Liebeszauber in Italien?

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Ein spontaner Kuss auf der Bühne, seitdem gilt Musikerin Daisy als neue Geliebte ihres umwerfend attraktiven Bandkollegen Jay Barwell. Doch während sie von allen Frauen beneidet wird, ahnt Daisy: Jay hat sie nur geküsst, um seine Ex-Freundin, die ihn verlassen hat, eifersüchtig zu machen. Trotzdem sehnt Daisy sich verrückterweise mit jedem Tag mehr nach seiner Nähe. Als sie sich mit ihm zu einer kreativen Auszeit in ihr einsam gelegenes Ferienhaus in Italien zurückzieht, beginnt eine heiße Sommeraffäre. Da taucht Jays Ex überraschend auf und will ihn zurück …


  • Erscheinungstag 01.06.2021
  • Bandnummer 112021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718787
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Mit dem Talent ist es schon eine komische Sache.

Manche haben ein Talent für Geschäfte, andere für das Imitieren fremder Mundarten, wieder andere fürs Backen oder für Musik, die sie kreieren, vortragen und mit der Welt teilen.

Wie Daisy Mulligan.

Ich selbst bin eine ausgesprochene Musikliebhaberin. Und als Verwalterin des Ascot-Familienvermögens kann ich dieser Leidenschaft durch Veranstaltungen wie das jährliche Ascot Music Festival und die neuen Ascot Music Awards frönen. Niemand fragt sich, was eine alte Dame wie ich mit moderner Musik zu schaffen hat. Wenn überhaupt, vermutet meine Umwelt finanzielle Gründe dahinter, was ich auch nicht rundheraus abstreiten würde.

Ganz sicher sind sie aber nicht meine Hauptantriebsfeder, denn an monetären Mitteln hat es mir nie gemangelt, seit ich das Familienunternehmen leite. Dank dieser finanziellen Unabhängigkeit kann ich mein besonderes Talent allerdings optimal einsetzen.

Ich kenne niemanden mit ähnlichen Fähigkeiten, und meine außergewöhnliche Gabe ist definitiv nichts, was als Tischgespräch taugt. Wann immer ich sie meiner Mutter gegenüber erwähnt habe, verlangte sie von mir, dass ich meine Fantastereien für mich behalte. Aber mit sechsundsiebzig Jahren erlaube ich mir mit Fug und Recht zu behaupten, dass mein Talent absolut real ist.

Ich weiß, was Menschen brauchen …

Nicht unbedingt, was sie wollen, aber was ihnen wirklich fehlt. Und ich kann dieses Wissen nicht ausblenden, obwohl es für mich vieles leichter machen würde.

In großen Menschenansammlungen springt mir die Bedürftigkeit der einzelnen Individuen regelrecht entgegen. Das ist sehr anstrengend für mich. Aber da man Gruppen nicht dauerhaft entgehen kann, musste ich lernen, damit umzugehen.

Und so manches Mal ergab sich eine Möglichkeit, mein Talent einzusetzen.

So wie vor zwei Jahren beim jährlichen Ascot Music Festival in Kopenhagen, als mein geliebter Dackel Max verloren ging, ich mir den Knöchel verstauchte und drei hübsche junge Damen zu meiner Rettung eilten. Die Kanadierin Jessica blieb fürsorglich an meiner Seite, während Daisy und Aubrey, eine Engländerin und eine Australierin, Max in der Menge suchten und ihn mir zurückbrachten. Alle drei blieben bis ins Krankenhaus an meiner Seite, unterhielten mich mit kurzweiligen Geschichten aus ihrem Leben, brachten mich zum Lachen und machten aus einem schrecklichen Tag einen der besten seit Ewigkeiten.

Zum Glück gaben sie mir ihre Kontaktdaten. So konnte ich über die sozialen Medien ihren Werdegang verfolgen, um sicherzugehen, dass mein erster Eindruck, was ihre Bedürfnisse betraf, mich nicht getrogen hatte.

Und sobald die Zeit reif war, handelte ich.

Jessica war die Erste: Sie erhielt überraschend ein Jobangebot in New York, das sogar – was nicht von mir geplant war – in einer Liebe fürs Leben endete.

Aubrey erkrankte leider, kurz nachdem wir uns getroffen hatten. Aber inzwischen geht es ihr glücklicherweise wieder gut. Was sie jetzt braucht, sind Abenteuer!

Und Daisy?

Bei ihr nahm ich mir ein wenig mehr Zeit, um ganz sicher zu sein. Seit dem Festival in Kopenhagen ist ihr Stern am Musikhimmel stetig gestiegen. Sie gewinnt an Popularität, bereist die ganze Welt und begeistert die Fans mit ihrer Musik. Aber mein erster Eindruck ist geblieben.

Daisy braucht ein Zuhause. Etwas, von dem ich vermute, dass es ihr schon lange fehlt. Etwas ganz Eigenes … ein Heim, eine Zuflucht.

Also habe ich ihr das alte Haus in Italien zugedacht. Natürlich wird es etwas Mühe erfordern, es in ein echtes Heim zu verwandeln, aber das ist beabsichtigt. Wie viel Wert legen wir schon auf Dinge, für die wir nicht arbeiten müssen? Ein Zuhause ist schließlich einer der größten und wichtigsten Schätze überhaupt.

Vielleicht noch mehr, wenn wir es mit jemandem teilen.

Aber Liebe liegt außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs und meiner Erfahrung. Ich habe Max, und das reicht mir.

Aber ich gebe unumwunden zu, dass es mich interessiert, was Daisy aus ihrem neuen Zuhause machen wird.

1. KAPITEL

Gegen die hellen Scheinwerfer anblinzelnd versuchte Jay Barwell wenigstens die erste Publikumsreihe auszumachen – vergeblich. Aber er hegte nicht den geringsten Zweifel, vor einem vollen Stadion zu spielen, nur lief es nicht wie gewohnt. Trotz der Unterstützung seiner treuen Fans, die ihm nachreisten, egal, ob er in L. A., London oder Dallas auftrat. Und das, seit er und sein Bruder Harry die Band Dept135 gegründet hatten. Nur heute erreichte er sie nicht wirklich.

Die Band fühlte es offenbar auch. Harrys Gitarre klang gequält, Nicos Schlagzeugsoli fehlte der richtige Beat, und selbst Benjis Bassgitarre schwächelte. Das alles war seine Schuld. Seit Milli ihn verlassen hatte, fehlte ihm einfach der Drive.

Er musste sich zusammenreißen und einen Auftritt hinlegen, der das Geld wert war, das die Zuschauer für ihre Tickets bezahlt hatten! Wenn er nur wüsste, wie …

Um wirklich gut zu sein, war er gedanklich noch viel zu sehr in seine Probleme und sein Versagen verstrickt. Vielleicht hatte Harry recht gehabt und es war tatsächlich eine schlechte Idee gewesen, so bald nach der Trennung auf Tour zu gehen. Jay hatte es für die richtige Medizin und Ablenkung gehalten, um mit der Erkenntnis fertig zu werden, dass eine Liebe, die er für sicher und verbrieft gehalten hatte, für immer dahin war.

Der Song endete in einem musikalischen Wimmern, und der Beifall, den sie dafür ernteten, war nur ein schwaches Anerkennungsklatschen im Gegensatz zum üblichen frenetischen Applaus.

Jay wandte den Kopf und begegnete einem intensiven Blick. Er kam von Daisy Mulligan, die so etwas wie ihre Vorgruppe war. Wie sie ihre Unterlippe durch die Zähne zog, bewies, dass auch sie hörte und spürte, dass hier etwas daneben ging.

Daisy war noch ein Neuling im Musikbusiness, aber talentiert und mit dem Herzen dabei.

Wenn sein Auftritt ein einmaliges Versagen wäre, hätte Jay es locker abschütteln und sich auf den nächsten Auftritt fokussieren können. Aber der Wurm steckte in der ganzen Tour. Das war eine Katastrophe, da er nicht wusste, wie er den negativen Verlauf beeinflussen oder aufhalten konnte.

Der nächste Song war zumindest ein Duett.

Er und die Jungs hatten Daisy vor zwei Jahren auf einem Festival in Kopenhagen getroffen, wo sie einen ihrer ersten Hits gesungen hatte: With You. Im Grunde war das Stück ein schlichter Lovesong, allerdings garniert mit ungewöhnlichen Harmonien und so eigenwillig arrangiert, dass er das Potenzial zu einem Ohrwurm hatte. Als sie vereinbart hatten, dass Daisy mit ihnen als Support-Act auf Tour ging, hatte Jay vorgeschlagen, ihren Song als Duett zu präsentieren.

Was sich als guter Schachzug erwiesen hatte, da es seit Tourbeginn der einzige Titel war, der beim Publikum echte Begeisterung hervorrief.

Daisy griff sich ihre Mandoline, enterte die Bühne und kam direkt auf ihn zu.

„Alles klar bei dir?“, murmelte sie, während sie neben ihm Position bezog.

Er schüttelte nur kurz den Kopf, weil er ihre Frage mehr erahnt als verstanden hatte, da der Applaus angesichts ihres Auftritts in begeisterten Jubel überging. Die Gäste hatten Daisy heute schon einmal spielen und singen hören, und Jay musste zugeben, dass die Tour für sie, im Gegensatz zu seiner Band, geradezu phänomenal verlief.

„Egal, lass uns das durchziehen …“, brummte er.

Sobald die ersten Akkorde erklangen, spürte Jay, wie sein Selbstvertrauen und seine Laune stiegen. Vielleicht, weil er sich jetzt in erster Linie auf die junge Sängerin und Songwriterin neben ihm konzentrieren konnte anstatt auf das Publikum.

Sie fing seinen Blick auf, und zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Jay. Ihm war, als wenn er seit Beginn der Tour jeden Abend diesem einen Moment entgegenfieberte, weil es ihm dann endlich gelang, sich wieder in der Musik zu verlieren – auf eine Weise, wie es ihm seit Millis Abreise nicht mehr gelungen war.

Seit er erkannt hatte und akzeptieren musste, dass das, was er für wahre Liebe gehalten hatte, nur Show gewesen war.

Die Menge fühlte offensichtlich wie er. Sobald ihr Duett begann, wurde es ganz still im Publikum. Die betörenden Harmonien schienen gen Himmel zu steigen und über ihren Köpfen zu schweben. Jay spürte, wie die Anspannung in seinem Körper nachließ. Hoffentlich gelang es ihm, diese Energie bis zu ihrer Finalnummer aufrechtzuerhalten … allein schon, um sich und dem Rest der Welt zu beweisen, dass er mit gerade mal dreißig noch lange nicht am Ende war.

Während sie sangen, neigte er sich Daisy instinktiv immer weiter zu. Irgendwann registrierte er, dass sie ihm ebenfalls entgegenkam. Der Songtext war aber auch unglaublich emotional und die Harmonien so bewegend, dass es von beiden Seiten eine natürliche Reaktion zu sein schien. Immerhin war es ein Lovesong …

Daisy lächelte ihn mit funkelnden Augen an, und nicht zum ersten Mal war er überwältigt von ihrem Liebreiz und Charme. Große grüne Augen unter einem dunklen Haarschopf. Sie war so zierlich und klein, dass sie ihm kaum bis zur Schulter reichte.

Aus einem spontanen Impuls heraus legte Jay einen Arm um Daisys schmale Taille und zog die junge Musikerin an sich, während die Menge so begeistert jubelte, wie er es sich den ganzen Abend über gewünscht hatte.

Er neigte den Kopf, um sich bei Daisy zu bedanken. Ihr Blick nahm ihn gefangen. Diese Wärme und Hingabe, die Begeisterung um sie herum, all das stieg ihm zu Kopf, und ehe er wusste, was er tat, küsste er Daisy auf den Mund und versetzte das Publikum damit in ekstatischen Jubel.

Und sich selbst in einen Zustand, wie er ihn seit Monaten nicht mehr verspürt hatte.

Erst als er sich zurückzog und sah, dass Daisys weicher Blick sich in Empörung und Zorn verwandelt hatte, dämmerte Jay, was ihm nach dem Konzert drohte.

Die lautstarke Begeisterung der Zuschauer klingelte immer noch in Daisys Ohren, als sie zwei Tage und zwei Auftritte später nach dem Tour-Ende die Bühne verließ … und in ihre private Hölle eintrat.

„Daisy! Was für ein phänomenaler Auftritt! Feiern Jay und du diesen Erfolg später zusammen? Kannst du uns nicht einen kleinen Wink geben, was euren aktuellen Beziehungsstatus betrifft?“

Nein, weil es ganz einfach keine Beziehung gibt! Das hätte sie dem nervigen Reporter am liebsten an den Kopf geknallt. Doch aus leidiger Erfahrung wusste Daisy, dass man ihr nicht glauben würde. Wie denn auch nach dem verdammten Kuss, den Jay ihr vor zwei Tagen in Philadelphia aufgezwungen hatte?

Natürlich hatte er sich gleich darauf entschuldigt und irgendetwas von einer Showeinlage fürs Publikum gemurmelt. Aber ihr Manager Kevin war zu ihrem Leidwesen vor Begeisterung völlig aus dem Häuschen gewesen! Innerhalb weniger Stunden hatten sich etliche Kussfotos via Internet verbreitet, und die Kartenverkäufe für die verbleibenden Tourtermine waren anlässlich wilder Spekulationen über ihre angebliche Beziehung in die Höhe geschossen.

Die Wahrheit schien niemanden zu interessieren … noch etwas, was man lernte, wenn man fast eine Berühmtheit war. Natürlich war es von Jays Seite nicht mehr als ein spontaner Impuls gewesen. Nur, wie sollte sie damit umgehen, dass ihr Herz jedes Mal ganz oben im Hals schlug, wenn sie an den Kuss dachte?

Der Reporter wartete immer noch auf Antwort.

„Ja, es war ein großartiger Abend und ein fantastisches Publikum“, flüchtete sie sich in unverbindliche Floskeln, die zumindest der Wahrheit entsprachen. Im Gegensatz zu den absurden Gerüchten um Jay und sie.

Doch die aufdringlichen Paparazzi ließen nicht locker.

Nie hätte Daisy gedacht, dass ihr Privatleben fremde Leute derart faszinieren würde. Es hatte sie ohnehin überrascht, wie sehr man sich für ihre Musik und Bühnenpräsenz interessierte. Aber seit Kopenhagen hatte ihr Leben insgesamt ihre wildesten Erwartungen und Träume übertroffen.

Das Festival vor zwei Jahren hatte ihr noch weit mehr beschert als eine steile Karriere, nämlich gute Freunde. Dazu zählten nicht nur Jay und der Rest seiner Band Dept135, sondern auch zwei ganz besondere Freundinnen, mit denen zusammen Daisy damals einer ebenso reizenden wie extravaganten alten Dame hatte beistehen können, als deren Hund ausgebüxt war und sich Viv zu allem Überfluss auch noch den Knöchel verletzt hatte.

Persönlich hatten die Mädels und sie sich nach ihrem Abenteuer in Dänemark nicht mehr gesehen, aber sie waren über die sozialen Medien in regem Kontakt geblieben. Tatsächlich hatten Jessica und Aubrey in den Folgemonaten als eine Art Rettungsanker für Daisy fungiert, als der Ruhm überraschend kam und ihre Welt auf den Kopf stellte.

Dabei kämpften beide auch mit eigenen Problemen. Aubrey war schwer erkrankt und obwohl inzwischen wieder auf dem Weg der Besserung, immer noch nicht ganz auf dem Posten. Und Jessica hatte gerade ein aufregendes Jobangebot in New York bekommen, während für Daisy alles, wovon sie jemals geträumt hatte, in Erfüllung gegangen war: allabendliche Auftritte während einer Welttournee mit eigenen Songs und Kompositionen als Vorgruppe und Unterstützung einer der angesagtesten Bands des Universums!

Glaubte man den Medien, war sie dazu noch in eine wilde Romanze mit Jay Barwell verstrickt, der drei Jahre hintereinander zum Sexiest Man Alive gekürt worden war.

Natürlich war dieser Teil der Geschichte reine Fiktion, die schon vor dem berühmtberüchtigten Kuss die Runde gemacht hatte. Aber Daisy wusste, dass Jay immer noch an seiner Ex-Freundin hing, dem amerikanischen Popstar Milli Masters … was vermutlich auch der Grund für den Kuss-Überfall gewesen war. Vermutlich wollte er Milli damit beweisen, dass er sie längst vergessen hatte, was natürlich nicht stimmte.

Daisy konnte das bis zu einem gewissen Punkt sogar nachvollziehen und mit den kursierenden Gerüchten leben. Schließlich schuldete sie Jay eine Menge, allerdings nicht genug, um sich ständig mit den penetranten Paparazzi abgeben zu müssen, die sie nach jedem Auftritt zu ihrem Sexleben auszuquetschen versuchten.

Sie riss sich zusammen, zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmassen. Ab und zu blieb sie stehen, um Autogramme für ihre Fans zu schreiben. Dabei ignorierte sie die dreisten Zurufe so gut wie möglich.

Stimmt es, dass Jay Sie anlässlich Ihres Geburtstags nach Paris entführt hat?

Daisy, glauben Sie, dass er Ihnen bald einen Antrag machen wird?

Wie enttäuscht wohl alle wären, wenn sie wüssten, dass sie ihren Geburtstag alleine in ihrem Hotelzimmer verbracht hatte, abgesehen von einer Facetime mit Aubrey und Jessica, die beide Happy Birthday gesungen hatten. Jay und die Jungs hatten nicht einmal gewusst, dass sie Geburtstag hatte. Es war einer der seltenen freien Tage im Tourplan gewesen, und alles, wonach ihr der Sinn gestanden hatte, war schlafen.

Von einem Glamour-Promi-Lifestyle war das Tourleben so weit entfernt, wie es nur sein konnte. Und was einen möglichen Antrag von Jays Seite betraf …

Ha! Selbst wenn sie tatsächlich eine Romanze hätten, würde das nie passieren!

Sie war einfach kein sesshafter Typ. Zu lange an einem Ort zu verweilen, machte sie unruhig. Tatsächlich hatte sie die ersten sechzehn Jahre ihres Lebens daran gearbeitet, den Ort verlassen zu können, an dem sie geboren und aufgewachsen war. Es gab zu viel Neues und Aufregendes in der Welt zu sehen, und das Leben war einfach zu kurz, um sich niederzulassen und es nur mit einer Person zu verbringen.

Ihr Zuhause war überall, ihre Familie die Musiker, die sie unterwegs traf, und ihre wahren Freunde über die ganze Welt verteilt – Aubrey in Australien und Jessica in Kanada oder New York. Die einzigen Dinge, die ihr heilig waren, waren ihre Gitarre, ihre Mandoline, das Songschreiben und die eigene Stimme.

Was brauchte sie sonst noch? Außer vielleicht einem Platz außerhalb des Tourbusses, um ungestört schlafen oder den Kopf freibekommen zu können, ohne dass jemand sie mit Fragen löcherte oder ständig ihren Namen rief.

„Daisy Louise Mulligan?“

Über das Getöse der Menschenmenge und der Musik hinweg, die immer noch durch die Stadionlautsprecher dröhnte, rief jemand leise, aber beharrlich immer wieder ihren Namen.

Suchend schaute sie um sich, bis ihr Blick an einem unscheinbaren Mann im grauen Anzug hängenblieb. Mit Sicherheit kein Paparazzo oder aufdringlicher Fan.

„Ja?“

„Wenn Sie mit mir kommen könnten … Es geht um einige rechtlich relevante Informationen, die ich Ihnen unterbreiten möchte.“

Instinktiv wich Daisy bei Ausdrücken wie rechtliche Informationen zurück. Nach ihrer Erfahrung bedeutete das nur eins: Ärger! Auch wenn sie ziemlich sicher war, nichts Illegales getan zu haben, seit sie mit sechzehn von zu Hause weggegangen war.

Ob jemand mich verklagt hat? So etwas kam vor, wenn man unverhofft berühmt wurde, oder? Jay war das passiert, auch wenn der Fall schließlich außergerichtlich geklärt wurde, nachdem sich alles als Irrtum herausgestellt hatte.

Aber zurück zu ihrem akuten Problem …

„Werde ich verklagt?“, fragte Daisy.

Der Mann im grauen Anzug lächelte schwach und schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil, Miss Mulligan. Ich habe sogar sehr gute Nachrichten für Sie.“

Wenn überhaupt möglich, zog sich Daisy jetzt noch mehr von ihm zurück. Irgendwie machte sie diese Ankündigung noch nervöser. An schlechte Nachrichten, Katastrophen und Probleme war sie gewöhnt. Und sie glaubte, ihren Anteil am Glück bereits vom Schicksal zugeteilt bekommen zu haben, als Jay aufgetaucht war und sie als Vorgruppe für sich und seine Band engagiert hatte.

Wie immer diese ominöse Nachricht auch lauten sollte, Daisy suchte bereits jetzt nach dem unvermeidlichen Haken. Gute Dinge forderten immer auch irgendeinen Preis.

Der Mann streckte einen Arm aus. „Wenn Sie mir bitte folgen würden?“

Als sie zurückwich, seufzte er und ließ den Arm wieder sinken. „Dort drüben gibt es ein Café … hell beleuchtet und gut besucht. Schließen Sie sich mir auf einen Kaffee an, und wir besprechen kurz die Einzelheiten Ihrer Erbschaft.“

Daisy folgte seinem Blick und sah das Café, von dem er gesprochen hatte. Es wirkte belebt, aber weder wie ein Reporternest noch wie eine Fan-Falle. Erst danach verarbeitete ihr Gehirn seine letzte Ankündigung.

„Meine Erbschaft?“ Soweit sie wusste, gab es niemanden, der wohlhabend genug war, um ihr etwas zu hinterlassen. Ihre eigene Familie, die zusammengepfercht in einer Sozialwohnung lebte, hatte kaum genügend Geld, um das Essen für ihre zahlreichen Halbgeschwister zu beschaffen. „Jemand hat mir etwas hinterlassen? Wer?“

Die letzte Frage ignorierte der Mann in Grau. „Ihnen gehört jetzt ein Haus, ein Cottage oder Rustico, wie man es vielleicht in Italien nennen würde. Wenn Sie jetzt bitte mitkommen könnten …“

Sie folgte ihm wie in Trance. Ein Haus in Italien? Wer sollte ihr so etwas Außerordentliches hinterlassen? Ein Häuschen! Das klang fast wie … ja, wie ein Zuhause.

Und das hatte sie nicht mehr gehabt, seit sie als Sechzehnjährige mit der alten Mandoline ihrer Mutter, ein paar Wechselklamotten und kaum Geld in der Tasche aus Liverpool geflohen war und nie wieder zurückgeschaut hatte.

Hier musste ein Irrtum vorliegen. Sie würde jetzt mit diesem seltsamen Herrn in Grau rüber ins Café gehen, sich anhören, was er Kurioses zu vermelden hatte, und anschließend in ihr reguläres Leben zurückkehren. Ihr ebenso aufregendes wie aufreibendes Leben voller falscher Nachrichten über ihren romantischen Status …

Alles bestens!

Ein neuer Tag, ein neuer lausiger Auftritt.

Das Duett mit Daisy war wieder der einzige Lichtblick gewesen. Mit Konzentration und Selbstbeherrschung war es Jay sogar gelungen, sie diesmal nicht mit einem Kuss zu überfallen. Doch genau deshalb war ihr Konzert auch nicht mit ihrem phänomenalen Erfolg in Philadelphia zu vergleichen.

Jay übergab dem Bühnenarbeiter seine kostbare Gitarre und winkte dem Rest der Band auf dem Weg zum Bühnenausgang müde zu, wobei er tunlichst den besorgten Blick seines Bruders Harry mied. Jetzt mit der Band abzuhängen und sich von ihrem Manager Kevin anhören zu müssen, wie spitze sie waren und was für einen großartigen Job sie heute Abend gemacht hatten, würde ihn an den Rand des Wahnsinns treiben.

Daisy war am Ende ihres Auftritts für eine Zugabe zurück auf die Bühne gekommen, was Jay hoffnungsvoll für sich als Zeichen verbuchte, dass sie ihm seinen Spontankuss verziehen hatte. Vielleicht bedeutete es aber auch nur, dass sie versuchte, ihn vor sich selbst zu retten.

Sie war gut. Als er Daisy vor zwei Jahren zum ersten Mal in Kopenhagen hatte spielen sehen, hatte er ihr Talent auf Anhieb als etwas Rares und Kostbares erkannt. Deshalb hatte er auch nicht gezögert, sie mit an Bord zu nehmen – zumal es von Vorteil war, dass sie sich im Genre und Stil ausreichend voneinander unterschieden, um nicht in direkter Konkurrenz zu stehen.

Außerdem verstand sie sich gut mit den anderen Bandmitgliedern, was bei den Support-Acts nicht immer der Fall war, wie Jay aus leidvoller Erfahrung wusste. So gesehen war es eine gute Entscheidung gewesen, sie zu bitten, das Opening für ihre Auftritte zu übernehmen. Allerdings wurde Jay das Gefühl nicht los, dass ihr das ständige Reisen langsam zu schaffen machte.

Dieser Tour Lifestyle war auch nicht jedermanns Sache. Er war sich ja nicht einmal sicher, ob er ihn nach fast einem Jahrzehnt on the Road noch wollte. Aber genau das erforderte das aktuelle Musik-Business, und Daisy war einfach großartig auf der Bühne.

Die Probleme traten erst nach der Session auf. Und da er sich wegen seiner unbedachten Kuss-Attacke nicht nur mitschuldig an ihrem Zustand, sondern auch immer noch als ihr Mentor fühlte, sah er sich in der Pflicht, ihr einen Wink zu geben, dass es nicht besonders klug war, das Management zu verprellen.

Sogar der gutmütige Harry hatte die Augenbrauen gehoben, als Daisy direkt nach dem Soundcheck ohne ihre Mandoline und ohne Erklärung davongestürmt war, sodass jemand anderes das kostbare Instrument bis zum Auftritt in Verwahrung hatte nehmen müssen.

Also ließ Jay die anderen in der Umkleidekabine zurück, damit sie sich einen wohlverdienten Drink genehmigen konnten, und klopfte Harry beschwichtigend auf den Rücken, bevor er Daisy nachging.

Sie hatte einen Vorsprung, aber er konnte ihren dunklen Haarschopf in dem Gewimmel von Fans, Journalisten und Fotografen immer noch ausmachen. Dann blieb sie stehen, um ein paar Autogramme zu geben, was er als gutes Zeichen wertete.

„Jay!“ Pamela Pearson, eine Musikjournalisten, der er sonst tunlichst aus dem Weg ging, erwischte ihn am Arm. „Wie gut, dich wiederzusehen! Und dann so entspannt und glücklich. Da du Daisy auf die diesjährige Tour mitgenommen hast, können wir davon ausgehen, dass …“ Sie zwinkerte bedeutungsvoll.

Und Jay ertappte sich dabei, wie er mit den Zähnen knirschte.

Als sie im letzten Jahr auf Tour gegangen waren, war Daisy noch nicht bekannt genug gewesen, um von seinem Management als Opener akzeptiert zu werden. Außerdem hatten sie zu dem Zeitpunkt auch bereits eine andere Band als Vorgruppe verpflichtet. Doch seit er Kevin dazu gebracht hatte, sie sich in einer Kneipe in London anzuhören, war Daisy mit im Spiel.

Ihr Musik-Label Phoenix Records hatte einen guten Ruf, was die Förderung von Talenten betraf. Ein Teil seiner Strategie bestand darin, neue Künstler mit etablierten Stars zusammenzubringen, um ihnen den steinigen Weg an die Spitze zu ebnen. Dank ihrer Begegnung in Kopenhagen war Jay ihre offensichtliche Wahl gewesen, um Daisy zu betreuen. Also waren sie das ganze Jahr über in Kontakt geblieben.

Allerdings so sporadisch und zurückhaltend, dass es kaum jemand mitbekam, abgesehen von Milli, aber an die wollte er jetzt nicht denken. Überhaupt nie wieder!

Andererseits war exakt der Bruch ihrer Beziehung sein Hauptanreiz gewesen, sobald wie möglich wieder auf Tour zu gehen. Also hatte er Kevin und dem Label versichert, sie würden unterwegs an dem neuen Album arbeiten, was jeder gleich als Träumerei hätte entlarven müssen. Aber er war eben der Star, und so ließ man ihn mit der offensichtlichen Lüge davonkommen.

Wahrscheinlich wussten sie ebenso wie er, dass es ihm noch weniger helfen würde, zu Hause zu bleiben, wo ihn alles an Milli erinnerte. Für manchen Star mochte Herzschmerz die perfekte Inspiration sein, aber nicht für Jay.

Daisy mit auf die Tour zu nehmen, hatte sie plötzlich auf die Titelseiten sämtlicher Musikjournale gebracht und jede Menge Klatschreporter zu vorhersehbaren Schlussfolgerungen gereizt. Befeuert und angeheizt wurden sie durch seinen Spontan-Kuss in Philadelphia. Natürlich irrten sie alle, aber es war immerhin eine nette Ablenkung von den endlosen Artikeln darüber, wie sehr er Milli nachtrauerte, während sie mit einem Milliardär auf den Malediven Urlaub machte.

Nicht, dass er die entsprechenden Yellow-Press-Headlines gelesen hätte, zumindest nicht den Großteil, den Harry vorsorglich beschlagnahmte.

„Pamela …“ Jay bedachte die Journalistin mit seinem strahlendsten Lächeln. „Daisy mit uns auf Tour zu haben, ist tatsächlich ein zusätzlicher Bonus. Sie ist einfach fantastisch, sowohl auf wie abseits der Bühne.“

Autor

Sophie Pembroke
<p>Seit Sophie Pembroke während ihres Studiums der englischen Literatur an der Lancaster University ihren ersten Roman von Mills &amp; Boon las, liebte sie Liebesromane und träumte davon, Schriftstellerin zu werden. Und ihr Traum wurde wahr! Heute schreibt sie hauptberuflich Liebesromane. Sophie, die in Abu Dhabi geboren wurde, wuchs in Wales...
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