Verbotene Träume von deiner Liebe

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"Tröste mich!" Nach einer Enttäuschung flüchtet Jessica zu Zane, der immer wie ein großer Bruder für sie war. Aber diesmal ist seine Umarmung mehr als tröstlich … Und als sie im Bett landen, weiß Jess: Sie hat sich ausgerechnet in den Mann verliebt, den sie niemals haben darf!


  • Erscheinungstag 08.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739874
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Absätze von Jessicas Stiefeln klapperten über die Holzdielen von Zane Williams’ Veranda, von der aus man weit über den Pazifischen Ozean hinausschaute. Zane lag halb verborgen im Schatten eines Sonnensegels auf seinem Liegestuhl und beobachtete jede Bewegung des neuen Hausgastes. Seine Schwägerin war eingetroffen.

Durfte er sie eigentlich immer noch so nennen?

Stürmische Windböen zerzausten ihr karamellfarbenes Haar, als sie von seiner Assistentin Mariah zu ihm geführt wurde. Sie trug eine weiße Bluse, ausgewaschene Jeans und einen breiten braunen Gürtel. Ihre große dunkle Hornbrille konnte den Schmerz in ihren Augen nicht verbergen.

Süße Jess. Das Eis in seinem Herzen begann, ein wenig zu schmelzen. Sie erinnerte ihn an … zu Hause.

Es tat weh, an Beckon zu denken, an seine Ranch in der kleinen texanischen Stadt und an das Leben, das er dort einmal gehabt hatte. Es tat weh, daran zu denken, wie er Jessicas Schwester Janie kennen- und lieben gelernt hatte. Manchmal war es, als hätte sich die Tragödie nicht vor zwei Jahren, sondern vor einer Ewigkeit ereignet. Dann wieder schien die Zeit stillzustehen. So oder so, seine Frau Janie und ihr ungeborenes Kind waren fort. Sie würden nie mehr wiederkommen. Und der Schmerz in seiner Seele brannte unvermindert.

Zane konzentrierte sich wieder auf Jessica. Sie trug einen großen grau-violett gemusterten Stoffkoffer. Vor drei Jahren hatte er Janie und Jess die gleichen Gepäckstücke zu ihrem Geburtstag geschenkt. Es war ein ungewöhnlicher Zufall, dass die beiden Schwestern, die einzigen Kinder von Mae und Harold Holcomb, am gleichen Tag geboren worden waren – auch wenn Janie sieben Jahre älter als ihre Schwester gewesen war.

Zane griff nach den Krücken, die neben seinem Liegestuhl lagen, und stand mühsam auf. Ganz vorsichtig, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, stolperte und sich auch noch den anderen Fuß brach. Mariah würde ihm den Hals umdrehen, wenn er sich noch einmal verletzte. Sein geschientes Handgelenk schmerzte, aber er weigerte sich, seine Assistentin um Hilfe zu bitten. Es war schlimm genug, dass sie seit Wochen seine Krankenschwester spielen musste.

Mariah blieb stehen. „Hier ist er, Jessica. Ich lasse euch dann mal allein.“ Ihr Blick war wie eine unausgesprochene Warnung für mehrere Sekunden auf seine Krücken gerichtet. Dann machte sie kehrt und ging davon.

„Danke, Mariah“, rief Zane ihr nach.

Jessica kam näher. „Immer noch der perfekte Gentleman“, sagte sie. „Sogar auf Krücken.“

Er hatte ganz vergessen, wie sehr ihre Stimme Janies ähnelte. Abgesehen davon hatten die Schwestern allerdings nie viel gemeinsam gehabt. Jess war nicht so groß wie Janie. Ihre Augen waren hellgrün, während Janies mehr in einem dunklen Smaragdton gefunkelt hatten. Jess war brünett, Janie blond. Der größte Unterschied der beiden lag jedoch in ihrem Charakter. Janie war eine starke, selbstbewusste Frau gewesen, die sich von Zanes Ruhm als populärer Countrysänger nicht einschüchtern ließ. Jess hingegen war viel ruhiger und zurückhaltender. Sie war Grundschullehrerin und ein wahrer Schatz.

„Das mit deinem Unfall tut mir leid.“

Zane zuckte die Schultern. „Eigentlich war es weniger ein Unfall als Dummheit. Bei meinem Auftritt in Los Angeles habe ich nicht aufgepasst und bin von der Bühne gefallen. Habe mir den Fuß und die rechte Hand gebrochen.“ Eine Videoaufnahme von seinem peinlichen Sturz hatte sich innerhalb weniger Stunden übers Internet verbreitete. „Meine Tournee ist bis auf Weiteres aufgeschoben. Mit einem gebrochenen Handgelenk kann ich nicht Gitarre spielen.“

„Nein, das kannst du wohl nicht.“ Sie stellte ihr Gepäck ab und blickte über das Geländer hinunter auf den Moonlight Beach und aufs Meer hinaus. Das Sonnenlicht glitzerte auf dem Wasser, und die Wellen trieben weißen Schaum an den Strand. „Ich nehme an, Mama hat dich gezwungen, mich einzuladen.“

„Deine Mutter würde nie jemanden zu irgendetwas zwingen.“

Sie warf ihm einen scharfen Blick zu. „Du weißt, was ich meine.“

Natürlich wusste er das. Tatsache war, dass er Mae Holcomb keinen Wunsch ausschlagen konnte. Und sie hatte ihn um diesen Gefallen gebeten.

Es ist furchtbar, Zane. Meine Jess leidet. Sie muss den Kopf frei bekommen. Könnte sie nicht ein, zwei Wochen bei dir wohnen? Bitte, Zane, pass auf sie auf.

Er hatte Mae sein Wort gegeben. Er würde sich um Jess kümmern und ihr Zeit geben, dass ihre Wunden heilen konnten.

„Du kannst so lange bleiben, wie du willst, Jess.“

„Danke.“ Ihre Unterlippe begann zu zittern. „Du hast gehört, was passiert ist?“

„Ja, habe ich.“

„Ich … ich konnte nicht in der Stadt bleiben. Ich musste fort aus Texas. Je weiter, desto besser.“

„Nun, weiter nach Westen hättest du jedenfalls nicht gehen können“, bemerkte er und deutete über den Ozean.

Sie ließ den Kopf sinken. „Ich komme mir so schrecklich dumm vor.“

Er streckte die Hand aus und hob ihr Kinn an. Die verfluchte Krücke unter seinem Arm fiel gegen das Geländer. „Das musst du nicht.“

„Ich werde wohl keine gute Gesellschaft sein“, sagte sie leise.

Zane merkte, wie er das Gleichgewicht verlor. Schnell ließ er Jess los und bekam seine Krücke gerade noch rechtzeitig zu fassen. „Damit wären wir schon zwei.“

Jess musste lachen. Vermutlich ihr erster fröhlicher Moment seit Tagen. Er lächelte.

„Ich brauche nur eine Woche, Zane.“

„Wie ich schon sagte, nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.“

„Danke.“ Ihr Blick fiel auf seine Verletzungen. „Hast du schlimme Schmerzen?“

„Es geht. Eigentlich hat Mariah mehr zu leiden als ich. Sie muss ganz allein meine schlechte Laune ertragen.“

„Dabei kann ich sie jetzt ja unterstützen.“ Sie lächelte ihm zu.

Er hatte ganz vergessen, wie es war, Jess um sich zu haben. Sie war zehn Jahre jünger als er, und er hatte sie immer als seine kleine Schwester betrachtet. Seit Janies Tod hatte er sie allerdings nicht allzu oft gesehen. Unter der schweren Last des Kummers und der Schuldgefühle hatte er sich weitgehend aus dem Leben der Familie Holcomb zurückgezogen.

„Gib mir dein Gepäck“, sagte er. Er klemmte seine Krücken unter die Achseln und versuchte, nach dem Koffer zu greifen.

Jessica verdrehte die Augen und nahm ihren Koffer selbst in die Hand. „Ich weiß deine Aufmerksamkeit sehr zu schätzen, Zane, aber das schaffe ich schon selbst. Ich habe nicht viel dabei. Nur ein paar Sommerkleider und Strandsachen.“

Natürlich hatte sie recht. Er hätte ihr gern geholfen, aber mit den verflixten Krücken fühlte er sich so unbeholfen wie ein betrunkener Seemann. „Na gut. Warum richtest du dich nicht erst mal ein und ruhst dich ein wenig aus? Ich wohne auf dieser Etage. Du hast also das gesamte obere Stockwerk für dich allein. Such dir ein Zimmer aus, und fühl dich wie zu Hause.“

Er folgte ihr durch die breiten Glasschiebetüren ins Wohnzimmer. Jess ließ ihren Blick durch den Raum wandern, über die riesige gewölbte Decke, die Stofftapeten, die Einrichtung im Art-déco-Stil und die modernen Designermöbel. Zane sah ihr ihre Verwirrung an und wusste, was sie dachte: Was hatte ein texanischer Countrymusiker in einer eleganten Strandvilla in Kalifornien verloren?

Er hatte das Haus gemietet, weil er geglaubt hatte, eine Veränderung zu brauchen. Und tatsächlich stapelten sich seit seiner Ankunft Rollenangebote für verschiedene Hollywoodfilme auf seinem Schreibtisch. Da er keine Ahnung hatte, ob ihm die Schauspielerei überhaupt lag, blieben diese auch vorerst dort liegen.

„Es … es ist ein sehr schönes Haus, Zane.“

Er trat neben sie. „Aber du findest, dass es nicht zu mir passt, oder?“

„Ich schätze, das kann ich nicht mehr beurteilen.“

„Mariah hat das Haus für mich ausfindig gemacht. Sie sagte, Kalifornien würde mir guttun.“ Er zuckte die Schultern. „Wenigstens ist die Luftfeuchtigkeit erträglich, und es regnet fast nie. Außerdem sind die Nachbarn sehr nett.“

„Ein guter Ort, um sich zu erholen.“

„Ist es das, was ich tue?“

„Etwa nicht?“

Zane schwieg. Er konnte schließlich nicht seine innersten Gedanken vor ihr ausbreiten. So nahe standen sie sich nicht mehr. Dennoch gab es zwischen ihnen eine tiefe, innige Verbindung.

„Ich bin ein wenig müde vom Flug“, rettete Jess ihn davor, antworten zu müssen. „Ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn ich mich ein wenig ausruhe. Sonst schlafe ich noch im Stehen ein.“

„Natürlich, geh nur nach oben. Nur ein Vorschlag, aber das Zimmer ganz am Ende des Flurs rechts hat die schönste Aussicht über das Meer. Die Sonnenuntergänge hier sind ziemlich spektakulär.“

„Ich werde es mir merken. Danke, Zane … für alles.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Bei der Berührung und dem süßen Duft ihres Haares zog sich etwas in seiner Brust zusammen. Ihr Lächeln sollte ihn vermutlich beruhigen, aber sie konnte ihm nichts vormachen. Die dunklen Schatten unter ihren Augen verrieten sie.

Zane wusste, wie es ihr ging. Er wusste, wie der Schmerz einem Menschen die Luft abschneiden konnte, bis ihm der Atem ausblieb. Er hatte das alles selbst durchlebt. Durchlebte es immer noch.

Und er kannte den Stolz der Familie Holcomb.

Was für ein Kerl ließ ein Holcomb-Mädchen vor dem Altar stehen?

Nur ein verdammter Idiot.

Jessica folgte Zanes Rat und entschied sich für das Gästezimmer am Ende des Flures. Jedoch nicht wegen der schönen Sonnenuntergänge, sondern um Zane so viel Privatsphäre wie möglich zu geben. Sie wusste, er legte viel Wert darauf – und sie tat es seit Neuestem auch.

Auf einmal überfiel sie ein überwältigender Drang, sich aufs Bett zu werfen und sich die Augen auszuheulen, doch sie kämpfte das Gefühl nieder. Jetzt war Schluss mit dem Selbstmitleid. Schließlich war sie nicht die erste Frau, die am Altar stehen gelassen worden war. Sie war von dem Mann, den sie geliebt hatte, betrogen worden. Sie war so blind gewesen und hatte alle Zeichen übersehen. Doch jetzt sah sie alles kristallklar.

Sie lenkte sich ab, indem sie ihren Koffer auspackte. Ihre mageren Mitbringsel gingen in dem riesigen begehbaren Kleiderschrank, der zum Zimmer gehörte, beinahe verloren. All dies war so anders als in ihrer Einzimmerwohnung zu Hause.

„Kann ich noch irgendetwas für dich tun?“, riss eine Stimme sie aus ihren dunklen Gedanken. Erschrocken wirbelte sie herum und sah Mariah in der Tür stehen.

„Danke, aber alles was ich jetzt noch brauche, ist eine Dusche und etwas Schlaf.“

„Das verstehe ich. Ich bin für heute weg. Mrs. Lopez, Zanes Haushälterin, ist noch hier. Wenn du irgendetwas brauchst, kannst du sie gern fragen.“

„Danke. Ich komme schon zurecht.“

Mariah lächelte freundlich. „Du siehst ein bisschen wie Janie aus.“

Jess senkte den Blick. „Das bezweifle ich. Janie war wunderschön.“

„Du hast die gleichen warmen Augen und diegleichen wunderschöne zarte Haut.“

Jess selbst fand, dass sie blass wie ein Gespenst war, und Sommersprossen hatte sie auch auf der Nase. „Danke“, sagte sie trotzdem. „Ich … ich will dir und Zane keine Umstände machen. Eigentlich bin ich nur hier, weil meine Mutter es für eine gute Idee hielt.“

„Du machst uns keine Umstände. Im Gegenteil. Vielleicht bist du genau das, was Zane braucht, um endlich den Kopf aus dem Sand zu ziehen.“

Jess sah Mariah fragend an.

„Er ist schon eine ganze Weile nicht mehr er selbst“, erklärte Mariah.

„Verständlicherweise. Er hat schließlich viel verloren. Wie wir alle“, erwiderte Jess traurig. Sie vermisste Janie entsetzlich. Das Leben konnte wirklich grausam sein.

Mariah nickte. „Aber jemanden aus der Familie bei sich zu haben, könnte euch beiden ganz guttun.“

Das bezweifelte Jess. Sie fürchtete eher, Zane lästig zu fallen. Sie würde hier ein paar Tage verbringen, ein wenig frische Seeluft tanken und dann nach Hause zurückkehren. Demütigung und schmerzhafte Verzweiflung hatten sie aus Texas fliehen lassen. Doch irgendwann würde sie sich ihren Problemen stellen müssen. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften. Darüber wollte sie im Augenblick noch nicht nachdenken.

„Vielleicht“, antwortete sie zögernd.

Nachdem Mariah gegangen war, ging Jess ins Bad. Sie legte ihre Kleider ab und trat durch die Glastür in die geräumige Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf ihren Körper. Minutenlang stand sie einfach nur da, eingehüllt in einer dichten Wolke aus Wasserdampf, und genoss das Gefühl, wie sich ihre angespannten Muskeln endlich zu lockern begannen. Mit einem wohligen Seufzen stellte sie das Wasser aus und trat aus der Dusche. Sie schlüpfte in Shorts und ein Top. Dann föhnte sie ihre Haare und band die langen Locken zum Pferdeschwanz hoch. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich vor dem Essen noch kurz auszuruhen, aber sie war viel zu aufgedreht, um schlafen zu können, und der Strand vor ihrem Fenster war viel zu verlockend. Schnell lief sie nach unten.

Ein köstlicher Duft von südländischen Gewürzen wehte durchs Haus. Jess folgte dem Aroma bis in die Küche, wo eine ältere Frau mit einer Schürze um die stämmigen Hüften am Herd stand und leise vor sich hin summte.

Die Frau drehte sich zu ihr um. „Hola. Miss Holcomb?“

„Ja, aber nennen Sie mich bitte Jessica.“

„Ich bin Mrs. Lopez. Mögen Sie Enchiladas, Jessica?“

„Und wie!“ Als Texanerin liebte sie mexikanisches Essen über alles. „Das duftet ja wundervoll.“

„Das Essen ist in einer halben Stunde fertig. Möchten Sie schon etwas trinken?“

„Nein, vielen Dank. Ich wollte noch …“

Ein lauter Knall war zu hören. „Verdammter Mist!“, tönte Zanes Fluchen durchs Haus.

Jessica hielt erschrocken inne.

„Mr. Zane hat sich aus Versehen Eistee aufs Hemd geschüttet.“ Mrs. Lopez schüttelte lächelnd den Kopf. „Er kann sich nicht besonders gut allein umziehen, aber er lässt sich von niemandem helfen. Mr. Zane ist kein einfacher Patient.“

„Das kann ich mir denken.“ Jess lächelte. „Ich mache noch einen kurzen Spaziergang am Strand, aber ich werde rechtzeitig zum Essen zurück sein.“

Mrs. Lopez richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Töpfe und Pfannen, und Jess ließ die verführerischen Düfte der Küche hinter sich, um durch die breite Flügeltür hinaus auf die Veranda zu treten. Von dort aus stieg sie die Stufen der Außentreppe hinunter, bis sie den warmen Sand zwischen ihren Zehen spürte.

Jess genoss die milde Meeresbrise, die ihr Haar zerzauste, den salzigen Geschmack auf ihren Lippen und die goldenen Farbtupfen, die auf der Wasseroberfläche glitzerten. Ihre Schritte fühlten sich leicht an. Sie hinterließ Abdrücke im nassen Sand, die schon von der nächsten Welle wieder fortgespült wurden. Obwohl die Sonne schon recht tief am Horizont stand, wärmte sie ihre Haut. Jess schlenderte am Strand entlang und bewunderte die prächtigen Anwesen, die zu ihrer Rechten den Küstenstreifen säumten. Alle unterschiedlich in Design und Stil. Sie war so fasziniert von dem Anblick, dass sie den Jogger, der ihr entgegenkam, erst bemerkte, als er direkt vor ihr stehen blieb.

„Hi“, keuchte er atemlos.

Jess erstarrte. Der Mann war atemberaubend … und niemand anders als Dylan McKay, einer der berühmtesten Filmstars der Welt. „Hallo.“

Er beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie und schnappte nach Luft. „Geben Sie mir eine Sekunde.“

Wozu? wollte sie fragen, aber sie blieb dennoch stehen, als seien ihre Füße im Sand festgewachsen. Er sah verdammt gut aus, und sie versuchte nicht allzu offensichtlich auf seinen nackten Oberkörper und den Bund seiner Jogginghose zu starren, der tief auf seinen schlanken Hüften saß.

Er richtete sich wieder auf, und ihr schoss das Blut in die Wangen, als er ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. „Danke.“

Sie sah ihn irritiert an. „Wofür?“

„Dafür, dass Sie hier sind. Dass sie mir einen Vorwand bieten, kurz stehen zu bleiben.“ Er lachte, und seine weißen Zähne blitzten auf. Die Sonne ließ seine Augen funkeln. War dieser Kerl wirklich echt? Könnte sein. Er verkörperte wohl das Bild des perfekten Mannes aller Frauen auf dem Planten – aller außer ihr. Sie wusste inzwischen, dass es den nicht gab.

„Sie hätten doch auch einfach so stehen bleiben können, oder etwa nicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich muss jeden Tag zehn Meilen laufen. Als Vorbereitung auf meine nächste Rolle. Ich soll einen Marinesoldaten in einer Eliteeinheit spielen.“

Sie würde nicht so tun, als wüsste sie nicht, wer er war. Oder als ob sein gebräunter Körper nicht jetzt schon ausgesprochen muskulös und durchtrainiert aussah. „Verstehe. Und wie viele haben Sie schon geschafft?“

„Acht.“ Seinem missmutigen Gesicht nach zu urteilen, war er ein Mann, der von sich selbst nicht weniger als Perfektion erwartete.

„Das ist nicht schlecht“, bemerkte sie anerkennend. „Es gibt nicht viele Menschen, die acht Meilen laufen können.“

Seine Miene hellte sich auf. Er schien ihre Aufmunterung zu schätzen. „Ich bin übrigens Dylan.“ Er hielt ihr seine Hand hin.

„Jessica.“ Es war ein kurzer, kräftiger Händedruck.

„Sind wir Nachbarn?“, fragte er. „Ich wohne da drüben.“ Er deutete auf eine dreistöckige Villa ein Stückchen weiter den Strand hinunter.

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich wohne für eine Weile bei Zane Williams – er gehört zur Familie“, fügte sie hinzu, als Dylans Augenbraue nach oben schoss.

Er nickte. „Ich kenne Zane. Netter Kerl.“

„Ja, das ist er. Meine Schwester … er war mit Janie verheiratet.“

Es dauerte einen kurzen Moment, bevor Dylan begriff. „Tut mit wirklich leid, was passiert ist.“

„Danke.“

„So, ich denke, ich habe genug Pause gemacht. Nur noch zwei Meilen. Nochmals vielen Dank. Es war nett, Sie kennenzulernen, Jessica. Grüßen Sie Zane von mir!“

Er verfiel in einen Laufschritt und lief kurz darauf wieder in vollem Tempo über den Strand davon.

Jess kehrte mit einem Lächeln auf den Lippen zum Haus zurück. Vielleicht war es doch gar keine so schlechte Idee gewesen, hierherzukommen?

Sie sah Zane am Geländer der Veranda stehen und winkte ihm zu. Hatte er sie beobachtet? Jess fühlte sich auf einmal etwas verlegen.

„Hattest du einen schönen Spaziergang?“, fragte er.

„Auf jeden Fall aufregender als ein Ausflug zu Beckons Kinopalast.“

Zane lachte. „Da hast du wohl recht. Es ist lange her, dass ich an den Kinopalast gedacht habe.“ Seine Stimme klang ein wenig wehmütig, als ob er am liebsten sofort zu jener Zeit zurückkehren würde.

In Beckon gab es nicht allzu viel, was man in seiner Freizeit unternehmen konnte. Daher war der Parkplatz vor dem Kino am Samstagabend ein beliebter Treffpunkt für Teenager. Dort hatte Jess ihren ersten Kuss bekommen. Und dort hatten sich Janie und Zane ineinander verliebt.

„Ich habe einen deiner Nachbarn kennengelernt.“

„So, wie du strahlst, muss es Dylan gewesen sein. Er läuft um diese Zeit immer.“

„Ich strahle überhaupt nicht“, widersprach sie empört.

„Mach dir nichts draus. Das passiert allen Frauen andauernd.“

„Ich bin keine Frau … Ich meine, ich himmle keine Filmstars an!“

Er musste gerade reden. Exschwager hin oder her, mit seinen dunklen Haaren, den markanten Gesichtszügen und fast ein Meter neunzig Körpergröße war auch Zane unglaublich attraktiv. Zane Williams war ein Superstar der Countrymusik und vielfacher Grammygewinner. Die Klatschpresse stellte ihn als begehrten Witwer dar, der dringend eine neue Liebe in seinem Leben brauchte.

Zane deutete auf einen Tisch, an dem zwei Plätze gedeckt waren. Ein paar Kerzen flackerten in der sanften Meeresbrise. „Ist das okay für dich?“

„Es ist sehr hübsch, Zane. Aber du musst dir wirklich keine so großen Umstände für mich machen. Du musst nicht für meine Unterhaltung sorgen.“

„Du machst mir überhaupt keine Umstände, Jess. Ich esse immer hier draußen. Im Haus fühle ich mich eingesperrt. Wenigstens werde ich in einer Woche diese verdammte Fessel wieder los.“ Er hob sein geschientes Handgelenk.

„Das sind gute Neuigkeiten. Was hast du dann vor?“

Er zuckte die Schultern. „Ich werde wohl noch mehrere Wochen Reha einplanen müssen. Die Tournee soll nicht vor September fortgesetzt werden.“ Sein Blick verdunkelte sich. „Frühestens.“

Jess beschloss, lieber nicht nachzuhaken, was er damit meinte.

Zane stützte sich am Tisch ab und schob ihr einen Stuhl zurecht – ganz der Gentleman –, bevor er sich mehr schlecht als recht auf seinen eigenen fallen ließ. Armer Zane. Mrs. Lopez erschien mit Platten voller Essen und stellte sie auf dem Tisch ab. Zu den Enchiladas und dem Reis hatte sie einen Krug Margarita vorbereitet. Zane wollte ihnen eingießen und kämpfte wieder mit seiner Schiene. Jess bot ihm ihre Hilfe an, was er wortlos akzeptierte. Er drückte aber dankbar ihre Hand. Die Berührung erwärmte ihr Herz. Sie fühlte sich mit ihm verbunden, durch Janie. Seine Freundschaft bedeutete ihr viel, und sie war froh, hergekommen zu sein.

Das Essen war köstlich. In kürzester Zeit hatte Jess ihren Teller leer gegessen. Die Sonne war mit einem spektakulären Farbenspiel untergegangen, und nun erhellte ein bleicher Halbmond den Nachthimmel. Der Strand war ruhig und leer. Das Tosen der Wellen war in ein sanfteres Rauschen übergegangen.

Zane nippte an seiner Margarita. „Was sind deine Pläne für die nächsten Tage?“, fragte er.

„Am Strand in der Sonne liegen und dir aus dem Weg gehen. Das sollte nicht allzu schwerfallen. Das Haus ist ja riesig.“

Er lächelte. „Du musst mir nicht aus dem Weg gehen. Tu, was immer du willst. In der Garage stehen zwei Autos, vollgetankt und startbereit. Ich kann ja ohnehin nicht fahren.“

„Wie kommst du dann von A nach B?“

„Meistens fährt mich Mariah zu meinen Terminen. Seit meinem Unfall ist sie nicht nur meine rechte, sondern auch noch meine linke Hand.“

Mrs. Lopez räumte das Geschirr ab, ließ aber den Krug mit der Margarita stehen. Kluge Frau.

„Vielen Dank, Mrs. Lopez. Gute Nacht.“

„Und vielen Dank für die köstlichen Enchiladas“, fügte Jess hinzu.

„Gute Nacht und bis morgen“, verabschiedete sich Mrs. Lopez und ging.

Zane deutete auf Jess’ halb leeres Glas. „Wie viele von denen verträgst du, Schatz?“

Es war ihr zweites Glas. „Oh, ich weiß nicht. Warum?“

„Weil ich dich nicht in dein Zimmer tragen kann, wenn du umfällst.“

Er zwinkerte ihr zu, und für einen kurzen Moment hatte sie das Bild vor Augen, wie Zane sie in seinen Armen hielt. Die Vorstellung war eigentlich gar nicht so unangenehm, wie man meinen könnte. Bei Zane fühlte sie sich sicher. Sie mochte ihn wirklich sehr, und sie glaubte nicht daran, dass er Schuld an Janies Tod hatte. Wie hätte er von der fehlerhaften Stromverkabelung des Hauses wissen können, die das Feuer ausgelöst hatte, in dem Janie ihr Leben verloren hatte? Janie hatte Zane geliebt. Sie hätte nicht gewollt, dass er sich sein Leben lang Vorwürfe macht.

„Dann sind wir schon zwei. Wenn du dich betrinkst, kann ich dich auch nicht tragen.“ Sie nahm einen weiteren großen Schluck Margarita. Das Zeug schmeckte wirklich verdammt gut. Ihre Stimmung besserte sich.

Zane grinste. „Na dann, zum Wohl, Miss Holcomb!“

„Oh Gott, wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt eigentlich Mrs. Monahan wäre …“ Sie schüttelte sich. „Nur gut, dass ich es nicht bin.“

„Der Typ ist ein Trottel.“

„Danke, dass du das sagst. Ich habe drei Jahre meines Lebens an den Kerl verschwendet, weil ich dachte, er wäre der Richtige. Ich bin Grundschullehrerin, Steven leitet die Highschool. Ich dachte, uns würde etwas verbinden. Bis zuletzt habe ich geglaubt, wir hätten eine gemeinsame Zukunft vor uns. Was ich nicht erkannt habe, war seine Unfähigkeit, sich zu binden. Bevor wir uns kennenlernten, hatte er eine zerbrochene Beziehung nach der anderen. Aber ich glaubte, er hätte das überwunden. Er hat sich selbst genauso etwas vorgemacht wie mir. Er hat mich zum Narren gehalten.“

Jess seufzte. Die Margaritas hatten ihr die Zunge gelöst, und es war wirklich befreiend, jemandem ihr Herz ausschütten zu können. „Meine Freundin Sally hat mir erzählt, Steven habe sich nach der Hochzeit, die nie stattgefunden hat, von einer Exfreundin trösten lassen. Kannst du dir das vorstellen?“

Zane sah sie ernst an. „Nein, kann ich nicht. Tut mir leid, das sagen zu müssen, Schatz, aber du bist ohne ihn besser dran. Der Kerl verdient dich nicht. Wenn er dich geheiratet hätte, hätte er dir dein ganzes Leben versaut. Trotzdem kann ich verstehen, dass du verletzt bist. Vermutlich liebst du ihn immer noch.“

„Das tue ich nicht“, sagte sie energisch und hob erneut ihr Glas an die Lippen. „Ich hasse ihn.“

Zane lächelte. „Okay, du hasst ihn. Er ist nicht länger Teil deines Lebens.“

Sie stützte ihre Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn in die Hände. Das Meer war nun tiefschwarz, der Himmel wurde nur von ein paar Sternen und dem wolkenverhangenen Mond erhellt. „Ich wollte nur … Ich wollte haben, was du und Janie hattet. Ich wollte auch so eine Liebe.“

Ihr benebeltes Gehirn lichtete sich. Oh nein. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Erschrocken sah sie zu Zane hinüber, doch er blickte einfach nur aufs Meer hinaus. „Wir hatten etwas sehr Besonderes.“

„Das hattet ihr. Tut mir leid, dass ich das gesagt habe.“

„Es muss dir nicht leidtun“, sagte er ruhig. „Du bist Janies Schwester. Du hast ein Recht darauf, von ihr zu sprechen.“

Autor

Charlene Sands
<p>Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...
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