Nur du und ich und die Prärie

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Als Cougar von der Armee zurückkehrt, haben seine Einsätze Narben hinterlassen - vor allem in seiner Seele. Auf einer Ranch für Wildpferde sucht er Frieden - und findet Celia. Für die Lehrerin ist die Ranch wie ein zweites Zuhause, denn die Nähe zu den Tieren tut ihrem kranken Sohn gut. Cougar fühlt sich von der starken und doch verletzlichen Frau angezogen - und als sie in einer Scheune Zuflucht vor einem Sturm suchen, will er sie nie mehr loslassen. Es ist, als sei er wieder im Leben angekommen. Doch kann ein Mann mit seiner Vergangenheit an Liebe und Glück glauben?


  • Erscheinungstag 02.09.2012
  • Bandnummer 1852
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461493
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Fahrer des schwarzen Pick-ups starrte gebannt auf das wuchtige, zweistöckige, weiße Haus am Ende der Straße. Es war alt und brauchte dringend einen frischen Anstrich. Nur das Schild am Geländer der Veranda war neu.

Office

Double D Wildhorse Sanctuary

Es war die Art von Kontrast, die magisch seinen Blick auf sich zog und ihn wachsam werden ließ, obwohl er sich mühsam angewöhnt hatte, gelassen zu bleiben. Es gab keinen Grund zur Nervosität. Schließlich war er wieder in den Staaten. South Dakota. Land der Häuptlinge aus Granit und aller tapferen Vorfahren.

Nur weil an diesem viel zu ruhigen Ort irgendetwas nicht zusammenzupassen schien, musste Cougar nicht in Deckung gehen. Er war hier, weil er einen Tipp von einer Kameradin bekommen hatte. Die einzigen Menschen, denen er heutzutage noch traute, waren die Typen, mit denen er in der Armee gedient hatte. Und Sergeant Mary Tutan gehörte zu den anständigsten „Typen“, die er kannte.

Sie konnte ihm zwar nichts mehr befehlen, aber sie hatte ihn aufgespürt, ans Telefon holen lassen und so mit ihm gesprochen, dass er fast Haltung angenommen hätte. Setz deinen Hintern in Bewegung, Soldat! Meine Freundin Sally Drexler veranstaltet einen Wettbewerb, bei dem es darum geht, Wildpferde zu trainieren. Und dieser Wettbewerb ist genau das, was die Ärzte für einen Veteranen wie dich empfehlen.

Dann hatte sie sich verbessert: Ihre Freundin hieß jetzt nicht mehr Sally Drexler, sondern Sally Night Horse, weil sie einen Indianer geheiratet hatte. Ob er Hank Night Horse kannte? Oder Logan Wolf Track?

Als ob alle Indianer einander kannten.

Das Privatleben des Sergeants interessierte Cougar nicht, aber beim Wort Wildpferde hatte er die Ohren gespitzt. Und Training, Wettbewerb und Preisgeld klangen auch ziemlich reizvoll.

Er hatte viel zu lange ohne Pferde gelebt, und als er eines etwa eine halbe Meile entfernt über die Weide traben sah, musste er lächeln. Eine hübsche braune Stute, gefolgt von einem kräftigen gescheckten Hengstfohlen. Ein heißer South-Dakota-Wind wehte.

Cougar freute sich über den Geruch von Pferdeschweiß, Büffelgras und über den Lehmstaub, den sein Pick-up aufwirbelte. Sein Bruder Eddie hatte ihn „aufgemotzt“, aber auf die übergroßen Reifen hätte er verzichten können. Ebenso wie auf so manche andere Überraschung, die ihn bei seiner Heimkehr erwartet hatte. Aber er wollte seinem Bruder keine Vorwürfe machen, denn Eddie hätte für immer geschmollt, wenn Cougar ihm vorgeworfen hätte, so viele Meilen in seiner Abwesenheit mit dem Wagen gefahren zu sein.

Für das „Hauptquartier“ der angeblich größten privat unterhaltenen Schutzstation für Wildpferde in den Dakotas sah das Haus ziemlich ruhig aus. Die Größe des Reservats interessierte Cougar nicht. Hauptsache, es hielt, was sein Ruf versprach. In letzter Zeit war er in zu vielen Sackgassen gelandet.

Auch am Ende dieser Straße schien es kaum menschliche Aktivität zu geben, aber dafür tauchte aus dem wogenden Grasmeer ein Pferd nach dem anderen auf. Sie blieben auf Abstand, aber sie beobachteten ihn und registrierten jede Bewegung.

Genau wie Cougar. Sein Überlebensinstinkt war nicht so ausgeprägt wie bei den Pferden, aber er war höher entwickelt als bei jedem anderen Menschen, ob nun Mann, Frau oder …

… Kind.

Cougar stieg auf die Bremse. Er sah nichts, hörte nichts, aber Augen und Ohren nahmen nicht alles war. Das wusste er. Männer und Frauen konnten auf sich aufpassen, aber Kinder waren wie Fohlen. Immer verletzlich. Sie sandten Signale aus, und Cougar empfing sie mit dem Bauch. Was eine verdammt gute Sache war. Ohne seinen Bauch hätte er nichts unternommen.

Und wäre da nicht die rote Baseballkappe gewesen, hätte er vermutlich geglaubt, dass er wieder halluzinierte. Dann hätte er wahrscheinlich Gas gegeben. So rettete die rote Kappe sowohl das Kind als auch den Fahrer.

Und die Ziege.

Cougar hatte die Augen weit aufgerissen. Sein Puls hämmerte. Die Ziege flüchtete, und oberhalb der in Tarnfarben gestrichenen Stoßstange erschien eine kleine Hand.

Stoppen Sie nicht, Sergeant. Das Kind bedeutet nichts Gutes. Wenn Sie langsamer werden, sind wir erledigt. Stoppen. Sie. Nicht.

Cougar schloss die Augen, holte tief Luft, legte den Rückwärtsgang ein, drehte sich um, ließ den Motor aufheulen und hätte fast seinen Anhänger zum Umkippen gebracht. Als er wieder nach vorn schaute, war die Ziege weg. Er sah ein hellhaariges Kind in dunkelblauen Jeans. Es lag auf dem Bauch. Er sah den Kühler seines schwarzen Pick-ups. Er sah eine rot-weiß gestrichene Scheune, eine Schotterstraße und die Erde von South Dakota.

Er zog die Handbremse an, stieß die Fahrertür auf und sprang hinaus. Seine Stiefel berührten den Boden in dem Moment, in dem das Kind sich auf Hände und Knie stützte. Es blickte zu Cougar hinauf, die Augen voller Entsetzen, aber ohne Tränen.

Und es lebte. Danke, Jesus.

Cougars Schatten fiel auf den Jungen wie eine Wolldecke von einer oberen Pritsche. Seine Knie gehorchten ihm nicht, also blieb er stehen. „Alles in Ordnung?“

Der Junge starrte ihn an.

„Ich habe dich nicht gesehen“, sagte Cougar und flehte den Jungen stumm an, endlich aufzustehen. Aufstehen zu können. „Bist du verletzt?“

Der Junge streckte einen Arm aus, zeigte zur anderen Straßenseite und lächelte. Cougar schaute über die Schulter und bemerkte eine graue Katze.

„War die das?“ Er drehte sich zu dem Jungen um. „Eine verdammte Katze? Eine Sekunde lang dachte ich …“

Seine Beine begannen zu zittern, und ein Knie knackte, als er in die Hocke ging. „Jesus“, flüsterte er, stützte einen Ellbogen auf die Knie und legte den Kopf in die Hände. Sein Herz schlug gegen die Rippen. Er brachte es nicht fertig, dem Kind in die Augen zu sehen. Noch nicht. Er wollte ihm keine Angst machen. Er wollte ihnen beiden keine Angst machen.

Eine kleine Hand landete leicht wie ein Vogel auf seiner Schulter. Er zuckte zusammen, beherrschte sich jedoch. Aus den Augenwinkeln sah er die rote Kappe. Er fühlte, wie der Wind sein Haar zerzauste, roch das Gras und hörte das leise Brummen des Pick-ups hinter ihm.

Es war sein eigener Wagen, keiner von der Army. Er klammerte sich ans Hier und Jetzt und musterte den Jungen von Kopf bis Fuß, nur die Augen ließ er aus. Er traute sich nicht zu, dem Jungen in die Augen zu schauen. Dazu war er noch nicht stark genug.

„Das war knapp, was? Du hast mich zu …“

Kein Wort von dem Jungen.

Cougar riskierte es, die Hand auf seiner Schulter zu tätscheln. Seine Finger zitterten nicht. „Aber dir ist nichts passiert, oder? Du hast dir nicht wehgetan, oder?“

Keine Antwort. Entweder hatte es dem Jungen die Sprache verschlagen, oder er war taub.

Oder blind. Jedenfalls auf einem Auge. Das andere bewegte sich nicht. Cougar betrachtete ihn noch einmal von Kopf bis Fuß. Blut war nur am aufgeschürften Knie durch ein Loch in seinen Jeans zu sehen.

Wortlos drehte der Junge sich um und rannte davon. Cougar stand langsam auf und blickte die Straße entlang.

An der Scheune flog eine Seitentür auf, und die Mutter kam heraus. „Mark!“, rief sie besorgt.

Auf die Plätze, fertig, los! Cougar hörte es im Kopf, wo der Puls im Rhythmus seiner Schritte schlug. Er stieg in den Pick-up und fuhr los. Im Schneckentempo. Vorbei am Haus und zur Scheune. Die Frau war klein, schlank, hübsch und ziemlich aufgebracht. Er musste mit ihr reden. Daran führte kein Weg vorbei.

Er parkte, holte tief Luft, sagte sich, dass er heute niemanden getötet hatte, stieß die Luft wieder aus und dankte dem Himmel. Nur für den Fall, dass dort oben jemand zuhörte. Den Trick mit dem langsamen Durchatmen hatte er vom Doc, und er schien zu funktionieren.

„Geht es dem Jungen gut?“, rief Cougar, als er die Wagentür hinter sich zuwarf.

Die Frau hielt das Gesicht des Jungen zwischen den Händen. Cougar beobachtete, wie ihr langer Pferdeschwanz wippte, als sie ihren Schützling untersuchte. Das volle Haar schwang von einer Schulter zur anderen, als sie sich zu ihm drehte und ihn mit großen, leuchtend braunen Augen ansah. „Was ist passiert?“

Allein wegen der faszinierenden Augen wünschte er, er hätte eine Antwort. „Was immer er Ihnen erzählt hat.“ Er wagte einen Schritt in ihre Richtung. „Ich selbst bin mir noch nicht sicher.“

„Er hat mir gar nichts erzählt. Er spricht nicht.“

Cougar senkte den Blick, bis er den Jungen erfasste. „Deshalb konntest du mir nichts sagen. Aber du bist weggelaufen, bevor ich mich …“ Er streckte die Hand aus. „Es tut mir leid. Ich habe dich nicht gesehen.“

„Was ist passiert?“, wiederholte die Frau.

„Ich könnte behaupten, dass er aus dem Nichts aufgetaucht ist, aber das würde nach einer Ausrede klingen. Ich weiß nur, dass ich scharf gebremst habe und …“ Er schüttelte den Kopf. „Erst habe ich seine Kappe gesehen, dann eine Hand, und ich dachte, ich hätte …“ Er warf dem Jungen einen Blick zu, und in ihm zog sich etwas zusammen. „Jemanden angefahren.“

„Sie haben angehalten, bevor Sie etwas gesehen haben?“

„Ja. Ich …“ Er musste ehrlich zu ihr sein. Wenigstens das war er ihr schuldig. „Ich hatte so ein Gefühl. Es ist schwer zu erklären. Wahrscheinlich habe ich die Landschaft bewundert.“ Er rückte seinen neuen braunen Stetson zurecht und scharrte mit den Stiefeln im Kies. „Ich habe ihn nicht gesehen. Habe nicht gehupt. Nichts.“

„Ich wollte nur …“ Sie zeigte auf die offene Tür. „Oh Gott, ich habe nicht auf ihn geachtet. Ich habe ihn aus den Augen gelassen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Eine Minute lang. Mehr als eine Minute.“ Sie drückte den Kopf des Kleinen an sich. Er passte genau zwischen ihre Brüste. Der Junge umarmte sie kurz und schlüpfte aus ihren Armen. „Oh, Markie, ich dachte, du hättest mit den Kätzchen gespielt.“

„Ich glaube, die Katzenmutter ist weggelaufen. Er wollte sie wohl einfangen.“ Cougars Blick traf sich mit dem des Jungen. „Richtig, Mark? Du wolltest die Katzenmutter zu ihren Babys zurückbringen?“

„War es knapp?“, fragte die Frau so leise, dass er sie kaum verstand.

„Er muss hingefallen sein, denn er lag mit dem Gesicht im Staub. Hat sich die Jeans aufgerissen.“ Cougar wandte sich ihr zu. „Und er kann auch nicht hören?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Soweit wir wissen.“

„Gibt es dafür keine Tests?“ Du hast gerade die Grenze überschritten, Cougar.

„Doch, natürlich. Tests. Alle möglichen.“ Sie gab ihm die Hand. „Ich bin Celia Banyon. Mein Sohn Mark gibt uns Rätsel auf. Wir wissen nicht genau, was mit ihm los ist.“

„Ja, es war knapp.“ Seine Knie wurden weich. Lag es an der Wahrheit oder an ihrer Berührung? Er blickte zur Seite. „Wirklich knapp.“

„Ich bin …“ Sie räusperte sich, wich einen Schritt zurück, und ihre Hand glitt aus seiner. „Sind Sie hier, um Sally zu sprechen?“

Richtig. Dass ich hier bin, hat nichts mit einem Kind zu tun.

„Ja, ich bin wegen des Wettbewerbs hier. Ich heiße Cougar.“

„Vorname? Nachname?“

„Beides.“ Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu, und er probierte es mit einem Lächeln. „Einfach nur Cougar. Ein Name ist genug.“ Er schaute zum Haus hinüber. „Ist sie hier?“

„Nein, heute halten Mark und ich die Stellung. Alle anderen sind draußen unterwegs oder kümmern sich ums Geschäft. Sind Sie Trainer?“

„Ich habe meine eigenen Pferde trainiert, ja. Eine gute Freundin hat mir von dem Wettbewerb erzählt, und da dachte ich, ich sehe mich mal um und finde heraus, ob ich mich qualifizieren kann.“

„Mustang Sally’s Wild Horse Makeover Competition. Mit dem Wettbewerb habe ich nichts zu tun. Wir arbeiten ehrenamtlich für die Schutzstation. Nicht wahr, Mark?“ Sie berührte den Jungen an der Schulter, und er sah zu ihr hoch. „Wir helfen Sally mit den Pferden.“ Sie wandte sich wieder Cougar zu und hielt sich eine Hand an die Stirn. „Sally und ihr Mann haben einen Termin. Alle anderen sind bei der Arbeit. Ich könnte Ihnen eine Informationsbroschüre aus dem Büro holen.“ Sie lächelte dem Jungen zu. „Wir müssen uns sowieso um dein Knie kümmern.“

Mark starrte Cougar an, bis dieser sich ein zweites Lächeln abrang.

„Wo war er denn?“, fragte Celia. „Weit weg kann er nicht gewesen sein, oder? Er war bei mir und dann …“

„Er ist ziemlich schnell.“

„Ich weiß.“ Sie seufzte.

„Ich komme später wieder.“ Cougar trat einen Schritt zurück. Ihre Sorgen gingen ihn nichts mehr an. Der Junge war unverletzt.

„Falls Sie Sally Ihre Nummer hierlassen möchten …“

„Ich rufe sie an. Wahrscheinlich fahre ich nach Sinte zurück und bleibe eine Weile dort.“

„Ich sage Sally Bescheid. Woher kommen Sie?“

„Wyoming. Aus der Gegend um den Wind River.“

Sie nickte und lege den Arm um den Jungen. „Das nächste Mal …“

„Ja.“ Er zwinkerte Mark zu. „Das nächste Mal sind wir vorsichtig. Wir passen beide aufeinander auf.“

Ein Stück die Straße entlang begegnete Cougar der grauen Katze. Sie saß genau dort, wo er sie zuletzt gesehen hatte, als würde sie darauf warten, abgeholt zu werden. Er hielt an und hob sie auf. Die Katze wehrte sich nicht, nicht einmal, als er eine Hand um ihren Bauch legte. Er konnte ihre geschwollenen Zitzen fühlen. Der Anhänger machte das Wendemanöver schwierig, aber er wollte auf keinen Fall rückwärtsfahren. Mit toten Winkeln kannte er sich aus.

Celia erschien in der Tür, hielt die Hand vor die Sonne und blickte ihm misstrauisch entgegen. Vermutlich fürchtete sie, dass er die Ranch ausgekundschaftet hatte und nichts Gutes im Schilde führte. Das konnte er ihr nicht verdenken.

„Ich habe die Katze gefunden!“, rief er beim Aussteigen und drückte das Tier an die Brust. „Dachte mir, es könnte ihn trösten.“

„Danke.“ Sie nahm Cougar die Katze nicht ab, und er reichte sie ihr nicht. Die Frau sah blass aus. Vielleicht hatte der Schock erst nach seiner Abfahrt eingesetzt. Sie musterten einander, während er wie ein zu groß geratener Junge dastand und die Katze hinter den Ohren kraulte.

„Sie wäre von allein zurückgekommen“, sagte Celia auf dem Weg in die Scheune.

Die Katze begann zu schnurren. Er mochte das. „Ich bin wie der Junge und will nicht, dass sie sich zu weit von ihrem Wurf entfernt.“

„Mark spielt mit ihnen. Ich glaube nicht, dass er weiß, wie … Leider habe ich ihm noch nicht klarmachen können, dass er … nicht einfach …“

Cougar hockte sich neben den Jungen und setzte die Katze in die mit Zeitungspapier ausgelegte Kiste, sehr zur Freude der miauenden Kätzchen.

„Sieh nur mal, wie willkommen die Mama ist“, sagte Celia.

Cougar beobachtete, wie die Kätzchen sich zum Mittagessen um die Zitzen der Mutter drängten. Mark achtete darauf, dass alle sieben einen Platz fanden. Er schien ganz vergessen zu haben, wie knapp er einer Katastrophe entgangen war. Aber vielleicht hatte er auch schon seine Lektion gelernt und würde in Zukunft vorsichtiger sein.

Cougar wünschte, er hätte den Vorfall ebenso gut verkraftet, was er vermutlich mit der Mutter des Jungen gemeinsam hatte. Er drehte sich um und wollte in ihren großen braunen Augen nach einer Bestätigung suchen, doch sie war nicht mehr da. Offenbar hatte sie keine Angst, ihn mit Mark allein zu lassen.

Woher wusste sie, dass sie ihm vertrauen konnte? Sie hatte ihm bereits verraten, dass sie und der Junge allein im Haus waren. Natürlich ging es ihn nichts an, aber vielleicht sollte er ihr ein paar warnende Worte …

Plötzlich hörte er aus der offenen Tür zu einem dunklen Raum ein leises Weinen. Er überzeugte sich, dass der Junge beschäftigt war, und ging hinüber.

„Celia?“ Ihr Name kam ihm über die Lippen, als würde er ihn seit Jahren aussprechen.

Sie atmete tief durch, um den Schluckauf zu unterdrücken. „Es … geht mir gut.“

Es geht ihr gut. Lass sie in Ruhe. „So hören Sie sich aber nicht an.“

„Ich will nur nicht, dass er mich so sieht“, flüsterte sie verzweifelt.

Cougar betrat den Raum. Es war eine Sattelkammer, und die Frau stand zwischen dem aufgehängten Zaumzeug. Sie war so klein und schlank, dass er genau hinsehen musste, um sie zu erkennen.

„Wie knapp war es wirklich?“, fragte sie leise.

„Sehr knapp.“

„Sie haben ihn nicht gesehen, aber trotzdem angehalten?“

„Ja.“ Jetzt, da er die – selbst gesetzte – Grenze, überschritten hatte, wusste er nicht recht, was er tun sollte. Er war der Frau gerade erst begegnet, und schon hatte er das Gefühl, dass er sie anstarrte, als wäre sie nackt.

Er griff nach einem Halfter, hielt sich daran fest und machte sich auf einiges gefasst. „Manche Menschen haben Augen am Hinterkopf. Ich habe etwas im Kopf. Es registriert Dinge, die ich weder sehen noch hören kann. Manchmal, nicht immer.“

„Was immer es ist, ich könnte es gebrauchen.“

Er lachte. „Es geht nicht immer so gut aus.“

„Aber diesmal. Mark lebt in seiner eigenen Welt, und ich versuche, von außen hineinzusehen. Ich blinzle, schon ist er weg.“ Ihre Lippen zitterten, als sie Luft holte. „Aber er ist unverletzt. Warum bin ich so erschüttert?“

„Ich habe mich auch noch nicht von dem Schreck erholt. Wir wissen beide, was alles hätte passieren können. Mark nicht, deshalb muss er sich im Moment keine großen Sorgen machen. Das tun wir für ihn.“

„Er weiß, was hätte passieren können. Irgendwo im Hinterkopf weiß er es sogar besser als wir.“ Sie schluckte so laut, dass Cougar ihre Tränen schmecken konnte. „Er hatte einen schrecklichen Unfall. Er hat ein Auge verloren.“

„Ein Autounfall?“

„Nein. Es war …“ Sie beendete den Satz nicht. Mehr würde er im Moment nicht darüber erfahren. „Dies war nicht das erste Mal, dass ich geblinzelt habe.“

„Und auch nicht das letzte Mal. Gibt es in Ihrer Familie noch jemanden, der ihn im Auge behalten könnte?“

„Marks Vater und ich sind geschieden.“ Sie zögerte. „Ich möchte haben, was Sie haben. Bei einem Kind wie Mark ist der normale Mutterinstinkt nicht genug.“

„Normalerweise würde ich sagen, nehmen Sie meinen, aber heute bin ich froh, dass ich ihn hatte.“

„Ich auch.“ Sie wischte sich die Augen mit dem Handrücken ab und kam zwischen dem Zaumzeug hervor. „Einfach nur Cougar?“

„Mehr brauche ich nicht. Es ist ein ziemlich großer Name.“

„Ich finde, Cougar ist ein toller Name.“ Sie schob sich an ihm vorbei, und er machte einen Schritt zurück. „Wissen Sie, der Gewinner des Trainingswettbewerbs erhält zwanzigtausend Dollar.“

„Ja, das hat Sergeant Tutan mir erzählt.“ Er folgte ihr aus der Sattelkammer. „Mary Tutan. Sie ist die, durch die ich von dem Wettbewerb erfahren habe.“

„Ach ja, Mary.“ Sie klang nicht mehr ganz so traurig. „Sie hat gerade geheiratet.“

„Ich bin auf dem Weg hierher bei ihr vorbeigefahren und habe ihren Mann kennengelernt. Sie ist …“

„… wieder in Texas.“

„Sie hat die Entlassung aus der Armee beantragt. Hat mich überrascht.“ Sein Blick fiel auf den Jungen und die Kätzchen, und er musste lächeln. „Sie war mit Leib und Seele Soldatin. Und eine verdammt gute. Uncle Sam wird sie vermissen, aber sie hat genug für ihn getan.“

„Sie auch?“

„Ich bin jetzt seit zwei Monaten Zivilist. Offiziell.“ Dazu gab es viel mehr zu sagen, aber das wollte Celia bestimmt nicht hören. „Sagen Sie Sally, dass ich bei Logan bin und mich bei ihr melde.“ Er beugte sich vor und berührte Mark an der Schulter. „Du hast eine nette Familie.“ Der Junge hielt ihm ein dreifarbiges Kätzchen hin. Cougar strich mit dem Zeigefinger über den winzigen Kopf und nickte. „Sie sind noch zu jung, um ohne ihre Mama auszukommen.“

„Wenn Sie wiederkommen, dürfen Sie sich eins aussuchen“, sagte Celia.

„Vielleicht kann Mark mir dabei helfen.“ Der Junge sah ihn noch immer an, und Cougar spürte eine Verbindung zwischen ihnen. Gemeinsam überstandene Gefahren konnten so etwas bewirken. Das hatte er oft genug erlebt. „Ich wette, Sie kennen die Mustangs hier ganz gut. Ich könnte Ihren Rat brauchen.“

„Das würde Mark gefallen. Danke. Ich …“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm. Unwillkürlich drehte er sich zu ihr um, schaute in ihre Augen und hatte das Gefühl, ihr bis ins Herz zu blicken. „Danke.“

Er hatte es verdammt eilig, von hier zu verschwinden. Mit ihrer Dankbarkeit konnte er nicht umgehen. Denn es ging nicht um etwas, was er getan hatte. Oder um das, was er nicht getan hatte. Bestenfalls ging es um einen Unfall, der nicht passiert war. Er musste weg von hier. Weg von dem, was hätte geschehen können, und den Gesichtern, die ihn daran erinnerten.

Aber zugleich wollte er bleiben, und das verblüffte ihn. Und es bereitete ihm in etwa so viel Unbehagen wie ein neues Paar Stiefel.

Logan Wolf Track lebte in einem Blockhaus am Stadtrand von Sinte, wo er für seinen Lakota-Stamm im Gemeinderat saß. Cougars Mutter war eine Lakota gewesen, aber er selbst gehörte über seinen Vater zu den Schoschonen.

Cougar hatte Logan erstmals kennengelernt, als er am Abend zuvor an dessen Tür geklopft hatte. Sergeant Mary Tutan Wolf Track war der Mensch, der sie beide miteinander verband. Eine weiße Frau, was ungewöhnlich genug war.

Aber vielleicht war es das gar nicht. Das Land der Indianer war Fremden gegenüber offener als jemals zuvor, dank der Spielkasinos und der Bildungsprogramme, die immer häufiger für Begegnungen über die Grenze hinweg sorgten. Und davor war es das Militär gewesen, wo seit Generationen immer mehr von Cougars Leuten ihr Geld verdienten.

Cougar hatte bei der Militärpolizei gedient, und Mary war Hundeführerin gewesen. Sie hatte als Ausbilderin gearbeitet, zuletzt in Afghanistan, und für Cougar war sie die mit Abstand beste Trainerin in Uniform. Sie hatte ihn im Lazarett in Kandahar besucht und ihm geschrieben, nachdem man ihn in die USA zurückgebracht hatte.

Vor Kurzem hatten sie miteinander telefoniert. Da sie sich beide für die Ausbildung von Tieren interessierten, fanden sie ein spannendes Thema, und als sie ihm vom Wettbewerb erzählte, hörte er ihr aufmerksam zu. Ihr allein war es zu verdanken, dass er sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht komplett von der Welt zurückgezogen hatte.

Erfreut sah Cougar, dass Logans Pick-up in der Einfahrt stand. Das hier war für ihn kein Zuhause, denn das stand auf Rädern, und er nahm es überallhin mit. Aber Logan Wolf Track war ein Mann, bei dem er sich jederzeit willkommen fühlte, weil er nicht nur Indianer und Cowboy, sondern auch mit einer ehemaligen Kameradin aus der Armee verheiratet war. Logan öffnete die Tür, noch bevor Cougars Fingerknöchel das Holz berührten.

„Hast du dich zum Wettbewerb angemeldet?“, fragte Logan, als er Cougar den ersten Becher Kaffee reichte.

„Noch nicht.“ Cougar setzte sich auf den Küchenstuhl, den Logan ihm anbot. „Die Chefin war nicht da.“

„War überhaupt niemand da?“ Logan klang, als hätte es das noch nie gegeben.

„Eine Frau. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin. Und ihr Kind.“ Cougar nippte am pechschwarzen, starken Gebräu, schloss die Augen und holte tief Luft. „Ich hätte es fast überfahren.“

Logan schwieg und ließ Cougar Zeit, die noch frischen Erinnerungen zu ordnen. Sie flackerten in ihm auf, wie Bilder aus einem alten Stummfilm, bis er zu der Frau kam. Ihr Gesicht war gestochen scharf, und ihre Stimme begleitete die Bilder wie langsame Tanzmusik.

„Ihm ist nichts passiert“, fuhr Cougar fort. „Tauchte aus dem Nichts auf, und ich habe rechtzeitig gebremst. Er hat mir einen höllischen Schreck eingejagt. Und ich seiner Mutter. Der Junge …“ Er schüttelte den Kopf. „Verdammt, ich glaube, er hat es gar nicht richtig mitbekommen. Kann nicht sprechen, nicht hören und ist auch noch halb blind. Ich habe ihn nicht gesehen.“ Noch ein Schluck Kaffee. Zur Stärkung. „Verdammt war das knapp.“

Logan stellte einen Teller mit gebratenem Weißbrot auf den Tisch und nahm seinem Gast gegenüber Platz. „In deinem Pick-up sitzt du ganz schön hoch.“

Cougar nickte. „Ich muss diese Monsterreifen loswerden. Mein kleiner Bruder hat ihn gefahren, während ich weg war, und dachte, er tut mir einen Gefallen, wenn er ihn aufmotzt. Als Geschenk zur Heimkehr weißt du?“

„Wie fahren sie sich?“

„Als ob du einen Ackergaul sattelst. Ich muss Eddie sagen, dass ich zu alt für Monstertrucks bin.“

„Das wird hart. Ein Geschenk ist ein Geschenk.“

„Und der Monstertruck war ein Kindertraum.“ Cougar hob den Becher. „Guter Kaffee. Schmeckt wie in der Armee.“

Logan lächelte. „Du und Mary, wart ihr in derselben Einheit?“

„Nein, aber sie hat eng mit uns zusammengearbeitet. Sie ist eine echte Spezialistin. Ich bin der Typ, den niemand zur Party einlädt.“

„Aber wenn die Party ungemütlich wird, ist es der Typ mit den Buchstaben MP am Ärmel, der die Streithähne voneinander trennt.“

„Stimmt. Ich habe viele Streithähne voneinander getrennt.“ Er griff nach einer Scheibe Brot. „Warst du auch dort drüben?“

„Golfkrieg.“ Logan nahm sich ebenfalls eine Scheibe und brach sie in zwei Hälften. „Ich war noch jung, und als ich zurückkam, habe ich mich nach einem ganz normalen Leben gesehnt. Dann habe ich mir eine heiße Frau gesucht und geheiratet. Sie ist schnell abgekühlt. Ist abgehauen und hat mir ihre beiden Söhne da gelassen. Jetzt sind es meine.“ Er biss vom Brot ab. „Hat Mary dir erzählt, dass wir ein Baby bekommen?“

„Schon?“

„Ja, verdammt. Wir sind schließlich in Sinte, South Dakota. Woher kommst du? Wyoming, richtig? Und wo in Wyoming? Wahrscheinlich …“

„Im Moment lebe ich dort, wo immer ich mein Gespann parke.“ Cougar nickte zur Tür hinüber. „Groß genug, um zwei Pferde zu transportieren und zwei Leuten einen Schlafplatz zu bieten.“

„Was braucht ein Mann mehr?“, entgegnete Logan lächelnd.

„Nicht viel.“ Cougar schaute durch die Terrassentür zu Logans Koppeln und der Scheune hinüber. Alles nicht sehr edel, aber stabil und gepflegt. „Mein Bruder und ich haben etwas Land westlich von Fort Washakie. Außerdem hatten wir ein paar Weiden gepachtet, aber er hat sie abgegeben, während ich in Übersee war.“ Er zuckte mit den Schultern. „Kann ich ihm nicht verdenken. Ich war weg.“

„Hattet ihr Rinder?“

„Ich hatte Pferde. Eddie musste sie verkaufen.“ Aber daran wollte er jetzt nicht denken. Er sah seinen neuen Freund an. „Kennst du die Leute auf der Double D Ranch näher?“

„Nur Sally. Sie und Mary sind schon lange befreundet. Tolle Frau, diese Sally Night Horse. Sie hat multiple Sklerose, lässt sich dadurch aber kaum bremsen.“ Logan warf ihm einen Blick zu. „Sie hat viele ehrenamtliche Helfer. Wie heißt die Frau, der du begegnet bist?“

„Celia Banyon. Ihr Junge heißt Mark.“

„Ja, ich kenne sie. Celia ist Lehrerin.“ Logan lächelte. „Hübsche kleine Frau.“

„Hübsch genug.“ Cougar ertappte sich, dass er ebenfalls lächelte.

Autor

Kathleen Eagle
Kathleen Eagle wurde in Virginia als ein “Air Force Balg” geboren. Nach ihrer Schulausbildung machte sie einen Abschluss auf dem Mount Holyoke College und der Northern State University und wurde Lehrerin. Über 17 Jahre unterrichtete sie an einer High School in North Dakota. Auch nach diesen 17 Jahren blieb sie...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Ranch des Schicksals