Bloß ein Traum vom Glück?

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Auf der Flucht vor den Paparazzi versteckt sich die reiche Erbin Jodi auf der exotischen Insel Jalpura. Als sie dort dem charmanten Carlos begegnet, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen. Bei einem romantischen Picknick am Strand lässt sie sich zu leidenschaftlichen Küssen verführen, genießt eine zärtliche Liebesnacht in seinen Armen. Doch schon am nächsten Morgen scheint Jodis unverhoffter Traum vom Glück jäh vorbei. Denn Carlos macht ihr ein Geständnis, das alle Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft zerstört …


  • Erscheinungstag 17.05.2022
  • Bandnummer 102022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509701
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Jodi Petrovelli stand am Fenster der Jugendherberge und sah hinaus auf die Gärten, in denen Tempelbäume und Palmen im Überfluss wuchsen. Das Kreischen der Vögel vermischte sich mit dem Lärm der geschäftigen Straßen Indiens, auf denen Verkäufer lauthals ihre stark gewürzten Speisen anboten, die Jodi in den Wochen, seit sie auf Jalpura war, lieben gelernt hatte.

Einen Moment dachte sie an die Wendungen des Schicksals, durch die sie auf dieser saftgrünen indischen Insel gelandet war, die von Königshaus und Parlament regiert wurde. Aus einer Laune heraus hatte sie beschlossen hierherzukommen, nachdem ihr Bruder ihr erzählt hatte, wie schön die Insel sei. Luca besaß eine bekannte Schokoladenmanufaktur und hatte kürzlich eine Kakaobohne entdeckt, die auf Jalpura wuchs. Also hatte Jodi, die auf Reisen gewesen war, entschieden, dass Jalpura einen Besuch wert war.

Wie aufs Stichwort meldete ihr Handy den Eingang einer Nachricht von Luca.

Wollte nur fragen, wie es geht. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung und mit dem neuen Job läuft es gut.

Luca

Nun meldete sich ihr schlechtes Gewissen ebenso laut wie ihr Handy gerade. Immerhin war sie davongelaufen, sodass sich ihr Bruder dem Desaster nach dem Tod ihres Vaters allein hatte stellen müssen. Nicht dass sie James Casseveti wirklich als ihren Vater betrachtet hätte. Er war gegangen, als Luca fünf und sie noch nicht einmal geboren gewesen war.

In ihr stieg die vertraute Trostlosigkeit auf, die tief in ihr verankert war. Immer war da die Angst, dass sie, Jodi, ihn vertrieben hatte. Denn wäre Therese nicht mit ihr schwanger gewesen, wäre James vielleicht bei Frau und Sohn geblieben, statt sich aus dem Staub zu machen.

Jodi befürchtete, dass sie der Auslöser gewesen war, der ihn dazu gebracht hatte, die Familie zu verlassen, um nie wieder zurückzukommen – nicht mal für einen einzigen Besuch, sodass Jodi ihren Vater nie kennengelernt hatte. Nie hatte sie ihren Namen aus seinem Mund gehört, nie seine Hand gehalten oder auf seinen Schultern gesessen.

Sein Pech, sagte sie sich immer wieder, auch wenn sie wusste, dass es nicht so war. Schließlich hatte James danach ein glanzvolles, erfolgreiches Leben geführt. Er hatte die Frau geheiratet, wegen der er seine Familie verlassen hatte, die reiche Aristokratin Lady Karen Hales. Er hatte ihr Geld und ihre Verbindungen genutzt, ein global erfolgreiches Unternehmen für Süßspeisen mit dem Namen „Dolci“ aufgebaut und ein erfülltes, glückliches Leben in Reichtum geführt. Mit seiner neuen Familie, mit seiner neuen Frau Karen und seiner Tochter.

Ava Casseveti – allein der Name genügte, um die vertraute Wut und Eifersucht in ihr aufsteigen zu lassen.

Stopp. Jodi wusste, wie dumm und destruktiv es war, sich mit der Halbschwester zu vergleichen, die sie nie kennengelernt hatte. Es war nicht Avas Schuld, dass sie der Augapfel ihres Vaters gewesen war, seine wahre Tochter, das war Jodi ebenfalls bewusst.

Doch auch dieses Wissen vermochte nicht, den Schmerz zu lindern. Ein Schmerz, der noch stärker wurde, als sie ein Bild von Ava vor ihrem geistigen Auge sah. Ihre Halbschwester war der Inbegriff von Schönheit: groß, mit endlos langen Beinen, weizenblonden Haaren und klassischen Gesichtszügen, die durch die bernsteinfarbenen Augen noch faszinierender wirkten. Es war das Aussehen eines Supermodels, zu dem Ava auch tatsächlich geworden war.

Jodi hingegen war klein, mit unmöglich zu zähmenden schwarzen, fast krausen Locken, ohne jegliches Attribut eines Models. Sie hatte eine Stupsnase, und ihre dunklen Augen waren eher schlammfarben, als dass sie einem Halbedelstein ähnelten.

Ava war jedoch nicht nur mit Schönheit gesegnet, sie hatte auch Köpfchen und war geschäftlich sehr ambitioniert. Ihre Modelkarriere hatte sie abgebrochen, um in das Familienunternehmen einzusteigen und ihren Platz als Erbin von „Dolci“ einzunehmen.

Jodi dachte an ihre eigene, nicht gerade glanzvolle Karriere. Sie war von einem Job zum anderen gewechselt: Kellnerin, persönliche Assistentin, Hundeausführerin … James Casseveti hatte sich definitiv für die richtige Tochter entschieden, die er anerkannt und geliebt hatte.

Jodi schloss die Augen und vergrub die Fingernägel in den Handflächen, wie sie es immer tat, wenn ihr Ava in den Sinn kam. Ein Verhalten, das aus ihrer Kindheit resultierte, als ihre Halbschwester Gegenstand ihrer Träume gewesen war. Aus ihrer Jugendzeit, als Ava sie zu verspotten und allein deshalb zu existieren schien, um Jodis Unzulänglichkeiten aufzuzeigen.

Blende sie aus.

Die Cassevetis bedeuteten ihr nichts. Jodis einziger Wunsch war es, sie aus ihrem Leben zu streichen – nur dass sie das jetzt nicht länger konnte, denn auf dem Sterbebett hatte James Casseveti sie alle überrascht, indem er jedem seiner Kinder ein Drittel von „Dolci“ vermacht hatte: Luca, Jodi und Ava.

Bei dieser Neuigkeit waren so unterschiedliche Gefühle auf Jodi eingestürmt, dass sie noch Monate später völlig durcheinander war. Da war Wut darüber, dass James Casseveti geglaubt hatte, er könne sich so von ihr loskaufen. Zorn, weil er ihr nicht einmal einen Brief oder sonst irgendetwas Persönliches hinterlassen hatte. Panik, weil sie jetzt nicht mehr so tun konnte, als würde Ava nicht existieren. Noch mehr Wut, weil James Casseveti sich in ihr Leben eingemischt hatte. Und dann noch so viele andere Gefühle, weil er nicht mehr da war und sie keine Möglichkeit mehr hatte, ihn kennenzulernen, seine Stimme zu hören.

Am Ende hatte Jodi sich für die beste Option entschieden, die ihr zur Verfügung stand: Sie war davongelaufen. Natürlich hatte sie zuerst mit Luca gesprochen und ihn um seinen Segen gebeten. Ihr großer Bruder hatte sie verstanden, ihr gesagt, dass es in Ordnung sei, und versprochen, dass er sich um alles kümmern würde.

Und so war sie geflohen, nach Thailand und Indien, hatte sich von all den erstaunlichen Erlebnissen ihrer Reise ablenken lassen. Sie wusste, dass Luca mehr als fähig war, sich der heftigen Kritik und der Öffentlichkeit zu stellen – er war widerstandsfähig, und ihm war es lieber, den Problemen alleine zu begegnen, ohne dass er sich auch noch Sorgen um seine kleine Schwester machen musste.

Ohne sie konnte Luca sich auf das konzentrieren, was er am besten konnte: harte geschäftliche Entscheidungen treffen. Denn Luca war wie Ava: ehrgeizig, ambitioniert und erfolgreich.

Ein giftiger Gedanke begann sich in ihrem Inneren auszubreiten – die Angst, dass Luca und Ava sich verbünden würden, weil sie sich ähnlich waren …

Genug! Luca liebte sie, und sie liebte ihn. Nichts könnte sie auseinanderreißen, denn sie waren zusammen aufgewachsen. Luca würde alles für sie tun.

Davon abgesehen würde Jodi bald nach Hause zurückkehren, denn sie wusste, dass sie nicht für immer davonlaufen konnte. Nur noch ein paar Wochen …

Doch jetzt war es Zeit für die Arbeit. Jodi warf einen Blick in den Spiegel, wie jeden Tag, bevor sie arbeiten ging. Mithilfe dieses Rituals erinnerte sie sich daran, dass sie hier auf Jalpura als Gemma Lewes bekannt war, nicht als Jodi Petrovelli. Der falsche Name war eine List gewesen, um sicherzustellen, dass die Reporter sie nicht aufspüren konnten, nachdem das Interesse an dem „Dolci“-Erbe – den Geschichten von Eindringlingen, Leichen im Keller, verlassenen Familien und der schönen Erbin Ava Casseveti – immer größeres Interesse gefunden hatte.

Jodi schloss die Augen. Schon bald würde sie nach Hause zurückkehren und sich alldem stellen. Bald … aber noch nicht jetzt. Für den Moment würde sie es noch genießen, Gemma Lewes zu sein, derzeitige Assistentin von Prinzessin Alisha am Königshof von Jalpura. Jodi half mit, das königliche Filmfestival zu organisieren.

Sie wandte sich von ihrem Spiegelbild ab, nahm ihre Tasche und verließ die Herberge, die nur ein paar Minuten Fußweg vom Königspalast entfernt lag.

Prinz Carlos von Talonos betrachtete den Palast von Jalpura. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er hier war, für seine erste königliche Mission seit zehn Jahren. Denn so lange war es inzwischen her, dass er sich vom Königshof abgewandt hatte, vom Status des ältesten Sohnes, der doch nie Erbe sein würde.

Das königliche Gesetz von Talonos schrieb vor, dass ein unehelich geborenes Kind, das bei der Hochzeit der Eltern älter als sechs Monate war, nicht Thronerbe sein konnte. Und sein Vater hatte Catalina Drakos – eine Bürgerliche, die in der Küche des Palastes gearbeitet hatte – geheiratet, als Carlos sechs Monate und drei Tage alt gewesen war. Erst viele Jahre später hatte Carlos verstanden, warum.

Als Kind hatte er seinen Vater nur als kühl und distanziert erlebt, während seine Mutter ihren kleinen Sohn geliebt hatte. Nie hatte er an ihrer Liebe gezweifelt, auch wenn er den Kummer dahinter gespürt hatte, der so heftig gewesen war, dass es ihm Angst eingejagt hatte.

„Mach dir keine Sorgen, mein Kleiner. Papa ärgert sich nur ein bisschen über Mama. Er wird sich schon wieder beruhigen, denn wir lieben uns.“

„Mach dir keine Sorgen, Carlos. Papa wird es schon richtig machen. Du wirst König sein. Denn Papa liebt mich. Er liebt mich. Und ich liebe dich.“

Und dann war sie gestorben, als Carlos sechs Jahre alt gewesen war.

Auch jetzt noch erfasste ihn das gleiche Entsetzen wie damals.

Er war wieder sechs Jahre alt und lief ins Schlafzimmer seiner Mutter. Er hatte ein Bild gemalt und wollte es ihr zeigen. Das Papier in seiner Hand zeigte bunte Strichmännchen und war noch feucht von der Malfarbe. Seine Aufregung verwandelte sich langsam in Verwirrung, als sie nicht antwortete, sich nicht aufsetzte, seine Hände nahm, mit ihm im Zimmer herumtanzte und ihm sagte, was für ein schlauer Junge er sei und dass er eines Tages ein talentierter Künstler und großartiger König sein würde.

An diesem Tag gab es kein Lob, keinen Tanz, nichts. Vielmehr stand er paralysiert da, während ihm bewusst wurde, dass etwas nicht stimmte. Seine Mutter war gespenstisch reglos, selbst ihre langen blonden Haare wirkten wie erstarrt.

Dann war sein Kindermädchen Daria, die beste Freundin seiner Mutter, ins Zimmer gekommen. Sie hatte ihn hinausgeführt und ihm erklärt, dass sich seine Mama nicht wohlfühle.

Danach waren die Erinnerungen verschwommen. Daria war gegangen, und sein gefürchteter Vater hatte ihn zu sich gerufen, um ihm zu erklären, dass seine Mutter tot sei, gestorben nach einer „tragischen, kurzen Krankheit“ – eine Beschreibung, die er nicht hatte verstehen können.

Nichts ergab für den verzweifelten kleinen Jungen einen Sinn. Das Einzige, was er begreifen konnte, war, dass der einzige Mensch, der ihn geliebt hatte, gegangen war und nicht mehr wiederkommen würde – und dass er ohne seine Mutter nun wirklich ganz allein war auf dieser Welt, abhängig von der Gnade eines Vaters, der es kaum ertragen konnte, ihn anzusehen, und dann ein Jahr später unter der Aufsicht einer Stiefmutter, die ihn als eine Bedrohung und Beleidigung des königlichen Blutes ansah.

Schon bald wurde klar, dass er nicht König werden würde. Stattdessen war er dazu bestimmt, ein unsichtbarer Prinz zu sein, dessen Blut besudelt war. Der zu Internaten geschickt und dazu ermuntert wurde, die Ferien dort zu verbringen, dem nur selten erlaubt wurde, „nach Hause“ zu kommen. Und wenn er einmal zu Hause war, wurde er in einer Suite weit weg von seiner „Familie“ untergebracht, gemieden von seinem Halbbruder Juan. Juan war dazu erzogen worden, sich ihm gegenüber distanziert zu geben, während König und Königin in der Öffentlichkeit sehr darauf bedacht waren, die Illusion einer „vereinten, glücklichen Familie“ aufrechtzuerhalten.

Während all der Jahre hielt Carlos an der Liebe seiner Mutter fest, die ihn wie eine tröstliche Decke umschloss. Würde sie noch leben, wäre alles anders – davon war er überzeugt gewesen, bis seine Welt in sich zusammenbrach.

Als Carlos dreizehn gewesen war, hatte Daria ihn gebeten, sich heimlich mit ihr zu treffen. An einem Sommerabend war er spät aus dem Palast geschlichen, hatte sich mit ihr in einem abgelegenen Teil des öffentlichen Parks getroffen und in der milden Nachtbrise die Wahrheit erfahren.

Er hatte gewusst, dass es keine gute Nachricht sein würde, das hatte er an der Trauer und dem Schmerz auf Darias Gesicht gesehen. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, wie er es als Kind getan hatte. Er wollte die Augen schließen und sich weigern, den Brief zu lesen, den sie ihm hinhielt.

Auf dem Umschlag stand sein Name, in der Handschrift seiner Mutter. Schockiert ließ er sich auf die harte Holzbank hinter sich fallen.

Schließlich las er den Brief, konnte jedoch nicht glauben, was dort geschrieben stand.

Liebster Carlos,

es tut mir so leid, dass ich dich allein lasse, aber ich habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Ich habe dich im Stich gelassen, mein Schatz, und damit kann ich nicht leben.

Seit deiner Geburt habe ich nichts anderes gewollt, als dass du das bekommst, was dir von Geburt an zusteht. Ich habe geglaubt, dein Vater liebt mich und dass er mich heiraten wird. Als er mir dann sagte, er könne mich nicht heiraten und dass seine Familie es niemals erlauben würde, habe ich die Sache selbst in die Hand genommen.

Ich glaubte, das Richtige zu tun, als ich eine List anwandte, damit dein Vater mich heiratet. Ich habe behauptet, bald sterben zu müssen und dass ich meinen Sohn legitimieren wolle. Ich wusste, dass du eigentlich nicht der Erbe sein würdest, wenn er mich heiratet, da du schon älter als sechs Monate warst. Aber ich dachte, dein Vater wäre in der Lage, das Gesetz in Bezug auf die Thronfolge zu ändern.

Also habe ich unsere heimliche Hochzeit der ganzen Welt verkündet, sodass deinem Vater keine Wahl mehr blieb. Mich, uns, zurückzuweisen hätte einen öffentlichen Aufschrei verursacht. Also musste er die Ehe akzeptieren, und ich dachte, es würde ihn glücklich machen.

Aber so war es nicht. Er war außer sich vor Wut, und ich hatte es immer noch nicht begriffen. Ich dachte, er hätte nur Angst vor seiner Familie, würde mich aber lieben. Uns beide lieben.

Und ich habe versucht, weiter daran zu glauben. Während all der Jahre habe ich mir eingeredet, dass die Liebe den Sieg davontragen würde. Heute ist mir klar geworden, dass es nicht stimmt … dass Liebe nichts wert ist. Es ist jetzt zwei Jahre her, seit dein Vater den Thron bestiegen hat, aber er hat sich immer noch nicht geändert.

Heute habe ich ihn zur Rede gestellt, und er sagte mir, dass er das Gesetz niemals ändern werde. Dass ich jeden Funken Liebe, den er für mich oder dich empfinden könnte, abgetötet hätte, als ich ihn mit einer List dazu brachte, mich zu heiraten. Er werde sich von mir scheiden lassen und eine Prinzessin heiraten, die es wert sei, seine Königin zu werden, und die ihm Kinder gebären werde. Kinder, die kein beflecktes Blut hätten.

Also muss ich mich nun der Wahrheit stellen: Er wird mich nie lieben, und, schlimmer noch, du wirst nie König werden. Das alles ist meine Schuld.

Es tut mir sehr leid, Carlos. Ich kann nicht zusehen, wie das passiert. Ich kann nicht mehr weitermachen, denn ich habe weder die Kraft noch den Willen dazu. Ich sehne mich nach Frieden und Stille.

Du sollst wissen, dass ich dich von ganzem Herzen liebe, wie wertlos diese Liebe auch sein mag.

Behalte diesen Ring als Erinnerung an mich. Er ist ein Erbstück meiner Familie.

Ich hoffe, du bist glücklich, mein Sohn.

In Liebe

Mama

Die Worte tanzten vor seinen Augen, während seine Welt aus den Fugen geriet. Seine Mutter hatte sich das Leben genommen. In ihm brannte die Wut auf seinen Vater, der seine Frau in den Tod getrieben hatte. Auch wenn sie ihn überlistet hatte, entschuldigte das nicht seine Grausamkeit.

Doch hinter der Wut lauerte auch sein schlechtes Gewissen, weil Catalina all das nur für ihn getan hatte, um ihm den Thron zu sichern. Am Ende war Carlos ihr nicht genug gewesen, seine Liebe zu ihr wertlos. Ihre Gefühle für ihn hatten nicht gereicht, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Die Liebe, an die er immer geglaubt, der er stets vertraut hatte, war nun befleckt, nicht länger eine Decke des Trostes in einer lieblosen Welt.

Natürlich hatte er seinen Vater damit konfrontiert.

König Antonio hatte ihn mit verschatteten Augen angesehen.

„Ja, deine Mutter hat die Wahrheit gesagt. Ich wollte nicht, dass du es erfährst, aber jetzt ist es so. Ich werde nicht darüber diskutieren. Und wenn du versuchst, Schwierigkeiten zu machen, werde ich es leugnen und dafür sorgen, dass dein altes Kindermädchen dafür büßen wird, weil sie es dir gesagt hat. Was geschehen ist, ist geschehen, Carlos. Lebe dein eigenes Leben.“

Als er dann achtzehn geworden war, hatte er genau das begonnen. Carlos hatte Talonos verlassen, entschlossen, seinen Vater, sein Erbe und sein beflecktes Blut aus dem Gedächtnis zu streichen. Er hatte sich umbenannt in Carl Williamson und sich ein neues, sehr erfolgreiches Leben aufgebaut. Nach Hause war er immer seltener gekommen, und wenn, dann nur, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass er ein willkommenes Familienmitglied war.

Doch vor ein paar Tagen war er schließlich nach Hause beordert worden. Sein Vater, blass vor Wut, hatte sich nicht erfreut gezeigt, seinen ältesten Sohn zu sehen.

„Irgendein Idiot hat ein uraltes Gesetz ausgegraben. Es besagt, dass du auch dann der Erbe des Throns von Talonos bist, wenn du bei meiner Hochzeit mit deiner Mutter schon älter als sechs Monate warst.“

Carlos hatte nur mit offenem Mund dagestanden und ein hysterisches Lachen unterdrückt, das in ihm aufzusteigen drohte.

„Natürlich ist das Unsinn“, hatte sein Vater behauptet, doch Carlos hatte es ihm nicht abgenommen. Hätte der König ihn sonst zu sich gerufen?

„Die Angelegenheit wird vor Gericht geklärt werden müssen. Ein Aufstand braut sich zusammen, und die falsche Handhabung dieser leidigen Sache könnte die Grundfesten des Throns erschüttern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Illusion einer vereinten Familie erhalten bleibt. Trotzdem würde ich es vorziehen, wenn du von hier fortgingest, nach Jalpura.“

Die indische Insel war schon lange ein Verbündeter der Mittelmeerinsel Talonos. Die Allianz war vor Jahrhunderten geschmiedet worden, als ein Prinz von Talonos eine Prinzessin von Jalpura geheiratet und so ein lukratives Handelsabkommen für exotische Gewürze gesichert hatte.

„Die Königin versteht die Situation. Du kannst den Platz deines Bruders als Botschafter des königlichen Filmfestivals übernehmen.“

Das jährliche Festival wurde von Talonos und Jalpura organisiert, um europäische und indische Filme zu präsentieren.

Und nun war er also da. Vielleicht hätte er sich damit einverstanden erklären sollen, seinen Anspruch aufzugeben, um zu seinem normalen Leben zurückzukehren. Aber wie könnte er das? Er hatte wahrlich nie damit gerechnet, Talonos eines Tages zu regieren, doch er liebte sein Land. Den Geruch der Erde, die köstliche Oliven und pralle Trauben hervorbrachte, den Überfluss, den die Natur auf der Insel bot. Er liebte die Menschen, die zähen Bauern, viele von ihnen aus Familien, die schon seit Generationen Oliven anbauten, aus denen das weltbekannte Olivenöl gemacht wurde. Die kosmopolitischen Städter, die Arbeiter, die sowohl die komplizierte Spitze als auch die Stoffe herstellten, für die Talonos berühmt war. Es war sein Land. Dies war die Chance, zurückzukehren und den Traum seiner Mutter zu erfüllen. Ihren Tod zu rechtfertigen.

Von wegen! Er kannte seinen Vater. König Antonio würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um dafür zu sorgen, dass sein Erstgeborener ihn nicht beerben würde.

Carlos schob die Hände in seine Hosentaschen und verzog das Gesicht, als er sich daran erinnerte, dass er nicht wie sonst eine Anzughose oder eine Jeans trug. In der Eile hatte er schnell passende Kleidung einpacken müssen, und die leichten Chinos, die er trug, hatten nur schmale Taschen, in denen sich seine Fäuste verfingen.

Carlos warf einen finsteren Blick zum Palast. Vor Montag musste er sich hier nicht melden. Er würde das Wochenende auf Jalpura verbringen und sich ein wenig umschauen, bevor er sich in seiner Pflicht als Botschafter versuchen würde.

Er war tief in seine Gedanken versunken gewesen, und so bemerkte er erst jetzt, dass er sich dem Palast genähert hatte. Zeit, sich zurückzuziehen, denn er hatte nicht den Wunsch, von einem der Sicherheitsbeamten erkannt zu werden.

In dem Moment, als er sich abwandte, fiel sein Blick auf eine Frau, die aus dem Palast kam und die Stufen hinunterging. Sie sah aus, als sei sie etwa in seinem Alter, Mitte zwanzig. Auch wenn sie hübsch war, fiel ihm nichts Besonderes an ihr auf, außer vielleicht ihre aufgebrachte Miene. Es sah aus, als würde sie einen inneren Kampf ausfechten. Ihre kurzen dunklen Locken tanzten um ein herzförmiges Gesicht. Sie war klein und schlicht gekleidet, trug ein geblümtes Sommerkleid. Die Sonnenbrille hatte sie auf den Kopf hochgeschoben.

Als wäre sie sich bewusst, dass er sie musterte, blieb sie stehen und sah sich um. Ihr Gesicht hatte nun einen misstrauischen Ausdruck angenommen.

Abrupt wandte er sich ab und ging davon, peinlich berührt, weil sie ihn dabei erwischt hatte, wie er sie anstarrte, ohne überhaupt zu wissen, warum. Es sah ihm nicht ähnlich, sich nach einer hübschen Frau umzusehen, und ganz sicher nicht, sie so anzugaffen, dass sie sich unbehaglich fühlte.

Als er dann Schritte hörte und eine weibliche Stimme hinter ihm sagte: „Entschuldigung“, wusste er, dass es dieselbe Frau war.

Er drehte sich um und merkte, dass sein Instinkt ihn nicht getrogen hatte. Die dunkelhaarige Frau stand da und schob ungehalten eine verirrte Locke aus dem Gesicht.

Ihm ging alles Mögliche durch den Kopf. Vielleicht wollte sie ihn zur Rede stellen. Schlimmer noch, vielleicht hatte sie ihn erkannt, gehörte zu den Bediensteten des Palastes und war hinausgeschickt worden, um ihn hineinzuzitieren.

„Sie haben das hier fallen lassen.“

„Oh.“ Er sah auf den Silberring in ihrer Hand. Es war der Ring seiner Mutter, den er jeden Tag trug, seit er Talonos verlassen hatte. Er musste ihm irgendwie vom Finger gerutscht sein, als er seine Hände in die Hosentaschen gesteckt hatte.

Ihn durchflutete die Erleichterung darüber, dass diese Frau ihn aufgehoben hatte und so ehrlich war, ihn zurückzugeben. Diesen kostbaren Talisman zu verlieren – das Einzige, was seine Mutter ihm hinterlassen hatte – war undenkbar. Kurz überlegte er, ob das ein Zeichen war, schalt sich dann aber selbst einen Idioten.

Doch als er ihr den Ring abnahm, berührten seine Finger unabsichtlich ihre Handfläche, und ein unerklärlicher Schauer erfasste ihn. Er bewegte sich nicht, als sie ihn aus großen, braunen Augen ansah. In diesem Moment spürte Carlos, mit dem Ring zwischen ihnen, eine Verbindung zu ihr, einen Funken, den er beinahe sehen konnte.

Lächerlich! Er war kein überspannter Mensch und zwang sich zu sprechen.

„Danke.“

„Das hat mir keine Umstände gemacht.“ Sie klang atemlos.

„Es war zumindest sehr nett von Ihnen, und ich würde mich gerne erkenntlich zeigen.“

„Das ist nicht nötig.“

„Doch, ich möchte es. Der Ring bedeutet mir sehr viel, und ich würde gerne etwas tun, um mich zu bedanken.“

Ohne dass sie es beide gemerkt hatten, waren sie einander näher gekommen, sodass er nun die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken sehen und ihren schwachen Duft nach Jasmin riechen konnte. In ihren braunen Augen schimmerte ein Anflug von Bernstein, und sie sah aus, als sei sie genauso aus der Fassung wie er. Das Verbundenheitsgefühl vertiefte sich.

Er hörte, wie sie schluckte.

„Also gut“, willigte sie dann ein. „Vielleicht könnten sie der Wohltätigkeitsorganisation, die Ihnen am meisten zusagt, etwas spenden.“

„Abgemacht.“ Carlos wusste, dass er jetzt gehen sollte, aber er wollte nicht. Sein Instinkt drängte ihn, weiterzureden, und sagte ihm, dass er es andernfalls bereuen würde. Auch wenn er wusste, dass das überhaupt keinen Sinn ergab. „Aber ich möchte auch noch etwas anderes tun. Etwas für Sie. Könnte ich Sie zu einem Kaffee oder zum Dinner einladen?“

Sie zögerte und wirkte nun skeptisch. „Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.“

„Das lässt sich leicht beheben.“ Nun war er es, der zögerte, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. „Ich heiße Carl. Carl Williamson.“ Es war nicht nötig, seinen königlichen Status zu erwähnen. Die letzten zehn Jahre war er Carl Williamson gewesen. Falls sie mit einem Kaffee einverstanden war, dann sollte es mit Carl sein. „Und Sie? Wie heißen Sie?“

Kurz wandte sie den Blick ab, ehe sie ihn wieder ansah.

„Gemma“, erwiderte sie. „Gemma Lewes.“

„Schön, Sie kennenzulernen, Gemma. Und, was meinen Sie? Kaffee? Dinner? Wie kann ich mich bei Ihnen bedanken?“

Während er sich einredete, dass ihre Antwort keine Rolle spielte, hielt Prinz Carlos von Talonos die Luft an und wartete.

2. KAPITEL

Jodi versuchte nachzudenken, obwohl sie völlig durcheinander war, weil eine Welle von Hormonen sie überflutete. Es hatte wenig Sinn, sich selbst vorzumachen, dass dieser Fremde sie nicht komplett aus der Fassung gebracht hatte. Mit seinen kurzen blonden Haaren und den blauen Augen, die warm leuchteten, wann immer er sie ansah. Mit seiner Adlernase, die Selbstbewusstsein ausdrückte, dem ausgeprägten Kiefer, der von Entschlossenheit sprach. Sein Körper verriet eine zurückhaltende Stärke. Er wirkte so robust, als könne er jedem Sturm standhalten.

Als sie den Blick senkte, merkte sie, dass ihre Hand immer noch in seiner lag. Der wohl längste Handschlag der Geschichte. Doch es fühlte sich wundervoll an, und sie betrachtete die Form seiner Finger, sein starkes Handgelenk, die geschmeidigen Muskeln seines Unterarms.

Was sollte sie nur machen?

Denk nach, Jodi.

All das ergab keinen Sinn, diese gegenseitige Anziehungskraft. Er hatte eine Ewigkeit draußen vor dem Palast gestanden und das Gebäude angestarrt, lange bevor er sie entdeckt hatte. Was hatte er hier gemacht?

Dann hatte er Jodi gemustert, als sie den Weg entlanggegangen war. Warum?

Ihr anfängliches Misstrauen kehrte zurück. Könnte dieser Mann ein Reporter sein?

Sie hätte schwören können, dass er gezögert hatte, bevor er seinen Namen sagte. War er etwa genauso falsch wie ihrer? Und falls er ein Reporter war, kannte er dann ihre wahre Identität? War er hier, um die schmutzige Wäsche der Petrovellis zu waschen? Oder war er hinter einem Exklusivbericht über die Königsfamilie her?

Die Stimme des Bevollmächtigten des Königs, Pradesh Patankar, hallte in ihrem Kopf wider. Er war der Mann, der zwischen dem Königshof und der wirklichen Welt stand, und er hatte sich vehement gegen ihre Anstellung ausgesprochen.

Autor

Nina Milne
<p>Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten. Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...
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