Liebe ist mehr als ein Ort

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Bobby Winslow ist zurück! Die Rückkehr des berühmtesten Sohnes der Stadt verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Nur Leeann ist alles andere als begeistert. Damals wollten sie und Bobby heiraten. Doch dann verließ er sie, um als Rennfahrer durchzustarten. Was ihm gelang - bis er einen schweren Unfall hatte. Aber ihr erstes Wiedersehen macht Leeann klar: Bobbys Lebensmut ist ungebrochen, seine Augen blitzen, sein Haar sieht immer noch aus, als käme er gerade aus dem Bett. Leeann wird warm ums Herz … doch diese Zeiten sind vorbei. Sie haben sich beide geändert! Oder etwa nicht?


  • Erscheinungstag 21.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779528
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Bobby Winslow kehrte also zurück.

Der Titelseite der Lokalzeitung zufolge hatte ihn bisher zwar noch niemand offiziell gesehen, aber der Reporter war trotzdem davon überzeugt, dass sich der während seiner Highschoolzeit zum geschicktesten Automechaniker gewählte Bad Boy, inzwischen einer der besten Rennfahrer Amerikas, auf dem Heimweg befand.

Unfein schnaubend schleuderte Deputy Leeann Harris das Blatt auf den Rücksitz ihres Streifenwagens, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, den Blick von der gewundenen Bergstraße vor ihr auf die Fotos unter der fetten Schlagzeile zu richten. Auf einem davon sah man Bobby, wie er im Rollstuhl aus einer Rehaklinik geschoben wurde – das erste Mal seit fünf Monaten, dass die Öffentlichkeit ihn zu Gesicht bekam. Dem Artikel zufolge hatte er bei dieser Gelegenheit verkündet, sich zu Hause erholen zu wollen.

Die ganze Stadt ging davon aus, dass er Destiny, Wyoming, damit gemeint hatte.

Woher sollten die anderen auch wissen, dass Bobby mit achtzehn Jahren geschworen hatte, nie mehr einen Fuß über Wyomings Landesgrenze zu setzen? Auch wenn damals nur die Wut und der Schmerz eines jungen Mannes aus ihm gesprochen hatten, dem man gerade das Herz gebrochen hatte.

Sie gab sich einen Ruck, um die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße vor ihr zu richten. Auf keinen Fall durfte sie sich jetzt ihren Erinnerungen hingeben. Das Beste wäre, sich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren – eine Übung, die sie schon länger beherrschte, wenn sie sich beruhigen musste.

Warum nicht mit dem wunderschönen Spätseptembertag anfangen? Leeann saugte den Anblick der Birken, Eschen und Ahornbäume auf, die sich leuchtend gelb, orange und rot von dem leuchtend blauen Himmel abhoben, während die Tannen und Blaufichten stur an ihrem grünen Kleid festhielten. Die Straße war mit einer frischen dunklen Teerschicht bedeckt, als habe sie sich wegen des bevorstehenden Winters in eine warme Wolljacke gehüllt. Doch als Leeann das Fenster öffnete, drang noch immer laue Spätsommerluft in den Wagen.

„Was für ein schöner Tag, um arbeitslos zu werden“, murmelte sie vor sich hin. Streng genommen war sie ihren Job zwar erst nach Schichtende in – sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr – zwei Stunden los, doch danach waren ihre drei Jahre bei der Polizei in Destiny vorbei.

Der Grund waren Haushaltskürzungen. Wer zuletzt eingestellt worden war, musste zuerst gehen. Okay, in ihrem Fall traf das nicht ganz zu. Deputy Ben Dwyer hatte einen ganzen Monat nach ihr angefangen, aber da er Familie hatte, war er auf den Job angewiesen. Als sich herumgesprochen hatte, dass jemand entlassen werden musste, war Leeann direkt in das Büro ihres Chefs gegangen, um Bens Job zu retten.

Sie hatte ohnehin schon länger mit dem Gedanken gespielt, ihre Zelte abzubrechen und weiterzuziehen. Seit im letzten Jahr ihre beiden besten Freundinnen ihre große Liebe gefunden und geheiratet hatten, war Leeann irgendwie rastlos. Nicht, dass sie sich nach Liebe, einem Zuhause oder der Ehe sehnte, aber irgendetwas fehlte. Sie brauchte einfach … mehr.

So wie es aussah, stand sie also mal wieder an einem Scheideweg, wie ihre Tante Ursula es gern ausdrückte. Nichts Neues unter der Sonne.

Als Leeann bei ihrem Lieblings-Aussichtspunkt ankam, hielt sie an, um den Anblick der Hügel zu genießen. Hoffentlich würde der Rest ihrer Schicht ohne Zwischenfall verlaufen. Allerdings war die Highschool seit einer halben Stunde vorbei, und die Straße war ein Paradies für Teenager, die eine Spritztour machen wollten, vor allem an einem so schönen Tag wie heute. Unwillkürlich musste sie an früher denken, als sie hier entlanggesaust war und sich lachend am Beifahrersitz festgeklammert hatte, während neben ihr …

Ein lautes Motorgeräusch drang an ihre Ohren. Sekunden später schoss ein riesiges Fahrzeug so schnell an ihr vorbei, dass die Karosserie ihres Wagens schwankte. Was zum …?

War das etwa ein Wohnmobil?

Rasch schaltete Leeann das Blaulicht und die Sirene ein und nahm die Verfolgung des gigantischen Fahrzeugs auf, das gerade hinter der ersten Kurve aus ihrem Blickfeld verschwand. Als sie über die nächste Hügelkuppe schoss, fuhr das Wohnmobil ein Stück vor ihr rechts ran.

Da dahinter kein Platz mehr war, parkte sie ihren Dienstwagen schräg davor. Sie sah in den Rückspiegel, gab per Funk das aus North Carolina stammende Nummernschild durch und stieg aus. Nachdem sie sich das kinnlange Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte, setzte sie sich die Baseballkappe des Polizeireviers von Destiny auf.

Wer mochte das sein? Touristen vielleicht? Ein Senior mit Bleifuß?

Sie legte die rechte Hand auf ihre Dienstwaffe und schärfte ihre Instinkte. Alles war ruhig. So weit, so gut – nur dass sie wegen der blendenden Sonne die zwei Personen hinter der Windschutzscheibe nicht genau erkennen konnte. Sie ging ein paar Schritte weiter und machte dem Fahrer eine Geste, das Fenster herunterzukurbeln.

Er gehorchte und lehnte sich aus dem Fenster. „Gibt es ein Problem, Officer?“

Der Mann hatte kurz geschorenes, grau meliertes Haar und trug eine dunkle Sonnenbrille. Sein Oberarm unter dem schwarzen T-Shirt war breiter als ihr Oberschenkel. Deutlich zeichnete sich ein gut trainierter Bizeps mit einem Tattoo darauf ab, das sie nicht genau erkennen konnte.

„Bitte steigen Sie aus.“ Auf keinen Fall würde sie sich mit dem Kerl unterhalten, solange er hoch über ihr thronte. „Und bringen Sie Ihren Führerschein und Ihre Fahrzeugpapiere mit.“

„Ich komme hinten raus.“ Der Mann klopfte von außen gegen seine Tür. „Wir haben Probleme mit der Tür.“

„Ist gut.“

Grinsend zog er den Kopf ein.

Leeann beobachtete, wie er etwas zu seinem Beifahrer sagte und dann nach hinten aus ihrem Blickfeld verschwand. Als sie zu ihrem Streifenwagen zurückkehrte, betrachtete sie neugierig die kunstvoll bemalte Motorhaube des Wohnmobils.

Im Schatten der Bäume konnte sie den zweiten Mann im Wagen besser erkennen. Er trug eine verspiegelte Sonnenbrille und eine rückwärts aufgesetzte Baseballkappe. Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte, auch wenn sie sich wegen des Spiegelglases seiner Brille nicht ganz sicher sein konnte.

Zu ihrer Bestürzung spürte sie, dass sie unter seinem Blick hochrot anlief. So etwas war ihr in Gegenwart eines Mannes schon ewig nicht mehr passiert, höchstens am Anfang, als man sie noch öfter angestarrt hatte, wenn man sie auf der Straße erkannte. Doch je länger ihr glamouröses Leben in New York zurücklag, desto seltener kam so etwas vor.

Warum also jetzt? Warum ausgerechnet bei diesem Typen?

Als der Fremde schließlich den Blick abwandte, beruhigte Leeann sich mit der Erklärung, dass ihr bestimmt nur wegen der spätsommerlichen Hitze so heiß geworden war.

In diesem Augenblick ging die Hintertür des Wohnmobils auf, und ein wahrer Riese von einem Mann stieg aus. Er war mindestens zwei Meter groß und von Kopf bis Fuß genauso durchtrainiert wie seine Oberarme. Das schwarze T-Shirt spannte sich über seine breite Brust und passte perfekt zu der dunklen Jeans, die wie eine zweite Haut saß.

Er sah ihr direkt in die Augen, als er auf sie zukam, doch abgesehen von der Wachsamkeit, die sie als Polizistin allen Fremden gegenüber empfand, zeigte ihr Körper keinerlei Reaktion – ganz anders als bei dem stummen Blickwechsel mit seinem Beifahrer gerade eben.

Der Mann blieb vor ihr stehen und schenkte ihr ein Lächeln, das zu gutmütig war, um gekünstelt zu sein. Er hielt ihr seine Autopapiere hin.

Leeann nahm sie entgegen und warf einen Blick auf seinen Führerschein. „Dean Zippenella?“

„Ja, Ma’am.“

„Dean Martin Zippenella?“

Grinsend zuckte er die Achseln. „Ich komme aus einer großen italienischen Familie, und meine Nonni war ein großer Fan von Dean Martin. Die meisten nennen mich allerdings Zip oder Zippy.“

„Seine Brüder heißen Frank und Joey.“

Leeann warf einen überraschten Blick auf den im Fahrerhäuschen sitzenden Mann. Diese Stimme … Er hatte zwar sehr leise gesprochen, aber irgendwie kam sie ihr bekannt vor.

Erst jetzt sah sie den Hund auf seinem Schoß. Das bunt gescheckte Tier mit dem schwarzen Fleck über einem Auge hatte hechelnd die Vorderpfoten gegen die Windschutzscheibe gestützt und sah sie an. Es schien ein Mischling zu sein.

„Nach Frank Sinatra und Joey Bishop?“, fragte sie belustigt.

Die beiden Männer nickten.

„Und wer sind Sie?“, wandte sie sich an den Typen im Wohnmobil, der den Hund zwischen den Ohren kraulte.

„Hm?“ Er erstarrte in der Bewegung.

„Sind Sie beide miteinander verwandt?“, hakte sie nach.

„Nein.“

„Ja.“

Beide Männer sprachen gleichzeitig. Misstrauisch sah Leeann zwischen ihnen hin und her. „Habe ich mich etwa missverständlich ausgedrückt?“

Der Fahrer verschränkte herausfordernd die Arme über der massiven Brust. „Wir sind nicht blutsverwandt, stehen uns aber so nahe wie Familienmitglieder.“

Leeann sah ihn warnend an.

Gehorsam ließ er die Arme sinken. „Was spielt das schon für eine Rolle?“, sagte der Mann im Wohnmobil. Er sprach noch immer leise, doch die Schärfe in seinem Tonfall war unüberhörbar. „Und warum haben Sie uns überhaupt angehalten? Wir sind schließlich nicht schneller als erlaubt gefahren.“

„Ich habe es allmählich satt, zwischen Ihnen beiden hin und her zu sehen. Warum kommen Sie nicht zu Ihrem Freund nach draußen und lassen den Hund im Wagen?“

Der Unbekannte starrte sie an, bis Leeann unbehaglich den Blick abwandte. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass sie ihn irgendwoher kannte. Sie ignorierte sie.

„Ist das wirklich nötig, Officer Harris?“, fragte er ausdruckslos.

Als Leeann ihren Namen aus seinem Mund hörte, wandte sie ihm wieder ruckartig das Gesicht zu. Seine Stimme klang plötzlich ganz anders. Weicher. Und irgendwie vertraut. Woher kannte er ihren Namen? Hatte er ihn vielleicht auf dem kleinen Namensschild an ihrer Uniform gesehen?

Sie schluckte. „Ja, es ist nötig.“

Fragend sah er seinen Reisegefährten an, der kaum merklich nickte.

Der Typ im Wagen zog den Hund zurück und stand auf.

Als Leeann den Namensvetter des Rat Packs aufseufzen hörte, drehte sie sich irritiert zu ihm um. Warum wollte er nicht, dass sein Freund nach draußen kam? „Sie heißt Daisy“, erzählte der Muskelprotz ungefragt. „Den Hund, meine ich. Ich habe sie nach Daisy Duke bekannt. Der scharfen Braut aus ‚Ein Duke kommt selten allein‘.“

Leeann unterdrückte ein Lächeln. „Ich kenne die Serie. Ist sonst noch jemand im Wohnmobil?“

„Nein, nur wir drei.“

Sie nickte. Allmählich entspannte sie sich. Trotzdem zählte sie innerlich die Minuten, bis sein Kumpel herauskam. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Tür schließlich aufging und der Mann mit der Spiegelbrille schwerfällig ausstieg und mühsam zu ihr humpelte. Leeann fragte sich, ob er Drogen genommen hatte.

Anders als bei seinem Kumpel hingen seine Kleidungsstücke trotz seiner breiten Schultern lose an ihm herunter. Sein weißes Baumwollhemd war zerknittert, und er zog seine mit Sneakers bedeckten Füße durch den Staub, als fiele es ihm schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Als er seine Baseballkappe nach vorn drehte, sah sie nur noch seine zusammengepressten Lippen. Im ersten Augenblick dachte sie, dass er wütend war, aber dann merkte sie, dass er Schmerzen hatte. Sein Gesicht und sein Hals waren schweißbedeckt.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Er nickte schroff.

„Kann ich bitte Ihren Führerschein sehen?“ Leanns Herz machte einen nervösen Satz, als sie sein seltsam vertraut klingendes Lachen hörte.

Er nahm seine Baseballkappe und seine Sonnenbrille ab und lächelte schwach. „Ist unsere letzte Begegnung wirklich schon so lange her, dass du mich nicht mehr erkennst, Leeann?“

Scharf sah sie ihn an. Dann erkannte sie ihn. Ihr stockte der Atem.

Bobby Winslow.

Der Mann, den sie früher mal hatte heiraten wollen.

Dann hatte die Zeitung also nicht gelogen. Bobby war tatsächlich zurückgekehrt.

Sein Haar war noch so dunkel wie früher und fiel ihm genauso eigenwillig in die Stirn. Seine weißen Zähne blitzten, wenn er sprach, und er hatte dieselben Grübchen.

Seine Ausstrahlung war auf den Schwarz-Weiß-Fotos in der Zeitung nicht rübergekommen, aber Leeann wusste noch aus eigener Erfahrung, wie charismatisch Bobby war. Mit fünfzehn Jahren war sie machtlos dagegen gewesen. Leider bekam sie auch noch mit zweiunddreißig weiche Knie in seiner Gegenwart.

Da er auf eine Antwort zu warten schien, sagte Leeann, was ihr gerade durch den Kopf ging. „Du siehst ziemlich mitgenommen aus.“

„So schonungslos direkt wie immer.“ Bobby schob die Hände in seine Hosentaschen. „Du hast dich offensichtlich überhaupt nicht verändert, Lee.“

Er war der Einzige gewesen, der ihr diesen Spitznamen hatte geben dürfen. Sie hatte diese Kurzform ihres Namens immer gehasst, bis Bobby sie im Drive-in so genannt und auf dem geräumigen Rücksitz seines 71er Duster geküsst hatte.

„Sorry, es war nicht so gemeint“, antwortete sie errötend. „Du siehst gut aus … zumindest wenn man berücksichtigt, dass du …“

„… erst vor einer knappen Woche aus der Reha entlassen wurdest“, ergänzte Bobby und winkte lässig ab, eine Bewegung, die ihn ins Schwanken brachte. Er versteifte sich sofort. „Ja, ich halte mich ganz gut für jemanden, der vor fünf Monaten fast umgekommen wäre.“

Leeanns Herz machte einen Satz. „W…was machst du hier?“

„Ich wohne hier.“

Nein, tat er nicht. Nicht mehr.

Nur seine Mutter lebte noch in der Stadt – ein paar Häuser von Leeann entfernt in einem hübschen Häuschen mit Garten und weißem Lattenzaun, das Bobby ihr vom Gewinn seines ersten großen Autorennens gekauft hatte. Valzora Winslow hatte das Leeann voller Stolz erzählt, als sie sie nach deren Einzug mit einem Teller selbst gebackener Kekse begrüßt hatte. Seitdem unterhielten sie sich manchmal über den Gartenzaun. Nur über Leeanns und Bobbys Vergangenheit verloren sie kein Wort …

„Du wohnst doch schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr hier.“

„Warst du nicht auch länger weg?“, konterte er.

Woher wusste er das? Sie hatten in den letzten vierzehn Jahren keinen Kontakt mehr gehabt, und sie bezweifelte, dass er die Neuigkeiten aus Welt der Mode verfolgt hatte. „Ich bin vor drei Jahren zurückgekommen und wohne seit zwei Jahren in der Laurel Lane.“

Bobby starrte sie überrascht an, als er den Straßennamen seiner Mutter hörte. Dann wusste er anscheinend nicht, dass Leeann seine Mutter in der Nacht nach seinem Unfall zum Flughafen gefahren hatte, damit sie ihn besuchen konnte.

„Destiny ist mein Zuhause“, antwortete er etwas selbstgefällig. „Ich wollte mir gerade meine neue Bleibe ansehen.“

Mit „Bleibe“ meinte er das riesige, im Laufe des Sommers errichtete Blockhaus ein Stück die Straße runter. Das Gerücht, dass der beliebteste Sohn der Stadt es hatte bauen lassen, war im Juli von der Zeitung bestätigt worden.

Leeann hatte bisher einen großen Bogen um die von den Einheimischen „Schloss Winslow“ genannte Baustelle gemacht, erst recht, nachdem sie erfahren hatte, dass ihm die Firma gehörte, die vor Monaten ihr Land gekauft hatte.

„Na ja, wenigstens weiß ich jetzt, warum dein mobiles Zuhause so schnell war.“ Sie zeigte auf das Wohnmobil. „Du konntest noch nie widerstehen, einen Motor zu frisieren, oder? Was hast du mit dem Ding da angestellt?“

„Das ist ein 362-PS-V10-SEFI-Triton-Motor, und ich habe überhaupt nichts damit angestellt“, antwortete Bobby mit einem Anflug seines früheren Lächelns. „Noch nicht.“

„Sicher?“ Leeann reichte seinem Freund die Fahrzeugpapiere zurück. Plötzlich kam ihr eine Idee. „Aber vielleicht saß ja gar nicht dein Kumpel hinterm Steuer, sondern du.“

Bobbys Lächeln erlosch. „Glaub mir, ich bin nicht gefahren.“

„Früher hättest du dich nie mit dem Beifahrersitz zufriedengegeben.“

„Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, saß dort immer meine Freundin“, antwortete er bissig.

Leeann spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. „Dann hast du also inzwischen abzugeben gelernt?“, fragte sie spitz.

Bobby legte den Kopf schief. „Nur, wenn es nicht anders geht. Du weißt ja, wie schwer es mir fällt, die Macht aus der Hand zu geben.“

Macht hinterm Steuer. Macht über sie.

Schon als Teenager hatte Leeann seiner magischen Anziehungskraft nicht widerstehen können. Sie hatte sich bereits bei ihrer ersten Begegnung zu dem wilden, ungezähmten und selbstbewussten Jungen hingezogen gefühlt. Vielleicht, weil er so anders war als ihre steifen spießigen Eltern?

Mit Bobby zusammen zu sein, hatte ihr ein völlig unbekanntes Gefühl von Freiheit gegeben – bis er sie gegen Ende ihrer Highschoolzeit mit einem Verlobungsring überrascht und gedrängt hatte, ihn gleich nach den Prüfungen zu heiraten, weil er kurz danach zur Armee musste.

„Stimmt, ich erinnere mich. Ich musste dir einen Diamantring an den Kopf werfen, damit du endlich kapiert hast, was Nein heißt.“

Entsetzt hielt sie die Luft an. Hatte sie das wirklich gerade gesagt? Und das auch noch in Gegenwart seines Freundes? „Tut mir leid, das war unfair …“

„Lass gut sein“, unterbrach Bobby sie und winkte ab. „Ich habe damals genug Entschuldigungen aus deinem Mund gehört. Das reicht mir bis an mein Lebensende.“

Leeann musste daran denken, wie sie ihm nicht weit von hier unter Tränen und Entschuldigungen zu erklären versucht hatte, warum sie als Model nach New York gehen musste, und zwar allein. Ihre Mutter hatte zuvor ohne ihr Wissen Fotos von ihr bei einem Wettbewerb eingereicht. Leeann hatte den ersten Preis und damit die Chance auf einen Modelvertrag bei einer renommierten Agentur gewonnen. Wenige Tage vor ihrer Hochzeit mit Bobby hatte sie ihm ihre Entscheidung mitgeteilt.

Mann, er musste Jahre darauf gewartet haben, ihr das um die Ohren zu hauen.

Leeann ignorierte die Kälte, die in ihr aufstieg, und setzte jenes strahlende Lächeln auf, das sie als ehemaliges Model perfekt beherrschte. „Okay, ich lasse euch diesmal mit einer Verwarnung davonkommen.“

Sie drehte sich zu Bobbys Freund um, der während des ganzen Wortwechsels kein Wort gesagt hatte. „Bitte halten Sie sich während Ihres weiteren Aufenthalts hier an die Geschwindigkeitsbegrenzung, Mr Zippenella.“

„Ja, Ma’am“, antwortete der Mann und steckte seinen Führerschein in seine Brieftasche. „Nennen Sie mich Dean. Oder Zippy. Obwohl ich auf Sie sogar reagieren würde, wenn Sie einfach nur ‚hey, du‘ sagen.“

Diesmal lächelte Leeann aufrichtig. Der Typ hatte wirklich Charme. „Ich werd’s mir merken, Dean.“

„Dann dürfen wir jetzt also weiterfahren, Officer?“

Leeann richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Bobby. Ihr fiel auf, dass er zitterte und sein Gesicht schweißnass glänzte. Sie unterdrückte die Frage, ob mit ihm alles in Ordnung war, und ging zu ihrem Streifenwagen zurück. „Ja, Gentlemen. Genießen Sie den Rest des schönen Herbsttages. Und Bobby … willkommen zu Hause.“

2. KAPITEL

Bobby stützte schwankend die Hände in die Hüften, als er Leeanns Streifenwagen hinterhersah. Das inzwischen vertraut gewordene Zittern in seinen Beinen war ein Vorbote der stechenden Schmerzen, mit denen er in den letzten Monaten zu leben gelernt hatte. Nach nur sechs Schritten zum Wohnmobil verließ ihn die Kraft, und er sackte neben einem Vorderreifen zusammen.

Zippy rannte auf ihn zu und hockte sich neben ihn. „Verdammt, Ace!“

Bobby starrte auf die leere Straße. Er hatte sich immer noch nicht von dem Schock erholt, dass das Mädchen, das seine lächerlichen Teenagerträume zerstört hatte, ebenfalls wieder in Destiny lebte.

Und das ausgerechnet als Deputy Sheriff.

Ohne ihre tiefe Stimme, die so rau und zugleich weich war wie der Whisky, den er in der letzten Zeit zu schätzen gelernt hatte, hätte er in der Frau in der kakifarbenen Uniform und dem kurz geschnittenen Haar nie seine erste große Liebe wiedererkannt.

Sie war Polizistin? Im Ernst?

„Hey, Bro?“ Zip versetzte ihm einen sanften Rippenstoß. „Alles in Ordnung mit dir?“

Kopfschüttelnd verdrängte Bobby längst vergessen geglaubte Erinnerungen und spürte stattdessen einen heftigen Schmerz in den Oberschenkeln, der sich wie tausend heiße Nadelstiche anfühlte.

„Ja, alles gut“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Mir geht’s bestens.“

„Warum hast du dich so idiotisch verhalten? Sie wusste offensichtlich von deinem Unfall. Ihr hättet euer kleines Wiedersehen genauso gut durchs offene Fenster feiern können.“ Zip schlang einen muskulösen Arm um Bobbys Rücken, um ihn zu stützen – wie immer ein Fels in der Brandung.

So wie vor einigen Wochen, als Bobby nach seinem Unfall im Krankenhaus die Augen aufgeschlagen hatte. Und am Tag ihrer ersten Begegnung in jenem Höllenloch in der Wüste von Irak vor zehn Jahren.

„Warum bist du nicht einfach im Wohnmobil geblieben?“, hakte Zip nach.

Niemals!

Bobby hatte die Polizistin aus der Nähe sehen wollen, um sich zu vergewissern, dass ihre Stimme tatsächlich die des zerbrechlichen Mädchens war, das früher einen Schönheitswettbewerb nach dem anderen gewonnen hatte, aber kaum kräftig genug gewesen war, um seine eigenen Bücher zu tragen.

„Das war sie also“, kommentierte Zip.

Bobby blinzelte ihn überrascht an. „Was?“

„Na, du weißt schon! Schönheitskönigin, erste große Liebe, Herzensbrecherin, Topmodel für Cosmopolitan, Vogue …“

„Du hast echt ein Elefantengedächtnis.“ Mühsam versuchte Bobby, sich aufzurichten. „Hilf mir gefälligst, hochzukommen.“

Zip half Bobby achselzuckend auf die Beine. „Wie hätte ich deine tränenreichen Tiraden je vergessen können?“

Dankbar für den inzwischen nachlassenden Schmerz, lehnte Bobby sich gegen das Wohnmobil. „Wir hatten damals zu viel getrunken.“

„Stimmt, um unsere glorreiche Heimkehr zu feiern.“ Zip ließ Bobby los. „Und um auf alle Männer zu trinken, die es nicht zurückgeschafft haben.“

Bobby fiel alles wieder ein. Es war der erste Abend ihres Heimaturlaubs zwischen den beiden Golfkriegen gewesen. Da sie die einzigen beiden Männer ihrer Einheit gewesen waren, die keine Frau hatten, zu der sie zurückkehren konnten, waren sie in einer Bar außerhalb der Tore von Fort Bragg gelandet und hatten ihr Gespräch anschließend bis zum Morgengrauen in einem Motel in der Nähe fortgesetzt.

„Ace, wenn du schon allein aus dem Wohnmobil kommen musstest, hättest du doch zumindest deinen Stock mitnehmen …“, begann Zip wieder.

„Lass gut sein, Zip. Es ist ja überstanden.“

„Ja, vorerst. Aber wenn ich mich recht an deine Worte erinnere, ist Destiny eine sehr kleine Stadt.“

Was heißen sollte, dass Bobby und Leeann einander früher oder später über den Weg laufen würden.

Vielleicht.

Nein, sehr wahrscheinlich sogar.

Aber das nächste Mal würde Bobby zumindest darauf gefasst sein.

Er ließ den Kopf gegen das kühle Metall der Motorhaube sinken, die er vor einem Jahr lackiert hatte. Der Wagen hatte während der letzten Rennsaison eigentlich sein Zuhause sein sollen. Jetzt war er eher eine teure Ambulanz, mit der er nach Hause gebracht wurde.

„Komm, Zip, lass uns weiterfahren. Ich will endlich mit eigenen Augen sehen, wofür ich den Sommer über meine hart verdienten Kröten ausgegeben habe.“

Bobby hatte seit seinen Aufenthalten in einem Zeltlager in seiner Kindheit von einem Blockhaus geträumt. Er hätte nur nie damit gerechnet, es ausgerechnet in Destiny zu bauen. Doch das Schicksal hatte ihm die plötzliche Chance gegeben, einen alten Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Als er im Mai den Unfall gehabt hatte, war der Rohbau erst zur Hälfte fertig gewesen. Die Vollendung des Hauses hatte er aus der Ferne vom Krankenhausbett aus verfolgt.

„Kannst du jetzt wieder laufen?“, fragte Zip.

Bobby hielt sich am Arm seines Freundes fest und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die schmerzhaften Stiche hatten inzwischen nachgelassen, doch nun kribbelten ihm die Füße.

Autor

Christyne Butler
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