Brennende Leidenschaft – süße Vergeltung?

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Heiraten? Eine sentimentale, höchst unlogische Entscheidung, glauben die Gentlemen der Geheimverbindung "Bund der Rationalen Männer". Eine Meinung, die Mitglied Brandon Balfour aus ganzem Herzen teilt! Vor zehn Jahren verliebte sich der ambitionierte Ingenieur in die schöne Schauspielerin Kate Addison. Schmählich wurde er von ihr betrogen, entschied sie sich doch für einen Adligen, der sie unterhielt. Doch als Brandon sie nun überraschend mit ihrer Darstellertruppe wiedersieht, verfällt er ihr zum zweiten Mal. Wie unlogisch! Er ahnt nicht, dass seine neu erwachte Leidenschaft Kate eine Chance zu süßer Vergeltung in die zarten Hände spielt …


  • Erscheinungstag 05.01.2021
  • Bandnummer 361
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500838
  • Seitenanzahl 264
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Wie so vieles begann der Bund der Rationalen Männer als großer Spaß.

Bei zwei, drei Humpen im The Garland, dem bevorzugten Treffpunkt der Männer von Maidenshop, einigte man sich darauf, dass ein Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte nie auf die Idee kommen würde, zu heiraten. Schließlich widersprach ein solcher Entschluss sämtlichen Gesetzen des auf Vernunft und Einsicht basierenden Verhaltens … Und so gründete man den „Bund“.

Oh, natürlich mussten Männer irgendwann heiraten. Es wurde von ihnen einfach erwartet. Das Leben steckte nun mal voller Erwartungen, und diese war eine davon. Mit der Heirat erlosch die Mitgliedschaft im Bund der Rationalen Männer und konnte ausschließlich dann erneuert werden, wenn der betreffende Mann Witwer werden sollte. In den Jahren bis zur Eheschließung jedoch vermittelte der Bund seinen Mitgliedern ein so hochgeschätztes wie unvergessliches Kameradschaftsgefühl.

Und so kam es, dass der Bund der Rationalen Männer über mehrere Generationen hinweg einen Hort maskuliner Behaglichkeit darstellte … Bis die Frauen sich anschickten, zu gewinnen …

1. KAPITEL

Maidenshop, Cambridgeshire

1814

Er hatte den verfluchten Auftrag verloren.

Gut zwölf Monate lang hatte Mr. Brandon Balfour über dem Entwurf für eine Brücke gebrütet, die die beiden Ufer der Themse in London miteinander verbinden sollte. Nachdem er wiederholt aufwendigen und komplizierten Änderungswünschen nachgekommen war, hatte der Vermessungsingenieur ihm nicht nur versichert, dass sein Entwurf der beste unter den eingereichten Vorschlägen war, sondern praktisch zugesagt, dass es rasch zu einer Entscheidung in seinem Sinne kommen würde. Doch dann, gestern Abend, hatte das Gremium ihm mitgeteilt, dass man sich plötzlich für einen weiteren Bewerber interessiere, einen Schotten mit guten Verbindungen zu den Entscheidungsträgern.

Und in kürzerer Zeit als man benötigte, ein Glas Brandy zu kippen, waren viele Stunden harter Arbeit und endlosen Hofierens aufgeblasener Mistkerle, die keine Ahnung hatten, wie man Brücken konstruierte, null und nichtig. Diese Brücke hätte sein Prestigeprojekt werden sollen, sein Zeichen für die Welt, das erste wichtige Bauwerk seiner kleinen, ums Überleben kämpfenden Ingenieursfirma.

Aus diesem Grund fühlte sich die Vogelflinte in seiner Hand gerade verflucht gut an. Bran hatte große Lust, an diesem Morgen auf irgendetwas zu schießen, da waren Saatkrähen keine schlechte Wahl. Tatsächlich war er nach der Gremiumssitzung so wütend gewesen, dass er die Nacht durchgeritten war, um rechtzeitig zur Jagd auf Belvoir Castle einzutreffen. Er wusste, dass er viel zu verbittert und enttäuscht war, um Schlaf zu finden. Oder sich sinn- und planlos in London herumzutreiben.

Neben ihm schritt sein Freund, der Earl of Marsden und Eigentümer von Belvoir, durchs hohe Gras auf eine für sich stehende Baumgruppe zu, ein wahres Paradies für Saatkrähen. Es herrschte die übliche gedämpfte, erwartungsvolle Dunkelheit kurz vor der Morgendämmerung.

Die kleine Jagdpartie komplettierte Mr. Ned Thurlowe, der örtliche Arzt und ein weiterer geschätzter Freund. Alle drei waren hochgewachsen, beliebt und selbstbewusst, auch bekannt als die „Jungspunde“ im Bund der Rationalen Männer. Gentlemen pflegten sie zu beneiden, während Frauen die Ansicht vertraten, sie sollten längst verheiratet sein.

Mars maß einen Meter fünfundneunzig und überragte Bran damit noch um fünf Zentimeter. Er war von schlanker Gestalt, mit breiten Schultern und blauen Augen, die warm und freundlich, aber auch eiskalt und gefährlich blicken konnten. Sein Haar hatte den goldbraunen Ton von Winterweizen.

Thurlowe war von wildem, ungezähmtem Aussehen, mit seinen dunklen Haaren und scharf gezeichneten Brauen der Attraktivste des Trios. Man munkelte, dass nicht wenige Frauen Krankheiten vortäuschten, damit er ihnen besorgt die ärztliche Hand auf die Stirn legte, und mehr als eine war unter seiner Berührung ohnmächtig geworden.

„Als wir uns letzte Woche in London getroffen haben“, Mars flüsterte, um die Vögel nicht zu verschrecken, „sagtest du, du wüsstest nicht, wann du nach Maidenshop zurückkommst. Hofftest du nicht, dass dein Brückenentwurf endgültig durchgewinkt wird?“

Ein harter Stein schien sich in Brans Brustkorb zu bilden. „Gestern Abend gab es eine Sitzung des Gremiums. Ich erwartete, als Architekt benannt zu werden, aber dann wurde plötzlich ein neuer Bewerber ins Rennen geschickt. Ein Schotte, der irgendwie Verbindungen zu Dervil hat und mit ihm verwandt ist.“

„Dervil? Der Bastard.“ Lord Dervils Besitz grenzte an Belvoir. Vor Jahren hatte er Mars’ Vater wegen eines Grenzstreits zum Duell gefordert und diesen so schwer getroffen, dass der alte Earl kurz darauf seinen Verwundungen erlegen war – was die Fehde zwischen den beiden Familien weiter verschärfte. Mars hatte mehr als einmal verkündet, er könne es nicht erwarten, Dervil eine Kugel durchs schwarze Herz zu jagen. „Hat er deinen Entwurf nach all den Nachbearbeitungen, die du vorgenommen hast, etwa abgeschmettert?“

„Er hat an der Sitzung teilgenommen und angeregt, dass ein Architekt mit mehr Erfahrung und besseren Verbindungen wohl die adäquate Wahl wäre. Offenbar war diese Meinungsäußerung alles, was der Vermessungsingenieur brauchte, um die Angelegenheit auf die Tagesordnung zu setzen.“

„Mehr Erfahrung?“, mischte Ned sich ein. „Du hast in Indien Brücken, Kanäle und Straßen gebaut. Gibt es irgendetwas, was du nicht gebaut hast? Du kannst doch Empfehlungsschreiben von der Kompanie vorlegen, oder?“ Die Frage bezog sich auf die Britische Ostindien-Kompanie, für die Bran bis vor drei Jahren gearbeitet hatte.

„Meine Zeugnisse und Referenzen wurden präsentiert. Dervil gab zu bedenken, dass meine Arbeit auf fremdem Boden den englischen Ansprüchen nicht genügen würde.“ Und er war keineswegs der Erste, der diese Bedenken äußerte. Es war eine Herausforderung für Bran gewesen, sich in England zu etablieren.

„Dann ist Dervil ein Narr“, erwiderte Ned entschieden. „Und was heißt hier Verbindungen? Was haben Verbindungen mit Ingenieurswesen zu tun?“ Ned war ein Mann der Wissenschaft. Als jüngerer Sohn aus adeligem Haus musste er, ebenso wie Bran, sich auf intellektuelle Fähigkeiten stützen, um seinen Weg zu machen. Sie waren beide erfolgreich gewesen, auch wenn viele sich fragten, warum ein talentierter Mediziner wie Thurlowe als Landarzt in Maidenshop praktizierte, statt sein Glück in London zu versuchen.

„Offensichtlich reichen Kompetenz und Intelligenz nicht aus, um sich in der Welt der Politik und Macht durchzusetzen“, gab Bran zurück.

„Der Duke of Winderton ist dein Neffe und Mündel“, widersprach Thurlowe. „Du bist nach England zurückgekommen, um dich nach dem Tod seines Vaters um ihn zu kümmern. Das ist eine Verbindung, und noch dazu eine verdammt ehrenwerte.“

„Aber es ist die Verbindung zu einem Besitz, nach dem es Dervil gelüstet“, betonte Mars. „Und er hätte deine Schwester überredet, an ihn zu verkaufen, wenn du nicht aus Indien zurückgekehrt wärst und sie daran gehindert hättest. Dann ist das jetzt also seine Rache, was? Ich dachte mir schon, dass er früher oder später aus der Deckung kommt. Er bildet sich etwas darauf ein, immer seinen Willen durchzusetzen. Verdammter Mistkerl!“

„Scheint so, als hättest du recht.“ Bran umklammerte seine Flinte fester. „Ein Jahr lang habe ich jeden ihrer Ansprüche erfüllt, und jetzt …“ Den Rest des Satzes ließ er verbittert in der Luft hängen.

„Du sagtest, die Sitzung war gestern Abend? Und jetzt bist du hier?“, erkundigte sich Ned. „Hast du überhaupt geschlafen?“

„Ich war zu aufgebracht. Außerdem überhäuft meine Schwester mich seit gestern Mittag mit immer dringenderen Aufforderungen, umgehend hierher zu kommen. Irgendetwas wegen Winderton.“ Bran war der Vormund des Dukes, bis der einundzwanzig wurde, was in ein paar Monaten der Fall sein würde. In Wahrheit war Winderton von seiner Mutter viel zu sehr verhätschelt worden, um jetzt schon eine solche Verantwortung zu übernehmen. Wäre Bran Verfasser des Testaments, müsste Winderton noch mindestens zehn Jahre warten, doch es war nicht seine Entscheidung gewesen. „Hat einer von euch eine Ahnung, warum sie diesmal so aufgebracht ist?“

„Ich habe deinen Duke neulich Abend mit Freunden im Garland trinken sehen“, berichtete Mars. „Er war schon ziemlich hinüber und wirkte äußerst vergnügt.“

„Gestern bin ich ihm im Dorf begegnet“, erklärte Thurlow. „Er stolzierte ohne nach rechts und links zu gucken die Straße entlang, zweifellos in einer für ihn ungeheuer bedeutenden Angelegenheit. Du weißt ja, wie er ist.“

Wohl so etwas wie ein aufgeblasener Wichtigtuer? Bran sagte es nicht laut, obwohl es ihm auf der Zunge lag. Es wäre illoyal gewesen. Dennoch – wie konnte jemand, der gerade mal zwanzig war, glauben, dass seine Meinung für irgendjemanden auf der Welt eine Rolle spielte? „Lucy schlägt jedes Mal Alarm, wenn er nicht das macht, was er ihrer Ansicht nach tun sollte. Also bin ich zurückgekehrt, um die Lage zu sondieren.“ Und meine ebenfalls. Ich muss meine eigene Lage sondieren. Wenn ich diesen Auftrag nicht bekomme, was habe ich dann überhaupt für eine Zukunft?

Seine Freunde nickten, stumm, da sie ihr Ziel erreicht hatten – drei riesige Platanen, die der bevorzugte Rastplatz der Krähen waren. Mit der Dämmerung würden die Vögel erwachen.

Den drei Jungspunden folgten die ältesten Mitglieder des Bundes der Rationalen Männer, Mr. Fullerton und Sir Lionel Johnson. Sie ließen sich von Sir Lionels Dienern in Tragesesseln transportieren und waren mehr daran interessiert, Portwein zu trinken als Vögel zu schießen. Fullerton hatte vor langer Zeit als Gutsverwalter für Mars’ Großvater gearbeitet. Sir Lionel war einst Königlicher Gesandter in Italien gewesen, eine Ehre, von der er bis zum heutigen Tag immer wieder gern erzählte. Abgerundet wurde die Jagdgesellschaft von Mars’ Wildhüter Evans und diversen Dienstboten, die Ersatzflinten, Schießpulver und, natürlich, den Portwein bereithielten.

Die Nachhut bildeten ein paar Burschen aus dem Dorf, die man zu absolutem Stillschweigen verpflichtet hatte. Sie sollten die Beute einsammeln. Mars hatte ihnen einen Penny für jede tote Krähe in ihren Beuteln versprochen.

Zweck einer Krähenjagd war, die Jungen zu erwischen, sobald sie aufwachten. Schließlich war es sinnlos, Vögel zu schießen, wenn man sie nicht essen konnte, und nur die jungen Krähen hatten das zarte Fleisch. Die Nebelschwaden, die über den Boden waberten, halfen den Männern dabei, sich unbemerkt an die Bäume heranzupirschen.

Sobald die Sonne aufging, begannen die Zweige der Platanen sich zu bewegen, als müssten die Krähen, deren Silhouetten jetzt deutliche Kontraste zum heller werdenden Himmel bildeten, sich morgens wie mürrische alte Männer wach schütteln.

Wortlos hoben die drei Jungspunde ihre Flinten. Mr. Fullerton, immer noch in der Sänfte sitzend, hob seine ebenfalls. Sie war ungeladen. Evans war nicht so dumm, dem angetrunkenen Fullerton eine geladene Waffe in die Hand zu geben.

Sir Lionel hob sein Glas. „Auf die Jagd!“, rief er.

Das Krächzen und Glucksen der Vögel brach abrupt ab, denn jetzt lauschten sie.

Es spielte keine Rolle. Die Jungspunde hatten damit gerechnet, dass Sir Lionel etwas Dämliches tun und laut werden würde. Sie feuerten, um ihre Chance nicht zu verpassen. Krähen waren verdammt schlau. Die alten würden in Nullkommanichts verschwunden sein. Die jungen hingegen, nun, die waren wie Winderton, nicht besonders helle.

Nach jedem Schuss wurde die Flinte einem Diener gereicht, der sie durch eine frisch geladene ersetzte. Die Dorfburschen rannten im Zickzack unter den Bäumen herum und stopften tote Vögel in ihre Beutel. Die Jäger zielten mit sicherer Hand und erlegten eine beträchtliche Anzahl Krähen.

Und dann war alles vorbei. Die Vögel waren weg. Entweder davongeflogen oder eingesammelt.

Mars lachte zufrieden und senkte die Flinte. „Großartig geschossen! Ich bin froh, dass ich diese Plage los bin.“ Er wandte sich an die Burschen. „Los, Jungs, begleitet uns zum Frühstück ins Garland. Andy hat versprochen, uns was Gutes aufzutischen. Wir zählen die Krähen dort.“

Sein Vorschlag wurde mit Jubel aufgenommen.

„Ins Garland!“, brüllte Sir Lionel und lehnte sich halsbrecherisch aus seinem Tragesessel. „Schneller, Burschen! Wir dürfen Andy nicht warten lassen.“ Seine Diener trabten los, und natürlich musste Fullerton die Verfolgung aufnehmen. Beide Männer drohten jeden Moment aus ihren Transportstühlen zu purzeln. Doch die Diener blieben nicht stehen und führten die Kolonne Richtung Frühstück an.

„Evans, Sie und die anderen kommen auch mit“, sagte Mars. „Wie ich Andy kenne, hat er Leckereien für hundert hungrige Mäuler vorbereitet.“

„Danke, Mylord.“ Evans wedelte mit einer Hand, um seine Leute anzutreiben. „Macht schneller! Wir müssen das alles erst zum Haus schaffen, bevor wir frühstücken können.“ Er musste es nicht zweimal sagen.

Ein Stallbursche brachte Brans roten Wallach Orion und Pferde für Ned und Mars. Orion war nicht begeistert, sich, nachdem er gerade gestriegelt und gefüttert worden war, schon wieder in der Pflicht zu finden. Nicht nach dem Ritt, der hinter ihm lag.

Er schnaubte missbilligend, doch Bran schwang sich trotzdem in den Sattel. „Du kannst dich gleich ausruhen“, beschwichtigte er das verstimmte Tier. Orion schüttelte den Kopf, als wollte er es nicht glauben, dass ihm auch nur ein bisschen Ruhe vergönnt sei.

Die Freunde ritten im Schritt zum Garland. Die Wut, die Bran hergetrieben hatte, wich einem kühleren Kopf. Er hatte die Stadt hinter sich lassen und Landluft schnuppern müssen.

„Was hast du mit all den Vögeln vor?“, wollte er von Mars wissen.

Es war Ned, der antwortete. „Andy backt uns ein paar große Pasteten daraus. Du weißt doch, dass heute Abend der Cotillion stattfindet?“

Bran stöhnte innerlich auf. „Das hatte ich vergessen.“ Der Cotillion war das größte Ereignis der Saison in Maidenshop. Die Schirmherrinnen des berühmten Almack’s waren nichts gegen die Matronen von Maidenshop, wenn es um die Organisation dieses speziellen Balls ging. Da das Dorf so nah an Cambridge, London und der New Market Road lag, war die Gegend äußerst beliebt beim Hochadel und sogar bei der aufstrebenden Mittelklasse. Wirklich jeder besuchte den Cotillion.

„Ned macht sich Sorgen über den Mitgliederbestand des Bundes der Rationalen Männer“, erklärte Mars.

„Und zwar völlig zu Recht“, murrte Ned. „Es sind in Wahrheit nur noch wir drei und diese Nichtsnutze.“ Er deutete mit dem Kopf dorthin, wo Fullerton und Sir Lionel Richtung Gasthof verschwunden waren. „Die Jungen wie Winderton sind nicht interessiert. Wir müssen mehr Gentlemen für den Bund rekrutieren, sonst lösen wir uns komplett auf.“

„Zumal du ja bald heiratest“, rief Mars ihm in Erinnerung.

Der Arzt starrte ihn einen Moment verständnislos an. „Ja, Miss Taylor“, sagte er dann, stirnrunzelnd, als ärgerte er sich über sich selbst, weil er vergessen hatte, dass er versprochen war. Bran konnte es ihm nicht verdenken. Neds Verlobung mit Miss Clarissa Taylor war nicht auf konventionelle Art zustande gekommen.

Als Baby war sie auf der Türschwelle des mittlerweile verstorbenen Pfarrers Taylor abgelegt worden. Der Pfarrer und seine Frau hatten sie wie ihre eigene Tochter aufgezogen, aber das gesamte Dorf war fasziniert von dem geheimnisvollen Kind, und alle fühlten sich irgendwie zuständig.

Als Miss Clarissa zweiundzwanzig Jahre alt war, starben die Taylors. Squire Nelson und seine Familie nahmen sie auf, doch die Matronen von Maidenshop beschlossen, dass das nicht reichte. Das Mädchen musste heiraten, und zwar einen der drei Jungspunde. Die Matronen waren ins Garland gestürmt und hatten einen heiteren Abend mit ihrer Forderung unterbrochen.

Mars weigerte sich rundweg. Er und Miss Taylor konnten einander nicht ausstehen.

Bran hatte nicht vor, irgendjemanden zu heiraten. Mit seinen sechsunddreißig Jahren lebte er schon viel zu lange als Junggeselle, um sich vor den Traualtar locken zu lassen, schon gar nicht aus Mitleid. Er hatte gelegentlich ruhige, unverbindliche Affären mit der ein oder anderen Witwe gepflegt – im vergangenen Jahr war allerdings nichts dergleichen gelaufen, er hatte sich auf nichts anderes konzentriert als auf dieses verdammte Brückenprojekt.

Am Ende war es Thurlowe gewesen, der einknickte und sich opferte. Miss Taylor tue ihm leid, hatte er erklärt, da sie keine Familie und kaum Aussichten hätte. Das war vor zwei Jahren gewesen. Seither machte Ned ihr jeden Samstag fünfzehn Minuten lang seine Aufwartung, aber er erweckte keineswegs den Eindruck, eine Heirat anzustreben.

Jeder, der glaubte, der gute Doktor wäre bereit für die Ehe oder gar begeistert angesichts der Perspektive, war ein Narr. Doch die Matronen schienen besänftigt, und Miss Taylor war offenbar zufrieden mit der gegen wärtigen Situation.

Bran verstand zwar nicht, warum die Matronen nicht auf eine tatsächliche Heirat drängten, aber das war nicht sein Problem.

Unterdessen bereitete es Mars augenscheinlich immenses Vergnügen, ihren Freund ob seiner „demnächst“ anstehenden Eheschließung zu triezen.

„Um neue Mitglieder für den Bund zu gewinnen“, nahm Mars den Faden seiner Erklärung wieder auf, „hat Ned für morgen einen wissenschaftlichen Vortrag zu einem für Männer interessanten Thema arrangiert. Angedachtes Publikum sind Gentlemen, die hier nach dem Ball übernachten.“

„Einen Vortrag?“, hakte Bran interessiert nach.

„Ja, jeder Gentleman, ob verheiratet oder nicht, ist eingeladen“, erwiderte Ned enthusiastisch. „Mr. Clyde Remy spricht zur Theorie des verstorbenen James Hutton über das Aktualitätsprinzip als Erklärung der Gesteinsformationen, also Gebirge und Schluchten. Ich bin sicher, dass sie das in Scharen anlocken wird.“

Aktualitätsprinzip? Bran behielt seine Meinung für sich, fing aber Mars’ amüsierten Blick auf und wusste, dass sie alle beide Thurlowes Optimismus nicht teilten. Zwar interessierte Bran selbst sich sehr für Geologie, bezweifelte jedoch, dass das Thema bei anderen Leuten besonders populär war.

„Andy und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass Krähenpastete unsere Chance auf neue Mitglieder nicht schmälern kann“, sagte Mars. „Schließlich konnte ich jede Menge Krähen zur Verfügung stellen. Verdammte Plage.“

Inzwischen ritten sie durch Maidenshop. Die aufgehende Sonne beschien die strohgedeckten Dächer der charmanten weißen Häuser und Rosengärten, die vor duftenden Blüten schier überquollen. Als Bran vor drei Jahren aus Indien zurückgekommen war, dachte er, dass er noch nie ein hübscheres Dorf gesehen hatte – oder ein englischeres.

Das größte Haus im Ort gehörte einer der umtriebigsten Matronen, der verwitweten Mrs. Warbler. Es war aus gelben Steinen errichtet, und zwar in einem Winkel, der ihr erlaubte, von ihrem Wohnzimmer aus alles im Blick zu haben, was draußen vor sich ging – und jeden, der das Garland betrat oder verließ.

In der Ferne war das flechtenbewachsene Steindach von St. Martyr’s zu sehen, einer Kirche aus dem zwölften Jahrhundert, die die Dörfler vernünftigerweise so gelassen hatten, wie sie war. Wie viele Gotteshäuser jener Epoche war sie von einem Adeligen erbaut worden, vermutlich einem Vorfahren der Windertons, und zum Anwesen gehörte ein langgestrecktes steinernes Nebengebäude mit hoher Decke. Dort fand jedes Jahr der Cotillion statt.

Weiter unten an der Dorfstraße befand sich die Schmiede, zwei Meilen dahinter die Poststation an der Newmarket Road, wo die meisten auswärtigen Gäste des Cotillion, die weder Familie noch Freunde vor Ort hatten, absteigen würden. Da es sich um einen der wichtigsten Zwischenstopps an der Strecke handelte, herrschte hier oft rund um die Uhr Hochbetrieb.

The Garland lag am Ortsrand, am Ufer eines dahinrauschenden Flüsschens, das Three Thieves genannt wurde, drei Diebe. Hinter dem Namen verbarg sich eine Geschichte, die aber niemand kannte. Stromaufwärts grenzte Three Thieves an das Land der Marsdens und bot gute Fischgründe, vor allem im Frühling.

Das Gasthaus bestand aus drei ineinander verschachtelten kleinen Gebäuden. Das Innere mit seinen niedrigen Räumen und vom Alter geschwärzten Wänden glich einem Fuchsbau, zumindest behauptete Mars das. Abgesehen von jenem Tag, als die Matronen hier eingedrungen waren, um einen Ehemann für Miss Taylor einzufordern, stellte The Garland definitiv eine rein maskulin orientierte Zufluchtsstätte dar. Und es war, wie die ganze Grafschaft wusste, das Hauptquartier des Bundes der Rationalen Männer.

Als die Freunde sich dem Wirtshaus näherten, schlug ihnen der Duft von gebratenem Fleisch und frisch gebackenem Brot entgegen. Andy musste schon seit Stunden auf den Beinen sein. Er bereitete seine Speisen gern draußen im Hof am Spieß zu, und der Rauch erhob sich über die strohgedeckten Dächer. Zu seiner Überraschung verspürte Bran einen Bärenhunger. Gestern war er zu nervös gewesen, um viel zu essen.

Die beiden Tragesessel standen vor der Tür, bewacht von einem Diener, als ob sie sich in London befänden statt im sicheren Ortskern von Maidenshop. Burschen mit Taschen voller Krähen drängten sich breit grinsend in die Gaststube. Die drei Männer saßen ab und banden ihre Pferde am Pfosten fest. Orion murrte missbilligend. Bran ignorierte ihn und trat ein. Er musste sich im Eingang ducken, um sich nicht den Kopf zu stoßen.

„Herein, herein“, rief Andy. Der alte Schotte stand in der Tür seiner sogenannten Schankstube, einer Kammer, in der er sein Fass aufbewahrte. Er war ungefähr so breit wie hoch, mit weißem Backenbart und rasiertem Schädel. „Nun schau sich einer all diese Vögel an. Ich mach Ihnen da ein paar Pasteten draus, die von selbst anfangen zu zwitschern“, versprach er Ned. „Setzen Sie sich dahin, wo Sie wollen. Ich bringe das Essen raus.“

In der Mitte des Raumes war ein riesiger Tisch aufgestellt worden. An einem Ende stapelten sich Metallteller, daneben lagen Messer und Gabeln. Bran machte sich nützlich, indem er Geschirr herumreichte. Stiefelabsätze klackerten über den Holzboden, Stühle wurden gerückt, bis schließlich jeder seinen Platz gefunden hatte.

Andy war hinausgegangen, um den Fleischspieß zu holen. In der Schankstube füllte Ned Humpen mit Ale, die die Burschen dann verteilten. Mars kümmerte sich um das Blech, auf dem mindestens sieben Brotlaibe abkühlten. Im Garland gab man sich nicht mit Formalitäten ab. Sobald Evans und die Dienstboten vom Belvoir eintrafen, fingen alle an zu essen, und eine Zeit lang war nichts anderes zu hören als die Geräusche hungriger Männer, die sich genüsslich den Magen vollschlugen.

Das Essen half, Brans Stimmung zu heben. Ihm wurde klar, dass es viel besser war, hier bei seinen Freunden zu sein, als allein in London Trübsal zu blasen.

Schon bald würde jeder in der Stadt, der irgendetwas mit Ingenieurswesen und Architektur zu tun hatte, wissen, dass er den Auftrag nicht bekommen hatte. Zumindest noch nicht. Und alle würden sich fragen, warum dem so war, und er und sein kleines Unternehmen würden genau wie die Jungvögel von heute Morgen zum leichten Ziel werden – für Klatsch und Spekulation. Sein Ruf war noch nicht sehr gefestigt, der berufliche Schaden für ihn kaum absehbar.

Mars unterhielt ein paar Dorfjungen mit einem Schwank aus seiner Jugend, als er schwimmen war und Ned ihm einen Streich spielte, indem er seine Kleidung versteckte. „Genau in dem Moment, als Mrs. Warbler und ihre Töchter einen Nachmittagsspaziergang machten.“

„Haben sie Sie gesehen, Mylord?“, erkundigte sich der jüngste Bursche.

„Ja, und zwar alles von mir“, erwiderte Mars theatralisch, woraufhin die Jungen vor Lachen fast von den Stühlen fielen. Sogar die Dienstboten kicherten verstohlen.

Bran ertappte sich selbst bei einem Lächeln, das jedoch rasch verschwand, als er im Eingang die blau-weiße Livree des Hauses Winderton entdeckte. Verdammt, es war noch nicht mal halb neun.

Er stand auf und ging zur Tür, um Randall zu begrüßen, Lucys Butler und vertrauenswürdigsten Diener. „Hat meine Schwester mich gefunden? Oder hatten Sie einfach nur Glück?“ Randall hatte einst mit ihrem Vater in der Armee gedient und war ungefähr in Lucys Alter, also zwölf Jahre älter als Bran.

„Einfach nur Glück, Sir. Kommen Sie mit, Sir?“

Bran fuhr mit einer Hand über sein stoppeliges Kinn. „Ich muss mich rasieren.“

„Sie ist außer sich, Sir.“ Das war nichts Ungewöhnliches bei seiner Schwester, dennoch schwang ein Anflug von Verzweiflung in Randalls Tonfall mit.

„Na schön.“ Bran winkte seinen Freunden zu. Er sah, dass Fullerton und Sir Lionel sich bereits wieder an ihren Lieblingstisch in der Ecke zurückgezogen hatten. Der betrunkene Ritter schlief offenbar, sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Was Fullerton aber nicht weiter zu stören schien, denn er redete angeregt mit sich selbst.

Als Bran aufsaß, stampfte Orion unwillig mit den Hufen. „Nur noch ein paar Minuten, mein Freund.“ Randall hatte sein eigenes Pferd dabei, und die beiden Männer ritten los. Bran stellte keine Fragen. Wenn es um die Angelegenheiten der Windertons ging, war Randall überaus diskret und verschwiegen, wie Bran bereits bei seiner Rückkehr aus Indien erfahren hatte.

Sie brauchten fünfundvierzig Minuten bis nach Smython, dem Stammsitz der Windertons. Es hätte schneller gehen können, doch Bran weigerte sich, seinem Pferd noch mehr abzuverlangen.

Der Park, der das aus roten Ziegeln gemauerte Herrenhaus umgab, war einst von keinem Geringeren als dem legendären Landschaftsgärtner Capability Brown gestaltet worden. Lucy hatte nicht viel Ahnung von Parkanlagen oder Gutsverwaltung und war nach dem Tod ihres Mannes völlig überfordert gewesen. Zu dem Zeitpunkt, als Bran nach England zurückkehrte, um die Vormundschaft des Dukes zu übernehmen, stand der Besitz am Rande des Ruins. Die Rasenflächen waren verwildert, in den Ställen herrschte ein heilloses Tohuwabohu, und die Schulgebühren seines Neffen waren seit Jahren nicht bezahlt worden. Erstaunlich, dass sie ihn überhaupt Semester für Semester wieder aufnahmen.

Bran hatte sich der Probleme angenommen, mit seinem eigenen Geld, denn Winderton war damals völlig pleite. Der alte Duke war ein so unkluger wie glückloser Spieler gewesen. Wie Bran nach und nach herausfand, war keine Investition so lächerlich, dass sein Schwager nicht darauf hereingefallen wäre, und er hatte Unsummen auf jedes noch so chancenlose Rennpferd gesetzt.

Natürlich wollte Lucy nicht, dass irgendjemand von ihrer Situation erfuhr, auch ihr Sohn nicht. Was Bran für Smythson und seinen Neffen getan hatte, blieb ihr Geheimnis. Doch jedes Mal, wenn der Junge sein aufgeblasenes kindisches Verhalten an den Tag legte, wünschte Bran inbrünstig, er hätte die Freiheit, dem verwöhnten Knaben ein paar harte Fakten um die Ohren zu hauen. Seine Schwester schob dem stets einen Riegel vor … Doch eines Tages würde er sich den Duke vorknöpfen und ihm die Sachlage erklären müssen.

Es war Bran gelungen, den Besitz zu retten. Das Anwesen warf wieder Gewinn ab und konnte allen finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Der Park war gepflegt, die Ställe bestens organisiert. Der erwirtschaftete Ertrag floss in einen Fonds, der Winderton drei Prozent Zinsen einbrachte, das war Brans Geschenk an sein Mündel. Doch nun näherte der Duke sich rasch seiner Volljährigkeit und würde die Verantwortung für den Besitz übernehmen müssen, ob er nun dafür bereit war oder nicht.

Ein Stallbursche wartete bereits, um Orion und das andere Pferd in Empfang zu nehmen. Randall führte Bran ins Haus und die Treppe hoch zu den Privaträumen der verwitweten Duchess of Winderton.

Lucy trug noch ihren schwarzen Morgenrock und die Spitzenhaube. Bei Brans Eintritt sprang sie auf. Sie war eine attraktive Frau für ihr Alter. Inzwischen zogen sich ein paar graue Strähnen durch ihr dunkles Haar, und ihre Figur war üppiger als zur Zeit ihrer Ehe. Sie schob ihren größeren Appetit wie auch alles andere darauf, dass sie Trost in ihrer Einsamkeit brauchte. Bran fand, dass die zehn oder zwölf zusätzlichen Pfunde ihr gut standen. Beide Geschwister hatten die „silbernen“ Augen der Balfours.

Sie stürzte sich förmlich auf ihn. „Ich habe dir meine erste Nachricht gestern am späten Vormittag geschickt. Du hättest schon abends hier sein müssen.“

„Ich musste an einer Sitzung teilnehmen, wegen der Brücke …“

„Die Brücke. Die Brücke!“, wiederholte sie spöttisch. „Ich habe diese Brücke so satt, vor allem, wenn ich dich hier brauche. Christopher braucht dich hier.“

„Ich habe Christopher vor ein paar Wochen in London getroffen. Es war alles in Ordnung mit ihm.“

„Jetzt ist nicht alles in Ordnung mit ihm.“ Wild gestikulierend lief sie auf und ab. „Du musst ihn zur Vernunft bringen, denn auf mich hört er nicht. Und erzähl mir bloß nicht, dass du nach Smythson geeilt bist, denn ich weiß genau, dass du heute Morgen mit deinen Kumpanen jagen warst. Der Bund der Rationalen Männer! Wenn du mich fragst, ist das nichts anderes als ein Vorwand für erwachsene Männer, sich zu benehmen wie kleine Jungen.“ Lucy war ein bedeutendes Mitglied der Matronen von Maidenshop. „Aber dass du sie deiner eigenen Schwester vorziehst …“ Unmutig stieß sie einen Laut aus, bevor sie weiterschimpfte. „Und versuch gar nicht erst zu leugnen, denn genau das hast du heute getan.“

Bran konnte ihr Herumgerenne keine Sekunde länger ertragen. Er fing sie ein und führte sie zu dem Ohrensessel, der vor dem kalten Kamin stand. Als sie saß, ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder. „Die Jagd war vor Tagesanbruch“, erklärte er ruhig. „Ich nahm an, dass du noch schläfst.“

„Ich konnte nicht mehr schlafen, seit Christopher mir sagte, was er getan hat. Es war grässlich, Brandon. Grässlich!“ Ihre Augen füllten sich mit dicken Tränen, die ihr über die Wangen rollten. Prompt rötete sich ihre Nase. Lucy war nie hübsch gewesen, wenn sie weinte.

Bran zog sein Taschentuch hervor und reichte es ihr. „Jetzt bin ich ja hier, Lucy.“ Er sprach ruhig und kontrolliert. „Was hat seine Gnaden denn angestellt, um dich in solche Aufregung zu versetzen?“

Lucy senkte das Taschentuch und rang sichtlich um Beherrschung. „Er sagt … dass er eine Schauspielerin heiraten will.“

Einen Moment lang dachte Bran, er hätte sich verhört.

Da er stumm blieb, erging sie sich in weiteren Details. „Er hat eine Schauspielerin getroffen, und er schwört, dass sie die Frau ist, auf die er sein ganzes Leben lang gewartet hat. Die er unbedingt haben muss. Er behauptet, sein Herz stünde in Flammen für sie.“

Wortlos erhob sich Bran, außerstande, eine Antwort zu geben, die Lucys Gefühle schonen würde. Um Zeit zu gewinnen, zog er einen hochlehnigen Stuhl zum Sessel seiner Schwester und ließ sich etwas umständlich darauf nieder. „Eine Schauspielerin“, wiederholte er schließlich in neutralem Ton.

Lucy nickte so nachdrücklich, dass die schwarzen Bänder ihrer Haube hüpften.

„Du hast mir mehrere Boten geschickt und mich praktisch verfolgen lassen, während ich versucht habe, mich auf die wichtigste Sitzung meines Lebens vorzubereiten, weil Christopher sich in eine Schauspielerin verguckt hat?“

„Nicht einfach nur ‚verguckt‘. Er will sie zu seiner Duchess machen.“

Sie klang so ernsthaft.

Plötzlich konnte Bran nicht mehr an sich halten. Er lachte laut los. Ein ehrliches, herzhaftes So-ist-nun-mal-das-Leben-Gelächter. Ihre beleidigte Miene brachte ihn zur Vernunft. „Lucy, er ist fast einundzwanzig. Natürlich will er eine Schauspielerin. Das wollen wir alle irgendwann.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht einfach nur ein Flirt. Er hat mir mitgeteilt, dass er vorhat, diese Frau zu heiraten.“

„Das wird er nicht tun.“

„Er sagte, er wird es tun.“

„Lucy, er ist zwanzig. Er sagt viel, wenn der Tag lang ist.“

„Du hättest ihn sehen sollen, Brandon. Es war, als ob er, während er mir all das unterbreitete, zum Mann wurde.“

Gleichmütig zuckte Bran mit den Schultern. „Er hat noch so einiges zu lernen, bis er ein Mann ist. Eine Schauspielerin könnte ihm dabei helfen.“

Sie zog die Brauen zusammen. „Ich will sie nicht in der Nähe meines Sohnes haben.“

„Das sagt jede Mutter seit Anbeginn der Zeiten.“

„Hör auf, mich von oben herab zu behandeln.“ Lucy drehte das Taschentuch zu einer feuchten Wurst. „Ich kenne meinen Sohn. Er ist völlig hingerissen und wird eine Dummheit machen, wenn wir diese Frau nicht vertreiben. Nicht nur, dass sie Schauspielerin ist, sie ist auch noch älter als er.“

Je länger diese Unterhaltung andauerte, desto weiser kam ihm sein Neffe vor. Bran täuschte ein Stirnrunzeln vor, um sein Grinsen zu überspielen. „Na schön, ich rede mit ihm.“

„Er wird nicht zuhören.“ Sie sprach mit ihm, als wäre er ein Kind. „Diese Frau hat ihn verhext.“

„Seit wann kennt er sie denn? Als wir uns in London getroffen haben, hat er keine Frau erwähnt.“

„Seit gestern.“

Er starrte sie wie vom Donner gerührt an und schüttelte den Kopf. „Seit gestern?“ Mars und Thurlowe würden ihm die Geschichte nie glauben. „Lucy, er hat sie gestern kennengelernt und war vom Fleck weg verhext? Und das nimmst du ihm ab? Dafür bist du doch zu klug!“

„Du hättest ihn hören sollen. Er ist nicht er selbst.“ Vor Entrüstung wurde sie ganz rot.

„Und wie hat er diese Frau gestern getroffen?“ Bran bemühte sich, seine Skepsis zu verbergen. Es gelang ihm nicht.

„Er ist auf der Straße einer Schauspieltruppe begegnet. Ihre Kutsche hatte eine Panne, und er bot seine Hilfe an. Er sah sie und hat sich verliebt. Er sagt, es ging so schnell …“, sie schnippte mit den Fingern. „Und dass es nichts gibt, was er nicht für sie tun würde.“

Bis er sie in seinem Bett gehabt hat, dachte Bran, behielt diese Meinung aber klugerweise für sich. In Wahrheit empfand er sogar eine gelinde Erleichterung, dass sein Neffe kein willenloses Muttersöhnchen war. Bei ihrem jüngsten Treffen hatte Bran seiner Gnaden sogar vorgeschlagen, die Saison in London zu verbringen. Der Titel brachte Verantwortlichkeiten mit sich, mit denen umzugehen der Duke lernen musste, und das würde er nicht, solange er sich in Maidenshop den Wünschen seiner Mutter fügte.

Bran tätschelte seiner Schwester die Hand. „In Ordnung. Ich rede mit ihm.“

„Er wird nicht zuhören“, wiederholte sie. „Ich habe geredet und geredet. Wir müssen sie auszahlen. Ihr Geld geben, damit sie verschwindet. Das ist der einzige Weg, ihn von ihr fernzuhalten. Wirklich, Brandon, er benimmt sich wie ein Besessener. Bei seinem Aufbruch hat er gesummt.“

„Du nimmst das Ganze zu ernst.“ Bran hatte nicht vor, gutes Geld an eine Schauspielerin zu verschwenden. „Das ist der normale Lauf der Dinge für einen jungen Mann. Praktisch so was wie ein Intitiationsritus.“

„Versuchst du, mich zu beruhigen? Es gelingt dir nicht.“

„Na gut“, erwiderte Bran geduldig. „Ich selbst war einmal in eine Schauspielerin verliebt. Hals über Kopf, mit Leib und Seele, und wie du siehst, habe ich es überlebt.“ Wenn auch nur mühsam … Aber das brauchte sie nicht zu wissen. Ohne diese Schauspielerin hätte er niemals eine Stelle bei der Ostindien-Kompanie angenommen. Er war buchstäblich ins Exil gegangen, um nicht mehr in ihrer Nähe sein zu müssen.

Damals war er, wie ihm nun klar wurde, ebenfalls etwas naiv gewesen, wie Winderton heute. Seine Schauspielerin hatte tatsächlich einen Mann aus ihm gemacht. Wer weiß, vielleicht konnte diese hier ja das Gleiche für seinen Neffen tun. Die Frau, in die er seinerzeit so verliebt gewesen war, hatte ihn auf jeden Fall auf den Kurs gebracht, der ihn zu einem sehr reichen Mann machte. „Er wird das unbeschadet überstehen, Eure Gnaden. Ganz bestimmt.“

Sie biss auf ihre zitternde Unterlippe. „Ich dachte, hier wäre Christopher sicher vor dieser Sorte Frau.“

„Ist das der Grund, warum du ihn nicht ziehen lassen willst?“

„Sein Vater ist gestorben. Der Junge braucht eine leitende Hand.“

„Thomas ist vor fast vier Jahren gestorben“, sagte Bran ruhig. „Das kann nicht länger als Vorwand herhalten, Christopher hier unter deiner Fuchtel zu halten. Junge Männer müssen ihre eigenen Lektionen lernen, und oft lernen sie durch ihre Fehler. Wenn du ihn nicht gehen lässt, dann wird er eben solche Dummheiten begehen wie eine Schauspielerin zu seiner Duchess zu machen.“

„Dieser Typ Frau ist furchtbar.“

„Er erfüllt seinen Zweck.“

Ihrerseits in kindische Verhaltensweisen zurückfallend, legte Lucy die Hände über die Ohren und schloss die Augen. „Ich will das nicht hören. Ich wünschte, Thomas wäre noch am Leben. Ich wünschte, nichts hätte sich geändert.“

„Nichts bleibt für immer gleich, Lucy.“ Auch wenn er sich im Laufe der vergangenen drei Jahre wer weiß wie oft nach Indien zurückgewünscht hatte, wo niemand sein Talent, seine Intelligenz oder seine Verbindungen anzweifelte, anders als hier, wo er Mühe hatte, sich einen Namen als Architekt und Ingenieur zu machen.

Flehend legte sie eine Hand an seinen Arm. „Bitte, zahl sie aus. Habe ich so viel Geld?“

„Schon. Aber es wird dir an anderer Stelle fehlen, wenn du es dafür ausgibst.“

„Tu es.“

„Na schön.“

Erleichtert atmete sie aus. „Danke.“

„Wo findet sich diese Schauspielerin, und hat sie einen Namen oder soll ich einfach jede Aktrice der Truppe befragen?“

„Kate Addison. Die Truppe befindet sich hier auf dem Anwesen. Christopher hat diesen Leuten unser Land zur Verfügung gestellt, kannst du dir das vorstellen? Sie lagern nahe der Cambridge Road.“

Seine Schwester gab weitere Richtungsanweisungen und Bedenken von sich, doch Bran hörte nicht mehr zu. Kate Addison? Erinnerungen, die er verdrängt und von Bedauern sicher umschlossen wähnte, überfluteten ihn.

Und von einer Sekunde auf die andere strömte alles wieder mit Macht auf ihn ein.

Wie viele Kate Addisons konnte es auf der Welt geben? Vor allem unter Schauspielerinnen?

Vielleicht hatte er sich ja verhört?

Vielleicht war das ja die Krönung all seiner Enttäuschungen und Missliebigkeiten der vergangenen vierundzwanzig Stunden? Vielleicht war das Universum ja bestrebt gewesen, ihn darauf vorzubereiten, einen Namen zu hören, den er um jeden Preis aus seinem Leben hatte verbannen wollen …?

„Brandon, hörst du mir überhaupt zu?“

„Ich … höre“, log er. Und fügte hinzu, weil er es einfach wissen musste: „Wie viel älter als Winderton ist sie denn?“

„Oh Gott, ich weiß nicht. Ich habe nicht viele Fragen gestellt. Er musste nur sagen, dass sie älter ist, denn, du liebe Zeit, welcher Mann will schon eine Frau, die älter ist als er selbst, frage ich dich. Gestern Abend meinte er, er würde mit ihr zum Cotillion gehen. Brandon, ich weiß nicht, was ich mache, wenn er heute Abend mit dieser unerzogenen Person zum Ball erscheint und sie unseren Freunden aufdrängt.“

„Keine Angst, Lucy, das werde ich unterbinden.“ Diesmal schwang keine überhebliche Nachsicht in seinem Ton mit. Wenn diese Schauspielerin tatsächlich jene Kate Addison sein sollte, dann würde sie keinen Fuß in die Tür seiner Familie kriegen. Diese Frau hatte sein Leben auf den Kopf gestellt – und er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass sie Winderton dasselbe antat.

An Rasieren oder eine Runde Schlaf im eigenen Bett war nicht mehr zu denken. „Die Cambridge Road?“

„Ja. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass Christopher jetzt dort ist. Er hat das Haus verlassen und ist noch nicht zurückgekommen …“

Sie redete in die leere Luft hinein. Bran war bereits durch die Tür verschwunden.

2. KAPITEL

Also, ich finde, es wäre besser, wenn der Fuchs hinter einem Fass oder etwas Ähnlichem hervorspringen würde, statt einfach so dahinzuschlendern“, verkündete der Duke of Winderton. Er war ein junger Adonis, hochgewachsen mit kantigem Kinn, grauen Augen, ein bisschen Babyspeck um die Mitte herum … und der unverbrüchlichen Überzeugung, dass seine Meinung für die Welt von Bedeutung war.

Aber das war sie keineswegs, nicht in dieser Welt, wo Kate Addison das Sagen hatte.

Das hier war ihre Truppe. Auf einer sonnigen, von schützenden Bäumen umgebenen Lichtung hatten sie und ihre Schauspieler eine Art Bühne für ihre Proben markiert. Später würden sie aus den Brettern, die sie stets mit sich führten, eine ordentliche Plattform für ihre Vorstellung errichten. Das Stück stammte aus ihrer eigenen Feder, es basierte auf Äsops Fabeln, und sie hatten es schon ungezählte Male gespielt, ohne auch nur ein einziges Mal die Meinung eines Außenstehenden zu benötigen, ob Duke oder nicht.

Doch der Ort, den er ihnen zur Verfügung gestellt hatte, gefiel ihr. Wenn der Karren der Truppe schon zusammenbrechen musste, dann war diese Lichtung ein guter Platz dafür. Sie lag an einer Hauptstraße, und zwischen den Bäumen verlief ein Pfad, der als natürlicher Zuschauereingang dienen konnte. Außerdem befanden sie sich in einer offensichtlich wohlhabenden Region.

Die Zelte waren aufgestellt. Das größere enthielt die Truhen mit sämtlichen Utensilien ihres Gewerbes, außerdem standen dort die Pritschen der Männer. Das kleinere Zelt am Rande der Lichtung war den Frauen vorbehalten. Bei den meisten Theatertruppen schliefen alle Mitglieder in einem Quartier, doch Kate, die jahrelange Erfahrung damit hatte, ihr Privatleben mit Schauspielerkollegen zu teilen, bestand auf einer Trennung nach Geschlechtern.

Neben dem Hauptzelt war hastig eine provisorische Koppel für Melon zusammengezimmert worden, einen Klepper von zweifelhafter Herkunft, der schon lange und hart für sie arbeitete. Kate stellte stets sicher, dass Melon bestmöglich versorgt war.

Ihre Theatertruppe war nicht übermäßig groß. Vier Männer, zwei Frauen und Kate. Jeder hatte seine eigene Geschichte, die ihn zu Kate gebracht hatte. Nestor war früher verspottet worden, weil er Ire war, und er konnte nur die kleinsten Rollen ergattern. Er vertraute darauf, dass Kate ihn besser behandeln würde, und er behielt recht.

Mary, die sich auch als Gewandmeisterin um die Kostüme kümmerte, war eine der besten Schauspielerinnen, denen Kate je begegnet war, doch man hatte ihr bei ihrer vorigen Truppe gute Rollen vorenthalten, sofern sie nicht auf die lüsternen Wünsche der Männer einging. Außerdem hatte man ihr nur einen Bruchteil dessen bezahlt, was ihr zustand. Die Kerle behandelten sie wie ihre Hure. Doch als Hure hätte sie deutlich mehr Geld verdient.

Dann war da noch der junge Robbie, der von einem brutalen Armenhausaufseher vermutlich totgeprügelt worden wäre, wenn Kate ihn nicht gerettet hätte.

Jess war eine ehemalige Milchmagd, mit reizenden Gesichtszügen und einer dieser goldblonden Mähnen, die von den Männern so bewundert wurden. Als sich herausstellte, dass sie schwanger war, setzte ihr Herr sie vor die Tür. Sie verlor das Baby und schlug sich als Dirne in Manchester durch, wo Mary sie fand und zu Kate brachte.

John war der Ruhigste in der Gruppe. Er hatte sich ihr angeschlossen, als sie noch dabei war, die Truppe zu gründen, und war ihr seither nicht mehr von der Seite gewichen.

Und zu guter Letzt gab es Silas, ein ehemaliger Soldat und Kates engster Vertrauter. Silas hatte schon zu ihrer vorigen Kompanie gehört und war bereitwillig mitgegangen, als sie ihm mitteilte, dass sie es auf eigene Faust versuchen wollte. Das war jetzt fünf Jahre her, und nun waren sie hier, auf dem Weg nach London. Oder vielmehr: Sie würden auf dem Weg nach London sein, sobald sie es sich leisten konnten, den Wagen reparieren zu lassen.

Und wenn sie es vermeiden konnte, einen Duke zu erwürgen.

Die Darsteller, die gerade nicht probten, lungerten müßig herum und verfolgten mit mehr als flüchtigem Interesse, was sich zwischen ihr und dem ungebetenen Gast abspielte. Kate, die für ihre scharfe Zunge berüchtigt war, bemerkte die verstohlenen Blickwechsel und spöttischen Mienen. Ihre Leute wussten, dass sie sich, anders als sie es ihnen gegenüber tun würde, mit ihrer Meinung zurückhielt, weil es nie eine gute Strategie war, Einheimische, die zudem wichtig waren, zu beleidigen.

Außerdem war der Duke wirklich großzügig gewesen. Er hatte seine eigenen Dienstboten damit beauftragt, das gebrochene Fuhrwerk zum Stellmacher zu schleppen, damit es repariert werden konnte. Und sie hatte in seinen Ställen für sehr wenig Geld Futter für den guten Melon kaufen können. Sie hatten ihre Bühne auf seinem Land aufgeschlagen, wofür er ihnen nichts berechnete. Dafür wollte er allerdings etwas deutlich Wertvolleres – sie sollte seine Anwesenheit tolerieren.

Wusste sie, dass er sich als ihren Retter betrachtete? Dass er in sie verliebt war?

Oh ja. Unglücklicherweise.

Er war keineswegs der Erste, mit dem sie behutsam und taktvoll umgehen musste, aber es war immer eine schrecklich lästige Situation. Kate war viel zu beschäftigt, um sich auf diese Weise mit männlichem Stolz abzugeben. Das war eines der größten Ärgernisse ihres Lebens. Manchmal war sie kurz davor, den Betreffenden seiner Wege zu schicken, mit einem „Ja, ja, ich weiß, dass Sie mich küssen wollen, aber das können Sie vergessen!“ Auf höfliche Andeutungen reagierten die Männer nie, vor allem die jungen nicht.

Und Dukes, denen man etwas schuldig war, ließen sich noch schwerer abhängen. Sie musste nett zu Winderton sein, zumindest so lange, bis der Wagen startklar war und sie sich wieder auf den Weg in die Stadt machen konnten. Für das Debüt ihrer Truppe in London hatte sie bereits Drury Lane angemietet. Der Termin war in sieben Wochen, und sie war wild entschlossen, ihn einzuhalten – und wenn sie ihre sämtlichen Besitztümer eigenhändig dorthin tragen müsste.

Vor fünfzehn Jahren, als ihre Karriere gerade begann, Fahrt aufzunehmen, hatte ein entsetzlicher Betrug dazu geführt, dass sie London entehrt und ruiniert verlassen musste. Das Schauspielern gab sie nicht auf, dazu war die Sehnsucht, auf der Bühne zu stehen, zu tief in ihrer Seele verankert. Aber um London hatte sie seither einen Bogen gemacht.

Doch das Leben neigte mitunter dazu, aus Unrat Gold zu machen. Vergangenes Jahr hatte ihr Bruder durch Heirat mit einer Erbin den Titel eines Dukes erhalten. Kate war zur Hochzeit nach London gereist, und bei dieser Gelegenheit war ihr klar geworden, dass das Rad der Zeit sich weitergedreht hatte. Diejenigen, die sie damals so verletzt hatten, waren nicht mehr da. Sie konnte also zurückkehren, wenn sie den Mut dazu aufbrachte – und das tat sie.

Seit dieser Hochzeit malte sie sich aus, ihre Truppe nach London zu führen. Sie hatte dafür geplant und gespart. Dies war ihre zweite Chance, sich einen Traum zu erfüllen, den sie schon in Kindheitstagen gehegt hatte und der weiter unauslöschlich in ihr brannte. Und nichts und niemand würde sie aufhalten. Weder ein liebeskranker Duke noch eine gebrochene Achse und auch nicht die Tatsache, dass ihr Hauptdarsteller Arlo Durbin mitten in der Nacht mit der örtlichen Pfarrerstochter und der Reisekasse durchgebrannt war.

Sie platzte fast vor Wut über Arlos Treuebruch, aber andererseits – welchem Mann konnte man schon trauen?

Also würde sie machen, was sie immer machte – aufstehen, den Staub von ihren Röcken klopfen und weitergehen.

Natürlich könnte sie ihre Familie um Hilfe bitten. Ihr Bruder verfügte jetzt über ein großes Vermögen, und er war immer großzügig gewesen, auch als er noch arm war. Aber das würde sie nicht tun. Kate hatte ihren Stolz. Außerdem wollte sie es aus eigener Kraft schaffen. Sie war heute älter, weiser und härter im Nehmen als das junge Mädchen, das so dumm gewesen war, an die Liebe zu glauben. Die vergangenen Jahre hatten ihren Instinkt geschärft. So schnell hielt sie kein Mann mehr zum Narren, was Arlos Diebstahl und Betrug nur umso bitterer machte.

Glücklicherweise war Kate Optimistin, vor allem, wenn sie ein lohnendes Ziel vor Augen hatte. Maidenshop hatte genau die richtige Größe für ihre Aufführungen. Sie konnten hier in ein bis zwei Wochen ein ordentliches Sümmchen verdienen. Und dann eben weiterziehen nach London, in Richtung Triumph.

Allerdings nur, wenn sie nicht die Beherrschung verlor und diesen jungen Duke erwürgte.

„Hier, sehen Sie?“ Winderton ging zu seinem imaginären Fass und tat so, als wäre er ein Fuchs, der dahinter hervorspäht. Ein fürstlich gekleideter Fuchs in maßgeschneidertem Gehrock, der Kate anlächelte, als müsste sie ihm einfach zustimmen.

Was sie keineswegs tat. Nestor, der eigentliche Interpret der Rolle von Mr. Fox, stand hinter dem Duke und mokierte sich mit rollenden Augen über dessen Ernsthaftigkeit.

Seit Winderton sich gestern so hartnäckig an Kate gehängt hatte, neckten die Schauspieler sie gnadenlos damit, dass der Junge ihr nur an die Wäsche wollte – so redeten Schauspieler nun mal, und Nestor selbst hatte es versucht, bis Kate ihn energisch in die Schranken verwies.

Niemand ging ihr an die Wäsche. Die Macht einer Frau beruhte darauf, dass sie die Kontrolle besaß. Erotische Begegnungen brachten dieses Gleichgewicht durcheinander. Diese Lektion hatte sie auf die harte Tour gelernt.

Sie rang sich ein freundliches Lächeln ab. „Eine interessante Idee, Euer Gnaden … Allerdings kann Mr. Fox nicht hinter einem Fass hervorspringen, weil er auf der anderen Seite der Bühne benötigt wird. Mit dem ‚Dahinschlendern‘ bezweckt er, sich genau dorthin zu begeben.“

Eine Hand unters Kinn gelegt, ließ Winderton sich ihre Bemerkung durch den Kopf gehen. „Nun, Mr. Fox könnte auf der Seite der Bühne herumlaufen, wo das Fass steht“, sagte er dann. „Ich finde unbedingt, dass er dort drüben sein sollte.“

Kates Stimme klang jetzt zuckersüß, ein deutliches Warnsignal an alle, die sie kannten, dass ihr langsam der Geduldsfaden riss. Das war ihre Truppe. Die sie aus dem Nichts aufgebaut hatte. Die einzige Meinung, die hier zählte, war ihre. „Ein exzellenter Vorschlag, Euer Gnaden. Allerdings würde das Publikum nicht glauben, dass Mr. Fox, wenn er sich dort aufhielte, wo Sie es bevorzugen, nicht mitkriegen würde, was die Krähen machen.“ Sie deutete mit dem Kopf auf Thomas und Robbie. Die trugen keine Kostüme, flatterten aber demonstrativ mit den Armen, um zu zeigen, dass sie Vögel waren.

„Aber wenn er hinter einem Fass wäre …“

„Dann würden die Krähen ihn trotzdem sehen.“

„Ah …“, bemerkte der Duke einsichtig.

„Danke“, erwiderte Kate. „Nestor, dein Text …“

„Der ist ebenfalls ein Problem“, unterbrach Winderton sie. „Ich möchte ja nicht Ihre Autorität untergraben …“

Warum tust du es dann? hätte Kate am liebsten gebrüllt. Sie lächelte mit zusammengebissenen Zähnen.

„… Wäre es nicht besser, wenn der Fuchs etwas direkter agieren würde?“ Um zu verdeutlichen, was er meinte, warf der Duke sich in die Brust und trommelte mit einer Faust darauf herum. „Statt uns zu erzählen, was die Krähen machen, sollte er einfach schreien: ‚Hinfort mit euch!‘ Dann wäre mehr los auf der Bühne. Eine kleine Änderung, aber besser, nicht wahr?“

Eine kleine Änderung?

An ihrem Stück?

Hinter ihr täuschte Silas ein Niesen vor und begleitete das schnaubende Geräusch mit den Worten „Pass bloß auf“.

Ja, pass bloß auf.

Bevor sie sich dazu hinreißen ließ, den Duke mit ihrer scharfen Zunge zu zerstückeln und zum Mittagessen zu servieren.

Sie merkte, dass sie ihre in den Falten ihrer Röcke versteckten Hände zu Fäusten geballt hatte, und zwang sich dazu, die Finger zu entspannen. Winderton wusste nicht, dass er lächerlich war. Er glaubte wirklich, hilfreich zu sein. Er glaubte, dass er das Recht hatte, hilfreich zu sein …

Pass bloß auf, pass bloß auf, pass bloß auf.

Sie nickte Silas zu, als Zeichen, dass seine Botschaft angekommen war. Aus dem letzten Dorf, in dem sie gastiert hatten, waren sie vertrieben worden. Der Pfarrer war nicht glücklich darüber gewesen, dass Arlo ihm die Tochter geraubt hatte. Sie konnten sich nicht leisten, dass so etwas noch einmal vorkam.

Trotzdem, sie konnte jetzt nicht nachgeben.

„Interessante Anregung, Euer Gnaden“, säuselte sie in dem beinahe unterwürfigen Ton, den Männer so mochten. „Ich wage kaum, Ihnen nahezubringen, dass Nestors Textzeile über die Krähen, denen man nie trauen kann, mit Ihrer sehr passenden und interessanten Änderung überhaupt keinen Sinn mehr ergeben würde. Wir müssen das große Ganze im Auge behalten, da stimmen Sie mir doch sicherlich zu?“

Autor

Cathy Maxwell
Cathy Maxwell beschäftigt sich am liebsten mit der Frage, wie und warum Menschen sich verlieben. Obwohl sie bereits über 35 Romane veröffentlicht hat, bleibt die Liebe für sie weiterhin eines der größten Mysterien! Um weiter zu diesem Thema zu forschen, verlässt sie gerne ihr gemütliches Zuhause in Texas und reist...
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