Süße Rache in der Oase der Sinne

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Tagelang harrt Lauren verzweifelt vor dem Palast aus: Scheich Tahir muss ihr unbedingt eine Audienz gewähren! Nur er kann eine Gefängnisstrafe ihres Bruders verhindern. Doch als der Wüstenherrscher sie endlich empfängt, sinkt ihr Herz bei seinem eiskalten Blick: Tahir hat weder ihre Affäre damals in England vergessen – noch Laurens Verrat an ihm! Arrogant stellt er für seine Hilfe eine skandalöse Bedingung: Vierundzwanzig Stunden soll Lauren mit ihm allein in einer Oase verbringen. Ein gefährliches Spiel um Leidenschaft und Rache beginnt …


  • Erscheinungstag 04.04.2023
  • Bandnummer 2590
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518437
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Scheich Tahir bin Halim Al-Jukrat kannte seinen obersten Berater gut genug, um die verräterischen Anzeichen bei dem älteren Mann zu bemerken. Trotzdem bestand Ali darauf, diese Spielchen mit ihm zu treiben. Tahir beobachtete, wie er sich mit den Papieren in seiner ledergebundenen Mappe beschäftigte, die Ecken glatt strich, obwohl es nicht notwendig war. Wie er den teuren Montblanc-Füller, den Tahir ihm vor zwei Jahren geschenkt hatte, genau in die Mitte des obersten Blattes legte, um ihn dann noch ein winziges Stück zu verrücken.

Wenn es ginge, so vermutete Tahir, würde Ali wohl jeden Fingernagel mikroskopisch genau nach Schmutz absuchen und unsichtbare Fussel von seinem Anzug zupfen, ehe er damit herausrückte, was ihn offenbar beschäftigte.

„Sind wir dann fertig? Ich würde nämlich gerne mit meinem nächsten Termin weitermachen, bevor ich nach Zinabir aufbreche“, sagte Tahir, wobei er vergeblich versuchte, nicht ungehalten zu klingen.

Ali verzog kaum merklich das Gesicht. Es wäre sonst wohl kaum einem Menschen aufgefallen, doch Tahir sah es. Er bemerkte alles, denn er konnte es sich nicht leisten, irgendetwas zu übersehen. Nicht mehr.

Die sorglosen Tage, in denen er wie ein Kind hoffnungsvoll nach vorne geschaut hatte, lagen weit hinter ihm. Wegen eines Fehlers, den er begangen hatte. Das Schicksal hatte seinen Tribut gefordert. Auf seinen Schultern lastete eine Schuld, die er in diesem Leben nicht mehr würde begleichen können.

In seinen ruhigsten Momenten hoffte Tahir dennoch, dass er es im nächsten Leben schaffen könnte. Und dass er genug in seinem irdischen Dasein erreichen würde, um die tiefe Enttäuschung in den Augen seines Vaters auszulöschen, wenn sie sich im Jenseits trafen. Bis dahin …

Sein Magen verkrampfte sich bei dem Ansturm an Gefühlen, den der Gedanke an seinen Vater ausgelöst hatte.

„Noch nicht ganz, Eure Majestät“, antwortete Ali und verschob den Stift wieder ein kleines Stück.

„Was ist denn noch, Ali?“ Tahir unterdrückte einen Seufzer. „Hat mein Bruder es wieder mal geschafft, in den Schlagzeilen zu landen?“

Sein Bruder kostete das Leben in vollen Zügen aus. Sehr zum Missfallen von Tahir zerrte Javid ihre geschätzte Heimat Jukrat ständig ins Rampenlicht, und zwar nur aus Spaß an der Freude. Sein Bruder konnte von Glück sagen, dass er noch nichts wirklich Ungeheuerliches getan hatte – bis jetzt …

Es frustrierte Tahir, dass der Jüngere gelernt hatte, sich immer haarscharf an der Grenze zu bewegen, ohne sie zu überschreiten. Bisher hatte Tahir ihn in Ruhe gelassen, denn wenn Javid sein Playboy-Leben ruhen ließ, um seine Pflicht zu tun, war er ein so scharfsinniger Diplomat, wie ihm noch keiner über den Weg gelaufen war. Er konnte Wogen glätten und Menschen für sich einnehmen.

Leider nutzte sein Bruder die gleiche brillante Technik, um die schönsten und einflussreichsten Frauen der Welt dazu zu verführen, ihre Kleider abzulegen – sehr zum Vergnügen der Presse.

Tahir hingegen bevorzugte sehr viel diskretere Affären. Nicht nur, weil er als unverheirateter Herrscher von Jukrat noch stärker im Rampenlicht stand, sondern auch wegen der harten Lektion, die er aus jenem Vorfall vor zwölf Jahren gelernt hatte.

Unwirsch schüttelte er die Gedanken ab und richtete seinen bohrenden Blick auf seinen Berater. „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Entschuldigt, Eure Majestät.“ Ali räusperte sich. „Nein, es geht nicht um Ihren Bruder. Seine königliche Hoheit der Prinz benimmt sich gut.“

„Was ist es dann? Spucken Sie es aus, Ali.“

„Die Palastwachen berichten von einem … Besucher, der darauf besteht, Sie zu sehen.“

Tahir runzelte die Stirn. Die Erklärung seines Beraters klang genauso seltsam wie sein Tonfall: widerstrebend, gequält, beinahe bestürzt.

„Korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege, aber gibt es nicht ein Protokoll für ungebetene Besucher? Ein Protokoll, das Sie vor zehn Jahren selbst mitentworfen haben?“

„Ja, das stimmt, Majestät.“

„Dann wüsste ich nicht, wo das Problem liegt.“ Ungehalten stieß Tahir die Luft aus. „Warum bereitet Ihnen ein zufälliger Besuch vor den Palasttoren solche Sorgen?“

„Das Problem ist, dass sie schon seit drei Tagen vor dem Palast kampiert. Jeder Versuch, sie wegzuschicken, ist gescheitert.“

Tahir kniff sich in die Nasenwurzel. Er wollte auch dieses Argument vom Tisch wischen, doch dann verspannte er sich, als hätte ihn der Schlag getroffen.

„Sie?“

„Ja, Eure Majestät. Es ist eine Besucherin.“

Tahir hätte beinahe die Augen verdreht. „Es muss doch einen Grund geben, warum Sie mir diese Information zukommen lassen?“

„Es ist ihre Identität, Eure Majestät. Nachdem sie uns endlich ihren Namen verraten hat, habe ich den Sicherheitsdienst angewiesen, dies noch einmal nachzuprüfen.“

Tahirs Ungeduld wich einer inneren Unruhe. Er widerstand dem Drang, die Hände zu Fäusten zu ballen. Stattdessen verschränkte er die Finger auf seinem Schreibtisch und atmete langsam durch.

„Bin ich dafür bekannt, dass ich Geheimnisse oder Intrigen liebe, Ali?“

Ein kaum wahrnehmbares ironisches Lächeln zeigte sich auf Alis Gesicht, ehe er den Kopf schüttelte.

„Nein, Eure Majestät.“

„Dann rate ich Ihnen, auch jetzt davon abzusehen“, entgegnete er kurz angebunden.

Ali räusperte sich und rückte erneut seinen Stift zurecht.

„Die Besucherin ist eine Miss Lauren Winchester, Eure Majestät …“

Tahir stand so abrupt auf, dass sein Stuhl polternd umfiel. Plötzlich fühlte sich das riesige Arbeitszimmer wie ein Käfig an, der ihn mit alarmierender Geschwindigkeit immer stärker einengte. Ein Glaskäfig, in dem all seine Emotionen sichtbar wurden: Schock, Scham, Wut, Verzweiflung. All das, was er in diesen drei schrecklichen Tagen in England hatte durchleiden müssen, als er ihr ausgeliefert gewesen war.

„Was haben Sie gesagt?“, wollte er wissen. Obwohl er so aufgewühlt war, hörte man seiner Stimme kein Gefühl an. Nichts außer seiner eiskalten Wut.

Jetzt verstand er, warum sein Berater so zögerlich gewesen war, so wie er auch die Redewendung „Mach den Boten nicht für die schlechte Nachricht verantwortlich“ verstand. Denn er war wütend auf Ali, weil er dem verbotenen Namen an diesem Ort Leben eingehaucht hatte. Im königlichen Palast, in dem jede kühne und angemessene Entscheidung über sein Reich mit klarem Kopf getroffen wurde.

„Es tut mir leid. Wir haben versucht, das Problem aus dem Weg zu räumen, aber …“

Tahirs Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

„Aber was?“, hakte er nach.

Ali zuckte mit den Schultern. „Sie war sehr darauf bedacht, immer zum richtigen Zeitpunkt auf den Plan zu treten. Sie kennt das Protokoll gut genug, um nicht gegen Vorschriften zu verstoßen, wie es einige Demonstranten hin und wieder tun.“

Natürlich kannte sie es. Lauren Winchester hatte einen scharfen, brillanten Verstand.

Das war das Erste, was ihm an ihr aufgefallen war, als er vor zwölf Jahren an der Universität in eine Fragestunde über Geopolitik geschlendert war. Er hatte sich im Hintergrund gehalten und die Frau beobachtet, die, das Gesicht von ihm abgewandt, einen der gebildetsten Professoren und eine Koryphäe in seinem Bereich regelrecht vorgeführt hatte.

Zuerst war er ungeheuer fasziniert von dem Einwand gewesen, den sie mit ihrer rauchigen, leidenschaftlichen Stimme vorgebracht und mit dem sie den Professor auf seine falsche Sichtweise hingewiesen hatte. Und dann waren ihm ihre wunderschönen langen blonden Locken aufgefallen, und es hatte ihn gejuckt, seine Finger darin zu vergraben. Als sie die Haare mit ihrer schlanken Hand über die Schultern geworfen hatte, war sein Blick auf ihren zarten, eleganten Nacken gefallen.

Nach einer sehr fesselnden Stunde war sie schließlich aufgestanden und hatte sich umgedreht. Er hatte ihr Gesicht gesehen – und war hingerissen gewesen.

Drei kurze Monate später hatte sie seine Welt auf den Kopf gestellt.

Sein Vater hatte ihn als Schandfleck gebrandmarkt und seine Mutter einen weiten Bogen um ihn gemacht, weil er ihr nicht mehr nützlich war. Freunde und Familie hatten ihn wie einen Aussätzigen behandelt.

Seine Verbannung in die Wüste war eine willkommene Begnadigung gewesen. An diesem Ort hatte er seinen Schock und seine Verbitterung nicht vor neugierigen Blicken verstecken müssen, vor Menschen, die ihn entweder verurteilend oder mitleidig betrachteten.

Diese Klausur hatte ihn von vielem geheilt. Sie hatte ihm einen neuen Weg gewiesen, ohne dass er noch einen Blick zurückgeworfen hätte. Und wenn er hin und wieder einen Anflug von Enttäuschung im Blick seines Vaters gesehen hatte, bevor dieser gestorben war, so war das ein Makel, mit dem er leben musste.

Und all das wegen Lauren Winchester!

Gegen seinen Willen wanderte sein Blick zu dem großen Fenster, obwohl man die Palasttore von dort aus nicht sehen konnte. Das Sicherheitsprotokoll schrieb vor, dass sein Arbeitszimmer in der Mitte des riesigen maurischen Schlosses lag, dem Palast von Jukrat. Auf diese Weise war er geschützt vor Menschen wie Lauren Winchester und den vielen königstreuen Untertanen, die vor den Toren kampierten, in der Hoffnung, einen Blick auf den Scheich zu erhaschen – oder in der falschen Annahme, sich Zugang zu ihm verschaffen zu können, nur weil sie hier aufgetaucht waren.

Anders als bei seiner Mutter, die sorglos und naiv genug gewesen war und sich, sehr zur Bewunderung ihres Volkes, spontan vor den Toren gezeigt hatte, bis ein beinahe geglücktes Attentat dem Ganzen ein Ende gesetzt hatte, wurden Tahirs Auftritte einer strengen Prüfung unterzogen und hatten einem strikten Terminplan zu folgen.

Doch natürlich glaubte eine Frau wie Lauren Winchester, dass sie über solchen Einschränkungen stand.

Am liebsten hätte Tahir befohlen, sie abzuweisen, doch als er den Mund öffnete, kamen ganz andere Worte heraus.

„Hat sie versucht, über die üblichen Kanäle einen Besuchstermin zu vereinbaren?“, erkundigte er sich.

„Nicht dass ich wüsste“, antwortete Ali.

Weil ihr klar war, dass es sinnlos wäre, oder weil sie glaubte, es sei unter ihrer Würde?

Tahirs Lippen wurden zu einem schmalen Strich.

„Sie hätten auch damit fertigwerden können, ohne dass ich je davon erfahren hätte“, sagte er mit rauer Stimme, immer noch wütend darüber, dass sein Berater ihn mit diesem Problem konfrontierte. „Was hoffen Sie damit zu erreichen, dass Sie es mir erzählen?“

Alarmiert und überrascht weiteten sich Alis Augen.

„Ähm … nun … ich denke, es ist vernünftig, den politischen Aspekt nicht zu vergessen, wenn man bedenkt, welche Rolle ihr Vater in der britischen Regierung spielt. Es könnte sich in Zukunft als nützlich erweisen.“

Den politischen Aspekt?

Als ob ihn irgendetwas davon in Bezug auf Lauren Winchester interessiert hätte. Das Einzige, was ihn während der Zeit an der Universität interessiert hatte, waren ihre sündigen Lippen gewesen. Die schönen Hände, die nach ihm griffen. Der Blick aus flaschengrünen Augen, der ihn dazu ermunterte, sich ganz in ihnen zu verlieren.

Das hatte er getan – und es zutiefst bedauert, als sich ihre wahre Natur gezeigt hatte.

Den politischen Aspekt.

Im Stillen spottete er über diese Worte, doch langsam befreite sich ein anderes Gefühl aus diesem Gifthauch und rückte ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Er dachte an all das, was er sich vor zwölf Jahren geschworen hatte.

Erneut warf er einen Blick zu Ali und fragte sich, ob es einen Grund dafür gab, dass er dessen Bemerkung nicht kurzerhand zurückwies.

Zumindest gab einen Grund dafür, dass Ali fest im innersten Kreis seiner zuverlässigen Adjutanten und Berater verankert war. Oft nahm er beide Funktionen wahr, weil er sich durch einen Scharfsinn auszeichnete, den viele unterschätzten.

„War es das dann?“, wollte er wissen. „Oder hoffen Sie mit Ihrer Neigung zu mentalen Schachspielen auf eine andere Herangehensweise?“

Wieder zeigte Ali ein spöttisches Lächeln, ein seltener Anblick, ehe er mit den Schultern zuckte.

„Manche Situationen erfordern ein endgültiges Schach oder Schachmatt. Ich ermögliche nur einen Abschluss, wenn er gebraucht wird.“

Mit etwas abschließen. Das war ein Begriff, den Psychologen für diejenigen verwendeten, die zu schwach waren, um ihre Probleme hinter sich zu lassen.

Aber hatte er damit abgeschlossen? Oder war das hier eine zwar unwillkommene, aber günstige Situation, die er brauchte, um die schrecklichen Ereignisse endgültig zu begraben, sodass er sich der anderen Aufgabe widmen konnte, an der seine Ratgeber so sehr interessiert waren – der Aufgabe, eine Braut auszusuchen, Erben zu produzieren und seinen Platz als Herrscher von Jukrat endgültig zu festigen?

Abrupt blieb Tahir stehen, als er merkte, dass er auf und ab gegangen war und sich jetzt vor dem Porträt seines Vaters befand. Er begegnete dem ernsten Blick aus stählernen Augen des früheren Herrschers von Jukrat, ein unversöhnlicher Mann, der mit gnadenloser Hand regiert hatte. Ein Mann, der keine Gnade gekannt hatte, auch nicht seinem Sohn gegenüber.

Würde sein Vater die Entscheidung gutheißen, die sich langsam in Tahirs Kopf formte? Oder würde er sie als weitere krasse Fehleinschätzung ansehen?

Ali räusperte sich. „Majestät? Haben Sie Anweisungen für mich?“

Abschluss.

Jetzt, da das Wort sich in seinem Kopf festgesetzt hatte, konnte er sich nicht mehr davon befreien. Sein Vater mochte Tahir für das, was er zugelassen hatte, verachtet haben, doch seitdem hatten weder Freunde noch Feinde es gewagt, ihm wegen seines damaligen Verhaltens Vorhaltungen zu machen. Denn er führte ein beispielhaftes Leben, hatte sich ganz seiner Pflicht verschrieben, zweckdienlichen Bündnissen und einer strengen persönlichen Disziplin.

Trotzdem gärte der Vorfall irgendwo tief in seiner Psyche, wie eine Wunde, die nie wirklich verheilt war.

Nein, lautete die entschiedene Antwort. Er konnte das nicht unbeantwortet lassen.

„Sagen Sie meine restlichen Termine ab. Und bringen Sie Lauren Winchester zu mir.“

Tahir war nicht sicher, was er von der Frau erwartet hatte, die er seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er hatte es sich antrainiert, nicht über sie nachzudenken.

Der Anblick, mit dem er zehn Minuten später konfrontiert wurde, als die große, schlanke Frau zu ihm geführt wurde, war verstörend und gleichzeitig seltsamerweise noch erregender als bei ihrem ersten Treffen.

Das Erste, was ihm auffiel, war, dass sie denkbar schlecht gekleidet war für einen tagelangen Aufenthalt draußen vor seinen Palasttoren. Ihr helles, pfirsichfarbenes, knielanges Kleid war beschmutzt, und ihre langen goldenen Locken, die sie früher offen getragen hatte, waren nun unter einem weißen Schal verborgen, den sie locker um Kopf und Schultern geschlungen hatte.

Das Zweite, was ihm ins Auge sprang, war, dass Lauren Winchester – ungeachtet seines ersten Eindrucks – nichts von ihrem Reiz verloren hatte. Wenn überhaupt war sie heute noch atemberaubender als damals. Ihre früher noch fast mädchenhaften Züge waren zu voller Weiblichkeit erblüht, und ihr herzförmiges Gesicht mit den nun ausgeprägten Wangenknochen lenkte die Aufmerksamkeit auf die Intelligenz, die in ihren Augen funkelte. Als sein Blick auf ihren Mund fiel, verdrängte Tahir die Wirkung, die ihre sinnlichen Lippen auf ihn ausübten.

Trotz all der Veränderungen verstörte ihn eines am meisten. Sie wirkte … verschlossen, wo sie früher überschäumend, voll jugendlicher Entrüstung und unstillbarer Leidenschaft gewesen war. Sie hatte eine Reserviertheit an sich, die über die berechtigte Angst hinausging, die in ihrem Blick lag. Es schien, als sei die Wattleistung ihrer Beleuchtung gesenkt worden. Bewusst? Selbst zugefügt oder durch die Hand eines anderen?

Er schürzte die Lippen. Was ging ihn das an?

Reglos blieb er stehen, sein Blick genauso stählern wie der seines Vaters auf dem Porträt, während er beobachtete, wie die Frau, die ihn verraten hatte, seinen Machtsitz durchquerte. Den Ort, an dem er sich selbst täglich ermahnte, ein besserer Mensch zu sein, als er es vor zwölf Jahren gewesen war.

Sie blieb in gebührendem Abstand zu ihm stehen. Seit Jahren wurde nur wenigen Menschen Zugang zum Palast gewährt, ganz zu schweigen davon, auf Tuchfühlung mit Seiner Majestät, dem Scheich von Jukrat, zu gehen. Er war der Herrscher eines Landes. Die einstige Provinz war von seinem Urgroßvater gewissenhaft gefördert und anschließend von seinem Großvater und Vater zu einem achtbaren Staat ausgebaut worden, den Tahir nun zu einem beeindruckenden, international anerkannten Scheichtum entwickeln konnte.

Um diese unerschütterliche Tatsache zu unterstreichen, blieb er hinter seinem Schreibtisch stehen und wartete, bis sie den Blick hob, um ihn anzusehen. Wartete, bis diese vollen, sündig geformten Lippen sich teilten, als sie kurz Luft holte.

„Hallo, Ta… äh … Eure Majestät.“

Jeder Muskel in Tahirs Körper war angespannt, das Feuer, das durch seine Adern raste, genauso unwillkommen wie verstörend.

Zumindest eines hatte sich nicht geändert: Ihre Stimme hatte immer noch eine rauchige, melodische Note und klang wie die tiefen, hypnotischen Töne einer entfernten Glocke, die er ignorieren wollte, obwohl ein Teil von ihm atemlos auf den nächsten Schlag wartete. Und den nächsten.

Diese unwillkürliche Reaktion verwirrte ihn noch mehr, sodass er seine Finger noch stärker gegen das polierte Holz seines antiken Schreibtisches presste.

Als eine volle Minute ohne eine Antwort von ihm verstrichen war, wurde sie einen Hauch blasser, ehe sie sich zwang, erneut zu sprechen.

„Vielen Dank, dass du mich vorgelassen hast.“

„Bedanken Sie sich nicht zu schnell, Miss Winchester. Vielleicht habe ich Ihnen nur Zutritt gewährt, damit ich das Vergnügen habe, Sie zur Hölle wünschen zu können.“ Seine Stimme klang eisig.

Alarmiert weiteten sich ihre Augen, ehe sie den Blick wieder zu Boden senkte.

Bei jeder anderen Frau hätte Tahir dieses Verhalten als Ehrfurcht und Anerkennung seiner Stellung und Macht interpretiert. Aber er wusste, dass es ein aufgesetztes, kalkuliertes Verhalten war, sollte Lauren Winchester sich nicht einer Transplantation ihrer Persönlichkeit unterzogen haben. War es eine List? Tat sie es aus Verzweiflung? Oder radierte sie bewusst einen wichtigen Teil ihres Wesens von früher aus?

Tahir wollte lieber nicht darüber nachdenken, weshalb dieser Gedanke ihm zusetzte.

Als sie mit der Zunge ihre Lippen befeuchtete, wurde ihm viel zu lebhaft bewusst, wie es sich angefühlt hatte, diese Lippen zu küssen, bis sie beide vor Verlangen gestöhnt hatten.

„Ich hoffe, Sie werden es nicht tun.“ So wie er zuvor benutzte auch sie nun die förmliche Anrede.

„Warum?“ Er zwang sich, sein erwachendes Verlangen wieder unter Kontrolle zu bringen.

„Weil ich hierherkommen musste. Ich hatte keine andere Wahl.“

Diesen Einwand konnte er leicht entkräften. Als Scheich musste er schließlich täglich zwischen mehreren Möglichkeiten abwägen.

„Natürlich hatten Sie die. Gut oder schlecht, vernünftig oder dumm. Es gibt immer eine Wahl. Sich vor den Toren meines Palastes zu präsentieren, war riskant. Und sich jetzt vor mir zu präsentieren, ist erstaunlich unklug.“

Ein seltsamer Ausdruck, der ihn an eine alte Freundin erinnerte, flammte in ihren Augen auf. Nur dass diese Frau keine Freundin war. Ganz bewusst hatte sie seine Schwäche genutzt, ehe sie ihn den Löwen zum Fraß vorgeworfen hatte, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.

„Ich … habe versucht, eine E-Mail zu schreiben. Und anzurufen.“

Tahirs Lippen zuckten. „Das ist entweder eine ausgemachte Lüge, oder Sie haben sich bewusst unklar ausgedrückt, um von meinen Palastangestellten nicht ernst genommen zu werden.“

Er vermutete Letzteres.

„Ich konnte nicht sagen, was ich will …“ Sie atmete tief durch, während Tahir sich zwang, nicht auf ihre Brust zu schauen. Auf die weichen Brüste, die er damals mit seinen Händen umfasst hatte. Diese hellrosa Brustwarzen, an denen er sich wie ein Verhungernder gütlich getan hatte, ohne je ganz befriedigt gewesen zu sein. Er war zum Sklaven seiner Lust geworden. Zu ihrem Sklaven. „Es ist eine Privatangelegenheit“, schloss sie.

Er ignorierte die Neugier, die ihre Antwort in ihm geweckt hatte. Denn Neugier war das gewesen, was ihn vor zwölf Jahren auf jenen Weg geführt hatte, der beinahe in Selbstzerstörung geendet hätte.

„Miss Winchester, lädt der englische König denn Fremde in den Buckingham Palace ein, die vor den Toren des Palasts lagern, um ein Gespräch mit ihm einzufordern?“

Sie zuckte zusammen. „Natürlich nicht. Aber wie ich bereits sagte: Ich hatte keine Wahl.“

„Sie hätten gehen können. Wieder zurückkehren in das Loch, aus dem Sie gekrochen sind.“

Lauren umklammerte den Riemen ihrer Tasche so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

„Ich konnte nicht“, flüsterte sie. „Es ist wichtig.“

Er wollte sich nicht erweichen lassen. „Mein Urgroßvater wurde von einem seiner Untertanen ermordet, den er hereingebeten hatte, als er vor den Palasttoren stand. Wussten Sie das?“

„Wie bitte?“ Abrupt hob sie den Kopf. „Nein, das … wusste ich nicht. Es tut mir leid …“

„Auch meine Mutter wäre beinahe zu Schaden gekommen, weil sie geglaubt hat, all ihre Untertanen seien harmlose Menschen. Sie hat gerade ein Kind umarmt, als ein Anschlag auf ihr Leben verübt wurde. Verstehen Sie jetzt, wie unklug es ist, Fremden, die gelegentlich hier vor dem Palast auftauchen, nachzugeben?“

„Ich würde nie …“ Beleidigt schnappte sie nach Luft. „So etwas würde ich niemals tun. Das wissen Sie doch sicher?“

„Ach ja? Was ich weiß, ist, dass Sie mich damals betrogen haben und verschwunden sind, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Richtig oder falsch?“

Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

„Ich … ich bin … ich kann erklären …“, stammelte sie.

„Richtig oder falsch?“, wollte er wissen, seine Stimme heiser vor Emotionen, die er kaum zurückhalten konnte.

Wieder schüttelte sie den Kopf. Wollte sie ihm etwas vorenthalten – oder sich selbst?

„Es tut mir leid.“ Geflüsterte Worte, die in dem eisigen Schweigen widerhallten.

Er nahm sich Zeit, als er zu ihr ging, weil er jede Sekunde brauchte, um seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Ein Dutzend Schritte vor ihr blieb er stehen.

„Sehen Sie mich an“, befahl er. Seine Stimme verriet, dass er als Herrscher eines blühenden Königreiches jedes Recht dazu hatte und dass er keinen Ungehorsam duldete.

Langsam hob sie den Kopf, und ihre grünen Augen, umrahmt von dichten, langen Wimpern, lockten ihn erneut in ihre Tiefen. Doch er widerstand, weil er nicht mehr der ahnungslose Idiot von damals war.

„Entschuldigung nicht angenommen“, sagte er, und Tahir Al-Jukrat hatte seine Freude daran, diese drei Worte auszusprechen.

Ihre Kehle bewegte sich, als sie schluckte, und für den Bruchteil einer Sekunde weinte Tahir der lebenssprühenden Frau nach, die in direkte Konfrontation mit ihm gegangen war. Ihren ungeheuer stimulierenden Gesprächen bis in die frühen Morgenstunden, wenn das Einzige, was sie noch mehr erschöpft hatte, der Marathonsex gewesen war.

Er verabscheute die Hitze, die bei dieser Erinnerung in ihm aufstieg, verschränkte die Arme und sah sie wieder mit durchdringendem Blick an.

„Ich verstehe, dass Sie wütend sind …“

„Ach, wirklich? Oder sind das nur Plattitüden, in der Hoffnung, mich lange genug zu beschwichtigen, damit ich mir anhöre, aus welchem Grund Sie gekommen sind?“

„Ich bin nicht meinetwegen hier.“

Die unterschiedlichsten Gefühle wirbelten in ihm herum und brachten ihn zu der Frage, ob er über dieses Treffen noch einmal hätte nachdenken sollen. Offenbar war er für ihre Bemerkung, dass sie nicht gekommen war, um ihn um Vergebung zu bitten, sehr schlecht gerüstet.

Sie war für jemand anderen hier.

Sein Blick fiel auf ihre Finger, ihre ringlosen Finger. Doch das konnte ihn nicht beruhigen. Dass Lauren Winchester nicht die üblichen Zeichen einer Ehe zur Schau stellte, bedeutete nicht, dass sie nicht noch einen ahnungslosen Idioten hintergangen hatte.

Tahir erinnerte sich an ihre Familie. An die arroganten Eltern, besonders an den Vater, der überall von seiner hochtrabenden Stellung als Minister des Kabinetts herumerzählte, als sei es eine Drohung. An einen jüngeren Bruder, der glaubte, die Sonne würde nur wegen seines guten Aussehens und seiner Verbindungen zur Oberklasse auf- und untergehen. Tahir war oft verblüfft gewesen, wie anders sich Lauren im Vergleich zu ihrer Familie entwickelt hatte, bloß um dann zu entdecken, dass sie nur besser darin war, ihre wahre Natur zu verstecken …

Und jetzt war sie hier. Weil sie um einen Gefallen für einen Liebhaber bitten wollte? Einen Ehemann? Für irgendjemanden, der bedeutend genug war, um ein dreitägiges Sit-in vor seinen Palasttoren zu verdienen, während er, Tahir, nur herzlos entlassen worden war?

Während er diese bitteren Erinnerungen verdrängte, fällte er eine weitere spontane Entscheidung, wie er es schon hätte tun sollen, als Ali ihn über die Identität seiner Besucherin informiert hatte: Er würde diese Frau wieder in die Vergangenheit zurückschieben, wo sie hingehörte.

„Sie und ich, Miss Winchester, haben nichts miteinander zu schaffen. Sie werden aus meinem Palast begleitet. Und ich würde Ihnen sehr empfehlen, nicht zurückzukehren.“

Sie schnappte nach Luft und sah Tahir mit flehendem Blick an, während er auf die Gegensprechanlage drückte, um Ali herbeizurufen. Als sich kurz darauf die Tür öffnete, machte sie einen einzigen, verzweifelten Schritt auf ihn zu.

„Ich bitte Sie, mich anzuhören.“

Er bedachte sie mit einem grimmigen Lächeln. „Ich empfehle Ihnen, keinen Schritt näher zu kommen. Meine Security wird bei solch einem Verhalten sehr rabiat.“

Als sie erstarrte, empfand er einen Anflug von Befriedigung, der jedoch sofort von Unbehagen verdrängt wurde.

Und dann verschwand auch diese Emotion, als sie ihr Kinn hob.

„Haben Sie mich wirklich nur hereinbringen lassen, um meine Zeit zu verschwenden?“, schoss sie zurück.

„Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig, Miss Winchester.“ Er zuckte mit den Schultern. „Sie hatten fünf Minuten. Und diese fünf Minuten sind vorbei.“

Sie öffnete den Mund, aber Ali, der neben sie getreten war, und die Wachen, die an der Tür Position bezogen hatten, brachten sie zum Schweigen.

Doch ihre Augen schossen weiter Pfeile auf ihn ab, nachdem sie sich entschieden hatte, ihre Angst abzulegen. Diese ausdrucksvollen, unvergesslichen grünen Augen erweckten etwas in ihm zum Leben: eine einzigartige, heiße Feuerbrunst, die nur sie allein in ihm hatte entfachen können.

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Brüder der Wüste