Sinnliche Überraschung in Las Vegas

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Ethan stellt Tia vor die Wahl: Entweder er verklagt sie und ihre Wellness-Clubs oder sie hilft ihm, seine Grandma zu finden! Schließlich ist es ihre Schuld, dass die alte Dame sich aufführt wie ein Teenager! Doch dann weckt sexy Tia auch in ihm ein ganz neues Verlangen …


  • Erscheinungstag 03.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719869
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wäre Ethan Wright nicht so wütend gewesen, hätte er lachen müssen.

Der muskelbepackte Mann am Empfang, der seine tätowierten Arme vor der geschlossenen Tür ausbreitete, hätte besser auf ein Football-Feld gepasst als in das schicke Entree eines Day-Spas.

„Wie ich Ihnen bereits sagte, ist Ms. Gray nicht zu sprechen. Ich kann Ihnen aber gern einen Termin Anfang nächster Woche anbieten.“

Doch Ethan war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er musste Tia Gray sprechen.

Jetzt.

„Ich werde nicht gehen, bevor ich mit Ihrer Chefin geredet habe.“

Vielleicht hätte ihn dieser Riese unter anderen Umständen eingeschüchtert, doch die Angelegenheit duldete keinen Aufschub. Er lockerte die Finger und bereitete sich im Geist auf die unangenehme Aufgabe vor, den Mann aus dem Weg zu räumen.

Glücklicherweise kam es nicht so weit. Der Rezeptionist blinzelte und fuhr sich mit der fleischigen Hand über seinen kahl rasierten Schädel. Ethan hörte ihn seufzen und stieß erleichtert den angehaltenen Atem aus.

„Ms. Gray führt ein wichtiges Telefonat. Ich sehe mal nach, ob sie schon fertig ist.“ Er drehte seinen muskelbepackten Körper zur Tür um, öffnete sie zögernd und steckte den Kopf hinein.

Moment, dachte Ethan. Das hier war nicht das Oval Office. Die Geschäftsführerin auf der anderen Seite der Tür regierte über eine Kette von Day-Spas, aber nicht über die Vereinigten Staaten. Vermutlich diskutierte sie gerade über die neuesten Methoden für Gesichtsstraffung.

Ethan schob sich an dem bulligen Mann vorbei und stieß die Tür ganz auf. Der Platz hinter dem Schreibtisch aus Glas war leer. Ethan suchte mit dem Blick den Raum nach der Wichtigtuerin ab, die sein geordnetes Leben durcheinandergebracht und seinen ersten Urlaub seit Jahren ruiniert hatte.

Vor dem Fenster in der Ecke, halb verborgen von einer großen Topfpflanze, entdeckte er schließlich eine Frau mit Telefonhörer am Ohr.

Ohne zu zögern, ging er auf sie zu.

„Cole, die Verbindung ist schrecklich. Ich kann dich kaum verstehen“, rief sie ins Telefon. Gleichzeitig trat sie aus dem Schatten der Pflanze.

Sein entschiedener Schritt verlangsamte sich. Das Hindernis an der Tür war nichts im Vergleich zu dem Anblick, der sich ihm nun bot. Seine große Schwäche waren schöne Beine – und die Frau vor ihm hatte die aufregendsten Beine, die er je gesehen hatte.

Wie angewurzelt blieb Ethan stehen. Seine Kehle war urplötzlich trocken, während er seinen Blick an den Beinen der Frau bis zum Rocksaum emporwandern ließ.

Als sie ihn bemerkte, legte sie eine Hand auf den Hörer. „Was gibt’s, Max?“, zischte sie dem Angestellten zu. „Du weißt doch, wie wichtig dieses Telefonat ist.“

Ihr Tonfall holte Ethan aus seiner Versteinerung, und er riss seinen Blick von ihren Beinen los. Schließlich war er nicht hier, um dieser Unruhestifterin schöne Augen zu machen.

In zwei Schritten war er bei ihr und nahm ihr das Telefon aus der Hand.

„Es gibt nichts Wichtigeres als das Gespräch, das wir beide zu führen haben, Ms. Gray“, sagte Ethan und legte auf.

Vor Überraschung ließ sie ihren pfirsichfarbenen, glänzenden Mund geöffnet. „W-wissen Sie eigentlich, wie schwierig es war, diese Verbindung überhaupt herzustellen?“, stotterte sie dann.

„Das hätten Sie sich überlegen sollen, ehe Sie Ihre Nase in meine Angelegenheiten gesteckt haben.“

„Ihre Angelegenheiten? Ich kenne Sie doch gar nicht!“

Der Riese tauchte neben seiner Chefin auf. „Tut mir leid, Tia. Ich wollte nur sehen, ob du noch telefonierst.“ Er warf Ethan einen wütenden Blick zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass er einfach hier hereinstürmt.“

„Entspann dich, Max.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. „Es ist nicht deine Schuld.“

„Ich werde versuchen, deinen Bruder wieder an die Strippe zu bekommen.“ Der Mann wies mit dem Kopf in Ethans Richtung. „Nachdem ich ihn hinausgeworfen habe.“

„Sie sollten Ihren Sekretär besser zurückrufen“, warnte Ethan.

„Ich bin nicht Ms. Grays Sekretär, sondern Assistent der Geschäftsleitung“, erwiderte der Mann sichtlich empört.

Ja, genau, dachte Ethan. Jeder Lastwagenfahrer nannte sich heutzutage Frachtspezialist. „Jedenfalls werde ich diesen Raum nicht verlassen, ehe ich mit Ihrer Chefin gesprochen habe.“

Tia stand zwischen ihnen und hob beschwichtigend die Hände. „Ich glaube, wir sollten uns alle erst einmal beruhigen. Lasst uns tief durchatmen und dann neu starten.“

„Wie bitte?“, fragte Ethan.

„Wir sollten uns entspannen und dann klären, was mit Sicherheit ein Missverständnis ist.“

Ethan beobachtete erstaunt, wie die Schöne und das Biest mehrere Male durch die Nase einatmeten und die Luft dann durch den Mund wieder ausstießen.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Sind Sie dann bald so weit?“

„Bitte, machen Sie doch mit“, forderte sie ihn auf.

Ethan atmete tief und frustriert durch. Als seine Großmutter neulich ohne Punkt und Komma über Tia Gray geplappert hatte, hatte sie unerwähnt gelassen, dass die Dame eine diplomierte Spinnerin war.

„Und − fühlen Sie sich jetzt besser?“, fragte sie.

Noch ehe er antworten konnte, wandte sie sich an ihren schwergewichtigen Lakaien. „Max, bitte bring unserem Gast und mir eine Tasse unseres wunderbaren Beruhigungstees.“

„Aber er ist kein Gast, er hat sich einfach hineingedrängt …“

„Egal …“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Er ist nun mal hier, also bring uns bitte Tee.“

Mit einem mürrischen Blick in Ethans Richtung nickte der Mann und verließ den Raum.

„Ms. Gray“, begann Ethan.

„Tia“, unterbrach sie ihn. „Und wer sind Sie?“

„Ethan Wright“, erwiderte er.

„Setzen Sie sich doch bitte. Max wird gleich zurück sein.“ Sie nahm in einem weißen Ledersessel hinter dem Glasschreibtisch Platz. „Ihr Name kommt mir bekannt vor. Kennen wir uns?“

„Nein, aber Sie kennen meine Großmutter Carol Harris.“ Ethan blieb stehen. Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. „Ihretwegen bin ich hier.“

„Wegen Carol? Geht es ihr gut?“ Ein besorgter Ausdruck glitt über ihre perfekten Züge. Ethan musste widerwillig zugeben, dass nicht nur ihre Beine schön waren.

„Körperlich geht es ihr zumindest gut“, antwortete er, wobei die Erinnerung an das skandalöse Treffen mit seiner Großmutter am Morgen erneut seinen Ärger schürte. „Aber dank Ihnen ist sie völlig durchgedreht.“

Ethan hörte, wie sich die Tür leise öffnete und Max hereinkam.

„Wunderbar. Da ist ja unser Tee.“ Tia schenkte ihrem Assistenten ein strahlendes Lächeln und entließ ihn mit einem Dankeschön.

„Haben Sie gehört, was ich eben sagte?“

„Aber natürlich. Sie stehen doch direkt vor mir.“ Sie sprach mit ihm wie mit einem kleinen Kind. „Schön, dass wir uns endlich kennenlernen, Ethan. Ich darf Sie doch Ethan nennen, oder? Carol hat mir in all den Jahren so viel von Ihnen erzählt, dass ich es albern fände, Sie Mr. Wright zu nennen.“

„Einverstanden. Und jetzt …“

Wieder unterbrach sie ihn. „Jetzt setzen Sie sich doch bitte, und probieren Sie den Tee. Dann können wir reden.“

Ethan ließ sich in den Clubsessel vor ihrem Schreibtisch fallen. Dieser verdammte Tee schien das letzte Hindernis zu sein, das er überwinden musste, um endlich zum Kern der Sache zu kommen. Also griff er nach der winzigen Porzellantasse und kippte den Inhalt in einem Zug hinunter.

„So. Können wir jetzt endlich darüber sprechen, was Sie meiner Großmutter angetan haben?“

„Schießen Sie los.“ Sie blickte ihn über den Rand ihrer Teetasse an.

„Als ich meiner Großmutter zum Geburtstag einen Gutschein für Ihren Beautysalon schenkte, ging ich davon aus, dass sie vielleicht eine Maniküre und eine neue Frisur bekäme“, erklärte er. „Aber ich erkannte sie hinterher kaum wieder.“

„Ich weiß. Ist es nicht wundervoll?“

„Es ist ein Albtraum.“

Tia sah ihn fragend an. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht. Normalerweise bin ich nur im Büro, aber da Carol eine alte Freundin ist, habe ich ihre Wellness-Behandlungen selbst überwacht.“

„Dann haben Sie ein Monster erschaffen, Dr. Frankenstein.“

„Ein Monster?“, keuchte Tia. „Unmöglich. Sie sah wunderbar aus, als sie den Salon verließ. Fünfzehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre jünger.“

Es stimmte, dass seine Großmutter verändert aussah. Vor zwei Wochen hatte sie ihren Gutschein eingelöst, und er musste noch immer zweimal hinschauen, wenn er ihr begegnete. Doch nicht ihr neues Aussehen war das Problem, sondern die vollständige Verwandlung ihrer Persönlichkeit von einer liebenswürdigen, Kuchen backenden Oma in eine vierundsiebzigjährige Halbstarke.

„Allerdings“, knurrte Ethan. „Sie sieht aus wie sechzig und benimmt sich wie ein straffälliger Teenager.“

Die Frau ihm gegenüber strahlte Fröhlichkeit aus. Offensichtlich hatte sie den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen.

„Meine Großmutter hat sich normalerweise in der Kirchenarbeit engagiert, indem sie Kuchenverkäufe und Gartenfeste organisierte. Jetzt aber macht sie den ganzen Tag lang Party und treibt sich wer weiß wo herum“, erklärte Ethan. Vor seinem inneren Auge sah er, wie sein Großvater sich im Grabe herumdrehte. „Letzte Woche ging sie in eine Spelunke am Broadway und kam erst am nächsten Morgen wieder heim.“

Er hielt kurz inne, weil er glaubte, ein Kichern zu hören.

Ethan räusperte sich. „Da gibt es nichts zu lachen, Ms. Gray“, sagte er. „Ihre sogenannte Typveränderung ist der Grund für das neuartige Verhalten meiner Großmutter, und ich möchte gern wissen, was Sie dagegen zu tun gedenken.“

Sie stellte ihre Tasse auf dem Schreibtisch ab.

„Gar nichts.“ Ihre sanfte Stimme hatte einen stählernen Klang bekommen. „Selbst wenn ich es wollte − und das tue ich nicht −, würde ich nichts unternehmen. Ihre Großmutter ist eine erwachsene Frau.“

„Eine Frau, die Sie offenbar massiv beeinflusst haben. Neuerdings beginnt oder endet jeder ihrer Sätze mit ‚Tia sagt‘ oder ‚Tia glaubt‘.“ Ethan ahmte die Stimme seiner Großmutter nach.

„Trotzdem hat Carol ihren eigenen Kopf − und ich würde nicht im Traum daran denken, ihr vorzuschreiben, was sie zu tun hat.“

„Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, dass ich sie gestern Nacht aus der Arrestzelle abholen musste?“

„Aus dem Gefängnis?“ Sie richtete sich kerzengerade auf.

Endlich hatte er ihre Aufmerksamkeit. „Allerdings. Sind Sie jetzt bereit, sie zur Vernunft zu bringen?“

Tia seufzte. „Ich werde mich mit Carol in Verbindung setzen.“ Nun war der amüsierte Ausdruck aus ihrem Gesicht gewichen.

„Ich erwarte, dass Sie das in Ordnung bringen, Ms. Gray.“

Ethan erhob sich, und Tia tat so, als bemerke sie nicht, wie attraktiv er war. Wenn es einen Typ Mann gab, auf den sie flog, dann gehörte Ethan Wright definitiv dazu.

Bis er anfing zu reden. Wenn man dieses Bellen von Befehlen überhaupt Reden nennen konnte.

„Und ich rate Ihnen, sehr überzeugend zu sein“, fuhr Ethan fort und zerstörte damit jeden positiven Effekt, den sein gutes Aussehen hätte haben können. „Ich freue mich schon darauf, dass meine Großmutter zu ihrem alten Ich zurückfindet.“

Tia betrachtete seinen breiten Rücken, als er ihr Büro verließ. Er schien keinen Zweifel daran zu hegen, dass sie tun würde, was er wollte.

Und damit hatte er recht.

Denn inzwischen teilte Tia seine Sorge.

Carol im Gefängnis! Das passte so gar nicht zu der gütigen Krankenschwester, die vor Jahren Tias Mutter in ihrem vergeblichen Kampf gegen den Krebs unterstützt hatte.

Tia blickte zu Max auf, der ihr Büro wieder betreten hatte.

„Was wollte er?“, fragte er.

„Familiäre Probleme.“

„Und was hast du damit zu tun?“

„Er ist der Enkel von Carol Harris.“

Max’ Augen wurden groß, als er begriff. „Ah, die Verwandlung in Tina Turner.“ Die unglaubliche Typveränderung war in allen zehn Espresso-Cosmetics-Filialen Tagesgespräch Nummer eins gewesen. „Dann gefällt ihm wohl der neue Look seiner Großmutter nicht“, konstatierte er.

„Anscheinend gab es dadurch ein paar Nebeneffekte … Sieht so aus, als sei Carol ein wenig durchgedreht.“

Max ließ sich in den Sessel vor ihrem Schreibtisch fallen. „Hauptsache, sie ist glücklich.“

„Da stimme ich dir zu, aber er will, dass ich mit ihr rede, und ich habe es ihm versprochen.“

Max nickte widerwillig. „Soll ich Carol vorschlagen, zum Lunch hier ins Café zu kommen, oder woanders einen Tisch für euch reservieren?“

„Weder noch“, erwiderte Tia.

Ethan Wrights Probleme mussten erst mal warten. Sie hatte genug eigene familiäre Probleme am Hals.

„Bitte sag alle meine Nachmittagstermine ab. Ich muss mit meinem Vater sprechen und fahre deshalb in die Stadt zum Espresso-Hauptgebäude.“

„Heißt das, das Gespräch mit Cole lief trotz der Unterbrechung gut?“, fragte Max hoffnungsvoll.

Tia schüttelte den Kopf. Ihr Stiefbruder befand sich mit seinem Boot irgendwo vor der italienischen Küste. Vermutlich hatte er wegen der schlechten Verbindung kaum ein Wort verstanden.

„Es sieht nicht so aus, als sei Cole im Moment eine Option für Espresso“, sagte Tia. „Ich kann nur versuchen, vernünftig mit meinem Vater zu reden.“ Wieder einmal, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Das hier solltest du dir erst mal ansehen“, sagte Max und reichte ihr ein Blatt Papier. „Malcolm Doyle hat es vorhin gefaxt.“ Malcolm Doyle war Espressos Chefbuchhalter.

Es handelte sich um ein Formular, das Tia als Präsidentin der Espresso-Spa-Abteilung dazu bevollmächtigte, Gewinne aus den zehn Day-Spas in die schwächelnde Kosmetiklinie des Unternehmens umzulenken.

Verdammt, dachte Tia, nahm einen Kugelschreiber und unterzeichnete das Formular. Wenn das so weiterging, konnte sie sich ihre Expansionsträume abschminken.

„Das ist das letzte Mal.“ Tia stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Max wollte nach dem Blatt Papier greifen, doch Tia hielt es fest.

„Es ist mein Ernst, Max. Ich übergebe das meinem Vater persönlich, damit er weiß, woran er ist.“

Max hörte das nicht zum ersten Mal. Trotzdem klopfte er Tia aufmunternd auf die Schulter. „Dann viel Glück.“

„Danke. Ich werde es brauchen.“

Eine Stunde später fuhr Tia mit dem gläsernen Aufzug in die oberste Etage des elfstöckigen Gebäudes, das ihre verstorbene Mutter 1984 als Stammhaus einer damals florierenden Kosmetiklinie hatte errichten lassen. Während andere Kosmetikfirmen ihre Verwaltungssitze in der Mode-Metropole New York ansiedelten, hatte ihre Mutter darauf bestanden, mit Espresso in Nashville zu bleiben.

Leider stand inzwischen fast die Hälfte der Büros leer. Die entlassenen Mitarbeiter waren Opfer der Rezession, der wachsenden Konkurrenz und der Unfähigkeit des Unternehmens, mit dem Wandel der Zeit Schritt zu halten.

In der obersten Etage öffneten sich die Aufzugtüren.

„Diesmal wird er mir zuhören müssen“, murmelte Tia vor sich hin. Die harten Fakten sprachen für sich.

„Guten Morgen, Loretta“, begrüßte Tia die Frau, die für ihre Mutter als Sekretärin tätig gewesen war, solange sie sich erinnern konnte, und jetzt für ihren Vater arbeitete.

Seit Tias Mutter Selina Sinclair Gray vor sieben Jahren gestorben war, hatte sich fast nichts in der Führungsetage verändert. Abgenutzte Teppiche waren durch identische neue Teppiche ersetzt worden, und die Wände wurden immer wieder im gleichen Elfenbeinton gestrichen, den ihre Mutter so geliebt hatte.

Tia wechselte ein paar Worte mit Loretta über das Wetter und die Enkelin der Frau.

„Er ist nicht drin, Liebes“, erklärte Loretta, als Tia auf die Bürotür ihres Vaters zuging. „Er erwartet dich im alten Büro deiner Mutter.“

Tia hob fragend eine Augenbraue, doch Loretta zuckte nur mit den Schultern.

Victor Gray stand mitten im früheren Heiligtum ihrer Mutter und starrte auf das Porträt seiner Ehefrau, als Tia eintrat.

Ihr Vater seufzte tief, und Tia berührte seinen Arm.

„Wollen wir nicht lieber in deinem Büro reden?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich wüsste keinen besseren Ort, um über die Vorbereitungen zum fünfunddreißigsten Jahrestag der Gründung von Espresso Cosmetics zu sprechen“, antwortete er.

Sie konnten von Glück reden, wenn das Geschäft im kommenden Jahr überhaupt noch lief. Das wollte Tia ihm gerade sagen, doch angesichts der Trauer auf seinem Gesicht, die ihn älter wirken ließ als sechzig, sah sie davon ab.

„Natürlich werde ich auch Unterstützung von deiner Schwester bekommen“, fuhr er fort. „Und deinen Bruder mit einbeziehen, das Vermächtnis seiner Mutter zu feiern. Aber ich wollte zuerst alles mit dir in Angriff nehmen.“

„Hör zu, Dad, Malcolm Doyle hat mich in der vergangenen Woche aufgesucht“, versuchte Tia zunächst einige Fakten auf den Tisch zu legen, ehe sie über die Feiern sprachen. Teure Feiern.

Bei der Erwähnung des Chefs der Finanzabteilung fiel augenblicklich ein Schatten auf das faltige Gesicht ihres Vaters.

„Es kann mit Espresso nicht so weitergehen“, insistierte sie. „Der Kosmetikbereich schreibt rote Zahlen. Malcolm sagt …“

„Das weiß ich alles“, unterbrach ihr Vater sie. „Ich bin der Chef dieses Unternehmens. Er hatte nicht das Recht, dich zu beunruhigen.“

Doch sie war beunruhigt.

Die Day-Spas, die Tia selbst als eine Seitenlinie der Kosmetikmarke gegründet hatte, hielten diese nun am Leben.

„Zurück zu den Geburtstagsfestlichkeiten“, forderte ihr Vater.

„Aber verstehst du denn nicht? Wenn wir nicht schnellstens ein paar harte Entscheidungen fällen, wird Espresso Cosmetics in einem Jahr nicht mehr existieren.“

Er wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung weg. „Wir brauchen nur einen einzigen Erfolg, um wieder in der Spur zu sein. Noch diese Woche kommt die Sommerkollektion in die Läden“, sagte er. „Calypso Moods wird die Kunden begeistern.“

Daran glaubte Tia nicht.

Denn die Calypso-Moods-Kollektion war nur ein neuer Aufguss der von ihrer Mutter so geliebten pink- und orangefarbenen Lippenstifte und Rouges unter anderem Namen.

„Selbst wenn jeder einzelne Artikel ausverkauft werden würde, kämen wir dadurch nicht in die schwarzen Zahlen zurück. Der Kosmetikbereich kämpft ums Überleben, Dad, und wir müssen einschneidende Entscheidungen treffen, wir alle.“

Ihr Vater lehnte sich an den Schreibtisch ihrer Mutter und verschränkte die Arme vor der Brust. „Geh nicht zu weit, Tia“, warnte er sie.

„Wenn wir weiter den Spas Geld abzapfen, um die Kosmetikmarke zu finanzieren, dann werden sie auch bald den Bach runtergehen.“ Tia schluckte. Sie holte die Vollmacht aus ihrer Handtasche und legte sie auf den Schreibtisch. „Das ist das letzte Mal, Dad.“

„Wer bist du, dass du mir vorschreiben willst, wie das Geld des Unternehmens ausgegeben wird?“ Victor Grays Stimme zitterte vor Wut. „Deine Mutter hat mich als ihren Nachfolger an der Firmenspitze bestimmt. Das war ihr Wille.“

„Ich habe allerdings ein Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, wie die Erträge der Spas verwendet werden.“ Tia ließ sich nicht einschüchtern. „Als Mutter noch lebte, gab es die Day-Spas nicht. Ich habe sie mit Geldern aus meinem Treuhandfonds gegründet“, erinnerte sie ihn. „Für jegliche Finanztransfers sind unsere beiden Unterschriften erforderlich, und ich werde für keinen weiteren Cent unterschreiben, ehe wir alle an einem Tisch sitzen – du, ich, Lola und sogar Cole.“

Ihr Vater hielt ihrem Blick stand, schließlich hörte er ihre Worte nicht zum ersten Mal. Für ihn bluffte sie auch diesmal nur.

„Wie schon letztes Mal gesagt, bin ich bereit, jede notwendige Entscheidung hinsichtlich der Zukunft von Espresso Cosmetics zu treffen. Und ich erwarte von dir, dass du die Firma auch weiterhin finanziell unterstützt“, erwiderte er ungerührt. „Was deinen Bruder angeht, so ist er jederzeit herzlich in der Firma und in der Familie willkommen, solange er begreift, dass ich der Chef bin.“

„Sei doch vernünftig, Dad! Wir können nicht einfach so weitermachen“, bat Tia ihn. „Niemand kennt die Firma und die Branche so gut wie Cole. Er ist in diesem Gebäude praktisch aufgewachsen. Wenn wir das Ruder herumreißen wollen, brauchen wir seine Hilfe.“

„Aber deine Mutter hielt ihn für zu jung, um das Unternehmen zu leiten. Deshalb …“

„Mom ist tot“, platzte Tia heraus. „Sie ist jetzt seit sieben Jahren tot, und wenn wir ihr Erbe bewahren wollen, dann müssen wir endlich aufhören, darüber nachzudenken, was sie getan hätte.“

Ihr Vater zuckte zusammen, als habe sie ihn geschlagen.

„Hinaus!“, rief er.

Tia blieb wie angewurzelt stehen.

„Hinaus!“, wiederholte er, diesmal lauter. „Verlass das Büro meiner Frau und dieses Gebäude und geh mir aus den Augen.“

Tia schluckte ihren Schmerz hinunter. „Vielleicht hast du Cole davonjagen können, aber ich gehe nirgendwo hin. Du, ich, Lola und Cole – wir alle müssen mitreden dürfen, wenn es um die Zukunft dieser Firma geht.“

„Wenn du nicht gehst, dann gehe ich.“ Ihr Vater ging an ihr vorbei und verließ das Büro. Das Nächste, was Tia hörte, war das Zuschlagen seiner Bürotür.

2. KAPITEL

Ethan starrte auf seinen aufgeräumten Schreibtisch.

Fast alles, was vor seinem Urlaub zu erledigen gewesen war, hatte er getan. Für die kommenden beiden Wochen hatte er keine Termine. Sogar das Problem „Großmutter“ war durch seinen Besuch bei Espresso so gut wie gelöst.

Bilder von Tia Gray kamen ihm in den Sinn − vor allem von ihren wohlgeformten Beinen −, doch er schob sie schnell beiseite. Er sollte sich besser auf seine Nachmittagstermine konzentrieren.

Er schaute in seinen Terminkalender und sah, dass nur noch eine Verabredung offen war.

Danach würde er seine Großmutter besuchen und sicherstellen, dass Ms. Gray seiner Bitte nachgekommen war. Morgen in aller Frühe würde er sich auf die Reise nach Hawaii, zu seinem ersten Urlaub seit Jahren, machen.

Wieder wanderten seine Gedanken zu Tia.

Ethan atmete tief durch. Vielleicht war es ja ein Fehler, sich allein auf die Reise zu begeben, die er vor einem Jahr geplant hatte, als er noch liiert gewesen war. Das musste der Grund dafür sein, dass er ständig an diese Frau denken musste, die er heute kennengelernt hatte.

Er brauchte endlich mal wieder Sex.

Ein Klopfen an Ethans offener Bürotür kündigte seinen nächsten Besucher an.

„Ich fasse es nicht.“ Seine junge, aber normalerweise durch nichts aus der Ruhe zu bringende Sekretärin flüsterte hingerissen: „Wangs sitzt in meinem Büro.“

Sie rang die Hände. „Wangs!“, wiederholte sie.

Ethan war über den Besuch des Hip-Hop-Superstars nicht annähernd so begeistert wie seine Sekretärin. Tatsächlich hatte der junge Mann, der mit bürgerlichem Namen Jeffrey Ritchie hieß, ihn am Telefon richtiggehend um einen Termin anbetteln müssen.

„Schicken Sie Mr. Ritchie herein“, sagte Ethan.

Er blickte auf seine Armbanduhr und beschloss, dem jungen Mann ein paar Augenblicke seiner kostbaren Zeit zu schenken, ehe er ihn fortschickte.

Wenige Augenblicke später schritt Jeffrey über die Schwelle. Er sah völlig anders aus als der junge Mann, der vor drei Jahren in seinem Büro gesessen hatte.

Heute trug er Edelklamotten, und für das Platin-Medaillon um seinen Hals mit dem Schriftzug „WANGS“ aus Diamanten hatte er sicherlich mehr bezahlt, als so mancher für sein Auto ausgab.

Doch der größte Unterschied war sein verändertes Auftreten. Aus dem eingebildeten Aufschneider war ein abgeklärter Mann geworden, dem eine schwere Last auf den Schultern zu liegen schien.

Finanzielle Probleme, mutmaßte Ethan. Nach einigen Minuten des Gesprächs räumte der junge Mann dies ein.

„Sie rieten mir davon ab, den Vertrag zu unterschreiben“, sagte Jeffrey.

„Kein Anwalt hätte Ihnen dazu geraten, Ihre Unterschrift unter diesen Knebelvertrag zu setzen“, sagte Ethan. „Denn nichts anderes ist er.“

Jeffrey schnaubte. „Das wollte ich damals aber nicht hören. Ich wollte unbedingt ein Superstar sein.“

Starruhm war die eine Sache, die der Deal dem Künstler mit den unzähligen Platin-Auszeichnungen eingebracht hatte, dachte Ethan. Die andere war eine ziemlich harte Lektion darin, wie eine Plattenfirma kalkulierte. Soweit sich Ethan erinnern konnte, war der Vertrag so strukturiert, dass Wangs ewig in der Schuld von Bat Tower Records stehen würde.

„Ich hielt all die großen Autos, die Partys und den Alkohol für eine Art Promi-Bonus. Ich hatte verdammt noch mal keine Ahnung, dass ich dafür bezahlen müsste.“

Ethan lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und hörte zu. Er verkniff sich jedes „Das habe ich Ihnen vorher gesagt“, obwohl es ihm auf der Zunge lag.

Vor drei Jahren hatte der junge Mann, der jetzt so kleinlaut vor ihm saß, sein Angebot, bessere Konditionen für ihn auszuhandeln, arrogant ausgeschlagen.

Autor

Phyllis Bourne
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Espresso Empire