So zärtlich nimmst du mich gefangen

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Wie konnte das nur passieren? Erst verliert Lola ihren Job, und dann landet sie mitten in der Einöde unschuldig im Gefängnis! Zum Glück ist wenigstens Sheriff Dylan Cooper äußerst attraktiv - und versüßt ihr die Stunden hinter Gittern auf seine ganz eigene Art …


  • Erscheinungstag 03.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719883
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Verdammter …“

Lola Gray verstummte, als sie den tadelnden Blick ihres Vaters bemerkte. Doch ihre Wut blieb. Sie musterte die Mitglieder ihrer Familie, die sich im Konferenzraum von Espresso Cosmetics versammelt hatten.

„Beruhige dich, Kleines“, warnte Cole Sinclair sie in strengem Ton. Er war ihr Stiefbruder und gleichzeitig der Chef des Unternehmens.

„Ich soll mich beruhigen?“, fragte Lola ungläubig. Sie sprang von ihrem Sessel auf und schleuderte ein Porträtfoto des Models, das sie ersetzen sollte, über den Konferenztisch. „Wie würdest du dich fühlen, wenn du deinen Job an eine Dragqueen verlieren würdest?“

„Diese Dragqueen wäre um ein Haar deine neue Stiefmutter geworden“, warf Loretta Walker, die langjährige Chefsekretärin von Espresso, mit Grabesstimme ein.

„Wie oft willst du das noch aufs Tapet bringen?“, seufzte Lolas Vater.

„Solange ich lebe“, erwiderte Loretta scharf.

„Es war ein bedauerlicher Irrtum“, murmelte Lolas Vater. „Der Typ sah aus wie eine Frau, und zwar wie eine sehr attraktive.“

Lola konnte nur den Kopf schütteln. Unglaublich.

Als sie heute Morgen das Espresso-Gebäude betreten hatte, war sie davon ausgegangen, dass sie über die neuesten Entwicklungen des Familienunternehmens und über ihre anstehende Fotokampagne in China für die neue Lippenstiftkollektion diskutieren würden. Stattdessen hatte ihre Familie ihr so ganz nebenbei eröffnet, dass sie als Gesicht für Espresso aus dem Rennen war.

Und dann hatten ihre Geschwister und ihr Vater einfach das Thema gewechselt.

„Ist er nicht hinreißend?“ Lolas ältere Schwester Tia Wright-Gray nahm das über den Tisch geschleuderte Foto in die Hand. „Das war mit Abstand die größte Herausforderung bei einem Umstyling, die ich je hatte. Freddy Finch ist eine unglaubliche Frau … äh, ich meine, ein unglaublicher Mann … also …“

Ethan Wright, ihr Ehemann und inzwischen Anwalt von Espresso, tätschelte die Hand seiner Frau. „Wir wissen, was du meinst, Liebling, und du hast in der Tat fantastische Arbeit geleistet.“ Er wandte sich an seinen Schwiegervater. „Du musst immer auf den Hals achten.“

Cole nickte zustimmend. „Denn wenn die Kehle einen gut sichtbaren Adamsapfel aufweist, dann ist sie vermutlich ein Er.“

Lautes Gelächter erscholl am Tisch. Erstaunt blickte Lola in die Runde. Das sollte ein Geschäftstreffen sein?

Wie konnten sie alle ihre Späßchen machen, nachdem sie ihre Bombe hatten platzen lassen?

„Haltet den Mund!“, schrie sie erbost und stemmte die Fäuste in die schmalen Hüften. „Alle!“

Sofort wurde es mucksmäuschenstill, und alle Blicke richteten sich auf sie. Endlich. Sie würde jetzt ein für alle Mal klarstellen, dass sie nicht kampflos zusehen würde, wie man ihr den Job wegnahm.

„Als Familienmitglied und Miteigentümerin von Espresso Cosmetics habe ich in dieser Sache wohl auch ein Wörtchen mitzureden“, begann sie.

„Du hast mir deine Stimmrechte übertragen“, erinnerte Cole sie. Wieder lag in seinem beiläufigen Tonfall eine gewisse Schärfe.

„Das galt aber nur für längere Auslandsaufenthalte. Jetzt bin ich jedoch zurück. Und ich kann wieder für mich selbst reden, vielen Dank. Wir müssen also neu abstimmen.“

Lola sandte Coles frischgebackener Ehefrau Sage einen flehenden Blick zu. Die Kosmetikfirma ihrer Schwägerin hatte vor kurzem mit Espresso Cosmetics fusioniert, und Sage hatte eine durchaus rebellische Ader. Wenn sie Sage also auf ihre Seite brachte und ihren Vater dazu überreden konnte, seine Meinung zu ändern, dann musste Cole seine Entscheidung zurücknehmen.

Sage blickte ihren Ehemann an, und Cole zwinkerte zurück. Lola sah ihre Hoffnungen schwinden. Sage war offensichtlich bis über beide Ohren in ihren Mann verliebt. Wie erwartet schüttelte ihre Schwägerin den Kopf und formte das Wort „Nein“ mit den Lippen.

Cole räusperte sich. „Selbst wenn wir nach Anteilen abgestimmt hätten, würde es nicht ausreichen, meine Entscheidung außer Kraft zu setzen“, sagte er. „Es bleibt dabei. Mr. Freddy Finch ist das neue Gesicht von Espresso Cosmetics. Die Öffentlichkeit wird im kommenden Monat davon in Kenntnis gesetzt. Er wird für die Fotokampagne der Lippenstift-Sonderedition nach Hongkong reisen.“

„Das war also bereits abgemachte Sache, ehe ich die Firma betrat“, flüsterte Lola mehr zu sich als zu den anderen. „Ich hatte nie eine Chance.“

Sie blickte zu ihrem Vater, ihren Geschwistern und deren Ehepartnern. Dies war ihre Familie, die ihr eigentlich den Rücken stärken sollte.

„Ich habe einen Vertrag. Ich werde vor Gericht gehen.“

„Das wäre nicht klug“, sagte Ethan und klang dabei mehr wie der Anwalt, der er war, als ihr Schwager.

Cole stieß einen Seufzer aus. „Das wäre jetzt hoffentlich geklärt.“ Und an seine Sekretärin gewandt: „Was steht als Nächstes auf der Tagesordnung?“

„Gar nichts ist geklärt“, brach es aus Lola heraus, die vergeblich versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. „Das … das ist“, stammelte sie und suchte nach den richtigen Worten. „Das ist Mist!“

„Lola!“, rügte ihr Vater sie.

Doch es stand zu viel für sie auf dem Spiel, um klein beizugeben.

„Du hast mir beigebracht, die Dinge beim Namen zu nennen, und genau das werde ich tun“, sagte sie zu ihrem Vater und blickte sich dann im Raum um.

„Ich habe jahrelang mein Gesicht hingehalten, während diese Firma eine fade Kollektion nach der anderen produzierte und sich damit den Ruf erwarb, Make-up für alte Damen herzustellen“, argumentierte Lola. Denn sie war es, die für Espressos Senioren-Image in der Öffentlichkeit stand, nicht ihr Vater, ihre Geschwister oder deren Ehepartner. „Und jetzt, wo wir endlich ein Comeback mit frischen Farben und aufregenden Produkten feiern, wollt ihr mich für einen Mann mit einer Perücke aus dem Rennen werfen!“

Lola nahm ihren Bruder ins Visier und zeigte mit einer manikürten Fingerspitze auf ihn. „Wenn das nicht absoluter Mist ist, dann sag mir, wie du es nennst.“

Cole zog eine Augenbraue in die Höhe. „Da du kein Problem damit hast, die Dinge beim Namen zu nennen, werde ich genauso verfahren.“ Seine Augen wurden schmal, während er sich zurücklehnte. „Fangen wir einmal mit deinem plötzlichen Interesse für deinen Job an. Wo war es, als Tia dich im vergangenen Jahr persönlich zum Flughafen eskortieren musste, weil du beinahe ein Fotoshooting platzen lassen hast?“

Noch ehe Lola auf diese Frage antworten konnte, feuerte er bereits die nächste Salve ab. „Weißt du eigentlich, was es Espresso gekostet hat, diesen Fotografen zu besänftigen, weil er warten musste?“

Noch bevor sie den Mund öffnete, wusste sie, dass Cole sie nicht verstehen würde. Ihre Schwester hatte sie auch nicht verstanden. „Der Verlobte meiner besten Freundin hatte eine Woche vor der Hochzeit mit ihr Schluss gemacht. Britt war völlig außer sich. Wie hätte ich wegfliegen können, als sie mich am meisten brauchte?“

„Ganz einfach“, erwiderte Cole ebenso ungerührt wie ihre Schwester damals. „Du hättest ihr ein Päckchen Taschentücher geben und dich dann um deinen Job kümmern können.“

Lola schloss kurz die Augen. Wie kaltherzig ihre älteren Geschwister doch waren.

Doch Cole war noch nicht fertig. „Nach jenem Vorfall im Hotel, aus dem man dich nach einer wilden Party hinauswarf, bat ich dich darum, dich künftig aus Unannehmlichkeiten herauszuhalten. Doch du machtest gleich wieder Schlagzeilen. Was war es diesmal?“ Er wandte sich an seine Sekretärin, die ihn nur allzu gern mit Informationen versorgte. „Ein Flugzeug auf dem Weg von Nashville nach Los Angeles musste in Denver zwischenlanden, wo Lola wegen eines angeblichen Angriffs auf einen anderen Passagier abgeführt wurde.“

„A…aber …“, begann Lola.

Wieder ließ Cole sie nicht zu Wort kommen. „Weißt du eigentlich, wie peinlich das für Espresso war? Handy-Videos von dir, umringt von Sicherheitsleuten, haben sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Du hast damit dem Ruf von Espresso massiv geschadet.“

Lola verdrehte die Augen. Sie wusste selbst, dass im Internet ein wahrer Shitstorm gegen sie lief.

Und natürlich gab es keine Videoaufnahmen davon, wie der flegelhafte Passagier in der Reihe hinter ihr seine nackten Füße auf die Rücklehne – und den Kopf – des älteren Herrn neben ihr gelegt hatte.

Sie stieß den Atem aus. Auch wenn Cole ihr das nicht glaubte, hatte sie seine Warnung sehr wohl ernst genommen. Sie hatte ernsthaft versucht, sich nicht einzumischen, denn noch mehr Ärger konnte sie wahrlich nicht gebrauchen.

Anfangs hatte sie ihre Finger in die Armlehnen gekrallt, als der Flegel hinter ihr die Anweisungen der Stewardess ignoriert hatte. Es geht dich nichts an, hatte sie sich immer wieder wie ein Mantra vorgesagt.

Doch als alle höflichen Bitten ihres Sitznachbarn nur mit höhnischem Gelächter quittiert wurden, hatte sie nicht mehr an sich halten können. Sie war aufgesprungen und hatte unter dem Applaus der anderen Passagiere die Füße ihres Hintermanns mit Schwung von der Kopflehne des netten Gentlemans neben ihr geschoben.

Unglücklicherweise hatte der Flegel in diesem Moment ihr Gesicht erkannt, vor Schmerz aufgeschrien und sich zusammengekrümmt.

Das Ende vom Lied war gewesen, dass sie beide aus dem Flugzeug eskortiert wurden. Sie von Sicherheitsleuten flankiert, während der Flegel, der behauptete, sie hätte besinnungslos auf ihn eingeschlagen, in einem Rollstuhl davongeschoben wurde.

„Dein Verhalten war einfach inakzeptabel“, sagte Cole.

„Aber das war ein Irrtum“, rechtfertigte sich Lola. Als die Sicherheitsleute des Flughafens die Wahrheit herausgefunden hatten, hatte man sich bei ihr entschuldigt, doch da waren die Handy-Videos längst online gewesen. „Ich wollte nur einem anderen Passagier helfen.“

Tia schüttelte den Kopf. Lola sah, wie ihr Vater versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, und ihr Schwager warf heimlich einen Blick auf seine Uhr.

„Du hast dich damit selbst aus der Rolle der Repräsentantin von Espresso geworfen“, sagte Cole.

„Jeder von euch hätte in dieser Situation genauso reagiert wie ich“, verteidigte sich Lola.

Cole fuhr sich mit einer Hand über das kurzgeschnittene Haar. Er erwiderte ihren Blick − und Lola glaubte schon, zu ihm durchgedrungen zu sein.

„Mein Entschluss steht fest“, sagte er schließlich.

„A…aber …“

„Das Thema ist beendet.“

„Und was mache ich jetzt?“ Lola konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken, während sie von einem zum anderen blickte. „Wollt ihr mich auch noch aus der Familie ausschließen?“

„Natürlich nicht, Liebes.“ Die harte Miene ihres Vaters wurde weicher.

„Das weißt du doch“, sagte Tia.

„Wirklich?“, fragte Lola.

Cole räusperte sich. „Wir haben das doch alles längst besprochen“, sagte er und wandte sich mit seinen Worten an Tia und ihren Vater. „Lola ist kein kleines Kind mehr, sondern eine fünfundzwanzigjährige Frau“, fuhr er fort, als sei sie gar nicht anwesend. „Und diese Situationen, unglücklichen Zufälle, oder wie immer man die chaotischen Zustände nennen mag, in die sie durch ihre Impulsivität gerät, sind schlecht für das Geschäft.“

Während Lola die Runde am Konferenztisch musterte, dämmerte es ihr. Sie war ihnen im Weg.

„Oh, jetzt verstehe ich.“ Sie hatten sich gegen sie verbündet, dachte Lola. „Ich bin anscheinend das fünfte Rad am Wagen. In dieser Familie und auch in dieser Firma.“

Ihr Bruder sah sie genervt an. „Wir haben wirklich dringende geschäftliche Dinge zu besprechen“, sagte er. „Also setz dich wieder hin, und hör auf, uns mit diesen lächerlichen Anschuldigungen von der Arbeit abzuhalten.“

„L…lächerlich?“, stammelte sie.

Ohne auf ihren Protest einzugehen, gab Cole seiner Sekretärin ein Zeichen, die den nächsten Punkt auf der Tagesordnung vorlas.

Eine Diskussion über die Zukunft des in die Jahre gekommenen Espresso-Gebäudes entspann sich. Lola stand wie zur Salzsäule erstarrt da und konnte es nicht fassen, wie ihre Familie mit ihr umging. Sie hatten ihre Karriere schlichtweg beendet.

Lola wusste nicht, wie lange sie so dastand, als Cole sie ansprach.

„Willst du jetzt weiter wie ein Mannequin in Positur stehen, oder hilfst du uns freundlicherweise bei der Strategie für die kommenden Kampagnen deines Nachfolgers?“

Nach allem, was vorgefallen war, besaß ihr Bruder die Frechheit, sie auch noch um Hilfe zu bitten. Sie wollte schon den Mund öffnen, um ihm zu sagen, dass sie nicht im Traum daran dachte.

Antworte nicht voreilig.

Ihre innere Stimme ließ Lola zögern.

Wie sollte sie mit der Demütigung umgehen, durch eine Dragqueen ersetzt zu werden?

Schluck deinen Stolz hinunter, und nimm das Angebot an!

„Wir alle möchten deine Gedanken dazu hören“, sagte ihre Schwester aufmunternd.

Mit aller Macht versuchte Lola, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken. „Ich … ich …“, begann sie.

„Nun?“, fragte Cole. „Als ehemaliges Model für Espresso hast du doch sicher einige vernünftige Vorschläge.“

Lola starrte ihren Bruder an. Sie schaffte es einfach nicht.

„Lola …“, begann ihr Bruder, doch diesmal war sie es, die ihn unterbrach.

„Vergiss es einfach.“

Ohne einen weiteren Gedanken an die Konsequenzen nahm sie ihre pinkfarbene Ledertasche vom Tisch und ging auf die offene Tür des Konferenzraums zu. Auf der Schwelle hielt sie kurz inne und blickte über die Schulter zurück.

„Mich zu feuern war ein großer Fehler“, sagte sie. „Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, dass wir eine Familie sind, wenn ihr alle angekrochen kommt, damit ich diese Firma und eure Hintern rette.“

Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, ging den Flur hinunter zu den Aufzügen und schwelgte im Gedanken an ihre verblüfften Gesichter.

Sie drückte auf den Knopf nach unten und warf das Haar zurück. Espresso war nicht die einzige Kosmetikfirma der Welt, sagte sie sich. Sie würde jede Menge Angebote von der Konkurrenz bekommen, sobald die Nachricht von ihrem Ausscheiden bei Espresso die Runde gemacht hatte.

„Moment, bitte!“, rief eine männliche Stimme, als sie in den Fahrstuhl stieg.

Na, das hatte nicht lange gedauert, dachte Lola und presste die Lippen zusammen, um ein Grinsen zu unterdrücken. In der Erwartung, eines der männlichen Familienmitglieder zu sehen, drehte sie sich triumphierend um. Doch es war nur einer der Hausmeister mit einer Leiter.

„Danke, Miss Gray.“

Auf dem Weg nach unten in die Lobby überlegte sie, ob sie jemals einen Job angeboten bekäme, der so gut war wie der, den sie eben ausgeschlagen hatte.

Tatsächlich war sie bisher nur bei ein paar Modenschauen während der New York und der European Fashion Week gelaufen. Das Marktsegment für ihr Gesicht war ziemlich klein.

Der Fahrstuhl kam unten an.

„Bis bald, Miss Gray“, rief der Hausmeister.

Lola setzte einen Fuß vor den anderen auf ihrem Weg zum Ausgang, als sie plötzlich durch eines der großen Lobbyfenster einen Mann sah, den sie kannte.

Er stand vor dem Parkhaus gegenüber und war Kameramann für die Reality-Show Promis reingelegt. Er war in ein Gespräch mit einem Typen in einem Clownkostüm vertieft.

Lola unterdrückte einen Fluch. Sie waren schon seit dem Vorfall im Flugzeug hinter ihr her. Am liebsten wäre sie geradewegs auf die beiden zugesteuert und hätte dem einen die rote Nase heruntergezogen und …

„Nein, das machst du nicht“, murmelte Lola vor sich hin. Sie beobachtete die Männer durch die Lobbyfenster und überlegte, ob sie einen der Espresso-Sicherheitsleute bitten sollte, sie zu ihrem Auto im Parkhaus zu bringen.

In diesem Moment klingelte ihr Handy, und sie nahm ihre Designer-Handtasche von der Schulter. Sie wühlte darin herum und fand alles Mögliche, nur ihr Handy nicht. Als sie es dann endlich in der Hand hielt, hatte es aufgehört zu klingeln. Sie wischte mit dem Finger über das Display und rief die Mailbox auf.

Ihre Agentin Jill bat sie nur dringend um einen Rückruf. Sonst nichts.

„Lola, Honey“, tönte Jills Stimme wenige Augenblicke später begeistert durch das Telefon.

Dieser zuckersüße Tonfall, der vor falscher Fröhlichkeit triefte, konnte nur eines bedeuten. Ein weiteres Angebot für irgendeine Werbung, die sich an die Nationale Seniorenvereinigung richtete.

„Du glaubst nicht, wer eben angerufen hat. Sie wollen dich für …“

„Nein“, unterbrach Lola sie. Normalerweise hätte sie ihre Agentin ausreden lassen und dann höflich abgelehnt, aber nach allem, was heute vorgefallen war, war sie dazu einfach nicht in der Lage.

„Aber du weißt doch gar nicht, um was für einen Job es sich handelt …“

Lola klopfte mit einer Fußspitze ungeduldig auf den Boden. Espressos Senioren-Image haftete an ihr − und niemand schien darüber nachzudenken, dass sie erst Mitte zwanzig war.

„Ich dachte, wir hätten das geklärt. Ich bin nicht daran interessiert, für Haftcreme oder barrierefreie Badewannen zu werben oder Aufnahmen zu machen, bei denen ich mich idiotisch grinsend an einen Sugardaddy schmiege, der eine kleine blaue Pille eingeworfen hat.“

„Ich verspreche dir, dies hier ist völlig anders und eine fantastische Gelegenheit. Absolut perfekt für dich“, beharrte Jill.

„Das kommt mir sehr bekannt vor“, knurrte Lola.

„Bitte, hör mir zu!“

Lola zuckte mit den Schultern. Zurzeit hatte sie nichts zu verlieren. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Also gut, schieß los.“

Ihre Agentin erklärte ihr alle Einzelheiten, und Lolas Grinsen wurde immer breiter. Wenn sie es richtig anfing, dann war dies nicht nur ein Job, sondern die Chance ihres Lebens!

Sie beendete das Gespräch und steckte das Handy in ihre Tasche zurück.

Dann stieß sie eine Faust in die Luft und flüsterte die Worte vor sich hin, die sie am liebsten so laut ausgerufen hätte, dass ihre Familie im zehnten Stock sie hören konnte.

„Ich bin wieder da!“

Nichts konnte sie nun mehr umwerfen, dachte Lola. Auch nicht die Tatsache, dass der Hausmeister das riesige Poster von ihr, das seit Jahren in der Lobby hing, herunternahm und durch das eines Mannes mit einer Perücke und Schminke ersetzte.

2. KAPITEL

Polizeichef Dylan Cooper hatte seit seiner Scheidung keine so unbeeindruckten Gesichter mehr gesehen.

„Ich habe gestern Abend zehn Übeltäter ins Gefängnis gebracht“, rief eine Stimme von hinten. „Ich musste nicht einmal Verstärkung rufen.“

„Ist das alles?“ Die Frage wurde von einem Schnauben unterstrichen. „Ich hatte in dieser Woche mehr als fünfzig Festnahmen, einschließlich Big Moe von ganz oben auf der Fahndungsliste.“

Die Festnahme des flüchtigen Big Moe erntete beifälliges Murmeln.

„Was ist mit Ihnen, Chief? Wie viele Kriminelle haben Sie diese Woche von den Straßen geholt?“

Dylan hatte die Henderson-Brüder ins Bezirksgefängnis gebracht, nachdem sie eine Kneipenschlägerei angezettelt hatten, aber das lag schon zwei Wochen zurück.

Er hob den Kopf, und sein Blick traf auf ein Dutzend erwartungsvoller Gesichter.

„Keinen“, erwiderte er schließlich.

Abfälliges Gekicher erfüllte den Raum.

„Man muss allerdings bedenken“, warf Dylan ein, „dass ich eine Polizeistation in einer Kleinstadt leite und keine Video-Spielkonsole.“ Er blickte sich im Klassenzimmer der Cooper’s Place Elementary School um, in dem Schüler der vierten und fünften Jahrgangsstufe versammelt waren.

„Sie haben nicht einmal Big Moe hochgenommen?“, fragte hinten ein Junge.

Dylan dachte kurz nach. Einige seiner Polizeikollegen spielten das beliebte Videospiel, aber keinem war es bislang gelungen, das letzte Level zu erreichen und den gerissenen Big Moe zu schnappen.

Dylan strich sich über das stoppelige Kinn. „Nun, vielleicht …“

„Dylan Cooper.“ Er drehte sich zu der ungewohnt strengen Stimme um. Die Klassenlehrerin stand mit vor der Brust verschränkten Armen hinten in der Ecke.

„Ja, Mrs. Bartlett“, erwiderte Dylan so folgsam wie früher in der fünften Klasse, als sie seine Lehrerin gewesen war.

Sie sah ihn über ihre Lesebrille hinweg an. Ihre Lippen waren geschürzt, wodurch die Falten um ihren Mund stärker hervortraten. Die Jahre hatten ihr dunkles Haar ergrauen lassen. Doch ihr Gesichtsausdruck war genau wie an jenem Tag, als ihm eine Ringelnatter aus der Tasche gekrochen war, die er auf dem Schulweg eingefangen hatte.

„Diese Schüler sitzen an diesem sonnigen Julitag hier in meinem Klassenzimmer, weil sie das Schuljahr damit vertrödelt haben, Big Moe zu spielen, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen.“

Dylan seufzte. Er hatte Mitleid mit den Schülern.

„Nein“, sagte er deshalb. „Big Moe zu schnappen zählt nicht als echte Festnahme.“

Mrs. Bartlett lächelte zustimmend. Doch in der Achtung seiner Zuhörer war er eher gesunken.

„Ist es nicht Ihr Job, Leute zu verhaften?“, fragte ein Junge aus der ersten Reihe.

„Nicht immer“, antwortete Dylan. „Meine Hauptaufgabe ist es, für Sicherheit in unserer Stadt zu sorgen.“

Er blickte sich um und sah den Sohn eines ehemaligen Schulfreundes mit den Fingern schnippen. „Hast du eine Frage, Ryan?“

„Wo ist Ihre Waffe?“, fragte der Junge.

„Zu Hause“, erwiderte Dylan. „Ich bin heute nicht im Dienst. Außerdem haben Waffen in einem Klassenzimmer nichts verloren.“

Dylan warf verstohlen einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwar war heute sein freier Tag, aber er hatte später noch eine Sitzung im Rathaus wegen der bevorstehenden Bürgermeisterwahlen.

„Ja, Kinder, ein typischer Arbeitstag in unserer Stadt beginnt für mich mit meiner morgendlichen Runde und endet mit der nächtlichen Runde“, schloss er seinen Vortrag.

„Das klingt ziemlich langweilig für mich, Chief“, rief der Junge, der Big Moe geschnappt hatte. „Ich kann es kaum erwarten, erwachsen zu werden und von hier weg an einen coolen Ort zu ziehen.“

„Ich auch“, stimmte ein anderer Junge ihm zu.

Dylan verstand die Jungen sehr gut. Schließlich hatte er in ihrem Alter die gleichen Gedanken gehabt. Und er hatte sie umgesetzt. Nach dem Abschluss der Highschool war er mit großen Plänen und seiner Jugendliebe am Arm aus seiner Heimatstadt geflohen.

Er hatte nie vorgehabt, nach Cooper’s Place zurückzukehren, und doch war er wieder hier in seiner Heimatstadt und erfüllte seinen selten aufregenden Job.

Doch nichts gegen Langeweile.

Seine Zeit als Polizist im Süden von Chicago hatte ihn gelehrt, dankbar dafür zu sein, an einem Ort zu leben, an dem die Kinder sorglos draußen spielen konnten. Wo es keine Straßengangs, bewaffneten Raubüberfälle und nächtlichen Mordermittlungen gab.

Opfer des hiesigen Klatsches zu werden war so ziemlich das Schlimmste, was einem hier passieren konnte.

Cooper’s Place, Ohio, war noch immer eine Stadt, in der sich die Einheimischen mit Vornamen kannten und nachts schlafen gehen konnten, ohne sich zweimal zu vergewissern, dass die Tür abgeschlossen war. Hier regierten Frieden und Ruhe.

Nachdem Dylan noch einige Fragen beantwortet hatte, verabschiedete er sich von den Schülern.

Seine frühere Lehrerin begleitete ihn auf den Flur hinaus. „Ich würde Sie gern noch kurz sprechen, Chief Cooper“, sagte sie.

Dylan stöhnte innerlich, da er mit seinem Titel angesprochen wurde, und hoffte nur, sie würde ihm nicht die neuesten Einzelheiten eines Nachbarschaftsstreits auftischen.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte er.

„Es geht um Ihren Onkel“, begann sie. „Mein Fall wurde vergangene Woche vor dem Bürgermeistergericht verhandelt und …“

Autor

Phyllis Bourne
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