Unbezähmbare Leidenschaft

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Eine sinnliche Liebesnacht verbringt Starfotograf Oliver Lowell mit dem wunderschönen Model Sammi. Doch die Nacht hat süße Folgen, was für Oliver zu einem Riesenproblem wird. Denn sein eigener Vater ist ein kaltblütiger Betrüger, der mehrere Familien finanziell ruiniert hat. Oliver weiß nicht, was stärker ist: seine unbezähmbare Leidenschaft für Sammi und der Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft mit ihr und dem Baby – oder seine Vergangenheit, die ihm den Glauben an einen verlässlichen Vater genommen hat …


  • Erscheinungstag 23.11.2021
  • Bandnummer 2213
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503945
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Grimmig starrte Oliver Lowell auf das hingekritzelte Wort auf der Geburtstagskarte: „Irgendwann“. Keine Unterschrift. Kein „Entschuldige, dass ich deinen Geburtstag verpasst habe“. Bloß dieses eine Wort, das sämtliche Dämonen weckte, die Oliver in den letzten acht Jahren der Abstinenz bezwungen hatte. Irgendwann? Was war das denn für eine gruselige Nachricht? Sollte das eine Drohung sein? Ein Versprechen?

Genau wie alles andere, das ihn an seinen Vater erinnerte, warf auch dieses Geburtstagsgeschenk – eine Angelrute – ihn völlig aus der Bahn. Zu oft hatte Vernon Lowell ihm versprochen, einen gemeinsamen Angelausflug zu unternehmen, nur um ihn dann immer wieder zu verschieben. War es da verwunderlich, dass Vater und Sohn sich schon zu Olivers Highschoolzeiten nicht mehr im selben Raum hatten aufhalten können, ohne einander an die Gurgel zu gehen?

Oliver warf die Karte beiseite, schnappte sich seine Kamera und trat in die warme Septemberluft Manhattans hinaus. Unentschlossen blieb er auf dem Gehweg stehen, umgeben vom beißenden Abgasgestank und lauten Verkehr. Normalerweise wusste er immer gleich, wo er langgehen wollte, doch vor lauter Wut und Groll konnte er sich gerade nicht entscheiden.

Vor acht Jahren hätte er sich auf die Suche nach seinem Lieblingsdealer begeben, um seine Wut zu betäuben. Damals war die Besinnungslosigkeit sein bester Freund gewesen, seine Lieblingsstrategie, mit der Abscheu und dem Selbstekel umzugehen. Er war Anfang zwanzig gewesen, stets high oder kurz vorm kompletten Absturz, ohne Rücksicht darauf, welchen Einfluss sein Verhalten auf andere hatte. Dann kam der Tag, an dem er sich dazu entschlossen hatte, dieses zerstörerische Verhalten aufzugeben. Doch die Abstinenz hatte sein Leben nicht gerade leichter gemacht. Im Gegenteil: Es hatte sich arg verschlechtert, seit er sich den Konsequenzen seiner Taten stellen musste. Und er stellte sich ihnen bis heute jeden Tag, versuchte, schlechte Meinungen über sich und die ständige Versuchung zu ignorieren.

Als er sich schließlich in Bewegung setzte, marschierte er geradewegs Richtung Soho Grand Hotel. Er wollte sich in Erinnerung rufen, dass er seine Sucht fest im Griff hatte.

Vorbei an der Grand Bar und Lounge mit den hohen Decken und der entspannten Atmosphäre schritt Oliver in den Clubroom mit den großen Fotografien aus alten Filmen und kunstvoll gruppierten Sesseln und Sofas. Am frühen Abend war der Klub beinah voll, und Oliver sicherte sich den letzten freien Tisch in der Nähe des Eingangs.

Ein Kellner trat vor ihn und begrüßte ihn mit Namen. Obwohl Oliver eigentlich keinen Alkohol mehr trank, bestellte er einen Whiskey statt eines Sodawassers mit Limette. Die überraschte Reaktion des Kellners registrierte er ungeduldig. Er stellte sich nicht oft derartig auf die Probe. Die Wut, die während seines Spaziergangs abgeflaut war, entbrannte aufs Neue und raubte ihm die Konzentration. Verdammt! Auf genau dieses zerstörerische Gefühl ließ sich jede seiner schlechten Entscheidungen zurückführen.

Während er auf seinen Drink wartete, ließ er den Blick durch die Bar schweifen, auf der Suche nach irgendetwas, das ihn von dem Drang, sich zu betäuben, ablenken konnte. Beinah seine ganze Jugend über – bis in seine frühen Zwanziger – hatte ihn nur die Besinnungslosigkeit vor der Wut retten können, die an seiner Seele nagte. Auch wenn er mittlerweile clean war, hatte er doch noch immer mit der Wut zu kämpfen, die ständig unter der Oberfläche brodelte. Zu Beginn seiner Abstinenz hatte er gelernt, auf andere Art mit diesen negativen Gefühlen umzugehen, und eine andere Sucht entwickelt. Schnelle Nummern mit namenlosen Frauen in irgendwelchen Hotelzimmern oder WCs waren scheinbar das perfekte Heilmittel für seine Qualen. Doch im Anschluss an diese flüchtigen Begegnungen fühlte er sich meist leer und schmutzig. Also hatte er auch diese zerstörerische Verhaltensweise aufgegeben und all seine Energie in etwas Positives, Wohltuendes gesteckt. In etwas, das seine Fantasie beflügelte und ihn zu einem weltbekannten Künstler machte: die Fotografie.

Oliver bemerkte kaum, wie der Kellner den Whiskey auf den Tisch stellte. Ein Paar, das gerade auf dem Weg zum Tresen an ihm vorbeigegangen war, hatte seine Aufmerksamkeit erregt – oder eher gesagt die gertenschlanke anmutige Frau mit dem dunklen, zu einem Knoten gedrehten Haar. Sie sah aus wie ein Model und trug schwarze Skinny-Jeans und eine leichte Bomberjacke. In den Stiefeletten mit hohen Absätzen überragte sie ihren Begleiter um einige Zentimeter – eine Tatsache, die das Ego des Mannes zu verletzen schien, so aggressiv, wie er sie auf einen Barhocker schob.

Irritiert musterte Oliver die beiden und bemerkte die steife Körperhaltung der Frau. Warum verschwendete sie ihre Zeit mit einem solchen Rüpel?

Die Frau balancierte eine Model-Mappe auf dem Schoß, während der Mann sich neben sie setzte. Oliver hatte ungehinderte Sicht auf ihr Profil. Sie hatte glattes dunkles Haar und mandelförmige Augen, und Oliver griff geistesabwesend zu der Tasche neben sich und legte die Finger um die Kamera darin. Doch etwas hielt ihn davon ab, sie tatsächlich auf die Frau zu richten – und es war nicht sein Sinn für Anstand.

Mit dem Fotografieren hatte er schon während seiner Highschoolzeit begonnen, damit, die Leute zu beobachten und ihr Innerstes mit der Kamera festzuhalten. Hatte sich an ihnen bedient, ohne irgendetwas zurückzugeben. Kaum hatte er das Hobby zum Beruf gemacht, schoss er Fotos, die ihm viel Beifall einbrachten. Doch er betrachtete diesen Beifall als beruflichen Erfolg, nicht als persönlichen.

Diese Frau weckte den Drang in ihm, sie aus der Nähe zu bewundern, ohne Kamera oder andere Barrieren zwischen ihnen. Er wollte sie mit seinen Händen und Lippen erkunden, wollte die Augen schließen und dem Klang ihrer Stimme lauschen. Aber für den Moment lehnte er sich bloß zurück und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

Stumm saß sie da, den Blick auf den Martini gerichtet, den der Mann ihr bestellt hatte, ohne jedoch die Hand danach auszustrecken. Währenddessen stürzte ihr Begleiter gleich zwei Drinks hintereinander hinunter und wurde offenbar immer unhöflicher. Er schien sie sogar zu beschimpfen. Den dritten Drink verschüttete er durch eine schwungvolle Geste, doch die Frau saß bloß wie versteinert da. Reglos, wie sie war, schien sie jedoch nicht verängstigt zu sein. Oliver hatte das Gefühl, dass sie ihre Mappe aus Wut umklammerte, nicht aus Angst.

Fasziniert beobachtete er die Interaktion der beiden und wünschte, er säße nah genug, um sie zu belauschen. Die Frau trug keinen Ring, war also offenbar in keiner allzu festen Beziehung. Zu seiner Überraschung heiterte Oliver diese Feststellung ungemein auf. Kurz darauf kochte allerdings rasende Wut in ihm hoch, als der Mann seinen Drink so abrupt abstellte, dass der Inhalt der Frau auf die Jeans spritzte. Er entschuldigte sich nicht, als sie sich mit einer Serviette über die Hose tupfte. Stattdessen schien er ihr ein Ultimatum zu stellen. Kurz waren sie beide wie erstarrt, während er ihre Antwort abwartete. Sie hörte auf, sich über die Jeans zu wischen, und musterte ihn ernst, ehe sie schließlich den Kopf schüttelte. Das war offenbar nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte, denn er stieß eine böse Entgegnung hervor und ließ die Frau dann auf ihrem Barhocker zurück.

Als der Mann sich dem Ausgang näherte, nahm Oliver seinen unberührten Drink in die Hand und stand genau rechtzeitig auf, um den Mann anzurempeln. Der teure Whiskey schwappte beinah bis an den Rand des Kristallglases, und Oliver drehte leicht die Hand, um ihn dem Mann übers Hemd zu schütten.

„Was, zur Hölle …?“, rief dieser und starrte Oliver böse an.

„Oh, das tut mir aber leid.“ Oliver bemühte sich um einen aufrichtigen Tonfall.

„Leid?“, rief der Mann wütend und zog eine Visitenkarte aus der Tasche. „Mir doch egal, ob es Ihnen leidtut. Sie können gefälligst die Reinigung bezahlen.“

„Aber natürlich.“ Oliver schaute auf die Karte. „Ty Klein. Sie werden bald von mir hören, versprochen.“

„Es heißt ‚Klehn‘, nicht ‚Klein‘. Das ist ein h nach dem e.“

Oliver neigte den Kopf zur Seite. „Mein Fehler.“

„Wie auch immer.“ Höhnisch grinsend drängte Klehn sich an Oliver vorbei zum Ausgang.

Oliver sah ihm nach, die Visitenkarte immer noch in der Hand. Dann ging er zum Tresen – und der Frau, die immer noch stocksteif dasaß, die Lippen aufeinandergepresst. Er trat an ihre Seite und schob dem Barkeeper einen Fünfziger zu, um die Rechnung des Pärchens zu begleichen. Klehn hatte sich nicht die Mühe gemacht, für ihre Drinks zu bezahlen.

„Der Kerl ist ein Arschloch“, sagte Oliver, in der Hoffnung, sie ein wenig aufheitern zu können. „Sie sind ohne ihn besser dran.“

Eigentlich hatte er nach dieser Geste gleich wieder gehen wollen, denn die Frau wäre nach dieser nervenaufreibenden Situation sicher gern allein. Doch dann erwiderte sie seinen Blick aus warmen braunen Augen, und er konnte nicht mehr klar denken. Er war vollkommen gebannt von den Gefühlen, die ihr in schneller Abfolge über das ovale Gesicht huschten: Wut. Entsetzen. Wiedererkennen. Erleichterung. Oliver konnte kaum mithalten. Aber erst als ihre Miene verschlossen wurde, kam ihm eine nur schwer zu fassende Erinnerung in den Sinn.

„Kennen wir uns?“, platzte er einfach heraus. Halb rechnete er damit, dass sie ihn nach diesem offensichtlichen Anmachspruch sofort wegschicken würde. Stattdessen zuckte bloß ihre linke Augenbraue.

„Komme ich Ihnen denn bekannt vor?“

„Ein wenig. Ich kann Sie nur nicht richtig einordnen. Sind Sie Model?“

Sie verengte leicht die Augen, als würde ihr die Frage missfallen. „Momentan schon.“

Ihre mysteriöse Antwort weckte seine Neugier. „Dachte ich’s mir doch. Ich bin Oliver Lowell.“

Ihr Mundwinkel zuckte, als müsse sie ein Lächeln unterdrücken. „Ich weiß.“

Das war wenig überraschend. Er war zwischenzeitlich selbst als Model tätig gewesen, ehe er sich als Fotograf einen Namen gemacht hatte. „Habe ich Sie schon mal fotografiert?“

Als er das Modeln aufgegeben hatte, war der Wechsel zur Modefotografie einfach am sinnvollsten gewesen. Er hatte mit Beauty-Shots für Nachwuchsmodels angefangen, und seine Arbeit war so gut angekommen, dass er schon bald darauf Angebote von Zeitschriften erhielt.

Sie schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht“, murmelte er. „An Sie würde ich mich definitiv erinnern.“

Als sie vielsagend lächelte, juckte es ihn erneut in den Fingern. Doch genau wie beim ersten Mal wollte er nicht zu seiner Kamera greifen. Er wollte ihr über die makellose Haut streichen, wollte herausfinden, ob sie tatsächlich so glatt und weich war, wie sie aussah.

„Wo sind wir uns dann begegnet?“, fragte er und durchsuchte krampfhaft sein Gedächtnis – allerdings vergebens. Er konnte sich nur noch sehr vage an sie erinnern. Kein Wunder, schließlich verhüllte ein dichter Schleier aus Drogen seine gesamten Zwanziger.

„Vor acht Jahren sind wir gemeinsam die Frühlingsfashionshow von Valentino gelaufen.“ Während ihres Gesprächs hatte sie allmählich den Klammergriff um ihre Handtasche gelockert. Nun hob sie die Hand, um sich eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen. „Das war meine erste Modenschau.“

Wut und Selbsthass stiegen in Oliver auf. „Und meine letzte.“ In jener Nacht war sein bester Freund an einer Überdosis gestorben. In jener Nacht war er nicht für Carson da gewesen, weil er zu sehr damit beschäftigt war, sein Leben in den Sand zu setzen.

„Und jetzt stehen Sie hinter der Kamera“, sagte sie. „Wie fühlt sich das an?“

„Es gefällt mir, die Kontrolle zu haben“, sagte er und ignorierte das höhnische Gelächter, das ihm durch den Hinterkopf schallte.

Während seiner Kindheit hatte er nicht viel Kontrolle besessen. Er war der jüngste Sohn einer mächtigen Familie. Sein Vater hatte ihn stets zu besseren Leistungen gedrängt, hatte erwartet, dass Oliver seinen älteren Brüdern in nichts nachstand. Und er hatte ihn bestraft, wenn er wieder einmal die Erwartungen enttäuschte, die von den Zwillingen erfüllt worden waren.

Er hatte keine Kontrolle darüber gehabt, auf welche Schule, welches College er ging. Und auch wenn er lieber an der Foto-AG teilgenommen hätte, hatte sein Vater ihn dazu gezwungen, dem Fußball- und dem Baseballteam beizutreten.

Auch in Harvard hatte er keine Kontrolle gehabt. Die Umstände, unter denen sein Vater verschwunden war, hatten dazu geführt, dass er sich danebenbenahm und rebellierte. Mit Partys und Drogen hatte er die Wut darüber, dass ihr Vater sie einfach zurückgelassen hatte, zu kompensieren versucht.

„Kontrolle“, murmelte sie bitter, was Oliver noch mehr in ihren Bann zog. „Wie fühlt sich das an?“

Kontrolle bedeutete freie Wahl. Während seiner Therapie hatte er gelernt, dass jeder unterschiedlich auf Druck reagierte. Josh hatte sich für die Pflicht entschieden. Jake hatte den Rückzug gewählt. Und Olivers Flucht war die Besinnungslosigkeit gewesen – bis der Entzug ihn schließlich gelehrt hatte, anders damit umzugehen. „Ich mag es, das Sagen zu haben.“

Sie verengte die Augen. „Das kann ich mir vorstellen.“

Er dachte an die Szene zwischen ihr und Klehn zurück. „Sie sollten es mal versuchen.“

„Ja, vielleicht.“ Sie drehte sich auf dem Hocker, sodass sie ihm direkt gegenübersaß. „Wie fängt man das an?“

„Für den Anfang könnten Sie Ihren Freund abschießen.“

„Zu spät.“ Sie sah zum Ausgang. „Er hat mich bereits abserviert.“

Oliver nickte zufrieden. Seine Laune verbesserte sich mit jeder Sekunde. „Sein Pech ist mein Glück.“

Überrascht sah sie ihn an, machte jedoch keine Anstalten, ihn abblitzen zu lassen.

„Sie sagten eben, Sie seien nur im Moment Model“, fuhr er fort, allzu erpicht darauf, mehr über sie zu erfahren. „Denken Sie darüber nach, den Job aufzugeben?“

„Ich bin schon Model, seit ich gerade mal ein Jahr alt war. Fünfundzwanzig Jahre in der Branche sind nun wirklich lang genug, finden Sie nicht?“

„Dazu kann ich nichts sagen“, erwiderte er. „Ich war nur fünf Jahre lang in der Branche.“

„Und Sie haben auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere aufgehört“, sagte sie. „Wie kam es dazu?“

„Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist“, scherzte er, ehe er es sich anders überlegen konnte. Diese Frau zog einen lebensverändernden Karrierewechsel in Erwägung und hatte mehr als diese leichtfertige Antwort verdient. „Hätte ich weiter gemodelt, wäre ich jetzt tot.“

Die Antwort schien sie nicht weiter zu schockieren. Sie nickte bloß. „Es ist wirklich ein furchtbarer Job“, sagte sie ernst. „Warum reißen sich so viele Menschen darum?“

Zu gern hätte er die Schatten aus ihren Augen vertrieben. Sie deuteten auf eine finstere Vergangenheit hin. „Weil man damit schnell und einfach Geld verdienen kann natürlich“, antwortete er mit schwarzem Humor.

„Und weil die Arbeitszeiten so kurz sind“, ergänzte sie, und ihre Mundwinkel zuckten.

„Und natürlich, weil es so gut fürs Selbstbewusstsein ist“, erklärte er sarkastisch.

Zustimmend nickte sie. „Oh ja, nichts stärkt das Selbstbewusstsein mehr, als wenn man bloß als Stück Fleisch betrachtet wird.“

Kurz ließen sie sich beide ihre Worte durch den Kopf gehen, und zum ersten Mal seit Langem hatte Oliver das Gefühl, perfekt mit jemandem im Einklang zu sein. Seine Wut war komplett verflogen. Das Gespräch mit dieser Frau war genau die Ablenkung, nach der er gesucht hatte. „Was wollen Sie denn in Zukunft machen? Wenn Sie mit dem Modeln aufhören wollen?“

„Ich weiß es nicht“, gab sie niedergeschlagen zu. „Und bis ich tatsächlich einen konkreten Plan habe, kann ich das Modeln nicht aufgeben.“

Das gleiche Verlangen, das ihn dazu verleitet hatte, ihr Date anzurempeln und ihre Rechnung zu begleichen, erwachte erneut in ihm. Für Schwäche hatte er nichts übrig und sich entsprechend nie besonders für irgendjemanden engagiert. Er konnte sich nicht erklären, warum gerade jetzt, warum ausgerechnet bei dieser Frau. Vermutlich weil sich seine Laune extrem verbessert hatte, seit sie diese Bar betreten hatte – und weil er nicht wollte, dass diese Ablenkung schon endete. „Vielleicht kann ich ja helfen.“

Sammi Guzmans Herz klopfte wie wild, und ihr stockte der Atem. Ungläubig starrte sie Oliver Lowell an, völlig überrumpelt davon, wie schnell ihre frühere Schwärmerei wieder zum Leben erwachte.

Doch war das wirklich so überraschend? In gut sitzenden Jeans, einem weißen T-Shirt und einer abgetragenen Bomberjacke strahlte er einfach ein unwiderstehlich männliches Charisma und einen überwältigenden Sex-Appeal aus. Ihr war vor Aufregung beinah schwindlig geworden, als er sich neben sie an die Bar gesetzt hatte. Und jetzt, da er sie so durchdringend musterte, erwachte ein leichtsinniger Drang in ihr.

„Wie denn helfen?“, fragte sie atemlos. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.

„Lassen Sie sich von mir fotografieren.“

Enttäuscht sprach sie das Erste aus, was ihr durch den Kopf ging. „Oh.“

„Oh?“, wiederholte er, und ein Muskel in seiner Wange zuckte.

Hastig schenkte Sammi ihm ein Lächeln. Offenbar hatte sie ihn beleidigt. „Mit einem solchen Angebot hatte ich nicht gerechnet. Es ist wirklich schmeichelhaft, dass der talentierte Oliver Lowell mich ablichten will, aber ich suche nach einem Weg, meiner Modelkarriere zu entfliehen. Ich will sie nicht noch weiter anheizen.“

Er schwieg, seine Miene grimmig, während er sich ihre Worte durch den Kopf gehen ließ. Nervös strich sie über das immer noch unberührte Martiniglas vor sich. Als Oliver und sie das letzte Mal im selben Raum gewesen waren, war sie gerade mal achtzehn Jahre alt gewesen – und Oliver hatte nicht bemerkt, dass sie überhaupt existierte. In den acht Jahren, die seitdem vergangen waren, war er muskulöser geworden. Er hatte sich von einem eigensinnigen Jungen mit launenhaftem Blick zu einem umwerfenden Adonis mit wachsamen Augen und gebieterischer Ausstrahlung entwickelt. Eines hatte sich jedoch nicht geändert: Er war nach wie vor bekannt für seine Brillanz und sein explosives Temperament.

„Dieses Foto wäre nur für uns.“

Angesichts seiner rätselhaften Worte spielten ihre Gefühle vollkommen verrückt. Was genau wollte er von ihr? Noch monatelang, nachdem sie gemeinsam die Modenschau gelaufen waren, hatte sie sich eine zweite Begegnung mit Oliver ausgemalt – eine, bei der er nicht durch sie hindurchschaute, sondern ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkte. Sie hatte sich romantischen Tagträumen hingegeben, in denen er ihr Herz im Sturm eroberte und sie mit atemberaubenden Küssen verführte.

Natürlich konnte nichts dergleichen je geschehen. Selbst wenn Oliver an ihr interessiert gewesen wäre, wurde ihre Freiheit doch von ihrer Mutter eingeschränkt. Eine Welle der Erregung ließ Sammis Herz erneut schneller schlagen. Auch wenn Celeste weiterhin großen Einfluss auf sie hatte, so war Sammi doch kein Kind mehr.

„Ist das Ihre Version von ‚Komm, ich zeige dir meine Briefmarkensammlung‘?“

Er hob eine Augenbraue. Sie wurde von einer Narbe zweigeteilt. Doch anstatt sein perfektes Gesicht zu verunstalten, unterstrich der kleine Makel bloß seine Attraktivität. „Nein“, sagte er, und etwas blitzte in seinen Augen auf. „Ich meine das Angebot absolut ernst.“

„Dann ist das also keine Masche von Ihnen?“

Er blinzelte überrascht. Anscheinend hatte sie seine Einladung völlig falsch gedeutet. Prompt errötete sie. Was musste er bloß von ihr denken?

„Vielleicht sollte ich Ihnen genauer erklären, was ich meine.“

„Das wäre toll“, murmelte sie, fest entschlossen, sich nicht weiter zum Narren zu machen.

„Als Fotograf kann ich meine Sichtweise auf die Welt beeinflussen. Das ist es, was ich an meiner Arbeit so liebe.“ Oliver sprach langsam, den Blick starr nach vorn – nach innen – gerichtet. „Nachdem ich das Modeln aufgegeben hatte, habe ich wieder Zeit für mein Lieblingshobby aus der Schulzeit gefunden. Ich fing mit dem an, was ich kannte, aber die Arbeit als Modefotograf ist fast genauso langweilig wie die als Model. Doch von irgendwas musste ich leben, also nahm ich sämtliche Jobs an, die mir angeboten wurden. Um mein Einkommen ein wenig aufzubessern, half ich außerdem Nachwuchsmodels dabei, ihr Portfolio zu erstellen. Während dieser Porträt-Sessions habe ich dann meine wahre Leidenschaft entdeckt. Und diese Bilder waren es auch, die die Aufmerksamkeit der Leute erregten. Plötzlich war ich unheimlich gefragt, und Zeitschriften baten mich darum, Promis und andere große Persönlichkeiten für sie abzulichten.“

Oliver hielt inne und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, und plötzlich wirkte er jünger, als er war. „Promis sind es zwar gewohnt, fotografiert zu werden, aber sie tragen ihr Image wie eine Maske. Ich interessiere mich dafür, wie sie hinter dieser Fassade ticken.“

„Und? Gelingt es Ihnen, das herauszufinden?“

„Ja, aber es dauert oft sehr lang. Während einer Session schieße ich tausende Fotos und treibe die Promis häufig bis an den Rand der Erschöpfung. Es ist schwer, eine Fassade aufrechtzuerhalten, wenn man allzu müde ist. Die Bilder, die ich nach Ende der Session schieße, sind meist die faszinierendsten des ganzen Tages. Aber sie gehören nicht in irgendwelche Zeitschriften. Sie sind nur für mich und meine Modelle bestimmt.“

Seine tiefe Stimme zog sie in ihren Bann, und Sammi ertappte sich dabei, wie sie sich leicht vorbeugte, um ja keins seiner Worte zu verpassen. Rasch richtete sie sich wieder auf. So schnell ließ sie sonst nie ihren Schutzschild fallen. Sie räusperte sich. „Dann zeigen Sie ihnen also bloß die Fotos?“

„Ich drucke eins aus, eins, das ihren Charakter offenlegt und ihre wahre Natur widerspiegelt. Das gebe ich ihnen dann. Es liegt bei ihnen, was sie letztendlich mit diesem Bild anstellen.“

Sammi zitterte leicht. In manchen Kulturen glaubte man, dass einem mit jedem Foto ein Stückchen der eigenen Seele gestohlen wurde. Auch wenn sie ihr ganzes Leben vor der Kamera verbracht hatte, hatte sie dabei doch stets ihre wahren Gefühle verborgen und bloß das dargestellt, was der Kunde wollte. Sie hatte noch nie ein Bild von sich gesehen, das auch nur annähernd ihre wahre Natur offenbarte. Was könnte Oliver Lowell mit seinen Fotos offenlegen?

„Seine größte Verletzlichkeit einfangen zu lassen …“ Sammi erschauderte. „Das klingt furchteinflößend.“

Er nickte verständnisvoll. „Für manche ist es das auch.“

Das klang ganz schön überheblich. Wenn man in einer so wohlhabenden Familie wie den Lowells aufgewachsen war, waren einem die Probleme seiner Mitmenschen wahrscheinlich ziemlich gleichgültig. Im Laufe ihres Gesprächs hatte sich ihre Wahrnehmung von ihm jedoch verändert: Anfangs hatte sie sich noch gefreut, dass ihr früherer Schwarm sie endlich bemerkt hatte. Doch sie musste schnell feststellen, dass er sehr viel komplexer war als angenommen.

„Also, was sagen Sie?“, fragte er und unterbrach damit ihre Gedanken.

„Wozu?“

„Darf ich Sie fotografieren?“

Sammi dachte über den schwierigen Abend nach, der vor ihr lag, sobald sie in die Wohnung zurückkehrte, die sie sich mit ihrer Mutter teilte. Wenn sie ihr sagte, dass Ty sich von ihr getrennt hatte, würde das garantiert zu einer Gardinenpredigt führen. Celeste war von finanzieller Sicherheit geradezu besessen und betrachtete die Beziehung ihrer Tochter mit einem erfolgreichen Werbemanager als etwas Positives. Tatsächlich hätte Sammi ihre Beziehung zu Ty schon längst beendet, wenn ihre Mutter sie nicht dazu gedrängt hätte, mit ihm zusammenzubleiben.

„Ich weiß nicht“, sagte sie ausweichend, obwohl sie schon längst eine Entscheidung getroffen hatte.

„Sie können mir vertrauen.“

Und plötzlich begriff Sammi, dass sie das längst tat. „Ich kann mir Ihren üblichen Stundenlohn wahrscheinlich nicht leisten. Nur so aus Neugier: Wie viel verlangen Sie für diese privaten Porträt-Shootings?“

„Normalerweise einhunderttausend Dollar.“

„Im Ernst?“ Erstaunt starrte sie ihn an. „Nichts für ungut, aber warum sind die Leute bereit, so viel dafür zu bezahlen?“

„Privatsphäre“, erklärte er sachlich. „Ich zeige ihnen etwas, das niemand anders je einfangen konnte. Etwas, von dem sie vielleicht nicht wollen, dass es die Welt zu Gesicht bekommt. Sie bezahlen für meine Integrität. Keins der Bilder, die ich während dieser Shootings von ihnen schieße, wird je an die Öffentlichkeit gelangen – außer, sie entscheiden sich selbst dazu, sie freizugeben.“

Seufzend atmete sie aus. „Tja, dann wird wohl nichts aus unserem Shooting, denn ich habe keine hunderttausend Dollar.“

„Das hatte ich auch nicht erwartet.“ Er wies auf ihre Handtasche. „Wie viel Geld haben Sie bei sich?“

„Schauen wir doch mal.“ Sammi zog ihr Portemonnaie hervor. „Dreiundzwanzig Dollar.“ Sie zog die Scheine aus der Brieftasche und zeigte sie ihm.

Oliver nahm sie ihr aus der Hand und steckte sie ein. „Dann schieße ich für dreiundzwanzig Dollar genau ein Bild von Ihnen.“

„Fotografen schießen hunderte Bilder für die eine perfekte Aufnahme“, sagte sie. Ihr war allzu bewusst, dass er ihr einen Gefallen tun wollte, doch sie konnte sich nicht davon abhalten, weiter mit ihm zu diskutieren. „Und Sie wollen das mit nur einem Versuch schaffen?“

„Stellen Sie etwa meine Fähigkeiten als Fotograf infrage?“

Und plötzlich begriff sie. Das hier war ein Spiel für ihn. Mit jedem Kunden stellte er sich einer neuen Herausforderung. Es reichte ihm nicht, tolle Fotos für irgendwelche Zeitschriften zu schießen. Er wollte immer wieder beweisen, dass er ein Meister seiner Kunst war.

Falls ihr anhaltender Widerstand ihn störte, ließ er es sich nicht anmerken. Sie setzten sich auf eins der gemütlichen Sofas in der Grand Bar und Lounge, und Oliver bestellte einige Häppchen und ein Sodawasser. Fest entschlossen, einen klaren Kopf zu bewahren, tat Sammi es ihm nach. Während sie aßen, erzählte er ihr Geschichten über die Promis, die er bereits fotografiert hatte, und Sammi berichtete ihm von ihrer Modelkarriere in Übersee.

Er hörte ihr andächtig zu, vollkommen auf sie konzentriert. Nicht wie ein Raubtier, kurz davor, sich auf seine Beute zu stürzen, sondern eher, als sei sie eine Seltenheit und er ein begeisterter Sammler.

„Was?“, fragte sie schließlich, sowohl fasziniert als auch ein wenig ängstlich angesichts seiner Neugier. Bildete sie sich das nur ein, oder war da etwas zwischen ihnen?

Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich finde Sie faszinierend.“

Diese Bemerkung … dieses Geständnis … oder aber die Bewunderung in seiner Stimme setzte sie in Flammen. Sie bekam kaum Luft. Leicht benommen hielt sie sich am Ärmel seiner Lederjacke fest, und sein warmer Atem strich ihr über die Wange. Als sie gerade den Kopf drehen wollte, um mit den Lippen seine zu streifen, wich er zurück und hielt ihr die Hand hin.

„Los, verschwinden wir hier.“ Er klang zugleich befehlerisch und flehend.

„Wohin denn?“ Nur zu gern ergriff sie seine Hand und ließ sich von ihm auf die Beine helfen.

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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