Tanz auf den Klippen

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Unerwartet kehrt Jack in Carolines Leben zurück und mit ihm das Herzklopfen, die Sehnsucht, das Verlangen. Hat Caroline den Mut, mit ihm eine Liebesnacht in ihrem Haus am Meer zu verbringen - nach dem, was damals geschah?


  • Erscheinungstag 19.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716165
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Den ganzen Tag hatte Caroline das Gefühl, das Meer würde sie rufen. Deshalb schloss sie den Laden pünktlich um halb sechs, schwang sich auf das Fahrrad und fuhr so schnell zum Strand, als würde sie verfolgt. Dort angekommen, sprang sie vom Rad und lief ans Wasser. Die frische Luft atmete sie so begierig ein, dass man beinahe hätte glauben können, sie hätte die letzten Stunden in einem stickigen düsteren Verlies verbracht.

Es war ganz egal, wie ein Tag verlief: Sobald sie am Strand war, schien die Welt wieder in Ordnung. Sie liebte das Meer und konnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben.

Caroline wusste selbst nicht, warum sie schon am Morgen beim Aufstehen so nervös gewesen war. Ihre Unruhe hatte bis in die Abendstunden angehalten. Es gab jedoch keine vernünftige Erklärung dafür, dass sie sich nicht hatte konzentrieren können. Mit den Kunden, die in ihren kleinen Laden für Künstlerbedarf und Kunstgewerbe kamen, hatte sie sich kaum unterhalten. Das war recht ungewöhnlich.

Auch wenn keine Kunden im Laden waren, gab es genug für sie zu tun. Aber Caroline hatte sich zu nichts aufraffen können. Stattdessen hatte sie immer wieder sehnsüchtig auf die Uhr geblickt. Am liebsten hätte sie das Geschäft schon früher geschlossen, um sich zu ihrer Lieblingsbucht zu flüchten oder sich mit Malen abzureagieren. Aber das hatte sie natürlich nicht getan.

Während sie jetzt die schaumgekrönten Wellen betrachtete, die sich an den Felsen brachen, war sie bestürzt über den Schmerz, der in ihr aufstieg. Ehrlicherweise gestand sie sich sogleich ein, dass sie ihn den ganzen Tag gespürt, ihn jedoch immer wieder verdrängt hatte. Jetzt konnte sie ihn nicht länger ignorieren. Schon seit siebzehn Jahren war ihr dieser Schmerz sehr vertraut, sie war nur zuweilen erstaunt darüber, dass er immer noch so heftig war und sie derart aus dem seelischen Gleichgewicht brachte.

Aber Caroline wollte sich nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen, sondern die Empfindungen, die den Schmerz auslösten, so schnell wie möglich verbannen. Die kleine geschützte Bucht mit dem Sandstrand war ihre ganz private Oase des Friedens und der Ruhe. Hier konnte sie sich entspannen und die traurigen Gedanken vergessen. Es war sowieso sinnlos, zu intensiv über das, was vor so vielen Jahren geschehen war, nachzudenken.

Hier zu stehen, hinaus aufs Meer zu blicken und die frische Luft tief einzuatmen, half ihr immer, sich zu beruhigen und ihre innere Ausgewogenheit wiederzugewinnen. Diese Methode hatte sich bewährt, wenn Caroline vor lauter Verzweiflung nicht mehr ein noch aus wusste. So würde es auch heute sein, davon war sie überzeugt.

Seit genau siebzehn Jahren war Jack nicht mehr in der kleinen Stadt am Meer gewesen. Jetzt stellte er fest, dass sich der Ort, der ihn nachts bis in die Träume verfolgte, kaum verändert hatte. Der Sommer war längst vorbei, und der Herbst neigte sich dem Ende zu. Dennoch hatte Jack damit gerechnet, Horden lärmender Urlauber zu begegnen. Doch glücklicherweise erwiesen sich seine Befürchtungen als unbegründet. Die Stadt war vom Tourismus verschont geblieben und kam ihm immer noch so ruhig und ziemlich nichtssagend vor wie damals; sie hatte sich kaum verändert. Einen Bevölkerungszuwachs hatte es offenbar auch nicht gegeben.

Wäre es mir lieber, wenn sich hier viel verändert hätte? fragte er sich wehmütig. Zumindest wären dann die Erinnerungen, die er am liebsten ganz und für immer ausgelöscht hätte, nicht schlagartig wieder erwacht. Die Reihenhäuser mit Blick auf das Meer wirkten noch genauso grau und abweisend wie vor siebzehn Jahren. Und in der Straße, die in die Sackgasse führte, in der er mit seiner Mutter gelebt hatte, schien ebenfalls die Zeit stehen geblieben zu sein. Plötzlich kehrte die mühsam verdrängte Vergangenheit schmerzlich zurück.

Vor allem an ein Ereignis erinnerte er sich klar und deutlich: die erste Begegnung mit Caroline Tremayne. Sie war mit ihren Freundinnen von der Schule nach Hause gegangen, und er war auf den ersten Blick von ihrem Lächeln, ihrem schönen Gesicht, dem langen, gelockten, blonden Haar und den wunderschönsten Beinen, die er jemals gesehen hatte, fasziniert gewesen. Sekundenlang hatte er sich wie verzaubert gefühlt. Später hatte sein Herz beim Anblick einer schönen jungen Frau nie wieder so heftig geklopft wie in diesem Moment.

Es regnete, und Jack schob die Hände tiefer in die Taschen seines Regenmantels. Wahrscheinlich hatte Caroline die Stadt, in der er aufgewachsen war, längst verlassen. Sie war damals als Sechzehnjährige gerade erst hierher gezogen. Vermutlich hatte sie schließlich zur Freude ihres Vaters, der im Ort eine Praxis als Allgemeinmediziner aufgemacht hatte, einen jungen ehrgeizigen Arzt geheiratet und lebte jetzt in einem vornehmen Londoner Stadtviertel.

Er fragte sich, ob sie Kunst studiert hatte, wie es ihr Plan gewesen war. Vielleicht war sie auch damit zufrieden, Hausfrau und Mutter zu sein, während ihr Mann sich auf seine Karriere konzentrierte.

Zornig fuhr er sich mit der Hand durch das nasse dunkle Haar und verlangsamte den Schritt. Er ärgerte sich darüber, dass er es immer noch unerträglich fand, sich Caroline mit einem anderen Mann vorzustellen. Als erfolgreicher Unternehmer traf er jeden Tag schwerwiegende und weitreichende Entscheidungen. Das war für ihn ein Kinderspiel im Vergleich zu seinen bisher vergeblichen Versuchen, die quälenden und beunruhigenden Erinnerungen an Caroline Tremayne auszulöschen. Sie hatte es nicht verdient, dass er auch nur einen einzigen Gedanken an sie verschwendete, das war die nackte harte Wahrheit. Nach allem, was sie ihm vor siebzehn Jahren angetan hatte, konnte er keiner Frau mehr vertrauen.

Jack zwang sich, die bitteren Gefühle zu verdrängen und sich darauf zu konzentrieren, was er hier erledigen wollte. Entschlossen ging er auf das verfallene viktorianische Haus zu, in dem er aufgewachsen war und das jetzt ihm gehörte.

Caroline hatte gehofft, sich am Meer entspannen und neue Kraft schöpfen zu können, aber der plötzlich einsetzende Regen machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Während sie mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, wehte ihr der Wind den Regen ins Gesicht. Dummerweise hatte sie das Regencape vergessen, und die sportliche Jacke, die sie heute anhatte, bot keinen Schutz gegen dieses Wetter.

Als ihr ein Auto mit viel zu hoher Geschwindigkeit entgegenkam, stieg sie vorsichtshalber vom Rad und wich auf den Gehweg aus. Da sie sowieso bald zu Hause war, beschloss sie, zu Fuß weiterzugehen und das Fahrrad zu schieben. Mit gesenktem Kopf kämpfte sie gegen den Wind und den Regen an. Deshalb bemerkte sie den Mann, der ihr entgegenkam und tief in Gedanken versunken war, erst, als sie mit ihm zusammenstieß.

Er schreckte auf, zog die Hände aus den Taschen und bemühte sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Als sie ihn dann auch noch mit dem Vorderrad am Schienbein traf, fluchte er laut. Caroline entschuldigte sich und sah ihn reumütig an.

Doch als sie seinem Blick begegnete, war sie überrascht und schockiert. Dieses tiefe intensive Blau hatte sie nie vergessen, es gab nur einen Mann, der solche Augen hatte.

„Jack?“, stieß sie hervor. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich wie zugeschnürt an.

„Caroline.“ Er straffte seine Schultern und sah sie kühl und gleichgültig an.

Sie war schmerzlich berührt und hätte weinen können über die Feindseligkeit, die sein Blick verriet. Sie biss sich auf die Lippe. Am liebsten wäre sie auf ihr Fahrrad gestiegen und rasch weitergefahren. Aber sie konnte sich nicht rühren und stand wie erstarrt da.

„Du hast dich kaum verändert“, stellte er hart fest.

Jacks Gedanken wirbelten durcheinander. Wohnte Caroline etwa immer noch hier? Das war kaum vorstellbar. Wenn er geahnt oder vermutet hätte, ausgerechnet ihr zu begegnen, wäre er niemals hergekommen. Und er hätte auch das Haus, in dem er aufgewachsen war, nicht gekauft. Oder vielleicht doch?

Zunächst hatte er Caroline leidenschaftlich geliebt, später hatte er sie genauso leidenschaftlich gehasst. Jetzt empfand er nur noch Verachtung für sie. Aber er gestand sich ein, dass sie immer noch so hinreißend schön war wie damals.

Mit der feinen Haut, den braunen Augen und den verführerischen Lippen wirkte sie ganz bezaubernd. Und genau wie damals schien sie auch jetzt noch Macht über ihn zu haben, denn gegen seinen Willen konnte er dem Wunsch, sie zu küssen, kaum widerstehen.

„Was machst du hier?“, fragte sie schließlich, während sie den Fahrradlenker mit beiden Händen so fest umklammerte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

„Das geht niemanden etwas an.“

„Entschuldige, ich …“

„Hast du etwa vergessen, dass ich kein Freund von Small Talk bin?“ Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch.

Caroline errötete und blickte ihn schweigend an.

Er verzog zufrieden die Lippen und schien sich über ihr Unbehagen zu freuen. „Nun, es hat sich nichts geändert.“ Dann schob er die Hände tief in die Taschen seines Regenmantels und ging weiter. „Auf Wiedersehen, Caroline.“

„Ist Dr. Brandon fertig für heute?“

„Ja, der letzte Patient ist gerade weg, Miss Tremayne. Gehen Sie doch einfach hinein“, forderte die Arzthelferin sie freundlich auf.

Ohne zu zögern, eilte Caroline an ihr vorbei, klopfte kurz an die Tür des Behandlungsraums und öffnete sie, nachdem Nicholas „Herein!“ gerufen hatte.

Er war der beste Freund ihres Vaters bis zu dessen Tod, und jetzt war er ihr ein enger Vertrauter. Beim Anblick seines liebenswürdigen und warmen Gesichtsausdrucks konnte sie nur mühsam die Tränen zurückhalten. Die Begegnung mit Jack Fitzgerald hatte sie aufgewühlt und verwirrt.

„Hallo, Caroline.“ Nicholas ging um den riesigen Schreibtisch aus Eiche herum, umarmte Caroline zur Begrüßung und küsste sie auf die Wange. „Was für eine angenehme Überraschung. Ich habe gerade an dich gedacht.“

„Hast du einen Brandy für mich oder dergleichen? Als Medizin sozusagen.“ Sie rang sich ein Lächeln ab.

Nicholas betrachtete sie besorgt und runzelte die Stirn. „Was ist passiert? Du bist völlig durchnässt und zitterst. Setz dich, und erzähl mir, was los ist.“ Er drückte sie auf den Stuhl, auf dem sonst seine Patienten saßen. Dann holte er eine Flasche Whisky aus dem Schrank. „Einen Brandy kann ich dir leider nicht anbieten, aber ein Whisky ist genauso gut.“ Er schenkte ihr ein Glas ein und reichte es ihr. Nachdenklich beobachtete er sie, während sie einige Schlucke trank.

„Dein merkwürdiges Verhalten beunruhigt mich, Caroline“, erklärte er und drückte ihr kurz die Schulter.

Der Whisky brannte ihr wie Feuer in der Kehle, doch wenige Sekunden später setzte die wohltuende Wirkung ein, die sie sich erhofft hatte. Der Schmerz über die unerwartete zufällige Begegnung mit Jack ließ etwas nach.

Sie sah Nicholas an und versuchte, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. „Du denkst wahrscheinlich, ich sei völlig durchgedreht. Entschuldige bitte, dass ich unangemeldet hereingeschneit bin.“

„Caroline, was ist los? Wir kennen uns schon so lange und sind gute Freunde. Und daran hat auch Megs Tod im letzten Jahr nichts geändert. Wenn du irgendwelche Probleme hast, kannst du jederzeit mit mir darüber reden. Ich bin für dich da, das weißt du doch.“

Ja, das wusste sie natürlich. Seit dem Tod ihres Vaters war Nicholas Brandon eine wichtige Bezugsperson für sie. Die Freundschaft mit ihm und seiner Frau Meg hatte Caroline ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit gegeben, das sie so lange vermisst hatte. Als ihr Vater gestorben war, hatte sie erkannt, wie sehr sie sich nach der Zuneigung sehnte, die er ihr nicht hatte geben können. Und ihre Mutter natürlich auch nicht, denn sie war schon lange tot. Nicholas und seine Frau hatten Caroline sehr in ihrem Entschluss bestärkt, wieder in ihr früheres Zuhause zurückzukehren. Jack Fitzgerald wurde jedoch nie erwähnt. Sie hatte nicht mit ihnen darüber geredet, dass sie sich als Sechzehnjährige hoffnungslos in ihn verliebt hatte und ihm überallhin gefolgt wäre, wenn er es gewollt hätte.

Aber das war nicht der Fall gewesen. Er war damals von der Idee besessen, mehr aus seinem Leben zu machen als seine Eltern und es zu etwas zu bringen. Nach den Ereignissen, die sein und Carolines Leben für immer verändert hatten, war er nach Amerika gegangen, um dort sein Glück zu finden. Weshalb war er jetzt zurückgekommen?

Bei ihrer letzten Zusammenkunft damals hatte er sie zutiefst verletzt. Er erklärte, er würde nie wieder nach England zurückkehren und hasse sie für alles, was sie ihm angetan hatte. Sie hatte ihm jedes Wort geglaubt und war überzeugt gewesen, dass es nie wieder zu einer Versöhnung kommen würde. Die heutige Begegnung hatte ihr bewiesen, dass er seine Einstellung zu ihr nicht geändert hatte.

„Das weiß ich zu schätzen, Nicholas. Aber ich habe eigentlich gar keine Probleme. Ich bin nur etwas schockiert, das ist alles“, erwiderte sie, ohne ihn anzusehen.

„Warum bist du schockiert?“

„Jemand aus der Vergangenheit ist mir über den Weg gelaufen.“ Ich habe ihn einmal so sehr geliebt, dass ich mich Tag und Nacht nach ihm gesehnt habe, fügte sie insgeheim hinzu.

„Handelt es sich dabei vielleicht um einen ehemaligen Freund?“ Nicholas setzte sich auf die Schreibtischkante. „Du bist sehr aufgewühlt, Liebes. Offenbar hat dieser Mensch dir einmal viel bedeutet.“

„Er war nicht mein Freund.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls nicht … offiziell.“

Sie hatte die Beziehung mit Jack geheim halten müssen, weil ihr Vater mit der Freundschaft nicht einverstanden gewesen war und ihr den Umgang mit Jack verboten hatte. Er kam nicht aus ihren Kreisen, er war der Sohn eines Alkoholikers, und ihr Vater erwartete von ihr als seiner einzigen Tochter, dass sie in ihrem Umgang wählerischer war.

Drei Monate später, sie war gerade siebzehn geworden, stellte sie fest, dass sie schwanger war. Sie musste mit ihrem Vater reden und zugeben, dass sie Jack heimlich getroffen hatte.

Da Jack vorhatte, den Ort zu verlassen und in einer Großstadt Karriere zu machen, wie er es ausdrückte, wollte Caroline ihm nicht im Weg stehen. Außerdem betonte er immer wieder, er würde sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. Sie wusste, wie schwierig sein Leben war, und wünschte sich für ihn und seine Zukunft nur das Allerbeste. Deshalb hatte sie dem Druck ihres Vaters nachgegeben, der vor Zorn gewütet und getobt hatte, und die Schwangerschaft abbrechen lassen.

Als sie es Jack erzählte, schlug seine Liebe zu ihr in Hass um. Er hatte ihr versichert, er würde ihr niemals verzeihen, und erklärte, er wolle sie nie wiedersehen.

Heute hatten sie sich nach siebzehn Jahren wiedergesehen, doch verziehen hatte er ihr nicht.

„Geht es um Jack Fitzgerald?“

Caroline sah Nicholas entsetzt an und wurde blass. „Du weißt von ihm?“

„Dein Vater war mein bester Freund, Liebes. Natürlich weiß ich, dass du in den Jungen sehr verliebt warst.“

Der „Junge“ war damals schon zwanzig gewesen, und jetzt war er siebenunddreißig, drei Jahre älter als Caroline. Er war noch genauso attraktiv, trotz der Falten auf seiner Stirn und des bitteren Zuges um seine Lippen. Allzu gut erinnerte sie sich daran, wie leidenschaftlich und sinnlich er sie damals geküsst hatte, und sie stöhnte laut auf.

„Weißt du etwa alles?“

„Ja, ich weiß von der Schwangerschaft und der Abtreibung“, antwortete Nicholas.

Caroline war froh, dass in seiner Stimme weder Vorwurf noch Missbilligung schwang. Er schwieg eine Zeit lang, sodass sie ihren Gedanken nachhängen konnte, ehe er ruhig fortfuhr: „Dein Vater hielt es für das Beste, dass du das Kind nicht bekamst – und er hatte recht. Du warst erst siebzehn, Caroline, und hattest deine ganze Zukunft noch vor dir. Du solltest studieren und dich zunächst auf deine Karriere konzentrieren. Ihm war klar, dass ein Junge wie Jack Fitzgerald niemals zu dir gestanden hätte. Du wärst eine alleinerziehende Mutter gewesen, während deine Freundinnen das Leben genießen und Spaß haben konnten. Dein Vater hat dich sehr geliebt, das musst du mir glauben.“

„Hat er das?“ Caroline blickte ihn mit Tränen in den Augen an. „Hätte er mich wirklich geliebt, hätte er mir damals niemals eine Abtreibung zugemutet, sondern zu mir gehalten und mir geholfen, als ich feststellte, dass ich schwanger war. Doch er hat mich verurteilt und dafür gesorgt, dass der Mann, den ich geliebt habe, mich für immer verachtet.“

„Er hat versucht, es wiedergutzumachen, indem er dir das Haus und genug Geld vererbt hat, um ein eigenes Geschäft zu eröffnen“, wandte Nicholas ruhig, aber bestimmt ein. Seine Loyalität ihrem Vater gegenüber war durch nichts zu erschüttern.

Verzweifelt stand Caroline auf und stellte das Glas auf den Schreibtisch. Dann warf sie mit einer Kopfbewegung die lange, gelockte, blonde Mähne zurück und entgegnete: „Er hat mich nur selten spüren lassen, dass er mich liebt. Glaubst du wirklich, das Haus und das Geld könnten mich für die Zuneigung, die mir gefehlt hat, entschädigen oder mich vergessen lassen, dass ich mein Kind und Jack verloren habe?“

Als Nicholas schwieg, senkte sie traurig den Kopf. „Ich sollte jetzt nach Hause gehen und hätte nicht herkommen und dich nicht mit meinen Problemen belasten dürfen.“

„Es ist keine Belastung für mich, Caroline. Du weißt doch, ich würde alles tun, um dir zu helfen.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie liebevoll. „Aber egal weshalb Jack Fitzgerald zurückgekommen ist, es ist meiner Meinung nach das Beste, du hältst dich von ihm fern.“

Sie zog sogleich die Hand zurück, drehte sich um und ging zur Tür. „Du meinst es gut, Nicholas, das ist mir klar. Aber du hättest dir den Rat sparen können. Jack Fitzgerald würde sich nie wieder mit mir einlassen, denn er verachtet mich immer noch genauso sehr wie damals. Das hat er mir heute deutlich zu verstehen gegeben.“

2. KAPITEL

Nach der Besprechung mit dem Bauunternehmer, den er mit der Renovierung beauftragt hatte, verließ Jack das Haus, in dem er aufgewachsen war, und ging zu seinem Wagen. Dann fuhr er ziellos an der Küste entlang, ohne auf die Umgebung zu achten.

Caroline nach siebzehn Jahren wiederzusehen hatte ihn zutiefst aufgewühlt. Nachdem er eine Stunde umhergefahren war, hielt er am Straßenrand an, stellte das Radio ab und starrte frustriert ins Leere.

Sie hat kein Recht, so verdammt strahlend zu wirken und so schön zu sein, dass es mir fast das Herz zerreißt, dachte er zornig. Was für eine Ironie, dass das Schicksal es offenbar gut mit ihr gemeint hatte. Lebte sie vielleicht in einer glücklichen Ehe und wurde von ihrem Mann geliebt und angebetet? Sah sie deshalb so blendend aus? Den Gedanken fand Jack unerträglich. Damals hätte er alles für sie getan. Er war so sehr in die schöne Caroline mit dem gelockten blonden Haar und den braunen Augen verliebt gewesen, dass ihn ihr Verrat an den Rand der Verzweiflung gebracht hatte. Damals war etwas in ihm zerbrochen.

Seitdem hatte er mehrere Affären und Beziehungen gehabt. Aber keine andere Frau hatte er so sehr geliebt wie Caroline. Nach der Scheidung von Anna vor einem Jahr lebte er wieder allein.

Schließlich atmete er tief durch, um sich zu beruhigen. Wie so oft seit seinem Herzanfall, klopfte auch jetzt sein Herz wieder viel zu unregelmäßig. Es störte ihn, und er ärgerte sich über sich selbst.

Die wunderschöne Landschaft um ihn herum hätte ihn ablenken und ihm helfen können, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Doch er nahm seine Umgebung kaum wahr. Er wusste, auch wenn er noch so lange im Auto sitzen blieb, das quälende Gefühl der inneren Leere würde sich nicht auflösen.

Er war zurückgekommen, um den Leuten zu zeigen, dass er trotz seiner schwierigen Kindheit und Jugend so erfolgreich war wie kaum ein anderer Mensch. Alle hier waren überzeugt gewesen, er würde so enden wie sein Vater. Aber jetzt war er Multimillionär und ein überaus angesehener Unternehmer. Er besaß mehrere Firmen und hatte in der Geschäftswelt einen guten Ruf. Man schätzte ihn wegen seiner Integrität und seiner Menschlichkeit, und man bewunderte ihn wegen seiner Disziplin und seines Ehrgeizes. Von allen Seiten wurde ihm Anerkennung zuteil, und vor einem Jahr war er in New York zum Unternehmer des Jahres gewählt worden.

Die Schande darüber, dass sein alkoholsüchtiger Vater die Familie verlassen hatte und seine Mutter von Medikamenten abhängig geworden war, die ihr der Arzt verschrieben hatte, damit sie das ganze Elend, in dem sie leben musste, besser ertragen konnte, hatten ihn in seiner Kindheit und Jugend nie losgelassen. Doch sein Erfolg und seine glänzende Karriere hätten die Erniedrigungen der Vergangenheit wettmachen sollen. Die Begegnung mit Caroline heute hatte Jack jedoch daran erinnert, dass er für sie nicht gut genug gewesen war. Lieber hatte sie ihr Kind abtreiben lassen, als es gemeinsam mit ihm großzuziehen. Das trübte seine Freude darüber gewaltig, nach Hause zu kommen und allen beweisen zu können, wie sehr sie sich in ihm getäuscht hatten. Das erhoffte Triumphgefühl wollte sich nicht einstellen.

Aber er hatte zu lange auf diesen Tag hingearbeitet und empfand tiefe Genugtuung darüber, dass er das Haus hatte kaufen können. Es hatte einmal seinen Eltern gehört, doch weil sie die Raten für die Hypothek nicht mehr hatten bezahlen können, war es versteigert worden. Die Stadtverwaltung hatte Jack und seiner Mutter eine ziemlich schäbige Wohnung am Stadtrand zugewiesen. Dort waren sie nie glücklich geworden, hatten sich sehr geschämt, und die schwierige Situation hatte zweifellos dazu beigetragen, dass seine Mutter viel zu früh gestorben war. Jetzt gehörte das Haus ihm. Er wollte es von Grund auf renovieren lassen. Es sollte das exklusivste Gebäude weit und breit werden und alle anderen Häuser in den Schatten stellen. Nur so konnten die Erinnerungen an die damals erlittene Schmach ausgelöscht werden und in Vergessenheit geraten. Leider hatte seine Mutter nicht lange genug gelebt, um sich mit ihm freuen zu können.

Als er vor sechs Monaten nach seinem Herzanfall im Krankenhaus gelegen hatte, war der Plan in ihm gereift. Doch wie sollte er damit umgehen, dass die Frau, die ihm vor siebzehn Jahren das Herz gebrochen hatte, noch hier in der Stadt oder in der näheren Umgebung wohnte? Damit hatte er nicht gerechnet, und es machte die Sache komplizierter.

„Verdammt!“, stieß er zornig hervor. Dann startete er den Motor und fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit weiter, so als könnte er dadurch seiner eigenen Vergangenheit entfliehen.

Autor

Maggie Cox
Schreiben und Lesen gingen bei Maggie Cox schon immer Hand in Hand. Als Kind waren ihre liebsten Beschäftigungen Tagträumen und das Erfinden von Geschichten. Auch als Maggie erwachsen wurde, zu arbeiten begann, heiratete und eine Familie gründete blieben ihre erfundenen Heldinnen und Helden ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Was immer...
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