Liebe, Lust & Leidenschaft - Best of Baccara Collection 2019

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Baccara Collection Ausgaben aus 2019 - leidenschaftlich, aufregend und extravagant. Die etwas längere Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

BACCARA COLLECTION BAND 402
BESCHÜTZT IN STARKEN ARMEN von ORWIG, SARA
Ein tragischer Unglücksfall hat Tom und seine Ehefrau Emily einander entfremdet. Er ist bereits ausgezogen, als Emily Opfer eines anonymen Erpressers wird. Auch wenn Tom nur als ihr Beschützer zurückkehrt, steigt die erotische Spannung mit jedem Tag, mit jeder Nacht … und sie kommen sich prompt wieder näher. Hat ihr Glück womöglich doch noch eine Chance?

EINE UNFASSBAR SINNLICHE SCHEINEHE von ROCK, JOANNE
Hotelbesitzer Gabe McNeill überredet seine Mitarbeiterin und gute Freundin Brianne zu einer Zweckehe auf Zeit. Selbstverständlich nur, damit sein kleiner Sohn Anrecht auf sein Erbe hat - nicht weil es zwischen der schönen Brianne und ihm so verführerisch heiß knistert. Denn nach seiner letzten Beziehung hat er der Liebe für immer abgeschworen!

VERLANGEN, DAS MAN NIE VERGISST von LAURENCE, ANDREA
Bei einer Charity-Veranstaltung trifft Aidan die sexy Unbekannte wieder, mit der er vor über einem Jahr ein unvergesslich leidenschaftliches Wochenende verbracht hat. Sofort ist die erregende Anziehung wieder da. Doch Violet behauptet, ihn nicht zu kennen! Oder spielt sie ihren Gedächtnisverlust nur? Dass Aidan der Vater ihres Babys ist, ist unübersehbar …

BACCARA COLLECTION BAND 403
VERBOTENES BEGEHREN NACH DIR von LAURENCE, ANDREA
Deacon ist ein erfolgreicher Hoteltycoon, doch als er für ein neues Projekt in seine Heimat zurückkehrt, fühlt er sich wieder wie der Bad Boy von einst. Seine Jugendliebe Cecelia ist längst mit einem anderen verlobt. Aber warum steht sie dann plötzlich nachts vor seiner Tür?

KÜSSE, DIE NACH LIEBE SCHMECKEN von GARBERA, KATHERINE
Ein Verhältnis mit Ethan, dem Freund ihres Ex? Für die schöne Fotografin Crissanne undenkbar! Bis der sexy Anwalt sie zärtlich küsst und Crissanne sich nicht nur so begehrt fühlt wie nie zuvor - sie verliebt sich auch in ihn. Fatal, denn plötzlich geht Ethan auf Distanz.

IM BANN HEIMLICHER LEIDENSCHAFT von DUNLOP, BARBARA
"Heirate mich!" Als TJ dem einstigen Mauerblümchen Sage einen Antrag macht, zählt für ihn nur sein Sohn, den sie ihm so lange verschwiegen hat. Doch dann stellt der verwitwete Millionär fest, dass eine aufregende Frau aus Sage geworden ist …

BACCARA COLLECTION BAND 404
BEGEHREN - STÄRKER ALS JEDE VERNUNFT von MAYNARD, JANICE
Mit Simone hat er die leidenschaftlichsten Stunden seines Lebens verbracht. Bis er nach Afrika ging und sie zurückließ. Jetzt ist Troy wieder zuhause - und sein Verlangen nach ihr flammt sofort wieder auf. Doch bald steht zwischen ihnen das Geheimnis ihrer Schwangerschaft …

WER BIST DU, GELIEBTER CASANOVA? von ROCK, JOANNE
Bei seinem Anblick stockt Jillian der Atem - dieser Mann sieht ja noch besser aus als auf den Fotos! Nicht lange, und sie liegt in Codys Armen. Doch dann stellt sie zwei Dinge fest: 1. Er ist nicht der, für den sie ihn gehalten hat. 2. Die Nacht mit ihm hat Folgen …

WENN DAS VERLANGEN WIEDER ERWACHT von YAYE, PAMELA
Seit sein geliebter Neffe bei einem Unfall umkam, lebt Rennfahrerlegende Emilio Morretti völlig zurückgezogen. Bis er die hinreißende Sharleen Nichols trifft, deren Lebenslust und Energie ihn bezaubern. Kann sie ihm helfen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen?


  • Erscheinungstag 23.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729677
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Joanne Rock, Sara Orwig, Andrea Laurence, Barbara Dunlop, Katherine Garbera, Janice Maynard, Pamela Yaye

Liebe, Lust & Leidenschaft - Best of Baccara Collection 2019

Sara Orwig, Joanne Rock, Andrea Laurence

COLLECTION BACCARA BAND 402

IMPRESSUM

COLLECTION BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 402 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2017 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Reunited with the Rancher“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Victoria Werner

© 2018 by Joanne Rock
Originaltitel: „For the Sake of His Heir“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

© 2018 by Andrea Laurence
Originaltitel: „One Unforgettable Weekend“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Silke Schuff

Abbildungen: KatarzynaBialasiewicz / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733725587

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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SARA ORWIG

Beschützt in starken Armen

Ein tragischer Unglücksfall hat Tom und seine Ehefrau Emily einander entfremdet. Er ist bereits ausgezogen, als Emily Opfer eines anonymen Erpressers wird. Auch wenn Tom nur als ihr Beschützer zurückkehrt, steigt die erotische Spannung mit jedem Tag, mit jeder Nacht … und sie kommen sich prompt wieder näher. Hat ihr Glück womöglich doch noch eine Chance?

JOANNE ROCK

Eine unfassbar sinnliche Scheinehe

Hotelbesitzer Gabe McNeill überredet seine Mitarbeiterin und gute Freundin Brianne zu einer Zweckehe auf Zeit. Selbstverständlich nur, damit sein kleiner Sohn Anrecht auf sein Erbe hat – nicht weil es zwischen der schönen Brianne und ihm so verführerisch heiß knistert. Denn nach seiner letzten Beziehung hat er der Liebe für immer abgeschworen!

ANDREA LAURENCE

Verlangen, das man nie vergisst

Bei einer Charity-Veranstaltung trifft Aidan die sexy Unbekannte wieder, mit der er vor über einem Jahr ein unvergesslich leidenschaftliches Wochenende verbracht hat. Sofort ist die erregende Anziehung wieder da. Doch Violet behauptet, ihn nicht zu kennen! Oder spielt sie ihren Gedächtnisverlust nur? Dass Aidan der Vater ihres Babys ist, ist unübersehbar …

1. KAPITEL

Tom Knox eilte den Korridor des Texas Cattleman’s Club hinunter. Der dicke Teppich dämpfte seine Schritte. An den holzvertäfelten Wänden hingen alte Ölgemälde und zwei große Spiegel mit reich verzierten Rahmen. Zwischen Palmen in großen Blumentöpfen standen mit Satin bezogene Sessel. Tom war so an dieses Ambiente gewöhnt, dass er es kaum noch wahrnahm. Erst eine Frau, die ebenfalls auf den Korridor einbog, erregte seine Aufmerksamkeit.

In ihm zog sich alles zusammen, als er Emily erkannte. Emily Archer Knox – seine vom ihm getrennt lebende Ehefrau. Wie immer löste ihr Anblick Verlangen in ihm aus.

Ihr Gesicht wurde von gewelltem honigblondem Haar umrahmt. Er wusste, dass es sich weich anfühlte. Die Erinnerungen kamen ganz automatisch, ganz gleich, wie sehr sie ihn schmerzten oder aufwühlten. Emily trug ein rotes Leinenkostüm mit passender Leinenbluse und roten High Heels. Der kurze Rock brachte ihre wohlgeformten Beine bestens zur Geltung. Seine Fantasie schuf Bilder von ihr ohne dieses Kostüm. Verlangen paarte sich mit Schuldgefühlen. Er hatte sie enttäuscht. Auf die schrecklichste Weise.

Immer wenn er Emily sah, musste er daran denken, dass es ihm nicht gelungen war, das Leben ihres vierjährigen Sohnes zu retten. Sie hatten zusammen mit Ryan einen Skiurlaub in Colorado verbracht. Bei einer Fahrt mit dem Tourbus war es passiert. Seither waren fünf lange Jahre voller Schuldgefühle vergangen, und zwischen Tom und Emily herrschte nur noch kalte Bitterkeit. Toms Leben war etwas leichter geworden, als er im vergangenen Jahr das gemeinsame Haus verlassen hatte und in das Gästehaus der Ranch gezogen war. Jetzt konnten Wochen vergehen, ohne dass sich ihre Wege kreuzten.

In vieler Hinsicht war es besser, getrennt zu sein, weil er dann die Last der Schuld etwas weniger drückend empfand. Nach der Katastrophe war er für drei Jahre zu den Army Rangers gegangen. Erst der Tod seines Freundes Jeremy bewegte ihn dazu, auf die Ranch zurückzukehren. Er konnte nicht mit Emily zusammen sein, ohne daran denken zu müssen, wie sehr er sie enttäuscht hatte und wie unglücklich sie mit ihm gewesen war.

Emilys grüne Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte. Ihr Lächeln war höflich. Ein Lächeln, wie sie es einem Fremden schenken würde.

„Hi, Tom“, sagte sie leise.

„Guten Morgen. Du siehst wunderbar aus.“ Er konnte sich das Kompliment nicht verkneifen.

Ihr Blick fiel auf die Tasche in seiner Hand. „Hast du ein Meeting?“

„Ja, der Finanzausschuss. Und du?“

„Ich bin mit einer Freundin zum Essen verabredet.“

Sie wahrten die höfliche Fassade, aber in ihm tobte ein Sturm der Gefühle. So war es jedes Mal, wenn er Emily sah oder mit ihr redete.

„Hab eine schöne Zeit“, wünschte er ihr.

Ihr Parfum weckte Erinnerungen daran, wie er sie in seinen Armen gehalten und sie geküsst hatte. Er ärgerte sich über sich selbst. Wieso konnte er nicht loslassen? Sie hatten sich getrennt. Es gab nichts mehr, das sie verband. Nur eines war nie verschwunden: das Verlangen, das ihn jedes Mal befiel, wenn er sie sah. Er verstand es nicht und wollte nicht weiter darüber nachdenken.

Er wusste, dass sie die Chemie, die immer noch zwischen ihnen war, ebenso registrierte wie er. Eigentlich brauchten sie beide eine Chance für einen neuen Start im Leben. Wahrscheinlich wäre es am besten, die Scheidung einzureichen und ganz aus ihrem Leben zu verschwinden.

Nach dem Mittagessen im Klub und einem Nachmittag in ihrem Fotostudio im Zentrum von Royal fuhr Emily zurück zu Knox Acres, der Ranch, die zur Hälfte ihr und zur Hälfte Tom gehörte. Immer wieder ging ihr die kurze Begegnung im Texas Cattleman’s Club durch den Kopf. Sie fühlte sich zu Tom hingezogen, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Damals war sie sechzehn gewesen. Auch heute noch löste sein Anblick prickelnde Schauer in ihr aus – in guten Zeiten wie in schlechten Zeiten. Tom hatte sie gleich bei ihrer ersten Begegnung verzaubert. Sie hatte keinen Vergleich, aber das spielte keine Rolle: Für sie war Tom der attraktivste Mann, den sie je kennengelernt hatte.

Irgendwann hatten andere Aspekte ihrer Ehe das Begehren verdrängt. Sie verloren das Wichtigste – die Einheit ihrer Herzen. Die Freude aneinander.

Ihr Glück zerstob in jener Nacht, als ihr Tourbus auf einer vereisten Straße in Colorado ins Schleudern geriet und in einen zugefrorenen See rutschte. Tom war fast daran gestorben, als er Ryan aus dem eisigen Wasser zog. Tom kam mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, mit einer tiefen Schnittwunde am Knie, einem gebrochenen Schlüsselbein sowie mehreren gebrochenen Rippen und einer Milzruptur.

Nach drei Tagen war Tom transportfähig, und man flog ihn, Emily und Ryan in ein großes Krankenhaus nach Denver. Auch dort konnte man Ryan nicht helfen. Nach acht weiteren Tagen erlag er schließlich seinen Verletzungen. Bei aller Trauer fanden sie noch die Kraft, Ryans Organe zu spenden, um anderen Eltern die Qual zu ersparen, ihr Kind zu verlieren.

Der Urlaub war auch ein Treffen von Toms Familie gewesen. Dreiundzwanzig Mitglieder seiner Familie saßen mit in diesem Bus. Neben Ryan starb auch Toms Tante. Drei weitere Businsassen, die nicht zur Familie gehörten, kamen um, darunter zwei Kinder.

Aus Wochen wurden Monate, aus Monaten Jahre. Ihre Erinnerungen wurden immer kostbarer. Um wieder zueinander zu finden, bemühten sie sich, ein weiteres Kind zu bekommen, aber vergebens. Emily hatte das Gefühl, versagt zu haben. Es war ein weiterer Schlag für ihre Ehe. Zuerst hatten sie ihren Sohn verloren, dann ihre Liebe. Ihre Beziehung litt, bis Tom auszog und sie sich kaum noch sahen.

Die meisten ihrer Bekannten wussten, dass sie sich getrennt hatten. Das schockierte sie manchmal ebenso sehr wie alles andere, was ihnen zugestoßen war. Emily hatte Tom damals so sehr geliebt, als sie geheiratet hatten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass es einmal so weit kommen würde, dass sie einander kaum noch sahen.

Um Tom aus ihren Gedanken zu verdrängen, kümmerte sie sich um Snowball, den großen weißen Kater, den Ryan als Katzenbaby zu seinem vierten Geburtstag bekommen hatte. Sie fütterte ihn und setzte sich dann an den PC, um ihre Mails zu lesen.

Eine Betreffzeile sprang ihr ins Auge. So hart und knapp wie der folgende Text:

Heute nur für dich zu lesen – morgen für ganz Royal!

Du warst wohl nicht Frau genug, um sein Interesse zu halten. Hier ist seine richtige Familie. Seine heimliche Familie. Bis jetzt.

Maverick.

Emily erstarrte. Sie hatte keine Ahnung, wer Maverick war. Niemand kannte die Identität dieses verhassten Trolls, der seit Monaten Unruhe in Royal schürte, indem er Menschen bedrohte und erpresste. Es gab Gerüchte, dass Maverick etwas mit den sogenannten „drei Hexen“ zu tun hatte: Cecelia Morgan, Simone Parker und Naomi Price. Sie waren schon seit Highschool-Zeiten unter diesem Namen bekannt, weil sie dazu neigten, anderen das Leben zur Hölle zu machen. Die Frauen waren erst unlängst in den Texas Cattleman’s Club aufgenommen worden und benahmen sich, als gehöre der Klub ihnen. Wie auch die ganze Stadt. Sie vermittelten Emily immer das Gefühl, sie sei ihnen nicht gut genug.

Voller Unbehagen öffnete Emily den Anhang der Mail. Es war ein Foto. Und es traf sie wie ein Schlag: Tom an der Seite einer lächelnden rothaarigen Frau, die ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Vor ihnen zwei niedliche Kinder. Der Junge mochte um die vier sein – im selben Alter wie ihr Sohn Ryan, als sie ihn verloren hatten. Neben ihm auf der einen Seite ein kleines rothaariges Mädchen, auf der anderen ein Golden Retriever. Im Hintergrund ein Traumhaus. Eine perfekte Familie.

Als professionelle Fotografin wusste Emily sofort, dass die Aufnahme echt war.

Dies war also Toms Familie. Sie war wie vom Donner gerührt. Sie und ihr Mann hatten sich im Laufe der vergangenen fünf Jahre auseinandergelebt. Und hier sah sie nun einen zusätzlichen Grund dafür. Wut kochte in ihr hoch. Das war eine Seite, die sie nie an Tom gesehen hatte, eine unehrliche, unaufrichtige Seite. Sie hatte ihm blind vertraut.

Sie starrte das Foto an. Ein Beweis, dass ihre Ehe nur noch auf Lügen basierte. Tom hatte eine andere Familie. Er führte ein Doppelleben. Diese Vorstellung war unerträglich.

Wenn Emily einen Beweis gebraucht hatte, dass ihre Ehe unwiderruflich am Ende war, dann hatte sie ihn jetzt. Es gab keinen Grund mehr, nicht den letzten Schritt zu tun. Sie war so wütend auf Tom, dass sie keine Perspektive mehr sah: Sie würde die Scheidung einreichen. Er sollte frei sein, ganz offen mit der Familie zusammenzuleben, die er liebte.

Bebend vor Wut beugte sie sich näher an den Bildschirm, um das Foto genau zu betrachten. Die Frau kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher. Lebte sie etwa mit ihren Kindern in Royal?

Stimmte der Text der Mail? War sie, Emily, nicht Frau genug, um Tom zu halten? Natürlich. Maverick hatte recht. Sie konnte Tom nicht die Familie schenken, die er haben wollte.

Es war Toms Idee gewesen, in das Gästehaus zu ziehen. Er hatte gesagt, eine Trennung würde ihnen beiden die Chance geben, sich über die Zukunft klar zu werden. Er war derjenige gewesen, der gesagt hatte, sie müssten auf Distanz gehen, um ihre Gefühle füreinander klären zu können.

Es verletzte Emily zutiefst, jetzt den wahren Grund dafür zu sehen, wieso er das Haus verlassen hatte.

Ihr Blick glitt über die Mail. Sie hatte keine Ahnung, wer Maverick war. Konnte es sein, dass Cecelia Morgan, Simone Parker und Naomi Price dahintersteckten? Ihr Spitzname – die drei Hexen – sprach Bände, aber sie waren alle drei erfolgreiche Geschäftsfrauen. In vieler Hinsicht schien es unwahrscheinlich, dass sie sich mit dieser Art von Drohung befassten. Sie mochten arrogant und dominant sein, aber das hieß nicht, dass sie sich auf eine solche Ebene der Boshaftigkeit herabließen.

Jemand wollte Toms Geheimnis lüften. Emily konnte sich vorstellen, was dann auf sie zukam: Man würde sie bemitleiden, und viele würden sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machen. Das war jedoch alles nichts verglichen mit dem Schmerz, den sie über Toms Betrug empfand. Wie konnte er ein solches Doppelspiel betrieben haben? Das passte gar nicht zu dem Mann, den sie kannte und liebte.

Würde Maverick auch Tom eine Mail schicken und ihm drohen? Hatte er oder sie vielleicht schon versucht, Geld von Tom zu erpressen? Würde Tom sich Mavericks Schweigen erkaufen? So wie sie Tom kannte, würde er den Mann zum Teufel schicken.

Emily konnte die Flut der Tränen nicht mehr zurückhalten, als die Gefühle sie überwältigten. Die ganze Zeit hatte Tom eine Frau gehabt, die er liebte und die seine Liebe erwiderte. Er hatte Kinder gehabt und ein Zuhause. Kein Wunder, dass Emily und er den Weg zurück zueinander nicht gefunden hatten.

Sie hatte vor, Tom mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ihre Ehe war am Ende. Vorbei! Sie brauchte die Scheidung, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sie hatte ihren Sohn verloren, und offenbar hatte sie auch Tom schon vor Jahren verloren. Er führte ein Doppelleben. So etwas hätte sie nie von ihm erwartet. Sie hatte nicht einmal ansatzweise etwas geahnt. Tom war immer vollkommen ehrlich erschienen. Doch wie hatte er sie zum Narren gehalten! Sie hätte ihn jetzt gern angeschrien und ihm an den Kopf geworfen, was sie von seiner Verlogenheit hielt. Sie wollte ihn nicht mehr in ihrem Leben haben.

Nach einer schlaflosen Nacht fuhr Emily am nächsten Tag nach Royal. Verbittert und verletzt reichte sie die Scheidung ein.

Tom hatte nach seiner Zeit bei den Rangern die Leitung der Ranch übernommen. Sie hatte ihr Fotostudio und ein Haus in Royal. Tom und sie konnten also problemlos getrennte Wege gehen.

Nach der Arbeit fuhr sie zu dem großen Haus, das sie geerbt hatte. Es hatte ihrem Onkel Woody gehört, bei dem sie aufgewachsen war. Das Haus war alles, was ihr von ihrer Familie geblieben war. Sie wollte es wieder herrichten, sodass sie dort leben konnte. Dort war sie nahe bei ihrem Studio und weit genug entfernt von der Ranch. Weit genug von Tom. Sie wollte nicht mehr in dem großen Haus auf der Ranch leben, das sie beide gebaut hatten, bevor Ryan geboren wurde.

Tom hatte den ganzen Tag draußen auf der Ranch gearbeitet, als er am Abend zurück zum Gästehaus fuhr. Schwere körperliche Arbeit war das ideale Mittel, um schmerzliche Erinnerungen zu vertreiben. Zumindest für den Augenblick. Es war früher März, und die Tage wurden länger und wärmer. Frühling war eine Zeit, die früher voller Verheißungen gewesen war. Jetzt war ein Tag wie der andere, und Tom überlegte, wie seine Zukunft wohl aussehen mochte.

Im Moment wollte er nur eine Dusche und ein Bier. Er wollte, er hätte irgendjemanden, einen Freund vielleicht, mit dem er den Abend verbringen könnte. Seine Abende waren lang und einsam. Am schlimmsten waren die Wochenenden.

Erstaunt sah er einen Wagen neben seinem Haus stehen. Emilys Wagen!

Wieso war sie hier? Sie besuchte ihn doch sonst nicht. War etwas passiert? Emily hatte keine Familie mehr, nur ein paar Cousins, zu denen sie keinen Kontakt hatte. Er parkte den Wagen und stieg aus. Sie verließ ihren Wagen ebenfalls. Sie trug Stilettos mit schwarzen Riemchen. Die enge Jeans betonte ihre langen Beine. Dazu trug sie ein hellblaues, kurzärmeliges Shirt, das ihre weiblichen Rundungen vorteilhaft zur Geltung brachte. Kurz: Sie sah einfach atemberaubend aus. Das Haar trug sie offen, wie er es am liebsten hatte.

Sein Puls ging schneller, als er sie so betrachtete. Trotz all ihrer Probleme miteinander fühlte er sich zu ihr hingezogen wie eh und je. Sie war eine attraktive Frau – das hatte er früher gefunden, und so dachte er immer noch. Im Geiste sah er vor sich, wie er sie in seinen Armen gehalten und geküsst hatte. Er sehnte sich nach ihr. Sie hatten heiße Liebesnächte gehabt und glückliche Tage. Doch leider eine Zeit, die jetzt so unendlich weit fort zu sein schien und die es nie wieder geben würde. Er hatte versagt. Ihre Liebe war am Ende. Sie hatten zu viel Leid hinter sich, um das wiederfinden zu können, was sie einmal gehabt hatten.

Dennoch blieb sein Verlangen nach Emily. Er musste an ihre Küsse denken. An ihren weichen Körper. Er hätte gern die Hände nach ihr ausgestreckt. Sie war so nah – und doch so fern.

Es musste ein Problem geben, das sie hierher geführt hatte. Ein Blick in ihre großen grünen Augen verriet ihm, dass sie wütend war.

„Hallo“, sagte er. „Was führt dich hierher?“

Emily bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und drückte ihm ein paar Papiere in die Hand. „Viel Vergnügen damit“, fauchte sie.

Tom sah sie verwirrt an. „Vergnügen? Womit? Was ist das?“ Er warf einen Blick auf die offiziell wirkenden Formulare und sah sie dann wieder fragend an. Ihre grünen Augen blitzten vor Zorn.

„Du kannst dich bei mir bedanken. Ich habe dir gegeben, was du wolltest: deine Freiheit. Jetzt kannst du die Mutter deiner Kinder heiraten.“

„Was redest du denn da?“ So kannte er sie gar nicht. Sie regte sich selten über etwas auf, aber jetzt kochte sie erkennbar vor Wut.

„Dein Geheimnis ist gelüftet, Tom“, sagte sie wütend. „Du hast deine Familie gut versteckt. Hast du Maverick dafür bezahlt, dass er dein Geheimnis gewahrt hat? Oder weiß es schon die ganze Stadt?“

Verblüfft sah er, wie sie einerseits vor Wut bebte, aber gleichzeitig auch mit den Tränen kämpfte. „Wovon zum Teufel redest du? Und was sind das für Formulare? Was hat das alles mit Maverick zu tun? Was weißt du von Maverick?“

„Ich glaube, die Antworten auf einige dieser Fragen weißt du selbst“, sagte sie angespannt. „Das sind die Scheidungspapiere. Du sollst frei sein für deine andere Frau.“

„Was für eine andere Frau?“ Tom sah sie fassungslos an. „Emily, was soll das alles? Es gibt keine andere Frau …“

„Oh, bitte! Ich habe Beweise. Ich habe das Foto von dir und deiner Familie gesehen.“ Sie wollte sich abwenden.

Tom packte sie beim Arm. Sie riss sich los. Mit drei langen Sätzen hatte er sie eingeholt und packte sie erneut, diesmal fester. „Ich verstehe nicht, was das soll, Emily. Du gehst nicht eher, bis du mir das alles erklärt hast.“

„Du kannst jetzt aufhören zu lügen. Ich kenne die Wahrheit.“

Er drehte sie zu sich herum. „Ich weiß nicht, wovon du redest und wieso es jetzt plötzlich um die Scheidung geht, ohne dass wir noch einmal darüber gesprochen hätten.“

„Es ist vorbei, und du weißt es. Grund ist deine andere Familie. Ich weiß alles. Von Maverick.“ Sie entriss ihm ihren Arm und wollte sich in den Wagen setzen.

Doch er trat dazwischen. „Du kannst hier nicht einfach auftauchen und von Scheidung reden und dann so wieder verschwinden. Sag mir, worum es geht. Und was ist mit dieser Mail von Maverick? Du meinst diesen Troll, der schon andere in der Stadt erpresst hat? Wann hast du die Mail bekommen?“

„Geh mir aus dem Weg“, zischte sie.

„Du fährst erst, wenn du mir alles erklärt hast. Es gibt keine geheime Familie. Das ist alles Unsinn.“

„Tatsächlich? Wie konntest du so verlogen sein, Tom?“ Sie zog ein zerknittertes Papier aus der Tasche und wedelte es in seine Richtung. „Hier ist der Beweis, Tom. Hier ist das Foto, das dich mit deiner Familie zeigt. Du hast den Arm um deine geheime Frau gelegt. Wie konntest du mich so betrügen?“ Emily hatte jetzt Tränen in den Augen und ihre Wangen waren gerötet. „Wie konntest du mir das antun?“, wiederholte sie. „Du hast mich wieder verletzt, aber dies war garantiert das letzte Mal!“

„Gib mir das.“ Er nahm das Papier und strich es glatt. Während er abgelenkt war, schob sie sich an ihm vorbei und öffnete die Wagentür.

Erneut drängte er sie beiseite und stellte sich so vor die Tür, dass sie keine Chance hatte, ihm zu entkommen. „Du fährst nirgendwohin, Emily, bis wir diese Sache nicht geklärt haben.“

„Du hast mir gar nichts zu sagen“, schimpfte sie.

Er beachtete sie nicht, während er sich auf den Computerausdruck konzentrierte. Überrascht stellte er fest, dass er das Foto kannte.

2. KAPITEL

Toms Ärger wich der Neugier. „Das ist das Foto, das du mit dieser Mail bekommen hast?“, fragte er Emily. „Das ist Natalie Valentine mit ihren Kindern. Sie ist die Witwe von Jeremy. Ihr gehört das Cimarron Rose Bed &  Breakfast. Wieso hast du ihretwegen die Scheidung eingereicht?“

Emily sah ihn groß an. „Jeremy Valentine?“, wiederholte sie wie benommen. „Das ist seine Frau?“

„Richtig. Ich habe dir doch erzählt, dass er bei einem Einsatz gefallen ist und dass ich ihm versprochen habe, mich um seine Familie zu kümmern, falls er es nicht schafft.“

„Ich erinnere mich.“ Emily klang wie vom Donner gerührt. „Sie kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich stand so unter Schock, dass ich einfach nicht weiter nachgedacht habe.“ Sie ließ sich gegen den Wagen sinken.

„Jeremy hat eine Schusswunde abbekommen“, erinnerte Tom sie. „Wir waren auf einem Einsatz im Irak und sollten drei Geiseln befreien. Dabei wurde er getroffen.“ Tom verstummte, während seine Gedanken zurück zu der schrecklichen Szene wanderten. Er erlebte alles noch einmal: das Blut, die Schüsse, das Brüllen der Männer.

Emily war blass geworden. Ihr Blick spiegelte Unsicherheit. Er war sicher, dass sie sich an das erinnerte, was er ihr über Jeremys Tod erzählt hatte.

„Er hat sich solche Sorgen um seine Familie gemacht. Er hat geahnt, dass er es nicht schaffen würde. Und ich habe versprochen, ich würde für sie da sein.“ Tom hielt ihr das Foto hin. „Das ist Natalie. Sie ist sehr tapfer und gibt alles für ihre beiden Kinder.“

„Großer Gott, Tom“, flüsterte Emily. „Das sind die Kinder von Jeremy Valentine? Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.“

„Jeremy war ihr Dad. Die Kinder sind wirklich super. Colby ist vier – genau wie unser Ryan, als wir ihn verloren haben. Er ist Autist. Er hat sich bereits an mich gewöhnt und ist ziemlich entspannt in meiner Gegenwart. Lexie ist zwei und benimmt sich, als wäre sie siebzehn. Sie ist ausgesprochen niedlich. Ich helfe ihnen, wo ich kann. Irgendetwas muss immer repariert werden im B & B. Ich versuche, die Rolle des Mannes im Leben der Kinder zu spielen und übernehme Jeremys Aufgaben. Jeremy war wirklich ein toller Kerl.“

Emily sah ihn durchdringend an. „Hast du mit Natalie geschlafen?“

„Natürlich nicht“, versicherte er ihr spontan. „Darum geht es hier nicht. Ich helfe ihr, weil ich es Jeremy versprochen habe. Das ist alles. Er war mein Freund, und er ist für sein Land gefallen.“ Tom sah ihr in die Augen. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte oder nicht. „Vielleicht wäre es gut, wenn ihr beiden euch kennenlernt. Natalie hat eine sehr nette Familie.“

„Oh, Tom.“ Emily wirkte, als habe sie einen Schlag bekommen. Ihre Schultern sanken herab. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Ich habe wirklich einen großen Fehler gemacht“, wiederholte sie.

„Das hast du“, stimmte er ruhig zu. „Aber nichts, was sich nicht wiedergutmachen ließe.“

Emily nickte. „Ich muss mich bei dir entschuldigen, weil ich es geglaubt habe – auch wenn es dir überhaupt nicht ähnlich sah. Das Foto war einfach ein Schock für mich.“

„Vergiss es. Was mich betrifft, haben wir die Sache jetzt ausgebügelt. Ich werde ein Treffen zwischen dir und Natalie arrangieren.“

„Du hast mir nie erzählt, dass du ihnen hilfst. Wieso eigentlich nicht, wenn es nur darum ging, dein Versprechen einzulösen? Ich hätte ihnen auch helfen können.“

Er reagierte ungehalten. „Du hast dich schon lange nicht mehr für das interessiert, was ich mache. Wir reden ja kaum noch miteinander. Ich weiß genauso wenig darüber, was du machst, wie du über mich. Wir leben getrennte Leben.“ Er sah auf die Formulare in seiner Hand. „Die Scheidung war wohl unausweichlich.“

Sie nickte mit zusammengepressten Lippen. „Das stimmt. Ich verstehe jetzt, wieso du es mir nicht gesagt hast.“ Sie runzelte die Stirn. „Dann hat dieser Troll die Mail nur geschickt, um mich zu verletzen“, sagte sie mehr zu sich, als an ihn gewandt, aber er hörte sie trotzdem.

„Das war das Foto, das Maverick geschickt hat?“

„Genau.“

„Verdammt.“ Tom spürte Zorn in sich aufsteigen, als er daran dachte, dass sich jemand hinter einem fremden Namen versteckte, um Hass zu säen und die Menschen zu verletzen. Und nun traf es ausgerechnet Emily, die ohnehin schon mehr als genug gelitten hatte! Einmal hatte er sie schon im Stich gelassen, noch einmal sollte es nicht passieren.

„Wir brauchen so etwas in Royal nicht. Maverick!“ Er sprach den Namen voller Verachtung aus. „Ich werde dafür sorgen, dass er dich nicht noch einmal verletzt. Falls du Nathan noch nicht angerufen hast, informiere ich ihn jetzt.“ Tom zog sein Smartphone aus der Tasche.

„Du meinst Sheriff Battle?“

„Genau. In dieser Woche bekommst du eine anonyme Nachricht. Wer weiß, was Maverick sich in der nächsten Woche einfallen lässt? Aus irgendeinem Grund will er oder sie dich verletzen, sonst hättest du die Mail nicht bekommen. Dabei kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass du irgendwo auf der Welt einen Feind hast.“

„Offen gestanden habe ich nicht daran gedacht, den Sheriff einzuschalten, Tom. Ich war mehr mit uns beschäftigt.“

„Es freut mich, dass du das sagst. Falls du noch eine Nachricht von Maverick bekommst, lass es mich sofort wissen.“

„Die Mail hat genau den wundesten Punkt getroffen“, sagte sie leise, und sein Zorn wuchs, als er den Schmerz in ihrem Ton hörte.

„Es war eine gemeine Lüge, die dich verletzen sollte. Ich rufe Nathan jetzt an.“

Es frustrierte Tom, dass er nicht mehr machen konnte. Als Nathan sich meldete, schilderte Tom ihm rasch die Situation. Nach einem Moment wandte er sich an Emily. „Nathan würde gern deinen Rechner holen. Er weiß, dass wahrscheinlich nichts dabei herauskommt, aber er möchte keine Möglichkeit ausschließen.“

„Es ist mir recht, wenn er den Rechner untersuchen will“, sagte sie. „Meine Güte, ich habe nichts zu verbergen. Ich fahre sowieso zurück in die Stadt. Da kann ich ihn ihm bringen.“

Tom unterhielt sich noch kurz mit dem Sheriff, bevor er das Gespräch beendete. „Wir fahren zu ihm ins Büro. Ich helfe dir, den Rechner zu holen.“

„Was glaubst du, wie Maverick an das Foto gekommen ist? Weißt du noch, wer es gemacht hat?“

„Das war ein Mann, so um die siebzig, der im B & B übernachtet hat. Er hat fotografiert. Ich bin sicher, er kannte niemanden von uns.“

„Und wie ist das Foto dann bei Maverick gelandet?“

„Der Mann hat eine Kamera benutzt, kein Smartphone. Vielleicht hat er die Fotos in einem Laden entwickeln lassen. Dort gehen sie durch mehrere Hände. Es wäre nicht schwer, an einen Abzug zu kommen.“ Er sah sie fragend an. „Hast du heute Abend schon etwas vor?“

„Nein, nichts.“

„Gut. Ich ziehe wieder bei dir ein“, erklärte Tom in einem Ton, der sie irgendwie an die Ranger erinnerte. „Ich möchte in deiner Nähe bleiben. Kein Mensch kann wissen, was dieser Maverick vorhat.“

Emily sah Tom überrascht an. „Vielen Dank für dein Angebot, aber ich glaube, das ist nicht nötig. Ich bleibe nicht länger auf der Ranch. Ich will das Haus von Onkel Woody wiederherrichten und dort einziehen. Ich habe in einem der Schlafzimmer eine Liege aufgestellt und wohne schon in Royal.“

„Du wohnst nicht mehr auf der Ranch?“ Tom runzelte die Stirn. „Hör mal, Maverick erhält nicht die Reaktion von dir, die er sich erhofft hat. Das wird seinen Hass auf dich nur noch erhöhen. Zieh wieder auf die Ranch, bis Maverick gefasst ist. Hier bist du sicherer.“

Sie hätte vielleicht getan, was er wollte – nur dass er die falschen Argumente aufsagte. Sie würde nicht nur wegen einer E-Mail zurückkommen. Da sie nun die Wahrheit kannte und Tom immer noch der Tom war, den sie einmal geliebt hatte, war auch ihr Zorn verraucht. Geblieben waren alle die Probleme, die sie während der vergangenen fünf Jahre gehabt hatten. Sie würde in der Stadt wohnen, und Tom würde sie nicht davon abhalten.

Je mehr Emily sich beruhigte, desto mehr kehrten all die alten Gefühle zurück. Sie bemerkte wieder Toms dichtes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie es sich anfühlte, ihre Finger hindurchgleiten zu lassen. Ihr Blick wanderte tiefer, zu seinen starken Armen, die sie gehalten und an seine Brust gedrückt hatten.

Sie seufzte, weil die Erinnerungen eine Qual waren. Ein Windhauch fuhr ihm durch das Haar und bewegte es leicht. Sie sehnte sich danach, sich an ihn zu lehnen und festzuhalten. Sie hatte ihn immer attraktiv gefunden, aber mit den Jahren schien er ihr attraktiver denn je. Oder ging es ihr nur so, weil er jetzt tabu für sie war? Sie würde unter gar keinen Umständen hier auf der Ranch bleiben, wo sie zusammen so unglücklich gewesen waren. Mit dem großen Haus verbanden sich zu viele schlechte Erinnerungen.

„Ich werde in der Stadt schon keine Probleme haben.“ Sie wusste, dass sie dort am besten aufgehoben war. „Ich arbeite jetzt vier Tage die Woche im Studio, und an den anderen Tagen kann ich am Haus arbeiten.“

„Gut, dann hole ich mir meinen Schlafsack und bleibe bei dir in Royal. Du kannst nicht wissen, ob von diesem Mann eine Gefahr ausgeht. Nur, weil in der Vergangenheit nichts passiert ist, muss das nicht heißen, dass es in der Zukunft auch so bleibt.“

Sie sah ihn erschreckt an. „Du kannst nicht in Royal leben. Du musst dich um die Ranch kümmern.“ Die Vorstellung, so eng mit ihm zusammen zu sein, erfüllte sie mit Panik. Ganz gleich, was sie für Probleme miteinander haben mochten – wenn sie zusammen waren, war das Verlangen nacheinander nach wie vor da. Emily hatte versucht, über ihn hinwegzukommen und ein neues Leben für sich aufzubauen. Wenn sie im selben Haus wohnten, würde sie ihm nicht widerstehen können, das wusste sie.

„Es ist doch vollkommen überflüssig, dass du die ganze Zeit jeden Tag von der Ranch nach Royal fährst und zurück.“ Trotzdem freute es sie, dass er sich Sorgen um sie machte und seine Hilfe angeboten hatte. Noch mehr freute es sie jedoch, dass Tom immer noch der vertrauenswürdige Mann war, als den sie ihn immer gekannt hatte. Trotz allem blieb die Panik. Wenn sie in seine braunen Augen mit den dichten Wimpern sah, musste sie unwillkürlich an seine Küsse denken, die sie dahinschmelzen lassen konnten.

„Wenn dir in Royal etwas passiert, während ich hier draußen auf der Ranch bin, dann könnte ich damit nicht leben“, sagte er. „Bestimmt würdest du dasselbe auch für mich tun.“

Die Vorstellung, den Bodyguard für Tom abzugeben, brachte sie zum Lächeln. „Das ist so weit hergeholt, dass meine Fantasie dafür nicht ausreicht. Denk nicht mal daran, nach Royal zu ziehen. Aber vielen Dank für das Angebot. Das ist wirklich nett von dir.“ Spontan berührte sie dabei seinen Arm und bedauerte es augenblicklich. Sie hatte es als freundschaftliche Geste der Dankbarkeit gemeint, aber kaum spürte sie seine starken Muskeln unter ihren Fingerspitzen, als sie erneut daran dachte, wie es sein würde, seine Arme um sich zu spüren.

Sie atmete tief durch. Sah, wie er die Augen zusammenkniff. Entweder spürte er es auch, oder er wusste, was sie gefühlt hatte. Vielleicht auch beides.

Sie ließ die Hand sofort sinken und wich zurück. „Danke, aber es ist wirklich nicht nötig.“

„Denk noch mal darüber nach. Nach allem, was wir wissen, könntest du in Gefahr sein. Der sicherste Ort für dich wäre im Gästehaus. Dort könnte ich dich am einfachsten beschützen.“

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Nach allem, was ich gehört habe, hat Maverick bisher nichts weiter getan, als Leute zu erpressen und für Unruhe zu sorgen. Ich muss in der Stadt arbeiten, und ich möchte nicht pendeln. Vielen Dank, dass du dir Sorgen machst, aber du brauchst nicht bei mir zu bleiben“, sagte sie mit fester Stimme.

„Ich habe schon einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren. Ich will nicht, dass dir auch noch etwas passiert.“ Sein Blick hatte sich verdunkelt. „Ich werde Nathan bitten, dass sich jemand um Natalie kümmert, damit sie und ihre Familie geschützt sind.“ Tom zog sein Smartphone aus der Tasche. Emily hörte, dass er mit ihrem Vorarbeiter sprach.

„Hey, Gus. Ich bin eine Weile nicht auf der Ranch.“

Sie schüttelte den Kopf, aber sie wusste, dass Widerstand zwecklos war. Wenn Tom sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte ihn nichts davon abbringen. Frustriert ging sie beiseite, während er Gus Anweisungen gab. Wie sollte das Zusammenleben funktionieren? Vielleicht konnte er unten wohnen und sie oben oder umgekehrt.

„So.“ Er beendete das Gespräch mit dem Vorarbeiter. „Ich hole meinen Schlafsack, und dann ziehe ich zu dir in das alte Haus. Ich werde dir nicht im Weg sein. Vielleicht kann ich dir ja bei den Renovierungsarbeiten helfen.“

Einerseits war sie von seiner bestimmenden Art genervt, andererseits wusste sie, dass gerade sein dominantes Verhalten sie von Anfang an angezogen hatte. Er war entschlussfreudig und hatte sein Leben im Griff. Das hatte sie schon in der Highschool angesprochen. Aber im Moment wollte sie einfach nicht, dass er sich in ihr Leben einmischte.

Ihr Puls ging unwillkürlich schneller, wenn sie sich vorstellte, die Nacht mit ihm unter einem Dach zu verbringen. Wenn er bei der Renovierung des alten Hauses helfen wollte, dann würden sie zusammenarbeiten. Sie konnte sich selbst nicht trauen, wenn es um Tom ging. Er würde ihr unterdrücktes Verlangen wieder zu neuem Leben erwecken. Tom war ein ausgesprochen männlicher Typ. Männlich und sexy. Von seiner Zeit bei den Rangern und von der Arbeit auf der Ranch war sein Körper absolut fit und durchtrainiert.

Tom drehte sich zu ihr herum. Er hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Am Kinn zeigte sich der Schatten eines Bartes, und sein zerzaustes Haar verstärkte den Eindruck von Verwegenheit. Er wirkte attraktiver denn je, auf eine raue, sinnliche Art. Sie merkte, in welche Richtung ihre Gedanken abdrifteten, und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er sagte.

„Du kennst Case Baxter, den Vorsitzenden des Klubs. Nathan will mit ihm zusammen nächste Woche eine außerordentliche Sitzung einberufen. Maverick kann nur gestoppt werden, wenn wir herausfinden, wer er ist. Ich werde zu diesem Meeting gehen, und ich möchte, dass du auch mitkommst.“

„Natürlich kann ich mitkommen. Aber ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Weise helfen kann.“

„Es kann ja nicht schaden. Je mehr von uns Bescheid wissen und Kontakt zu Nathan halten, desto größer ist die Chance, dass er Maverick enttarnt. Wenn du da bist, vergiss nicht, dass er vielleicht auch dort ist.“

„Oh Gott, das ist ja unheimlich!“

„Wir können nur hoffen, dass seine Mails und Drohungen in den sozialen Medien nicht in tatsächliche Gewalt umschlagen, aber das kann niemand vorhersagen. Was er im Moment macht, ist ja schon schlimm genug. Er hat uns nicht wirklich geschadet, aber er hätte es tun können, so wie er auch anderen schaden könnte.“

Nach kurzem Zögern steuerte Emily das Gespräch auf ein weiteres unangenehmes Thema. „Tom, sobald sich alles beruhigt hat, müssen wir uns zusammensetzen und über die Scheidung reden. Darüber, wie wir alles aufteilen wollen. Ich war so wütend, als ich sie eingereicht habe. Das Foto war so überzeugend.“

Er nickte. „Ich glaube nicht, dass wir ein Problem damit haben, die Ranch, das Haus, die Autos oder den Flieger aufzuteilen.“

„Auf jeden Fall kannst du das Flugzeug haben“, erklärte sie spontan, und sie tauschten ein Lächeln aus.

„Natürlich unterschreibe ich die Papiere. Wir waren ja sowieso schon an diesem Punkt. Wenn wir geschieden sind, kannst du dir ein neues Leben aufbauen.“

Sie wandte sich ab, bevor er ihre Tränen sehen konnte. Er hatte recht. Sie waren schon so gut wie geschieden. Sie konnte ihm keine Kinder schenken. Ihre Ehe war mit grauenvollen Erinnerungen behaftet. Und dennoch tat es weh, die Scheidung nun auch wirklich durchzuziehen. Sie hatte den Antrag gestellt, und nun waren die Papiere bei ihm. Ein weiterer großer Verlust in ihrem Leben. Ein Verlust, für den sie selbst die Verantwortung trug, weil sie nicht in der Lage gewesen war, wieder schwanger zu werden. Sie hätte Tom zu gern ein weiteres Kind wie Ryan geschenkt. Sie hatten über Adoption gesprochen – Tom war bereit dazu –, aber das war nicht dasselbe. Sie war dagegen. Sie wollte nur eines: noch ein Kind wie Ryan.

Jetzt waren Tom und sie getrennt, und wenn sie sich auch offiziell scheiden ließen, konnte jeder sein eigenes Leben leben. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, je einen anderen Mann zu lieben.

Unter den Umständen war es nicht hilfreich, dass sich Mavericks Beschuldigungen als falsch erwiesen hatten und Tom sogar noch versuchte, ihr zu helfen. Es war ihr leichtgefallen, die Scheidung einzureichen, solange sie geglaubt hatte, Tom hätte sie hintergangen. Jetzt war es schmerzhaft, da sie wusste, dass er immer noch derselbe Mann war, den sie immer geliebt und dem sie vertraut hatte.

„Emily?“

Sie schrak aus ihren Gedanken hoch. „Tut mir leid, Tom. Ich habe einen Moment nicht zugehört, ich war mit den Gedanken bei Maverick.“ Sie war vor Verlegenheit rot geworden. Wahrscheinlich ahnte er, was in ihr vorging.

„Du hast gesagt, du willst wieder nach Royal fahren. Ich hole rasch meinen Schlafsack und ein paar Sachen. Dann fahre ich dich.“

Sie wollte protestieren, aber er winkte ab. „Ich fahre dich nach Royal. Morgen kommen wir zurück und holen deinen Wagen. Die Leute sollen uns so schnell wie möglich zusammen sehen. Mit etwas Glück sieht dieser verdammte Troll uns und begreift, dass seine Mail keinen Schaden angerichtet hat. Ganz im Gegenteil. Wie findest du den Plan?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich glaube nicht, dass du mir eine Wahl lässt. Auch wenn es mir nicht gefiele, würde es so laufen. Und wahrscheinlich hast du recht: Es wäre gut, wenn Maverick uns zusammen sieht. Irgendwie gibt es mir ein Gefühl, als hätte ich ihm damit eins ausgewischt.“

„Wir können ja betonen, dass wir zusammen sind. So etwas spricht sich in Royal schnell herum.“

„Stimmt. Es ist gut, wenn wir zusammen gesehen werden, aber das heißt nicht, dass du bei mir wohnen musst“, widersprach sie noch einmal. „Ich bin dort in der Stadt und kann jederzeit Hilfe bekommen. Es ist immer jemand in der Nähe.“

„Ich bleibe, Emily. Wir haben es mit jemandem zu tun, der unberechenbar ist, und du stehst auf seiner Liste. Hinter dieser Mail steckte ziemlich viel Hass. Sieh dir doch das Ergebnis an: Du hast die Scheidung eingereicht. Hätte das Gerücht die Runde gemacht, hatte es Natalie verletzen können, und das wiederum hätte ihren Kindern geschadet. Offen gestanden bin ich nicht bereit, mich scheiden zu lassen, wenn der einzige Grund ein Haufen Lügen von irgendeinem perversen Bastard ist.“

„Da hast du recht, Tom.“ Insgeheim wünschte sie sich sowieso, er hätte die Scheidung überhaupt nicht gewollt. „Mir ist da eine Idee gekommen. Maverick muss jemand sein, der in Royal lebt oder zumindest bis vor kurzem gelebt hat – sonst hätte er nicht von dir und Natalie wissen können. Und sonst wäre er nicht auf die Idee gekommen, mir das Foto zu schicken.“

„Stimmt.“ Sein Blick glitt über seine staubigen Stiefel und die verschmutzten Jeans. „Wie wäre es, wenn du dich auf die Veranda setzt, während ich rasch dusche? Ich beeile mich.“

„Wenn wir zusammen geduscht haben, hast du dich nie beeilt“, neckte sie ihn und errötete sofort. „Ich weiß auch nicht, was das jetzt sollte. Vergiss es!“

„Das vergesse ich ganz bestimmt nicht.“ Sein Ton war weich geworden. „Du hast mich geneckt wie früher immer, und das ist erlaubt, Emily. Warum sollten wir nicht Spaß haben? Lass es zu! Wir haben zu viel Ernstes hinter uns. An diesem Punkt unseres Lebens kann es nicht schaden, wenn wir auch einmal lachen.“

Sie nickte. „Du hast wohl recht.“ Er war wieder so, wie er früher einmal gewesen war, bevor ihre schlechten Zeiten begonnen hatten. Entspannt, verständnisvoll und sexy. Sie hatten so viel Spaß zusammen gehabt. In jeder Hinsicht. „Geh duschen, Tom. Ich kann in der Zwischenzeit meinen Rechner holen.“

„Ausgeschlossen. Ich werde dich begleiten. Dieser Maverick beunruhigt mich offen gestanden. Ich begreife einfach nicht, wieso irgendjemand etwas gegen dich haben könnte. Du hast ein gutes Herz, bist großzügig …“

„Großer Gott! Dank dieses gestörten Typen entwickeln wir uns hier schon zu einem beiderseitigen Fan-Klub!“

„Das hat nichts mit diesem verdammten Typen zu tun. Es wird Zeit, dass es zwischen uns wieder etwas gibt, das nicht traurig ist, und sei es nur für fünf Minuten.“

„Du hast wirklich recht, Tom. Für ein paar Minuten war es wieder so wie früher. Wenigstens ein bisschen.“ Sie war ernst geworden. Alles war besser, als nicht miteinander zu sprechen oder einander aus dem Weg zu gehen. „Ich weiß, wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können zumindest zivilisiert miteinander umgehen.“

„Richtig. Bitte geh nicht, während ich dusche.“ Er hielt ihr die Tür auf. „Es sei denn, du möchtest mit hineinkommen und mit mir zusammen duschen …“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“

Er grinste. „Nach deiner Bemerkung war es einen Versuch wert.“ Er verschwand ins Haus.

„Bring mich nicht dazu, mich wieder in dich zu verlieben“, flüsterte sie und rang die Hände. Sie versuchte, an den Termin bei Nathan Battle zu denken und an das, was sie sonst noch zu erledigen hatte. Alles war gut, um sie von dem Gedanken an Tom unter der Dusche abzulenken.

Keine zehn Minuten später erschien er wieder. Sein Haar war noch feucht. Er trug jetzt ein frisches blaues T-Shirt, frische Jeans, schwarze Stiefel und seinen schwarzen Stetson. Er hatte seinen aufgerollten Schlafsack dabei und einen Rucksack. „Ich fahre den Truck in die Garage und hole meinen Wagen. Dann kümmern wir uns um deinen Rechner.“

Sie wartete vor dem Haus, bis er mit einem schwarzen Sportwagen vorfuhr und ihr die Tür aufhielt. Ihre Blicke trafen sich. Ihr stockte der Atem. Für einen Moment vergaß sie all ihre Probleme. Sah nur noch den Mann, den sie begehrte.

Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, den Blick von seinem zu lösen. In diesem kurzen Moment hatte sie sich nichts mehr ersehnt, als seine Arme um sich zu spüren und seine Lippen auf ihren.

„Danke“, sagte sie und hasste es, dass ihre Stimme so verräterisch rau klang. Sie ließ sich auf den Sitz gleiten und sah zu, wie er um den Wagen herumging. Ein attraktiver, starker Mann. Sie war sicher, dass er bald wieder heiraten würde. Tom war zu attraktiv, um allein zu leben, und er mochte Frauen. Die Vorstellung, dass er wieder heiraten würde, tat weh, obwohl es keine gemeinsame Zukunft für sie beide gab.

Schweigend legten sie die kurze Fahrt zum Haupthaus der Ranch zurück, wo sie so lange zusammengelebt hatten. Dort waren sie glücklich gewesen – bis sie ihren Sohn verloren hatten. Sie wollte dort nicht allein leben. Das Haus war so groß und leer ohne Tom. Er schien es mit seiner ganzen Persönlichkeit zu füllen, wenn er nach Hause kam. Und als sie dann Ryan bekamen, erfüllten seine kindliche Stimme und sein Lachen die Räume mit Leben. Im Moment erschien es ihr einfach nur verlassen und traurig. Das war nicht mehr ihr Zuhause.

Das Haus hatte eine ernüchternde Wirkung auf sie, und Tom schien es ähnlich zu gehen. Er hatte noch einen Schlüssel und hielt ihr die Tür auf. Plötzlich musste sie daran denken, wie Ryan vor dem Haus herumgerannt war, als er noch klein war. Rasch musste sie sich die Tränen fortwischen. Ein Blick zu Tom zeigte, dass auch er bedrückt war. Er war seit fast einem Jahr nicht mehr hier gewesen.

Er rieb sich die Augen – der toughe, hoch ausgezeichnete Ranger, der im Kampf seinen Mann gestanden hatte, verwundet worden war und bis zu seiner Flucht in Kriegsgefangenschaft. Sein Schmerz ließ ihren noch schwerer werden. Stumm weinend wandte sie sich ab und versuchte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Tom legte seinen Arm um sie.

„Komm“, flüsterte er. Schluchzend drehte sie sich zu ihm, und sie hielten einander. Es fühlte sich wunderbar an, seine starken Arme zu spüren. Sie drückte ihn fest an sich, als versuchte sie, etwas von seiner Kraft auf sich zu übertragen. Er war ihr ein Trost, und sie hoffte, es auch für ihn zu sein. Sie ließ ihre Hand über seinen Rücken gleiten und genoss es, ihn zu spüren. Es war so lange her, seit sie das letzte Mal in seinen Armen gelegen hatte.

„Es tut mir leid, Tom. Manchmal gehen die Gefühle einfach mit mir durch, und ich nehme an, dir geht es ähnlich. Es hilft, dich hier zu haben.“ Sie wischte sich die Tränen ab.

Er sah ihr in die Augen. „Ich bin gern für dich da. Wir können der Trauer nicht entkommen.“

Sie vermisste das Gefühl, seine Arme um sich zu fühlen, als er sie losließ. „Es geht schon wieder. Danke.“

Sie gingen durch das Haus zu dem großen Raum, den sie als ihr Büro nutzte. „Ich baue den Rechner für dich ab“, erbot er sich. „Ich bin sicher, es kommt nichts dabei heraus, aber wir müssen die Chance nutzen und ihn Nathan geben, damit er ihn untersucht.“

„Während du das machst, packe ich schnell ein paar Sachen für Royal.“

„Wo ist der weiße Kater?“

„Ich habe ihn bei deiner Köchin gelassen, bis ich mich in Royal eingerichtet habe. Das macht dir doch nichts aus, oder?“

„Nein, natürlich nicht.“

Es dauerte keine halbe Stunde, und sie waren auf dem Weg nach Royal. Sie waren beide in ihre Gedanken versunken. Obwohl sie schwiegen, war Emily sich seiner sehr bewusst. Sie war lange nicht mehr mit ihm zusammen gewesen. Wie sollte sie unter einem Dach mit ihm leben, ohne sich nach ihm zu sehnen?

Ihr Blick fiel auf seine Hand auf dem Steuer. Er hatte eine Narbe auf dem Handrücken, die lange verheilt war. Überhaupt war sein ganzer Körper aus seiner Zeit beim Militär mit Narben übersät.

Seine Hände waren wohlgeformt, die Nägel gepflegt. Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie es war, wenn er seine Hände über ihren Körper gleiten ließ. Starke Hände, die sie ins Paradies bringen konnten.

Sie begriff, dass ihre Gedanken einen Bereich berührten, den sie meiden wollte. „Ich glaube, du hast recht, was die Scheidung betrifft“, sagte sie laut. „Es wird dazu kommen – das ist unausweichlich –, aber ich finde auch, dass nicht Maverick der Grund sein sollte.“

„Lass uns das Thema für den Moment vertagen. Ich will sehen, ob ich herausfinden kann, wie viel Zeit Nathan mit der Suche nach diesem Troll investiert. Das Meeting im Klub am Montag könnte auch einiges bringen. Wenn wir uns nicht scheiden lassen und beide im Haus in Royal wohnen …“

„… dann weiß Maverick, dass du mein Bodyguard bist.“ Emily schüttelte den Kopf.

„Nicht unbedingt. Wenn ich dir helfe, das alte Haus zu renovieren, dann sieht es so aus, als wären wir wieder zusammen. Die Leute könnten doch denken, wir richten es her, damit du es verkaufen kannst. Vielleicht sollten wir für ein paar Wochen Stillschweigen darüber wahren, dass ich mir Sorgen um deinen Schutz mache und dass wir nicht mehr wirklich zusammen sind.“

„Das ist mir recht. Alles ist gut, wenn es sich gegen Maverick richtet. Offen gestanden wundert es mich immer noch, dass ich eines seiner Opfer bin. Ich mag nicht die Sanftmut in Person sein, aber an sich komme ich doch gut mit allen aus. Mit den Leuten, die ich kenne und mit denen ich arbeite, mit den Nachbarn oder den Leuten von der Kirche.“

„Ich stelle dir jetzt die Frage, die Nathan dir stellen wird: Hast du Feinde? Gibt es irgendjemanden, der dich nicht mag oder den du verärgert hast?“

Sie lachte leise. „Tom, es mag Leute geben, die mich nicht mögen, aber wenn es so ist, weiß ich nichts davon. Ich kenne niemanden.“

„Alle mögen dich“, bemerkte er. „Ich wette, genau das wird Nathan dir sagen.“

„Der einzige Mensch, den ich wirklich unglücklich gemacht habe, bist du“, sagte sie leise. Als sie zu ihm hinübersah, bemerkte sie, dass seine Hände das Steuer fester umklammerten.

„Hey, Emily, ich habe dich über alles geliebt, aber es ist einfach so viel passiert, dass wir nicht zurückkönnen in das Leben, das wir einmal hatten. Als ich dich nach Feinden gefragt habe, meinte ich richtige Feinde.“

„Ich weiß. Wir sind nicht wirklich Feinde.“

„Danke dafür, Em. Denk nach. Gibt es irgendjemanden, den du so verärgert haben könntest, dass er sauer ist auf dich?“

Sie lachte. „Darla aus meiner Klasse in der Highschool. Gott, sie war so verliebt in dich. Wäre dies alles passiert, als wir sechzehn waren und nicht heute, dann würde sie mir als Erste einfallen. Aber soweit ich gehört habe, ist sie inzwischen verheiratet und hat drei Kinder.“

„Ich sage es ja nur ungern, aber ich erinnere mich nicht einmal an dieses Mädchen.“

„Eines von deinen Groupies.“

„Ich hatte keine Groupies.“

„Jeder süße Football-Captain hat Groupies.“

„Das mag dir so erscheinen, aber ich hatte keine. Und niemand hat mich mehr süß genannt, seit ich fünf war.“

„Du warst süß. Darin waren sich alle Mädchen einig. Lange Wimpern, breite Schultern, einen knackigen Hintern, sexy …“

„Hör auf!“ Er lachte. „Hätte ich das damals gewusst! Davon hast du mir nie etwas erzählt, als wir noch in der Schule waren.“

„Natürlich nicht. Es wäre dir nur zu Kopf gestiegen – oder sonst wohin.“

„Ich finde, diese Unterhaltung hätten wir vor langer Zeit führen sollen.“ Er grinste. Und wieder einmal fühlte sie sich für einen Moment in alte Zeiten zurückversetzt.

„Spaß beiseite, Emily, denk mal nach. Es ist wichtig. Könnte es etwas mit deinem Beruf zu tun haben?“

„Ich mache Fotos von Kindern und Familien. Total harmlos. Ich habe noch nie einen Kunden gehabt, der wütend auf mich war.“

„Das glaube ich. Du bist ja auch eine sehr gute Fotografin.“

„Mavericks Schuss ist danebengegangen, also wollen wir uns im Moment keine Gedanken darum machen.“ Sie legte Tom eine Hand auf das Knie. Die Geste hätte früher einfach Vertrautheit signalisiert, nicht aber jetzt. Er sah sie durchdringend an und atmete tief durch.

Hastig zog sie die Hand zurück und sah aus dem Fenster. Nur gut, dass er nicht ahnen konnte, wie ihr Puls raste.

„Ich versuche ja, nachzudenken, aber mir fällt beim besten Willen niemand ein. Ich weiß, ich muss etwas übersehen haben, sonst hätte ich ja diese Mail nicht bekommen.“

„Richtig, also denk weiter nach.“

Sie verfielen erneut in Schweigen.

„Tom, vielleicht ging es gar nicht um mich. Vielleicht wollte Maverick dich treffen. Durch mich.“

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, und ich habe mir überlegt, wen ich mir zum Feind gemacht haben könnte. Offen gestanden sind mir durchaus ein paar Namen eingefallen. Ich habe Cowboys entlassen, die nicht arbeiten wollten. Ich war bei den Rangern. Das gefällt sicher einigen nicht. Es kann natürlich auch sein, dass sie politisch nicht mit mir einer Meinung sind. Dann gibt es da Konkurrenten aus Schulzeiten. Oder vom Sport. Ich werde mal mit Nathan darüber reden. Er muss diesen Mann finden. Es muss ein von Grund auf gehässiger Mensch sein, wenn er dir so etwas antut. Nach allem, was du schon hinter dir hast.“

„Ich habe nicht mehr hinter mir als du auch“, sagte sie leise.

„Doch das hast du“, widersprach er nach einem Moment des Schweigens. „Du hast nicht nur Ryan verloren, sondern auch deinen Onkel. Dein Vater ist gegangen, als du zwei warst. Du warst neun, als deine Mutter gestorben ist. Der Mann, bei dem du aufgewachsen bist, ist im vergangenen Jahr gestorben, und du hast kein zweites Kind bekommen. Du hast so viel durchgemacht, dass du niemanden brauchst, der dir noch mehr zusetzt.“

Tom hatte in allem recht. Emily schwieg.

Wie sollte es jetzt weitergehen?

Mit Maverick?

Und viel wichtiger noch: mit ihr und Tom?

3. KAPITEL

Tom parkte den Wagen vor dem Büro des Sheriffs und trug den Rechner ins Haus.

Nathan schüttelte ihnen zur Begrüßung die Hand. „Wir haben bisher keinerlei verwertbare Spuren von Maverick, und ich erwarte auch nicht, auf eurem Rechner etwas zu finden, das mir weiterhilft, aber ich will nichts unversucht lassen. Ich hoffe, ihr kommt beide zu dem Treffen am Montag.“

„Das haben wir vor“, versicherte Tom ihm. „Ich helfe, wo auch immer ich kann. Sag mir einfach Bescheid.“

„Danke.“ Nathan war ein großer, kräftiger Mann mit freundlichen braunen Augen. „Ich möchte mich zuerst mit jedem von euch allein unterhalten. Wollen wir anfangen, Emily?“

„Natürlich.“ Sie lächelte ihn an. Er war etwas älter als Tom und sie, aber sie kannte ihn und seine Frau schon seit Jahren. Amanda betrieb das Royal Diner, eine Institution in der Stadt.

Emily nahm in Nathans Büro Platz und versuchte, seine Fragen zu beantworten. Das Gespräch war nur kurz. Dann unterhielt er sich mit Tom, und auch hier dauerte es nicht länger.

„Falls euch beiden irgendetwas einfällt, was uns vielleicht weiterhelfen könnte, lasst es mich wissen. Ihr könnt mich jederzeit anrufen. Ich will, dass wir diesen Maverick erwischen.“

„Ich glaube, das möchten die meisten hier in Royal“, sagte Emily.

„Das glaube ich auch. Bitte kommt am Montag zum Meeting. Ich bin wirklich schockiert, dass Emily ein Ziel dieses Mannes war. Es könnte natürlich sein, dass er über Emily dich treffen wollte, Tom. Aber wieso dich? Du hast hier keine Feinde.“

„Das kann man nie wissen. Man kann sich jemanden zum Feind machen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Es gibt ja inzwischen mehrere hier, die eine Mail von Maverick erhalten haben. Ich würde sagen, es muss ein ziemlich verbitterter Typ sein, der einen Hass auf die Menschen hat.“

„Das denke ich auch. Ich will ihn unbedingt erwischen – oder sie. Ich bin sicher, Emilys PC gibt nicht mehr her als die anderen. Wir können die Spur nicht zurückverfolgen. Maverick mag ein Troll sein, aber er ist nicht dumm.“

Sie standen noch eine Weile vor dem Büro in der Nachmittagssonne. „Emily, du bist ja jetzt in das Haus deines Onkels hier in der Stadt gezogen. Bitte ruf an, falls du irgendetwas brauchst. Ich bin froh, dass du jetzt auch hier bist, Tom. Das nimmt uns ein paar Sorgen.“

„Wir bleiben in Kontakt“, versprach Tom, während er Emilys Arm nahm. Es war nur eine leichte Berührung, aber sie hatte dennoch ihre Wirkung auf Emily. Wie konnte das sein, wenn ihre Liebe längst erloschen war und die Scheidung bevorstand? Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie. Sie ärgerte sich darüber, dass er sich in ihr Leben einmischte und bei ihr wohnen wollte. Und dennoch ließ es sich nicht leugnen: Schon die kleinste Berührung hatte eine elektrisierende Wirkung auf sie. Sie konnte nur hoffen, dass niemand es bemerkte.

„Lass uns zum Diner fahren und einen Burger essen“, schlug Tom vor, als sie sich von Nathan verabschiedet hatten und im Wagen saßen.

„Warum nicht?“ Sie nahm an, dass Tom Hunger hatte, vermutete aber, dass er das Essen auch vorschlug, damit die Leute sie zusammen sahen.

Alles erinnerte sie an die alten Zeiten mit ihm. Einerseits machte es sie traurig, aber gleichzeitig genoss sie seine Gesellschaft.

Sie fuhren die Main Street hinunter und parkten am Royal Diner. Es weckte Erinnerungen an ihr früheres Leben, als noch alles aufregend war und sie sich liebten. Es machte ihr nur einmal mehr deutlich, dass all ihre Erwartungen an das Leben zerstört worden waren. Es gab kein Zurück für ihre Ehe. Vielleicht konnte sie Maverick täuschen. Aber es würde sie um ihren Seelenfrieden bringen, wenn Tom jetzt wieder in ihrer Nähe war.

Sie setzten sich in eine der Nischen. Die Bänke waren mit rotem Lederimitat bezogen wie in den Fünfzigerjahren. „Wie oft haben wir hier schon gegessen?“, entfuhr es ihr.

„Stimmt.“ Er sah sie lächelnd an. „Ich weiß nicht, wie oft es war. Ich weiß nur, dass meine Gedanken nie beim Essen waren, sondern immer bei dir.“

„Ich glaube, das war bei mir genauso“, gestand sie. „Bei unserem ersten Date hast du mich hierher eingeladen.“

„Nachdem du mich angefahren hattest.“ Er lachte leise.

„Es war eine meiner ersten Fahrten allein am Steuer. Ich habe dich einfach nicht gesehen, als ich aus der Parkbucht der Schule fuhr. Nur gut, dass du so schnell reagiert hast, sonst wäre der Schaden noch größer gewesen.“

„Das scheint schon ewig her zu sein. Dein Onkel Woody war sehr verständnisvoll. Seine Versicherung hat den Schaden übernommen. Er hatte Vertrauen zu dir. Er wusste, du würdest das Fahren lernen. Ich nehme an, er ging davon aus, dass du nach diesem Malheur vorsichtiger sein würdest.“

„Das war ich, das kannst du mir glauben.“

„Irgendwie war ich gar nicht unglücklich über die Situation. Ich habe es sehr genossen, dass du mich jeden Morgen abgeholt und mit zur Schule genommen hast, solange mein Wagen in der Werkstatt war.“

„Ich auch.“ Sie liebte sein Lächeln. Die traurigen Zeiten, die hinter ihnen lagen, hatten alles Lachen und Lächeln vertrieben, aber davor hatte sie mit Tom mehr Spaß gehabt als mit irgendeinem anderen Menschen. „Ich habe dich gern mitgenommen, auch wenn es etwas peinlich war, weil sich mein Fahrfehler dadurch gleich herumgesprochen hat. Und natürlich kochte die Gerüchteküche, was uns beide betraf.“

Er lehnte sich über den Tisch und senkte die Stimme. „Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss? Ich weiß es noch ganz genau.“

Sie musste tief durchatmen, als sie seinen Schlafzimmerblick sah. Sie konnte den Blick nicht von seinen Lippen wenden. Erinnerte sich an jede Einzelheit seiner Küsse. Sehnte sich danach, ihn wieder zu küssen. „Natürlich erinnere ich mich, aber es überrascht mich, dass du es noch weißt.“

„Wie sollte ich das vergessen? Was glaubst du wohl, wieso ich dich wieder hierher eingeladen habe?“ In seinen Augen blitzte ein Lachen.

„Es war alles so aufregend, Tom.“ Sie seufzte.

„Vielleicht sollten wir nur die schönen Erinnerungen aufbewahren und alles andere vergessen.“

„Danke, Doktor.“ Sie sah ihn lächelnd an.

Die Burger wurden gebracht. Emily schaffte ihren nur zur Hälfte. Sie war sicher, dass dies das letzte Mal war, dass sie zusammen im Diner aßen. Sie sah zu Tom auf, als sie hinausgingen. Wieso tat die Vorstellung so weh, dass sie bald von ihm geschieden sein würde? Schließlich wollten sie es doch beide.

„Hast du Lust, dir mein Studio anzusehen?“, fragte sie spontan.

„Ja, gern.“

„Dann bieg an der nächsten Ecke ab.“ Minuten später hielten sie. Das Studio hatte zur einen Seite ein Anwaltsbüro als Nachbarn, zur anderen eine beliebte Bäckerei, die köstliches, frisches Brot verkaufte. Tom blieb vor ihrem Schaufenster stehen und betrachtete die Fotos von Babys, Hunden und Familien, die sie ausgestellt hatte.

„Sehr schön, Em. Du hast dein Hobby zu einem guten Geschäft gemacht. Du bist wirklich gut.“

„Danke.“ Dennoch hatte sie das Gefühl, dass er einfach nur höflich war.

„Ich glaube, ich bleibe einfach hier stehen und genieße den Duft des frischen Brotes“, stöhnte er.

„Es schmeckt unglaublich gut. Wir können uns ja nachher eins mitnehmen. Jetzt komm rein. Das Studio ist nur klein, aber groß genug für mich.“

Er betrachtete die Fotos an den Wänden. Einige der Personen erkannte er, viele nicht, insbesondere die Kinder. Er stieß auf ein großes gerahmtes Foto ihres Sohnes, als er zwei Jahre alt war.

„Em! Was für ein schönes Foto von Ryan! Davon hätte ich gern einen Abzug.“

„Ich mache dir einen. Es freut mich, dass es dir gefällt. Es macht mich glücklich, wenn ich hier hereinkomme und sein Bild sehe.“

Tom sah sich weiter um. Ein besonders beeindruckendes Foto zeigte Royal nach dem Tornado. Drei Etagen des Rathauses waren zerstört, aber der Turm mit der Uhr stand noch. „Du hast einen guten Blick“, sagte er, während er weiterging zum nächsten Foto, das ein schwarzes Pferd auf einer Weide zeigte. Der Wind ließ die Haare des Schwanzes fliegen. Das seidige schwarze Fell glänzte in der Sonne.

„Sieht aus wie mein Hengst Grand.“

„Das ist er. Er ist ausgesprochen fotogen.“

„Wow! Von dem Foto hätte ich auch gern einen Abzug.“ Er beugte sich vor. „Ich sehe nirgends einen Preis.“

„Vergiss es. Ich schenke dir die Abzüge.“

„Das musst du nicht.“

„Aber ich würde es gern tun“, versicherte sie ihm lächelnd.

„Danke. Das ist eine super Aufnahme von ihm.“

„Sieh dir den Raum an, wo ich die Fotos mache, und meinen Arbeitstisch.“

Er warf einen Blick durch die Kamera, die auf einem Stativ stand. Als Hintergrund diente das Foto einer Wiese.

„Tom, lass mich ein Foto von dir machen“, bat sie spontan.

Er grinste. „Du machst wohl Witze. Du weißt doch, wie ich aussehe.“

Sie nahm ihn beim Arm. „Stell dich dorthin und lass mich machen. Vielleicht brauche ich es an einem kalten Winterabend, wenn du nicht bei mir bist.“

Sein Lächeln verflog. „Du meinst es ernst. Also gut, du darfst das Foto machen – wenn ich dafür ein Foto von dir mit meinem Smartphone machen darf.“

Sie lachte. „Warum nicht?“

„Aber versprich mir, dass du mich nicht ins Fenster hängst.“

„Das würde mir nicht im Traum einfallen. Dein Foto ist für mein Schlafzimmer.“ Sie erwartete irgendeinen flapsigen Kommentar, aber er schwieg. Was mochte in ihm vorgehen? „Stell dich dahin“, bat sie.

Von der Kamera aus dirigierte sie ihn ein wenig hin und her. „Und nun dreh dich leicht und wirf mir einem Blick über die Schulter zu. Lächeln!“

„Em, ich komme mir blöd vor.“

„Lächle! Dafür kaufe ich dir nachher auch ein leckeres Brot.“

„Das ist Erpressung“, protestierte er, kam ihrer Bitte aber nach.

„Willst du deine Fotos jetzt sehen? Ich kann dir Abzüge machen, wenn du willst.“

„Nein, Fotos von mir interessieren mich nicht, wohl aber das leckere Brot.“

Kurze Zeit später schlossen sie das Studio hinter sich ab und versorgten sich mit duftendem Brot, bevor sie wieder in den Wagen stiegen.

„Stell dich auf einen Schock ein“, bat Emily. „Das Haus ist in einem schrecklichen Zustand. Zuletzt war Onkel Woody so krank, dass er sich um nichts mehr kümmern konnte.“

„Emily, ich wollte dir schon immer sagen, wie leid es mir tut, dass ich bei seiner Beerdigung nicht dabei sein konnte.“

„Ich weiß, dass du zu der Zeit geschäftlich in Wyoming warst. Ich habe dich nie gefragt, ob du die Ranch gekauft hast.“ Wieder einmal wurde ihr deutlich, wie weit ihre Leben auseinandergedriftet waren. Früher wäre er während der letzten Stunden ihres Onkels und während der Beisetzung an ihrer Seite gewesen. Früher hätte sie gewusst, ob Tom eine zweite Ranch in Wyoming gekauft hatte oder nicht. Früher hätte er über diese Entscheidung mit ihr gesprochen. Jetzt entfernten sie sich immer weiter voneinander. Im Moment blieben sie nur noch zusammen, um Mavericks Pläne zu durchkreuzen.

„Nein, ich habe sie nicht gekauft. Falls ich eine weitere Ranch kaufe, dann irgendwo hier in der Nähe. Ich glaube, es ist keine gute Idee, die Ranch von jemand anderem leiten zu lassen. Ich muss selbst vor Ort sein.“

Sie schwieg, während sie in die Straße einbogen, in der sie von ihrem neunten Lebensjahr an gewohnt hatte, bis zu ihrer Heirat mit Tom. Große Ahornbäume und Eichen standen zu beiden Seiten. Einige Platten des Gehwegs wurden von den Wurzeln der Bäume bereits angehoben. Tom bog auf die Auffahrt des zweistöckigen Hauses ein. Gras wuchs aus den Rissen der Betonplatten, die zum Teil von Unkraut überwuchert waren.

„Ich lasse den Wagen hier vor dem Haus stehen, damit ihn jeder sehen kann“, entschied er. „Falls dich jemand beobachtet hat, wird er wissen, dass das nicht dein Wagen ist. Maverick soll wissen, dass ich hier bei dir bin und dass seine Mail nicht gewirkt hat.“

„Es schaudert mich bei dem Gedanken, dass jemand mich beobachten könnte“, gestand sie. „Ich habe nie darüber nachgedacht.“

„Du bist eben sehr vertrauensselig.“

Sie blieben im Wagen sitzen und betrachteten das Haus. Früher einmal war es weiß gestrichen gewesen, aber nun blätterte die Farbe überall herunter. Einige Schindeln auf dem Dach mussten ersetzt werden. Die Fenster des runden Turms an der Ostseite waren zerbrochen, ebenso alle Scheiben im Erdgeschoss. Ein typischer Fall von Vandalismus. Eine Veranda lief um das ganze Haus herum. Die einstmals schönen Verzierungen der Fensterläden waren über die Jahre verwittert und zum Teil auseinandergefallen.

Deprimiert zog Emily Bilanz: abblätternde Farbe, beschädigte oder fehlende Fensterläden, zerbrochene Scheiben, bröckelnde Betonstufen. In ihren Erinnerungen sah sie etwas ganz anderes.

Eines Abends hatte Tom sie nach Hause gebracht und hier auf der Auffahrt geparkt. Sie waren ausgestiegen, und er hatte sie unter dem Maulbeerbaum geküsst. Aus dem einen Kuss wurden mehrere. Dann hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden. Sie hatten beide noch ein Jahr im College vor sich, und sie beschlossen, dieses eine Jahr noch zu warten mit der Hochzeit. Aber an diesem Abend hatte er ihr den Antrag gemacht.

„Woran denkst du?“, fragte er.

Erschreckt drehte sie sich zu ihm herum. Hatte er erraten, welche Erinnerungen ihr gekommen waren? „Daran, dass ich viele Fenster ersetzen muss“, log sie.

„Richtig.“ Seine Stimme war rau. Erinnerte er sich an dieselben Momente wie sie?

„Hier willst du also wohnen statt in dem Haus auf der Ranch. Es wird einiges dazugehören, das wieder in Schuss zu bringen. Einen unsichereren Ort hättest du dir kaum aussuchen können.“

„Aber wir sind hier in Royal, und Royal ist eine friedliche Stadt.“

„Eine friedliche Stadt, in der ein Troll seine Hassbotschaften verbreitet.“

„Ich weiß, dass hier viel Arbeit nötig ist, aber ich arbeite jetzt in der Stadt, und das Haus ist meine einzige Verbindung zu meiner Familie. Die Menschen, die mir wirklich nahestanden, sind alle nicht mehr da. Meine Cousins kenne ich kaum. Sie leben in Oregon und Vermont. Ich habe so gut wie keinen Kontakt zu ihnen. Dieses Haus verbindet mich mit meiner Mom und Onkel Woody.“

„Es ist grundsätzlich ein schönes altes Haus, aber dein Onkel hat es nicht geschafft, es in Schuss zu halten. Es wird eine große Belastung für dich sein.“

„Er wollte nicht, dass ich Handwerker kommen ließ, also habe ich nichts getan.“

„Es war sicher ehrenwert, seine Wünsche zu respektieren. Wir können es renovieren und Leute damit beauftragen, uns einen Teil der Arbeit abzunehmen.“

„Nicht wir, Tom. Es ist nicht dein Haus, und es ist nicht dein Problem. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen. Ich finde immer noch, dass du wieder zur Ranch fahren solltest.“

Er runzelte die Stirn und schwieg. Die glücklichen Momente, die sie gehabt hatten, waren vorbei. Es war besser so. Es war nicht nötig, dass Tom bei ihr blieb. Das würde für sie beide alles nur noch komplizierter machen. Er musste sich um die Ranch kümmern, und sie wollte ihn nicht ständig in ihrer Nähe haben.

„Die Leute werden uns zusammen gesehen haben und auch deinen Wagen hier vor dem Haus. Sie werden darüber reden. Du brauchst wirklich nicht zu bleiben“, wiederholte sie, als er nichts sagte.

„Ich bleibe.“ Er blieb störrisch. „Betrachte mich als deinen Bodyguard, dann kannst du meine Anwesenheit vielleicht ertragen.“

„Wie du willst.“

Sie wollte den Wagen verlassen, aber er hielt sie zurück.

„Du solltest nicht in dieses große leere Haus gehen. Es gibt hier nicht einen Hauch von Sicherheit. Jeder könnte dort auf dich warten. Jeder könnte jederzeit durch die kaputten Fenster im Erdgeschoss einsteigen. Schließt du überhaupt ab?“

„Nein, wozu? Es ist ja ohnehin alles offen.“

„Warte hier im Wagen, während ich mich im Haus umsehe. Behalte die Wagenschlüssel.“

„Tom …“

„Ich weiß, ich bin sehr vorsichtig, aber es dauert nur ein paar Minuten, und wir haben ja die Zeit. Ich fühle mich einfach besser. Also bleib im Wagen. Falls du jemanden siehst, ruf mich sofort. Und falls jemand versucht, in den Wagen einzudringen …“

„Dann überfahre ich ihn.“ Sie musste es einfach ins Lächerliche ziehen, weil sie fand, dass er maßlos übertrieb.

Er blieb ernst. „Emily, ich habe mit ansehen müssen, wie ein Mann ein Haus betreten hat und ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. Ich weiß, wir sind hier in Royal, aber ich sehe keinen Grund, wieso wir ein Risiko eingehen sollten.“

„Bisher hat Maverick nur Mails verschickt.“ Sie winkte ab. „Gut, ich tue, was du sagst. Geh ins Haus und sieh dich um.“ Sie wusste, dass er wieder im Militär-Modus war und dass es keinen Zweck hatte, mit ihm zu streiten.

Er stieg aus und schloss die Tür leise hinter sich.

Sie konnte sich beim besten Willen keine Gefahr vorstellen. Aber sie hätte sich auch nicht vorstellen können, je eine solche Mail zu bekommen. Nun war sie also wieder unter einem Dach mit Tom. Das schien noch die größte Bedrohung, wenn auch nur für ihr Herz. Dabei war sie gerade dabei gewesen, sich ein neues Leben ohne ihn aufzubauen.

Er verschwand ins Haus. Draußen herrschte noch die Dämmerung, aber im Haus war es jetzt dunkel. Sie stellte sich vor, wie Tom einen Raum nach dem anderen kontrollierte. Gründlich und leise.

Ihre Nerven waren angespannt, als endlich das Licht im Haus anging und sie Tom aus der Küche kommen sah. Sie nahm seine breiten Schultern wahr und seinen energischen Schritt. Sie wusste, sie würde sich vollkommen sicher fühlen mit ihm im Haus. In der Vergangenheit hatte sie sich in seiner Nähe immer sicher gefühlt. Aber damals hatte sie sich auch nie Gedanken wegen irgendwelcher Gefahren machen müssen.

Das Licht im vorderen Wohnzimmer ging aus. Als Nächstes erlosch das Licht im Korridor. Sie begriff, dass Tom unten alles Licht ausschalten und die Räume im Dunkeln lassen wollte.

Sie sah ihn erst, als er an die Scheibe des Wagens klopfte.

Er hielt ihr die Wagentür auf. „Danke, dass du mir die Zeit gelassen hast. Jetzt fühle ich mich wohler.“ Er half ihr beim Aussteigen. „Emily, du hast hier keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Es gibt im Erdgeschoss nur ein einziges heiles Fenster, und das ist im Bad. Man kann jederzeit sehen, wo du dich aufhältst. Hast du irgendwo Gardinen oder Laken?“

„Ja, Laken.“

„Okay, dann los. Wir müssen einige der Fenster verhängen. Du musst dich oben aufhalten.“

„Ich nehme an, es hat keinen Zweck, mit dir darüber zu diskutieren?“

„Nein, bestimmt nicht. Du ziehst nach oben.“

„Seit wann bist du so bestimmend?“

„Seit jemand dich bedroht. Du stehst auf der Liste dieses Trolls, vergiss das nicht.“

„Ich glaube nicht, dass du es mich vergessen lassen wirst.“

Sie betraten das dunkle Haus durch die Hintertür.

„Tom …“

Seine Stimme hob sich kaum über ein Flüstern, als er ihr zuraunte: „Warte, bis wir oben sind.“

4. KAPITEL

Tom und Emily bewegten sich lautlos durch das dunkle Haus. Als er für einen Moment stehen blieb, prallte sie gegen ihn.

Spontan legte Tom einen Arm um ihre Taille. Der Moment änderte alles. Er spürte ihren weichen Körper an seinem. Registrierte den zarten Duft ihres Parfums. Das Verlangen kam plötzlich und intensiv.

Sie geriet ins Stolpern und ergriff seinen Arm. Er musste an sich halten, sie nicht fest an sich zu ziehen und sie so lange zu küssen, bis sie auf ihn reagierte. Sie war weich, verführerisch und warm.

Die Zeit schien stehenzubleiben. Die Erinnerungen an traurige Zeiten verblassten. Im Moment konnte er nur daran denken, sie zu halten, sie zu küssen. Sein Puls raste. Er spürte, wie sie ihren Arm um seinen Nacken legte.

„Einiges zwischen uns hat sich nicht geändert“, sagte er leise. Er drückte sie an sich und rang um seine Selbstbeherrschung, während er sie eigentlich nur in seinen Armen halten und die ganze Nacht lieben wollte.

„Wir können das nicht tun, Tom“, flüsterte sie.

Er konnte nicht sprechen, da er zu erregt war. Er begehrte sie. Es war ein kaum bezwingbares Verlangen. Denn er war so lange allein gewesen. Er musste sie nach oben gehen lassen, aber er brachte es nicht über sich, sie freizugeben. Es war so verdammt lange her, seit er sie geküsst hatte. So verdammt lange, seit er sie in seinen Armen gehalten hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte er leise.

„Ja, ich bin nur gestolpert.“

Sie klang außer Atem und angespannt. Das fachte sein Verlangen nur noch mehr an. Er versuchte, sich auf die Situation zu konzentrieren und an nichts anderes zu denken.

„Ich möchte kein Licht anmachen. Ich habe gezählt: Du hast hier unten zweiunddreißig Fenster, die offen sind. Jeder kann sehen, was du machst. Lass uns deine Sachen nach oben bringen.“

„Ich kenne dieses Haus auch im Dunkeln.“

Sie sprachen leise. Er hielt immer noch ihren Arm, und ihre Hand lag auf seiner Schulter.

„Gut, dann müssen wir kein Licht machen, bis wir oben sind. Kannst du die Treppe im Dunkeln gehen?“

Sie lehnte sich näher an sein Ohr. „Was glaubst du wohl, wie oft ich im Dunkeln nach oben gehuscht bin, wenn du mich nach einem Date wieder einmal zu spät nach Hause gebracht hast? Damals hast du dir deswegen keine Sorgen gemacht …“

Etwas von seiner Anspannung verflog. Er lachte leise. „Okay, geh vor. Ich folge dir.“

Widerstrebend ließ er sie los. An diesem Tag hatte es Momente gegeben, in denen die Spannung von ihnen abgefallen war. Es war wieder wie früher gewesen. Die Situation erschien ihm wie eine Blase im luftleeren Raum. Eine Ausnahmesituation. In dieser Blase konnten sie zusammenleben, während Nathan und andere versuchten, herauszufinden, wer dieser Maverick war.

Tom blieb dicht hinter Emily, während sie schweigend die Treppe hinaufstiegen. Sie führte ihn zu dem großen Schlafzimmer hinten im Haus. „Wir sind in meinem Zimmer, Tom. Ich mache jetzt das Licht an.“

„Okay. Wir sind allein im Haus. Ich war auch auf dem Dachboden und im Keller. Kein Wunder, dass alle Gruselfilme in solch alten Häusern spielen. Eine Kameraeinstellung genügt, und schon hast du die nötige Atmosphäre, noch bevor der Film überhaupt angefangen hat.“

„Ich liebe dieses alte Haus. Für mich hat es überhaupt nichts Gruseliges an sich, auch nicht im Keller.“

„Wie auch immer, wir wollen jetzt die Laken aufhängen, damit nicht jeder zu dir hereinsehen kann. Morgen kaufst du dann Rollos oder was auch immer für die Räume im ersten Stock. Unten können wir die Laken auch tagsüber einfach hängen lassen.“

Tom war mit seinen Gedanken bei Emily, während er rasch ein Laken nach dem anderen spannte. Er war so groß, dass er nur selten eine Leiter brauchte.

„Das Haus hat keine Alarmanlage. Du solltest morgen eine kaufen und veranlassen, dass sie so schnell wie möglich eingebaut wird. Ich kann dir eine Firma empfehlen. Der Mann ist ein ehemaliger Ranger und ein Freund von mir.“

„Du kommandierst ja ganz schön herum.“ Ihr Ton war ironisch, sodass er wusste, sie meinte ihren Vorwurf nicht ernst.

Die Arbeit brachte Tom ins Schwitzen. Ohne lange nachzudenken, streifte er sich das T-Shirt ab. Als er nach dem nächsten Laken griff, fiel sein Blick auf Emily. Sie stand wie erstarrt da, während ihr Blick über seine Brust glitt. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Atem ging schnell. Ihre Miene spiegelte unverhohlenes Verlangen. Ihre Blicke trafen sich.

Ohne den Blickkontakt zu lösen, ging er zu ihr. Die Temperatur im Raum schien abrupt anzusteigen. Die Erinnerungen waren wieder da. Wie er sie hielt. Wie er sie küsste. Wie er sie liebte. Sein Verlangen wuchs, als er in ihre grünen Augen sah. Er schob eine Hand hinter ihren Kopf in ihr weiches Haar, während sein Blick an ihren Lippen hing. Sie sah wie benommen zu ihm auf.

„Nein“, flüsterte sie. „Tom, ich habe mich gerade daran gewöhnt, allein zu sein. Ich möchte das nicht.“

Er konnte sie kaum hören, so laut dröhnte ihm sein Puls in den Ohren. „Und ob du das möchtest!“ Sein Ton war rau. „Es ist so lange her, Emily. Ein Kuss kann nichts ändern. Wir können uns küssen, und das war’s dann.“ Er hatte Mühe, an sich zu halten. Es fiel ihm schwerer, sein Verlangen zu bezähmen, als er es je für möglich gehalten hätte. Es war so lange her, seit er sie das letzte Mal geliebt hatte, und es hatte keine anderen Frauen für ihn gegeben. Er war bereit für sie. Wollte sie nackt in seinen Armen halten. Im Geiste sah er vor sich, wie sie reagierte. Erinnerte sich an ihre heißen Küsse. An ihre Leidenschaft.

Er zog sie an sich und küsste sie. Er wollte sie. Jetzt. Hart und schnell. Aber falls sie sich auf den Sex einließ, musste er sich Zeit lassen, das wusste er. Ein Blick in ihre grünen Augen verriet, dass sie ebenso bereit war wie er. Vielleicht nicht gleich heute Abend, aber bald. Sehr bald. Ihm wurde heiß bei dem Gedanken.

Er vertiefte den Kuss. Vage registrierte er, dass sie die Arme immer noch um seinen Nacken geschlungen hatte. Sie rieb sich an ihm und seufzte leise.

Sie war so weich. So warm. Er ließ seine Hand über ihre Brust gleiten. Wie gern hätte er sie jetzt gleich hier genommen. Er rang um seine Selbstbeherrschung.

Sie löste sich von ihm. „Ich kann das nicht“, keuchte sie. „Es geht einfach nicht. Es ist eine emotionale Tortur. Es zerreißt mich. Wir tun einander nicht gut. Wir lassen uns scheiden.“

Er wandte sich ab und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie will mich nicht mehr in ihrem Leben. „Ich bin dann unten.“ Er zog sich das Shirt wieder über und verließ den Raum. So viel war jetzt klar: Er musste diese Scheidung durchziehen und sich ein neues Leben aufbauen. Er musste Emily freigeben, weil er sie unglücklich machte.

Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, als er nach unten ging. Er warf einen Blick über die Schulter und sah einen Lichtstrahl unter der Tür ihres Schlafzimmers hervorkommen. Sie hatte recht – wie sollten sie im selben Haus zusammenleben, ohne einander permanent zu verletzen?

Er begehrte sie, aber diese verdammte Anziehungskraft zwischen ihnen, die früher einmal so erregend und erotisch gewesen war, war jetzt für sie beide nur eine Belastung.

Aber er musste bei ihr bleiben. Er konnte nicht einfach gehen und sie in diesem riesigen Haus allein lassen, das ein einziger Albtraum war. Sie wollte ihn hier vielleicht ebenso wenig wie im großen Haus auf der Ranch. Doch er musste erst die Fenster reparieren und eine Alarmanlage installieren. Maverick machte ihm Angst. Was konnten sie nur getan haben, um bei jemandem einen solchen Hass auszulösen?

Tom ging nach draußen und sah sich um. Beobachtete jemand Emily? War sie in Gefahr?

Er sah am Haus empor. Der erste Stock lag ebenso im Dunkeln wie das Erdgeschoss. Er setzte sich auf die Veranda und versuchte, sein aufgewühltes Verlangen abkühlen zu lassen. Er durfte einfach nicht daran denken, wie verführerisch Emily sich in seinen Armen angefühlt hatte. Durfte nicht an die Scheidung denken. Sie erschien ihm nach wie vor vollkommen irreal.

Er dachte an die Nacht in Colorado. Die Nacht im Bus. Sie hatten den Tag auf der Skipiste verbracht. Als sie zur Rückfahrt in ihr Hotel aufbrachen, war das Wetter umgeschlagen. Der Fahrer sah es mit Sorge. Er schlug vor, den geplanten Essensstopp ausfallen zu lassen, um ihr Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.

Das Schicksal war schneller. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich ein Schneesturm.

In einer Serpentine passierte es: Der Bus geriet auf Blitzeis. Er kam ins Schlingern und rutschte von der Straße. Er stürzte den Berghang hinunter, krachte in die Bäume und überschlug sich. Die Sitzgurte gaben nach. Die Passagiere und ihre Sachen flogen in den Mittelgang. Lautes Schreien und Stöhnen war aus allen Ecken zu hören. Emily schrie ihm zu, er solle sich um Ryan kümmern. Er wollte sie beide beschützen, aber sie hatte recht – er musste sich auf ihren Sohn konzentrieren. Tom versuchte, Ryan in seinem Sitz zu halten und ihn mit seinem Körper zu beschützen, während der Bus seine unheilvolle Tour fortsetzte.

„Daddy!“, schrie der Junge. „Daddy!“

Und irgendwann hörten seine Schreie auf.

Irgendetwas traf Tom. Schmerz schoss ihm durch Schulter und Arm, während der Bus auf einer Seite weiterrutschte. Ein weiterer Schlag ließ ihn das Bewusstsein verlieren. Sekunden oder Minuten später kam er wieder zu sich. Die Scheinwerfer des Busses waren noch an. Für einen Moment sah Tom eine graue Eisfläche aufblitzen. Der Bus näherte sich einem zugefrorenen See.

Entsetzt registrierte Tom, dass Ryan nicht mehr da war. Der Sitz, auf dem er festgeschnallt gesessen hatte, war verschwunden. „Ryan!“ Toms Schrei ging im allgemeinen Chaos und Lärm unter. Sein Cousin tauchte vor ihm auf. Tom brüllte ihm zu, er solle sich um Emily kümmern. Irgendwo hörte er die Stimme seines Sohnes, aber in der Dunkelheit konnte er nichts erkennen.

Der Bus schlingerte weiter. Stieß auf die Eisfläche.

Das Eis brach.

Der Bus kippte nach vorn. Sekunden später war überall Wasser. Es drang durch alle Ritzen herein und vor allem durch die Scheiben, die beim Sturz den Hang hinunter eingedrückt worden waren. Tom blieben nur Minuten, um Ryan zu finden und mit ihm an die Oberfläche zu kommen, bevor der Bus sie mit sich in die Tiefe ziehen würde.

Wahrscheinlich brauchte er nur eine Minute, um seinen Sohn zu finden, aber es erschien ihm wie eine Ewigkeit. Ryan war bewusstlos. Tom drückte den Körper des Kleinen an seine Brust und kämpfte sich mit ihm aus dem Wrack und an die Oberfläche. Endlich! Er pumpte Luft in seine Lungen und schwamm die kurze Entfernung zum Ufer. Dort zog ihn jemand an Land.

Rote und blaue Lichter. Sirenen. Schreie. Weinen.

Erleichtert registrierte Tom, dass schon Rettungswagen vor Ort waren. Er kämpfte darum, dass Ryan in einen kam, und war gerade dabei, mit ihm einzusteigen, als Jack mit Emily ankam. Tom zog auch sie in den Wagen. Einer der Sanitäter wollte protestieren, aber als er einen Blick von Tom auffing, nickte er nur. Die Notärzte konzentrierten sich auf Ryan, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf Tom und Emily geworfen hatten.

Sie hatte eine Wunde am Kopf. Blut lief ihr über das Gesicht und in ihr Haar. Tom hatte es schwerer getroffen. Er hatte gebrochene Knochen, Verstauchungen, eine Milzruptur, tiefe Schnittwunden und eine Lungenentzündung. Er und Ryan mussten operiert werden. Tom wurde nach einem Tag auf der Intensivstation verlegt, aber Ryan blieb noch elf Tage dort. Auch in einer Spezialklinik, in die man sie schließlich brachte, konnten sie Ryan nicht mehr helfen.

Nie würde Tom den Tag vergessen, als sie zur Ranch zurückkamen und das leere Haus betraten. Emily schluchzte laut. Er umarmte sie und hielt sie, während sie haltlos weinte. Er hatte das Gefühl, als bräche ihm das Herz. Er konnte sie nicht trösten. Konnte ihr nur immer wieder sagen, dass es ihm leidtäte.

„Du konntest ihn nicht retten. Ich konnte ihn nicht retten. Wir haben unser Kind verloren“, brachte sie zwischen ihrem Schluchzen hervor.

Tom konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Er drückte sie an sich. Er wusste: Es gab keine Worte, die hätten helfen können.

Es war ein erdrückender Verlust. Ein Verlust, der sie ihr ganzes Leben lang begleiten würde. So wie ihre Worte: Du konntest ihn nicht retten.

Während Tom seinen Erinnerungen nachhing, waren seine Augen feucht geworden. Mit der Hand fuhr er über die Narbe an seinem Knie. Die Narben, die sein Körper und sein Herz in jener Nacht davongetragen hatten, würden nie verheilen. Tom stützte den Kopf in die Hände. Er hätte Ryan retten müssen. Es war seine Schuld. Er hatte versagt. Hatte seinen Sohn und Emily im Stich gelassen.

Er hatte begonnen, so etwas wie seinen Seelenfrieden wiederzufinden in der Arbeit auf der Ranch. Hatte begonnen, sich mit ihrer Trennung abzufinden – bis Maverick Emily seine Mail geschickt hatte.

Jetzt war Tom wieder bei ihr, und er konnte nichts dagegen tun, dass er sich immer noch zu ihr hingezogen fühlte. Sie war unwiderstehlich. Gleichzeitig kamen mit ihrer Nähe auch die alten Erinnerungen wieder hoch. Die Erinnerungen und der Schmerz.

Heute Abend hatte er Emily zum ersten Mal geküsst, seit er im vergangenen Jahr aus ihrem gemeinsamen Haus ausgezogen war. Der Kuss hatte sein Verlangen geweckt und wahrscheinlich jede Aussicht auf Schlaf zerstört. Wie lange würden sie zusammen sein? War sie in Gefahr? Oder war Maverick nur ein Feigling, der nach einer Weile wieder verschwinden würde?

Bis Tom das wusste, würde er sie nicht allein lassen. Ryan hatte er nicht retten können, aber nun wollte er nicht auch noch Emily verlieren.

Er konnte nur hoffen, dass Nathan diesen Maverick bald fand. Dann konnte er versuchen, wieder in sein Leben zurückzufinden.

Er saß wohl eine Stunde auf der Veranda und lauschte in die Nacht hinaus. Irgendwo in der Nähe quakte ein Frosch. Ein leichter Wind säuselte in den Bäumen. Autos in der Nähe waren nicht zu hören. Tom nickte ein.

Als er wieder zu sich kam, ging er ins Haus. Emily hatte einige Möbel ihres Onkels behalten, wie den Küchentisch und einen Schaukelstuhl, aber sie hatte die alten Betten und Sofas entsorgt. Er konnte nur in seinem Schlafsack auf dem Boden schlafen – oder bei Emily.

„Verdammt“, flüsterte er. Irgendwie musste er sie aus seinen Gedanken verbannen, wenn er Schlaf finden wollte. Leise ging er die Treppe hinauf. Er entschied sich für das Zimmer neben ihrem und ließ die Tür offen stehen, bevor er sich in seinem Schlafsack ausstreckte. Er schlief sofort ein und kam erst wieder zu sich, kurz bevor die Sonne aufging.

Er duschte und zog sich an, bevor er in die Küche ging und Frühstück machte. Kurze Zeit später erschien auch Emily. Ihr Anblick verschlug ihm den Atem. Sie trug eine blaue Baumwollbluse, die sie in die Hotpants gesteckt hatte, dazu Socken und Tennisschuhe. Sein Blick glitt über den Ausschnitt ihrer Bluse, über ihre schmale Taille und zu ihren langen, wohlgeformten Beinen.

„Da geht mein Seelenfrieden dahin“, bemerkte er trocken. „Was tust du mir an, Emily?“

„Was meinst du? Ich tue überhaupt nichts. Ich will einfach nur frühstücken und mich dann an die Arbeit machen.“

Er stemmte die Arme in die Seiten und betrachtete sie.

„Das ist doch absurd“, sagte sie, als ihre Blicke sich wieder trafen. „Du hast mich Hunderte von Malen so gesehen.“

„Ich bin gewohnt, mit einem Haufen Cowboys auf der Ranch zu arbeiten.“

„Ich glaube, du solltest dich lieber auf die Arbeit konzentrieren. Hier muss viel gemacht werden, und du hast ja darauf bestanden zu helfen.“

„Das Frühstück ist fertig. Anschließend sagst du mir, wo du arbeitest, und ich nehme dann das entgegengesetzte Ende des Hauses und fange dort an zu streichen.“

Sie lachte. „Du bist doch albern.“

Er konnte nicht mit einstimmen. Er wusste, gegen Abend würde er vollkommen verkrampft sein. „Ich hoffe, ich bekomme diesen Maverick auch nur für ein paar Minuten in die Finger“, sagte er leise. Sie hörte es und schüttelte nur den Kopf. Wahrscheinlich dachte sie, er machte Spaß.

„Ich habe meinem Freund eine SMS geschickt. Er kommt noch heute Morgen und sieht sich das Haus an, um dir einen Kostenvoranschlag für eine Alarmanlage zu machen. Ich habe ihm gesagt, dass es dringend ist“, erklärte Tom, während sie aßen.

„Das ist schnell, Tom.“

„Ich bin ein guter Kunde für ihn. Ich habe ihn schon oft weiterempfohlen.“

„Du übernimmst schon wieder das Kommando.“

„Ich sage dir nur, wo ich helfen kann. Ich kann natürlich noch mehr …“ Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, mit ihr zu flirten. Allein ihr Anblick brachte Freude und Sonnenschein und vertrieb die Dämonen der Nacht. „Wir essen zusammen, und wir arbeiten zusammen.“

„Ich weiß gar nicht, wozu ich eine Alarmanlage brauche, solange du hier bist. Es sei denn, du hättest vor zu gehen“, lachte sie, aber er unterbrach sie sofort.

„Ich werde dich nicht verlassen. Falls nötig, nehme ich dich mit. Ich bleibe, bis Maverick gefasst ist. Und bis dahin geht uns hier die Arbeit sicher nicht aus.“

„Das Haus ist alles, was ich habe“, sagte sie leise. „Es ist meine Verbindung zu Mom und Onkel Woody … und auch eine Verbindung zur Anfangszeit unserer Ehe und zu Ryan. Onkel Woody hat sich immer gefreut, ihn zu sehen.“

„Ich weiß noch, wie wir gleich nach unserer Hochzeit hier waren, während dein Onkel zu irgendeiner Tagung in Chicago war.“

„Ich weiß, was du meinst. Wir sind die ganze Zeit im Bett geblieben. Aber daran wollen wir jetzt nicht denken.“

„Wäre vielleicht witziger, als das Haus zu streichen“, bemerkte Tom trocken.

Emily schüttelte den Kopf und erhob sich. „Du bist gut darin, Kommandos zu geben, aber ich kann das auch. Du räumst jetzt die Küche auf, während ich Farbe und Pinsel hole.“

„Wo hat Onkel Woody diese Sachen aufgehoben?“

„In der Werkstatt hinter der Garage.“

„Dann gehe ich mit dir und räume die Küche anschließend auf.“

„Tom …“

„Wir haben das schon diskutiert. Wir haben keine Ahnung, wie gefährlich dieser Maverick ist. Außerdem wirst du meine Gesellschaft genießen.“

„Du leidest wirklich nicht an mangelndem Selbstbewusstsein …“

Sie trugen ihre Sachen zur Spüle.

„Also gut, du gewinnst.“ Emily seufzte. „Wir räumen die Küche zusammen auf, und dann gehen wir zusammen in die Werkstatt.“

Immer wieder sah er verstohlen zu ihr hinüber. Es stimmte, er arbeitete sonst nur mit Männern zusammen, hatte Rinder um sich, Kälber, Pferde und weites Land. Sie hier in Shorts und Bluse zu sehen würde es ihm schwer machen, an irgendetwas anderes zu denken als daran, sie zu lieben. Emily sah gut aus, und er hatte das Gefühl, dass sie im vergangenen Jahr noch attraktiver geworden war.

Er musste an ihren Kuss vom Vortag denken und wusste gleich, dass das ein Fehler war. Lieber sollte er sich darauf konzentrieren, das Haus sicher zu machen. Dennoch konnte er den Blick nicht von ihr wenden, als sie ihm den Rücken zukehrte. Sie hatte Mühe, ein Regal zu erreichen, um eine Schüssel fortzustellen. Er nahm ihr die Schüssel ab und stellte sie an ihren Platz.

„Danke.“ Ihre Stimme klang atemlos.

Er wusste, es wurde Zeit, auf Distanz zu gehen. „Wollen wir jetzt die Farbe holen?“

„Natürlich. Wir sollten anfangen zu arbeiten.“

Sie ging zur Küchentür, und er folgte ihr. Sie flirteten. Das war etwas, was es schon lange nicht mehr zwischen ihnen gegeben hatte. Auch nicht, bevor er ausgezogen war.

Sehnte sie sich danach, ihn zu lieben? Bei der Vorstellung wurde ihm warm. Wollte er diesen Sturm der Gefühle? Ja. Wenn er ihre langen Beine betrachtete und an den Kuss vom Vortag dachte, konnte er es nicht leugnen. Sollte er eine Chance bekommen, würde er sie nutzen – auch wenn es bedeutete, dass der Abschied dann umso schmerzhafter würde. Und dieser Abschied war unumgänglich, ganz gleich, was sie taten.

Ihre Probleme waren nicht zu lösen. Sie hatten ihren Sohn verloren, und Emily konnte nicht wieder schwanger werden. Sie war gegen eine Adoption, weil sie ein Kind wie Ryan wollte. Von ihm. Sie gab ihm die Schuld an Ryans Tod. Tom wusste, er hatte Ryan und sie im Stich gelassen. Es verging kein Tag, an dem er nicht daran dachte.

Das alles konnte sein Verlangen nach ihr jedoch nicht zügeln.

Sie betraten die Werkstatt, die dunkel und staubig war. Tom warf einen Blick auf die Leiter an der Wand und schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen.“

„Nicht schon wieder! Willst du behaupten, ich kann die Leiter nicht benutzen?“

„Das will ich.“ Er stellte sich auf die unterste Sprosse, die prompt unter ihm nachgab und zerbrach. „Möchtest du dir die Knochen brechen? Nur zu! Ich fange dich gern auf.“

„Also gut. Wir brauchen eine neue Leiter.“

Er sah sich um. „Em, du brauchst nicht nur eine neue Leiter, sondern auch neue Farbe und neue Pinsel. Wann hat dein Onkel diese Sachen das letzte Mal benutzt?“

„Wahrscheinlich, als ich siebzehn war. Ich weiß es nicht.“ Sie lachte. „Du hast gewonnen. Lass uns gehen.“

Er legte seine Hand um ihre Taille, und sie sah zu ihm auf. „Das erinnert mich an die Zeit, als wir unsere Dates hatten. Ich weiß noch, dass wir beide einmal hier drinnen waren.“

Sie wurde rot. „Ich glaube, wir sollten jetzt besser gehen.“

„Weißt du noch, wie es war?“

„Natürlich. Ich erinnere mich an jede einzelne Sekunde. Du weißt sehr wohl, was du für eine Wirkung auf mich hast.“ Ihre Stimme war rau geworden. Er ahnte, dass sie sich in diesem Moment trotz allem ebenso nach einem Kuss sehnte wie er. Spontan legte er seinen Arm um sie und beugte sich herab.

Als seine Lippen ihre berührten, verlor seine Berührung das Spielerische. Er schob seine Zunge in die warme Höhle ihres Mundes, während sie sich auf die Zehenspitzen stellte, die Arme um seinen Nacken, und sich an ihn schmiegte. Sie erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, die seiner in nichts nachstand. Er wusste, es würde ihm bald leidtun, aber im Moment wollte er nur eines: hier mit ihr bleiben und sie für den Rest des Tages küssen.

Er schob seine Finger durch ihr dichtes, weiches Haar und ließ seine andere Hand über ihren verführerischen Po gleiten. Wie leicht es war, seine Hand in ihre Shorts zu schieben. Emily seufzte vor Lust und drückte sich an ihn. Er wollte sie. Brannte für sie. Konnte nicht genug von ihr bekommen.

Emily war es, die als Erste wieder zu sich kam. Sie löste sich aus seinen Armen und rang nach Luft. „Das wird uns später leidtun“, sagte sie und wandte sich rasch ab. „Schließ ab“, bat sie und ging.

Er wollte sie verführen. Wollte mit ihr schlafen, auch wenn er wusste, dass es später alles nur noch schwieriger machen würde, weil sich dadurch zwischen ihnen nichts ändern würde.

Er hatte von Anfang an gewusst, dass sein Versprechen, bei ihr zu bleiben, bis Maverick gefasst war, ihm letztlich nur Herzschmerz einbringen würde. Er stieß mit dem Fuß gegen eine der Farbdosen. Sie rollte über den Boden und stieß gegen die Wand. Wieso musste Emily so verdammt sexy sein? Er hatte sich immer zu ihr hingezogen gefühlt, ganz gleich, was sie sonst für Probleme haben mochten.

Sie sehnte sich danach, mit ihm zu schlafen. Sie rang mit sich und versuchte, sich zu beherrschen, aber er spürte deutlich, was sie wollte. Als er sie geküsst hatte, war ihre Reaktion spontan gewesen. Spontan und intensiv.

Sein Blick fiel auf die Leiter. Sie war Schrott. Wortlos nahm er sie zusammen mit einigen Farbeimern in die Hand, um sie in den großen Müllcontainer zu werfen. Anschließend schloss er ab. Während er zum Haus zurückkehrte, waren seine Gedanken bei Emily. Konnte er sie verführen? Er hatte einen Schlafsack und sie eine Liege. Keine guten Voraussetzungen. Es war ihm einerlei – und wenn er sie auf dem Dach seines Wagens hätte nehmen müssen. Er begehrte sie so sehr.

Unten im Haus war sie nicht. Er kam nicht dazu, sie oben zu suchen, weil sie bereits herunterkam. Sie trug jetzt ein langärmeliges T-Shirt und Jeans, und hatte sich das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„So sollte ich doch etwas normaler aussehen. Weniger … irgendwas.“

„Sag es ruhig: weniger sexy. Vergiss es. Du wirst immer eine Versuchung für mich sein. Aber ich weiß, wir haben Arbeit vor uns. Ich werde also versuchen, nicht tiefer als auf dein Kinn zu blicken und nicht auf deinen süßen Po, wenn du mir den Rücken zukehrst. Doch ganz gleich, wie du dich anziehst, ich warne dich: Meine Gedanken sind voller Sünde!“

„Das glaube ich unbesehen.“ Sie lachte leise, und er stimmte mit ein.

„Ich bin froh, dass wir uns immer noch verstehen, Emily.“

„Die Zeit hilft“, sagte sie und klang jetzt ernst.

Er hatte das Gefühl, dass sich all ihr Lachen und ihre Gefühle füreinander nur auf sehr dünnem Eis bewegten. Darunter hatte sich nichts geändert. Ihre enge, liebevolle Beziehung war seit langem zu Ende.

Toms Freund von der Firma für Alarmanlagen kam. Er konnte über die momentane Sicherheit des Hauses nur den Kopf schütteln. Unter den Umständen schienen Bewegungsmelder noch am hilfreichsten. Gemeinsam entschieden sie sich für ein System, das am kommenden Montag installiert werden sollte.

Gegen Mittag fuhren sie zum Royal Diner, um zu essen.

„Als wir gestern hier waren, dachte ich, es sei mein letzter Burger mit dir. Und keine vierundzwanzig Stunden später bin ich wieder mit dir hier. Ich hätte es nicht für möglich gehalten“, bekannte Emily.

„Was nur wieder einmal beweist: Erwarte mehr, vielleicht bekommst du dann mehr.“

„Stimmt.“

„Ich bin übrigens sehr froh darüber, dass dein Studio so gut läuft.“

„Es macht mir viel Spaß. Ich habe auch schon Kunden aus anderen Städten. Falls es sich weiter so entwickelt, könnte ich nach Dallas gehen. Ich würde das Haus von Onkel Woody behalten …“

„Em, es ist jetzt dein Haus“, korrigierte Tom sie. Die Vorstellung, dass sie nach Dallas gehen könnte, versetzte ihm einen Stich. Er hatte das Gefühl, sie noch einmal zu verlieren. Dabei wusste er selbst, dass es absurd war. Sobald die Scheidung durch war, würden sich ihre Wege auf immer trennen. Er versuchte, nicht daran zu denken, und konzentrierte sich auf das, was sie sagte.

„Es fällt mir schwer, es als mein Haus zu betrachten. Für mich gehört es immer noch Onkel Woody, auch wenn es juristisch jetzt meins ist.“ Sie nippte an ihrem Malzbier. „Fehlt dir eigentlich die Army?“

Tom schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe meinen Dienst geleistet, und jetzt bin ich froh, auf der Ranch zu sein. Jeremys Tod hat mir sehr zugesetzt. Mehr, als der der vielen anderen, die mit uns dort draußen waren. Vielleicht liegt es daran, dass wir Ryan verloren haben und dass ich jetzt älter bin, aber ich habe genug von Tod und Zerstörung.“

„Es war sehr patriotisch von dir, für dein Land zu kämpfen.“ Sie legte ihre Hand auf seine.

Er atmete tief ein. Sie wollte ihre Hand sofort zurückziehen, aber er hielt sie fest. „Das ist schön. Nimm sie nicht weg“, bat er leise.

„Wir tun beide Dinge, die alles nur noch schlimmer machen werden. Wir werden wieder leiden, weil sich an unserer Zukunft nichts geändert hat und weil sich nichts ändern wird.“

Er ließ sie widerstrebend los. „Du hast recht. Ich fahre nachher bei Nathan vorbei und sehe, ob es Neuigkeiten gibt. Wahrscheinlich nicht, denn sonst hätte er uns sicher schon informiert.“

Sie beendeten ihre Mahlzeit und machten sich auf den Weg, um Farbe und Malerutensilien zu kaufen.

Zurück im Haus, klemmte Emily die Tür fest, um sie offen zu halten. „Tom, der Geruch der Farbe wird furchtbar sein. Ich möchte den Ventilator anstellen und die Fenster, die noch da sind, öffnen.“

„Eine gute Idee. Noch etwas, ich übernehme die Decken, und du machst alles, wozu du keine Leiter brauchst.“

„Da bist du wieder mit deinen Befehlen. Vergiss nicht, du bist nicht mehr bei den Rangern.“

„Wie könnte ich das glauben, wo du dich sowieso nicht an Befehle hältst.“

„Bisher hast du dich noch mit allem durchgesetzt. Du wohnst bei mir – definitiv nicht meine Entscheidung. Ich steige nicht auf die Leiter. Auch nicht meine Entscheidung. Ich lasse eine Alarmanlage installieren, und ich bin in den ersten Stock gezogen.“

„Aber du lässt dich nicht von mir küssen. Ich muss dich überraschen, und dann schickst du mich fort.“ Er sah ihr in die Augen.

„Nicht ganz.“ Sie lächelte. „Du küsst mich jedes Mal, wenn dir danach ist, und du weißt es.“ Sie pikte ihm den Finger in die Brust, als wolle sie ihre Worte bekräftigen. „Mmh, sehr beeindruckend“, sagte sie und pikte noch einmal.

„Dann wollen wir doch mal sehen, ob du dich einfach so küssen lässt.“ Er legte die Arme um sie und beugte sich zu ihr hinab, um seine Lippen auf ihre zu drücken. Sie öffnete sich ihm bereitwillig. Ihre Zungen lieferten sich ein heißes Duell. Sie vergaßen alles um sich herum.

Wie von selbst glitten Toms Hände über ihren Rücken und ihren Po. Er öffnete die Knöpfe ihrer Bluse. Schob ihren BH beiseite und liebkoste ihre Brüste.

Emily hielt seine Hand fest. „Warte, Tom. Mach unser Leben nicht unnötig kompliziert. Du weißt, dass wir uns so nur zusätzlichen Schmerz einhandeln.“

Sie sahen sich in die Augen. Er war erregt und bereit. Er wollte sie und war sich ziemlich sicher, dass sie es auch wollte. Aber gleichzeitig musste er an das denken, was zwischen ihnen stand.

„Du hast recht. Wir haben einander genug verletzt“, sagte er leise. „Ich öffne jetzt alle Fenster, und dann fange ich unten mit dem Streichen an.“

5. KAPITEL

Tom nahm sich die neue Leiter und begann mit der Arbeit an der Decke des Wohnzimmers, während Emily sich eines der Schlafzimmer im ersten Stock vornahm. Irgendwann wechselte er in Shorts und ein ärmelloses T-Shirt, weil die Klimaanlage nicht ging, da alle Fenster und Türen offen standen.

Während der Arbeit musste Tom daran denken, wie Emily in dem großen Haus allein lebte. Sie dachte vielleicht, mit ihm und der Ranch sei es ähnlich, aber dort fühlte er sich nie allein. Er arbeitete den ganzen Tag mit seinen Männern zusammen, und er konnte sich jemanden suchen, wenn ihm danach war. Nach der Scheidung konnte er wieder Dates haben, falls er Lust dazu hatte.

Im Moment konnte er sich eine solche Situation jedoch nicht vorstellen. Der Gedanke, Emily könne mit einem anderen Mann das Bett teilen, schmerzte.

Die Entfremdung von Emily hatte Tom sehr verletzt und seine Gefühle irgendwie betäubt. Er konnte sich nicht vorstellen, sich jemals wieder auf eine Frau einzulassen. Einerseits überraschte es ihn, wie gut er jetzt mit Emily auskam, andererseits tat es wirklich weh, mit ihr zusammen zu sein. Er wusste, es ging ihr ebenso. Ihre Scheidung war aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.

Er dachte an das große Haus, das sie auf der Ranch gebaut hatten. Er wollte dort nicht mehr leben, aber es war eine Verbindung zu Ryan. Dort war er zu Hause gewesen. Dort hatten sie ihn in den Schlaf gewiegt, hatten ihm vorgelesen und ihm Lieder vorgesungen.

Was sollte er nur mit dem Haus machen? Er hatte keine Ahnung und wollte sich jetzt auch keine Gedanken darüber machen.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, sich auf die gleichmäßigen Pinselstriche zu konzentrieren. Wenn er mit dieser Seite des Zimmers fertig war, wollte er beim Lieferservice bestellen.

Die kleine Pizza-Pause tat ihnen beiden gut, aber schon nach kurzer Zeit kehrten sie zu ihrer Arbeit zurück.

Es war schon nach elf Uhr, als Tom Emily im Wohnzimmer fand. Sie strich die Bodenleisten. Unwillkürlich glitt sein Blick über ihren wohlgeformten Po. Er atmete tief durch und klopfte an die offene Tür.

Emily richtete sich auf. „Du kommst genau recht. Ich werde so langsam müde. Ich glaube, der Geruch der Farbe setzt mir trotz des Ventilators zu.“

„Lass uns für heute Schluss machen und auf der Veranda einen kühlen Drink genießen. Jetzt ist Feierabend. Ich mache die Pinsel sauber.“

„Und ich besorge die Drinks.“ Sie besah sich die Arbeit, die sie geschafft hatte.

„Lass uns gehen. Wir brauchen frische Luft, und ich brauche ein kaltes Bier.“

„Bis gleich auf der Veranda!“

Sie war zuerst da und setzte sich in einen der großen Schaukelstühle. Sie hatte ein Bier für Tom gebracht und einen Eistee für sich selbst. Es war angenehm kühl hier draußen. Ihre Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Tom kam und stellte den kleinen Tisch mit den Drinks etwas weiter zu ihr herüber, bevor er seinen Schaukelstuhl näher an ihren rückte.

„Hier ist die Aussicht doch viel schöner“, sagte er zur Erklärung.

„Lügner! Bei dieser Dunkelheit kannst du doch gar nichts erkennen. Du wolltest einfach nur näher bei mir sitzen“, bemerkte sie amüsiert. „Es ist schön hier draußen.“

„Richtig, und so dicht bei dir ist es noch schöner.“

„Was ich schon lange sagen wollte: Ich finde es sehr schön, dass du den Valentines hilfst. Ich komme mir richtig dumm vor, weil ich Maverick geglaubt habe. Das war ein großer Fehler.“

„Vergiss es, Em. Es hat sich ja alles geklärt. Natalie hat uns übrigens für den nächsten Samstag zu einem Picknick im Park eingeladen, falls du Lust hast. Ich habe ihr gesagt, dass ich zuerst mit dir sprechen wollte, bevor ich ihr zusage.“

„Samstag ist gut.“

„Lässt das Streichen dir die Zeit?“

„Natürlich. Ich habe ja jetzt deine Hilfe dabei, und das hatte ich nicht eingeplant. Ich würde die Familie gern kennenlernen. Wer auch immer Maverick ist – ich hoffe, er erfährt davon, dass wir alle zusammen eine schöne Zeit haben.“

„So schnell, wie sich in Royal alles herumspricht, wird er es garantiert erfahren. Du wirst Natalie mögen. Dadurch, dass sie ihren Mann verloren hat, kann sie unseren Verlust besser nachfühlen als viele andere. Jeremy war ein toller Kerl. Wir waren ziemlich eng befreundet; er war fast wie ein Bruder für mich. Lebensbedrohliche Situationen können sehr verbindend sein.“

„Ich hätte wissen sollen, dass du nicht heimlich eine zweite Familie hast.“

„Das Foto war sehr überzeugend.“

Sie saßen schweigend im Dunkeln, während sie an ihrem Tee nippte und er sein Bier trank. „Ich finde trotz allem, du solltest zur Ranch zurückkehren. Ich komme hier schon zurecht.“

„Ich bleibe. Überlass mir die Deckenarbeiten.“

„Wenn du darauf bestehst, gern. Ich hatte überlegt, dafür einen Maler kommen zu lassen, aber wenn du willst, kannst du dich gern daran austoben. Ich selbst kann nicht über Kopf arbeiten.“

„Ich fange mit den Decken an und sehe, wie weit ich komme. Sobald sie Maverick gefunden habe, verschwinde ich, das weißt du.“

„Natürlich. Ich weiß, dass du nicht auf immer hier eingezogen bist.“

„Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass du hierbleibst.“

„Wieso nicht? Ich habe hier gewohnt, als wir uns kennengelernt haben. Wir sind sehr oft zusammen in diesem Haus gewesen.“

„Mir ist jetzt erst aufgefallen, wie dunkel es hier ist. Die Äste der Eichen reichen ja fast bis auf den Boden. Dadurch ist das Ganze sehr abgeschieden. Ich weiß nicht, ob die Bewegungsmelder den ganzen Bereich abdecken.“

„Hör auf, Tom! Sonst habe ich bald eine Zweimetermauer um mich herum mit Stacheldraht obendrauf und Flutlicht. Du warst zu lange bei den Rangern. Wir sind hier in Royal, Tom. All diese Vorsichtsmaßnahmen sind überflüssig. Wir sind hier sicher. Niemand interessiert sich dafür, was hinter den Eichen passiert.“

„Glaubst du?“ Er stellte sein Bier beiseite. „Wenn es niemanden interessiert, was hier passiert, dann lassen wir uns eine Gelegenheit entgehen …“ Er erhob sich.

Ehe sie sichs versah, hatte er sie hochgehoben und sich mit ihr auf dem Schoß wieder gesetzt. Sie wollte protestieren, aber irgendwie gefiel es ihr in seinen Armen. Also sparte sie sich die Worte und legte die Arme um seinen Nacken. „Es ist heute Nacht wirklich stockdunkel. Ich kann dich gar nicht richtig sehen. Was soll das hier eigentlich werden?“

„Du hast gerade selbst gesagt, dass es niemanden interessiert, was hinter den Eichen passiert. Wieso sollten wir unsere Probleme nicht für zehn Minuten vergessen und unseren Spaß haben? Wir könnten uns küssen.“

„Du denkst wirklich sehr eingleisig.“ Sie musste lachen.

„Nein, ich bin nur sehr lange allein gewesen“, widersprach er. „Und jetzt bin ich bei dir. Das ist der ganze Unterschied.“

Seine Stimme war rau. Sie genoss es, in seinen Armen zu sein. Auf seinem Schoß. Sie spürte seine Erregung. Er flirtete wie immer. Es war schön mit ihm.

„Du bist nicht nur ein guter Mann, du bist auch noch sehr sexy.“

„Tatsächlich? Wo würdest du mich einordnen auf einer Skala von eins bis zehn?“

„Irgendwo bei einhundert.“ Ihre Worte kamen etwas atemlos. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders. „Ich möchte nicht, dass du heute Abend mein Leben wieder komplizierter machst. Ich habe das ganze letzte Jahr damit zugebracht, die Scherben zusammenzukehren, und ich bewege mich noch auf sehr unsicherem Boden …“

„Ich gebe dir etwas Festes.“

„Du bist frech, Tom“, seufzte sie, während er eine Spur zärtlicher Küsse über ihren Nacken zog und seine Zunge um ihre Ohrmuschel gleiten ließ.

„Aber sexy“, ergänzte er. „Du hast es gerade selbst gesagt.“ Er küsste ihr die Antwort von den Lippen. Die nächsten Minuten verrannen mit wortloser Leidenschaft, bei der jeder gab, wie er nahm.

Schließlich hob Tom den Kopf und zog sich das Shirt aus. Er ließ es achtlos zu Boden fallen.

„Nur eine Minute, Tom“, stöhnte Emily. „Das ist alles, was wir …“

Er unterbrach sie mit einem weiteren Kuss. Und sie vergaß, was sie hatte sagen wollen. Sie schmiegte sich an ihn, an den aufregendsten Mann der Welt. Sie wollte nicht an den Schmerz denken, der sie trennte.

Er spielte zärtlich mit ihren Brüsten, bevor er seine Hand unter ihr Shirt schob. Mit einer raschen Bewegung hatte er den BH geöffnet und ihn beiseitegeschoben. Sie stöhnte vor Lust, als sein Daumen über ihre verhärteten Brustspitzen glitt. Unwillkürlich drückte sie ihre Hüften fester an seine und drückte den Rücken durch, um ihm ihre Brüste noch zugänglicher zu machen. Sie gab sich ganz den Gefühlen hin, die er in ihr weckte. Das Spiel seiner Hände und Lippen erschien ihr so natürlich, dass sie nur eines wollte: mehr davon.

Plötzlich kam ihr wieder das letzte Mal in den Sinn, als sie sich geliebt hatten … gleich danach war er ausgezogen.

„Tom, warte …“ Sie beugte den Kopf zurück, während sie die leichten Stoppeln seines Tagesbartes unter ihren Fingerspitzen fühlte. „Du bringst all das zurück, was wir vergessen wollten.“

„Lass dich gehen, Darling. Wir sollten es einfach genießen. Uns. Und die Nacht. Du kannst mir nicht sagen, dass du es nicht magst.“

„Du weißt, dass ich alles mag, was du tust“, sagte sie, „aber wir haben alles versucht, um mit der Situation zurechtzukommen, und es hat nichts gebracht.“ Sie erhob sich. „Es ist Zeit für mich, nach oben zu gehen.“

Sie ließ ihren Tee stehen und verschwand ins Haus. Sie sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen und ihn zu lieben. Die ganze Nacht. Aber mit dem Morgen würden sie wieder zu dem alten Status zurückkehren, und es wäre schmerzlicher denn je. Dieses ewige Hin und Her zwischen heißem Verlangen und kalter Entfremdung zerrte an ihren Nerven. Er konnte nicht beides haben. Außerdem wusste sie, dass es für ihn endgültig gewesen war, als er sie verlassen hatte und ins Gästehaus gezogen war.

Sie eilte die Treppe hinauf und rang dabei die ganze Zeit mit sich. Am liebsten hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht, aber sie blieb stark. Rasch duschte sie und hoffte, er käme nicht eher nach oben, als bis sie tief schlief.

Endlich war sie unter den Laken auf ihrer schmalen Liege. Das Haus war immer noch offen, alle Fenster weit aufgesperrt, aber Tom würde sich um alles kümmern und unten schließen, was zu schließen war. Sie brauchte sich deswegen keine Gedanken zu machen.

Blind starrte sie in die Dunkelheit. Ihre Gedanken waren bei Tom. Sie durfte sich nicht wieder in ihn verlieben. Wollte nicht noch einmal durchmachen, was schon hinter ihnen lag. Sie konnte nicht mehr schwanger werden und ihm noch einen Sohn schenken. Oder eine Tochter. Dazu würde es nie kommen. Es war so unglaublich schmerzvoll gewesen, ihm immer wieder sagen zu müssen, dass sie nicht schwanger war.

Mehr als eine Stunde später hörte sie ein Bodenbrett knarren. Dann war alles still. Sie schloss die Augen und rührte sich nicht. Würde er zu ihr hereinblicken, um zu sehen, ob sie schlief? In dieser Nacht war sie der Situation nicht gewachsen. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihn zu sich auf das Bett zu ziehen, und dem gleich starken Wunsch, jeden körperlichen Kontakt mit ihm zu meiden. So schön der Sex mit ihm wäre, so sehr würde sie es später bedauern.

Am nächsten Morgen entschied Emily sich für ein hellblaues Baumwollkleid für die Kirche. Sie bürstete ihr volles Haar und ließ es weich über die Schultern fallen. Nachdem sie in ihre blauen High Heels geschlüpft war, nahm sie ihre Clutch und ging hinunter.

Tom erwartete sie bereits in der Küche. Ihr Herz machte einen Satz, als sie ihn in weißem Hemd, roter Krawatte und blauem Anzug sah. „Wow! Du siehst so appetitlich aus, dass man wirklich gerne mit dir frühstücken möchte“, entfuhr es ihr.

„Du auch, Em“, versicherte er ihr rau. „Es ist alles fertig, so wie du es magst.“

„Danke. Du verwöhnst mich.“ Sie hatte die Clutch bereits auf einen Klappstuhl neben der Tür gelegt und schenkte jetzt Kaffee ein. „Lass mich raten, Du begleitest mich zur Kirche wegen Maverick.“

„Richtig, und weil du die attraktivste Frau bist, die ich kenne.“

Sie drehte sich lachend zu ihm herum. Er nahm ihr den Becher Kaffee ab und stellte ihn auf die Anrichte. Ihr Puls raste. Er legte einen Arm um sie. Abwehrend legte sie eine Hand gegen seine Brust. „Du zerknitterst mein Kleid“, sagte sie und versuchte, die Hitze zu ignorieren, die in ihr aufgestiegen war.

Er ließ die Hand sinken, beugte sich vor und drückte seine Lippen auf ihre, ohne sie sonst irgendwie zu berühren. Verlangen überkam sie, und sie schlang die Arme um ihn. Ihr Kleid war vergessen, als sie sich an ihn drückte.

Sein Kuss wurde fordernder. Am liebsten hätte sie ihn leidenschaftlich zurückgeküsst und wäre den ganzen Tag mit ihm im Haus geblieben, um nichts anderes zu tun, als sich ihrer Leidenschaft hinzugeben.

Stattdessen löste sie sich von ihm und rang nach Atem. „Machst du das, einfach nur um zu sehen, ob du es noch kannst? Falls ja, dann kann ich dir sagen: Ja, du kannst mich immer noch gleichzeitig dahinschmelzen lassen und mein Blut in Wallung bringen.“ Sie starrte ihn einen Moment lang an und ging dann rasch auf Distanz. „Ich gehe jetzt zur Kirche.“

„Komm und iss dein Frühstück. Du hast Zeit genug. Ich lass dich allein.“ Er verließ die Küche.

Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen. Ihre Lippen prickelten. Sie hätte jetzt gern mit Tom geschlafen.

Hastig aß sie ein wenig und trank einen Kaffee. Nachdem sie noch einmal oben gewesen war, um sich die Zähne zu putzen, konnte sie Tom nirgends sehen. Vielleicht sollte sie den Weg zur Kirche einfach zu Fuß machen.

Auf der Veranda trat er zu ihr. „Ich fahre dich.“

„Ich wollte zu Fuß gehen.“

„Lass uns den Wagen nehmen. Dann bist du ein paar Minuten zu früh. Es kann total sicher sein, zu Fuß zu gehen, aber tu mir den Gefallen. Ich möchte nicht, dass du noch eine Nachricht von Maverick bekommst.“

„Einverstanden.“ Sie fand, dass er in seiner Vorsicht etwas übertrieb, behielt es aber für sich.

„Du hast soeben den Preis für die richtige Antwort gewonnen.“

„Ich gebe mir Mühe, Tom. Ich weiß, dass deine Erfahrungen dich so vorsichtig sein lassen, und ich weiß, dass das alles ein Ende finden wird. Entweder wird Maverick erwischt oder er verschwindet einfach von der Bildfläche. Es dauert nicht mehr lange, und jeder von uns geht seiner Wege.“ Während sie sprach, spürte sie förmlich, wie sich ihr die Kehle zuschnürte.

„Wir ziehen die Scheidung durch, sobald diese Sache vorbei ist“, bestätigte er spürbar angespannt. „Ich habe darüber nachgedacht. Wir können eigentlich alles selbst regeln und es dann unseren Anwälten übergeben.“

„Das glaube ich auch. Ich weiß, dass du nicht nur fair, sondern großzügig sein wirst, weil du nun einmal so bist, wie du bist.“

„Danke“, sagte er tonlos. Es fiel ihm sichtlich schwer, über dieses Thema zu sprechen. Er hielt ihr die Wagentür auf.

„Wir können eine Schätzung einholen über den Wert der Ranch und der Rinder, und ich kann dir deinen Anteil abkaufen“, erklärte er, als sie losfuhren. „Dasselbe können wir für die Autos und das Flugzeug machen. Du behältst deinen Wagen. Er wird nicht mitgerechnet.“

Seine Knöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte er das Steuer. Sie erkannte an seinem Ton, dass er nicht glücklich war.

„Wir müssen die Entscheidung nicht heute fällen“, sagte sie leise.

„Wir können alles vorbereiten. Wenn es dann so weit ist, geht es einfacher und schneller, und dann können wir einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.“ Er atmete tief durch.

Sie schluckte ihren Schmerz hinunter und schwieg.

„Lächle“, bat er, als sie vor der Kirche standen. „Wir wissen nicht, wer dieser Troll ist, aber er soll sehen, dass seine verdammte Mail nichts weiter bewirkt hat, als dass wir wieder zusammen sind.“ Er nahm ihren Arm.

Wahrscheinlich wirkten sie wie ein glückliches Paar. Emily hoffte es. Sie dachte daran, wie schockiert sie gewesen war, als sie das Foto von Tom mit den Valentines gesehen hatte. Am kommenden Samstag würde sie sie kennenlernen, und sie freute sich darauf. Sie bedauerte, Tom misstraut zu haben. Er war ein wunderbarer Mann, der immer ein guter Dad und ein guter Ehemann gewesen war. Das war es gerade, was so wehtat.

Nach der Kirche aßen sie im Texas Cattleman’s Club und fuhren anschließend wieder zu ihrem Haus, um mit den Malerarbeiten fortzufahren. Es war der erste Sonntag im März, ein perfekter Frühlingstag. Sie entschied sich für ihre Hotpants und ein T-Shirt.

Tom öffnete gerade einen Kanister weißer Farbe, als sie nach unten kam. Der Boden war zum Schutz mit Malerfolie bedeckt, und alle Utensilien lagen bereit.

„Reg dich nicht auf“, beschied sie ihn knapp. „Du hast mich schon oft genug in Shorts und weniger gesehen.“

Er drehte sich zu ihr herum.

„Allerdings glaube ich, dass ich heute diejenige sein könnte, die sich nicht konzentrieren kann.“ Sie fächerte sich Luft zu, als sie den Blick über seinen durchtrainierten Oberkörper gleiten ließ. Sie versuchte nicht daran zu denken, wie aufregend er sein konnte. Ihre Blicke trafen sich. Blieben aneinander hängen.

„Wir könnten das Streichen vertagen“, schlug er hoffnungsvoll vor.

Sie schüttelte den Kopf. „Hast du mir auch einen Kanister aufgemacht?“ Sie konnte den Blick nicht von seinen Schultern lösen.

Er trat zu ihr. Sie hob abwehrend die Hände. „Ich will arbeiten. Gib mir die Farbe. Das Haus muss gestrichen werden, und da du nun hier bist, kannst du helfen.“

„Welchen Raum willst du machen? Ich trage dir den Eimer hinüber.“

„Das vordere Schlafzimmer.“ Sie gingen die Treppe hinauf. „Wir haben heute schon sehr viel Zeit verloren. Ich möchte noch etwas schaffen.“ Sie hatte selbst das Gefühl, einfach nur sinnlos zu plappern. „Danke, ich fange hier an“, sagte sie, als sie das Zimmer erreicht hatten.

Er stellte den Eimer mit der Farbe ab. Als er sich aufrichtete, schob er seine Finger unter ihr Kinn. „Ich möchte dich küssen, und ich glaube, du möchtest es auch.“

„Ich versuche nur, vernünftig zu sein und unser Leben nicht unnötig kompliziert zu machen. Ganz abgesehen davon, dass die Arbeit wirklich getan werden muss.“

„Du kannst dir ja überlegen, was dir lieber ist.“ Er küsste sie. Es dauerte nur einen Moment, und schon ließ sie ihre Hände über seine starken Arme gleiten hinunter zu seinen Hüften. Es überraschte sie immer wieder, wie schmal sie waren und wie flach sein Bauch. Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihr, sich von ihm zu lösen.

„Wir könnten miteinander schlafen, um es aus dem Kopf zu bekommen“, schlug er vor.

„Netter Versuch.“ Sie lachte leise.

Er grinste. „Ich komme auf das Thema zurück, nachdem du sieben oder acht Stunden gearbeitet hast und die Sonne untergegangen ist.“

„Du kannst es ja versuchen.“ Sie lächelte flirtend.

„Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich gebe nicht auf. Versprochen.“ Er ließ einen Finger über ihre Mundwinkel gleiten. „Es tut gut, dich wieder lächeln und lachen zu sehen. Wir hatten früher viel davon, und es ist schön, das wieder zu teilen.“

„Es ist alles nur auf Zeit, Tom. Nichts hat sich geändert.“ Sie war ernst geworden.

Sein Lächeln verflog. „Ich weiß.“

„Und nun mach dich nützlich! Du wolltest es ja so.“

„Ich kann nicht nur nützlich sein, ich könnte mich auch unentbehrlich machen.“ Er sah ihr bedeutungsvoll in die Augen.

„Nützlich reicht.“ Sie drückte ihm einen Pinsel in die Hand.

Sie wandte sich ab, um den Eimer mit der Farbe aufzunehmen, und erntete ein anerkennendes Pfeifen von ihm. Sie richtete sich auf und fuhr herum, aber er war bereits verschwunden. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Es war alles eine große Albernheit. Aber wäre sie auf sein Angebot eingegangen, würden sie jetzt miteinander schlafen – die Vorstellung ließ ihr die Röte ins Gesicht steigen.

Sie hasste die Scheidungsprozedur. Sie besiegelte einen weiteren, schmerzhaften Verlust, aber sie war unausweichlich. Sie hatten versucht, ihre Ehe fortzuführen, aber es hatte nicht funktioniert. Im Gegenteil, der Schmerz war nur größer geworden.

Sie begann zu streichen. Eine eintönige Tätigkeit, bei der sie die Gedanken frei fließen lassen konnte. Natürlich dachte sie über Tom nach. Vor Mavericks Mail war sie in dem Glauben gewesen, so etwas wie einen Seelenfrieden erreicht zu haben. Sie hatte sich damit abgefunden, ein Leben ohne Tom zu führen. Ohne Tom und ohne die Ranch, die sie auch in so vieler Hinsicht geliebt hatte. Aber sie richtete sich immer mehr in ihr neues Leben als Fotografin ein. Sie war von der Ranch nach Royal gezogen. Ein endgültiger Schritt.

Und nun wohnte Tom hier mit ihr unter einem Dach. Sie flirteten miteinander und lachten zusammen – etwas, das nach dem Tod von Ryan nicht mehr vorgekommen war. Noch vor einer Woche hätte sie bestritten, dass sie beide so entspannt miteinander umgehen könnten. Vielleicht lag es daran, dass sie alles verloren hatten, was sie einmal verbunden hatte.

Das Erstaunliche an der jetzigen Situation war die Lockerheit, mit der sie miteinander umgingen. Zumindest zeitweise. Vielleicht hatte sie zu viel Angst gehabt, Tom enttäuscht zu haben. Sie genoss es, wieder mit ihm zu flirten. Ihr fehlte, was sie einmal mit Tom gehabt hatte.

Die gemeinsame Arbeit an diesem Haus erinnerte sie an die alten Zeiten. An die guten alten Zeiten. Natürlich würde der Abschied dadurch nur noch schmerzhafter werden, aber das ließ sich nun nicht ändern.

Es war schon fast Mitternacht, als sie es sich auf den Schaukelstühlen auf der Veranda gemütlich machten. Tom wieder mit einem kalten Bier, sie mit einem Eistee.

„Ich weiß noch, wie Onkel Woody hier immer den Rasen gemäht hat. Er winkte allen zu, die vorübergingen, und hielt ein Schwätzchen mit den Nachbarn.“

„Dein Onkel war ein sehr freundlicher Mann. Ich mochte ihn sehr. Als wir unsere Dates hatten, sah er mich manchmal so komisch an, dass ich schon fürchtete, er würde mir verbieten, dich zu sehen.“

„Onkel Woody mochte dich und fand, du tust mir gut.“

„Wie schön, das zu hören.“

„Ich bin froh, dass er unsere Scheidung nicht mehr erlebt. Ich glaube, Ryans Tod hat ihn …“ Sie verstummte. Bisher hatte sie noch nie laut über ihre Vermutung zum Tod ihres Onkels gesprochen. Tränen brannten ihr in den Augen. Nur gut, dass es dunkel war.

„Was wolltest du sagen?“, hakte Tom nach.

„Ich glaube, er ist an gebrochenem Herzen gestorben. Es ging ihm nicht gut, aber er war nicht wirklich ernsthaft krank. Er hatte ein Problem mit dem Herzen. Als Ryan starb, ist auch ein Teil von Onkel Woody gestorben. Wenn ich ihn danach sah, hat er jedes Mal wegen Ryan geweint. Es hat ihm das Herz gebrochen. Dadurch habe ich sie beide verloren.“

Tom schwieg. Was mochte in ihm vorgehen? Sie wischte sich die Augen und gewann allmählich ihre Fassung zurück.

„Ich mache noch einen Rundgang. Ich habe mein Handy dabei, falls du mich brauchst“, erklärte er knapp. Dann verschwand er in der Dunkelheit.

Tom ging das ganze große Grundstück ab. Er hielt sich immer im Schatten, machte kein Geräusch und ließ sich Zeit.

Es schmerzte ihn, was Emily über den Tod ihres Onkels gesagt hatte. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Woody ihm die Schuld an Ryans Tod gegeben hatte. Ebenso sicher war er, dass Woody ihn dafür verantwortlich machte, dass Emily so unglücklich war. Ein weiterer Mensch, der ihm wichtig gewesen war und den er im Stich gelassen hatte.

Emily saß noch auf der Veranda, als er zurückkam. „Setz dich zu mir“, bat sie. „Das werde ich vermissen, wenn du fort bist.“

„Vielleicht kann ich ab und an zu Besuch kommen und mit dir auf der Veranda sitzen. Ich mag es auch. Es ist so friedlich, und ich kann immer hoffen, vielleicht einen Kuss oder zwei abzustauben oder dich dazu zu bringen, dich auf meinen Schoß zu setzen.“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, und ihr Ton war nicht frei von Trauer. „Nach der Scheidung wirst du wieder unter Menschen gehen. Du wirst dich verlieben und wieder heiraten. Du wirst eine Familie haben, weil das zu dir gehört. Du gehst wunderbar mit Kindern um. Wir werden getrennte Wege gehen, und unsere Ehe wird langsam in Vergessenheit geraten.“ Sie erhob sich. „Ich gehe hinein.“

Ehe sie sichs versah, stand er neben ihr und legte seine Arme um sie. Sein Kuss war hart. Fordernd. Für einen Moment erwiderte sie ihn, aber dann löste sie sich energisch von ihm.

„Gute Nacht, Tom.“

Er ließ sie gehen. Sie wollte ihn nicht mehr. Er hatte sie zu sehr enttäuscht.

Er musste auf Distanz bleiben und hoffen, dass Maverick bald gefunden wurde.

So viel war sicher: Lange konnte er es nicht mehr ertragen, unter einem Dach mit Emily zu leben und sie nicht zu lieben.

6. KAPITEL

Am Montagvormittag fuhren Emily und Tom zu dem Meeting im Texas Cattleman’s Club. Emily liebte das dunkle Klubhaus aus Naturstein und Holz, wie sie überhaupt den Klub liebte. Seit einigen Jahren nahm er auch Frauen als Mitglieder auf. Dadurch hatte sich einiges verändert. Es tat Emily immer noch weh, das neu eingerichtete Spielzimmer für die Kinder zu sehen. Dort war sie gelegentlich mit Ryan gewesen.

Sie wartete, während Tom seinen schwarzen Cowboyhut an der Garderobe abgab. Er trug eine helle Sportjacke, ein weißes, oben offen stehendes Hemd und eine dunkle Jeans. Allein sein Anblick genügte, um ihren Puls schneller gehen zu lassen.

Er drehte sich zu ihr herum, und ihre Blicke trafen sich. Für einen Moment verschwand alles andere um sie herum, und sie nahm nur ihn wahr. Irgendwie fiel es ihr schwer zu glauben, dass sie sich scheiden lassen würden. Die glücklichen Zeiten ihrer Ehe waren lange her, aber einiges in den vergangenen Tagen hatte Erinnerungen daran geweckt.

Wenn sie zurücksah, begriff sie: Es war ein Fehler gewesen, ihre Beziehung zu Tom davon abhängig zu machen, dass sie wieder schwanger wurde. Das hatte sie angespannt und nervös gemacht, zusätzlich zu all dem Leid, das sie ohnehin schon zu tragen hatten. Mit ihrem Verhalten hatte sie Tom vertrieben.

Damals war ihr nicht klar gewesen, was sie für einen Fehler machte, und nun war es zu spät, es wieder rückgängig zu machen.

Das Leben änderte sich. Zuerst hatte sie Ryan und nun auch noch Tom verloren. Unter den Umständen fiel es ihr schwer, sich Sorgen um Maverick zu machen.

„Du siehst hübsch aus“, raunte Tom ihr ins Ohr. „Wenn wir zu Hause sind, solltest du dein Haar wieder offen tragen.“

Lächelnd öffnete sie die Spange, die ihr Haar hielt, und schüttelte den Kopf. Das gewellte, honigblonde Haar fiel weich auf ihre Schultern herab.

„Das gefällt mir“, sagte er leise und sah ihr dabei in die Augen. „Komm, wir wollen hineingehen.“

An den Wänden des Foyers hingen Ölgemälde ehemaliger Mitglieder. Das Motto des Klubs lautete: Treue, Recht und Frieden. Es war in großen Buchstaben auf einer Wand verewigt.

In der Lounge sah Emily den ausgestopften Kopf eines Keilers über einem alten Buffet hängen. Einige Mitglieder plädierten dafür, das verstaubte Relikt zu entfernen, aber Emily war dafür, es dort zu belassen. Ryan war immer fasziniert davon gewesen, und sicher erging es anderen Kindern ähnlich.

Sie konnte gar nicht glauben, dass der TCC schon über hundert Jahre alt war. Er war um 1910 von Henry „Tex“ Langley und einigen Ranchern aus der Gegend gegründet worden. Tex hätte einiges heute sicher nicht mehr wiedererkannt, aber es war gut so. Die Zeiten änderten sich, wieso nicht auch der Klub?

Sie trafen verschiedene Freunde und wechselten ein paar Worte mit ihnen, bevor sie den großen Versammlungsraum betraten und sich einen Platz in den hinteren Reihen suchten. Emily hatte ein merkwürdiges Gefühl, als sie an das dachte, was Tom gesagt hatte: Es war durchaus denkbar, dass Maverick anwesend war. Es überraschte sie nicht, die drei Hexen vorn sitzen zu sehen. Konnte es sein, dass die drei sich hinter Maverick verbargen? Es gab Gerüchte dieser Art, die sich hartnäckig hielten.

Emily konnte sich nicht vorstellen, dass jemand solche Mails verschickte und dann ganz ungeniert hier zu diesem Meeting erschien. Die drei waren Mitglieder des Klubs. Mitglied wurde nur, wer überprüft worden war, wer Freunde im Klub hatte und jemanden, der sich für ihn verbürgte. Die drei mochten arrogant sein, aber Emily konnte sich nicht vorstellen, dass sie über so viel kriminelle Energie verfügten. Sie hatte gehört, dass Maverick Brandee Lawless erpresst hatte. Und wieso sollten sie es auf Emily abgesehen und ihr das Foto von Tom und den Valentines geschickt haben?

„Da ist Nathan“, sagte Tom leise. Sie sah sich um. Sheriff Battle stand an der Seite des Saals und sah vollkommen desinteressiert aus, aber wahrscheinlich entging ihm nichts.

Pünktlich zur vollen Stunde erschien Case. Er wirkte immer so, als wäre er fürchterlich in Eile. Der braune Anzug passte zu seinem kurzen, dunkelbraunen Haar, und er sah aus, als hätte er sich ein paar Tage nicht rasiert.

„Guten Morgen“, sagte er zur Begrüßung. „Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid.“

„Guten Morgen“, kam es vielstimmig aus dem Saal zurück.

„Ihr wisst alle, wieso wir diese außerordentliche Versammlung einberufen haben. Wir haben ein Problem in Royal. Es geht um jemanden, der unter dem Namen Maverick agiert. Er erpresst Leute aus der Stadt und stellt sie in den sozialen Medien bloß. Wir müssen das unbedingt stoppen.“ Er machte eine Pause, um den Applaus abzuwarten.

„Ich würde gern ein Komitee bilden, das sich mit der Aufklärung befasst und den Sheriff bei seiner Arbeit unterstützt. Die Gruppe hat keine polizeilichen Vollmachten. Es sind einfach Mitglieder des Klubs, die Augen und Ohren offen halten für alles, was dem Sheriff helfen könnte. Ihr könnt euch auf einer Liste an der Tür eintragen. Wir geben euch dann Bescheid, wann das erste Treffen stattfindet.“ Er räusperte sich.

„Chelsea Hunt hat mich gebeten, ihr das Wort zu erteilen. Sie hat ein paar Ideen, die vielleicht helfen könnten. Bitte, Chelsea, komm nach vorn.“

Chelsea trug eine enge Designerjeans mit einer weißen Seidenbluse und einer Lederweste. Sie trat unter allgemeinem Applaus zu Case. Mit ihren High Heels war sie fast genauso groß wie der Präsident des Klubs.

„Da kommt das technische Genie. Sie wird Bewegung in die Sache bringen“, sagte Tom leise zu Emily, während er applaudierte. Emily wusste, dass Chelsea als die Computerexpertin von Royal galt. Es war gut, sie dabeizuhaben.

„Ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid. Ich möchte diese Untersuchung unterstützen. Es muss eine Möglichkeit geben, Maverick zu stoppen. Ich habe hier eine Liste. Wer auch immer glaubt, mir bei den technischen Aspekten der Untersuchung helfen zu können, soll nach dem Meeting zu mir kommen und sich eintragen. Maverick muss irgendeine Spur im Netz hinterlassen haben. Wenn wir unsere Erfahrungen zusammenwerfen, kommen wir ihm vielleicht auf die Schliche.“

Wieder applaudierten alle. Chelsea dankte Case und setzte sich.

Tom erhob sich. Case wandte sich ihm zu. „Tom?“

„Ich finde, wir sollten alle Bürger von Royal darüber informieren. Falls jemand eine Nachricht von Maverick bekommt, soll er sich bei Sheriff Battle melden, auch wenn es um Erpressung geht. Wir können nichts machen, wenn wir nicht wissen, auf wen er es abgesehen hat.“

„Richtig.“ Case nickte. „Danke.“ Tom setzte sich.

Emily fragte sich, wer hier alles schon wusste, dass sie eine Mail bekommen hatte. Tom und Nathan gaben die Information nur wenn nötig weiter. Wahrscheinlich kannten nur wenige ihre Situation.

„Simone.“ Case rief Simone Parker auf, ein Mitglied des berüchtigten Dreierklubs. Sofort wurde es still. Simone mit ihren blauen Augen und dem langen schwarzen Haar hatte nie Mühe, die allgemeine Aufmerksamkeit zu bekommen.

„Ich finde, wir sollten uns in einem Monat wieder hier treffen, damit das Komitee uns auf den neuesten Stand bringen kann. Je besser informiert die Mitglieder des Klubs sind, desto besser können wir mit der Situation umgehen.“

„Das können wir machen“, stimmte Case zu. „Sheriff Battle entscheidet, was er publik machen möchte und was nicht. Wir treffen uns das nächste Mal in einem Monat. Es sei denn, Maverick ist bis dahin gefasst.“

Während Emily der Diskussion folgte, ließ sie ihren Blick über die Mitglieder gleiten. War der Troll unter ihnen? Würden sie Maverick je fassen? Was hatte sie nur getan, um sein Opfer zu werden?

Endlich war das Meeting vorüber. Tom ging hinüber, um sich auf der Liste für das Komitee einzutragen.

„Ich hoffe, dass diese Aktion etwas bringt“, bemerkte Emily, als sie nach Hause fuhren. „Sag mal, Tom, solltest du nicht auf der Ranch nach dem Rechten sehen?“

„Das mache ich später in der Woche. Ich habe ständig Kontakt mit Gus. Er braucht mich im Moment nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass die Ranch ohne mich auskommen muss. Und so lange bin ich ja noch nicht fort. Wir fangen gerade erst an mit der Aufklärung. Es könnte lange dauern, bis wir diesem Maverick auf die Spur kommen. Ich setze meine ganze Hoffnung auf Chelsea. Wäre ich der Troll und wüsste, dass Chelsea hinter mir her ist, würde ich mir Sorgen machen. Auch bei Nathan. Er wirkt vielleicht ruhig und entspannt, aber er ist wirklich tough. Ihm entgeht nichts.“

„Ich hoffe, sie finden bald etwas.“

„Das hoffe ich auch“, sagte er, klang dabei aber nicht sehr zuversichtlich.

„Lass uns doch ein paar Sachen aus dem Supermarkt mitnehmen, dann können wir uns zum Essen ein paar Sandwiches machen und uns damit auf die Veranda setzen. Ich habe ja nicht einmal einen Tisch.“

„Du kannst dir doch Möbel aus dem Haus auf der Ranch holen. Sag Gus Bescheid, was du möchtest, und er wird dafür sorgen, dass die Männer es dir bringen.“

„Danke, das ist nett von dir. Einige Sachen hätte ich gern, aber im Großen und Ganzen möchte ich nichts von der Ranch haben. Im Gegenteil. Deine Köchin liebt unseren Kater so sehr, dass ich überlege, ihn ihr zu überlassen. Er fühlt sich wohl auf der Ranch.“

„Das soll mir nur recht sein.“

Als sie die Lebensmittel im Wagen verstauten, sah Tom Emily fragend an. „Wieso kaufst du dir nicht auch gleich ein Bett, während ich noch bei dir wohne …?“

Sie musste lachen. „Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist! Hast du keine Lust mehr auf deinen Schlafsack? Oder willst du mich ins Bett locken?“

„Eine gute Idee! Ich könnte es ja versuchen. Eigentlich habe ich es nur vorgeschlagen, weil ich dir jetzt helfen könnte, es dahin zu bekommen, wo du es haben willst. Du kannst es liefern und aufbauen lassen, aber sie verrücken es nicht, so lange, bis du den richtigen Platz dafür gefunden hast. Soweit ich mich erinnere, stand ich bei dem letzten Bett kurz davor, Räder darunter zu montieren, bis du dich entscheiden konntest.“

„So schlimm war es ja nun auch nicht“, protestierte sie. „Wenn ich ein Bett kaufen will, fahre ich wahrscheinlich nach Dallas oder Midland. Aber wir könnten uns natürlich auch in dem Möbelgeschäft hier in Royal umsehen.“

„Lass es uns gleich jetzt machen. So lange kann das Essen sicher noch warten.“

„Okay. Wir kaufen ein Bett, Tom. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass du andere Motive hast, als mir zu helfen, es von einer Ecke in die andere zu rücken.“ Sie genoss es, so entspannt mit ihm flachsen zu können.

„Könnte sein, dass du recht hast“, räumte er grinsend an. „Mal sehen, ob du etwas dagegen einzuwenden hast.“

„Normalerweise bekommst du ja, was du dir in den Kopf setzt.“

„Das ist ja interessant. Was glaubst du, wieso das so ist?“

„Dafür dürfte es mehrere Gründe geben: dein gutes Aussehen. Dein unwiderstehlicher Charme. Und natürlich deine umwerfenden Verführungskünste.“ Sie klimperte gespielt dramatisch mit den Wimpern.

„Mach nur weiter so, und du lenkst mich so ab, dass ich gegen einen Baum fahre. Jetzt weiß ich, es wird wirklich Zeit, dass du dir ein Bett kaufst.“

„Setz mich nicht unter Druck!“

„Unter gar keinen Umständen! Beim Bettenkauf muss man sich Zeit lassen und sich davon überzeugen, dass es sich richtig anfühlt. Und zu Hause muss es gleich ausgiebig getestet werden, damit man sieht, ob die Entscheidung gut war.“

„Hör auf“, lachte sie. „Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass wir beide noch einmal zusammen ein Bett kaufen.“

„Das Leben ist eben voller Überraschungen, und dies ist doch eine ausgesprochen nette.“

„Stimmt. Es ist wieder ganz so wie früher.“

„Ich habe es dir schon einmal gesagt, und ich sage es noch einmal. Wir können unseren Spaß miteinander haben, auch wenn wir Schreckliches hinter uns haben und uns vielleicht noch einiges bevorsteht.“

„Ich habe große Fehler gemacht, und ich kann sie nicht ungeschehen machen. Du hast mir verziehen, dass ich Maverick geglaubt habe. Darüber bin ich sehr froh.“

„Wir haben beide Fehler gemacht.“ Er war ernst geworden.

Unwillkürlich fragte sie sich, was er sich denn vorwerfen mochte.

„Da sind wir.“ Er hielt vor einem Möbelhaus. Die Möglichkeit, das Thema auszudiskutieren, war verflogen.

Sie sahen sich wohl eine Stunde um, bevor Emily vor einem Himmelbett aus hellem Holz mit filigran geschnitztem Kopfteil stehen blieb.

„Das gefällt mir. Oder das Schlittenbett mit hochgezogenem Kopf- und Fußteil. Was meinst du?“ Ihr war bei der Frage sehr wohl bewusst, dass seine Meinung keine Rolle spielte, weil sie dieses Bett nicht mit ihm teilen würde.

„Ich würde das Himmelbett nehmen. Schlittenbetten sind eigentlich immer zu kurz, sogar wenn sie Kingsize sind. Ich meine, nur für den Fall der Fälle, dass ich irgendwann doch einmal in diesem Bett liegen sollte …“

„Wollen wir wetten, wie viele Stunden nach dem Kauf?“ Sie lächelte vielsagend, und er grinste. „Für mich ist das Bett nie zu kurz.“ Sie verglich die beiden Modelle kritisch. „Okay, ich glaube, ich nehme das Himmelbett.“

„Eine gute Wahl. Und nun die Matratzen.“

„Dir ist ja ausgesprochen viel daran gelegen, ein Bett in mein Haus zu bekommen.“

„Ich möchte, dass du es bequem hast. Ich nehme an, du genießt deine Liege genauso sehr wie ich meinen Schlafsack.“ Er runzelte die Stirn, als er ihre Miene sah. „Was ist, Emily?“

„Ich wollte vorschlagen, dass ich auch gleich ein Bett für das Gästezimmer kaufe, aber für wen? Ich habe keine Familie mehr. Onkel Woody war der Letzte – bleiben nur noch die Cousins, und zu denen habe ich keinen Kontakt. Meine Familie gibt es nicht mehr. Wir beide lassen uns scheiden, und dann bist auch du fort. Ich brauche kein Gästebett.“

Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Du wirst wieder heiraten und eine neue Familie haben. Das Gästebett kannst du auch später kaufen, im Moment brauchst du nur eines für dich.“

Sie kämpfte mit den Tränen. „Was ist aus uns geworden, Tom?“

Er zog sie an sich. „Wir haben einen schrecklichen Verlust erlitten, und wir haben anschließend zu viele Fehler gemacht, um damit fertigzuwerden. Aber vielleicht können wir einige von ihnen wiedergutmachen.“

Sie löste sich von ihm und wischte sich die Augen. „Wir sind hier in der Öffentlichkeit. Ich reiße mich jetzt zusammen. Es ist nur ein wenig erschreckend, festzustellen, dass ich so ganz allein bin.“

„Du bist nicht allein. Du kannst mich jederzeit anrufen.“

„Natürlich, Tom. Deine nächste Frau wird begeistert sein, wenn sie von diesem Angebot hört.“

„Du solltest mich nicht so schnell wieder verheiraten. Und nun lass uns nach Hause fahren. Dann können sie das Bett bringen, und wir können es ausprobieren.“ Er leckte sich mit einem dramatisch gespielten Grinsen die Lippen.

Emily schüttelte nur den Kopf.

Auf der Fahrt gingen sie durch, was sie am Haus bereits geschafft hatten und was noch zu tun war. „Du musst unbedingt das Dach reparieren lassen. Ich kenne einen richtig guten Dachdecker. Ich rufe ihn an und lasse ihn einen Kostenvoranschlag machen.“

„Tom, stopp! Ich habe keinen Geldsack im Keller stehen – ich kann das nicht alles auf einmal bezahlen. Zuerst die unendlich vielen Fenster. Dann die Alarmanlage. Die ganze Farbe. Da kommt eines zum anderen.“

„Lass die Rechnungen einfach an die Ranch schicken, Em. Wir sind immer noch verheiratet. Wir lassen es über die Ranch laufen.“

„Aber das heißt, dass du es bezahlst.“ Sie sah ihn überrascht an. „Wir lassen uns scheiden. Wieso solltest du für mein Haus zahlen wollen?“

Er legte seine Hand auf ihre. „Im Moment bist du noch meine Frau. Wir lassen uns nicht scheiden, weil wir uns hassen. Mach dir keinen Kopf wegen der Rechnungen.“

Seine Großzügigkeit überraschte sie, ebenso wie seine Bemerkung über den Grund für ihre Scheidung. Aber was spielte es letztlich für eine Rolle? Sie hatten Fehler gemacht und einander verletzt. Und bald würden sie getrennte Wege gehen.

„Danke, Tom“, sagte sie leise.

„Wenigstens etwas möchte ich richtig machen.“

Sie kam nicht dazu, seine Bemerkung zu hinterfragen, weil sie in diesem Moment ihr Haus erreichten und jemand von der Firma für die Fenster bereits auf sie wartete. Sie waren so beeindruckt von dem Angebot, dass sie beschlossen, es anzunehmen und keine weiteren Kostenvoranschläge mehr einzuholen.

Es war schon zwei Uhr am Nachmittag, als sie endlich dazu kamen, etwas zu essen. Anschließend steckte Emily die neue Bettwäsche in die Maschine, und sie machten sich wieder an die Arbeit.

Während des Streichens waren ihre Gedanken bei Tom. Er legte wirklich ein atemberaubendes Tempo vor. Die Alarmanlage war bestellt. Die Fenster im Erdgeschoss sollten in zwei Wochen eingebaut werden. Eine phänomenale Zeit, wenn man bedachte, dass es sich bei allen Fenstern des alten Hauses um Sonderanfertigungen handelte. Ohne mit ihr darüber zu diskutieren, hatte Tom eine Firma damit beauftragt, das Haus von außen zu streichen. Und nun wollte er auch noch ihre Rechnungen übernehmen.

Mit seiner Hilfe konnte sie die Renovierung des Hauses wesentlich schneller als geplant abschließen. Wie lange würde er bleiben? Wie lange brauchten sie, um Maverick das Handwerk zu legen?

In mancher Hinsicht kamen sie besser miteinander aus als früher. Sie freute sich darauf, am Samstag die Valentines kennenzulernen. Tom sprach sehr liebevoll von ihnen.

Ihr Leben erschien ihr momentan wie auf Treibsand. Alles veränderte sich, und Emily wusste nicht wirklich, wo es enden würde.

Am nächsten Tag wurde das Bett geliefert. Emily holte die neue Wäsche, und Tom half ihr, das Bett zu beziehen. Zum Schluss legte sie die Tagesdecke darüber und darauf ein paar neue Kissen. Sie trat zurück, um ihr Werk zu bewundern. „Wirklich schön!“

„Stimmt.“ Tom hob sie hoch. „Wir müssen es unbedingt ausprobieren. Auf diesen Moment habe ich schon gewartet.“

Sie schlang spontan die Arme um seinen Nacken. Er legte sie auf die Matratze. Am liebsten hätte sie ihn geküsst, aber sie wollte nicht wieder dieses emotionale Heiß-und-Kalt durchmachen. „Tom, das können wir nicht machen.“

„Natürlich können wir das. Warte es nur ab.“

Er streckte sich neben ihr aus und hielt sie in seinen Armen, während er seine Lippen auf ihre drückte.

Emily hatte das Gefühl, im freien Fall zu sein. Alles drehte sich um sie, während sie beide sich leidenschaftlich küssten. Toms Hände schienen gleichzeitig überall auf ihrem Körper zu sein. Sie spürte deutlich seine Erregung.

Für einen Moment war sie versucht. Wirklich versucht. Aber sie wusste, es würde nur Probleme bringen. Widerstrebend löste sie sich aus seiner Umarmung und ließ sich aus dem Bett gleiten.

„Ich kann den ganzen Schmerz nicht noch einmal ertragen.“ Sie floh nach unten. Suchte sich eine Arbeit, die sie so weit wie möglich auf Distanz zu ihm brachte. Das neue Bett war ein Fehler gewesen. Die Vorstellung, auf einer bequemen Matratze zu liegen statt auf einer harten Liege war so verlockend gewesen – aber ein Bett und Tom? Beim Gedanken an diese Kombination wurde ihr ganz heiß.

Er konnte sie mit einem Blick zum Dahinschmelzen bringen. Sie handelte sich nur Herzschmerz ein, wenn sie nicht vorsichtig war. Tom war ein wunderbarer Mann, aber es gab keine gemeinsame Zukunft für sie. Natürlich konnten sie ihrem Verlangen nachgeben. Natürlich würden sie viel Spaß miteinander haben. Aber dann würde Emily ihn wieder für immer in ihrem Leben haben wollen, und damit waren sie wieder bei ihrem alten Problem: Sie konnte ihm keine Kinder schenken. Das würde über kurz oder lang dazu führen, dass Tom ging. Es war ein Teufelskreis.

Emily arbeitete. Zwischendurch aßen sie eine Kleinigkeit, dann arbeitete sie weiter. Alles war gut, wenn es sie vom Grübeln abhielt.

Es war schon zehn Uhr, als sie sich endlich zu ihrem inzwischen allabendlichen Eistee und Bier auf der Veranda trafen. Sie unterhielten sich bis Mitternacht, bevor sie zusammen die Treppe hinaufgingen.

„Schlaf gut in deinem schönen neuen Bett“, wünschte Tom ihr. „Ich krieche dann wieder in meinen Schlafsack.“

„Du hast es so gewollt. Ich habe dir gesagt, dass ich kein Bett habe.“

„Was ja nun nicht mehr ganz richtig ist. Falls du einsam bist, brauchst du nur zu flüstern. Ich höre dich.“

Sie lachte. „Gute Nacht, Tom. Du kannst meine alte Liege haben.“

„Nein, danke. Ich warte lieber auf deine Einladung.“ Er schaltete das Licht aus. Sie hörte ihn noch eine Weile herumgehen, und dann war alles still.

Ein Donner krachte draußen. Emily fuhr hoch. Sie hörte den Wind um das Haus pfeifen und spürte eine kalte Brise durch die offenen Fenster ins Haus kommen. Sie schlüpfte in ihre Flipflops, um nach unten zu gehen und den Ventilator auszuschalten.

Im Korridor stieß sie mit Tom zusammen. „Hat der Donner dich geweckt?“, fragte sie, während ein Blitz für einen Moment ein silbriges Licht spendete.

„Ich hatte gehofft, du hast Angst vor dem Donner und flüchtest dich in meine Arme. Du kannst es dir mit mir in meinem Schlafsack bequem machen.“

„Angelst du nach einer Einladung, um in meinem neuen Bett zu schlafen?“

„Darling, wenn diese Einladung kommt, werde ich nicht schlafen. Ich hätte da so einige Ideen, wie wir das neue Bett einweihen könnten.“

Erneut zuckte ein Blitz über den Himmel.

Emily sah zu Tom auf.

„Verdammt“, knurrte er. „Ich will dich. Wir sind immer noch verheiratet.“ Er zog sie an sich und küsste sie auf der Schwelle zu ihrem Schlafzimmer. „Ich weiß, du willst es auch“, flüsterte er. „Du lebst nur einmal, Em.“

7. KAPITEL

Emily schlug alle Vorsicht in den Wind. Tom hatte recht. Sie wollte ihn. Es war lange her, seit sie zusammen gewesen waren. Und sie waren verheiratet.

Sie genoss es, seine starken Arme um sich zu fühlen. Genoss es, seinen männlichen Körper an ihrem zu spüren. Einen Körper, der sie für eine oder zwei Stunden alles andere vergessen lassen konnte.

Tom ließ seine Hand zärtlich über ihren Körper gleiten, über ihre Brüste und hinunter zu ihrem Po. Er entfachte ein Feuer der Leidenschaft in ihr, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte.

„Wieso haben wir diese Wirkung aufeinander?“, fragte sie leise, eigentlich mehr an sich selbst als an ihn gewandt.

„Das weiß ich auch nicht“, murmelte er zwischen zwei Küssen. Mit der Zunge fuhr er um ihre Ohrmuschel. Ungeduldig zog er an dem T-Shirt, in dem sie geschlafen hatte, streifte es ihr über den Kopf und ließ es zu Boden fallen. Seine rauen Hände umfassten ihre weichen Brüste, während seine Daumen ihre empfindlichen Brustwarzen streichelten. Sie stöhnte vor Lust.

„Ich kann dir nicht widerstehen. Ich konnte es noch nie.“ Sie seufzte.

Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. „Das gilt umgekehrt auch für mich. Du wärest mich längst los, wenn ich ohne dich leben könnte. Ich träume von dir, Em. Immer wieder. Ich will dich, auch wenn ich dich freigeben muss.“

Sie beendete das Gespräch mit einem heißen Kuss. Der Druck seiner Arme verstärkte sich, bevor er rasch ihre Pyjamahose abstreifte.

Es war eine gefühlte Ewigkeit her, seit sie sich das letzte Mal geliebt hatten. Er war fit und stark. Sie wollte seine Kraft spüren. Seine Leidenschaft. Seine heißen Küsse. Sie wollte ihn in sich fühlen. Wollte den Schmerz vergessen.

Er war ein aufregender Mann. War alles, was sie nicht sein konnte – ein hoch dekorierter Ranger, tough und sexy. Ihre Welt war eine ganz andere gewesen: Sie hatte sich um ihren alten Onkel gekümmert und um ihr Baby, hatte Fotos von Familien gemacht, von Kindern und Tieren.

Im Moment vertrieben Toms Küsse alles, was zwischen ihnen stand. Nichts war mehr wichtig außer Tom. Sex mit ihm würde nur die Lust befriedigen, das wusste sie, aber sie wollte ihn. Wenn sie sich jetzt liebten, konnte sie vielleicht entspannter mit ihm umgehen und nicht gleich auf die kleinste Berührung mit einem rasenden Puls reagieren. Das wäre ein Unterschied zu früher. Wenn sie sich früher geliebt hatten, dann hatte sie sich stets danach gesehnt, es bald zu wiederholen. Sie wollte immer mehr, weil Sex mit Tom sie einfach abheben ließ.

Sie ließ die Hände über seinen Körper gleiten. Zog ihm die Shorts aus.

Das dunkle Haar fiel ihm wirr über die Stirn. Fast ehrfurchtsvoll berührte sie seine breiten Schultern, seinen flachen Bauch und die schmalen Hüften.

Er war bereit für sie. Sie begehrte ihn und wollte sich doch Zeit lassen. Sie hatten sich über ein Jahr nicht geliebt, und jetzt, wo sie ihr Liebesspiel begonnen hatten, konnte sie nicht mehr aufhören. Sie war sicher, dass es Tom ebenso erging. Zärtlich legte er sie auf ihr neues Bett und zog eine Spur heißer Küsse über ihren ganzen Körper. Er begann bei den Füßen und arbeitete sich langsam und verheißungsvoll aufwärts.

Sie spreizte unwillkürlich die Beine, als er sich ihrer empfindlichsten Stelle näherte. Genoss seine sinnlichen Berührungen. Sehnte sich nach mehr.

Das Spiel seiner Finger trieb sie langsam, aber sicher in den Wahnsinn. Als sie seine Lippen an sich spürte, stockte ihr der Atem. Die Berührung seine Zunge gab ihr den Rest. Sie wand sich vor Lust.

Langsam kam sie wieder zu sich. Sie war gekommen, aber sie wollte mehr. Sie nahm ihn in den Mund und ließ ihre Zunge um ihn fahren, während sie ihre Brüste an ihm rieb.

Mit einem tiefen Stöhnen rollte er sie auf den Rücken und schob sich zwischen ihre Beine.

„Du bist so schön“, murmelte er. „Ich bin gleich zurück.“

„Wir brauchen kein Kondom.“ Mit diesem einen Satz drang die Wirklichkeit in ihre leidenschaftliche Idylle ein. „Ich kann nicht schwanger werden, Tom.“

Er küsste sie erneut. Ein weiterer leidenschaftlicher Kuss, der ihr Verlangen steigerte, ihn in sich zu spüren. Sie erhob sich auf die Knie.

„Wir werden es tun, aber wir wollen uns Zeit lassen dabei. Ich habe dich so lange nicht mehr gehabt. Lass uns die Nacht genießen und unsere Sorgen vergessen. Wir wollen die Liebe feiern und sie festhalten. Du sollst mich so begehren, wie du mich noch nie begehrt hast.“ Sie fuhr mit der Zunge über seine Erektion. „Dreh dich um.“

Sie liebkoste die Rückseiten seiner Schenkel, ließ ihre Hände über seine harten Muskeln fahren. Langsam zog sie mit ihrer Zunge eine heiße, feuchte Spur über seine Haut. Ließ ihre Hand höher wandern.

Mit einer raschen Bewegung drehte er sich herum und zog sie mit sich, sodass sie auf ihm lag.

„Ich kann dir einfach nicht widerstehen“, seufzte sie.

„Das ist mein Text. Du bringst ja alles durcheinander. Ich bin derjenige, der dir nicht widerstehen kann.“

Ihr zärtliches Liebesspiel erreichte fiebrige Höhen.

„Komm!“, flehte sie schließlich. „Ich möchte dich in mir spüren.“

Langsam drang er in sie ein. Füllte sie aus. Er zog sich zurück und drang erneut in sie ein. Er steigerte den Rhythmus seiner Stöße. Sie schlang ihre langen Beine um ihn. Klammerte sich an ihn und wollte ihn ganz verschlingen. Wollte zusammen mit ihm kommen.

Er ließ sich Zeit. Machte sie wild vor Verlangen. Dann stieß er schneller in sie. Fester. Tiefer.

Sie kam. „Ich liebe dich“, keuchte sie.

Gemeinsam mit ihr ließ er sich hinauftragen von den Wogen der Ekstase.

Danach klammerten sie sich aneinander. Es dauerte eine Weile, bis ihr Puls sich wieder beruhigte und der Atem normaler ging.

Zärtlich hielt Tom Emily in seinen Armen. Er bedeckte ihr Gesicht mit federleichten, zärtlichen Küssen und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.

Sie wollte den Zauber des Augenblicks festhalten. Wusste, dass mit der Rückkehr in die Wirklichkeit auch die Probleme wieder da waren.

„Ich glaube, du bist ein sicherer Kandidat für den Titel ‚Sexiest Man Alive‘“, murmelte sie.

Er lachte leise. „Ich glaube nicht, dass du viele Vergleichsmöglichkeiten hast, aber es freut mich, dass du so denkst. Em, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, dich zu lieben.“

„Und ich dich“, seufzte sie. „Auch wenn wir der Lösung unserer Probleme damit keinen Schritt nähergekommen sind. Das ist mir einerlei. Ich wollte dich küssen. Wollte dich lieben.“ Sie sah ihm in die Augen.

Er zog sie fester an sich. „Du hast recht. Es hat nichts geändert, aber dennoch … Es war schön. Lass mich noch ein wenig bleiben. Du hast den Rest deines Lebens, um über mich hinwegzukommen.“

Die Wirklichkeit war mit einem Schlag zurück.

Sie schwiegen.

Emily bedauerte es nicht, mit ihm geschlafen zu haben. Sie brachte es nicht über sich, sich aus seinen Armen zu lösen. „Du kannst heute Nacht bei mir bleiben.“

Er drückte sie an sich. „Es fühlt sich einfach richtig an.“

Der Morgen kam. Tom küsste Emily zärtlich wach. Zwei Stunden später duschten sie zusammen, und es dauerte noch eine weitere Stunde, bis sie sich endlich anzogen.

Nach dem Frühstück wischten sie das Regenwasser auf, das das Unwetter durch die offenen Fenster ins Haus gedrückt hatte.

„Die Alarmanlage funktioniert schon, sowohl im Haus als auch im Garten“, sagte er.

„Ich bin also rundum abgesichert. Falls du dich jetzt ein paar Tage um die Ranch kümmern möchtest, bitte!“

„Ich sage dir Bescheid, falls es nötig ist. Im Moment noch nicht. Ich bleibe. Heute arbeite ich draußen. Falls du mich suchst, ich bin an der Ostseite.“

„Ich streiche oben weiter.“

Wenn sie sich jetzt in ihrem frisch gestrichenen Haus umsah, musste sie unwillkürlich an die Zukunft denken. An den Abschied von Tom. Den endgültigen Abschied.

Am Samstagmorgen fiel das Licht der Sonne zu den Fenstern herein. Tom brannte darauf, Emily zu wecken. Heute sollte ihr Picknick mit den Valentines stattfinden, und er freute sich darauf. Sie hatte ihn gebeten, den menschlichen Wecker zu spielen, falls sie um halb sieben noch nicht wach sein sollte. Nun war es schon zehn Sekunden über der Zeit.

Einen Moment lang stand er neben ihrem Bett und betrachtete sie im Schlaf. Ihr Haar war auf dem Kissen ausgebreitet, das Laken bis zu ihrer Taille heruntergerutscht. Unter dem T-Shirt zeichneten sich deutlich ihre Brüste ab. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen: Er schlüpfte unter das Laken und nahm Emily in seine Arme.

Schlaftrunken schmiegte sie sich an ihn. Er musste sie einfach küssen. Und als er sie so in seinen Armen hielt, hatte er nur noch einen Wunsch: sie zu lieben. Er wusste, dass er dabei war, ein Netz aus Problemen zu schaffen, das sie beide behindern würde, wenn das Leben weiterging, aber es war ihm im Moment einerlei.

Um elf Uhr waren sie endlich bereit, das Haus zu verlassen. Sie hatten sich ausgiebig geliebt, hatten geduscht, sich angezogen und gefrühstückt. Tom trug seine Jeans und ein blaues T-Shirt, während Emily sich für eine Caprihose entschieden hatte und eine bunt gestreifte Bluse. Eine halbe Stunde hatte Tom gebraucht, um alle Sachen für das Picknick in den Wagen zu laden. Sie stellten die neue Alarmanlage scharf und machten sich auf den Weg zu Royals großem Park am Texas Cattleman’s Club.

„Sieh dir nur die vielen neuen Bäume an“, bemerkte Emily. „Sie haben vieles ersetzt, was der Tornado zerstört hat.“

„Der Park ist wirklich schön. Wir hätten uns auch im Klub treffen können, aber dort hätten wir so viele andere Bekannte getroffen. Ich finde, heute sollten wir mit den Valentines unter uns bleiben.“

Als er langsam an einem Teich entlangfuhr, in Richtung der Stelle, an der er sich mit Natalie verabredet hatte, wurde Emily ganz still. „Diesen Weg haben wir immer genommen, wenn wir mit Ryan hierhergekommen sind“, sagte sie nach einer Weile leise.

Er hielt auf einem Parkstreifen, löste seinen Gurt und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er teilte ihren Schmerz, und er war umso größer, da er spürte, wie sehr sie litt.

„Es tut mir leid.“ Sie verbarg das Gesicht in den Händen.

Plötzlich hatte er einen Kloß im Hals, und seine Augen brannten. Stumm zog er sie in seine Arme, so gut es im Pick-up eben ging. Sie drückte sich an ihn. Er fühlte sich gleich viel besser, weil er mehr oder weniger erwartet hatte, dass sie ihn von sich stoßen würde.

„Es tut mir leid, Tom. Ich dachte, ich bringe es ohne Tränen hinter mich. Es ist ein schöner Anlass, und ich freue mich darauf, Natalie und ihre Familie kennenzulernen. Wirklich!“ Sie konnte nicht weitersprechen. Sie weinte, während er sie einfach nur hielt.

„Es ist das erste Mal, dass ich wieder hier bin“, sagte sie so leise, dass er sie kaum verstand. „Wir waren alle zusammen hier, weißt du noch?“

„Ich weiß, Darling. Ich habe mich schon gefragt, ob es dir zusetzen würde. Ich war einmal mit Natalie und den Kindern hier. Sie lieben den Park. So wie Ryan ihn geliebt hat.“

„Dann ist es eine gute Wahl. Ich habe mich gleich wieder im Griff.“

Sie klammerte sich an ihn, und sie weinten gemeinsam. „Es tut verdammt weh, Em, aber wir haben keine Wahl. Ich nehme an, im Himmel gibt es einen kleinen Engel, der uns genauso liebt wie wir ihn.“

„Warum ist das Leben …“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende.

„… so verdammt hart?“, ergänzte er für sie. „Ich weiß es nicht. Auf einige Fragen gibt es einfach keine Antworten. Und wenn ich neunzig werde, werde ich immer noch um unseren Sohn weinen. Ich werde ihn vermissen, solange ich lebe.“

„Ich auch. Wieso können wir uns gegenseitig nicht besser trösten?“

„Ich weiß es nicht“, wiederholte er. „Ich nehme an, zwischen uns steht ein Berg an Trauer und Schuld. Es tut weh. Wein ruhig“, sagte er leise.

Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Tom zog ein frisches Taschentuch hervor und wischte sie fort.

„Jetzt bist du ein Trost für mich. Ich wollte, ich könnte es auch für dich sein, aber ich sehe in deinen Augen, dass es nicht so ist.“

„Shhh, Em. Es gibt einen Punkt, an dem der Schmerz einfach zu stark ist. Ich trauere um unseren Sohn, den ich nicht retten konnte. Und um die Männer, die nicht wieder nach Hause gekommen sind.“

„Du scheinst an einem Ort zu sein, an dem ich dich nicht erreichen kann.“

Er drückte sie an sich.

Sie hörte auf zu schluchzen und wurde allmählich ruhig. „Wir kommen zu spät“, sagte sie schließlich.

„Wenn es jemanden auf der Welt gibt, der Verständnis hat für unseren Schmerz, dann ist es Natalie. Sie und Jeremy haben sich sehr geliebt. Lass dir Zeit. Die Kinder werden spielen. Ich rufe Natalie an, damit sie sich keine Sorgen macht. Wir sind schon ganz in der Nähe.“

„Es tut mir leid, dass Natalie ihren Mann verloren hat, aber ich bin froh, dass sie es versteht, falls ich noch einmal zusammenbreche. Normalerweise passiert mir das nicht, wenn ich mit anderen zusammen bin, aber das hier ist etwas anderes.“

„Ich weiß. Manchmal bricht die Erinnerung einfach so über einen herein.“

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist ein wunderbarer Mann, Tom. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dich zu haben.“

Er musterte sie durchdringend. „Danke, Em. Wir haben harte Zeiten hinter uns, und es ist noch nicht vorbei. Ich will nicht Teil des Problems sein – ich will helfen.“

„Das tust du. Wir sind in der Vergangenheit mit den Problemen fertiggeworden, also wollen wir hoffen, dass wir sie auch in Zukunft bewältigen.“

Ihr trauriger Tonfall gab ihm zu denken. Hatte sie Angst vor der Scheidung? Wollte sie sie so schnell wie möglich hinter sich bringen? Er küsste sie zärtlich und hoffte, ihr damit die Verbindung zu zeigen, die sie immer haben würden. Auch nach einer Scheidung würden die Erinnerungen an Ryan sie unlöslich verbinden.

Emily schob ihn von sich. „Ich habe mich wieder gefangen. Sie wird mir ansehen, dass ich geweint habe, aber das macht nichts.“

„Ich habe ihr schon gesagt, dass es nicht leicht wird für dich. Es ist mir genauso gegangen, als ich das erste Mal nach der Katastrophe hier war.“

„Danke für deine Geduld.“

Wortlos legte er den Gang ein und ließ den Wagen anrollen. Kurze Zeit später erreichten sie den Parkplatz am Teich, wo bereits ein Picknicktisch aufgebaut war.

„Da sind sie“, sagte Tom. „Einschließlich Hund. Miss Molly ist ein gut erzogener Golden Retriever. Solange wir hier allein sind, braucht sie keine Leine, weil sie immer in der Nähe der Kinder bleibt. Sie liebt sie abgöttisch. Falls noch weitere Familien kommen, legt Natalie sie an die Leine. Der große Junge ist Colby. Ich habe dir schon von ihm erzählt. Er wirkt sehr abweisend, aber er wird auftauen. Er kennt mich inzwischen und reagiert auf mich. Ich versuche, ihn nicht unter Druck zu setzen.“ Tom parkte den Wagen. „Es sind wirklich nette Kinder.“

Emily legte ihm eine Hand auf den Arm. „Du klingst glücklich. Das ist es, was du brauchst, Tom. Deine eigene Familie, deine eigenen Kinder. Je eher wir uns scheiden lassen, desto eher wirst du das bekommen.“

Er musterte sie stirnrunzelnd. „Falls du wieder heiratest, wirst du dann bereit sein, ein Kind zu adoptieren?“

„Ich habe nie darüber nachgedacht. Wahrscheinlich schon. Ich wollte es nicht mit dir zusammen, weil ich dir einen zweiten Ryan schenken wollte. Ein Kind mit deinem Blut in den Adern. Ich habe immer gehofft, doch schwanger zu werden. Sollte ich einen anderen Mann heiraten, würde das keine Rolle spielen. Ja, ich nehme an, dann wäre ich bereit für eine Adoption.“

Er war schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass eine Scheidung für sie beide das Beste wäre. Nun hatte sie es gerade bestätigt. Emily würde eine Familie haben und das Leben, das sie wollte.

Er musste Nathan anrufen und sich erkundigen, ob es schon neue Erkenntnisse über Maverick gab. Er war mehr denn je davon überzeugt, dass er so schnell wie möglich aus Emilys Leben verschwinden sollte.

8. KAPITEL

Tom und Emily holten so viele Utensilien für das Picknick aus dem Wagen, wie sie tragen konnten. Tom trug die große Kühltasche mit den Getränken. Die Schultertasche enthielt Windrädchen und Drachen. Emily trug eine große Tasche mit zwei Strandbällen. Für Colby hatte Tom noch ein elektronisches Spielzeug mitgebracht und für Lexie eine Tiara, eine Federboa, Armreifen und ein kleines Täschchen, damit sie Dame spielen konnte. Ehe er die Kühltasche aufnahm, winkte er Natalie zu, und sie winkte zurück.

Miss Mollie entdeckte sie und kam zu ihnen herüber. Sie rannte zu Tom, war aber zu gut erzogen, um an ihm hochzuspringen. Er setzte alles ab, um sie zu streicheln und ihr die Ohren zu kraulen. Es war ganz offensichtlich, dass die Hündin ihn liebte und er sie. Sie sah Emily an, die die Hand nach ihr ausstreckte. Tom trat näher. „Darf ich vorstellen – Miss Mollie. Sie ist sehr freundlich und gut erzogen.“

Die Hündin beschnüffelte Emilys Hand und sah sie erwartungsvoll an. Tom zog ein Leckerli aus der Tasche und reichte es Emily. „Gib ihr das, und sie wird dich ewig lieben.“

„Das ist Bestechung.“

„Die aber wunderbar funktioniert. Versuch es.“

Emily streckte die Hand mit dem Leckerli aus. Miss Mollie nahm es vorsichtig und fraß es, wobei sie mit dem Schwanz wedelte.

„Siehst du, nun hast du eine Freundin fürs Leben gewonnen.“ Tom nahm die Sachen wieder auf, um sie zum Tisch zu tragen.

Der Hund rannte freundlich wedelnd von einem zum anderen.

Natalie saß am Tisch und hatte ein kleines rothaariges Mädchen auf dem Schoß.

„Lexie ist wie eine Puppe“, sagte Tom. „Sie ist mit zwei Jahren noch zu klein für große Spiele, deswegen habe ich ein paar Windrädchen und Musikinstrumente mitgebracht. Und zwei Strandbälle und zwei Drachen. Aber dafür brauchen wir mehr Wind als jetzt.“

„Du bist ja ein wandelnder Spielwarenladen“, bemerkte Natalie lachend. „Kein Wunder, dass sich die Kinder immer freuen, dich zu sehen.“

Sie stellte Lexie auf den Boden. Kaum berührten ihre Füße das Gras, breitete sie die Arme aus und rannte zu Tom. Er setzte alles ab und fing sie auf. Lachend schwenkte er sie in die Runde. Dann nahm er den Jungen auf den anderen Arm. „Hi, Colby“, sagte er lächelnd. „Ist das nicht schön? Wir sind im Park und können zusammen spielen.“

Beide Kinder redeten auf ihn ein, bis er sie lachend absetzte.

„Moment mal. Wo bleiben meine guten Manieren? Wir haben heute jemand Neues hier. Emily, das ist Lexie und das ist Colby. Das ist meine Frau. Für euch ‚Miss Emily‘.“ Er sah Emily an. „Lexie ist noch so klein, ich weiß nicht, wie sie dich nennen wird.“

„Mir ist alles recht.“

Emily begrüßte die beiden lächelnd, während die Kleinen höflich Hallo sagten. Colby sprach so leise, dass sie ihn kaum verstand.

„Wir sehen uns gleich an, was ich mitgebracht habe, aber zuerst möchte ich mit eurer Mama sprechen“, sagte Tom zu den beiden.

Natalie Valentine kam ihnen entgegen.

„Emily, ich bin Natalie. Es freut mich, dich endlich kennenzulernen. Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich du zu dir sage. Ich habe schon so viel von dir gehört, dass ich das Gefühl habe, dich gut zu kennen.“

„Natürlich ist das in Ordnung. Ich freue mich auch, dich und deine Kinder kennenzulernen.“ Es erstaunte Emily, dass Tom sich nicht in Natalie verliebt hatte. Sie war ausgesprochen hübsch mit ihren großen grünen Augen.

„Lass mich auch etwas tragen“, bat Natalie.

„Nimm den Kuchen.“ Emily reichte ihr die Schachtel.

„Lexie ist heute eine Stunde früher aufgewacht als sonst, so aufgeregt war sie wegen des Picknicks. Die Kinder freuen sich immer, Tom zu sehen. Er geht wunderbar mit ihnen um. Jeremy hat sich den richtigen Mann als Freund ausgesucht. Ich weiß, warum.“

„Er kann gut mit Kindern“, sagte Emily, während sie zusah, wie er die Kinder in die Tasche sehen ließ, die er mitgebracht hatte. Jeder bekam ein Windrädchen und schwenkte es durch die Luft, damit es sich drehte. Es war offensichtlich, dass sie nicht das erste Mal damit spielten.

„Tom war wirklich unsere Rettung“, fuhr Natalie fort. „Im vergangenen Monat hat er zwei neue Bewegungsmelder vor dem B & B installiert. Dann hatte ich einen Zahnarzttermin für Colby und gleichzeitig einen Termin beim Hundefriseur, den man auch immer sehr schwer bekommt. Tom ist eingesprungen. Er hat sich Lexie genommen und ist mit Mollie und ihr zum Friseur gefahren, sodass ich Colby zum Zahnarzt begleiten konnte. Er ist sogar mit Lexie zum Kinderarzt gefahren, als sie eine Tetanusspritze brauchte, weil sie sich den Fuß an einem verrosteten Stück Metall geschnitten hatte. Er hat ihr das Händchen gehalten, während sie die Spritze bekam, und ist anschließend zur Belohnung für ihre Tapferkeit mit ihr Eis essen gegangen.“

Natalie fand immer mehr Gründe, Tom in den höchsten Tönen zu loben. Er hatte so vieles für sie und ihre Familie getan. Während Emily ihr schweigend zuhörte, wurde ihr bewusst, dass sie selbst Toms Hilfe immer zurückgewiesen hatte. Dabei wäre es ihm offensichtlich eine Freude gewesen, helfen zu dürfen.

Genau das tat er jetzt für sie mit ihrem Haus, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt hatte. Natalie hingegen akzeptierte seine Hilfe und war dankbar dafür.

Für ihn war es wichtig, andere zu beschützen und ihnen zu helfen, und das hatte Emily ihm verwehrt. Er hatte es auch in den Tagen nach Ryans Tod versucht, aber sie hatte sich vollkommen in sich zurückgezogen. Sie hatte sich damals nicht auf ihn gestützt, und sie hätte es auch jetzt nicht getan. Doch er hatte einfach übernommen, weil er sich Sorgen machte um das, was Maverick ihr vielleicht antun könnte.

Sie musste daran denken, wie Tom gesagt hatte, er habe Ryan verloren, aber er habe nicht die Absicht, sie an einen Troll zu verlieren.

Sie beobachtete ihn mit den Kindern und fragte sich, ob sie jetzt besser miteinander auskamen, weil er das Gefühl hatte, ihr helfen zu können. Falls das so war, hatte sie wirklich einen großen Fehler gemacht, als sie ihn nach Ryans Tod so ausgeschlossen hatte aus ihrem Leben.

„Ich weiß, dass ihr beiden getrennt wart“, sagte Natalie ruhig. „Ich will mich ja nicht einmischen, aber es sieht ganz so aus, als ob ihr wieder zueinander finden könntet. Ich will einfach nur sagen: Du hast einen wunderbaren Mann. Er ist so gut zu uns gewesen und den Kindern ein wunderbarer Ersatz für Jeremy.“

„Tom liebt Kinder. Er hat sechs Nichten und Neffen, aber wir haben kaum Kontakt, weil alle drei Brüder weit entfernt leben.“

„Jeremy hat gut gewählt, als er sich Tom zum Freund genommen hat. Tom hat viel durchgemacht, sowohl hier als auch bei den Einsätzen im Ausland. Jeremy hat mir einiges erzählt. Es war wirklich hart. Tom hat unter dem Tod eures Sohnes sehr gelitten – wie du auch, das weiß ich. Das ist ein Schmerz, den wir alle teilen. Aber jetzt genug davon.“

Während Emily die Sachen auspackte, die sie mitgebracht hatten, gingen ihr Natalies Worte noch durch den Kopf.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihr, dass es ein Fehler gewesen war, Tom nach Ryans Tod aus ihrem Leben auszuschließen. Aber jetzt hatte sie sich geöffnet. Sie akzeptierte seine Hilfe, und sie schienen beide davon zu profitieren. Durch ihn ging die Renovierung sehr viel schneller voran, als es ihr sonst möglich gewesen wäre. Und seit Tom aufgetaucht war, hatte sie keine weitere Mail von Maverick bekommen.

Sobald Emily und Natalie alles ausgepackt hatten, bestürmten die Kinder Tom, Seifenblasen für sie zu machen, die sie fangen wollten.

„Sie halten ihn noch eine Weile beschäftigt“, sagte Natalie und wandte sich an Emily. „Tom hat mir von der Mail erzählt, die du bekommen hast. Es ist schrecklich, aber ich bin froh, dass ihr das unter euch klären konntet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Toms geheime Familie! Er ist so gut zu uns. Es würde mich umbringen, wenn ich das Gefühl hätte, dass all das, was er für uns getan hat, euch Probleme macht. Tom ist so ein wunderbarer Freund für mich.“

„Er hat sehr viel von deinem Mann gehalten. Er hat mir von Jeremy erzählt, aber das war lange her. Deswegen habe ich keine Verbindung gesehen, als ich das Foto von euch sah. Ich habe die Mail einfach für bare Münze genommen.“

„Ich hoffe, sie fassen diesen Menschen, bevor er noch weiteren Schaden anrichtet.“

„Das hoffe ich auch.“

„Ich glaube, wir sollten jetzt das Essen fertig machen, bevor die drei Hunger bekommen.“

„Im Moment sind sie noch gut beschäftigt.“

„Bevor ihr gekommen seid, haben die beiden alle fünf Minuten gefragt, wann es etwas zu essen gibt.“

Fasziniert beobachteten Emily, wie Tom große Seifenblasen produzierte und die Kinder lachend versuchten, sie zu fangen.

„Deine Kinder sind wirklich wunderbar.“

„Danke“, sagte Natalie. „Sie sind nicht übel. Colby hat seine besonderen Bedürfnisse, aber wir kommen gut damit zurecht. Lexie würde am liebsten jetzt schon in meinen Schuhen herumlaufen und mein Make-up benutzen. Ich wage gar nicht, mir vorzustellen, wie es ist, wenn sie ein Teenager wird.“

Tom kam zu ihnen herüber. „Wann gibt es denn etwas zu essen?“

„Wann auch immer du den Grill in Gang setzt und die Burger brätst.“

„Gut, ich sage eben den Kindern Bescheid.“

„Ich sage es ihnen“, erbot sich Natalie. „Du kümmerst dich um das Essen, während Emily und ich solange mit ihnen spielen. Wir haben alles, was du brauchst, ausgepackt.“

„Gute Idee.“

Emily breitete eine Decke aus und gab jedem Kind Buntstifte und einen Block Papier zum Malen. Natalie setzte sich dazu.

Als sie kurze Zeit später zusammen aßen, hatte Emily das Gefühl, bereits zur Familie zu gehören. Natalie war sehr umgänglich, und Emilie liebte die Kinder schon jetzt. Colby war ruhig und manchmal etwas in sich zurückgezogen, aber er hatte seinen Spaß an all den Dingen, die Tom mitgebracht hatte. Emily machte Fotos von allen.

Zum Nachtisch gab es Erdbeereis mit Schokoladenkeksen, die Natalie gebacken hatte. Miss Molly streckte sich zu Toms Füßen aus. Er schob seine Stiefelspitze hinter ihren Ohren hin und her, und sie schien förmlich im siebten Hundehimmel.

Als sie nach dem Picknick alles einpackten, rannte Lexie zu Tom und zog an seiner Hand. Colby stand mit einem der großen Strandbälle daneben.

„Zurück an die Arbeit“, stöhnte Tom und erhob sich. „Tragt nichts zum Auto, ich mache das nachher.“

„Ich komme mit.“ Emily sah Natalie lächelnd an. „Bleib hier im Schatten und erhole dich. Wir spielen mit den Kindern.“

„Danke. Hört auf, wann auch immer ihr genug habt.“

Tom und Colby gingen auf ein paar Meter Abstand, während Emily sich neben Lexie stellte, die eigentlich noch zu klein war für den großen Ball, die aber mitspielen wollte. Die Erwachsenen warfen den Ball erst dem einen, dann dem anderen Kind zu. Lexie konnte ihn nicht fangen, aber sie rannte hinter ihm her, um ihn zu bekommen, und Emily half ihr.

Am späten Nachmittag saß die Kleine auf einer Decke und spielte abwechselnd mit ihrer Puppe oder sie malte, während Colby sich mit dem elektronischen Spiel beschäftigte, das Tom mitgebracht hatte. Die drei Erwachsenen saßen im Schatten und unterhielten sich.

Emily genoss es, mit den Valentines zusammen zu sein. Lexie brachte ein Bild und kletterte auf ihren Schoß, um es ihr zu erklären. Emily bewunderte es wortreich. Es war ein unglaubliches Gefühl, wieder ein kleines Kind auf dem Schoß zu haben. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Tom sie beobachtete. Ihre Blicke trafen sich, und sie fragte sich, was in ihm vorgehen mochte.

Die Sonne ging schon unter, als Natalie erklärte, es wäre jetzt Zeit, um einzupacken und nach Hause zu fahren.

„Wir fahren mit zu dir, und ich helfe dir, alles ins Haus zu tragen“, erbot sich Tom.

„Nicht nötig“, versicherte sie ihm lächelnd. „Emily hat mir schon erzählt, dass du ihr hilfst, das Haus zu streichen. Ich weiß, was das für eine Arbeit ist. Außerdem habe ich im Moment vier Ehepaare als Gäste im B & B. Die Männer haben mir die Sachen heute Morgen getragen und schon gesagt, dass sie mir nachher auch wieder helfen. Zur Belohnung bekommen sie ein Erdbeereis.“

„Besuchst du mich?“ Lexie schob ihre kleine Hand in Emilys.

„Ja, ich würde mir gern dein Zimmer ansehen und Colbys auch“, versicherte Emily ihr, und Lexie strahlte.

„Wir würden uns sehr freuen“, sagte Natalie.

Sie ließen Miss Mollie hinten in das SUV springen. Dann stiegen die Kinder ein und schnallten sich an. Natalie kontrollierte vorsichtshalber noch einmal Lexis Gurt, bevor auch sie einstieg und Tom hinter ihr die Tür schloss.

Tom legte den Arm um Emilys Schultern, als sie zum Pick-up gingen. Es war wieder ganz wie in alten Zeiten. Ein Gefühl prickelnder Vorfreude durchlief sie, als sie daran dachte, dass sie vielleicht wieder zusammen schlafen würden.

Sie fuhren ein Stück hinter Natalie her.

„Sie sind die typische amerikanische Familie“, bemerkte Emily versonnen. „Vor allem, wenn der Hund den Kopf zum Fenster herausstreckt.“

„Nur, dass der Vater nicht dabei ist, gefallen bei einem Einsatz für sein Land.“

„Das stimmt, aber er hat das Risiko gekannt, als er zur Army ging.“

„Mag sein, aber manchmal setzt es mir zu, wenn ich mit Natalie und den Kindern zusammen bin, weil eigentlich Jeremy bei ihnen sein sollte und nicht ich.“

„Du hast das Versprechen gehalten, das du Jeremy gegeben hast. Natalie ist so dankbar für alles, was du für sie tust.“

„Wenn ich an das Opfer denke, das er gebracht hat, kann ich nie genug tun.“

„Natalie weiß es auch so zu schätzen, und die Kinder lieben dich. Du solltest eigene Kinder haben“, sagte sie leise.

Er warf ihr einen kurzen, erschreckten Blick zu, sagte aber nichts dazu.

Wäre sie doch nur in der Lage, Tom noch einen Sohn zu schenken! Dann hätten sie ihre Ehe vielleicht retten können.

„Ich bin sehr froh darüber, dass du Natalie nun kennengelernt hast“, bemerkte er. „Ich hätte euch längst zusammenbringen sollen, aber irgendwie hat es sich in den vergangenen Jahren nicht ergeben.“

„Wir verstehen uns. Ich ihren Verlust und sie meinen oder vielmehr unseren.“

„Sie hält sich gut. Natürlich muss sie sich auch wegen der Kinder zusammenreißen.“

Emily musste daran denken, dass sie alle drei – sie, Natalie und Tom – auf gewisse Weise Ziele von Maverick gewesen waren. Aber Mavericks grausames Spiel war nicht aufgegangen, im Gegenteil: Statt sie zu trennen, hatte er sie nur näher zusammengebracht.

Als sie wieder bei ihrem Haus ankamen, stellte sie erstaunt fest, was für einen Unterschied diese eine Woche gemacht hatte. Die frische Farbe fing an, das Haus wieder in das Zuhause zu verwandeln, an das sie sich erinnerte und das sie immer so geliebt hatte. Tom hatte angefangen, im Garten zu arbeiten, weil die Tage wärmer wurden. Er hatte schon zwei große Beete zur Frühjahrsbepflanzung vorbereitet. Er war wie immer voller Kraft und Energie. Etwas, das sie an ihm schon immer bewundert hatte.

„Das Haus ist gar nicht mehr wiederzuerkennen“, bemerkte sie.

„Das klingt so, als seist du glücklich damit.“

„Das bin ich. Es sieht alles wirklich gut aus. Danke.“

„Es sieht nicht nur besser aus, es ist auch sicherer.“ Tom ließ den Pick-up vor dem Haus stehen, sodass er von der Straße her zu sehen war.

„Was ist?“, fragte sie beklommen, als er nicht ausstieg, sondern einfach nur geradeaus sah.

„Die Garage …“

„Was ist mit ihr?“

„Emily, die Garage ist so alt wie das Haus. Sieh sie dir mal genau an. Der große Maulbeerbaum drückt mit seinen Wurzeln nicht nur die Wegplatten hoch, sondern auch das Gemäuer.“

„Du willst, dass ich die Garage abreiße?“

„Dir wird nichts anderes übrig bleiben. Irgendwann bricht dir das Ding zusammen, und du kannst nur hoffen, dass du dann nicht gerade da drin bist. Ich besorge dir einen Kostenvoranschlag für eine neue Garage und eine neue Auffahrt.“

Wie benommen musterte sie den jüngsten Problemfall.

„Weißt du noch, wann dein Onkel Woody aufgehört hat, sie zu benutzen?“, fragte Tom.

„Ich werde so zwölf gewesen sein. Okay. Du hast wohl recht.“

Tom grinste. „Unfassbar! Ich habe tatsächlich einmal in einem Punkt recht, der das Haus betrifft.“

„Du hattest bisher noch in jedem Punkt recht, Tom. Ich hätte Monate gebraucht, um das alles zu bewerkstelligen, was wir jetzt innerhalb einer Woche geschafft haben. Oder vielmehr: was du geschafft hast. Ich bin wirklich dankbar für deine Hilfe.“

„Wenn du eine neue Garage bekommst, ist sie auch groß genug für die Autos von heute. Ich glaube, die war noch für einen Ford T gebaut.“

Sie trugen die Sachen ins Haus. Tom schlug vor, sich auf die Veranda zu setzen und den Abend zu genießen.

„Eine gute Idee, aber ich muss zuerst einmal duschen. Den ganzen Tag auf dem Rasen und das Spielen mit dem Hund …“

„Ich wüsste etwas, wodurch das Duschen noch interessanter würde …“

„Nicht heute Abend!“

Er grinste. „Einen Versuch ist es immerhin wert. Es kann viel Spaß machen, mit mir zu duschen. Aber du erinnerst dich ja vielleicht noch. Das wäre quasi das Sahnehäubchen eines ganz besonderen Samstags.“

„Hörst du auf?“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „Nein, wir werden nicht zusammen duschen. Was möchtest du trinken? Lass mich raten, ein Bier?“

„Ah, du kennst mich einfach zu gut. Du kennst alle meine Geheimnisse.“

„Du hast immer noch genügend an dir, was neugierig macht. Ich bin zum Beispiel überrascht, dass du dich nicht in Natalie Valentine verliebt hast. Sie ist total süß und hat zwei wunderbare Kinder. Nicht zu vergessen Miss Mollie.“

Er kam zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. Hatte sie einen wunden Punkt berührt? War er dabei, sich in Natalie zu verlieben? Sie sah ihm in die Augen.

„Ich will dir was sagen, Darling. Ich verliebe mich nicht in eine Frau, weil sie nette Kinder hat. Oder einen netten Hund. Natalie ist eine wunderbare Frau, aber sie ist die Witwe von Jeremy, und sie liebt ihn immer noch. Er war mein Freund.“

Was sollte sie darauf sagen? Schweigend trugen sie die Sachen ins Haus.

„Ich gehe jetzt nach oben und dusche. Allein. Wir treffen uns dann in einer halben Stunde auf der Veranda.“

„Gut. Ich gehe auch duschen. Die Einladung gilt noch.“ Er zwinkerte ihr bedeutungsvoll zu.

„Ich gebe zu, die Versuchung ist da …“

„Oh, Darling!“ Er seufzte dramatisch. „Komm unter meine Dusche. Es wird unvergesslich werden!“ Sie lachten beide. „Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, es kann viel Spaß machen, mit mir zu duschen. Wir haben noch nicht einmal angefangen, und schon habe ich dich zum Lachen gebracht.“

„Du bist doch wirklich ein Teufel! Aber es bleibt dabei: Ich dusche allein, und wir treffen uns auf der Veranda.“

Er legte einen Arm um sie. „Ich bin so froh, dass wir immer noch zusammen lachen können. Es ist ein schöner Tag gewesen. Zwischen uns ist noch etwas.“ Er sagte es mit solcher Bestimmtheit, dass er einen Schauer in ihr auslöste.

„Alles ist gut, solange es nicht um das richtige Leben und die ernsten Dinge geht.“

„Ich nehme alles, was wir haben können. Wir können vieles zusammen tun.“

„Ich weiß.“

Ihr Puls begann zu rasen, als sie sah, dass sein Blick an ihren Lippen hing.

„Tom“, hauchte sie.

Alles um sie herum schien zu versinken, während ihre Lippen sich zu einem Kuss fanden. Zärtlich tastend zuerst, dann immer leidenschaftlicher.

Emily wusste nicht, wie lange sie sich schon küssten, als sie seine Hand an ihrer Brust spürte. Sie legte ihre Hand auf seine. „Warte“, sagte sie leise und sah zu ihm auf. „Zuerst möchte ich duschen und anschließend mit dir auf der Veranda sitzen. Und dann können wir vielleicht auf das Thema zurückkommen … Okay?“

Er atmete tief durch und nickte. „Okay.“ Er zupfte leicht an ihrem Haar. „Lass es offen.“

„Bis später!“ Sie winkte ihm kurz zu und verschwand in ihr Zimmer. Worauf würde sie sich nach der Dusche einlassen? Sie sollte sich vorher darüber klar werden, bevor sie sich unnötigen Schmerz zumutete.

Tom war bereits auf der Veranda, als Emily nach unten kam. Die Bewunderung, die aus seinem Blick sprach, tat ihr gut. „Du siehst bezaubernd aus“, sagte er.

„Du kannst dich aber auch sehen lassen.“ Sie wollte ihm nicht sagen, dass er für sie nach wie vor der attraktivste Mann auf Erden war.

„Das sollten wir noch richten …“ Vorsichtig zog er die Spange aus ihrem Haar, mit der sie es hinter dem Kopf zurückgehalten hatte. Lächelnd schüttelte sie den Kopf und ließ das Haar weich über ihre Schultern fallen.

Während sie entspannt nebeneinander schaukelten und sich unterhielten, hatte sie die ganze Zeit das Gefühl, an einem steilen Abhang zu stehen, wo jeder Schritt ein Schritt zu viel sein konnte. Sie rang mit sich. Was sie gern getan hätte, war das eine. Was sie tun sollte, etwas anderes.

„Glaubst du, dass du nach der Scheidung in Royal bleibst? Oder ziehst du dann vielleicht nach Dallas?“, fragte er nach langem Schweigen.

„Nach diesem schönen Tag möchte ich jetzt eigentlich nicht an die Scheidung denken.“ Sie nippte an ihrem Eistee. „Ich nehme an, ich bleibe hier, es sei denn, beruflich ergibt sich etwas anderes. Ich bin sicher, wir werden uns auch dann noch über den Weg laufen.“

Er rieb sich versonnen das Knie. Sie musste daran denken, wie er den ganzen Tag mit den Kindern gespielt hatte und mit ihnen herumgerannt war. Sein Knie hatte bei dem Unfall damals sehr gelitten. Er hatte eine große Narbe davon zurückbehalten.

„Tut dein Knie weh?“

„Eigentlich nicht. Ich nehme an, es ist einfach zu einer Angewohnheit geworden aus der Zeit, als es noch schmerzte.“

„Das ist gut. Früher hattest du deine Probleme nach einem so langen Tag wie diesem.“

„Ich denke kaum noch daran. Diese Nacht wird in unserer Erinnerung immer gegenwärtig sein, aber der körperliche Schmerz ist verschwunden.“

„Es tut mir leid, dass du damals so schwer verletzt wurdest. Ich hatte solche Angst, euch beide zu verlieren.“

„Es tut mir leid, dass ich es geschafft habe und Ryan nicht.“

„Sag so etwas nie wieder, Tom! Ich wollte keinen von euch verlieren. Es war schrecklich für mich, dass du auch auf der Intensivstation warst. Du solltest dich nie wieder dafür entschuldigen, dass du überlebt hast.“

„Ich dachte, es wäre dir lieber gewesen, ich wäre gestorben und nicht Ryan“, sagte er.

Emily konnte ihn nur entsetzt anstarren.

9. KAPITEL

„Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre es mir auch lieber gewesen, es hätte mich erwischt und nicht Ryan“, sagte Tom leise.

Emily war schockiert. „Das habe ich nie gedacht, Tom! Das ist ja schrecklich! Ich wollte dich ebenso wenig verlieren wie unseren Sohn.“

Er schwieg. Zweifelte er an ihren Worten?

„Ich habe dich so geliebt, Tom“, sagte sie leise und erhob sich. Wenn sie ihn mit Worten nicht überzeugen konnte, dann vielleicht mit Taten.

Er schien zu ahnen, was in ihr vorging. Wortlos trug er sie ins Haus und die Treppe hinauf. Erst als er neben ihrem Bett stand, stellte er sie auf die Beine und küsste sie. Sie erbebte vor Verlangen, als sie seine Lippen auf ihren fühlte. Schweigend sah er zu, wie sie ihre Bluse abstreifte. Ließ es geschehen, dass sie ihm das Shirt über den Kopf zog und es beiseitefallen ließ, um seine Brust mit zärtlichen Küssen zu bedecken und ihre Zunge um seine harten Brustwarzen kreisen zu lassen.

Gierig zogen sie sich weiter aus. Konnten nicht genug voneinander bekommen, als hätten sie sich nicht erst in der vergangenen Nacht leidenschaftlich geliebt.

„Du bist so schön“, stöhnte er. „Ich habe so oft von dir geträumt und dich in Gedanken geliebt.“ Die Berührung seiner Hände hatte dieselbe elektrisierende Wirkung wie sein verlangender Blick.

Sie wand sich in seinen Armen, rieb sich an ihm und umfasste ihn.

„Ah, Em – es ist so gut mit dir. So gut.“ Er liebkoste ihre Brüste mit Lippen und Zunge. Jede heiße Berührung fachte ihre Lust weiter an.

„Tom, meine Liebe“, flüsterte sie. Sie ließ die Finger über seine Narben fahren, einige neu, die meisten alt und vertraut. Sie folgte ihnen mit ihrer Zunge. „Ich möchte dich die ganze Nacht lieben“, stöhnte sie. „Möchte dir zeigen, wie sehr du dich geirrt hast.“

Er sah ihr in die Augen. „Heute Nacht wollen wir uns nur an die guten Zeiten erinnern. Wir wollen das Ende eines schönen Tages feiern. Und das Leben.“

Er schloss die Augen, als sie vor ihm auf die Knie ging, ihn in den Mund nahm, um ihn zu lecken und zu küssen. Schließlich zog Tom sie in die Höhe und legte sie auf das Bett, um jeden Zentimeter ihres Körpers mit heißen Küssen zu bedecken.

Emily stöhnte leise, während sie sich seinen Liebkosungen hingab. Das zärtliche Spiel seiner Finger trieb ihre Lust in nie gekannte Höhen. Es war fast eine Erleichterung, als Tom sich endlich zu ihr legte und in sie eindrang. Sie schlang die Beine um ihn. Wollte durch seine Liebe allen Schmerz der Vergangenheit vergessen, bis es nur noch Schatten waren, die sie nicht mehr erreichen konnten.

Er nahm sie, zärtlich zuerst, dann hart und fordernd. Trieb sie an den Rand der Ekstase und darüber hinaus. Gemeinsam kamen sie zum Höhepunkt. Für einen Moment hatte Emily das Gefühl, ihre alte Liebe wiedergefunden zu haben.

Sie wünschte sich, die Nacht möge nie enden.

Schweigend hielten sie sich umfangen und genossen das Nachbeben ihrer Lust.

„Wir sind schon weit vor Plan, was die Arbeiten an deinem Haus betrifft, oder?“, fragte er schließlich leise.

„Ja, dank deiner Hilfe und deiner unglaublichen Energie.“

„Wie wäre es mit einer Pause? Wir könnten ein paar Tage auf die Ranch fahren. Du hast dir ohnehin noch ein paar Tage frei gehalten von deinem Studio, und ich könnte offen gestanden etwas Zeit auf der Ranch gebrauchen. Würdest du das tun? Eine kleine Pause kann nicht schaden.“

Sie überlegte. „Nur ein paar Tage?“

„Richtig. Nur eine Pause. Ich finde, wir haben sie uns verdient. In der Zwischenzeit könnte die Firma kommen, die ich bestellt habe, um deine Holzfußböden wieder in Schuss zu bringen.“

„Tom! Das hast du mir ja gar nicht gesagt. Erneuern sie die Böden?“

„Nein, nein, sie schleifen sie nur ab und polieren sie. Falls du mehr möchtest, wäre jetzt der richtige Moment, es zu sagen.“

„Nein, es ist perfekt so. Genau das hatte ich auch vor. Danke.“

„Keine Ursache. Lass uns doch morgen zur Ranch fahren, dann kann die Firma gleich kommen und ungestört an den Böden arbeiten. Ich kenne den Mann, dem die Firma gehört. Wir können ihm bedenkenlos den Hausschlüssel anvertrauen.“

Sie lachte. „Warum auch nicht? Es gibt ja wirklich nichts zu stehlen hier.“ Sie sah sich um. „Gut, dann fahren wir zur Ranch. Für wie lange? Eine Woche? Vier Tage? Zwei Tage?“

„Wie wär es mit vier Tagen?“

„Gut, also vier Tage. Ich arrangiere alles, und dann können wir nach dem Mittagessen fahren. Welches Haus nehmen wir?“

„Wie wäre es mit dem großen Haus? Falls du möchtest, kann ich in einem der Gästezimmer schlafen. Lass es uns versuchen, Em.“

„Du setzt dich doch immer wieder durch bei mir! Du brauchst mich nur anzusehen, und schon bin ich Wachs in deinen Händen.“

„Sehr sexy Wachs, das muss ich schon sagen.“

„Du brauchst mir gar keinen Honig um den Bart zu schmieren“, wies sie ihn lächelnd zurecht.

„Oh, Honig! Das haben wir noch nicht probiert. Vielleicht sollte ich dich einmal mit Honig beträufeln …“

Sie drückte ihn lachend an sich. „Wieso kann es nicht immer so sein?“

„Das kann ich dir auch nicht sagen.“

Um zwei Uhr am nächsten Nachmittag hatten Tom und Emily alles Nötige gepackt und fuhren zur Ranch. Dabei erinnerten sie sich an die Highschool-Zeiten und ihre ersten Dates. Sie lachten viel und waren entspannt. Insgeheim fragte Emily sich, ob sie diese Stimmung auf der Ranch aufrechterhalten konnten, wo alles mit schmerzlichen Erinnerungen behaftet war.

Sie sollte es bald erfahren. Ein kalter Schauer überlief sie, als sie das Haus betraten. War es ein Fehler, hierher zu kommen? Sie sah sich um.

„Ich nehme das Gästezimmer im Westflügel“, entschied sie.

„Eine gute Idee. Ich nehme das Zimmer daneben. Es sei denn, du lässt mich gleich bei dir einziehen.“

Sie lachte. „Lass uns sehen, wie es geht. Wir haben keine gute Erfolgsbilanz, was dieses Haus betrifft.“

Er nahm sie in die Arme. „Bis zur Katastrophe hatten wir die bestmögliche Erfolgsbilanz. Erst danach war es die Hölle. Aber in diesen vergangenen Wochen in der Stadt ist es doch sehr gut gelaufen mit uns.“

Sie nickte, aber eine ungute Vorahnung blieb.

„Ich muss mich mit Gus treffen und einige Dinge überprüfen. Ich bin sicher, du kommst allein zurecht. Wenn dir nichts anderes einfällt, betrachte es einfach als einen Kurzurlaub.“

„Das klingt überwältigend. Du machst dich an die Arbeit, und für mich beginnt der Urlaub. Vielleicht schwimme ich eine Runde im Pool.“

„Sieh erst nach, ob alles in Ordnung ist. Nicht, dass sich dort irgendwelche Tiere einquartiert haben. In der letzten Zeit hat sich niemand darum gekümmert, abgesehen davon, dass gelegentlich ein Gärtner oder eine Putzkraft vorbeigekommen sind.“

„Okay, ich überprüfe alles, bevor ich hineinspringe.“

„Siehst du, es läuft doch sehr gut mit uns.“ Er grinste. „Küss mich, und wir sehen, wie es weitergeht.“

Sie erwiderte seinen Kuss und schmiegte sich an ihn. Das komische Gefühl blieb. Würde er sie in vier Tagen auch noch küssen wollen?

Ehe sie sichs versah, trug er sie in eines der Schlafzimmer im Erdgeschoss und stellte sie gerade lange genug auf die Beine, um die Decken vom Bett zu zerren.

„Tom!“, protestierte sie.

„Wir sind allein. Was ich zu tun habe, kann warten. Das hier nicht.“

Sekunden später waren sie beide nackt. Emily konnte es gar nicht erwarten, ihn in sich zu spüren. Sie schlang die Beine um ihn. Stöhnte auf, als er sie nahm. Gierig fanden sie den Rhythmus ihrer Liebe. Ließen sich hinauftragen von den Wogen der Lust.

Erschöpft und schwer atmend lagen sie anschließend nebeneinander.

„Du bist fantastisch. Du bringst mich förmlich um den Verstand – und gleichzeitig ins Paradies“, stöhnte er.

Sie lächelte. „Wir gehen gleich duschen, aber zuerst einmal möchte ich einfach nur so in deinen Armen liegen. Das ist doch eine gute Art, unseren Aufenthalt hier zu beginnen.“

Dem konnte er nur zustimmen. Er schien den Moment ebenso sehr zu genießen wie sie, aber schließlich ließ er sich doch aus dem Bett gleiten.

„Ich gehe ja nur ungern, aber ich muss ein paar Sachen erledigen. Zuerst mit Gus und dann in meinem Büro im Gästehaus. Ich muss ein paar Unterlagen suchen, die der Buchhalter für die Steuererklärung braucht. Niemand wird heute hier sein außer mir, du kannst also tun, wonach dir ist. Im Gefrierschrank sollten noch genügend Vorräte sein und auch im Kühlschrank. Ich bin so bald wie möglich zurück.“

„Das will ich hoffen. Ich möchte nicht so lange allein sein in dem großen Haus.“

„Wir haben hier viele schöne Jahre verbracht und verbinden gute Erinnerungen damit. Wir sollten uns nur an diese schönen Zeiten erinnern.“

Sie hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Du bist, seit ich sechzehn war, der Nabel meiner Welt gewesen. Und dann, als die Katastrophe kam …“

„Lass es uns Schritt für Schritt angehen“, unterbrach er sie. „Ich gehe jetzt duschen. Wir sehen uns später. Tau uns etwas aus dem Tiefkühler auf.“

„Das mache ich.“ Sie sah ihm nach, als er hinausging – nackt, wie die Natur ihn geschaffen hatte. Er hatte einen faszinierenden Körper, muskulös und kräftig. Die Narben nahm sie kaum noch wahr. Verlangen regte sich in ihr. Konnte es eine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit ihm geben? Was war mit dem Sex? Machte er sie blind für die Probleme? Oder half er ihnen, sie zu lösen?

Der Sex war immer gut gewesen zwischen ihnen, aber natürlich war das zu wenig als Basis für eine Ehe. Bisher hatten sie ihre Probleme nicht lösen können. Oder? Sie hatte herausgefunden, dass Tom dachte, sie hätte lieber ihn verloren als Ryan. Das hatten sie klären können. Dann waren da ihre Beklemmungen darüber, dass sie nicht mehr schwanger werden konnte. Diese Anspannungen mochten das Ihre dazu beigetragen haben, ihn zu vertreiben. Zwei wichtige Themen – zwei geklärte Probleme?

Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie durch das Haus. Einige Räume ließ sie verschlossen, weil sie sie nicht sehen wollte.

Während sie in der Küche hantierte, klingelte ihr Telefon. Die Nummer im Display sagte ihr nichts, wohl aber der Name. Jason Nash. Ihr stockte der Atem.

Sie meldete sich.

„Kann ich bitte mit Emily Knox sprechen?“, fragte eine weibliche Stimme.

„Ich bin Emily Knox.“ Emily hatte Mühe, richtig durchzuatmen. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr das Herz in der Brust zerquetscht.

„Mrs. Knox, hier ist Becky Nash. Ich bin Pollys Mutter. Ich bin sicher, Sie erinnern sich an uns.“

„Ja, selbstverständlich.“ Sie erinnerte sich zu deutlich an das Gespräch mit dem Arzt, der ihnen nach dem Unfall von den Nashs erzählt hatte. „Wie geht es Polly?“

„Sehr gut“, sagte Becky Nash. „Wir kommen durch Texas, und wir dachten, wir könnten Sie besuchen. Ich meine, falls Sie unsere Tochter kennenlernen möchten.“

Für einen Moment konnte Emily nicht sprechen. Tränen waren ihr in die Augen geschossen. In ihr tobte ein Chaos der Gefühle. Einerseits Angst, wieder den ganzen Schmerz jener Tage durchleben zu müssen, als Ryan im Krankenhaus gewesen war. Andererseits auch Freude darüber, das kleine Mädchen kennenzulernen, das Ryans Herz bekommen hatte. Ein Teil ihres Sohnes lebte in einem anderen Kind weiter, das ohne ihn sein Leben verloren hätte.

„Wir würden Sie sehr gern kennenlernen, Mrs. Nash.“

„Bitte, sagen Sie Becky zu mir. Wir könnten zu Ihnen nach Hause kommen, wenn es Ihnen recht ist. Royal ist nicht weit von der Autobahn entfernt. Ich weiß, das ist alles sehr kurzfristig, aber bei uns haben sich einige Pläne geändert. Wäre Dienstagnachmittag möglich für Sie?“

„Ja, natürlich. Wir sind auf der Knox Acres Ranch, gleich am Stadtrand von Royal. Ich kann Ihnen sagen, wie Sie uns finden.“

Sie besprachen alles und verabschiedeten sich dann. Emily erinnerte sich noch gut an die junge Mutter. Eine hübsche, blauäugige Blondine von Anfang zwanzig. Jason Nash, ihr Mann, war Buchhalter in einer großen Firma in Dallas. Einer der Ärzte hatte sie auf eine mögliche Transplantation angesprochen. Später, nachdem sie zugestimmt hatten, lernten sie die Eltern kurz kennen. Nur Polly hatten sie bisher nicht gesehen. Das sollte sich nun am Dienstag ändern.

Sie griff nach dem Telefon, um es Tom zu sagen, befand dann aber, sie wollte es ihm lieber persönlich sagen. Sie war auch neugierig auf das Gästehaus. Seit er nach ihrer Trennung dorthin übersiedelt war, war sie nicht mehr dort gewesen. Sie wusste nicht, ob er dort etwas verändert und es zu einem neuen Zuhause gemacht hatte. Vielleicht hatte er auch alles so gelassen, wie es war.

Sie genoss die Sonne während des kurzen Spaziergangs. Das Gästehaus war wesentlich kleiner und schlichter als das Haupthaus, strahlte aber eine freundliche Wärme aus, die ihr im großen Haus fehlte.

Die Haustür stand offen, aber das Fliegengitter war geschlossen. Also klopfte sie gegen den Rahmen.

„Herein“, rief Tom.

„Wo bist du denn?“ Sie warf einen Blick in das Wohnzimmer, das ganz offensichtlich nicht benutzt wurde. Es sah noch genauso aus wie immer.

„Ich bin im Büro.“

Sie wusste nicht, welchen Raum er zu seinem Büro gemacht hatte, aber sie folgte dem Klang seiner Stimme und fand ihn im großen Schlafzimmer. Er stand auf einer Leiter und suchte etwas auf einem Regal. Der Boden war übersät mit Papieren.

„Wenigstens hier sieht es so aus, als wohnte hier jemand. Du hast dich nicht sehr ausgedehnt im Haus.“

„Ich brauche nicht viel.“

„Könntest du kurz herunterkommen? Ich möchte mit dir reden.“

„Das muss ja etwas sehr Ernstes sein.“ Er sah sie fragend an.

„Das ist es.“

„Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer.“

„Ich habe einen Anruf bekommen“, sagte sie, als sie im vorderen Raum waren. „Ich habe Angst, es könnte einige sehr schmerzhafte Erinnerungen für uns wieder wachrufen.“

„Wer hat denn angerufen?“

„Becky Nash.“

10. KAPITEL

Tom sah Emily einen Moment schweigend an. „Was wollte sie?“, wollte er dann wissen. „Ist mit ihrer Tochter alles in Ordnung?“

„Ja, es geht ihr gut. Ihre Mutter hat angerufen, weil sie durch Texas fahren. Sie hat gefragt, ob wir Polly kennenlernen möchten. Sie könnten am kommenden Dienstag hier sein.“

Er sah aus dem Fenster. „Das ist eine große Sache“, sagte er schließlich und drehte sich wieder zu Emily herum. „Wir lernen das kleine Mädchen kennen, das das Herz unseres Jungen hat.“

Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus. Emily hatte das ungute Gefühl, dass viele ihrer alten Probleme wieder an die Oberfläche gespült wurden und ihren neu gefundenen Frieden gefährdeten.

„Wäre es dir lieber, ich sage ihnen, sie sollen nicht kommen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Du hast dich richtig entschieden. Wir sollten sie kennenlernen. Ich muss nur immer daran denken, dass ein Teil von Ryan immer noch lebt. In diesem kleinen Mädchen.“

„Es hält sie am Leben. Ryan hat ihr das Leben gerettet.“

Tom fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich weiß. Das haben wir so gewollt, und es ist gut so. Aber es mindert nicht den Schmerz über den Verlust von Ryan. Irgendwie kommt jetzt alles zurück. Wir sollten sie kennenlernen, aber es wird nicht leicht werden.“ Er kehrte ihr wieder den Rücken zu. Sie wusste, dass er litt.

Doch sie konnte ihn nicht trösten. Denn er hatte sich vor ihr verschlossen.

Ihr Schmerz wurde unerträglich. Sie hatte das Gefühl, dass in diesem Moment auch der letzte Rest ihrer Ehe zu Bruch ging. Alle schönen Momente der vergangenen Tage waren vergessen. Die Kluft zwischen ihnen war wieder so groß wie zuvor.

Emily wusste, dass Tom sie jetzt nicht bei sich haben wollte. Wortlos verließ sie das Gästehaus und ging zurück zum großen Haus. Tränen verschleierten ihren Blick.

Es war eindeutig aus zwischen ihnen. Als Tom ihr den Rücken zugewandt hatte, war es wie ein letztes Goodbye gewesen.

Sie hatte sich die ganze Zeit etwas vorgemacht. Hatte sich in einem trügerischen Gefühl des Glücks gewiegt, als er mit ihr in dem alten Haus gelebt und ihr geholfen hatte, es zu renovieren. Dieses Gefühl war jetzt verflogen. Geblieben war der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes. Und so würde es immer sein. Ihr ganzes Leben lang würde sie immer wieder daran erinnert werden. Tom und sie mussten beide loslassen und versuchen, sich getrennt ein neues Leben aufzubauen.

Sie liebte Tom, und sie konnte sich nicht vorstellen, je einen anderen Mann zu lieben, aber ihre Ehe mit ihm war am Ende. Sie ging davon aus, dass sie ihn bis zum Besuch der Nashs am Dienstag nicht mehr sehen würde.

Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie das Haus betrat. Irgendwie hatte sie immer geahnt, dass der Tag kommen würde, an dem sie sich wieder mieden und Tom die Scheidungspapiere unterschrieb.

Sie beschloss, ihre Sachen zusammenzusuchen und zu packen. Dann konnte sie gehen, sobald die Nashs wieder fort waren.

Das leere, stille Haus hatte etwas Bedrückendes. Am liebsten wäre sie wieder in die Stadt gefahren, fort von diesen schmerzlichen Erinnerungen.

Sie dachte an den Spaß, den sie in den vergangenen Tagen mit Tom gehabt hatte. An die Abende mit ihm auf der Veranda. Sie hatten die Freude aneinander wiedergefunden. Hoffnung war aufgekeimt. Tom war der wunderbarste Mann, den sie je kennengelernt hatte. Sie hatte sich neu in ihn verliebt.

Und nun wurde wieder alles von dem alten Schmerz überdeckt.

Ihr war nicht nach essen, und Tom kam nicht, also tat sie den Auflauf wieder in den Tiefkühlschrank und setzte sich auf die Terrasse am Pool.

Sie würde sich einen der Wagen der Ranch leihen, um einige Möbelstücke mitzunehmen. Es würde Tom einerlei sein, was sie nahm und was nicht. Sie bezweifelte, dass er je wieder hier in diesem Haus wohnen würde. Sie jedenfalls wollte es nicht.

Sie konnte nicht anders: Sie musste den Kopf zwischen die Hände stützen und weinen. Sie hatte sie beide verloren: Ryan und Tom.

Sie weinte still vor sich hin. War wie benommen. Es war still um sie herum. Nur gelegentlich war das Säuseln des Windes in den Bäumen zu hören. Es war, als läge die ganze Welt im Frieden. Doch sie wusste es besser. Weder galt es für die ganze Welt noch für ihren kleinen Teil davon. Aber die Illusion, es könne so sein, war schön.

„Hast du schon gegessen?“

Sie hörte Toms Stimme von der Tür her und drehte sich zu ihm herum.

„Nein. Möchtest du etwas essen?“

„Nein. Ich bleibe heute Nacht im Gästehaus.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Sobald die Nashs fort sind, verlasse ich die Ranch.“

Als er nichts sagte, warf sie einen Blick über die Schulter.

Sie war allein.

Er war gegangen.

Sehr viel später ging sie ins Haus und begann, Kleinigkeiten zusammenzusuchen, die sie mit nach Royal nehmen wollte. Es gab nichts, was sie noch auf der Ranch hielt.

Sie setzte sich auf ihr Bett und stopfte sich die Kissen in den Rücken, um sich alte Fotoalben anzusehen. Sie machten sie so traurig, dass sie sie schließlich beiseitelegte und sich in den Schlaf weinte.

Tom lag wach. Solange Emily und er zusammen waren, würden die Erinnerungen an die Vergangenheit immer wieder hochkommen. Ausgelöst durch kleine Momente oder große, wie den Besuch der Nashs. Dieser Besuch würde Emily zutiefst aufwühlen. Und ihn auch.

Er wollte zwar, dass die Familie kam, aber es würde mit Sicherheit nicht einfach für sie beide. Mit einem Schlag stand ihnen die Hölle ihres Lebens wieder vor Augen. Die Angst, die sie damals ausgestanden hatten, und auch der Schmerz. Die Panik. Toms Versagen, weil er die zwei Menschen, die er am meisten liebte, nicht beschützen konnte. Das war es, was ihn immer wieder zerriss.

Niemals würde er vergessen, wie er den kleinen Körper seines Sohnes getragen hatte. Wie er ihn an sich gedrückt und für ihn gebetet hatte. Seine eigenen Verletzungen hatte er erst sehr viel später wahrgenommen. Dann war da die Entscheidung gewesen, Ryans Organe zu spenden, um ein anderes Kind zu retten, um anderen Eltern zu ersparen, was sie selbst durchleiden mussten.

Tom fuhr sich über die Augen. Solange Emily und er zusammen waren, würde dieser Schmerz immer da sein, vielleicht für einen Augenblick von anderem überlagert, aber bereit, jederzeit wieder aufzubrechen.

Das Gefühl des Verlustes wog schwer, und es wurde nicht leichter. Das Leben war weitergegangen, aber der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes … war geblieben. Tom wusste: Auch wenn er hundert Jahre alt würde, würde er immer noch um sein Kind weinen.

Der bevorstehende Besuch der Nashs machte die Situation nicht leichter für ihn. Es erinnerte ihn daran, wie er gegenüber Emily versagt hatte, indem es ihm nicht gelungen war, ihren Sohn zu retten. Er hatte sie von ganzem Herzen geliebt und liebte sie immer noch, aber er wusste nicht, wie er dieses Versagen je wieder gutmachen konnte. Inzwischen war er sicher, dass Emilys Leben leichter ohne ihn war.

Wenn sie beide vollkommen neu durchstarteten – mit neuen Freunden und vielleicht sogar einer neuen Liebe –, dann ließ der Schmerz möglicherweise irgendwann nach.

Der Dienstag würde hart werden. Er hatte Beklemmungen, wenn er daran dachte, aber hätte er den Anruf entgegengenommen, hätte er genauso entschieden wie Emily. Auch wenn er wusste, wie schwer die Begegnung sein würde, wollte er doch das kleine Mädchen sehen, das Ryans Herz in ihrer Brust hatte. Das Herz, das ihr half zu leben.

Allein die Vorstellung ließ ihm einen Kloß im Hals aufsteigen. Die Themen Tod und Leben waren schmerzhaft für ihn. Vielleicht lag es auch daran, dass er so kurz nach Ryan auch seinen Freund Jeremy verloren hatte.

Der Schlaf würde in dieser Nacht nicht leicht kommen – wenn überhaupt –, aber es wäre nicht seine erste schlaflose Nacht. Tom legte die Hände hinter den Kopf und sah durch das offene Fenster hinauf zu den Sternen. Die Scheidung hing wie ein Damoklesschwert über ihm. Er wollte es hinter sich bringen, damit das Leben endlich weitergehen konnte.

Er musste verschwinden und Emily die Möglichkeit geben, ein neues Leben anzufangen.

Alle wichtigsten Arbeiten, die an ihrem Haus nötig waren, hatte er arrangiert. Nathan würde jemanden vorbeischicken, der nach ihr sah, ebenso wie er es bei Natalie machte.

Sie mussten die Scheidung besiegeln. Es würde schwer sein für ihn, weil Emily ein Teil seines Lebens war, aber es war am besten so. Zumindest für sie.

Am Dienstagmorgen duschte Tom und entschied sich für ein blaues Hemd, eine Jeans und seine besten schwarzen Stiefel. Gegen Mittag klingelte er im Haupthaus. Als Emily nicht öffnete, trat er so ein.

„Emily?“ Er hörte das Klacken ihrer Absätze, als sie den Korridor herunterkam. Ihr Anblick verschlug ihm den Atem. Sie trug das goldblonde Haar offen und nur wenig Make-up. Er liebte ihre natürliche Schönheit. Zu hellblauem Top und weißer Hose trug sie hochhackige blaue Sandalen.

„Du siehst wunderbar aus“, entfuhr es ihm.

„Es ist nett, dass du das sagst.“ Sie lächelte, aber der Ausdruck ihrer Augen war voller Trauer.

„Ich möchte die Nashs treffen, aber gleichzeitig weiß ich, dass es nur Schmerz bedeutet.“

„Ich weiß“, flüsterte sie. „Komm doch herein und setz dich. Du bist etwas zu früh. Ich weiß nicht, ob sie die Ranch gleich finden.“

Sie betraten das Wohnzimmer. Emily setzte sich in den dunkelblauen Ohrensessel, während er an das Fenster trat, das zur Auffahrt hinausging.

„Ich glaube, wir sollten in dieser Woche die Scheidung einreichen“, erklärte Tom. „Es ist das Beste für uns beide. Tage wie heute werden den Schmerz immer zurückbringen, und ich glaube einfach nicht, dass wir in der Lage sind, zusammen damit umzugehen.“

„Ich finde, wir gehen sehr gut damit um, Tom. Der Schmerz wird mit der Zeit abnehmen.“

„Es ist am besten, einen neuen Anfang zu machen.“ Er drehte sich zu ihr herum. „Du hast gesagt, du brauchst mich in Royal nicht. Daher habe ich mit Nathan gesprochen. Er wird jemanden vorbeischicken, der regelmäßig nachsieht, ob alles in Ordnung ist.“

„Danke.“

„Kommst du dort allein zurecht?“

„Natürlich.“ Sie lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander. Der Anblick erregte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn für einen Moment alles andere vergessen.

Er räusperte sich. „Ich habe dir ja gesagt, ich kümmere mich um die Dachdecker. Ich nehme an, sie können Anfang der nächsten Woche kommen. Wie wäre das?“

„Bestens. Danke.“

Sie war sehr höflich. So wie er sie kannte, hieß das, dass sie ihre Gefühle fest unter Kontrolle hielt. Natürlich war sie aufgewühlt, weil sie bald die kleine Polly Nash trafen. Er wandte sich wieder dem Fenster zu. Er musste diese Begegnung irgendwie hinter sich bringen. Und dann die Scheidung. Vielleicht konnte er dann wieder seinen Seelenfrieden finden.

Er sah einen Wagen die Auffahrt heraufkommen. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten. Wieder einmal fragte er sich, wieso er nicht anstelle seines Sohnes gestorben war. Emily hätte es vielleicht nicht gewollt, aber er. Und wieso war nicht er umgekommen, sondern Jeremy, der nur wenige Meter von ihm entfernt gewesen war, als das Feuer auf sie eröffnet wurde? Auf Jeremy hatte seine Familie gewartet, aber auf ihn?

Während der Wagen näher kam, dachte Tom an die beiden Situationen seines Lebens, in denen er überlebt hatte. War er dadurch nicht fast verpflichtet, etwas Sinnvolles aus seinem Leben zu machen? Als Wiedergutmachung für Ryan und Jeremy, deren Leben zu Ende war?

Emily folgte Tom auf die Veranda. Der graue Van der Nashs hielt an. Eine schlanke Frau mit glattem Haar stieg aus. Ihr Mann hielt zuerst ihr die Tür auf, dann seiner Tochter. Polly Nash war ein hübsches kleines Mädchen mit braunem Haar und braunen Augen unter langen Wimpern. Sie blieb brav bei ihrer Mutter stehen und hielt ein eingewickeltes Päckchen in der Hand.

„Mr. und Mrs. Knox, wir freuen uns, Sie wiederzusehen. Das ist unsere Tochter Polly“, sagte Becky Nash zur Begrüßung.

„Bitte nennen Sie uns doch einfach Tom und Emily“, bat Emily.

„Becky und Jason“, stimmte Pollys Mutter zu.

„Kommen Sie herein.“ Tom hielt ihnen die Tür auf.

Als sie alle im Wohnzimmer waren, bat Emily sie, Platz zu nehmen. „Vielen Dank, dass Sie uns besuchen. Machen Sie gerade Urlaub?“

Jason Nash nickte. „Wir sind jetzt auf dem Rückweg nach Colorado und dachten, wir kommen bei Ihnen vorbei.“

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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