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Spontan lässt Fotografin Emily sich von dem faszinierenden Geschäftsmann Luca Petrovelli auf die exotische Insel Jalpura einladen. Natürlich nur, um dort für ihn zu arbeiten, denn Luca bezahlt das Fotoshooting für sein Unternehmen ungewohnt großzügig. Doch so schnell wie dem Zauber der Insel verfällt Emily auch Lucas Charme. Obwohl sie den Männern abgeschworen hat, kann sie seinen hungrigen Küssen nicht widerstehen. Kaum beginnt sie ihm jedoch ihr Herz anzuvertrauen, muss sie fürchten, dass er sie aus purer Berechnung verführt hat …


  • Erscheinungstag 07.09.2021
  • Bandnummer 182021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718992
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Luca Petrovelli befestigte seinen Manschettenknopf. Das schlichte Design – eine Fassung, die eine Kakaobohne umschloss – weckte ein vertrautes Gefühl des Stolzes. Das Logo repräsentierte sein Unternehmen „Palazzo di Cioccolato“, eine exklusive Schokoladenmanufaktur, deren Produkte Luca eines Tages auf den Weltmarkt bringen wollte.

Doch seinen Ambitionen war ein schwerer Dämpfer verpasst worden, als sein Vater gestorben war: der Mann, der ihn im Stich gelassen hatte, als Luca erst fünf Jahre alt gewesen war. James Casseveti hatte seine schwangere Frau und seinen fünfjährigen Sohn verlassen, um eine andere Frau zu heiraten, eine englische Aristokratin mit Geld und Verbindungen. Er hatte den Reichtum und die Kontakte genutzt, um ein eigenes, weltweit erfolgreiches Unternehmen für Süßspeisen aufzubauen.

Und während der junge Luca hatte zusehen müssen, welche Erfolge sein Vater erzielte, hatte er sich geschworen, ihn zu übertrumpfen. Eines Tages hatte er James Casseveti zeigen wollen, dass er ihm überlegen war. Er war so nahe dran gewesen, hatte vorgehabt, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen und in London ein Vorzeigegeschäft zu etablieren, das er mit handverlesenen Gästen und einer prunkvollen Party eröffnen wollte. Luca hatte versucht, sich das Gesicht seines Vaters vorzustellen, den Ausdruck von Überraschung, Schock, Bedauern, Stolz …

Nein! Luca wollte den Stolz seines Vaters nicht, dazu hatte dieser Mann kein Recht.

Aber all das war nun hinfällig. James Casseveti war vor acht Monaten gestorben und hatte Luca die Chance auf Rache und Gerechtigkeit genommen – und die Möglichkeit, ihm die Fragen zu stellen, die ihm seit seiner Kindheit auf der Seele brannten.

Wie konntest du mich verlassen?

Warum wolltest du mich nicht sehen?

Was habe ich falsch gemacht?

Natürlich hätte er diese Fragen nicht gestellt. Er kannte die Antworten sowieso, weil ihm die Zusammenhänge irgendwann klar geworden waren. Irgendetwas musste grundlegend falsch an Luca sein, denn welches Elternteil würde ein Kind verlassen, das es aufrichtig liebte, würde nie wieder zurückkommen, nie anrufen oder eine Postkarte schicken?

Er wusste, was seine Mutter sagen würde, denn sie hatte es ihm schon einmal erklärt – dass es nichts mit Luca zu tun hatte, sondern dass etwas mit James Casseveti nicht stimmte. Er dachte an die wütende Miene von Therese Petrovelli, als sie ihm das gesagt hatte. Luca hatte versucht, ihr zu glauben, und sich eingeredet, dass sie recht hatte. Doch tief in seinem Inneren war er sicher gewesen, dass es seine Schuld war. Eine Gewissheit, die er verdrängt hatte. Stattdessen war er fest entschlossen gewesen, seinem Vater zu zeigen, dass er auch ohne ihn überlebt hatte und dass etwas aus ihm geworden war.

Aber all das konnte jetzt nicht mehr stattfinden. Seit James’ Tod fand Luca sich in einem Zustand wieder, den er nicht kannte. Gefühle, die er nicht wollte, drängten an die Oberfläche. Gefühle, die er immer zurückgehalten hatte, weil er nicht gewollt hatte, dass sein Vater Genugtuung darüber verspürte, dass Luca Trauer, Wut oder Schmerz empfand. Also hatte er diese Emotionen unterdrückt und sich stattdessen auf seinen Wunsch nach Rache konzentriert.

Ein sehnliches Verlangen, das vereitelt worden war. Und die größte Ironie bestand darin, dass James kurz vor seinem Tod das getan hatte, was er im Leben versäumt hatte: Er hatte die Hand nach seiner ersten Familie ausgestreckt, hatte Luca und seiner Schwester Jodi je ein Drittel von „Dolci“ überlassen. Das verbleibende Drittel war an seine Tochter aus zweiter Ehe, Ava Casseveti, gegangen.

Luca hatte seine Halbschwester noch nie getroffen, auch wenn er ihr glanzvolles Leben in der Klatschpresse verfolgt hatte. Das Leben einer Millionenerbin, die zugleich Supermodel und Geschäftsfrau war.

Dann war Ava vor einem Monat unangekündigt bei seiner Geschäftszentrale aufgetaucht und hatte ein Treffen erzwungen. Überrascht, aber auch verstimmt hatte er gemerkt, dass sich sofort ein Gefühl der Verbundenheit eingestellt hatte – und Bewunderung dafür, dass sie sich trotz gegenteiliger Anweisung mit dem „Feind“ in Verbindung gesetzt hatte. Doch trotz der positiven Erfahrung hielt Luca an seiner Skepsis fest. Sein Instinkt sagte ihm zwar, dass Ava in Ordnung war, aber seine Erfahrung riet ihm, niemals blind zu vertrauen. Schließlich war Ava James Cassevetis Tochter.

Dennoch befand er sich jetzt hier in dem Hotelzimmer eines exklusiven Londoner Hotels, um an Avas Verlobungsparty teilzunehmen. Seine Schwester würde bald schon Liam Rourke heiraten.

Als er die Einladung angenommen hatte, hatte Luca sich eingeredet, es sei eine geschäftliche Entscheidung. „Dolci“ war seit dem Tod des Gründers und der Unsicherheit durch dessen Testament in Schieflage geraten. Es würde die Wogen glätten, wenn sie Einigkeit zeigten. Und auch wenn es ihm egal war, ob „Dolci“ unterging, war es ihm nicht gleich, dass viele Menschen damit ihr Einkommen verlieren würden.

Es gab allerdings noch einen anderen Grund, warum er hier war: seine Neugier auf seine Halbschwester. Auf das Mädchen, dem an seiner Stelle die Zuneigung seines Vaters zuteilgeworden war. Auf das Kind, das James nicht verlassen hatte. Auf das Kind, das weder Armut noch die Rüpel auf dem Schulhof hatte ertragen müssen, denen es Spaß gemacht hatte, gegen einen Mitschüler zu sticheln, der von seinem Vater im Stich gelassen worden war. Selbst jetzt noch ballte er die Hände zu Fäusten, wenn er an den scharfen Geschmack der Angst dachte und an das Gefühl der Selbstverachtung, weil er zu schwach gewesen war, um sich zu wehren. Er hatte gewusst, dass die Rüpel recht hatten: Sein Vater hatte ihn tatsächlich im Stich gelassen.

Der Vater, den Luca angebetet, zu dem er aufgesehen hatte … den er geliebt und nie mehr wiedergesehen hatte. Ava hingegen hatte James siebenundzwanzig Jahre gehabt. Ihr ganzes Leben lang war sie geliebt worden und gewollt gewesen. Sein angeborenes Gerechtigkeitsgefühl sagte ihm, dass es nicht ihre Schuld war, und doch fragte er sich, was Ava hatte, was er nicht besaß.

Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür seines Hotelzimmers.

„Herein“, rief er, auch wenn er wusste, wer draußen stand.

Die Tür ging auf, und Ava trat ein. Ihr Blick wirkte freundlich, aber zurückhaltend. Zweifellos war sie gekommen, um sicherzugehen, dass er herunterkommen würde, um an der Party teilzunehmen, die bald beginnen würde.

Seit ihrem ersten Treffen hatten sie per E-Mail Kontakt gehalten, und in dieser Zeit hatte sich Luca sehr bemüht, jedes Gefühl verwandtschaftlicher Verbundenheit kleinzuhalten. Sie mochten zwar den gleichen Vater haben, aber deshalb waren sie noch lange keine Familie im eigentlichen Sinne. Lucas Familie waren seine Mutter und seine Schwester, und für die beiden würde er alles tun. Ava war nur dem Namen nach seine Familie.

„Hallo.“ Sie hatten gleichzeitig gesprochen und lächelten nun beide verlegen.

Als Ava einen Schritt auf ihn zumachte, verspürte er wieder eine Vertrautheit, die keinen Sinn ergab.

„Ich wollte mal nachsehen, ob du …“

„Ob ich da bin?“, fragte er, halb im Ernst. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich kommen werde. Und ich breche mein Wort nicht.“

„Eigentlich wollte ich sagen, ob du okay bist. Deshalb bin ich gekommen. Ich weiß, dass du nicht hier sein willst. Deshalb wollte ich mich bei dir bedanken, denn es ist meine Verlobungsparty, und ich möchte, dass mein Bruder dabei ist.“

Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, wirkte mehr als nur ein wenig herausfordernd, und gegen seinen Willen musste er sie für ihre Haltung bewundern. Er wusste, dass es Mut brauchte, um das zuzugeben, und dass sie das Verhalten ihres Vaters ebenfalls tief bedauerte. Was er nicht wusste, war, was er dazu sagen sollte.

Ava musste seinen Gefühlsaufruhr bemerkt haben, da er sie mit einem finsteren Blick angestarrt hatte, den er nun durch ein starres Lächeln zu ersetzen versuchte.

Vielleicht wurde sie dadurch ermutigt, denn sie atmete tief durch und fuhr dann fort: „Ich wünschte, Jodi könnte auch hier sein. Hast du etwas von ihr gehört?“

„Nein“, sagte er knapp, von Sorge um seine Schwester erfüllt, wie immer.

Nach James’ Tod hatte Jodi ihren Job hingeworfen und war auf Reisen gegangen. Zunächst war sie noch mit Luca in Verbindung geblieben und hatte ihn über ihre Erkundungstouren durch Thailand und Indien auf dem Laufenden gehalten. Aufgeregt hatte sie ihm von ihrem Besuch auf der indischen Insel Jalpura berichtet, der Heimat der Kakaoplantage, mit der „Palazzo di Cioccolato“ vor einiger Zeit einen Vertrag abgeschlossen hatte und die Bohnen für ein neues Produkt liefern würde. Während ihres Aufenthalts dort hatte sie beim königlichen Filmfestival mitgemacht.

Doch ihre Nachrichten, die sie ihm schickte, waren im Laufe der Zeit kürzer geworden und in immer größeren Abständen gekommen; außerdem hatten sie anders geklungen. Vor zwei Monaten hatte sie schließlich erklärt, ein wenig Abstand zu brauchen und sich bald wieder melden zu wollen. Was immer das heißen sollte. Sie hatte ihm das Versprechen abgenommen, sie nicht zu suchen, irgendetwas „Dramatisches“ zu tun oder den überfürsorglichen Beschützer zu spielen.

Ava trat ein kleines Stück näher. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, aber Jodi hat dir doch gesagt, dass es ihr gut geht. Nach allem, was passiert ist, ist es verständlich, dass sie Abstand braucht.“

„Sicher.“ Luca wusste, dass es nicht stimmte, denn er kannte seine Schwester, und es sah ihr nicht ähnlich, ihn auszuschließen. Er vermutete, dass Jodi in Schwierigkeiten steckte.

Aber das war nicht Avas Sache. Jodis Gefühle gegenüber ihrer Halbschwester waren noch ambivalenter als seine eigenen. Deshalb hatte er Ava nur das Nötigste erzählt, um ihr deutlich zu machen, dass er noch keine Entscheidung in Bezug auf seinen Anteil an „Dolci“ treffen konnte.

„Bestimmt hast du recht“, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. Um das Thema zu wechseln, fügte er hinzu: „Danke für deine E-Mail mit der Gästeliste.“

Ava hatte ihm die Liste geschickt, was er zu schätzen wusste, aber er brauchte sie nicht. Luca zweifelte nicht an seiner Fähigkeit, bei einem geselligen Treffen zurechtzukommen, auch wenn Menschen dabei sein würden, die ihn nicht mochten und es ihm übelnahmen, dass er und Jodi nun die Kontrolle über „Dolci“ hatten. Doch als er nun Ava ansah, wurde ihm bewusst, dass diese Frau ihm nichts verübelte, obwohl gerade sie allen Grund dazu gehabt hätte. Vielmehr war sie um sein Wohlergehen besorgt. Fast gegen seinen Willen war er gerührt.

„Kein Problem. Ich dachte, es würde hilfreich sein.“

„Das ist es auch.“ Luca lächelte. „Mach dir keine Sorgen um mich, Ava. Genieße deine Party, sei glücklich.“

„Ich bin glücklich.“ Nun lächelte sie strahlend. „Wirklich glücklich.“

„Das freut mich“, versicherte er, und das stimmte, obwohl er eigentlich nicht wusste, wie er seiner Halbschwester gegenüber empfinden sollte.

Wenn er sich doch einfach entschließen könnte, sie zu hassen und die Wut, die er für seinen Vater empfand, auf diese Frau zu übertragen. Aber das konnte er nicht, weil er wusste, dass Ava nichts falsch gemacht hatte.

„Wir sehen uns dann später. Bei der Party.“

Emily Khatri sah sich in dem glitzernden Ballsaal um, der das Thema Liebe deutlich zur Geltung brachte: Kerzen, weiße Blumen mit roten verschlungen, Champagner und gedämpfte Orchestermusik im Hintergrund. Für eine Sekunde hatte sie einen bitteren Geschmack im Mund, denn für eine kurze Zeit hatte sie auch an die Liebe geglaubt, an immerwährendes Glück. Sie hatte sich blenden lassen, ein Märchen für Realität gehalten.

Damit war es nun vorbei. Ihre Ehe war eine Katastrophe von epischem Ausmaß gewesen und hatte in Betrug und Unglück geendet. Ihr wurde flau im Magen, als sie an die Fehlgeburt dachte. Dass es zu einem Zeitpunkt passiert war, als sie geglaubt hatte, ihrem Kind könne nichts mehr widerfahren, hatte ihren Kummer noch verstärkt.

Instinktiv legte sie eine Hand auf den nun flachen Bauch und dachte daran, wie rundlich er während ihrer Schwangerschaft schon gewesen war. Sie schloss die Augen, um den Schmerz abzuwehren, während Trauer ihr Herz erfüllte. Eine Trauer, neben der sie noch ein Gefühl tiefster Demütigung hatte ertragen müssen, als sie während ihrer Schwangerschaft entdeckt hatte, dass ihr Mann eine Affäre hatte.

Es reicht.

Das nur allzu bekannte Schuldgefühl drohte sie zu überwältigen. Wenn sie und Howard keinen Streit wegen seiner Untreue gehabt hätten, hätte sie das Baby trotzdem verloren? War die Fehlgeburt durch ihren heftigen Gefühlsausbruch ausgelöst worden? Durch irgendetwas, was sie getan hatte?

Nicht jetzt.

Diese Fragen hatten sie ständig gequält. Sie hatte Monate in einem Abgrund aus Leid und Verzweiflung verbracht, aus dem sie sich quälend langsam wieder herausgearbeitet hatte. Das hier war ein glücklicher Anlass. Ava strahlte förmlich, und Emily würde ihr ganz sicher nicht die Stimmung verderben.

Außerdem war es an der Zeit, ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen und den qualvollen Gedanken auszusperren, dass sie jetzt eigentlich ihr Baby in den Armen halten sollte. Doch weil das nicht möglich war, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich wieder in die Arbeit zu stürzen.

Wie sich herausstellte, war es leichter gesagt als getan. Bis jetzt waren alle ihre Bemühungen vergeblich gewesen, sodass zu all den anderen schmerzlichen Gefühlen nun auch noch Angst hinzukam, denn es schien, als hätten ihre Ehe mit Howard und die darauffolgende Scheidung viele Leute verprellt. Howards schädlicher Einfluss machte sich nun bemerkbar, denn Menschen, die sie für ihre Freunde gehalten hatte, reagierten nicht mehr auf ihre Anrufe und E-Mails.

Vielleicht hätte sie nicht so überrascht darüber sein sollen, dass sich diese Leute so bereitwillig auf Howards Seite schlugen. Howard, weltweit bekannter Fotograf mit vielen Auszeichnungen und Preisen für seine knallharten Fotos aus der ganzen Welt. Howard, der ungeheuer erfolgreiche Dokumentationen gemacht hatte und im Gespräch war mit Produzenten aus Hollywood … Ihr Ex hatte sehr viel Einfluss, ein Netzwerk von Freunden in hohen Positionen, die bereit waren, ihm zu glauben oder Entschuldigungen für ihn zu finden.

Nach der Fehlgeburt war Emily alles egal gewesen. Sie hatte das Feld Howard überlassen, der Gerüchte und Lügen ersonnen und sich selbst zum Helden des Tages gemacht hatte. In seinen Schilderungen war er der schikanierte Ehemann, der sein Bestes gegeben hatte. Danach hatte nur ihr Stolz sie davon abgehalten, überhaupt den Versuch zu unternehmen, ihre Seite der Geschichte zu erzählen. Sie wollte ihre Fehlgeburt nicht dazu nutzen, Mitgefühl zu erregen.

Der einzige Lichtblick war, dass sie ihre Schwangerschaft nie öffentlich gemacht hatten – Howard hatte entschieden, es sei Privatsache. Er hatte nicht gewollt, dass sie von seiner kommenden Buchveröffentlichung ablenken würde, so hatte er es jedenfalls erklärt. Als es dann in der Presse Spekulationen gab, hatte er sie geleugnet, ohne vorher mit ihr darüber zu sprechen. Wie sich herausstellte, hatte er nicht gewollt, dass seine Geliebte davon erfuhr. Sie hatte er also auch angelogen.

Emily hatte sich allerdings nicht dazu herablassen wollen, zu erklären, dass Howard derjenige war, der betrogen und gelogen hatte – vermutlich hätte ihr ohnehin niemand geglaubt. Stattdessen hatte sie sich entschlossen, all das hinter sich zu lassen. Und an diesem Abend wollte sie ihr Glück versuchen und herausfinden, ob einer der Gäste einen Job für sie hatte.

Doch als sie einen Blick auf die vielen Menschen warf, war sie einen Moment lang wie gelähmt. Panik erfasste sie, sodass sie sich nicht rühren konnte und kaum Luft bekam.

Oh Gott. Nicht jetzt.

Seit ihrer Fehlgeburt überfielen sie immer wieder wie aus heiterem Himmel Panikattacken. Dabei hatte sie geglaubt, sie bezwungen zu haben oder zumindest in Schach halten zu können.

Aber dies war ihr erster Auftritt in der Öffentlichkeit, ihr erster Versuch, in der realen Welt zurechtzukommen, und sie war nicht sicher, ob sie es schaffen könnte. Besonders ohne ihre Kamera in der Hand, hinter der sie sich verstecken konnte. Sie vermisste diesen Schutz, der sie unsichtbar machte, denn die Menschen neigten dazu, nur das Objektiv zu sehen, nicht die Person, die dahintersteckte. Und an diesem Abend gefiel es ihr überhaupt nicht, so sichtbar zu sein.

Genug! Sie zwang sich weiterzugehen, hoffte und betete, die Panik abwenden zu können, wenn sie sich ins Getümmel stürzte. Blindlings machte sie einen Schritt … und stieß mit einem Gast zusammen.

Instinktiv streckte sie eine Hand aus, um auf den High Heels ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Ihre Hand landete auf einem Arm – einem muskulösen Arm, wie sie durch den weichen Stoff des Smokings spürte.

„Tut mir leid.“ Sie ließ den Arm los und wäre beinahe rückwärtsgestolpert.

„Ich sollte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe Sie hinter der Säule nicht gesehen.“

Als sie zu dem Mann mit dem italienischen Akzent aufsah, war sie überwältigt. Er war umwerfend. Schwarze Haare, silbergraue Augen und ein Gesicht, dessen ausgeprägter Kiefer Stärke und Entschlossenheit verriet. Sein muskulöser Körper steckte in einem wunderschön geschnittenen Smoking.

Emily zuckte zusammen, weil sie völlig hingerissen war. Das Gute allerdings war, dass die Ausschüttung der Hormone ihre Panik vertrieben zu haben schien.

Sag etwas.

„Ich wollte gerade …“ … Ihre Muskeln bewundern. „Ich wollte mich gerade in den Kampf stürzen.“

Also wirklich, Emily. Toller Auftakt.

„Dann ist dieser Abend also eine Schlacht? Eine Qual?“ Er klang leicht amüsiert, aber für einen verrückten Moment spürte sie auch sein Mitgefühl.

„Nein, natürlich nicht. Ich freue mich sehr, bei einem so glücklichen Ereignis dabei zu sein.“

„Aber?“

„Es gibt kein Aber. Vermutlich bin ich nur ein bisschen nervös. In letzter Zeit war ich nicht oft bei gesellschaftlichen Veranstaltungen und …“ Und jetzt sollte sie aufhören zu reden. „Jedenfalls …“

„Ich möchte mich Ihnen vorstellen.“ Bei der tiefen, italienisch gefärbten Stimme wurde ihr warm, doch ihr Hirn schaffte es trotzdem, eins und eins zusammenzuzählen, als er die Hand ausstreckte. „Ich bin Luca Petrovelli.“

Natürlich! Schon bei seinem Akzent hätte der Groschen fallen müssen, und jetzt, da sie wusste, wer er war, erkannte sie auch eine flüchtige Ähnlichkeit mit Ava. Obwohl ihr nicht klar war, woran sie die festmachen sollte. Ava war blond, schön und ein Ex-Supermodel. Lucas Haare hingegen waren mitternachtsschwarz, seine Gesichtszüge sehr ausgeprägt und sein Körper muskulös.

Wieder geriet sie ins Schwärmen, was lächerlich war, denn sie hatte derzeit kein Interesse am anderen Geschlecht. Ihre Libido lag unter einer dicken Schicht von Kummer begraben. Trotzdem hatte dieser Mann sie umgehauen, dabei hatten sie sich noch nicht einmal die Hände gegeben!

„Ich bin Emily.“

Kurz hob Luca die Augenbrauen. „Ich weiß, dass wir uns noch nie begegnet sind, aber Sie kommen mir bekannt vor.“

Emily seufzte, denn sie hatte diesen Satz schon oft gehört. Die Leute „kannten“ sie wegen ihrer Herkunft. Sie war die Tochter von Marigold Turner und Rajiv Khatri, eines der bekanntesten Models der Welt beziehungsweise eines Bollywood-Filmstars. Emily war das Produkt ihrer kurzen Ehe. Offenbar lagen kurze, verhängnisvolle Ehen in der Familie, zumindest auf der Seite ihrer Mutter. Marigold war derzeit mit Ehemann Nummer fünf verheiratet, wobei Emily so vernünftig gewesen wäre, nach Nummer eins aufzuhören.

Aber Luca könnte sie auch wegen Howard kennen …

„Wahrscheinlich wegen meiner Eltern oder wegen meines Exmannes.“

Während sie noch sprach, schnippte er mit den Fingern. „Jetzt weiß ich es wieder. Ich war heute Morgen in der Zentrale von ‚Dolci‘. Ich glaube, Ava hat ein Foto von Ihnen in ihrer Fotocollage an der Wand hängen.“

Oh.

„Tut mir leid. Ich bin es so sehr gewohnt, dass die Leute nach meinen berühmten Eltern fragen oder wissen wollen, wie es sich anfühlt, mit einem Genie verheiratet gewesen zu sein, dass ich angenommen habe, Sie würden mich deshalb kennen.“ Warum sonst sollte sie ihm bekannt vorkommen?

„Wenn das so ist, verspreche ich, keine dieser Fragen zu stellen. Erzählen Sie mir stattdessen, wie Sie Ava kennengelernt haben.“

Emily war überrascht, dass Luca nicht einmal wissen wollte, wer ihre Eltern waren. Doch wenn sie darüber nachdachte, war es nur natürlich, dass er nach Ava fragte. Sie waren schließlich Geschwister, ganz egal, wie kompliziert die Situation auch sein mochte.

„Wir haben uns vor ein paar Jahren kennengelernt, als Ava noch als Model gearbeitet hat. Ich gehörte zu den Fotografen bei einem Shooting. Wir haben uns auf Anhieb verstanden.“

Als er lächelte, zuckte Emily zusammen. Er hatte bereits ihre Hormone geweckt, die lange geschlafen hatten, und jetzt spielten sie bei seinem Lächeln verrückt.

„Es ist gut, wenn man sich auf Anhieb versteht“, sagte er mit einer noch tieferen Stimme, bei der sie eine Gänsehaut bekam. Flirtete er etwa mit ihr?

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie die Lücke zwischen ihnen geschlossen. Sie war ihm jetzt so nahe, dass sie den Duft seiner teuren Seife riechen und einen schwachen Anflug von Bartstoppeln erkennen konnte. Schnell trat sie einen Schritt zurück.

„Das stimmt“, pflichtete sie ihm bei. „Was glauben Sie, woran es wohl liegt, dass Leute sich auf Anhieb verstehen?“

Nein, nein, nein. Völlig falscher Ansatz. Jetzt klang es so, als würde sie flirten.

Stimmte das? Warum hatte dieser Mann so eine starke Wirkung auf sie? Sie spürte förmlich, wie noch mehr Hormone gähnten und sich streckten.

„Ava und ich haben den gleichen Sinn für Humor, und wir können gut miteinander reden“, sprach sie hastig weiter. „Also haben wir zusammen einen Kaffee getrunken, und daraus hat sich dann eine Freundschaft entwickelt.“

„Stimmt, der Sinn für Humor ist wichtig und auch, dass man sich gut unterhalten kann. Für eine Freundschaft oder jede Art von Beziehung. Obwohl natürlich auch andere Dinge bedeutsam sind.“

„Zum Beispiel?“

„Der erste Eindruck, ein Gefühl sofortiger Verbundenheit. Und in einer Beziehung gegenseitige Anziehung.“

„Pah!“ Der Laut, den sie ausstieß, schwankte zwischen einem spöttischen Schnauben und Verbitterung.

Luca hob die Augenbrauen.

„Pah?“, wiederholte er.

„Genau. Sie reden darüber, wie ein Mensch aussieht.“ Ihre Mutter war wegen ihrer Schönheit gefeiert und verklärt worden. Männer hatten sich auf der Stelle in Marigold Turner verliebt, doch es hatte nie lange gehalten. Wenn der Alltag sich erst eingeschlichen hatte, war die Anziehung langsam verblasst. Dennoch hatte Marigold jeden dieser Männer in den höchsten Tönen gelobt und von Liebe auf den ersten Blick gesprochen.

Zu Anfang jeder dieser „magischen Liebesbeziehungen“ hatte Marigold gewusst, dass es der Richtige war, und Emily war angewiesen worden, sich im Hintergrund zu halten. Noch immer erinnerte sie sich an das Gefühl der Isolation, das schmerzliche Wissen darum, dass sie als Hindernis betrachtet worden war. Und das tat auch jetzt noch weh.

Liebling, ich will, dass du dich im Hintergrund hältst. Kevin soll nicht glauben, dass du eine Nervensäge bist.“

Tut mir leid, Liebes, ich weiß, ich habe dir versprochen, dir eine Gutenachtgeschichte vorzulesen … aber Alex ist wichtiger.“

Wenn eine Beziehung dann mit einer zugeknallten Tür geendet hatte, hatte Marigold sich Trost suchend an ihre Tochter gewandt, und Emily hatte ihrer Mutter geholfen, ihr gebrochenes Herz wieder zusammenzuflicken.

Nun sah sie Luca wütend an. „Das Aussehen ist unwichtig.“

„Finde ich nicht. Der erste Eindruck zählt. Beurteilen Sie die Menschen denn nicht nach ihrer Kleidung, ihrem Haarschnitt oder …“

… der Größe ihrer Muskeln? fragte eine kleine, hinterhältige Stimme in ihr, die sie schnell zum Schweigen brachte.

„Natürlich nicht. Denn wenn man sich nur darauf konzentriert, vergisst man, was wirklich wichtig ist: die inneren Werte. Sich gegenseitig voneinander angezogen zu fühlen, reicht nicht, damit eine Beziehung funktioniert. Jedenfalls nicht auf lange Sicht.“

Die zweite Ehe ihres Vaters war der Beweis dafür. Neela war das genaue Gegenteil seiner ersten Frau. Sie war nicht schön, sondern einfach nur normal, und sie führten eine zufriedene Ehe. Sie hatten fünf Kinder, und Emily wusste, dass ihr Vater glücklich war. So glücklich, dass Emily sich ein wenig überflüssig fühlte. Während ihrer Kindheit hatte sie ihn ein- oder zweimal im Jahr besucht und sich dabei immer fehl am Platz gefühlt. Bei dem turbulenten Auf und Ab eines richtigen Familienlebens war sie eine unsichtbare Außenseiterin gewesen.

„Anziehung … lenkt zu sehr ab“, meinte Emily.

Vermutlich war das auch die Erklärung dafür, dass ihr Blick immer noch zu seiner breiten Brust wanderte, seinen muskulösen Unterarmen, seinem ausgeprägten Kiefer. Hätte sie sich selbst einen Tritt verpassen können, sie hätte es getan.

Luca betrachtete sie, dann hoben sich seine Mundwinkel, und seine Augen leuchteten amüsiert auf. „Eine schöne Ablenkung. Dieser Funke zu Anfang ist doch … anregend.“

„Ich …“ Ihre Blicke trafen sich. Emilys Mund war plötzlich trocken, und ihr schien, als würde die Welt sich auflösen und nur noch sie und Luca übrig lassen. Verrückt. Und trotzdem konnte sie nichts dagegen tun, dass ihr Verlangen sie dazu drängte, sich ihm zu nähern. „Vermutlich.“

Sie zwang sich, den Blick von seinen Augen zu lösen. Stattdessen landete er auf seinen wohlgeformten Lippen. Noch nie hatte sie die Lippen eines Mannes so genau betrachtet, sie berühren wollen.

Es reicht!

„Also“, meinte sie, „ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich eine Runde drehe.“

„Um sich in den Kampf zu stürzen“, wiederholte er ihre Worte von eben.

„Ja.“ Sie verspürte Widerwillen und seufzte unbewusst. Wieder einmal wünschte sie, eine Kamera dabeizuhaben, die sie unsichtbar machen würde.

„Es besteht kein Grund, nervös zu sein.“ Während ihres Gesprächs war ihre Nervosität verflogen, weggewischt von der Anziehung und der interessanten Unterhaltung, die etwas Zweideutiges gehabt hatte. Tatsächlich eine schöne Ablenkung.

„Ich glaube doch. Es sind viele Menschen hier, die eine vorgefasste Meinung von mir haben und sich bereits ihr Urteil gebildet haben.“ In ihrer Stimme lag Verbitterung, während ihr Blick durch den Raum schweifte und sie daran dachte, wie viele Leute nicht auf ihre Anrufe und E-Mails reagiert hatten.

„Spielt das eine Rolle?“ Er klang nun ernst. „Die einzigen Menschen, deren Meinung Ihnen wichtig sein sollte, sind doch diejenigen, die Ihnen etwas bedeuten und denen Sie wichtig sind.“

In der Theorie mochte das stimmen, aber … „Sie haben recht. Aber wenn ich Mitleid oder Vorurteile in den Gesichtern der Menschen sehe, dann …“

„… dann verlieren Sie sich.“

„Stimmt.“ Wie konnte Luca das wissen? Und wie konnte ein Gespräch mit einem Fremden so persönlich werden?

Autor

Nina Milne
<p>Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten. Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...
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