Leidenschaftliche Millionäre 3

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DIE RACHE DES STOLZEN MILLIONÄRS

Jahre ist es her, dass Millionär Damien Stanhope seine große Liebe Tess York gesehen hat. Aber dass sie ihm das Herz gebrochen hat, kann er nicht vergessen. Und Damien weiß genau, was er jetzt will: Zuerst wird Tess seinen Auftrag annehmen und das Haus renovieren, in das sie damals hatten einziehen wollen, dann … Dann steht sie plötzlich vor ihm und sieht fast noch schöner aus als damals! Wie gebannt begegnet er ihrem Blick und spürt, wie brennende Sehnsucht in ihm aufsteigt. Aber noch einmal wird er sich nicht in Tess verlieben, das ist ausgeschlossen … Oder?

DER KUSS DES MILLIONÄRS

Sechs Monate lang soll sie die Geliebte von Jeremy Harper sein. So lautet die Abmachung. Sonst hätte der reiche Geschäftsmann Bella und ihren Bruder nach dem Bankrott des Vaters nicht finanziell unterstützt. Jetzt muss sie ihr Versprechen einlösen. Kein Opfer für die bildhübsche Isabella McNamara - im Gegenteil: Der attraktive Millionär war schon immer ihr heimlicher Traummann. Ein heißer Kuss am nächtlichen Strand gibt ihr letzte Gewissheit: Jeremy ist ihr Mr. Right! Mit einem kleinen Fehler: Heiraten will er auf keinen Fall. Reicht die Zeit für Bella, um ihn zu bekehren?

HAPPY END MIT EINEM MILLIONÄR

Blendend aussehend, vermögend, sexy: David Reis war Starrs erste große Liebe. Als er die Stadt verließ, nahm er ihr Herz mit. Jetzt ist er zurückgekehrt und mit ihm das Verlangen, die Träume: heiße Gefühle, die Starr um jeden Preis bekämpfen will. Denn nichts scheint ausgeschlossener als ein Happy End mit dem Millionär, der die Gefahr liebt. Doch dann lädt David sie zu einem Überraschungs-Wochenende ein. Und obwohl Starr nicht weiß, was die Zukunft für sie und ihren Traummann bereithält, spürt sie, dass diese Nacht mit ihm ihr Leben verändern wird ...

DER MILLIONÄR UND DIE TÄNZERIN

In der glitzernden Welt von Las Vegas erlebt die schöne Tänzerin Roxy süsse Tage der Versuchung. Der Millionär Max Williams wirbt leidenschaftlich um sie: Mit romantischen Picknicks unter Palmen, glamourösen Abenden in Casinos und kostbaren Juwelen verwöhnt er sie. Der attraktive Mann erobert Roxys scheues Herz im Sturm! Nacht für Nacht lieben sie sich voller Zärtlichkeit. Doch als ein Geschäftspartner Details aus Roxys Vergangenheit erführt, stehen für Max Millionen auf dem Spiel ...

DAS GEWAGTE SPIEL DES MILLIONÄRS

Was tut man nicht alles für seine Schwester! Ihretwegen reist Millionär Cristiano Verón nach London und engagiert die Frau, die behauptet, von seinem zukünftigen Schwager ein Kind zu erwarten: Isabelle Browne. Doch als Cristiano ihr zum ersten Mal begegnet, verschlägt es ihm fast die Sprache. Nie hätte er damit gerechnet, dass Isabelle einen so natürlichen Charme hat, so warmherzig und humorvoll ist … Spontan lädt er sie zum Dinner ein - um hinter ihre erpresserischen Pläne zu kommen. Damit, dass er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlt, hat es nichts zu tun. Oder doch?


  • Erscheinungstag 21.10.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773021
  • Seitenanzahl 768
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Laura Wright, Katherine Garbera, Catherine Mann, Bronwyn Jameson

Leidenschaftliche Millionäre 3

Laura Wright

Die Rache des stolzen Millionärs

IMPRESSUM

BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2007 by Laura Wright
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1586 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Angelika Beecken-Klevesath

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-548-0

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Es gab nichts Beunruhigenderes als den Anblick des Teufels in einer Kirche.

Tess York, die als eine der Brautjungfern an diesem Tag ein schwarzes Chiffonkleid von Vera Wang und ihr rotes Haar hochgesteckt trug, starrte auf den Mann in der vierten Bank und bekam feuchte Hände, während sie den Strauß roter Pfingstrosen umklammert hielt. Sein Name war Damien Stanhope, und er sah imposant und grimmig aus – genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Irgendwann einmal waren sie zusammen gewesen, Partner, Liebende und Freunde, doch dann war ein anderer Mann in ihr Leben getreten. Einer, der sanft und schüchtern wirkte und der ihr in jenen Tagen wie eine sichere Wahl erschienen war. Damals hatte Tess ein wahnsinniges Bedürfnis nach Sicherheit verspürt, deshalb hatte sie Damien verlassen, und sein hasserfüllter Blick hatte sie bis zur Tür hinausbegleitet.

Der Kiefernduft der Weihnachtsgirlanden, mit denen die ganze Kirche geschmückt war, kam ihr plötzlich nicht mehr romantisch und festlich vor, sondern löste fast Brechreiz in ihr aus. Was macht er hier, fragte sie sich nervös. Er gehörte hier nicht mehr her. Soweit sie wusste, hatte Damien Minnesota schon vor Jahren den Rücken gekehrt und war nach Kalifornien gezogen. Es hieß, dass er sein Geld mit Immobilien verdiente und normalerweise zwei Häuser pro Monat verkaufte. Angeblich war er völlig skrupellos. Abgebrüht wickelte er seine Geschäfte ab und war mittlerweile schwerreich.

Tess überraschte sein Erfolg nicht. Vor sechs Jahren hatte er als Zimmermann für ein örtliches Bauunternehmen gearbeitet, in leitender Position. Seine Ideen waren so überzeugend und erfindungsreich, die Ausführung seiner Arbeit so fachkundig und exakt gewesen, dass ihn damals jeder Bauunternehmer in der Stadt hatte abwerben wollen.

Tess beobachtete ihn, wie er, diesen arroganten Zug um den Mund, unbeweglich auf seinem Platz saß und mitverfolgte, wie Mary und Ethan sich das Eheversprechen gaben. Tess’ Anspannung wuchs. Sie hatte alles versucht, um die Fehler zu vergessen, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte. Sie wollte ihr altes Leben, in dem sie mit dem schlechtesten aller Ehemänner verheiratet gewesen war, komplett aus ihrer Erinnerung löschen. Zusammen mit ihren Partnerinnen, Olivia Winston und Mary Kelley hatte sie eine Event-und Catering-Agentur gegründet und führte inzwischen ein angenehmes und komfortables Leben. Alles, was sie sich wünschte, war, so zu tun, als ob die Vergangenheit nie existiert hätte, und weiterhin glücklich und achtsam das Hier und Jetzt zu genießen.

Doch dieser teuflische Mann hatte sich in der Kirche gezeigt.

Hinter ihr griff jemand in die Tasten des Klaviers und spielte die Einleitung aus dem „Phantom der Oper“: „All I Ask Of You“. Wie auf Kommando drehten sich alle Hochzeitgäste um und schauten auf die zwei Künstler, die auf das Klavier zuschritten und dann anfingen zu singen.

Alle, mit Ausnahme von Tess. Sie konnte sich nicht von Damiens Anblick losreißen. Vielleicht würde er, wenn sie ihn nur lange genug anstarrte, aufstehen und gehen. Fast musste sie bei diesem dummen Gedanken lachen. Er war nicht der Typ, den man hinausjagen oder vergraulen konnte. Sie kannte niemanden, der einen so eisernen Willen hatte wie er.

Eingehend musterte sie ihn. Er war schlanker geworden und breiter in den Schultern, doch sein Mund wirkte ebenso hart wie sein ganzer Gesichtsausdruck, als ob er nie lächeln würde.

Warum war er hier? Kannte er Ethan? Oder, Gott bewahre, Mary?

Tess trat von einem Bein auf das andere, ihre schwarzen Pumps drückten. Auf keinen Fall war sie bereit, ihren Partnerinnen ihr Herz auszuschütten …

Neben ihr lehnte sich Olivia Winston, die Expertin für kulinarische Genüsse von „No Ring Required“, herüber. „He, ich weiß, der Gesang hat nicht gerade Broadway-Format, aber bleib trotzdem bei der Sache, okay?“

„Ja, natürlich. Sicher“, murmelte Tess verwirrt.

Die hübsche Brünette runzelte die Stirn. „Was ist los mit dir?“

„Nichts“, versicherte Tess schnell.

„Sieht aber nicht danach aus“, flüsterte Olivia.

Um bei der Hochzeit ihrer Geschäftspartnerin kein Aufsehen zu erregen, versuchte Tess sich auf die Sänger zu konzentrieren. Sie musste sich zusammennehmen. Vielleicht wusste Damien gar nicht, dass sie da war … vielleicht hatte er die ganze Geschichte mit ihr vergessen. Vielleicht war er verheiratet, hatte zwei Kinder und einen Hund namens Buster. Immerhin waren mittlerweile sechs Jahre vergangen. Wenn man bedachte, was ihr inzwischen alles passiert war …

Doch während sie mit halbem Ohr zuhörte, wie die Sänger für das Brautpaar einen Song schmetterten – die Musik schwoll immer mehr an und füllte die ganze Kirche aus –, hatte Tess das komische Gefühl, beobachtet zu werden. Sie verspürte dieses merkwürdige Kribbeln. Dieses Gefühl hatte sie bisher nur einmal gehabt.

An dem Tag, als sie dem teuflischen Damien Stanhope den Rücken zugekehrt und den Raum verlassen hatte.

„Sir, möchten Sie, dass ich Sie nach Hause fahre?“

Während sein Chauffeur durch die verstopfte Innenstadt fuhr, saß Damien im Fond seiner Limousine. Der Kragen seines schwarzen Mantels berührte fast sein Kinn und betonte seine harten Gesichtszüge. „Nein. Ich werde ins Georgian gehen.“

„Es tut mir leid, Sir, ich habe noch nie gehört, dass Sie …“

„Bringen Sie mich ins Georgian Hotel“, fiel ihm Damien unbeeindruckt ins Wort. „Ich werde zu dem Empfang gehen.“

„Aber, Sir, Sie gehen nie …“ Die Worte des Fahrers erstarben.

„Haben Sie ein Problem damit, Robert?“, fragte Damien ungeduldig, während außerhalb des schwarzen Wagens der Schnee in dichten Flocken auf die Scheiben fiel.

„Sir?“ Robert schaute in den Rückspiegel, versuchte dabei jedoch dem Blick seines Arbeitgebers auszuweichen. „Wenn ich offen sprechen darf …“

Damien sah ihn fragend an. „Dürfen Sie … wenn Sie währenddessen Ihre Aufmerksamkeit auf den Verkehr richten. Die Straßen in Minneapolis können sehr rutschig sein.“

„Ja, Sir.“ Robert konzentrierte sich wieder aufs Fahren und hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest.

Damien atmete erleichtert auf. „So, was wollen Sie wissen?“

„In den vier Jahren, in denen ich für Sie gearbeitet habe, ist dies der erste Hochzeitsempfang eines Geschäftspartners, zu dem Sie jemals gegangen sind.“

„Ach ja?“, erwiderte Damien tonlos.

„Ja, Sir.“

„Hm.“

„Handelt sich dann wohl um ein wichtiges Geschäft, Sir.“

Sie fuhren langsamer, bogen ab und hielten schließlich. Damien schaute auf und runzelte die Stirn. „Sind wir da?“

„Ja, Sir. Aber vor uns steht eine lange Schlange von Autos.“

Sie waren noch ein ganzes Stück vom Hoteleingang entfernt, doch Damien wartete ungern. Er griff nach dem Türdrücker und stieß die Wagentür auf. „Ich steige hier aus, Robert.“

„Aber Sir!“ Robert schaute unsicher nach hinten. „Soll ich …“

„Nein, nein. Bleiben Sie im Wagen.“

Er nickte. „In Ordnung, Sir.“

Damien war schon halb aus der Tür, als er sich plötzlich noch einmal umdrehte. „Und, Robert?“ „Ja, Sir?“ „Um Ihre Frage zu beantworten: Bei diesem Empfang handelt es sich um eine weit wichtigere Angelegenheit als ein Geschäft.“ Er stieg aus. „Warten Sie in einer Stunde am Haupteingang.“

Der Ballsaal des Georgian Hotels, ausgestattet mit einer vergoldeten Decke, Kristalllüstern und einem schwarz-weiß gemusterten Marmorfußboden, bot das spektakulärste Ambiente für eine Hochzeitsfeier in Minneapolis. In jeder Jahreszeit präsentierte der Raum einen umwerfenden Anblick, aber im Dezember wirkte er mit der weißen Weihnachtsbeleuchtung, den Fichten und Mistelzweigen besonders märchenhaft. Auf allen schwarzen Platztellern fanden sich von Hand gemachte Schokoladen-Zuckerstangen, süß eingebettet in kleine Weihnachtsstiefel.

Tess York beschrieb sich selbst als Schokoholic, und schon fünf Minuten nach ihrer Ankunft im Hotel war ihr kleiner Stiefel leer. Sie saß neben Olivia, und der einzige Grund, warum sich noch eine Zuckerstange auf ihrem Teller befand, bestand darin, dass Tom Radley, ein Freund von Marys Familie und der erste Kunde von „No Ring Required“, Tess an die Hand nahm und auf die Tanzfläche zog, bevor sie die Süßigkeit aufessen konnte.

Auf der rechteckigen Bühne abseits der Tanzfläche schmetterte eine Sängerin, die auf scheußliche Art ähnlich Natalie Cole klang, Liebeslieder.

Neben Tess tanzten Olivia und ihr Verlobter Mac Valentine. Die beiden wirkten so attraktiv und elegant, dass man sie leicht für ein glamouröses Hollywood-Paar hätte halten können. Atemberaubend in ihrem schwarzen Brautjungfernkleid, das dem von Tess ähnelte, die dunklen Haare lang und offen über die bloßen Schultern fallend, wandte sich Olivia Tess zu und stichelte lächelnd: „Du bist eine erstaunlich schlechte Tänzerin, weißt du das?“

„Vielen Dank auch“, erwiderte Tess trocken.

„Gar nicht wahr“, widersprach Tom Radley und wich aus, um Tess’ spitzen Absätzen zu entgehen, als sie eine heikle Drehung auf das Parkett legte. „Hör nicht auf sie, Tess.“ Dabei funkelte er Olivia herausfordernd an. „Sie ist anmutig wie ein Schwan und leicht wie eine Feder.“

Olivia grinste. „Solange sie dir nicht auf die Füße tritt, was?“

„Nun ist gut, mein Schatz“, mischte sich Mac ein und drückte seine Verlobte fester an sich.

Tess reagierte mit einer Handbewegung, mit der sie auch ein lästiges Insekt weggeschnipst hätte. „Zieh Leine, Winston. Ich bin sicher, es gibt noch genug andere Leute auf der Tanzfläche, deren Selbstwertgefühl du heute Abend vernichten kannst.“

Olivia lachte. „Genau. Als ob du überhaupt übertroffen werden könntest. Du hast mehr Selbstvertrauen in deinem kleinen Finger als ein Grizzlybär auf Beutezug.“

„Hm.“ Tess runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht recht, wie ich das verstehen soll.“

Mac, wie immer ganz Gentleman, klinkte sich in das Gespräch ein. „Wie ein Kompliment, denn ich finde, du tanzt wunderbar.“

Dabei versuchte er möglichst unschuldig auszusehen, doch sein Lächeln strafte seine Worte Lügen.

„Schmeicheleien führen bei mir zu nichts, Mr. Valentine“, entgegnete Tess und duckte sich, um unter Toms Arm durchzukommen, als sie eine Drehung machten.

Mac ging schulterzuckend darüber hinweg, dann wandte er sich seiner Verlobten zu und gab ihr einen Kuss auf den Hals. „Und wie ist es mit dir? Komm ich bei dir mit Komplimenten weiter?“

Oilvia schmiegte sich noch enger in seine Arme. „Klar.“

Entnervt verdrehte Tess die Augen und flüsterte ihrem Partner zu: „Lass uns hier verschwinden, bevor uns Amor, der über diesen Turteltäubchen flattert, versehentlich mit seinen Liebespfeilen trifft.“

„Du hast recht“, antwortete Tom lachend und schob sie durch die Menge.

Doch als sie am anderen Ende der Tanzfläche angekommen waren, standen sie einem Mann gegenüber, der offensichtlich auf sie gewartet hatte. Aus kalten blauen Augen betrachtete er sie interessiert, aber mürrisch. Er hatte kurzes schwarzes Haar, war groß, athletisch gebaut und trug einen sehr teuren Smoking. Trotz seiner vollen, sinnlichen Lippen wirkte der Mund hart, als könnte er jederzeit grausame Dinge aussprechen.

Tess schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. Es war eine Sache, diesen Mann zehn Meter entfernt sitzen zu sehen, wenn Mary und Ethan sich das das Jawort gaben, aber eine ganz andere, ihn jetzt vor sich zu haben.

Damien Stanhope warf einen kurzen, fragenden Blick auf Tom. „Wenn ich bitten darf.“

Sichtlich nervös antwortete Tom: „Nur ungern natürlich. Aber … na ja, ich bin ganz gut im Teilen.“

„Das ist bewundernswert“, bemerkte Damien und löste Tess aus Toms Armen, um sie an sich zu ziehen. „Ich nicht.“

Tess war nicht die Art Frau, die es hinnahm, wenn ein Mann bestimmte, wo es langging … nicht mehr jedenfalls. Hätte ein anderer sich plötzlich dazwischengedrängt, um sie ihrem Tanzpartner zu entführen, wie Damien es getan hatte, wäre sie in Versuchung geraten, dieser Person eine Ohrfeige zu verpassen.

Aber dieser Mann war anders, darum reagierte sie auch anders auf ihn. Ihr kam es vor, als ob sie sich niemals getrennt hätten. Einmal in seinen Armen, fühlte es sich so gut, so warm an, dass sie nicht einmal versuchte, sich von ihm zu befreien.

Als die Musik wieder einsetze, nahm Damien den langsamen Rhythmus auf und warf ihr einen scharfen Blick zu. „Hallo, Tess.“

In den letzten sechs Jahren hatte sie seinen Namen nie laut ausgesprochen. Vermutlich war dieser Zeitpunkt so gut wie jeder andere, es zu tun. „Damien Stanhope. Wow. Es ist lange her.“

„Nicht zu lange.“ Seine Stimme klang tief, tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte, doch der Klang war der gleiche und weckte die unterschiedlichsten Gefühle in Tess. „Ich habe dich auf der Verlobungsparty gesehen und dachte, du hättest mich ebenfalls gesehen. Vielleicht ja auch nicht.“

„Nein, habe ich. Ich meine, ja. Aber ich hatte nicht geglaubt …“ Schulterzuckend ging sie über ihre Unfähigkeit hinweg, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. „Ich nehme an, ich war nicht sicher …“

„Du stotterst, Tess“, fiel er ihr stirnrunzelnd ins Wort. „Das sieht dir gar nicht ähnlich.“

Nein, sah es nicht. Doch jedes Mal passierten merkwürdige, komplizierte Dinge, wenn dieser Mann sie berührte. Gerade jetzt, als er ganz leicht ihre Hand umfasste und sein Körper sich nur millimeterweise von ihr entfernte, stockte Tess der Atem. „Was ich eigentlich mit meinem Gestammel sagen wollte, war, dass ich keine Ahnung hatte, dass du mit Ethan befreundet bist.“

„Sind wir nicht“, erwiderte er schlicht. „Er hat sich für den Kauf einer meiner Immobilien interessiert, und ich interessierte mich für eine Einladung zu dieser Hochzeit.“

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. „Wirklich?“

„Ja.“

„Warum?“

Kühl lächelte er sie an. „Ich habe gehört, dass dein Unternehmen ganz erfolgreich ist“, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. „Du lässt es dir gut gehen.“

Seine Worte klangen für sie mehr nach einer Beobachtung als nach einem Kompliment. „Ich denke schon. Doch anscheinend nicht so gut, wie es scheint.“

Er nickte. „Nachdem du die Stadt verlassen hattest, habe ich mich auf meine Karriere konzentriert.“

Natürlich wollte er auf diesen Punkt anspielen, wollte, dass sie sich verdammt unbehaglich fühlte, vielleicht Schweißausbrüche bekam. „Ja, sich auf die Karriere zu konzentrieren kann ganz gut sein.“

„Genau. Tatsächlich könnte ich so weit gehen zu sagen, dass ich einen großen Teil meines Vermögens dir verdanke.“

Der Geruch der Fichte stach ihr penetrant in die Nase. „Ich bin sicher, das ist nicht mein …“

„Sei nicht so bescheiden, Tess. Du warst eine Inspiration …“

Das war zu viel. Die ganze Sache … seine boshaften Komplimente, ihre Nervosität. Tess wollte sich nie wieder in eine Situation bringen, in der sie wegen eines Mannes ausflippte. Sie hörte auf zu tanzen. Die Musik spielte, und die Leute bewegten sich dazu, doch Tess sah Damien Stanhope ungeduldig an. „Was willst du? Warum bist du gekommen?“

„Ich wollte dich sehen.“ Seine Augen strahlten keinerlei Wärme aus, unter seinem Blick gefror ihr fast das Blut in den Adern.

„Gut, jetzt hast du mich gesehen“, entgegnete sie und drehte sich um. „Danke für den Tanz.“

Er nahm ihre Hand und hakte sie unter. „Ich bringe dich zum Tisch zurück.“

Einen Moment lang dachte sie daran, sich loszureißen, doch sie wollte keine Szene verursachen, darum ließ sie sich von ihm führen. Während sie zum Tisch gingen, war es unmöglich zu übersehen, wie die anderen Frauen Damien anstarrten: gierig, verlangend. Genau so, wie sie ihn vor langer Zeit betrachtet hatte.

Als sie an ihrem Platz angekommen waren, setzte sich Tess und hoffte, dass er verschwinden würde, dass der Tanz und der verbale Schlagabtausch das Ende ihrer Begegnung sein würden. Doch Damien ging nicht. Stattdessen setzte er sich neben sie.

„Also, wie geht’s Henry?“ Seine Stimme klang leise und kalt.

Sie schaute ihn an, blickte in diese tiefblauen Augen, und dann wurde es ihr mit einem Schlag klar: Er war nicht da, um Geschäfte abzuwickeln oder sie einfach nur zu „sehen“. Er war zu dieser Hochzeit gekommen, um sie zur Rede zu stellen oder um sie zu verletzen. Aber warum jetzt, nach sechs Jahren? Sie war sich nicht sicher. Ohne seinem Blick auszuweichen, erklärte sie gleichmütig: „Mein Mann ist gestorben. Vor ungefähr fünf Jahren.“

Damien nickte, doch er wirkte nicht überrascht. „Das tut mir leid.“

„Wirklich?“

Fragend sah er sie an. „Ich könnte jetzt nein sagen, doch wie würde das wirken?“

Sie zuckte die Schultern. „Grausam.“

„Wie wäre es mit ‚ehrlich‘?“

„Wie wäre es mit beidem?“

Entsetzt bemerkte Tess aus den Augenwinkeln Mary und Olivia, die neugierig zu ihr und Damien herüberschauten. Sie kannte ihre beiden Geschäftspartnerinnen gut genug, um zu wissen, dass sie in circa dreißig Sekunden auf sie zukommen würden. Auf keinen Fall wollte Tess, dass am Hochzeitstag ihrer Teilhaberin ihre Vergangenheit und die Fehler, die sie damals gemacht hatte, ans Licht kämen.

In der Hoffnung, nicht blass geworden zu sein, wandte sie sich wieder an Damien. „Gleich wird das Essen serviert. Vielleicht können wir unser Gespräch ein anderes Mal fortsetzen.“

„Versuchst du mich loszuwerden, Tess?“ Prüfend sah er sie an.

„Nein.“

„Ich weiß, wann du lügst. Das wusste ich schon immer.“

„Schön“, entgegnete sie mit fester Stimme. „Meine Partnerinnen kommen gerade herüber, und sie wissen …“

„Nichts über mich?“, beendete Damien den Satz für sie, und seine Augen schimmerten vergnügt.

„Sie wissen nichts von Henry oder meinem Leben, bevor wir die Firma gegründet haben.“

„Wieso?“

„Das geht dich nichts an.“ Sie hatte jetzt keine Zeit dafür. Mary und Olivia waren nur noch wenige Meter entfernt. „Was auch immer du mir zu sagen hast, kannst du sagen. Doch nicht hier und nicht jetzt. Wir klären das ein anderes Mal.“

Einen Moment lang dachte er nach, dann nickte er. „In Ordnung.“

Erleichtert verabschiedete sie sich: „Also gut, dann eben auf Wiedersehen.“

Er stand auf. „Ich komme morgen zu dir, Tess.“

Sie blickte auf. „Was?“

„Ich werde morgen um eins in deinem Büro sein.“

„Nein.“

Mary und Olivia waren fast bei ihnen. Damien beugte sich dicht an ihr Ohr, sein warmer Atem ließ ihr die Haare zu Berge stehen, und ihr Herzschlag spielte verrückt. Sie kannte das, hatte es vor langer Zeit geliebt.

„Ich bin nicht hier, um in Erinnerungen zu schwelgen“, drohte er leise, „sondern um eine alte Schuld zu begleichen, die niemals bezahlt wurde.“

Tess’ Puls fing an zu rasen. Von welcher Schuld redete er?

„Vor sechs Jahren“, fuhr er fort, „hast du mir ein Versprechen gegeben. Eins, das du bisher nicht gehalten hast. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass du es einlöst. Denn wenn du das nicht tust, wird sich alles, was dir lieb ist, in Luft auflösen.“

Er richtete sich gerade rechtzeitig auf, um Olivia und Mary zu begrüßen, schüttelte beiden die Hand und beglückwünschte die Braut. Wie vor den Kopf geschlagen sah Tess auf ihren Teller und den leeren Stiefel. Trotz des Rauschens in ihren Ohren hörte sie, wie Damien beiden Frauen alles Gute wünschte und dann wegging.

„Nett“, sagte Olivia, während sie sich neben Tess setzte. „Wirklich süß.“

„Hinreißend und charmant“, fügte Mary hinzu und rückte ihre Tiara zurecht, bevor sie den für die Braut reservierten Platz einnahm. „Und anscheinend ganz hingerissen von unserem Mädchen hier.“

„Hast du seine Nummer?“, wollte Olivia wissen.

Tess nickte und murmelte heiser: „Ja, seine Nummer habe ich.“

2. KAPITEL

In den viereinhalb Jahren, seit Tess Teilhaberin von „No Ring Required“ war, hatte sie sich nur dreimal krankgemeldet. Das erste Mal im Winter, als sie eine so heftige Grippe gehabt hatte, dass sie auf dem Weg zu ihrem Auto bewusstlos geworden war. Das zweite Mal war letzten Sommer gewesen, als ihr ein Weisheitszahn gezogen werden musste, und das dritte Mal war an diesem Tag, nachdem sie mit einem scheußlichen Kater aufgewacht war.

Sie war keine große Trinkerin. Genau genommen nicht mal eine kleine, doch in der vorangegangenen Nacht, nachdem Damien aufgetaucht war und ihre Vergangenheit damit schlagartig zurückgekehrt war, hatte sie ein paar Gläser Champagner zu viel genossen.

Eingemummelt in ein verwaschenes, altes Sweatshirt, hatte sie es sich mit ihrer Katze Hepburn auf der Couch bequem gemacht und sah starr auf den Fernseher. Während sie versuchte die hämmernden Kopfschmerzen zu ignorieren, schaute sie Montel Williams an, der sein Lieblingsmedium zu Gast hatte und einem Zuschauer nach dem anderen erklärte, dass er wahrscheinlich einen Geist in seinem Haus hätte, der noch etwas erledigen müsste.

„Vielleicht könntest du mir ja einen Rat geben, wie man solche Geister wieder loswird“, murmelte Tess in Richtung Bildschirm.

Bisher hatte sie nur Maßnahmen ergriffen, um ihrem aus dem Weg zu gehen. Mary befand sich schon in den Flitterwochen, darum würde Olivia an diesem Tag allein die Stellung in der Agentur halten. Tess hatte nur einen einzigen Termin, und da es sich um keine geschäftliche Angelegenheit handelte, war sie mehr als gewillt, ihn sausen zu lassen.

Während das Medium weiter über den Himmel und das Licht schwafelte, schloss sie die Augen und ließ ihre Gedanken eine Weile treiben. Sie musste eingeschlafen sein, denn als sie wach wurde, lief im Fernsehen eine Seifenoper, und es klopfte an der Wohnungstür. Ihr Kopf schmerzte immer noch, als sie hinüber zum Eingang trottete und durch den Spion schaute.

Als sie sah, wer es war, fluchte sie leise, drehte sich um und sackte gegen die Tür.

Damien.

„Tess?“

Zu ihren Kopfschmerzen gesellten sich beim Klang seiner Stimme üble Magenkrämpfe.

„Tess, ich weiß, dass du da bist.“

„Was willst du, Damien?“, rief sie.

„Du weißt genau, was ich will. Ich war ja wohl mehr als deutlich letzte Nacht. Mach jetzt auf.“

„Ich bin krank.“

„Ja, Olivia war so freundlich, mir das zu sagen, nachdem ich extra dorthin gefahren war.“

Tess seufzte. Das hier war nicht ihre Art … sich hinter einer Tür zu verstecken, als ob sie nicht mit unbequemen Konfrontationen und Drohungen eines Exfreundes fertig wurde. So hatte sich die verheiratete Tess verhalten, die Frau, die Grund hatte, sich nervös und ängstlich zu fühlen. Doch dieser Teil ihres Lebens lag hinter ihr.

Sie entriegelte das Schloss und öffnete.

Damien stand vor ihr und füllte beinah den gesamten Türrahmen aus. Frisch geduscht und rasiert, in einem schicken marineblauen Anzug, sah er aus, als ob er gerade von einer Gucci-Modenschau in Mailand käme.

Wohl wissend, dass sie einen Anblick wie ein abgekautes Spielzeug ihrer Katze bot, hob Tess das Kinn und versuchte so souverän wie möglich zu klingen: „Ich habe nie gesagt, dass ich dich sehen will, Damien.“

Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sie aufmerksam musterte. „Gut, da ist sie.“

„Da ist was?“

„Die heiße Braut, die mir so vertraut ist. Die Frau mit der bemerkenswert roten Haarmähne.“ Er lehnte am Türrahmen. „Nach letzter Nacht und all dem Stottern und der Angst, dass deine Partnerinnen etwas herausfinden könnten, dachte ich, es gäbe sie nicht mehr. Ich habe darüber nachgedacht, was oder wer ihr das Feuer ausgetrieben haben könnte.“

Meinetwegen kann er weiter überlegen, dachte sie höhnisch. Auf keinen Fall würde er jemals etwas über ihr Leben mit Henry erfahren, über die Narben, die zurückgeblieben waren.

Er kniff die Augen zusammen und sah sie prüfend an. „Du siehst …“

„Krank aus?“, beendete sie seinen Satz.

„Hast du letzte Nacht getrunken?“

„Das geht dich nun wirklich nichts an.“

„Von Champagner bekommst du immer Kopfschmerzen, schon vergessen?“

„Nein“, log sie.

Gänzlich unbeeindruckt von ihrer ablehnenden Haltung, drängte er sie erneut: „Wirst du mich jetzt reinlassen?“

„Was auch immer du an mysteriösen Dingen zu sagen hast, kannst du meiner Meinung nach auch von hier aus sagen.“

„Schön, aber ich habe dir extra eine Hühnerbrühe mit Klößchen mitgebracht … na gut, eigentlich hat Robert sie geholt.“ Er hielt die weiße Tragetasche eines Delikatessenladens hoch. „Und du siehst aus, als ob du sie gebrauchen könntest. Aber du solltest sie nicht hier im Eingang im Stehen essen.“

„Wer ist Robert?“

„Mein Fahrer.“

Sie verdrehte die Augen. „Du gehörst also zu den Menschen, die zu viel Geld haben.“

„Nicht wirklich.“

Er versuchte an ihr vorbeizukommen, doch sie hielt ihn auf. „Die Suppe.“

Erst als er ihr die Tasche übergeben hatte, ließ Tess ihn durch. Nachdem er sich kurz in ihrem Wohnzimmer umgesehen hatte, nahm er auf der Couch Platz. Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus, dann ließ sie sich auf den Ledersessel sinken, der etwas abseits stand.

Stirnrunzelnd schaute er sie an. „Hast du Angst vor mir?“

„Furcht ist ein sinnloses Gefühl“, fing sie an, doch dann zuckte sie die Schultern. Vielleicht wäre es besser, ehrlich zu antworten, anstatt geistreiche Bemerkungen zu machen. Vielleicht wäre aber auch eine Mischung aus beidem der klügste Weg. „Nach dem, was du letzte Nacht gesagt oder nicht gesagt hast, ist Vorsicht meiner Meinung nach keine seltsame Reaktion.“

Sein Blick wurde ernst, und ein harter Zug legte sich um seinen Mund. „Nein.“

Sie stellte die Tasche auf den Couchtisch und schaute zu ihm auf. „Genug mit dem Geplänkel. Wir beide wissen, dass das hier kein geselliges Beisammensein ist, darum lass uns zum Punkt kommen.“

Er lehnte sich zurück und blickte sie aufmerksam an. „Erinnerst du dich an das rote Haus in Tribute?“

Ein tiefes Gefühl der Traurigkeit übermannte sie. Es war ihr Fleckchen Erde gewesen, ihr erstes gemeinsames Zuhause in einer kleinen Stadt, das Damien günstig erworben hatte. Damals, in den besten Zeiten ihrer Beziehung, waren sie die Hauptstraße der Stadt entlanggebummelt und hatten Pläne für die Zukunft geschmiedet und danach das Bett geteilt.

Ohne seinem Blick auszuweichen, erwiderte sie nickend: „Ich entsinne mich.“

„Ich möchte es renovieren lassen.“

Das überraschte sie. „Du hast es noch immer nicht instand gesetzt?“

„Nein.“

„Okay. Aber was hat das mit mir zu tun?“

„Du hast mir in diesem Haus ein Versprechen gegeben, eine Woche, bevor du mich verlassen hast.“

Tess war so erschrocken, dass es ihr die Sprache verschlug.

„Du hast versprochen, mir bei der Renovierung zu helfen. Du wolltest daraus ein Heim machen, wenn ich mich richtig erinnere.“ Er senkte die Stimme und fuhr mürrisch fort: „Ich hoffe, du hältst dein Versprechen.“

„Ist das dein Ernst?“

„Ja.“

Und dann stürzten mit einem Mal alle Erinnerungen auf sie ein. Es war passiert, eine Woche, bevor sie gegangen war, genau wie er es gesagt hatte. Eine Woche, bevor Henry sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wollte. Eine Woche, bevor sie sich gezwungen hatte, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass sie mit einem Mann wie Damien niemals das Leben führen würde, das sie sich vorgestellt hatte. Die Art sicheren, familienfreundlichen Lebens, nach dem sie sich seit dem Tod ihrer Eltern gesehnt hatte, seit sie siebzehn Jahre alt gewesen war. Sie sah Damien an und schüttelte den Kopf. „Aber warum? Warum ist dir das jetzt noch wichtig …“

„Es ist ein Kapitel, das ich beenden muss“, erwiderte er kühl. Nach kurzem Zögern griff er in seine Manteltasche und holte einen Umschlag hervor. „Hier sind die Schlüssel, die Adresse – falls du sie vergessen hast – und eine beachtliche Summe Bargeld.“

„Was …“

„Du musst auf der Stelle anfangen.“

Er war verrückt. „Damien, ich habe nicht die Absicht …“

„Ich will, dass der Auftrag in zwei Wochen erledigt ist.“

Sie versuchte nicht einmal ein bitteres Lachen zu unterdrücken. „Unmöglich.“

„In zwei Wochen reise ich ab, zurück nach Kalifornien. Ich möchte sichergehen, dass bis dahin alles fertig ist. Und ich will eine komplette Renovierung, nicht nur ein wenig Farbe an den Wänden und neue Handtücher im Badezimmer.“

Sie hob die Hand. „Stopp jetzt mal. Das wird nicht gehen. In zwei Wochen ist Weihnachten.“

Schulterzuckend entgegnete er: „Du kannst deine Einkäufe in Tribute erledigen.“

„Das ist nicht komisch, Damien. Ich muss eine Firma leiten …“

„Ja, und wenn es dir dann leichter fällt, erzähl deinen Partnerinnen, dass ich dich engagiert habe.“ Plötzlich lag ein verlangender Ausdruck in seinem Blick. „Für zwei Wochen bist du von mir engagiert, um mein Zuhause in Ordnung zu bringen.“

Ein bekanntes Gefühl überkam sie, doch sie ging dagegen an. Entschlossenen Schrittes eilte sie zur Eingangstür hinüber und öffnete sie. „Ich bin nicht gewillt, dieses Spiel länger mitzuspielen.“

Doch er rührte sich nicht von der Stelle. „Gut, denn ich spiele nicht. Du wirst nach Tribute fahren und das Haus renovieren lassen.“

„Oder was?“

„Oder du musst für dein Unternehmen einen neuen Geschäftssitz finden, was eine Menge Zeit und Geld kosten wird. Das kann sich deine neue Firma nicht leisten.“

„Du willst mir wirklich drohen?“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Damit kannst du mich nicht beeindrucken.“

„Ich sage dir nur, dass du an deine Zukunft denken sollst und an die Zukunft deiner Teilhaberinnen.“

„Was, zum Teufel, meinst du damit?“

Er baute sich dicht vor ihr auf. „Ich kenne den Besitzer, und ich denke, dass ich ihn davon überzeugen kann, deinen Mietvertrag im Januar nicht zu verlängern.“

Vor Schreck blieb ihr beinah das Herz stehen. „Woher weißt du, dass der Mietvertrag im Januar ausläuft?“ Sie fing an zu zittern und atmete stoßweise. „Hast du diesen idiotischen Vermieter in der Hand?“

„Muss ich nicht. Ich bin der Idiot.“

Tess hielt den Atem an, Totenstille erfüllte den Raum. Sie versuchte zu begreifen, was er gesagt hatte, und noch wichtiger, was es bedeutete.

„Ich bin der Besitzer des Bürogebäudes, Tess.“

„Das glaube ich dir nicht“, entgegnete sie kopfschüttelnd.

„Das Gebäude gehört meiner Gesellschaft“, erklärte er betont ruhig. „Seit drei Jahren.“

„Warum tust du das?“

„Ich habe ebenfalls einen Beruf.“

„Was ist denn das für ein Beruf, den du hast? Rache üben? Gefühle verletzen, weil ich nicht dich, sondern einen anderen Mann gewählt habe?“

Er schien vor ihren Augen noch einige Zentimeter zu wachsen und schaute sie finster an.

Ohne sich einschüchtern zu lassen, erwiderte sie seinen Blick. „Werd endlich erwachsen, Damien.“

Er verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln. „Ich erwarte dich dann morgen Nachmittag in dem Haus. Enttäusch mich nicht.“

„Was glaubst du, wer du bist?“, rief sie hinter ihm her, als er den Flur hinunterging. „Der Mann, den ich gekannt habe, hätte so etwas niemals getan …“

„Der Junge, den du gekannt hast, war ein Narr“, konterte er und drehte sich noch einmal um, bevor er in den Aufzug trat. „Lass dir die Suppe schmecken.“

Tess schlug die Eingangstür mit etwas zu viel Schwung zu. Dieser Mistkerl. Niemals. Auf keinen Fall. Er konnte sich seine Drohungen sonst wo hinstecken. Ihr Blick fiel auf die Tasche vom Delikatessengeschäft, die auf dem Couchtisch stand. Sie schnappte sie sich und stolzierte in die Küche. Doch als sie die Suppe in den Abfall geworfen hatte, kam Tess zur Vernunft. Wenn er der Besitzer ihres Bürogebäudes war – eine Sache, die sich ganz schnell überprüfen ließe –, konnte er seine Drohung wahr machen und sie allesamt rausschmeißen.

Hasste er sie wirklich so sehr …?

Tess lehnte sich an den Küchentresen und seufzte auf. Ihre Kopfschmerzen von vorhin waren weg, doch es schien so, als ob sie dabei war, neue zu bekommen … solche, die mehr als zwei Wochen andauern würden.

Nach Ansicht etlicher bedeutender Athleten und einiger dieser perfekten Leute, die sehr viel trainierten, war körperliche Ertüchtigung der beste Weg, um in den Zustand wahrer Selbsterkenntnis zu gelangen.

Nun, Tess verließ sich darauf.

„Also, eine Hausrenovierung? Heißt das: neue Farbe und Leichtbauwände? Oder reden wir von einer Komplettsanierung mit Klimaanlage und neuen Abwasserrohren?“

Es war sieben Uhr morgens, und Tess hatte sich mit Olivia im Fitnessstudio zum Training verabredet. Etwas früher an diesem Morgen, gegen Viertel nach sechs, hatte sie im Büro ihrer Agentur gesessen und jeden einzelnen Mietvertrag durchgesehen, nur um festzustellen, dass das Gebäude tatsächlich Damiens Gesellschaft gehörte. Tess hatte nicht lange gebraucht, um das herauszufinden. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als den Tatsachen ins Auge zu sehen. Damien wollte sich rächen. Und nach seinem gestrigen Gesichtsausdruck zu urteilen, würde er nicht lange zögern, sie alle auf die Straße zu setzen, wenn Tess seinen Forderungen nicht nachkam.

Also würde sie sich um elf Uhr auf den Weg nach Tribute machen. Sie würde sich darauf einlassen, den Job zu machen, und dann wieder verschwinden.

„Ich bin nicht sicher, was ich dort vorfinden werde“, keuchte Tess und rang nach Atem, da sie noch mehr Tempo aufnehmen musste, weil sie die Geschwindigkeit ihres Laufbandes um eine Stufe erhöht hatte. „Vermutlich muss ich es abwarten.“

Neben ihr strampelte Olivia im Schneckentempo auf einem Ergometer. „Der Kunde hat dir keine genaueren Angaben gemacht?“

„Er wünscht eine komplette Renovierung.“

„Apropos, wer ist eigentlich der Kunde? Kenne ich ihn?“

Tess zögerte. Ihre Antwort sollte gleichgültig klingen. „Es ist der Mann von Marys und Ethans Hochzeit.“

Olivia runzelte die Stirn. „Dieser große, dunkelhaarige Traummann? Der Mann, der gestern in unserer Agentur nach dir gesucht hat?“

„Genau der.“

„Wow. Der scheint keine Zeit zu verlieren.“

Tess biss sich auf die Lippe. Sie hasste es, ihre Partnerin anzulügen, doch auf keinen Fall hatte sie vor, über die Vergangenheit und die jetzigen Umstände zu reden. Oder darüber, was auf dem Spiel stand, wenn sie den Job nicht erledigte. „Wir haben heute Morgen miteinander gesprochen. Für ihn ist es wichtig, dass die Arbeit so schnell wie möglich gemacht wird. Er will in einigen Wochen nach Kalifornien zurück.“

„Hat er vor, die Immobilie wieder zu verkaufen?“

„Ich glaube schon.“

„Das ist ein riesiger Auftrag, den du so kurz vor Weihnachten angenommen hast. Bist du sicher, dass du das packst?“

„Ja. Kein Problem. Wahrscheinlich werde ich einen Großteil der Arbeit selber machen, dann einige Subunternehmer beauftragen.“

„Du wirst wegen der Feiertage den doppelten Preis zahlen müssen.“ Lächelnd und ohne ins Schwitzen gekommen zu sein, stieg Olivia vom Rad und stellte sich neben das Laufband. „Wo wir schon mal dabei sind, was hast du Weihnachten vor?“

Hm … das Gleiche, was sie jedes Jahr tat. Ein paar Leute in ihre Wohnung einladen, um mit ihnen etwas zu essen und Musik zu hören, dann am ersten Weihnachtstag einfach ausruhen. „Ich weiß noch nicht.“

„Ich möchte, dass du den Tag mit Mac und mir verbringst.“

Tess schmunzelte. Es war ein nettes Angebot. „Das ist lieb, Liv. Aber …“

„Kein Aber.“

Tess stieg vom Laufband und griff nach ihrem Handtuch. „Mal sehen.“

„Und du weißt“, fuhr Olivia fort. „Mac hat einen Freund …“

„Das ist schön“, fiel Tess ihr schnell ins Wort. „Jeder braucht Freunde.“

Den Kopf zur Seite neigend, schenkte ihr Olivia ein sanftes Lächeln. „Ich möchte, dass du den richtigen Mann findest.“

„Ich will den richtigen Mann nicht, Liv.“

Olivia lachte. „Wie wäre es dann mit dem falschen?“

Das hatte ich schon. Damit bin ich durch. Etwas angespannt warf sie Olivia einen freundlichen Blick zu. „Ich muss nach Haus. Duschen und mich umziehen, die Katze zum Tierarzt bringen und mich dann auf den Weg machen.“

„Ich werde dich anrufen“, erklärte Olivia nickend.

„Okay.“

Tess fuhr einen ziemlich großen Geländewagen. Er war schwarz und schnittig, hatte Allradantrieb, ein super Sound-System und praktische Becherhalter für ihren Kaffee. Außerdem verfügte es über eine Display-Anzeige für die Außentemperaturen.

Normalerweise schaute sie, wenn sie unterwegs war, nur einmal auf diese Anzeige, doch bei dieser Tour warf sie alle fünf Minuten einen Blick drauf. Größtenteils, weil sie nicht glauben konnte, wie schnell die Temperatur sank – alle dreißig Minuten fünf Grad.

Die Winter im nördlichen Minnesota hatten mehr Ähnlichkeit mit der Arktis, als die meisten Leute mitbekamen. Temperaturen unter Null gab es schon im Oktober, und sie blieben so bis ungefähr in den April hinein, das machte jedermann dort ein wenig verrückt. Tess schüttelte den Kopf. Und sie stand im Begriff, die nächsten zwei Wochen dort zu verbringen. Gott sei Dank hatte sie ihren Parka eingepackt.

Kurz vor zwei verließ sie die Autobahn und fuhr den kurzen Weg zur Innenstadt von Tribute, die nur aus vier breiten, wenig befahrenen Straßen mit einer Handvoll Tante-Emma-Läden, Tankstellen und Imbiss-Restaurants bestand. Es hatte sich in den letzten sechs Jahren nicht viel verändert, und für einen Moment erinnerte sich Tess daran, wie sie sich mit Damien einen Burger im Imbiss geteilt hatte, und an eine Menge Knutscherei hinter der Tankstelle.

Im Schneckentempo fuhr sie die Yarr Lane hinunter und bog dann in die dritte Auffahrt auf der linken Seite ein. Sie würgte den Motor ab und stieg aus dem Wagen. Auf dem Hof lag eine fast einen Meter hohe Schneedecke, doch ansonsten sah das kleine rote Häuschen genauso aus wie damals. Was, nebenbei bemerkt, nicht viel zu sagen hatte.

Für den Anfang brauchte es einen frischen Anstrich, einen ordentlichen Türknauf, Kutscherlampen, einen Türklopfer und eine neue Hausnummer. Und das war nur das Äußere des Hauses.

Als sie zur Haustür ging, musste sie daran denken, dass Damien das Haus für sie beide, für ihre gemeinsame Zukunft, gebaut hatte. Doch er hatte sehr schnell klargemacht, dass er das Gebäude auch als Investitionsanlage erworben hatte: die erste von vielen – um es instand zu setzen und dann mit Profit zu verkaufen. Das zu hören versetzte ihr einen schweren Schlag und ließ sie begreifen, dass sie ganz unterschiedliche Dinge vom Leben erwarteten.

Sie schloss auf und betrat das Haus. Es war völlig leer, nicht ein einziges Möbelstück befand sich darin, und auf jeder sichtbaren Oberfläche befand sich eine dicke Staubschicht.

Schnellen Schrittes ging sie hindurch und stellte fest, dass die beiden Schlafräume noch in gutem Zustand waren. Sie mussten nur gereinigt werden, brauchten neue Einbauschränke und ein bisschen Farbe an den Wänden. Die Küche und das Badezimmer sahen jedoch schrecklich aus. Völlig veraltet zeigten sich die Spuren jahrelanger Abnutzung. Beide Räume benötigten einen neuen Farbanstrich, neue Fußböden und eine neue Arbeitsplatte beziehungsweise Waschbeckenabdeckung. Einige Wände mussten neu verkleidet werden. Außerdem würde sie neue Haushaltsgeräte, Sanitäranlagen und Einbauschränke installieren lassen.

Dann stand sie im Wohnzimmer und war wie erstarrt. Hier war eine komplette Renovierung unumgänglich. Als Erstes musste sie in die Stadt gehen und sich Reinigungsmittel sowie die Telefonnummern einiger Handwerker besorgen.

„Sie sind also die Dame aus der Stadt, die Damien angeheuert hat?“

Erschrocken drehte sich Tess um. Hereingekommen war eine Frau Ende sechzig, eingemummt in eine dunkelblaue Daunenjacke, mit passender Skimütze auf dem Kopf. Sie hatte glatte schokoladenbraune Haut, hohe Wangenknochen und katzenartige veilchenblaue Augen. Trotz ihrer kleinen und ein wenig molligen Erscheinung war sie selbst in diesem Alter noch auffällig schön.

Tess streckte die Hand aus. „Hallo, ich bin Tess York.“

„Wanda Bennett“, stellte sich die Frau vor und schüttelte ihre Hand mit festem Holzfällergriff. „Ich bin die Immobilienverwalterin hier in Tribute und die Besitzerin des Supermarktes der Stadt.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Die Frau nickte und sah sich um. „Nettes Plätzchen, doch es muss was getan werden.“

„So ist es“, stimmte Tess ihr zu.

„Ich habe nie verstanden, warum Damien es so hat herunterkommen lassen. Das ist nicht seine Art.“

Nein, das war nicht seine Art. Und er hatte das Haus so lange vermodern lassen, bis er die Zeit gefunden hatte, eine frühere Freundin zu erpressen, es auf Vordermann zu bringen. Tess dachte nicht, dass es angebracht war, Wanda darüber in Kenntnis zu setzen. Sicher, die Frau hatte Damien beim Vornamen genannt, also waren sie vielleicht Freunde, vielleicht wusste sie genau, wer Tess war und was sie hier machte.

„Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich hier so hereingeplatzt bin?“, nahm Wanda das Gespräch wieder auf.

„Sie sagten, dass Sie die Verwalterin sind …“

„Sicher, ich kümmere mich um die Heizung und das Wasser, aber Damien wollte, dass ich Ihnen das hier gebe.“ Sie zog einen dicken Umschlag aus ihrer Jackentasche hervor und händigte ihn Tess aus. „Hier.“

„Was ist das?“

„Er hat es heute Morgen überwiesen. Er dachte, dass Sie möglicherweise mehr brauchen, als er Ihnen gegeben hat“, erklärte Wanda. „Für die Renovierung des Hauses. Er möchte, dass Sie es auch einrichten.“

Tess schaute in den Umschlag. Ein dicker Packen Hundertdollarnoten. Großer Gott. Er hatte ihr schon vier Mal so viel gegeben. Aber auf der anderen Seite konnte man nicht wissen, welche Probleme in einem älteren Haus aufkommen könnten. Sie wandte sich wieder an Wanda. „Gibt es ein Möbelgeschäft in der Stadt?“

„Nein.“

„Lampen, Haushaltswaren?“

„Es gibt ein Haushaltswaren-Geschäft in Tribute – es liegt an der Hauptstraße, neben dem Diner –, und Sie können Möbel und Einbauleuchten in Jackson bekommen, das liegt etwa fünfzig Meilen entfernt.“ Sie hielt einen Moment inne, dann fuhr sie fort: „Allerdings denke ich, dass Damien eine landestypische Einrichtung vorziehen könnte. Einige Leute hier in der Gegend bauen selber Möbel, ich werde mit ihnen reden.“

„Arbeiten die schnell? Ich stehe ein wenig unter Zeitdruck.“

Wanda zuckte die Schultern. „Kommt darauf an.“

Tess seufzte. Es sah so aus, als ob sie alles selbst herausfinden musste. Sie schenkte Wanda ein knappes Lächeln und sagte: „Ich werde zum Hotel hinüberfahren und einchecken.“

„Ruby’s Hotel?“

„Ja, ich habe es im Telefonbuch gefunden.“

Angespannt sah Wanda gegen die Decke.

„Stimmt etwas nicht?“

„Nein.“

Erschöpft ließ Tess ihre Schultern sinken. „Was denn? Ist Ruby ein Axt-Mörder oder so was in der Art?“

„Nein, Ruby ist reizend.“ Sie wies auf den Umschlag in Tess’ Hand. „Es ist nur, bevor Sie ins Hotel fahren, müssten Sie erst mal hierhin gehen.“

Tess sah sich die Adresse auf dem Umschlag an. „Was ist das?“

„Damien bittet Sie, um vier Uhr dort zu sein.“

„Wann um vier Uhr?“

„Heute“, entgegnete Wanda gelassen.

Tess schaute auf ihre Uhr. „Jetzt ist es halb vier.“

Die ältere Frau machte eine abwehrende Handbewegung, als ob das kein Grund zur Besorgnis sei. „Es ist nur eine kurze Fahrt. Ich sage Ihnen, wo Sie langfahren müssen.“

Seufzend griff Tess nach ihrer Handtasche, um einen Stift zu suchen. Eigentlich hatte sie das Haus sauber machen wollen, bevor es dunkel werden würde. Verdammter Damien mit seinen Forderungen. „Also, was befindet sich an dieser Adresse?“, fragte sie. „Eine Vertragsfirma, ein Installateur oder so was?“

Wanda zuckte wieder die Schultern. „Oder so was.“

Zornig blickte Tess sie an. „Hat Damien Ihnen gesagt, dass Sie mir mit Ihren ausweichenden Antworten auf die Nerven gehen sollen?“

Darauf verzog die Frau ihren Mund zu einem vielsagenden Schmunzeln und zeigte auf den Stift in Tess’ Hand. „Ich erkläre Ihnen jetzt, wie Sie fahren müssen.“

3. KAPITEL

Die Fahrt dauerte nicht einmal fünf Minuten, doch es ging bergauf, und die Straßen waren glatt, während allmählich die Dämmerung hereinbrach. Als Tess die Auffahrt hochfuhr und das Haus sah, dachte sie, dass sie die Wegbeschreibung falsch verstanden hätte. Sie überprüfte, ob sie die richtige Adresse angesteuert hatte.

Wer, um alles in der Welt, wohnte hier, fragte sie sich. Ein Künstler? Ein berühmter, zurückgezogen lebender Künstler, der sich das Ohr abgeschnitten hatte, dann nach Tribute gezogen war, um Ruhe und Frieden zu finden, und außerdem das frostige Klima liebte?

Als Tess aus dem Auto stieg, blies ihr ein eisiger Wind entgegen. Sie schaute hinauf zu der gewaltigen Festung aus Glas. Wer auch immer hier lebte, sinnierte sie, sollte lieber etwas mit den Renovierungsarbeiten zu tun haben.

Sie ging zur Haustür. Es würde sie nicht überraschen, wenn sich das hier als eine Art Schikane erweisen sollte, die Damien arrangiert hatte, um es ihr schwer zu machen … ein Kunstwerk für eine Wand auszusuchen, die noch nicht einmal gestrichen war, oder etwas ähnlich Aufwendiges, das ihr Zeitmanagement durcheinanderbringen würde. Sicher, er wollte das Haus in zwei Wochen fertig haben, doch er wollte auch, dass sie bei jedem Schritt, den sie machte, mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.

Zähneklappernd läutete sie an der Tür. Glücklicherweise musste sie nicht mehr als zehn Sekunden warten, bevor geöffnet wurde. Für einen Augenblick dachte sie, dass ihr Dany Devito gegenüberstünde. Dann wurde ihr klar, wie absurd dieser Gedanke war, und sie sah den Mann freundlich lächelnd an. „Hallo, ich bin Tess York. Ich habe einen Termin.“

„Sicher.“ Er trat beiseite. „Kommen Sie bitte rein.“

Als sie in die Empfangshalle trat, bemerkte sie als Erstes, wie warm der Raum war. Nicht der Baustil. Der war elegant und ultramodern. Aber die Temperatur fühlte sich angenehm an. Sogar mit dem Sonnenuntergang draußen drang noch Licht durch die vielen Fenster herein und sorgte für wohlige Wärme.

Der Mann, den sie für sich als Danny Devito bezeichnet hatte, nahm ihr den Mantel ab und wies auf den offenen Wohnbereich. Der Raum war perfekt eingerichtet mit teuren und modernen Möbeln – einige hätte man auch für Kunstwerke halten können –, die zur Architektur des Hauses passten. „Kommen Sie mit mir, bitte.“

Tess schenkte dem Mann ein bedauerndes Lächeln. „Tut mir leid, geht nicht.“ Sie hatte für solche Fälle eine Regel. Wenn sie nicht wusste, mit wem oder was sie es zu tun hatte, blieb sie dicht beim Ausgang. „Ich werde hier warten.“

Der Mann sah ein bisschen besorgt aus. „Er möchte das nicht.“

„Wer ist er?“, hakte Tess nach.

„Mein Dienstherr.“

Leicht genervt verdrehte Tess die Augen. Die Situation wurde langsam irre. Vergiss Damiens Anordnungen. Wenn er von diesem Typen Kunst kaufen wollte, oder was immer der Mann zu verkaufen hatte, sollte er das selbst erledigen.

Möglicherweise weil er spürte, dass sie kurz davor war, Reißaus zu nehmen, schlug „Danny“ mit erwartungsvoller Stimme vor: „Wenn Sie einen Moment warten könnten, Ms. York?“

Tess seufzte. „In Ordnung. Aber im Ernst, dies sollte lieber bald geklärt werden.“

Wie eine Maus trippelte der Mann durch den Wohnraum mit offenem First, in dessen Zentrum ein wunderschöner, raumhoher Specksteinkamin stand, davon. Tess fing an, im Geist bis sechzig zu zählen. Sie war erst bei einundfünfzig angelangt, als sie den Butler zurückkommen hörte.

Doch es war nicht der Butler.

Noch bevor sie ihn sah, konnte sie ihn hören, und ihr Magen schnürte sich zusammen. „Du hast meinem Diener das Leben schwer gemacht, nicht wahr, Tess?“

Sie beobachtete ihn, während er auf sie zukam, den Herrn des Hauses, der in seiner Jeans und dem schwarzen Pullover so umwerfend und gefährlich aussah, dass ihr die Worte fehlten.

Als er vor ihr stand, schüttelte sie den Kopf. „Es ist dein Haus, oder? Ich hätte es mir denken können.“ Sie deutete mit dem Finger auf ihn. „Nur fürs Protokoll, ich habe nicht versucht, irgendjemandem das Leben schwer zu machen. Ich habe die Dinge gern unter Kontrolle. Doch vielleicht ist er den Umgang mit starken Frauen nicht gewohnt.“

„Olin“, ließ er sie wissen, während sie ins Wohnzimmer gingen. „Sein Name ist Olin.“

Tess folgte ihm. „Meinetwegen. Also, vielleicht ist Olin es nicht gewohnt, dass du starke Frauen um dich hast.“

Mit seinen brillantblauen Augen blickte er sie kühl an, als er sich in den schwarzen, ledernen Lehnstuhl setzte. „Nur eine Frau kommt hierher, und sie ist sehr stark.“

„Nur eine, ja? Wie fortschrittlich von dir“, erwiderte sie sarkastisch, während sie ihm gegenüber auf dem Stuhl Platz nahm.

„Du hast sie sogar schon getroffen.“

„Wanda?“

Er nickte. „Sie ist eine gute Freundin.“

„Wie nett.“

„Ich bringe niemals Frauen hierher, mit denen ich mich verabrede.“

Frauen. Plural. Also gab es mehrere. Sie verdrängte den Anflug von Eifersucht, den sie verspürte, und kam wieder zur Sache. „Warum bin ich hier, Damien? Und warum tust du so geheimnisvoll?“

„Geheimnisvoll?“, wiederholte er.

Abwehrend hob sie die Hand. „Nein, vergiss es. Ich brauche keine Antwort darauf. Ich hab schon verstanden. Du wolltest, dass ich sehe, welch beachtliche Karriere du gemacht hast, wie gut du jetzt dastehst … das habe ich. Es ist fantastisch, du bist erfolgreich. In Ordnung?“ Da er nichts sagte, sondern sie nur leicht amüsiert anschaute, fuhr sie schnippisch fort: „Nun, ich habe einen Job zu erledigen … einen, der mir aufgezwungen wurde … und ich würde ihn gern so schnell wie möglich erledigen.“

„Ich wollte nicht, dass Wanda dir erzählt, dass es sich um mein Haus handelt, da ich annahm, dass du noch total sauer auf mich bist und dich wahrscheinlich weigern würdest. Und ich wollte, dass du dieses Haus und den Stil siehst, den ich bevorzuge und den ich auch für das rote Cottage haben will.“

Gut. Das machte wenigstens etwas Sinn. „Du möchtest das rote Haus modern eingerichtet haben? Es ist ein gemütliches kleines Landhaus.“

„Gemütliche Landhäuser können und sollten einen modernen Touch haben.“

„Fein. In Ordnung. Gemütlich, aber modern.“ Sie erhob sich. „Wenn ich meinen Mantel haben könnte. Ich muss ins Hotel und einchecken, bevor es dunkel wird …“

„Nein.“

Sie sah ihn verblüfft an. „Was nein?“, hakte sie lachend nach. „Ich bekomme meinen Mantel nicht zurück?“

„Du wirst nicht im Hotel wohnen, Tess.“

„Wie bitte?“

„Kein Motel oder Hotel.“

Der Typ war nicht ganz bei Trost. „Wo soll ich denn deiner Meinung nach bleiben?“

Damien lehnte sich in seinem Sessel zurück.

Empört verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wenn du denkst, dass ich hierbleibe, dann hat dir der Smog in Los Angeles wirklich das Gehirn vernebelt …“

„Nein. Du wirst nicht hierbleiben.“

Die Hände zu Fäusten geballt, presste sie zwischen den Zähnen hervor: „Was schlägst du dann vor? Soll ich einen Iglu bauen?“

„Du wirst im Cottage wohnen.“ Er sagte das, als ob es die einfachste, logischste Lösung der Welt wäre.

Vor Ärger krampfte sich ihr der Magen zusammen. „Das Haus ist schmutzig und unmöbliert.“

„Das wirst du ändern.“

Wutschnaubend blieb sie wie erstarrt stehen. Sie wollte ihn anschreien, ihn vielleicht mit diesem fiesen linken Haken, den sie im Selbstverteidigungskurs an der Uni gelernt hatte, einen Denkzettel verpassen. Doch das war genau das, was er wollte … eine durchgedrehte, frustrierte, verwundbare Tess York.

Das würde nicht passieren.

„Noch mehr Bestrafungen, oder war es das jetzt?“, entgegnete sie knapp.

Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

Tess nickte. „Leg los, Stanhope. Aber eins solltest du wissen: Wenn alles erledigt ist und du in Kalifornien bist, um eine weitere Millionen zu scheffeln, wird sich am Ende nur eins geändert haben: das leise Bedauern, das ich fühlte, als ich dich verlassen habe.“

Mit eisiger Verachtung blickte er sie an. „Es wird dunkel. Ich werde Olin bitten, deinen Mantel zu holen.“

„Mach dir keine Mühe.“ Sie ließ ihn stehen und marschierte durch die Eingangshalle. Dann schnappte sie sich ihren Mantel aus dem Wandschrank und verließ das Haus.

Ein Jahr lang war Damien jedes Wochenende nach Tribute gefahren, um die Bauarbeiten an seinem Haus auf dem Berg zu überwachen. Das hatte er immer haben wollen, ein elfhundert Quadratmeter großes, gläsernes Haus; ein modernes, minimalistisches Bollwerk, von dem man einen Überblick auf das kleine rote Cottage hatte, das er nicht aus seinem Leben streichen konnte. Er hatte das Gebäude selbst entworfen, sodass er nahezu aus jedem Fenster auf das Landhaus schauen konnte. Es war genau so, wie er es haben wollte, es brauchte. Wann auch immer er darauf hinuntersah, wurde er an sie erinnert, und das Gefühl, verraten worden zu sein, spornte ihn an, hatte ihn klug, leidenschaftslos und sehr erfolgreich im Geschäftsleben werden lassen.

Damien nahm den Aufzug bis zur Dachterrasse und trat hinaus. Schnee fiel in hübschen, winzigen Flocken vom Himmel, die sofort auf dem warmen Steinboden schmolzen. Von hier aus konnte er meilenweit sehen, aber er versuchte nicht einmal, über die Grenzen von Tribute hinaus zu schauen. Sein Blick blieb stets an der gleichen Stelle hängen … an dem kleinen roten Haus. Ein winziges Fleckchen Erde, das ihn zu verspotten schien.

Im Augenblick lag es im Dunkeln. Offensichtlich war Tess noch nicht zurückgekehrt.

„Sir?“

„Ja?“ Damien drehte sich zu Olin herum.

„Das Dinner ist fertig, Sir.“

„Ich möchte heute Abend nichts.“

Olin zögerte einen Moment, dann seufzte er ein schnelles „Ja, Sir“, bevor er verschwand.

Damien verspürte keinen Hunger. Jedenfalls nicht nach Essen. Was er wollte, war sie. Ihren Körper und ihre Seele. Er wollte, dass sie ihn hasste und ihn dann liebte, danach wollte er sie zerstören, wie sie ihn zerstört hatte.

Und nach ihrem Treffen vorhin zu urteilen, schien es, als ob er auf einem guten Weg sei …

„Sicher?“

Ruby Deets schüttelte aufrichtig bedauernd den Kopf, und ihre platinblonde Hochsteckfrisur wackelte dabei hin und her. „Es tut mir leid, Liebes. Ich wünschte, es gäbe etwas, was ich für Sie tun könnte.“

Hungrig und langsam den letzten Rest ihrer Geduld verlierend, lehnte sich Tess gegen Rubys Rezeptionstresen. „Sie können. Sie können mir ein Zimmer geben.“

„Kann ich nicht.“

„Sie gehören ihm nicht.“

„Nein, das ist wahr.“ Ruby beugte sich vor, sodass ihr Doppelkinn über der angelaufenen Empfangsglocke schwebte. „Aber ihm gehört das Hotel.“

Tess biss die Zähne zusammen. Natürlich gehörte es ihm.

„Hat noch ein Lebensmittelgeschäft geöffnet?“, wollte sie wissen.

Ruby schaute auf die Uhr an der Wand. „Ihnen bleiben noch dreißig Minuten.“

„Gut, danke.“

„Sie müssen etwas getan haben, was ihn total sauer gemacht hat“, bemerkte Ruby trocken.

„Er ist ein Mann“, betonte Tess, dann wandte sie sich ab, um sich auf den Weg zu machen. Im Weggehen rief sie über die Schulter hinweg: „Es ist nicht schwer, einen Mann zu verärgern.“

Drei Stunden später saß Tess auf einer Decke, die sie aus dem Auto geholt hatte, im winzigen Wohnzimmer des Landhäuschens. Zuvor hatte sie die Spinnweben beseitigt, die Wände geschrubbt und in dem einen Raum den Fußboden gewischt, dann ein Feuer in dem gemauerten Kamin gemacht und die Tasche aus dem Feinkostladen mit dem Sandwich und den Chips geöffnet.

Aufgrund der unkomfortablen Unterbringung und all ihrer Gedanken, die ihr durch den Kopf schwirrten, über Damien und ihre Vergangenheit, die sie jetzt in einem anderen Licht sah, würde sie in dieser Nacht nicht viel Schlaf bekommen.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie daran, nach Haus zu fahren und Olivia einfach zu erklären, was los war. Ihre Partnerin hatte meistens viel Verständnis und reagierte sehr gelassen. Kein Zweifel, sie würde Tess auf die Schulter klopfen, schnell ein Fünf-Gänge-Menü auf den Tisch zaubern – drei davon mit einem hohen Schokoladenanteil – und dann behaupten, dass es kein Problem sei, ganz schnell ein neues Bürogebäude zu finden.

Ach, welch ein verlockender Gedanke.

Doch Tess war kein Feigling, kein Drückeberger. Sie würde die Situation unter Kontrolle behalten und das rote Haus in ein komfortables, modernes Meisterwerk verwandeln. Dann, wenn die zwei Wochen um waren, würde sie zusammenpacken und nach Haus fahren und Damien endgültig hinter sich lassen.

Sie nahm einen weiteren Bissen von ihrem Eiersalat-Sandwich. Um diese Arbeit zu machen, müsste sie ihm immer einen Schritt voraus sein, versuchen zu erahnen, welche Steine er ihr als Nächstes in den Weg legen würde. Den...

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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