los. Er begann sich ihre Affäre auszumalen, und plötzlich loderte das Verlangen nach ihr, das all die Jahre über tief in seinem Inneren geschlummert hatte, so heftig auf, dass Alastair glaubte zu verbrennen.

Autor

Julia Justiss
<p>Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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