Tiffany Hot & Sexy Band 49

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MANCHE MÖGEN'S ZIEMLICH HEIß von SHARPE, ISABEL
"Du bist es. Mein Seelenverwandter. Meine große Liebe!" Als Eva für einen Monat mit ihrer Zwillingsschwester das Leben tauscht und nach New York zieht, trifft sie den Mann ihrer Träume. Dumm nur, dass Ames einfach nicht mehr von ihr zu wollen scheint als Sex …

VERBOTEN VERFÜHRERISCH von IRELAND, KELLI
Breite Schultern, ein verführerisches Sixpack, schmale Hüften … Bei Levis Anblick stockt Harper prompt der Atem. Doch als Steuerfahnderin hat sie in seinem Strip-Club für Ladys nur eins zu tun: Sie soll verbotene Geschäfte aufdecken, nicht sich verführerischen Fantasien hingeben!

FREUNDSCHAFT MIT SEXY EXTRAS von GARBERA, KATHERINE
Spontan vereinbart Bradley mit seiner besten Freundin Elizabeth: Wenn beide mit dreißig immer noch Single sind, werden sie Freunde mit sexy Extras. Ein erregender Plan mit ungeahnten Folgen für alle Beteiligten …

EIN HÖLLISCH HEIßER RITT von RAYE, KIMBERLY
Sabrina braucht dringend ein paar sexy Cowboys - natürlich nur als Lockmittel für ihre neugegründete Dating-Website! Privat ist die Unternehmerin überzeugter Single. Bis sie den höllisch heißen Rodeoreiter Billy trifft und gegen jede Vernunft plötzlich selbst schwach wird …


  • Erscheinungstag 27.10.2015
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733750787
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Isabel Sharpe, Kelli Ireland, Katherine Garbera, Kimberly Raye

TIFFANY HOT & SEXY BAND 49

ISABEL SHARPE

Manche mögen’s ziemlich heiß

Warmherzige, quirlige Frauen wie Eva sind eigentlich so gar nicht Ames’ Typ. Doch mit ihren ungeahnt verlockenden Kurven bringt sie die alles entscheidenden Argumente für eine prickelnde Affäre mit …

KELLI IRELAND

Verboten verführerisch

Ein richtig heißer Strip! Levi geht aufs Ganze, um die attraktive Steuerfahnderin Harper von ihrem Job abzulenken. Denn sobald sie einen Blick in die Bücher seines Clubs wirft, ist er verloren …

KATHERINE GARBERA

Freundschaft mit sexy Extras

Bradley ist seit Jahren Elizabeths bester Freund – und unverschämt attraktiv. Aber wenn sie ihre Karriere nicht riskieren will, darf sie sich nicht mehr erlauben als eine Freundschaft mit sexy Extras!

KIMBERLY RAYE

Ein höllisch heißer Ritt

Ein One-Night-Stand – mehr soll Sabrina für den Womanizer Billy nicht sein. Denn für ihn zählt im Moment nur eins: Rodeo-Champion zu werden. Bis er den besten Sex seines Lebens mit Sabrina hat …

PROLOG

Über dem Pazifik ging die Sonne unter. Eva Meyer saß am kalifornischen Aura Beach und hielt eine Tasse ihrer eigenen Teemischung aus Orange und Kamille in der Hand. Die Farben waren einfach umwerfend: Der Himmel spannte sich hoch über ihr in Rosa, Orange und Tiefrot und spiegelte sich in Wolken und Wasser wider. Ein sanfter, frischer Septemberwind streifte ihre Wangen. Pelikane zogen vorüber: lange weiße Hälse, die Köpfe im Nacken, die Flügel weit ausgebreitet, auf dem Weg nach Süden. Jederzeit konnte ein Delfin aus der unruhigen See auftauchen – immer wieder ein magischer Moment.

Und Eva war zu Tode gelangweilt.

Seit Monaten fühlte sie sich wie aus der Bahn geworfen und ungewöhnlich niedergeschlagen. Die Kalifornier hatten ihre Stimmung auf ein schwaches Qi, eine ungünstige Planetenkonstellation, schlechte Schwingungen oder sonstige mystische Kräfte zurückgeführt, aber Eva suchte nach einer handfesteren Begründung. Vielleicht hatte sie zu viel gearbeitet, war zu wenig unter Leute gekommen. Ganz sicher hatte sie zu wenig Sex gehabt. Aber Langeweile? Das wollte sie sich ungern eingestehen. Nur den Langweilern wird langweilig, war die Devise ihrer Mutter, Buchhalterin von Beruf, und nach diesem Mantra hatte Eva gelebt – oft wilder, als es ihrer Mutter lieb war.

Aber heute, in einem dieser seltenen Momente der Entspannung und Besinnung, konnte sie die hässliche Wahrheit nicht länger leugnen – die Langeweile lachte ihr höhnisch ins Gesicht.

Autsch.

Sie war jetzt achtundzwanzig und seit drei Jahren stolze Besitzerin des Slow Pour Café in der winzigen Küstenstadt Carmia. Das Geschäft lief gut, sie hatte einiges investiert und sich einen guten Ruf erarbeitet. Obwohl sie den Laden und seine freundliche Atmosphäre liebte, die dem ganzen Ort einen gewissen Charme verlieh und gleichermaßen Einheimische wie Touristen anlockte, und sie alle Hände voll damit zu tun hatte, spürte sie im Grunde doch …

Langeweile.

Wie war das möglich? Die Lehrjahre an der Seite ihres Vaters, des Kaffeeexperten Dr Meyer, und die vielen Reisen zu wichtigen Exporteuren weltweit – nach Hawaii, Äthiopien, Brasilien, Indonesien – hatten ihren Traum genährt: Sie wollte ihre Heimat, den Mittleren Westen, hinter sich lassen und gegen die Gelassenheit, Schönheit und die offene Wesensart an der kalifornischen Küste eintauschen. Sie wollte ihr eigener Chef sein, ihren eigenen Laden führen. Und jetzt lebte sie diesen Traum! Wie viele Menschen konnten das von sich behaupten?

Ihre Zwillingsschwester Chris, zwei Minuten älter und so glamourös und ehrgeizig, wie Eva unkonventionell und tiefenentspannt war, hatte ebenfalls ein Café eröffnet; allerdings in New York City. Und Chris heulte nicht herum, weil sie sich ihren Lebenstraum erfüllt hatte. Wie verwöhnt musste man sein, wenn man alles hatte und trotzdem nicht zufrieden war?

Eva seufzte, nippte an ihrem Tee und betrachtete den Himmel, der über ihr sein prächtiges Farbenspiel fortsetzte …

Langeweile.

„Uff“, Chris ließ sich auf ihr schmales Bett im Schlafzimmer des winzigen Appartements fallen, das sie auf der Eighty-Seventh Street mit ihrer Mitbewohnerin Natalie teilte. Vor dem Fenster heulte eine Sirene vorbei, Autos hupten, und ein Fahrer brüllte: „Mach bitte mal Platz, du Idiot!“ – nur dass der Fahrer weder „bitte“ noch „Idiot“ sagte.

Sie war erschöpft.

Sie gab es ungern zu. Und sie hasste das Gefühl. Sie war immer ein absolutes Energiebündel gewesen. Eine Weile hatte sie sich mit dem Gedanken beruhigt, dass die schlechte Stimmung vermutlich mit dem Ende des Sommers, ihrer liebsten Jahreszeit, zusammenhing und die Aussicht auf den nächsten langen Winter sie etwas mitnahm. Vielleicht spürte sie auch einen Rest Liebeskummer wegen ihrer Trennung von John, obwohl die bereits Wochen zurücklag.

Aber heute hatte sie sogar ihren Zumba-Mädels abgesagt, die tanzen gehen wollten. Stattdessen war sie nach Hause gekommen, hatte einen Teller Suppe gegessen und die Wand angestarrt und das alles nur aufgrund von …

Erschöpfung.

Verdammt, irgendwas lief hier völlig falsch! Seit wann ließ sie sich so runterziehen? Sie kannte das Wort Erschöpfung doch eigentlich gar nicht. Ihre ganze Jugend hatte sie von einem Leben in der Großstadt geträumt. Lärm, Hektik und ein gewisses Quäntchen Chaos waren ihr Lebenselixier, ihr Kraftzentrum, ihr Power-Knopf. Helle Lichter, breite Straßen – yes, Baby! Seit drei Jahren schlug sie sich durch den herrlich durchgeknallten Dschungel namens New York City, zuerst als Managerin bei Fine Grind und seit letztem Jahr als Inhaberin ihres eigenen Cafés NYEspresso. Der Umsatz war nicht überwältigend, aber sie hatte den Laden auch nicht vor die Wand gefahren. Ein Traum wird Wirklichkeit! Bitte mal kneifen!

Na, vielleicht besser mal ohrfeigen für all das Geheule. Ihre freigeistige Zwillingsschwester Eva hatte ebenfalls das Kaffeeparadies auf Erden verwirklicht und die ließ es in Kalifornien sicher krachen und jammerte nicht dermaßen herum.

Chris hob den Kopf, überlegte es sich anders und ließ ihn zurück aufs Kissen fallen.

Es half nichts, da war einfach nur …

Erschöpfung.

Langsam verschwand die glänzende Sonnenscheibe hinter dem Horizont. Eva fummelte ihr Handy aus der Tasche, um Chris anzurufen. Auf den ersten Blick waren die beiden Schwestern so unterschiedlich, wie zwei Menschen nur sein konnten. Aber ihre leidenschaftliche Liebe zu Kaffee verband sie, und sie teilten das tiefe Verständnis, das für Zwillingspaare typisch ist. Chris würde Evas miese Laune vielleicht nicht verstehen, aber sie würde ihr gut zureden und helfen, wo sie konnte – und wenn es nur um einen saftigen Tritt in den Hintern ging.

Vielleicht war das schon alles, was sie jetzt brauchte.

Chris hob sofort ab. „Hey, Zwilling, was geht?“

„Das Übliche.“ Eva zögerte. „Was ist los mit dir? Du klingst anders als sonst.“

„Du aber auch.“

„Ach ja? Wie denn? Moment, nicht verraten – so sexy wie Scarlett Johansson vielleicht?“

„Darüber muss ich nachdenken … du mit rauchiger Stimme. Hm. Wie klinge ich denn?“

„Niedergeschlagen.“

„Okay, erzähl mir, was los ist.“ Sie redeten durcheinander.

„Du zuerst.“

„Nein, du.“

Eva kicherte. Schon die Stimme ihrer Schwester nur zu hören, versetzte sie in bessere Stimmung. „Ich sitze auf warmem Sand und beobachte den Himmel, wie er erst rosa, dann orange, purpurn und schließlich nachtblau wird. Hinter mir tuscheln die Palmen, und vor mir rauscht das Meer …“

Chris schnaubte. „Und was soll da bitte nicht in Ordnung sein?“

„Ja, schon klar.“ Eva griff sich etwas Sand und ließ ihn durch die Finger rinnen. „Ich bin unruhig, das geht schon länger so. Irgendwie fühl ich mich komisch.“

„Zeit für einen neuen Haarschnitt?“

Eva lächelte über dieses scherzhafte Patentrezept aus Teenie-Zeiten. „Ich hab mir zig neue Spangen gekauft, um was Neues auszuprobieren, hat aber nichts genutzt.“

„Haarspangen? Das will ich mir nicht mal vorstellen.“ Chris machte ein Geräusch, als würde sie angeekelt das Gesicht verziehen. „Wie läuft das Café?“

„So lala.“

„Beziehungskiste?“

„Kein Kerl in Sicht.“

„Ha! Dann ist das wahrscheinlich dein Problem.“

Eva seufzte schwer. „Ja, vielleicht. Und bei dir so?“

Nun seufzte Chris. „Keine Ahnung. Ich bin irgendwie … lethargisch.“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen. Du bist doch sonst nicht totzukriegen.“

„Ich glaube, ich bräuchte mal einen Tapetenwechsel.“

„Ja, ich auch.“ Im schwindenden Licht wurde die Luft kühler, und Eva zog ihren Kapuzenpulli enger um sich. „Ich bin nach Kalifornien gezogen, weil es so superrelaxed ist, aber manchmal scheint hier überhaupt nichts zu passieren, und dieses Nichts passiert auch noch verdammt langsam.“

„Klingt himmlisch.“ Chris seufzte erneut. „Hier passiert ständig etwas, in Hochgeschwindigkeit.“

„Fantastisch.“ Eva ließ sich auf den Sand sinken und betrachtete den Nachthimmel. In dem Moment kam ihr eine verrückte, geradezu alberne Idee, und sie musste kichern.

„Worüber lachst du?“

„Wir können unsere Läden nicht dichtmachen und einfach ’ne Auszeit nehmen – aber wir könnten doch für einen Monat unsere Leben tauschen.“

Stille. Dann schrien beide Schwestern auf. „Oh mein Gott!“

1. KAPITEL

„Chris, ich bin da! Ich rufe aus deiner Wohnung an.“ Eva ließ ihre Taschen in den engen Flur von Chris’ Appartement fallen. Sie hatte ihre Schwester bisher nur einmal in New York besucht, kurz nachdem Chris hergezogen war. Für gewöhnlich trafen sie sich bei ihren Eltern in Wisconsin, wenn sie gemeinsam die Feiertage verbrachten.

„Lass mich raten, sie ist größer, als du sie in Erinnerung hattest“, meinte Chris sarkastisch.

„Hm, nein, eigentlich nicht.“ Eva lugte um die Ecke in die Küche, die so groß wie ihre Abstellkammer war. „Aber es ist total gemütlich!“

„Ach, das findest du also gemütlich. Ich dachte, dein Haus wäre der Inbegriff von Gemütlichkeit, mit all den Pflanzen und Blumen und der Meeresluft direkt vor der Tür. Stell dir mal vor, wie gemütlich meine Wohnung sich im Februar anfühlt, wenn es in New York wochenlang dunkel und schweinekalt ist.“

„Ach was.“ Eva schulterte wieder ihre Taschen und ging den Flur entlang. Sie öffnete die erste Tür. „Dein Schlafzimmer ist hinreißend.“

„Hinreißend? Man kann sich da drin kaum um die eigene Achse drehen. In deinem Schlafzimmer kann ich Rad schlagen. Hier sind mehrere Quadratmeter Boden sichtbar. Und mit zwölf Schritten bin ich in der Natur. Zum Strand sind es gerade mal fünf Minuten! Keine Aufzüge, keine Sirenen, keine Taxis, keine …“

„Konzerte oder Museen, kein Kino, kein …“

„Stau, keine Hurrikans, keine ungeduldigen, unhöflichen Leute …“

„Keine Aufregung! Kein Nervenkitzel!“

„Kein Ames!“

„Hä?“ Eva hievte ihren Koffer auf Chris’ Bett. „Wer ist Ames?“

Chris stöhnte auf. „Ein Stammkunde bei NYEspresso. Und außerdem ein nervtötender Schnösel, dem ich fünfzigmal sagen kann, dass ich nicht an ihm interessiert bin. Er kapiert es einfach nicht. Er ist ein reiches, völlig verzogenes Gör, das noch nie in seinem Leben das Wort ‚nein‘ gehört hat.“

Eva gluckste. Die Männer waren Chris schon immer gefolgt wie die Bienen dem Honig. Sie brauchte einem ihrer zahlreichen Verehrer nur grünes Licht zu geben, und schon hatte das Single-Dasein ein Ende. Für Eva mit ihren diversen Ticks war es normalerweise genau andersherum: Wenn sie einen Mann attraktiv fand, heftete sie sich an seine Fersen. „Ich sage ihm, dass du durchgebrannt bist. Vielleicht stürzt er sich vom nächsten Wolkenkratzer.“

„Ja, schlag ihm das bitte mal vor.“

„Du wirst dich in Carmia dafür mit Surfertypen und planlosen Touristen rumschlagen müssen. Und mit pensionierten Hippies, die einen Kaffee bestellen, ewig rumsitzen und denken, du hättest nichts Besseres zu tun, als stundenlang mit ihnen zu quatschen. Und leider haben sie damit meistens auch noch recht. Aber zum Glück wird Zac fast jeden Tag da sein, der ist echt cool.“

„Das sagtest du schon. Allerdings finde ich eure Abmachung immer noch schwachsinnig. Wer willigt schon ein, seinen besten Freund zu heiraten, wenn er mit dreißig noch nichts Besseres gefunden hat?“

„Wir finden die Idee gut.“ Eva hatte nicht erwartet, dass Chris es verstehen würde. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass Liebesabenteuer eine fantastische, prickelnde Sache waren, aber wenn es um den Mann fürs Leben und zukünftigen Vater ihrer Kinder ging, würde sie nur schwer einen geeigneteren Kandidaten finden als Zac, Master-Student an der Cal Poly und Stammkunde bei Slow Pour. Gerade weil sie nicht leidenschaftlich ineinander verliebt waren, wäre er auf lange Sicht ein guter, verlässlicher Partner.

„Bei NYEspresso brüllen dich die Leute an, weil du nicht schnell genug bist oder weil der Typ vor ihnen in der Schlange zu langsam aufrückt. Die New Yorker behandeln dich wie ihren Sklaven.“

„Ich freue mich auf eine neue Herausforderung.“

Chris kicherte. „Ich kann das alles immer noch nicht glauben.“

„Was? Dass wir hier schreckliche Klischeebilder von New York und Kalifornien von uns geben?“

„Das auch. Aber du weißt schon, unser Tausch. Gehst du nachher noch zu NYEspresso rüber?“

„Mhm.“ Eva konnte es kaum erwarten, den Laden zu sehen, jetzt wo er ihr gehörte – wenn auch nur für kurze Zeit. „Ich schaff’s glaub ich gerade noch vor Ladenschluss.“

Chris lachte auf. „Ja, nimm die Zeit, die du für den Weg eigentlich brauchen würdest, und schlag noch eine halbe Stunde für Verzögerungen, Wartezeiten und Menschenmassen drauf und …“

„Wenigstens komm ich hier ein bisschen rum.“ Zu Hause bestand Evas Weg zur Arbeit aus ein paar Schritten hügelabwärts und einer Abbiegung; da gab es nicht viel zu sehen. „Ich will deine Mitarbeiter kennenlernen und mich vorstellen, wo sie doch jetzt einen ganzen Monat mit mir auskommen müssen.“

„Die freuen sich. In letzter Zeit war ich ganz schön mies drauf.“

„Du?“, spottete Eva. „Niemals.“

„Du wirst schon sehen. Pass auf dich auf, Schwesterchen.“

„Du auch.“ Eva legte auf. Sie war schrecklich aufgeregt; Straßen- und Verkehrslärm drangen durchs Fenster. Hier gab es echte Zivilisation – das war das wahre Leben! Sie konnte es kaum erwarten. Aber zuerst einmal tief Luft holen und eine kleine Meditationsübung einschieben, um die Nerven zu beruhigen und ein bisschen runterzukommen, bevor sie ihr Team bei NYEspresso traf.

Sie setzte sich im Schneidersitz auf die abgewetzten Holzdielen und schloss die Augen, löste ihr Bewusstsein von der Umgebung, wiegte sich leicht, um ihre innere Mitte zu finden, machte ihren Geist frei und versuchte, auf die weise innere Stimme zu hören, die ihr immer …

Die Wohnungstür flog krachend auf, und Eva schreckte hoch. Das musste Chris’ Mitbewohnerin Natalie sein. Laut Chris gab es in Natalies Leben nur zwei Zustände: Entweder versuchte sie gerade, einen Typen ins Bett zu kriegen, oder sie wurde von diesem Typen wieder aus seinem Bett rausgeworfen. Chris kannte niemanden, der sich auf der Suche nach der großen Liebe so ungeschickt anstellte wie Natalie, aber sie war eine gute Seele – wenn sie einen erst einmal kannte.

Eva war sehr gespannt auf ihre erste Begegnung.

„Ach ja? Leck mich, Edward!“ Hohe Absätze donnerten durch den Flur. „Nein, wirklich? Träum weiter. Und weißt du was? Im Bett bist du die totale Lachnummer!“

Oha. Diese Person hörte definitiv nicht auf ihre weise innere Stimme.

„Nein, jetzt sag ich dir mal was, du ver… – oh. Hi.“ Sie blieb vor Evas Tür stehen; eine brünette Erscheinung von knapp einem Meter achtzig, die vermutlich weniger wog als Eva mit ihren ein Meter fünfundsechzig. „Ich ruf zurück, Edward, okay? Nein? Na gut, dann nicht. Niemals. Arschloch.“

„Hi.“ Eva unterdrückte krampfhaft ihr Lachen. Nicht, dass in Carmia immer eitel Sonnenschein herrschte, aber diese Tirade schien ihr doch sehr nach New York zu passen.

„Du musst Chris’ Schwester sein.“ Natalie musterte Eva voll Neugier und betrachtete die türkisfarbenen Ballerinas, den Stufenrock mit Blumenmuster, die bunten Schichten der übereinander getragenen weiten Tops, die zahlreichen Ohrringe und die Schmetterlingsspangen in Evas Haar. „Sie hat nicht gelogen; du bist ihr genaues Gegenteil.“

„Fast.“ Eva setzte sich so aufrecht hin wie möglich und musterte Natalie ebenfalls von unten bis oben: Sie war die Verkörperung modischer Eleganz. Sie und Chris mussten jedem Mann in New York den Kopf verdrehen, wenn sie gemeinsam ausgingen.

„Meditierst du oder so?“

„Ja.“ Eva lächelte. „Ich ruhe dann ganz in mir. Vielleicht willst du das auch mal …“

„Ah ja, gut.“ Natalie erwiderte ihr Lächeln nicht. „Ich hab mein Zeug im Kühlschrank markiert, und das Bad brauch ich morgens immer zwischen fünf und sechs.“

„Kein Problem.“ Eva presste die Lippen zusammen, um nicht zu grinsen. Ich freu mich auch, dich kennenzulernen. „Du arbeitest für ein Innenarchitekturbüro, hab ich gehört.“

„Hm, ja.“ Natalie antwortete, als sei das die langweiligste Sache der Welt. „Genau.“

„Gefällt’s dir?“

„Ist schon okay.“ Demonstrativ schaute sie auf die Uhr. Offensichtlich mochte sie sich nicht länger aufhalten.

Aus irgendeinem Grund wollte Eva die Unterhaltung gerade deshalb fortsetzen. „Wie lange lebst du schon in New York?“

„Schon immer.“

„Deine Eltern auch? Was machen sie?“

Natalie wurde etwas gesprächiger: „Meine Mom hat in ’nem Chor am Broadway gesungen. Und mein Dad ist Musikprofessor.“

„Wow! Voll cool. Bist du auch musikalisch?“

Natalie lehnte sich gegen den Türrahmen, doch ihr Körper blieb starr. „Ich hab ’ne Zeit lang Klarinette gespielt und Tanzunterricht genommen. Bin in der Schule in Theaterstücken und Musicals aufgetreten, solche Sachen. Ich geh immer noch gern ins Theater. Hab in meiner Kindheit wahrscheinlich alle Shows gesehen, die es so gibt.“

„Das ist super.“ Eva betrachtete ihre neue Mitbewohnerin eingehend und fragte sich, wie weit sie wohl gehen konnte. „Tut mir leid, dein Gespräch da eben mit Edward.“

„Er ist ein Idiot. Alle Männer sind Idioten.“ Natalie stieß sich wieder vom Türrahmen ab. „Ich muss mich fertig machen. Hab eine Verabredung.“

„Oh.“ Eva war verwirrt. „Aber doch nicht mit Edward?“

Natalie warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Wovon träumst du nachts?“

„Ach, oh, na dann.“ Eva winkte ihr lächelnd zu. „Viel Spaß mit wem auch immer.“

Natalie stöckelte davon.

Eva war sich ziemlich sicher, dass sie keine besten Freundinnen werden würden.

Und in Anwesenheit ihrer neuen, nicht besten Freundin, die durch die Wohnung polterte und vor sich hin schimpfte, war das mit der Meditation auch ziemlich aussichtslos. Doch Eva gab ihr Bestes. Als sie aufstand, fühlte sie sich zumindest etwas geerdeter, weniger zerstreut, und NYEspresso wollte sie noch immer einen Besuch abstatten.

Knapp eine Stunde später stand sie schließlich vor dem Laden ihrer Schwester an der Ecke Tenth Avenue und West Forty-Third Street. Das Viertel um die Hudson Yards war ziemlich angesagt. Eva hatte tatsächlich unterschätzt, wie viel Zeit sie der Weg kosten würde, aber das Café schloss erst in einer Stunde.

Um sie her wogte das Meer aus Anzugträgern in gedeckten Farben: Jacketts und legere Bürokleidung. In ihrem wilden Blumenrock und dem magentafarbenen Kapuzenpulli stach sie deutlich aus der Masse, aber niemand würdigte sie eines zweiten Blickes. In dieser Stadt konnte man so ziemlich alles tragen, ohne Aufsehen zu erregen.

Sie stieß die Eingangstür auf und wurde sofort von ihrem Lieblingsduft umfangen: frisch gebrühter Kaffee – höchstens noch vom Aroma frisch gerösteter Kaffeebohnen zu übertreffen.

NYEspresso hatte sich seit Evas letztem Besuch vor über einem Jahr ziemlich verändert. Chris hatte dem Laden unverkennbar ihren Stempel aufgedrückt. Er war schlichter und effizienter gestaltet, schicke Stühle aus transparentem Kunststoff standen an ovalen, weißen Tischen mit verchromten Beinen. Auch die lange, rechteckige Theke war strahlend weiß. Am hinteren Ende gab man seine Bestellung auf und zahlte, und zum Eingang hin lockte Gebäck in einer Glasvitrine. Die Wände waren dunkelrot gestrichen, und bis auf weiße Glasleuchter gab es keinen Wandschmuck.

Stylish. Gewagt. Lud nicht gerade zum Entspannen ein. Aber das hier war ja auch Manhattan und nicht Carmia.

Lächelnd ging Eva auf die Theke zu und streckte dem Barista – einem attraktiven Kerl mit Augenbrauenpiercings und auffälligen Tattoos – die Hand entgegen. „Hey, ich bin Eva, Chris’ Schwester.“

„Oh, hallo, wie geht’s?“ Eva hatte Probleme, die Worte im New Yorker Genuschel auseinanderzuhalten. „Ich bin Jinx.“

„Jinx, klar. Ich wollte heute Abend nur kurz vorbeischauen und Hallo sagen. Ab morgen bin ich ja offiziell mit im Boot.“

„Cool, nett, dass du da bist. Echt eine coole Idee, die ihr da hattet, Chris und du.“ Er schaute zur Tür und verdrehte die Augen. „Oh Mann, der schon wieder.“

Eva wandte sich um. Ein riesiger Blumenstrauß auf Männerbeinen kam auf sie zu.

Jinx schnaubte. „Der Kerl gibt echt nicht auf.“

Die Blumen wurden gesenkt.

Und Evas Herz setzte aus. Okay, jetzt nicht wirklich – es war total absurd, aber es fühlte sich tatsächlich so an, als stünde ihr Innerstes, als stünde die ganze Welt still, um diesen einen bedeutenden Augenblick zu würdigen.

Sie erblickte kurzes, volles, dunkles Haar, das wirkte, als hätte er viel Zeit aufs Styling verwendet, obwohl sich die Strähnen einfach nicht bändigen ließen. Tiefbraune Augen und dunkle Brauen. Hohe, schlanke Wangenknochen. Volle Lippen, zu beiden Seiten sanft geschwungen. Ein leichter, männlicher Schatten aus Bartstoppeln ums Kinn. Teurer schwarzer Anzug und eine geschmackvoll gemusterte Seidenkrawatte in Blau, Burgunder und Beige. Goldene Uhr. Glänzende Lederschuhe.

Das musste er sein. Ihr Seelenverwandter. Ihr Traummann, die eine große und ewige Liebe.

In jedem Fall war er ihre nächste heiße Nummer.

„Ist Chris da?“ Der Seelenverwandte legte die Blumen auf den Tresen und warf Eva nur einen kurzen Blick zu, bevor er sich an Jinx wandte. Sie war es gewohnt, auf einen Mann wie ihn keinen Eindruck zu machen. Aber das hier war ja erst der Anfang.

„Nein, Mann.“ Jinx winkte den nächsten Kunden heran. Er legte ganz offensichtlich keinen Wert auf ein Gespräch.

Der Traummann zog ein iPhone aus der Tasche und wischte darauf herum.

„Hi.“ Eva trat vor und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Eva, Chris’ Schwester.“

„Soso.“ Er starrte weiterhin auf sein Handy und schien konzentriert zu lesen.

„Die Frau, die du heiraten wirst. Wir werden wunderschöne Kinder haben. Ich denke so an fünf oder sechs. Damit sollten wir bald anfangen, ich bin nämlich schon achtundzwanzig.“

Abrupt hob er den Kopf. Ihre Augen trafen sich und konnten sich nicht mehr voneinander lösen. Nun, Evas Augen jedenfalls. Er hingegen streifte sie nur kurz mit seinem Blick, sah dann aber noch einmal etwas genauer hin, nach dem Motto: Was guckst du denn so? „Tschuldigung, was haben Sie gesagt?“

„Nicht so wichtig.“ Sie lächelte ihr süßestes Lächeln und streckte erneut die Hand aus. Es ging nur um unser restliches gemeinsames Leben. Oder, was wesentlich wahrscheinlicher ist, den Rest unseres kommenden gemeinsamen Monats. „Sie waren abgelenkt.“

Er seufzte frustriert. „Manchmal bin ich nicht sicher, ob ich der Herr dieses Handys bin oder ob das Handy mein Herr ist.“

„Wie heißen Sie?“ Sie wettete, er hieß …

„Ames Cooke.“

Volltreffer: Chris’ Nervensäge. Die Glückliche. Er war also das sogenannte „reiche Gör“, von dem Chris vergessen hatte zu erwähnen, dass es zudem unglaublich sexy war.

Konnte er wirklich der vollkommen eingebildete Geschäftsmann sein, nach dem er aussah? Die leicht verstrubbelten Haare schienen dagegenzusprechen. Sie überlegte bereits, ob er wohl irgendwo ein verstecktes Tattoo hatte … Sie konnte es kaum erwarten, danach zu suchen.

„Sind Sie zu Besuch hier?“, fragte Ames und blickte sich suchend um, zweifellos in der Hoffnung, Chris doch noch irgendwo zu entdecken.

„Ich vertrete Chris für einen Monat.“

Seine Aufmerksamkeit schoss pfeilschnell zu ihr zurück. „Chris? Warum? Geht’s ihr nicht gut? Wo ist sie?“

Wie süß von ihm, sich Gedanken zu machen. Ein fürsorglicher Mann. „Sie arbeitet in meinem Café in Kalifornien. Wir haben für einen Monat getauscht.“

„Getauscht …“ Ames hatte sichtlich Schwierigkeiten, diese Information zu verarbeiten. Doch vielleicht würde die Tatsache, dass seine Angebetete ohne sein Wissen die Stadt verlassen hatte, ihm beweisen, dass er und Chris kaum füreinander geschaffen waren.

Wohingegen er und Eva …

Wenigstens für einen Monat.

„Tja, Mist.“ Er starrte ratlos auf die Blumen; ein wunderschöner, fast absurd riesenhafter Strauß aus rosaroten Rosen, blutroten und weißen Lilien, weißen Tulpen, Freesien und weiß Gott noch was.

„Sie könnten sie umtauschen. Oder hierlassen.“ Eva wies in den Laden. „Ein bisschen Frische und Farbe könnte nicht schaden.“

„Oh.“ Er sah aus, als hätte er sein Gegenüber bis eben wieder vergessen. „Von mir aus.“

„Vielen Dank.“ Sie nahm die Blumen und strahlte ihn an. „Also, Ames, was haben Sie heute Abend so vor?“

Wie erwartet erschrak er etwas, blickte auf die Uhr und errötete leicht. „Ich muss gleich … ich … ich hab da …“

„Wow, das klingt fantastisch!“

Er lachte überrascht, und Eva fuhr fort: „Ich bin erst heute gelandet, also werde ich es ruhig angehen lassen.“ Sie legte den Strauß zurück auf den Tresen, neben die Gebäckvitrine. „Vielleicht bestell ich was zu essen. Man soll sich in dieser Stadt ja alles Mögliche nach Hause liefern lassen können.“

„Stimmt.“

Sie legte den Kopf schief und warf ihm einen koketten Blick zu. „Sogar Sie?“

„Sogar ich was?“

„Wenn mir zu Hause langweilig wird und ich Gesellschaft brauche, kann ich mir dann sogar Sie nach Hause bestellen?“

„Also das …“ Er trat einen Schritt zurück. „Ich glaube …“

Eva winkte ab. „Keine Angst, war nur ein Witz. Ein Kaffee aufs Haus gefällig?“

„Ähm.“ Er lachte unsicher. „Also eigentlich …“

„Jinx.“ Sie wandte sich an den Barista. „Geben Sie dem Mann, was immer er will.“

„Okay.“ Jinx sah Ames kühl an. „Was darf’s denn sein?“

„Hmm.“ Ames tippte schon wieder auf seinem Handy herum. „Äh … einen Red Eye. Nicht ganz voll, bitte. Zum Mitnehmen.“

Eva machte einen halben Schritt auf ihn zu. „In Kalifornien nennen wir schwarzen Kaffee mit einem zusätzlichen Schuss Espresso Hammerhead.“

„Tatsächlich?“

„Ja, tatsächlich.“ Sie lächelte ihn an. Er war so reizend und so unschuldig – er ahnte nicht, dass Nächte voll heißem Sex vor ihm lagen. In diesem Monat und vielleicht für den Rest seines Lebens.

„Und im Mittleren Westen, wo ich aufgewachsen bin, heißt das Getränk Depth Charge.“

„Aha.“

Eva versuchte es anders. „Was machen Sie denn so in dieser wundervollen Stadt, Ames?“

Er murmelte irgendetwas, während er die winzigen Buchstaben auf seinem iPhone malträtierte.

„Ames.“ Eva legte ihm sanft die Hand auf den Arm.

„Hä?“ Er sah auf. „Verzeihung, haben Sie was gesagt?“

„Ich habe gefragt, was Sie so in New York treiben.“

„Ach so. Ich bin Vertriebsleiter bei Boyce Wines, einem Weinhändler mit Sitz in der City. Wir importieren exklusive Weine von kleinen, familiengeführten Weingütern aus Italien und Frankreich.“

„Interessanter Job. Da wissen Sie sicher gut über Wein Bescheid.“

„Denke schon.“ Er zuckte mit den Schultern und steckte sein Handy weg. Dann sah er sie neugierig an. „Und Sie?“

„Ich kenn mich nur mit Kaffee aus.“ Sie ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, und ein Hauch seines frischen maskulinen Aftershaves wehte ihr entgegen. „Wie sind Sie dazu gekommen?“

„Mein Vater führt einen Weinladen.“

„Wirklich? Wo?“

„New Jersey.“ Er bewegte sich auf die Kaffeeausgabe zu. „Sind Sie bei allen Ihren Kunden so neugierig?“

„Neugierig?“ Sie sah ihn verwundert an. „In Kalifornien nennt man so was eine Unterhaltung. In New York nicht?“

„Sorry.“ Er war gnädig genug, ein verlegenes Gesicht aufzusetzen. „War ein harter Tag. Also Kalifornien, wie?“

„Central Coast.“ Sie tippte sich an die Nase und lächelte verführerisch. „Gute Weingegend.“

„Absolut.“

„Einen Red Eye. Zum Mitnehmen!“ Jinx knallte den Becher auf den Tresen.

„Tut mir leid, dass Ihr Tag so anstrengend war.“ Eva ließ nicht locker. „Wollen Sie vielleicht drüber reden?“

„Sie sind sicher sehr beschäftigt.“ Er griff nach dem Becher.

„Würde ich es Ihnen dann anbieten?“

„Ah.“ Jetzt lächelte Ames und setzte einen wissenden Blick auf. „Sie sind tatsächlich Chris’ Schwester. Zumindest sind Sie genauso schlagfertig.“

„Danke.“ Eva betrachtete die Blumen; sie waren schön, wirkten auf der kühlen Theke aber irgendwie altmodisch. Die einzigen Blumen, die man sich hier vorstellen konnte, müssten rechteckig sein.

„Haben Sie schon einmal meditiert?“

„Äh … nein. Hören Sie, es war nett, Sie …“

„Nach einem stressigen Tag ist das echt Gold wert. Sie sollten es unbedingt versuchen.“

„Hmm, nein, vielen Dank. Kein Interesse.“

„Man sollte alles im Leben mal ausprobiert haben.“ Sie berührte die Stelle in der Mitte seiner Stirn, wo für Buddhisten das dritte Auge sitzt. Er erstarrte vor Schreck und blickte schielend hoch zu ihrem Finger, was seiner Attraktivität jedoch keinen Abbruch tat. Eva brachte ihn durch bloße Gedankenkraft dazu, sie anzusehen, was ihr bewies, dass es eine tiefe Verbindung zwischen ihnen geben musste. Oder dass er gerade einfach das Bedürfnis hatte, sie anzusehen, was fast genauso gut war. Sie blickten sich lange an – auch er wandte die Augen diesmal nicht ab –, und der Adrenalinstoß war so stark, dass Eva beinahe die Kontrolle verlor. „Es ist erstaunlich, wie ruhig und friedlich und zugleich fokussiert und klar man sich fühlen kann. Das ist so anders als unsere sonstige Selbstwahrnehmung, wenn wir durch die Gegend hetzen und uns mit außerhalb von uns liegenden Dingen und Sorgen beschäftigen. Unsere Instinkte werden dabei völlig unterdrückt.“

Er blinzelte. „Hm, klar.“

„Und …“ Sie senkte die Stimme und ließ ihren Finger über seinen wunderbar feinen Nasenrücken wandern. „… Meditieren ist auch eine sehr sinnliche Erfahrung. Sie hören, sehen, fühlen, schmecken und berühren die Welt auf eine ganz neue Weise, wenn Ihr Geist zur Ruhe kommt.“

Der attraktive Ames schluckte hörbar, trat rasch einen Schritt zurück und schaute auf seine Uhr. „Ja, also … danke für den Kaffee, aber ich muss jetzt wirklich los.“

„Sicher, sicher. Sie wollen natürlich nicht zu spät kommen, zu was auch immer Sie noch vorhaben.“ Sie unterdrückte ein Grinsen. „Nett, Sie kennengelernt zu haben.“

„Ja, gleichfalls.“ Er wandte sich um und eilte zur Tür.

„Ames!“

Widerwillig und sichtlich genervt drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Was?“

Eva deutete auf Milch und Zucker. „Den Becher nicht ganz voll?“

„Oh, richtig.“ Er kam mit großen Schritten zurück, schüttete hastig etwas Milch in seinen Kaffee, rammte einen Deckel drauf und schoss aus dem Laden.

Eva blickte ihm nach, schlang die Arme um sich und lächelte selbstvergessen. Was für ein besonderer Tag. Sie hatte ihre nächste wahre Liebe gefunden, Ames Cooke, der noch nicht geschnallt hatte, dass sie füreinander bestimmt waren.

Der arme Kerl würde nicht wissen, wie ihm geschah.

2. KAPITEL

Chris lief den Hügel vor Evas Haus hinab, bog nach links in die La Playa Avenue und war nach wenigen Metern bei Slow Pour angekommen. So sollte es sein! Keine endlosen Betonbürgersteige, kalt und zugig, wo ihr der Straßenstaub in die Augen wehte. Kein Warten auf die U-Bahn in vollgepinkelten unterirdischen Tunneln. Kein Geschwanke zwischen missmutigen, schweigsamen Pendlern …

In Carmia spazierte sie in fünf Minuten zur Arbeit, ohne Mantel, dafür mit dem Geruch nach Erde und Meer in der Nase. Und fast noch besser: Evas Café öffnete um sieben und nicht schon um sechs, also konnte sie fast zwei Stunden länger schlafen als in New York.

Das war so cool!

Mit einem albernen Grinsen im Gesicht ordnete sie die zusammengewürfelten bunten Tische vor dem Laden neu, die Eva selbst zusammengesucht und umlackiert hatte. Außentische im Oktober!

Noch immer grinsend, betrat sie das Café. Es war liebenswert, einladend, vollgestellt und sehr persönlich. An den sonnengelben Wänden prangten Regenwaldgemälde. Darüber hatte Eva Fotos von sich und Chris auf Kaffeeplantagen in der ganzen Welt aufgehängt. Daneben Werke einheimischer Künstler, die man direkt im Laden kaufen konnte. Auf dem orangefarbenen Tresen, der seitlich an der Wand stand, lagen Bio-Seifen, Schmuck und Tüten mit handgefertigten Pralinen, ebenfalls von Einwohnern Carmias hergestellt. Auf Drehständern wurden Postkarten, Slow-Pour – Stoffbeutel, T-Shirts und Hüte angeboten. Und hinter der Verkaufstheke hatte Eva ein blaues Surfbrett an die Wand geschraubt, auf dem eine Anschlagtafel farbenfroh die Angebote des Tages verkündete.

Drinnen saß nur ein Kunde, was bei dem guten Wetter kein Wunder war. Der blonde Typ starrte in seine Zeitung, doch als Chris eintrat, legte er das Blatt sofort weg und starrte stattdessen sie an.

Unhöflich.

Sie ignorierte ihn geflissentlich, ging zur Theke und streckte der zierlichen, blonden Bedienung die Hand entgegen. Die junge Frau trug ein türkisfarbenes Trägertop auf leicht sonnengebräunter Haut, wie Chris sie sich ebenfalls schnellstmöglich zulegen wollte. Das musste Summer sein.

„Hey, hallo!“ Ein warmes Lächeln breitete sich auf Summers Gesicht aus und offenbarte schockierend weiße Zähne. „Chris, richtig?“

„Stimmt.“ In ihren anthrazitfarbenen Shorts und dem hellen Wollpulli fühlte Chris sich mit einem Mal blass und trist. „Hi, Summer.“

„Wusste ich’s doch!“ Summer strahlte sie dermaßen an, dass sie sich allmählich etwas unwohl fühlte. „Ich freu mich so, dich kennenzulernen. Willkommen in Kalifornien!“

„Danke, ich mich auch. Ich bin heute nur als Kundin da, um Hallo zu sagen.“

„Das ist super! Kann ich dir was bringen? Ich mach’s zum Mitnehmen, du solltest heute Nachmittag unbedingt noch an den Strand.“

„Ich wollte mir eigentlich den Dienstplan und die Umsatzzahlen ansehen …“

„Ach was, geh lieber zum Strand.“ Der einzige Kunde besaß tatsächlich die Dreistigkeit, sich in ihr Gespräch einzumischen. „Den Umsatzkram kannst du dir auch morgen noch ansehen.“

Chris wandte sich um, pikiert über die Unterbrechung. „Äh, ja, vielen Dank auch.“

„Er ist Stammkunde“, flüsterte Summer ihr zu und schenkte dem Typen ein außerordentlich freundliches Lächeln.

„Verstehe.“ Chris wusste, was das hieß: guter Kunde, gute Behandlung. Sie lächelte kühl. „Ich bin Chris. Ich leite hier die nächste Zeit das …“

„Ah, Evas Schwester.“

„Genau.“ Ihr kam der üble Verdacht, dass dieser Idiot möglicherweise Zac war, der Typ, den Eva heiraten wollte, wenn sich nichts Besseres ergab. Der Geschmack ihrer Schwester, was Männer betraf … nun, er war einfach grottenschlecht. Chris war Mr Perfect zwar auch noch nicht begegnet, aber zumindest hielten ihre Beziehungen Monate oder auch Jahre und nicht etwa Wochen oder wenige Tage. Sie stürzte sich niemals blindlings in Männergeschichten wie ihre Schwester.

„Ich bin Zac.“ Er musterte sie auf eine Weise, die ihr furchtbar auf die Nerven ging. „Wow, für einen Zwilling bist du Eva echt unähnlich.“

War das als Kompliment oder Beleidigung gedacht? Er sollte jedenfalls nicht glauben, dass es sie auch nur im Geringsten juckte. „Das hör ich öfter.“

Er stand da und hielt ihr die Hand hin; blaue Augen, das Haar einige Töne dunkler als Summers. Er war größer, als sie erwartet hatte, und heiß, auf diese kalifornische Surfer-Art. Absolut nicht ihr Typ.

„Wie ich höre, bleibst du ’ne Weile.“

„Nur einen Monat.“ Sie wandte sich wieder an Summer. „Ich nehme einen Red Eye oder wie auch immer man das hier nennt. Und die Umsatzberichte, bitte. Sag mir einfach, wo sie sind, dann such ich sie mir selbst raus.“

„Nein, nein, kein Problem.“ Summer ging zur Espressomaschine. „Ich bring sie dir gleich.“

„Vergiss die Umsatzzahlen.“

Automatisch versteifte Chris sich – wie konnte dieser Typ es wagen? „Wie bitte?“

„Du solltest ein Nickerchen am Strand machen. Du hast sicher einen Jetlag und …“

„Weißt du, ich gehöre nicht wirklich zu diesen Surfermädchen, die tagsüber am Strand dösen.“ Sie versuchte, die Schärfe ihrer Antwort durch ein möglichst freundliches Lächeln auszugleichen. „Aber nett, dass du dir Gedanken machst.“

„Klar doch.“ Er blieb einfach stehen. „Surfst du?“

„Nein!“ Sie lachte auf. „Ist in Manhattan nicht so verbreitet.“

„Willst du’s lernen?“

„Nein. Nein, danke.“ Sie versuchte, ein bedauerndes Gesicht aufzusetzen, hätte aber eigentlich gern gefragt, was er für Pillen schluckte.

„Ich wette, ich kann dich umstimmen.“

„Ähm …“ Sie musste sich sehr zusammenreißen, um ihn nicht anzufahren. „Ehrlich gesagt, wäre ich dir dankbar, wenn du das einfach lässt.“

„Ich hole die Umsatzberichte.“ Summer stellte hastig Chris’ Red Eye auf die Theke und verschwand in Windeseile hinten im Laden.

„Du hast das Großstadtleben also satt?“

Hielt der Kerl niemals die Klappe? Mit verschränkten Armen drehte Chris drehte sich wieder zu ihm um. „Wie kommst du darauf?“

„Hat Eva erzählt. Ich hab ihr versprochen, dass ich dir beim Eingewöhnen helfe.“

„Oh, danke, das ist echt nett.“ Sie runzelte die Stirn. „Aber ich bin eher der selbstständige Typ. Ich gehe gern meine eigenen Wege.“

„Okay, ist angekommen.“ Er hob die Hände und trat einen Schritt zurück. „Alles easy.“

Puh, er hatte also doch einen „Aus“-Schalter. „Trotzdem danke.“

Summer reichte Chris die Berichte über die Theke. „Hier, bitte. Sollte alles drinstehen.“

„Danke, Summer.“ Chris verließ das Café und blieb vor der Tür stehen. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und sie genoss die Wärme. Einer der Tische hier draußen schien geradezu ihren Namen zu rufen.

Zehn Sekunden nachdem sie sich gesetzt und die Unterlagen aufgeschlagen hatte, fiel ein Zac-förmiger Schatten auf die Papiere. „Chris, tu mir bitte einen Gefallen.“

Sie zuckte innerlich zusammen. Der Kerl war echt eine Plage. „Welchen?“

„Komm mit mir. Wenn dir das, was ich dir zeigen will, nicht gefällt, kannst du ja zurückkommen.“

Sie wurde langsam wirklich wütend. „Mir geht’s gut hier. Im Ernst.“

„Lies das.“ Er hielt ihr sein Handy vor die Nase – eine Nachricht von Eva.

Zac ist der Beste. Geh mit ihm. Vertrau mir.

„Wie hast du …“ Chris schaute verwirrt hoch in Zacs sehr blaue Augen, die sie amüsiert betrachteten. Am liebsten hätte sie ihn angeknurrt. „Ich dachte, ihr zwei habt euch diesen Monat Kontaktsperre verordnet.“

„Das hier ist ein Notfall.“

Chris schloss den Bericht, bat den Himmel um Geduld und stand auf. „Okay, dann los. Aber wehe: Wenn es nicht der schönste Fleck auf Erden ist, dann …“

„Es ist der schönste.“ Er schlenderte den Bürgersteig entlang und sah sich nicht noch einmal nach ihr um.

Unwillig folgte sie ihm. Zac spazierte Richtung Pazifik. Konnte er nicht etwas schneller gehen? Chris musste sich zurückhalten, um ihn nicht zu überholen. Als sie kurz davor war, ihn zwischen die breiten Schultern zu schubsen, um ihn voranzutreiben, erreichten sie das Ende der Häuserzeile und gingen auf den Strand zu.

Okay, okay, das war wunderschön. Wirklich wunderschön. Ein friedvoller Küstenstreifen in einer malerischen Bucht; Zac führte sie ein Stück über den Sand, dann einen steilen Pfad die Klippen hinauf.

Sie folgte ihm zwischen zwei struppige Büsche, hinter denen ein Tisch und eine Bank standen, sodass Spaziergänger dort geschützt, aber mit Blick auf Pazifik, Steilküste und Berge ausruhen konnten.

„Wow.“ Chris stützte die Hände in die Seiten und gab sich kopfschüttelnd geschlagen. „Du hattest recht. Es ist traumhaft. Danke, dass du mich hergeführt hast. Die Ruhe und Abgeschiedenheit werden mir guttun.“ Sie betonte den letzten Satz ein wenig und platzierte die Umsatzzahlen zusammen mit ihrem Kaffee mitten auf dem Tisch. Hoffentlich verstand er den Wink.

„Nur du und die wunderschöne Central Coast.“ Er hob die Hand, um mit ihr einzuschlagen. „Friede sei mit dir.“

Chris klatschte ihn ab. Meinetwegen, Hauptsache, du ziehst Leine. „Danke.“

„Dann bis bald.“

Sie rang sich ein unentschiedenes „Hmmm“ ab. Sobald er außer Hörweite war, wählte sie schäumend Evas Nummer.

„Eva! Was hast du dir dabei gedacht?“

„Was meinst du?“

„Dieser Zac-Sack. Er ist einfach schrecklich!“

„Zac? Schrecklich?“

Chris verdrehte die Augen. Sie liebte ihre Schwester, aber manchmal war sie entschieden zu … tolerant. Vor allem gegenüber Männern. „Er hat sich mir geradezu an den Hals geworfen. Meinte, ich solle keine Umsatzberichte lesen, nicht bei Slow Pour abhängen …“

„Oh, aber ist es nicht umwerfend, wo er dich hingeführt hat? Die Klippe über Aura Beach, richtig? Ich hab ihn drum gebeten.“

Chris sah umher über den weiten, endlosen Ozean. „Also … ja, es ist perfekt.“

„Er wollte dir nur was Gutes tun.“

„Darum geht es nicht. Mir ging’s auch in der Sonne vor Slow Pour gut.“

„Aber geht’s dir jetzt nicht noch besser?“

„Nein, ich hab mich furchtbar über ihn aufgeregt. Und über dich!“

Eva kicherte, und Chris musste lächeln. „Er ist ein netter Kerl, wirklich.“

„Und worauf muss ich mich sonst noch gefasst machen? Kommt er jetzt jeden Tag vorbei und predigt über das richtige Leben?“

„Vermutlich“, antwortete Eva vergnügt.

„Na toll.“ Chris verdrehte erneut die Augen. „Aus Ames’ Höllenqualen in Zacs marterndes Feuer.“

„Uuuh, Zacs marterndes Feuer! Klingt wie ein sexy Buchtitel. Und apropos sexy: Du hast mir gar nicht gesagt, dass Ames der heißeste Typ von ganz New York ist.“

„Tja, also …“ Chris schloss die Augen und wandte das Gesicht wieder der Sonne zu. „Er ist schon irgendwie heiß.“

„Hmm.“ Eva seufzte.

„Komm nicht auf dumme Gedanken. Der Kerl ist total selbstverliebt. Überhaupt nicht dein Typ.“ Sofort fiel ihr auf, dass Ames genau Evas Typ war; ihre Schwester suchte sich immer die Männer aus, die nicht gut für sie waren.

„Meinst du wirklich? Na, wir werden sehen. Jetzt mach’s dir bequem und genieß für ein oder zwei Stündchen das Meer.“

„Ein oder zwei Stündchen? Wellen anstarren?“ Chris schnaubte. „Sicher nicht. Aber zum Arbeiten ist es hier ganz angenehm.“

„Chris, du bist gerade erst angekommen. Genieß es!“

„Tu ich doch. Es ist toll hier oben. Jetzt lass mich in Ruhe deine Umsatzzahlen durchgehen.“

„Du bist ein hoffnungsloser Fall.“

„Ich weiß.“

Sie legten auf und Chris widmete sich dem Bericht. Hm, das Geschäft lief ganz gut, ziemlich stabil, aber nicht berauschend. Ungefähr so wie ihr eigener Laden, nur dass Evas Kundschaft vor allem am Vormittag und nach der Mittagszeit auftauchte, genau die Stunden, in denen das New Yorker Geschäft erlahmte. In einem Ort wie …

„Oh, sorry, Mann, hab nicht gesehen, dass hier schon jemand sitzt.“

Chris sah überrascht auf. Sie hatte niemanden kommen hö…

Oh. Mein. Gott.

Dunkles, vom Wind zerzaustes Haar und blaue Augen. Shorts und T-Shirt über einem makellosen Körper. Warmes, perfektes Lächeln. Der heißeste Typ, dem sie je begegnet war.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich um das Dreifache. Sie konnte weder sprechen noch sein Lächeln erwidern. Sie saß einfach da und starrte ihn im Strudel ihrer Hormone stumm an.

Wann hatte ein Mann sie zum letzten Mal so umgehauen? Und was bedeutete das?

Etwas sehr Gutes.

Sie holte tief Luft und wies zur anderen Hälfte des Tisches. „Setz dich, es ist Platz genug.“

3. KAPITEL

Guy Chaumont Pinot Noir – drei Kisten? Vier? Wie beim letzten Mal. In Ordnung, freut mich, dass Sie zufrieden waren.“ Ames machte sich eifrig Notizen. „Davon gibt’s auch einen exzellenten Chardonnay. Guter Jahrgang; klassischer trockener Burgunder von Zweitausendzehn, mit leichter Apfel- und Melonennote, perfekt zu vegetarischen und veganen Gerichten. Soll ich eine Flasche mitbringen, wenn ich am Donnerstag zu Ihnen komme? Gern. Und den Chateau Moulin Bordeaux ebenfalls? Wunderbar. Vielen Dank für das angenehme Gespräch und bis Donnerstag um zwei. Genau. Auf Wiederhören.“

Ames ließ den Stift auf den Schreibtisch fallen, den er in einem der überzähligen Zimmer seines Apartments aufgestellt hatte. Von zu Hause aus zu arbeiten war einer der großen Vorteile seines Jobs, aber auch eine große Herausforderung. Wenn er wie heute unruhig und gereizt war, konnte ihn niemand ablenken. Niemand außer Jean, seiner Dienstags- und Donnerstags-Putzhilfe, – Köchin und bisweilen – Assistentin, die davon überzeugt war, dass er ohne sie nicht überleben konnte. Ihr Patentrezept zur Lösung seiner Probleme bestand darin, ihm genau vor Augen zu führen, was in seinem Leben ihrer Meinung nach falsch lief.

Keine große Hilfe.

Dass Chris Meyer New York verlassen hatte und über den gesamten Kontinent geflogen war, ohne ihm Bescheid zu sagen, verletzte Ames mehr als erwartet. Es war komisch, er hatte Chris zum ersten Mal gesehen und sofort diese Anziehungskraft und Vertrautheit gespürt, als würde er sie schon lange kennen. Bei ihr war er sich sofort sicher gewesen. Ja, sie hatte sich geziert, aber das war ihm nicht neu und bisher hatte er mit Geduld und Beharrlichkeit noch immer Erfolg gehabt.

Diesmal: Fehlanzeige.

Ihre durchgedrehte Schwester hingegen – Mannomann, diese Frau war … anders. Eva hatte Ames angeschaut, als sei er ihre nächste Mahlzeit. Unter all den grellen Accessoires war sie durchaus attraktiv und schien zudem geistreich und lustig. Aber sie war definitiv nicht sein Typ, im Gegensatz zu ihrer Schwester. Chris könnte er überall bedenkenlos mit hinnehmen, ob zum Baseball oder in exklusive Restaurants und Weinlokale. Am Ende des Monats hatte er sie zum jährlichen Dinner von Boyce Wines ins La Grenouille Laide einladen wollen, eines der schicksten Restaurants von New York. Delores, die Sekretärin seines Chefs, ein wahres Schlachtross, fragte ihn mittlerweile fast täglich nach seiner Begleitung für den Abend.

Eine Erinnerung ploppte auf seinem Bildschirm auf; er musste einen Kunden anrufen, der schon seit einiger Zeit nicht mehr bei Boyce geordert hatte. Er griff nach dem Hörer.

„Ich hoffe, du bleibst heute Abend nicht schon wieder zu Hause und arbeitest.“ Jean, klein und drahtig und ungefähr so new-yorkerisch, wie ein Mensch nur sein konnte, verpasste keine Gelegenheit, ihn für jede Kleinigkeit zu kritisieren. Er schätzte sie sehr.

„Woher willst du wissen, dass ich gestern Abend gearbeitet habe?“

Sie tippte sich wissend an die Stirn. „Mir machst du nichts vor.“

„Ich muss aber arbeiten, Jean.“ Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Ich habe da diese furchtbar teure Assistentin, die jeden Monat eine große Ebbe auf meinem Konto hinterlässt.“

„Buhu, so was Tragisches. Du bist doch noch jung, oder? Wie alt bist du? Dreißig?“

„Dreiunddreißig.“

„In dem Alter Single und allein zu Haus. Herrgott!“ Sie warf die Arme in die Luft.

„Geh heute Abend aus. Die Arbeit kann warten. Deine Jugend nicht. Du musst leben!“

„Es ist vier Uhr. Ich muss das hier fertig kriegen, damit …“

Das Telefon klingelte und unterbrach ihr auswegloses Scharmützel.

„Ich geh schon.“ Jean warf Ames einen bereits vertrauten Blick voll Abscheu und Geringschätzung zu und stapfte ins Wohnzimmer. „Hallo? … Ach, hi, Frank … aha … im Ernst?“

Ames streckte sich. Frank war der Portier. Wahrscheinlich wollte er nur mal wieder geänderte Zeiten für die Müllabfuhr durchgeben.

„Klar, bleib dran.“ Jean erschien im Türrahmen von Ames’ Büro, den Hörer noch am Ohr. „Erwartest du jemanden?“

„Nö.“

„Vielleicht wurden meine Gebete erhört und FedEx schickt eine nette, alleinstehende Frau vorbei.“

„Ich erwarte auch kein Paket.“

„Du – ja? Frank, wer? … Oh, ich verstehe … Ist sie hübsch? … Jung? … Oho … Tatsächlich? Ist ja interessant … Klar, schick sie rauf.“

„Was ist denn jetzt los?“

Jean legte triumphierend auf. „Ich hab dir ein Date klargemacht.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden.“ Sie verschwand im Wohnzimmer.

„Wer ist es?“, rief er ihr nach.

„Keine Angst, du kennst sie. Sie ist gleich oben.“ Jean kam zurück und hatte bereits ihren Mantel an und eine Kappe der Yankees auf. „Soll ich noch was erledigen, bevor ich dich deinem heißen Abendprogramm überlasse?“

„Ja.“ Er stand auf und stemmte die Hände in die Seiten, genervt und auch ein wenig neugierig. Ihm fiel keine Freundin ein, die während seiner Arbeitszeit unangemeldet hereinplatzen würde. Sie wussten es alle besser. „Fang diese Frau ab, ganz gleich, wer sie ist und sag ihr, es tut mir leid, aber ich bin beschäftigt, und beim nächsten Mal soll sie bitte vorher anrufen.“

„Da sieh mal einer an, dass eine Frau dich so aus der Fassung bringt …“ Jean setzte ihrerseits ein genervtes Gesicht auf. „Du bist ein großer Junge, sag’s ihr selbst. Ich bin weg.“

Ames verdrehte die Augen, mehr amüsiert als verärgert. Die Wohnungsklingel läutete, und Jeans Schritte dröhnten durch den Flur.

„Sie ist schon oben, das Mädchen ist fix. Ich mag sie jetzt schon.“ Die Tür wurde geöffnet. „Hi, ich bin Jean Kajowski, Ames’ sexy Lebensgefährtin … War nur Spaß, ich mache ihm ein paar Mal die Woche den Haushalt, aber das hört er nicht gern. Und keine Sorge, ich war gerade auf dem Sprung.“

„Hi, Jean, nett, Sie kennenzulernen.“ Die Stimme war melodisch, angenehm und irgendwie vertraut. „Mein Name ist Eva Meyer.“

Ames ließ sich abrupt wieder auf seinen Stuhl fallen. Eva war hier? In seinem Apartment? Wo hatte sie die Adresse her?

„Freut mich, Eva. Oh Gott, Ihre Stiefel sind hinreißend.“ Jean war hörbar angetan. „Kommen Sie, kommen Sie. Er ist im Büro, wahrscheinlich noch ein wenig schüchtern. Aber er hat heute Abend nichts vor, lassen Sie sich nichts erzählen. Ich bin weg – tschüss, ihr zwei!“

Ames sah zur Decke und flehte um Stärke. „Ciao, Jean, bis Donnerstag.“

Die Wohnungstür fiel ins Schloss.

Ames spähte um die Ecke. Er könnte aufstehen, ihr entgegengehen. Aber sie hatte ihn gestalkt, da konnte sie den Weg auch selbst finden.

„Hallo, Ames.“ Eva erschien in der Tür und lächelte freundlich, als wäre ihr Auftritt in seiner Wohnung völlig normal. Und das, obwohl sie in ihrem Leben erst fünf Minuten miteinander gesprochen hatten. Sie trug einen grellpinken Rock zu hellgrünem Shirt und einen Pullover mit psychedelischem Blumenmuster. Ihre klobigen Stiefel waren bis zur Wade geschnürt und schillerten leuchtend grün. Sie hatte ungefähr fünf Ohrringe in jedem Ohr, und an ihren Handgelenken klimperten zig bunte Armreifen.

Seine Augen schmerzten, wenn er sie nur ansah.

Er stand auf. Nahm einen Stift in die Hand. Legte ihn wieder hin. Sie machte ihn sehr nervös, als sie ihn mit ihren leuchtend blauen Augen ansah. Er fühlte sich wie … wie…

Er wusste nicht, wie er sich fühlte. „Was tun Sie hier?“

„Ich dachte, du willst mich vielleicht heute Abend ausführen, weil ich doch neu in der Stadt bin.“ Sie sah ihn erwartungsvoll an, als wäre eine begeisterte Antwort seinerseits selbstverständlich.

„Du … Sie …“ Ames konnte es kaum fassen. „Wie kommst du darauf? Musst du nicht arbeiten?“

„Meine Schicht ging nur bis zwei.“ Sie fühlte sich offensichtlich pudelwohl in ihrer Haut. Kein Anzeichen dafür, dass ihr Verhalten in irgendeiner Form ungewöhnlich war. „Ich bin etwas länger geblieben, hab mich mit dem Laden vertraut gemacht. Aber dann hat’s mir gereicht. Irgendwann kann man nichts Neues mehr aufnehmen, nicht wahr? Und jetzt bin ich hier.“

„Aber warum?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich kenne sonst niemanden in New York.“

„Eva.“ Irgendetwas lief in diesem seltsam frisierten Kopf entschieden falsch. „Mich kennst du doch auch nicht.“

„Zeit, das zu ändern.“ Sie lächelte und legte den Kopf schief. Sein Blick fiel auf ein Tattoo knapp oberhalb des Schlüsselbeins, das er zuvor nicht bemerkt hatte. Aber sie stand zu weit von ihm entfernt, um das Motiv zu erkennen.

Sie sah sich in seinem Büro um und ging dann hinüber zum Bücherregal, um den Inhalt genauer zu studieren. Genau wie ihre Schwester hatte sie volle Lippen, einen sinnlichen Mund und leicht schiefe Zähne. „Schöne Wohnung. Total schick.“

„Ja, danke.“ Er sollte sie jetzt rausschmeißen, bevor ihr noch mehr verrückte Ideen kamen.

„Also, was wollen wir machen? Chris und ich haben die wichtigsten Touri-Attraktionen schon abgeklappert: Empire State Building, Freiheitsstatue, Times Square, Rockefeller Center und so. Aber ich würde gern ein paar verschiedene Viertel kennenlernen. Hast du einen Tipp?“

Okay, das ging ihm alles zu schnell. Irgendwie hatte sie es geschafft, dass er sich unhöflich fühlen würde, sie jetzt rauszuwerfen. Dabei hatte er jedes Recht dazu.

„Weißt du, Eva, heute Abend ist vielleicht nicht der richtige Zeit…“

„Jean sagt, du hast nichts vor.“ Sie drehte sich um, Jamie Goodes „Wein: eine Wissenschaft“ in der Hand.

„Ähm …“

„Oh, ich verstehe, du hast keine Lust.“ Sie stellte das Buch zurück und kam auf den Schreibtisch zu. „Ist schon okay, ich hatte nur gedacht, es wäre für uns beide nett. Vor allem, wenn du sonst nicht so viel rauskommst.“

„Wie kommst du darauf?“

Wieder der schief gelegte Kopf. Sie war jetzt nah genug, dass er das Tattoo in ihrer Halsbeuge erkennen konnte: ein kleiner Kolibri. „Warst du gestern Abend aus?“

„Nicht gestern, nein, aber …“

„Vorgestern?“

„Da auch nicht, aber …“

„Vorvorgestern?“ Sie genoss die Situation sichtlich; ihr Gesichtsausdruck war ernst, aber die Augen funkelten.

Er stemmte die Fäuste in die Seiten und sah sie böse an.

Das Lachen platzte geradezu aus ihr heraus, und sie hielt sich die Hände vor das Gesicht. „Nein, oh Gott, nicht der Todesblick! Ich hab doch nur Spaß gemacht. Pass auf, ich hab’s geschnallt: Du bist nicht interessiert. Kein Problem.“

„Gut.“ Er fühlte sich ziemlich erleichtert. Und dann auch wieder … nicht. Er überspielte seine Verwirrung, indem er den Stift wieder in die Hand nahm.

„Damit meine ich …“ Sie hob die Brauen; das Funkeln war nicht aus ihren Augen gewichen. „… es macht mir nichts aus, mit Männern auszugehen, die kein Interesse haben.“

Diesmal musste er lachen. Sie war vielleicht eine durchgeknallte Stalkerin, aber auf ihre seltsame Art auch anziehend und offensichtlich intelligent. „Du lässt nicht locker, was?“

„Hm, komisch, Chris sagt das Gleiche von dir.“

Er wurde rot. „Kann ich mir denken.“

„Wenn du meinen Rat willst …“

„Eigentlich nicht.“

Eva drohte ihm mit dem Finger „Du solltest dir diese Sache aus dem Kopf schlagen. Sie wird ihre Meinung sicher nicht ändern.“

Ames biss ärgerlich die Zähne zusammen. Er war sauer und verlegen, dass Eva und Chris offensichtlich über ihn, den schrecklichen Quälgeist, gesprochen hatten.

Bei Chris war er sich so sicher gewesen; er hatte sich ihre gemeinsame Zukunft ausgemalt, und es hatte sich gut und richtig angefühlt.

Tja, so ein verdammter Irrtum.

„Tut mir wirklich leid, Ames. Ich weiß, du … mochtest sie irgendwie.“

Ihr Mitgefühl ärgerte ihn. Er wollte kein Mitleid. Er war kein pathetischer, liebeskranker Idiot, der alle Frauen vergraulte, und er war auch kein Langweiler, der jeden Abend in seiner Wohnung hockte und arbeitete.

Er warf den Stift zurück auf den Schreibtisch. „Also, wenn wir noch rauswollen, sollten wir langsam los.“

„Oh, super!“ Eva strahlte. „Ich bin in Abenteuerlaune. Wo wollen wir hin?“

„Greenwich Village.“ Er antwortete prompt und hoffte zugleich, dass er sich damit keinen anstrengenden, unerträglichen Abend eingebrockt hatte. Aber Greenwich Village war tatsächlich einer seiner liebsten Orte in New York, voller Charme und Überraschungen. Wie Eva. Sie würde gut dorthin passen, mit ihren wilden Farben und der verrückten Frisur, denn nach Greenwich passte eigentlich jeder. Außerdem war es unwahrscheinlich, dort einem wichtigen Kunden oder potenziellen Geschäftspartner über den Weg zu laufen, der sich fragen könnte, warum er mit einem Zirkusclown unterwegs war.

„Ich bin bereit.“ Sie rückte ihre knallpinke Umhängetasche zurecht, wodurch die Dutzenden Armreifen lautstark aneinanderstießen.

Er nickte, kam hinter dem Schreibtisch hervor und ließ ihr den Vortritt.

„Hey, Ames.“ Sie sah mit einem Mal verlegen und unsicher aus, ganz anders, als es bisher ihre vorlaute Art gewesen war. In diesem Moment wirkte sie beinahe süß. Ihre Augen waren tiefblau, mit dunklen Wimpern. Die Augenbrauen formten natürliche, schöne Bögen, und die feine Nase und die hohen Wangenknochen erinnerten an Chris.

„Was hey?“

„Danke.“

In seiner Brust geschah etwas Seltsames. Eine Wärme breitete sich aus, und er verzieh ihr augenblicklich, dass sie in sein Apartment geplatzt war und ihn zum Deppen gemacht hatte – und das gleich mehrmals. „Pass bloß auf, dass ich diese Entscheidung nicht bereue.“

„Na ja, aber …“ Sie hob die Arme und ließ sie in gespielter Enttäuschung wieder fallen. „Das ist doch der halbe Spaß bei der Sache.“

Er musste grinsen. „Ich kann meine Meinung immer noch ändern.“

„Wirst du aber nicht.“ Sie ging ihm voraus zur Tür. „Du bist kein Mann, der seine Versprechen so einfach bricht.“

„Wie kommst du nur zu all diesen Überzeugungen?“

„Ich bin hyperintelligent. Übrigens, diese Wohnung ist riesig. Dein Balkon ist so groß wie Chris’ gesamtes Apartment. Du musst hektoliterweise Wein verkaufen.“

„Das Geschäft läuft ganz gut.“ Sie sprach aus, was andere Leute nur dachten. Diesen Wesenszug fand er tatsächlich ganz erfrischend. „Meine Eltern haben die Wohnung als Geldanlage gekauft. Wenn sie in Rente gehen, wollen sie hier einziehen.“

„Luxus ist mir nicht so wichtig. Ich finde, man sollte nur so viel besitzen, wie man wirklich braucht.“ Sie bewegte sich erstaunlich anmutig für jemanden, der so klobige Stiefel trug.

„Ach ja?“ Er versuchte, neutral zu klingen. Er würde seinen Lebensstil nicht gegenüber einer Frau rechtfertigen, die ihn ohnehin nicht verstand.

„Aber in Kalifornien ist das auch nicht so schwer.“ Sie drehte sich um, sah ihn an und lief ein paar Schritte rückwärts. „Ich habe das Meer und die Berge direkt vor der Tür, aber in dieser Stadt hier ist Platz eine kostbare Sache, da nimmt man sicher alles, was man kriegen kann.“

„Stimmt.“ Er hielt ihr die Wohnungstür auf, ziemlich erstaunt; sie verstand es vollkommen. Sosehr er New York auch liebte, die Beengtheit war sogar ihm manchmal zu viel. „Nach dir.“

„Vielen Dank.“ Sie ging an ihm vorbei und trat in den Flur. Ein frischer, leicht blumiger Duft streifte seine Nase. Nicht zu süß, nicht zu penetrant. Ein sehr angenehmer Duft.

Er schloss die Tür ab und folgte ihr zum Fahrstuhl. Er hätte sie einholen können, aber er konnte den Blick nicht von ihrem perfekt geformten, schwingenden, knallpinken Rock und den schlanken Beinen in dunkelgrauen Leggings wenden, mit denen sie ihm energisch vorausschritt.

Was war nur los mit ihm? Das hier war Stalker-Eva, der verrückte Zwilling seiner entschwundenen Traumfrau.

Im Erdgeschoss grüßte Eva Frank, als seien sie alte Freunde. Ungläubig sah Ames zu, wie der sonst so ernste Portier breit lächelte und sogar errötete und ihm dann einen anerkennenden Blick zuwarf, als beglückwünschte er Ames zu seiner Wahl.

Nein, nein, nein. Nicht diese Frau. Um nichts in der Welt. Boyce Wines gab viel auf sein exklusives, konservatives Image. Er musste mit wichtigen Kunden verkehren; irgendwann wollte er zum stellvertretenden Verkaufsleiter aufsteigen, vielleicht in die Politik wechseln. Er brauchte eine Frau, die … die aussah wie … die sich benahm wie…

Gott, war er wirklich so oberflächlich?

Nein, nicht oberflächlich. Pragmatisch. Er musste sich über seine Ziele im Klaren sein und danach handeln. Daran war nichts Verwerfliches.

Gemächlich spazierten sie zur U-Bahn. Die Luft war frisch und belebend. Sie fuhren nach Süden und begannen an der Bleecker Street ihre Tour durch Greenwich Village.

Je länger sie unterwegs waren, desto mehr musste Ames sich eingestehen, dass ihm dieser Ausflug Spaß machte. Das Wetter war wunderschön, typisch für Oktober: kühl, aber angenehm. Die Bäume am Straßenrand färbten sich bunt, und die Sonne verbreitete eine warme, abendliche Stimmung auf den dunklen Backsteinmauern des Viertels.

Evas Begeisterung war ansteckend. Ames wusste viel über die Geschichte New Yorks, und gerade zu diesem Teil der Stadt hatte er einige spannende Anekdoten in petto. Er führte sie in die Bedford Street und zeigte ihr das Haus, in dem Walt Disney gewohnt hatte. Dann machten sie einen Abstecher in die Grove Street, um durch einen kleinen, verwunschenen Hinterhof zu schlendern; zurück zur Bedford, wo sich in Haus Nr. 86 während der Prohibition eine illegale Kneipe befunden hatte. Das Stammlokal einiger großer Schriftsteller hatte erst 2007 geschlossen, als sich die Fassade langsam in Richtung Bürgersteig verabschiedet hatte.

Als sie den Washington Square Park erreichten, war die Sonne untergegangen, und Ames bekam Hunger. Kein Wunder, sein schnelles Mittagessen lag schon einige Stunden zurück. Es überraschte ihn allerdings, dass er Eva keineswegs loswerden wollte, um sich nach Hause zum Essen zu verabschieden. Ihr gemeinsamer Abend sollte weitergehen.

„Lust, was zu essen?“

„Unbedingt. Ich bin total ausgehungert.“

„Magst du Orientalisch?“

„Leidenschaftlich gern!“

„Gut.“ Er mochte es, dass sie so … leidenschaftlich antwortete. In dieser Stadt wurde man leicht zynisch, war immer im Stress, hielt nicht einmal mehr inne, um die kleinen Dinge des Lebens zu genießen. Wenn sich sonst nichts aus dieser seltsamen, unfreiwilligen Verabredung ergab, dann zumindest das: Eva hatte ihn daran erinnert, wie schön New York sein konnte.

Er führte sie zu Mamoun’s Falafel, einem beliebten Laden mit sehr wenigen Sitzgelegenheiten. Sie kauften sich Falafel mit Hummus und setzten sich zum Essen auf eine Parkbank gegenüber einer kleinen Nachbildung des Pariser Triumphbogens.

„Umpf … hmm, lecker.“ Eva sprach mit einem Bissen Falafel im Mund. „Die sin’ super!“

„Mhm.“ Er kannte keine andere Frau, die mit vollem Mund sprechen und trotzdem noch irgendwie liebenswert erscheinen konnte.

„Unser ganzer Ausflug hat mir total gut gefallen.“

„Ja, mir auch.“

„Oh, gut!“ Sie drehte sich zu ihm um und grinste. „Also gehst du mal wieder mit mir aus?“

„Wie meinst du das?“ Er tat verblüfft. „Ich bin doch gar nicht mit dir ausgegangen. Du bist mit mir ausgegangen.“

„Hm, ja, so könnte man das auch sehen.“ Für einen Moment wirkte sie wirklich verdutzt, dann leuchtete ihr ausdrucksstarkes Gesicht erneut auf. „Das kannst du ganz leicht wieder gutmachen, indem du das nächste Mal mit mir ausgehst, und das gleich zweimal hintereinander.“

Er prustete. So langsam gewöhnte er sich an ihren Sinn für Humor.

Ein junges Pärchen lief vorüber, Rucksäcke geschultert, tief im Gespräch, offensichtlich Studenten. Darauf folgte ein schwules Paar, das seine Promenadenmischung Gassi führte.

„Die Schwingungen sind hier ganz anders als im Norden Manhattans.“ Eva knüllte ihr Falafelpapier zusammen.

„Ach ja?“ Er zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen. Die Schwingungen? Das hier war New York, hier war alles immerzu in Bewegung. Wen interessierten da schon die verschiedenen Schwingungen?

„Ja. Irgendwie flippiger. Jünger. Alternativer. Mehr wie in Kalifornien.“

Wie jeder echte New Yorker sträubte er sich bei diesem Gedanken. „Eva?“

„Hmm?“ Sie beobachtete zwei schwarz gewandete Teenager beim Knutschen. Er mochte es, wie sich der tätowierte Kolibri eng an ihren Hals schmiegte.

„Ich sag dir mal was: Wenn du in New York überleben willst, vergleich es niemals. Andere Orte sind wie New York, aber New York ist nicht wie andere Orte. Vor allem nicht wie Kalifornien.“

Eva wandte sich ihm zu und zog die Brauen hoch. Er hielt ihrem Blick stand und unterdrückte ein Grinsen.

„Nun … dann bleibt ja nur noch eins.“ Sie lehnte sich zu ihm herüber und küsste ihn direkt auf den Mund.

Sein Körper erstarrte. Ihre Lippen waren weich und berührten ihn länger als bei einem flüchtigen Küsschen, wenngleich nur ein wenig.

Sie rutschte wieder auf ihren Teil der Bank und steckte sich den letzten Bissen Falafel in den Mund, während er dasaß wie der letzte Idiot mit einer beginnenden Erektion.

„Also, was willst du jetzt machen, Ames?“

Er starrte sie an. Wer küsste jemanden zum ersten Mal und benahm sich dann, als sei gar nichts geschehen? Wie zum Teufel brachte sie ihn immer wieder so völlig aus der Fassung? Gerade als er glaubte, seine geschmeidige Haltung als Mr Smooth zurückzugewinnen.

Wie sollte er sich verhalten? Den Kuss ansprechen? Ihr erklären, dass er nicht auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung war? Den Zusatz „mit jemandem wie dir“ konnte er sich ja sparen. Er würde komplett idiotisch wirken – schon wieder – und einen unschuldigen Kuss unnötig aufbauschen. Auch wenn dieser Kuss gar nicht so unschuldig gewesen war. Aber das tat jetzt nichts zur Sache.

Wenn er das Ganze allerdings einfach ignorierte, konnte er ihr nicht die Meinung sagen. Während er sich zu entscheiden versuchte, hatte sie bereits die nächste Frage gestellt, und er musste reagieren.

„Ähm, also … wir könnten … es gibt da … äh … Ich weiß nicht so recht, was …“

Oh, sehr geistreich, Ames. Er ließ sich nicht so von einer Frau durcheinanderbringen. Niemals.

Eva sprang auf und streckte ihm die Hand hin. „Lass uns was suchen, wo es Nachtisch gibt. Oder Bier. Oder, in deinem Fall, Wein. Wie wär’s?“

Überraschenderweise fand er die Idee verlockend. „Okay, aber nur unter einer Bedingung.“

„Welche?“

„Keine Küsse mehr.“

Sie wirkte erstaunt. „Warum nicht?“

„Weil wir … wir sind nicht zum Küssen … wir beide …“ Er brach frustriert ab. „Wir sollten das nicht tun.“

Oh Gott.

Vollidiot!

„Ah.“ Sie stemmte die Hände in die Seiten und sah ihn an, als hätte er vier Köpfe. „Ich verstehe. Das verstößt gegen deine moralischen Grundsätze.“

„Nein. Nein. Das ist es nicht.“

„Hat’s dir nicht gefallen?“

„Doch, daran liegt es nicht. Ich meine …“ Er wollte am liebsten im Boden versinken.

„Was dann?“

Ames stand abrupt auf. „Lass uns was trinken gehen. Um Himmels willen!“

„Was für eine tolle Idee. Darauf wäre ich nie gekommen.“ Sie ergriff seine Hand und schwang sie beim Gehen hin und her.

Er war zu mürrisch, um noch länger mit ihr zu zanken. Ihre Hand war weich und warm und fühlte sich gut an. Es war lange her, dass er mit einer Frau Händchen gehalten hatte. Seine letzte Freundin Taylor hatte sich vehement dagegen gesträubt. Sie meinte, sie fühle sich dann wie seine Tochter. Das konnte er zwar nicht nachvollziehen, aber gut, jeder konnte irgendwas nicht ab.

„Gehen wir zu Fuß?“, fragte Eva.

„Könnten wir. Oder wir nehmen ein Taxi. Es sind ein paar Blocks.“

„Gut, dann lass uns laufen. Ich will noch was von der Gegend sehen.“

„In Ordnung.“ Er hatte seine Meinung über ihre Stiefel soeben geändert. Zu viele seiner Frauenbekanntschaften trugen so hohe Absätze, dass sie es nicht ohne Jammern zur nächsten Straßenecke schafften.

„Wie lange lebst du schon in New York?“ Sie tänzelte ein Stück von ihm weg, sah in den Himmel, drehte sich um sich selbst und tänzelte wieder zu ihm zurück. Seine Hand nahm sie nicht mehr.

„Ich bin mit achtzehn fürs Studium von Jersey hergezogen.“

„Stimmt ja, das schicke Jersey. Ich komme aus Wisconsin, aus einem Ort nördlich von Madison. Mein Dad ist Kaffeespezialist, meine Mom Buchhalterin. Arbeitet deine Mutter?“

„Sie hilft Dad im Laden. Vor allem bei der Buchführung.“

„Geschwister? Hobbys?“

Er warf ihr einen schiefen Blick zu. „Willst du mich den ganzen Abend löchern?“

„Wir unterhalten uns, Ames. Weißt du noch?“

„Ein Bruder. Mike. Er ist Lehrer.“

„Ah, also hast du als Lieblingssohn die Familientradition fortgeführt.“

„Wein hat mich immer interessiert. Ich hab schon mit sechzehn im Laden geholfen. Hab alles über das Thema gelesen, was ich in die Finger kriegen konnte.“

„Und auch alles getrunken, was du in die Finger kriegen konntest, wie?“

„Probieren, dann ausspucken.“ Er lachte. „Wenn ich jeden Wein getrunken hätte, den ich in meinem Leben verkostet habe, wär ich jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten.“

„Besuchst du manchmal Weingüter? Hey, du könntest mal bei mir in Kalifornien vorbeischauen.“

Darauf würde er nicht eingehen. „Meine Firma führt keine kalifornischen Weine. Nur italienische und französische. Kann ich dich jetzt auch mal was fragen?“

„Moment!“ Sie zog ihn aus dem Strom der Passanten und deutete auf einen Hauseingang. „Sieh dir das an.“

„Was?“ Er sah eine schwarze Markise mit aufgedruckten Bowlingkegeln. Das konnte sie unmöglich meinen.

Oh nein, bitte nicht.

„Komm, lass uns da mal reinschauen.“ Sie ergriff seinen Arm und zog ihn zur Tür. „Ich glaub, da kann man bowlen. Das wird lustig.“

„Ähm …“ Bowling? „Das ist nicht so mein Ding.“

„Natürlich nicht. Es ist total irre. Aber auch sehr verlockend, oder?“

Hätte er gewusst, wie er darauf antworten sollte, hätte er vielleicht auch erklären können, warum er immer noch mit Eva abhing. Oder wie sie es schaffte, ihn in den Laden zu ziehen und in den ersten Stock zu lotsen, wo sich das Ganze als eine Art Freizeitbar entpuppte.

Er bestellte zwei Bier und hoffte, sie würden sie austrinken und schnell wieder verschwinden.

Natürlich hoffte er vergebens. In einem anderen Saal entdeckte Eva eine Minigolfbahn mit Tierfiguren – Giraffe, Gorilla, Zebra – und war offensichtlich begeistert.

Und das bedeutete: Ames war eindeutig in der Vorhölle gelandet. „Lass mich raten: Jetzt muss ich mit dir Minigolf rund um riesige Plastiktiere spielen.“

„Natürlich!“ Sie hob ihr Glas, um ihm zuzuprosten. „Wie könnten wir uns das entgehen lassen? Das wird der Spaß unseres Lebens!“

Spaß beim Minigolf? Wie sollte das gehen?

Aber nach über einer Stunde musste er zugeben, dass es ihm sehr wohl Spaß machte. Klar, er hätte sich gern eine Tüte über den Kopf gezogen, um nicht erkannt zu werden, aber diese Spielhölle hatte keine Tüten im Angebot, und noch dazu waren sie völlig allein, also kein Grund zur Panik.

Darüber hinaus hatte er zwei Dinge über Eva gelernt: Erstens war sie ein Minigolf-Crack. Er gewann mit Ach und Krach eine einzige Runde, aus purem Zufall, und als er scherzhaft meinte, sie habe ihn nur gewinnen lassen, um sein Ego zu schonen, bestand sie auf der nächsten Partie.

Seine zweite Erkenntnis war beunruhigend. Vielleicht lag es am Bier, obwohl sie beide nur eins getrunken hatten. Vielleicht war es eine Übersprunghandlung nach der verlorenen Hoffnung auf Chris. Vielleicht war es der Abend, der ihn unverhofft aus seinen gewohnten Bahnen gerissen hatte.

Er fand sie heiß.

Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen leuchteten, die Armreifen klimperten, und sie hatte fast eine Stunde am Stück nur gelacht. Über ihn, über sich selbst, über die Bar, über die ganze verrückte Situation. Ein paar Haarsträhnen hatten sich aus ihrer unmöglichen Frisur gelöst. Sie bewegte sich mit nachlässiger, natürlicher Eleganz, und wenn sie ihn ansah, sandte sie eine eindeutige Botschaft aus, der er sich als Mann nur schwer entziehen konnte.

Er sollte nach Hause gehen, bevor er eine Dummheit beging. Wie sie zu küssen. Oder Schlimmeres.

„Die Runde geht auf den Gewinner. Ich geb einen aus.“ Sie ergriff seinen Arm und bugsierte ihn nicht wie erwartet zur Bar, sondern zur Schlägerrückgabe und dann auf die Straße, wo die kühle Luft und verhältnismäßige Stille wohltuend auf ihn wirkten.

„Jetzt kannst du mich zu der Bar bringen, zu der wir eigentlich wollten, bevor ich dich so unverschämt zu diesem Umweg gezwungen hab.“

„Also ehrlich gesagt …“ Er blickte auf die Uhr, als hätte er noch einiges zu erledigen. Dabei wollte er sich lediglich Evas wachsender Anziehungskraft entziehen. „Ich sollte langsam nach Hause.“

„Oh, natürlich, klar.“ Sie stimmte so schnell zu, dass es ihn ein wenig enttäuschte. Herrgott, Ames, entscheid dich mal!

Sie liefen weiter zur Fifth Avenue, wo Ames ein Taxi anhielt. Im Wagen bemühte er sich um ein neutrales Gespräch, zeigte ihr während der Fahrt Herald Square, Bryant Park und das schöne New Yorker Bibliotheksgebäude. Sein Vortrag endete auf der Forty-Third Street, als sie vor seiner Haustür hielten. So weit, so gut.

„Da wären wir.“ Er zahlte dem Fahrer genug, dass es auch für Evas Heimweg reichen würde. Dann wandte er sich ihr lächelnd zu, um sie zum Abschied unverbindlich auf die Wange zu küssen.

Und fast hätte er das auch geschafft. Doch ihre Haut unter seinen Lippen, ihr umwerfender Duft … Statt aus dem Taxi zu springen und ihr für den netten Abend zu danken, saß er da und starrte sie an.

Mit einem Mal war sie nicht mehr nur attraktiv, sondern wunderschön, mit großen, leuchtenden Augen und einem zauberhaften Lächeln auf den Lippen.

Komm schon, Ames, steig verdammt noch mal aus diesem Taxi, solange du noch kannst.

„War schön mit dir, Eva.“ Seine Hand wanderte Richtung Türgriff. „Danke, dass du auf dieser Verabredung bestanden ha… Was tust du da?“

„Wer, ich?“ Sie hatte einen ihrer gewöhnungsbedürftigen Stiefel über ihn geschwungen und es irgendwie geschafft, sich im Taxi auf ihn zu setzen. „Ich wollte nur noch sagen: Gern geschehen, Ames.“

„Gott, du kannst doch nicht einfach –“

Doch, konnte sie. Sie küsste ihn bereits – heiße, hungrige Küsse – und presste sich an ihn.

Er war ein Mann, natürlich rief das eine Reaktion hervor. Eine ziemlich prompte und große.

Moment mal, es gab da einen Grund, weshalb er nicht mit Eva knutschen wollte. Einen guten. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Stattdessen ruhten seine Hände bereits auf ihrer Taille und wanderten langsam weiter hinab.

Oh Mann. Ihr Hintern war fest und warm und passte perfekt in seine Hände, als sei er eigens dafür gemacht. Er wollte nichts als sie mit zu sich nach oben nehmen und sich in dem verlieren, was unter diesem pinkfarbenen Rock auf ihn wartete.

Aber so schnell sie auf seinen Schoß geklettert war, so schnell war sie auch wieder unten und ließ ihn benommen und erregt sitzen. Instinktiv wollte er die Hand nach ihr ausstrecken, doch eine Art natürlicher Selbstschutz setzte ein und hielt ihn zurück.

Gott sei Dank.

„Ames, ich hatte so viel Spaß heute. Es war wirklich nett, dass du das alles mitgemacht hast.“

„Hey, klar, kein Problem, Eva. Ich fand’s auch nett. Man sieht sich.“

Leider sagte er das nicht wirklich. Was aus seinem Mund kam, klang eher wie: „Ungh, arch, ja, auch. Nacht.“

Kurz darauf stand er auf der Straße und sah dem Taxi hinterher, noch immer benommen und mit nur langsam nachlassender Erektion. Der Wagen rauschte davon, und aus dem Rückfenster schenkte ihm eine wunderschöne blonde Frau ihr strahlendstes Lächeln.

4. KAPITEL

Eva sah zum gefühlt hundertsten Mal auf die Uhr. Ging dieser Tag niemals zu Ende? NYEspresso schloss samstags um sechs. Am Vormittag waren sie ziemlich beschäftigt gewesen, anders als unter der Woche, wenn die meisten Kunden zur Rushhour ins Café einfielen. Doch seit fünf Uhr herrschte Flaute, und mittlerweile dehnten sich die Minuten wie Kaugummi. Noch dazu hatte sie Rebecca an der Kasse eingeteilt, die ohne Punkt und Komma vor sich hin quasselte, obwohl sie rein gar nichts zu sagen hatte. Und Eva hatte Wichtigeres vor. Natürlich mit Ames.

Es wäre verlockend gewesen, früher zu schließen, aber Tom, ein Stammgast, nach dessen Erscheinen man nachmittags die Uhr stellen konnte, saß wie üblich vor seinem Laptop, machte ein konzentriertes Gesicht und hämmerte unbeirrt in die Tasten. Er war einer dieser attraktiven Nerds, für die Eva schon immer eine Schwäche gehabt hatte.

Wieder schaute sie auf die Uhr. Die Zeiger hatten sich kaum bewegt.

Rebecca setzte schon wieder zu einer neuen Geschichte an, doch Gott sei Dank kam Tom in diesem Moment auf die Theke zu und unterbrach ihren Redeschwall. „Hey, Becca, machst du mir einen Kaffee zum Mitnehmen?“

„Klar. Mit Milch und Zucker?“

„Nein.“ Eva antwortete an Toms Stelle. Rebecca musste den Kunden definitiv mehr Aufmerksamkeit schenken; Tom bestellte jeden Tag dasselbe. „Wie lief die Arbeit heute? Woran arbeitest du eigentlich? An einem Roman?“

„Oh Gott, nein.“

Sie wartete auf eine Erklärung, aber offensichtlich wollte er nicht mehr verraten, also wechselte sie das Thema: „Wohnst du hier in der Nähe?“

„Nee, ich wohne in New Jersey. Bei meinen Eltern im Keller.“

Eva konnte einen entsetzten Blick nicht unterdrücken, doch dann bemerkte sie sein durchtriebenes Grinsen und lachte auf. „Scherzkeks! Ich hätte es dir fast abgekauft.“

„Sorry, ist ein lahmer Witz. Ich wohn hier um die Ecke in der Forty-Fourth Street.“

„Was arbeitest du?“ Jetzt wollte sie es wirklich wissen.

„Ich bin ein frustrierter Komponist.“ Er sah wieder verlegen aus. „Ich sitze gerade an einem Musical.“

„Cool! Für den Broadway oder so? Wovon handelt es?“

„Es ist eine Adaption von einem Oscar-Wilde-Stück: Ernst sein ist alles.

Wow! Stille Wasser waren wirklich tief. „Ich liebe dieses Stück!“

„Ich auch. Ich …“

Die Tür ging auf, und herein kam Natalie. Sie brachte einen frischen, herbstlichen Windstoß mit in den Laden und sah wie immer umwerfend aus. Ihre schlanken Beine steckten in Skinny Jeans, dazu trug sie halbhohe Wildlederstiefel und einen engen Pullover, der ihre perfekte Figur betonte. Um den Hals hatte sie einen goldschimmernden Schal drapiert, der die goldbraunen Strähnen ihres windzerzausten Haars zur Geltung brachte.

Tom klappte den Mund zu. Öffnete ihn wieder. Wurde rot. Dann trat er einen Schritt zurück, als wollte er sich in Luft auflösen.

Wie interessant!

„Hey, Natalie.“ Eva lächelte ihrer Mitbewohnerin zu, was diese wie üblich ignorierte. Eva hatte gelernt, das nicht persönlich zu nehmen. „Arbeitest du heute?“

„Ich arbeite immer.“ Natalie trat an die Theke und kramte nach ihrem Portemonnaie. „Ein Latte mit Sojamilch. Zum Mitnehmen.“

„Gern.“ Eva trat an die Espressomaschine.

Hmmm … Natalie und Tom. Beide mochten Musik und Musicals. Und ein ruhiger, bodenständiger Typ wäre genau das Richtige für ihre Mitbewohnerin. Sie reichte Natalie ihren Kaffee und machte Tom, der hinter Natalie stand und bewundernd ihren Hinterkopf anstarrte, ein Zeichen. „Natalie, kennst du schon Tom Brewster?“

Natalie wandte sich um.

Tom wurde rot, trat noch einen Schritt zurück und stieß gegen einen Stuhl. „Ich … ähm … hab dich hier schon öfter gesehen, ja.“

„Aha.“ Natalie sah ihn ausdruckslos an, während er peinlich berührt seine Finger verknotete.

Eva hielt die Luft an. Komm schon, Natalie, sag es: Oh ja, ich hab dich hier auch schon mal gesehen, Tom.

Nichts.

„Ich bin fast immer hier.“ Tom lachte verlegen.

„Ah, wie schön.“ Natalie sah auf die Uhr, ein untrügliches Zeichen, dass sie gleich wieder davonrauschen würde. „Die Arbeit ruft. Hat mich gefreut, Tom.“

„Ja, mich auch. Wir sehen uns sicher mal wieder.“

„Ja.“ Sie lächelte kühl und verließ auf ihre Topmodel-Art das Café. Tom und Eva starrten ihr nach, dann sahen sie einander an.

Tom seufzte wehmütig. „Sie ist so … ähm … nett. Sie ist nett. Scheint nett zu sein.“

Eva hüstelte. „Sagen wir es so: Sie braucht einen richtig netten Freund. Bleib dran, Tom.“

„Was? Wie meinst du … was?“ Alarmiert riss er die Augen auf. „Ich hab doch gar nicht …“

„Doch, hast du. Ich find’s toll.“

„Da wird nichts draus.“ Mutlos sah er sie an. „Ich werde immer total nervös, wenn sie in der Nähe ist. Ich bring nicht einen vernünftigen Satz raus. Für sie bin ich doch Luft.“

„Unsinn. Du solltest dir in ihrer Nähe ein positives Bild deiner selbst vergegenwärtigen. Schreib auf, was du ihr mitteilen willst, dann geht’s leichter.“ Eva lächelte ermutigend. „Wir schließen jetzt. Geh nach Hause und denk an meinen Rat. Wenn du sie das nächste Mal siehst, bist du vorbereitet.“

„Wenn du meinst …“ Er klang nicht überzeugt, packte aber Gott sei Dank seinen Kram zusammen. „Bis bald, Eva. Und danke.“

„Gern geschehen.“ Sie schloss hinter ihm ab und drehte das Ladenschildchen von „Willkommen“ auf „Geschlossen“. Nachdem auch Rebecca gegangen war, eilte sie nach hinten ins Büro, um chinesisches Essen zu bestellen und sich umzuziehen.

Am Donnerstag war sie ein Risiko eingegangen und hatte nachmittags bei Ames angerufen, in der Hoffnung, dass Jean ans Telefon gehen würde. Die Rechnung war aufgegangen: Jean war da und Ames außer Haus, sodass Jean einen schnellen Blick in Ames’ Terminkalender werfen und Eva mit entnervter Stimme versichern konnte, dass er den Samstagabend schon wieder zu Hause verbringen würde – einen Samstagabend! Sie wünschte Eva alles Gute bei ihren Bemühungen, etwas Schwung in Ames’ Leben zu bringen. Jeans Meinung nach war Ames viel zu sexy, um abends hinter seinem Schreibtisch zu versauern.

Jean war klasse.

Im Büro von NYEspresso, einem winzigen, zugestellten Raum, stürzte Eva sich auf ihre Sporttasche. Sie hatte Chris’ Apartment an diesem Morgen Hals über Kopf verlassen, nachdem sie ein paar Accessoires zusammengesucht hatte, um abends das richtige Outfit zusammenstellen zu können. Sie hatte gerade einen orange-gelben Schal hervorgezogen, als ihr Handy klingelte. Chris!

„Hey, Schwesterherz, wie geht’s?“

„Ich sitze wieder auf dieser Klippe über dem Meer und lese. Was denkst du, wie es mir geht?“

„Oh, wow.“ Sofort wurde Eva ein wenig wehmütig. Die Klippe war wirklich wunderschön. Einer ihrer Lieblingsplätze.

„Erzähl mir, was los ist. Wie geht’s dir?“

„Nun.“ Eva stieg auf einen Stuhl, um sich möglichst vollständig in dem kleinen Wandspiegel zu sehen. „Rate mal, mit wem ich letzten Dienstag aus war.“

„Ach, wenn’s weiter nichts ist. Sooo viele Typen gibt’s ja nicht in New York, was? Kann nicht lange dauern.“

Eva kicherte. „Mit deinem wandelnden Blumengeschäft. Ames.“

„Wie bitte?“ Chris schnappte nach Luft. „Konntest du ihm etwa nicht entkommen? Ach Eva, das tut mir wirklich leid. Was kann ich tun, damit du diesen Schock verkraftest? Tee? Eine Massage? Desinfektionsmittel?“

Eva versuchte gerade, ihren Schal so attraktiv um den Hals zu schlingen wie Natalie – wie machte sie das bloß? „Was redest du da, Chris? Es war fantastisch!“

„Findest du es etwa fantastisch, in einer spießigen Bar voller Anzugträger zu sitzen und dir Ames’ selbstgefälliges Geschwätz anzuhören?“

„Hm.“ Sprachen sie über denselben Mann? „So war es nicht. Überhaupt nicht. Wir haben einen Spaziergang durch Greenwich Village gemacht. Ames hat mir viel über die Stadt erzählt, und dann haben wir auf einer Bank im Washington Park Falafel gegessen, und danach haben wir Minigolf gespielt.“

Stille, bis auf ungläubige Geräusche am anderen Ende der Leitung. „Ames Cooke? Braune Haare, gute Figur, sieht ein bisschen aus wie –“

„Colin Farrell, genau. Wir hatten einen Mordsspaß. Ich bin total verknallt. Er weiß es noch nicht, aber wir –“

„Oh nein, stopp! Nicht schon wieder. Nicht mit diesem Mann. Er ist überhaupt nicht dein Typ!“

„Was ist denn deiner Meinung nach mein Typ?“

„Du weißt schon: entspannt, cool, ein bisschen esoterisch, kreativ, irgendwie abgedreht. Eher so wie Zac.“

„Soso.“ Eva hopste wieder auf den Stuhl. „Haben meine Beziehungen zu solchen Kerlen je lange gehalten?“

„Also, nein, aber … Nein. Aber das liegt nur daran, dass du viel zu schnell und unüberlegt –“

„Vielleicht liegt’s auch daran, dass das einfach nicht mein Typ Mann ist.“ Eva warf sich den nächsten Schal nachlässig um die Schultern und drehte sich vor dem Spiegel hin und her.

Igitt! Ein klares Nein.

Der Haufen ausrangierter Kleidungsstücke wuchs. Sie wollte an diesem Abend perfekt aussehen. Sie und Ames würden bei ihm zu Hause zu Abend essen – sie lud ihn ein – und dann … oh Baby, dann würden sie sich erst so richtig kennenlernen.

Allerdings wusste Ames noch nichts von seinem Glück.

Sie hatte ihm einige Tage Zeit gegeben, in denen er sich furchtbar nach ihr sehnen sollte und in denen er den inneren Kampf mit sich austragen konnte, was er für sie empfand, während sie sich bei NYEspresso eingewöhnte. Eine clevere Taktik, aber jetzt war die Zeit reif: Sie vermisste ihn.

„Hat er dir von diesem Dinner erzählt?“

Eva drehte eine glitzernde orangefarbene Strickmütze in der Hand. „Welches Dinner? Wann?“

„Dieses große, total förmliche Kundendinner in einem der besten Restaurants von New York. Er hat mich gefragt, ob ich ihn begleite, kurz bevor ich weg bin.“

„Na, wenn er noch keine andere gefunden hat, kann er mich gern mitnehmen.“ Sie musterte die Strickmütze zweifelnd.

„Machst du Witze? Die haben da doch alle einen Stock im Hintern. Du würdest es hassen. Und genau das meine ich, Eva: Ich kann mir nicht vorstellen, wie ihr beide je ein Paar werden könntet. Du bist nämlich auch nicht sein Typ.“

„Doch, das bin ich.“ Sie kramte schon wieder in der Sporttasche und zauberte einen grünkrempigen Hut hervor. „Eindeutig. Er weiß es nur noch nicht.“

Autor

Kimberly Raye
Die preisgekrönte Autorin Kimberly Raye war schon immer eine unheilbare Romantikerin. Sie liest gern Romane aller Art, doch ihre Seele wird besonders von Liebesromanen berührt. Von sexy bis spannend, dramatisch bis witzig – sie liebt sie alle. Am meisten gefällt es ihr jedoch, selbst welche zu schreiben, je heißer desto...
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