Schicksal, Wahrheit, Leidenschaft

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Um einem weiteren Schicksalsschlag zu entgehen, muss Krankenschwester Shelby ihre leiblichen Eltern finden. Dr. Beau Dalton steht ihr bei. Zu ihm fasst sie Vertrauen – und erlebt mit ihm leidenschaftliche Nächte … Aber wird ihre Liebe bestehen, wenn sie Beau die ganze Wahrheit sagt?


  • Erscheinungstag 31.10.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520638
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Shelby Wheeling lächelte, als der Arzt komisch das Gesicht verzog und den kleinen Jungen bat, „A“, zu sagen, damit er in den Hals des Kindes schauen konnte.

Nach gründlicher Begutachtung warf Dr. Dalton den Zungenspatel schließlich in den Abfalleimer. „Für dein Alter sieht das ziemlich gut aus“, meinte er. „Vergiss nicht, dir ein Buch auszusuchen, bevor du hinausgehst“, fügte er hinzu.

„Darf ich es behalten?“, fragte der kleine Junge.

„Selbstverständlich“, versicherte ihm der Arzt.

Der kostenlose Check-up für alle Kinder, die in die Vorschule kamen, war ein neues Vorsorgeprogramm der Schule, das vom Staat finanziert wurde. Man wollte Probleme bereits in den Anfängen erkennen und somit die Gesundheit der Schüler verbessern und Fehltage reduzieren.

„Die Mandeln sind vergrößert und könnten eine Schwachstelle sein“, sagte Dr. Dalton, nachdem der Junge den Raum verlassen hatte. „Notieren Sie, dass man bei ihm auf Mandelentzündungen und Streptokokken achten sollte.“

Shelby schrieb den Hinweis rasch auf die Karteikarte des Jungen und legte sie dann in der Box ab, die der Staat von Idaho für den Lost Valley Schuldistrikt geschickt hatte. Als Schulkrankenschwester gehörte es zu ihren Pflichten, dem Arzt zur Hand zu gehen.

Shelby war noch nicht lange in dieser Gegend und vom „Wilden Westen“, wie ihre Eltern, die in South Carolina lebten, dieses Land nannten, begeistert. Im Westen ragten die Gipfel der Seven Devils Mountains in den blauen Himmel. Der Lost Valley Stausee floss in den Salmon River, der wenig später zu einem wunderschönen Canyon wurde.

Es war ursprüngliches, noch wildes Bergland.

Sie schaute zum Arzt hinüber und sah, dass er jetzt einem kleinen Mädchen auf den Stuhl half. Dr. Nicholas Boudreaux Dalton war ein sündhaft gutaussehender Mann, ein charmanter Herzensbrecher mit fast schwarzem Haar und Augen, die so tiefblau waren, wie der Himmel von Idaho. Er hatte sie gebeten, ihn mit seinem Spitznamen anzusprechen – Beau.

Amelia, die sympathische Besitzerin der netten Pension, in der Shelby hier wohnte, hatte ihr verraten, dass es noch weitere äußerst attraktive Daltons gab.

Der Dalton, mit dem Shelby zusammenarbeitete war locker und amüsant im Umgang mit Kindern, ihr gegenüber verhielt er sich aber stets distanziert und geschäftlich. Was ihr sehr entgegenkam. Sie war nicht zum Flirten oder wegen der Liebe in diese Kleinstadt gekommen. Oh nein, weit entfernt davon! Sie war hier, um ihre leiblichen Eltern zu suchen und herauszufinden, ob es in ihrer Familie Genkrankheiten gab. Ihre Adoptiveltern machten sich größte Sorgen um Shelby und baten sie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen, aber für ihren eigenen Seelenfrieden musste sie herausfinden, aus welchem Genpool sie kam.

„Sag mal ‚A‘“, bat der Doktor das kleine Mädchen freundlich.

„Aaaa“, ahmte das Mädchen nach, streckte die Zunge heraus, verzog das Gesicht zu einer Grimasse und schielte.

„Bleib so“, forderte Dr. Dalton das Kind auf und gab vor, ein Foto von ihr zu machen. „Wir müssen ein Foto auf der Titelseite der Zeitung veröffentlichen. Ein Monster läuft frei in Lost Valley herum. Es sieht schlecht, könnte aber gefährlich sein. Aber durch Kitzeln kann man es in die Flucht schlagen“, sagte er, als ob er eine Schlagzeile vorlesen würde.

Das fünfjährige Mädchen kicherte, als er sie leicht hinter dem Ohr kitzelte.

Beim Lachen der Kleinen durchfuhr Shelby ein nur allzu bekannter Schmerz, und mit ihm kehrten die Trauer und das unerträgliche Gefühl des Verlustes zurück.

Genau wie jetzt wurde sie oft wie aus dem Nichts von den Erinnerungen überrollt. Ihr ging es gut, bis eine Kleinigkeit – das gurgelnde Jauchzen eines Babys, das glückliche Lachen eines Kindes in einem Park, eine Familie, die gemeinsam in einem Restaurant aß – sie wieder zurück in die dunklen Schatten der Vergangenheit versetzte.

Das Gefühl der Ohnmacht, ihrem eigenen Kind nicht helfen zu können, sondern zusehen zu müssen wie es über Monate immer schwächer wurde, bis es schließlich ins Koma fiel und in ihren Armen starb, kehrte in diesen Momenten so schmerzhaft zurück, dass sie kaum noch atmen konnte. Sie hatte dieses kleine Mädchen neun Monate unter ihrem Herzen getragen und ein Jahr lang zusehen müssen, wie durch eine angeborene Stoffwechselkrankheit langsam das Leben aus ihr wich. Bis sie schließlich für immer die Augen schloss und Shelby nur noch die Erinnerung geblieben war. Und die Trauer und das Gefühl, das Kostbarste in ihrem Leben verloren zu haben.

„Okay, Kenisha, ich denke, du bist bereit für die Schule“, meinte Dr. Dalton. „Aber versuch nicht, durch dein Monstergesicht deinem Lehrer einen Schreck einzujagen. Sonst bekommt der noch einen Herzanfall.“

Das Mädchen rutschte vom Stuhl herunter und lief, gefolgt von ihrer Mutter, in den Empfangsraum, um sich ein Büchlein abzuholen.

„Für ihr Alter und ihre Größe hat sie viel zu wenig Gewicht“, erklärte der Arzt, nachdem die Mutter die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Ich möchte, dass sie täglich Vitamine nimmt, und machen Sie in drei Monaten einen weiteren Termin mit ihr aus.“

Shelby hörte die Worte, verstand jedoch nicht deren Bedeutung. Sie wusste, dass sie etwas aufschreiben sollte, aber ihre Hand bewegte sich nicht.

„Shelby?“

Sie starrte in die blauen Augen, in das attraktive ernste Gesicht, war aber unfähig zu antworten. Gefangen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart schien sie weder in die eine noch die andere Zeit zu gehören.

Beau reagierte sofort. Er steckte den Kopf zur Tür hinaus. „Halten Sie bitte einen Moment die Stellung“, sagte er zu der ehrenamtlichen Helferin, die die Kinder mit deren Müttern betreute. „Geben Sie uns eine Verschnaufpause von zehn Minuten.“

Er schloss die Tür und goss zwei Becher Kaffee ein. „Hier. Trinken Sie das.“

Er sah die neue Schulkrankenschwester prüfend an, während er ihr den Plastikbecher reichte. Sie blinzelte und nahm mit leicht bebender Hand den Kaffee entgegen.

„Haben Sie heute schon gefrühstückt?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Der Anflug eines entschuldigenden Lächelns huschte über ihr Gesicht. „Ich hatte keine Zeit mehr. Mein Wecker hat nicht geklingelt. Glücklicherweise hat Amelia mich geweckt.“

Beau kannte Amelia. Sie besaß eine Pension in einem alten viktorianischen Haus. Sie war eine hilfsbereite, nette Frau, die heute Morgen bereits Muffins für die Angestellten in der Praxis abgegeben hatte.

„Niedriger Blutzucker“, diagnostizierte er, obwohl er sicher war, dass noch mehr dahintersteckte, aber er hatte es sich angewöhnt, sich nie in die Probleme anderer Leute einzumischen. Es sei denn, es handelte sich um einen Patienten. Was Shelby nicht war. „Wir machen eine kleine Pause“, erklärte er. „Setzen Sie sich einen Moment.“

„Ja, danke“, erwiderte sie und trank vorsichtig einen Schluck von dem dampfenden Kaffee.

Beau ging in den Aufenthaltsraum des Personals, nahm sich zwei Muffins und Milch und kehrte wieder in den Praxisraum zurück. Seine Assistentin saß immer noch auf dem gleichen Platz und starrte durch das Fenster zu den Bergen hinüber.

Sie blickte auf, als er wieder eintrat. Ihre Augen waren so blau wie seine, aber ihre Haare waren dunkelrot und fein glänzend wie Seide. Sie hatte das Haar mit einem blauen Band zusammengebunden, und es floss wie glühendrote Lava über ihren Rücken.

In der letzten Woche hatten mehrere Meetings über das neue Vorsorge- und Gesundheitsprogramm für Schulen mit Mitarbeitern vom Staat und Landkreis stattgefunden, an dem auch Shelby teilgenommen hatte. Bereits beim ersten Treffen hatte Beau gespürt, welche Faszination sie auf ihn ausübte und sich gewünscht, ihr Haar berühren zu können. Auch jetzt reagierte sein Körper auf sie, und er nahm sich rasch zurück. Er würde seine Reaktion auf sie genauer unter die Lupe nehmen müssen.

Er hatte nicht vor, ihren Reizen zu erliegen.

Während er den Teller mit den Muffins abstellte, nahm er ihren leichten Duft von Shampoo und Seife wahr; sie schien auf Parfüm zu verzichten.

Über ihrer Nase befanden sich ein paar zauberhafte Sommersprossen, aber er konnte keine Spur von Makeup entdecken. Ihr Gesicht war ein klassisches Oval, wie man es von Heiligenbildern kannte, ihre Züge gleichmäßig und ihre Lippen voll und schön geschwungen. Er hätte zu gern gewusst, ob ihre Haut sich genau so zart und weich anfühlte wie sie aussah. Shelby hatte normalerweise eine gesunde Hautfarbe, aber ihm fiel auf, wie blass und mitgenommen sie momentan war.

„Essen Sie etwas“, riet er ihr.

Sie folgte seiner Anweisung, und sie aßen eine Weile schweigend ihre Muffins und tranken ihren Kaffee. Langsam kehrte wieder Farbe in ihr Gesicht zurück. Sie wirkte seltsam abgeklärt und gelassen, als ob sie eine gläserne Hülle um sich tragen würde, durch die niemand dringen konnte. Das war ihm bereits bei ihrem ersten Treffen aufgefallen.

Wieder flammte Interesse in ihm auf, aber diesmal galt es ihrem Wesen und nicht ihrer Schönheit. War sie von Natur aus so reserviert oder hatte das Leben sie so geprägt?

Das geht dich nichts an, erinnerte er sich. Sie waren Kollegen, und dabei würde es bleiben.

„Danke. Der Muffin war köstlich.“ Sie wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab, erhob sich und lächelte. „Entschuldigen Sie, was sollte ich in Kenishas Karte eintragen?“

„Sie hat Untergewicht. Das selbst muss noch nicht zum Problem werden, aber ich möchte sie im Auge behalten. Sie sollte täglich Vitamine nehmen, und ich möchte sie in drei Monaten wieder hier in der Praxis sehen.“

Sie nickte, schrieb die Information auf und legte die Karte ab. Jetzt, da sie gegessen hatte, war sie wieder ganz bei der Sache.

Sie war wohl doch nur unterzuckert, dachte Beau, warf den Plastikbecher in den Abfalleimer und bat eine der ehrenamtlichen Helferinnen, das nächste Kind hereinzuschicken.

Normalerweise half er mittwochnachmittags seinem Cousin Zack beim Bau des Resorts, das am See entstand, aber heute hatte er mit einigen ehrenamtlichen Helfern die Untersuchungen der Kinder übernommen, die am Ende des Sommers in die Vorschule gehen sollten. Er hatte seine Praxis erst vor einem Monat eröffnet und kümmerte sich gern um diese Kinder, die bald einen neuen Lebensabschnitt beginnen würden.

Trotzdem überfiel ihn jetzt ein wenig Unruhe. In zwei Stunden wäre sein Arbeitstag hier vorbei. Dann würde er an den See fahren. Das Resort war nicht nur ein tolles Projekt, sondern die Arbeit auf dem Bau auch ein guter Ausgleich für seine Tätigkeit als Arzt.

Shelby, die ihm heute assistierte, war die neue Schulkrankenschwester, soweit er wusste in Teilzeit. Gerade nahm sie eine neue Akte aus der Box heraus. Ein liebevolles Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie das nächste Kind an der Tür begrüßte.

Ganz unvermittelt beschleunigte sich sein Puls und durchströmte ihn starke sexuelle Energie.

Bleib ganz ruhig, riet er seiner Libido. Er würde Arbeit und Vergnügen nicht vermischen. Das hatte er noch nie getan; es widersprach seinen Prinzipien. Jedoch würde er Shelby den Vorschlag machen, mit ihm zum Essen zu gehen, wenn ihre gemeinsame Arbeit hier beendet wäre.

Es war fast dreizehn Uhr, als endlich alle Kinder, die sich in dem neuen Programm befanden, durchgecheckt, getestet und als schulfähig eingestuft waren.

„Wie wäre es mit einem Mittagessen?“, fragte er Shelby.

Sie schüttelte den Kopf und schloss die Box mit den Hängeordnern, die der Bundesstaat Idaho ihnen geschickt hatte. „Ich … äh …“

Es war offensichtlich, dass sie nicht schnell genug eine vernünftige Ausrede zur Hand hatte, um sein Angebot abzulehnen. Ihr Zögern war für ihn eine Herausforderung. Es passierte nicht oft, dass ein Dalton von einer Frau zurückgewiesen wurde.

„Mein Angebot ist rein kollegial“, versicherte er ihr.

„Kollegial?“, wiederholte sie zweifelnd.

Beau fragte sich, ob sie oft von Männern eingeladen wurde, die ein Arbeitsessen vorschoben, um näher an sie heranzukommen. „Ja. Ich dachte, wir könnten bei einem Mittagessen über die anstehenden Themen sprechen.“

Sie wirkte so erleichtert, dass es fast schon beleidigend war. Wahrscheinlich hatte er seinen Biss verloren. Es stimmte, er war schon lange nicht mehr ausgegangen. Hier die Praxis zu eröffnen und seine frühere in Boise einem anderen Arzt zu übergeben, hatte ihn viel Zeit und Energie gekostet. Fünf Jahre lang hatte er für diesen Umzug gespart und ihn geplant.

Wenn er sich die vergangenen Tage ins Gedächtnis rief, fiel ihm kein Grund ein, den er der neuen Krankenschwester geliefert haben könnte, ihm zu misstrauen. Während der letzten vier Treffen, in denen sie das Vorsorgeprogramm für die Schulkinder auf die Beine gestellt hatten, hatte er ihr nicht den geringsten Hinweis geliefert, dass er an ihr interessiert wäre.

Resigniert fragte er sich, ob gerade sein Mangel an persönlichem Interesse vielleicht das Problem war. Hatte sie erwartet, dass er mit ihr flirtete und war nun enttäuscht? Die Klatschmäuler in der Stadt neigten dazu, die Daltons als Herzensbrecher darzustellen und den Zugezogenen und Fremden jede ihrer Eskapaden zu erzählen, die sie oft auch noch falsch darstellten und genüsslich ausmalten.

„Dann nehme ich die Einladung gerne an“, stimmte Shelby schließlich zu, nachdem sie sich Zeit gelassen hatte, über alles nachzudenken.

„Gut. Dann lassen Sie uns gehen. Ich habe einen Bärenhunger.“

Sie verließen die Praxis, und er führte sie zu seinem alten Pick-up. Er musste schmunzeln, als er Shelbys Überraschung sah. Offensichtlich hatte sie einen anderen Wagen erwartet. „Das königliche Gefährt“, erklärte er und öffnete die Tür mit einer galanten Verbeugung.

Die Luft schlug ihnen so heiß aus dem Auto entgegen, als ob er einen Glutofen geöffnet hätte.

„Wow, ich glaube, der muss erst einmal ein wenig abkühlen“, schlug er vor. Er glitt auf den Fahrersitz, startete den Motor und schaltete die Klimaanlage ein.

Zum ersten Mal seit der ersten oder zweiten Klasse machte ihn der Blick einer Frau nervös. Dass sie nichts von ihm erwartete oder wollte, war offensichtlich. Trotzdem verwirrte sie ihn. Er hatte noch nie eine so gleichgültige Reaktion vom anderen Geschlecht erlebt. Nun, so viel zum berühmten Dalton-Charme.

Er lachte innerlich über sein etwas angeschlagenes Ego, wartete bis sie eingestiegen war und fuhr dann zum See. Er hoffte, das Restaurant dort würde ihr gefallen.

„Wie idyllisch“, murmelte Shelby, als sie den Gastraum mit dem rustikalen Holzinterieur betraten.

„Sie können Platz nehmen, wo Sie wollen“, meinte eine junge Frau, die ihnen lächelnd entgegen kam. „Ich werde gleich bei Ihnen sein.“

„Dort drüben gibt es einen Platz am Fenster“, sagte Beau und wies zur anderen Seite des Raumes hinüber, an dem sonst alle Tische besetzt waren. Er ergriff Shelbys Arm und führte sie zu einem Tisch, von dem aus man eine wunderbare Aussicht auf den See und die Berge hatte. Nachdem sie Platz genommen hatten, kam die Wirtin und brachte ihnen die Speisekarten. „Emma ist Ihre Kellnerin. Sie wird gleich für Sie da sein. Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?“

„Eistee, bitte“, antwortete Shelby.

Während er das Gleiche bestellte, betrachtete sie die Landschaft durch das große Fenster. Der See, jedes Blatt und jeder Grashalm glitzerten in der Sonne. Die ganze Welt schien zu funkeln.

Shelby seufzte, während sie die Schönheit dieser Landschaft in sich aufnahm. So wie das Meer, an dem sie aufgewachsen war, hatten auch der See und die Berge eine therapeutische Wirkung auf sie und linderten den Schmerz des tragischen Verlustes und der verlorenen Träume.

Sie hatte schon in jungen Jahren gelernt, dass das Leben unbarmherzig sein konnte. Sie hatte nur von einem Tag zum anderen gelebt und dann zum nächsten und irgendwie war dann ein Jahr vorbeigegangen und dann das nächste und wieder das nächste. Es waren qualvolle, dunkle Jahre gewesen. Doch die Schönheit der Natur, die Ewigkeit, von der das Meer und die Berge erzählten und die bedingungslose Liebe ihrer Adoptiveltern hatten ihr immer wieder geholfen, nicht aufzugeben.

Das Leben ging weiter.

Ihr Begleiter zog ein paar Münzen aus der Tasche und reihte einen Penny, einen Nickel, einen Dime und einen Quarter vor ihr auf dem Tisch auf.

„Was immer Ihre Gedanken wert sind“, erklärte er. „Wählen Sie eine Münze aus. Oder alle.“

Nachdem die Kellnerin den Eistee serviert hatte, sah sich Shelby die Münzen an und wies auf den Quarter. „Das ist die Kentucky Gedenkmünze“, begann sie. „Meine Mutter kommt von dort. Ihre Eltern hatten eine Farm, vermieteten aber auch Plätze an Reitpferde. Sie liebte das Reiten und tut es heute noch. Wir hatten in meiner Kindheit und Jugend immer Pferde.“

„Reiten Sie selbst auch gern?“

Sie nickte und fügte dann ehrlich hinzu: „Allerdings bin ich seit zehn – nein, elf Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen.“

„Nun, dann müssen wir sehen, dass wir das ändern. Meine Familie hat hier in der Nähe eine Ranch mit vielen Pferden, die nur faul herumstehen und zu dick werden.“

Man hörte die Zuneigung aus seiner Stimme heraus. Sie wusste, dass er in dieser Gegend bei seinem Onkel Nick aufgewachsen war, zusammen mit fünf anderen Dalton-Waisen. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und sein Vater war zusammen mit den Eltern seiner Cousins vor zweiundzwanzig Jahren durch eine Lawine ums Leben gekommen. Amelia, ihre Wirtin, hatte ihr das erzählt.

Auch dieser Mann hatte einen großen Verlust erlitten. Auch er hatte viel Schmerz erfahren, aber er hatte sich trotzdem ein eigenes Leben aufgebaut.

Du lieber Himmel, war sie heute sentimental. Sie legte den Quarter wieder auf den Tisch und sah einem Paar zu, das am See entlangschlenderte.

Beau schob ihr den Quarter hin und steckte die anderen Münzen wieder in die Tasche. „Der gehört Ihnen, weil Sie eine Erinnerung mit mir geteilt haben. Sie waren heute den ganzen Tag so nachdenklich und ernst. Vermissen Sie Ihre Eltern?“

Sie nickte und ließ ihn in dem Glauben, dass sie Heimweh hätte. Es war nicht ihre Sache, ihr Seelenleben preiszugeben. Doch so einfach entkam sie Beau nicht.

„Warum haben Sie eigentlich den zivilisierten Osten verlassen und sind zu uns in die Wildnis gekommen?“

„Weil ich nach einem echten Cowboy suche, natürlich. Ist das nicht das amerikanische Symbol für Männlichkeit und Mut?“ Ihr Lächeln war nicht ganz echt, aber zumindest war ihr eines gelungen.

„Haben Sie gewählt?“, fragte die junge Kellnerin, die jetzt an den Tisch gekommen war und aussah wie höchstens sechzehn.

Shelby bestellte das Tagesmenü, das aus hausgemachten Baked Beans, Maisbrot und Salat bestand, und Beau folgte ihrem Beispiel. Als das Mädchen sich vom Tisch entfernte, schaute Shelby ihr Gegenüber prüfend an.

Beau besaß eine gewisse Ernsthaftigkeit, die ihn sehr anziehend wirken ließ. Wenn er mit Kindern umging, war er unbeschwert und witzig. Aber er hatte auch Tiefe, und, obwohl er erst Anfang bis Mitte Dreißig sein konnte, eine auffallende Reife. Er wirkte wie ein Mensch, auf den man sich verlassen konnte.

Ein leichter Schauer durchfuhr sie. Ihr Mann, der nur ein Jahr älter gewesen war als sie, hatte sie verlassen, als ihr gemeinsames Kind erst einen Monat alt gewesen war. Die Sorgen und die schlaflosen Nächte waren ihm zu viel geworden. Er war ein Junge aus der Nachbarschaft gewesen, und sie hatte für ihn geschwärmt, solange sie denken konnte. Er hatte ihr damals versprochen für immer für sie da zu sein.

Nach ihrer Trauung waren aus dem „Für immer“ zehn Monate geworden.

Sie schloss für einen Moment die Augen und drängte die Erinnerungen wieder in hinter den Schleier der Vergangenheit zurück. Was geschehen war, war geschehen. Nichts konnte es mehr ändern. Als sie die Augen wieder öffnete, begegnete ihr Beaus fragender Blick.

Er fragte sich wahrscheinlich, warum sie heute so geistesabwesend war. Sie sollte aufmerksamer sein, wenn sie ihren Job behalten wollte. Sie brauchte ihn, um ihre Nachforschungen anzustellen.

„Entschuldigen Sie“, murmelte sie. „Aber die Berge sind so wunderschön, dass ich einfach nicht aufhören kann, sie anzuschauen. Worüber wollten Sie mit mir reden?“

„Über einen Job.“

Das überraschte sie. „Nun, ich habe bereits einen.“

Ein leichtes Lächeln umspielte für einen Moment seinen Mund. „Ich weiß, dass Sie eine Teilzeitanstellung haben. Ich wollte Sie fragen, ob Sie daran interessiert sind, an den Vormittagen als Assistentin in meiner Praxis zu arbeiten.“

„Ich gebe an drei Vormittagen Unterricht in Ernährungs- und Gesundheitsfragen. Diese Stunden gehören zu dem neuen Programm, das der Staat fördert.“

„Ja, die Gewichtsprobleme einer durchschnittlichen amerikanischen Familie sind in das nationale Bewusstsein vorgedrungen. Bildung ist ein Teil der Lösung, Sport und Bewegung sind meiner Meinung nach ebenso wichtig. Also falls Sie mich fragen.“

Autor

Laurie Paige
Laurie Paige lebte mit ihrer Familie auf einer Farm in Kentucky. Kurz bevor sie ihren Schulabschluss machte, zogen sie in die Stadt. Es brach ihr das Herz ihre vierbeinigen Freunde auf der Farm zurück lassen zu müssen. Sie tröstete sich in der örtlichen Bibliothek und verbrachte von nun an ihre...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Seven Devils