Damals, heute – jede Nacht?

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Fünf Jahre ist ihr unvergesslicher One-Night-Stand mit Grant jetzt her. Zwar hat Harley sich seitdem am anderen Ende der Welt eine neue Existenz aufgebaut, doch nun kehrt sie zurück nach Texas. Sie ahnt: Die Stunde der Wahrheit ist gekommen! Noch immer schlägt ihr Herz viel zu schnell, wenn sie Grant in die Augen sieht, und wie damals genügt eine zarte Berührung von ihm, um ihre Lust zu wecken. Aber etwas hat sich geändert: Harley hat inzwischen einen vierjährigen Sohn, der ihrem Ex-Lover wie aus dem Gesicht geschnitten ist!


  • Erscheinungstag 20.07.2021
  • Bandnummer 2194
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503754
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich muss schon sagen, ich bin richtig schockiert, dich hier zu sehen.“ Rose Everett-Schuster musterte Grant mit ihrem berühmten durchdringenden Blick.

„Ich habe eine Kiste 2014er Château Pierre de Dupré Medoc für die Weinverkostung gestiftet“, gab Grant Everett zurück. Er wusste, dass seine Schwester stets nur noch neugieriger wurde, wenn man ihr auswich. Deshalb bemühte er sich um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck, obwohl sein Herz schneller schlug, als er ihre hochgezogenen Augenbrauen bemerkte. „Und einen 2016er Château Margaux Bordeaux für die Versteigerung.“

Die Party mit Weinverkostung, Modenschau und einer sogenannten stillen Auktion wurde von Beth Wingate für ihre jüngere Schwester Harley gegeben. Genauer gesagt sollten die Einnahmen der internationalen Wohltätigkeitsorganisation Zest zugutekommen, die Harley gegründet hatte. Jeder, der in Royal, Texas, etwas auf sich hielt, war gekommen.

„Ich glaube nicht, dass eine Kiste Wein der einzige Grund ist, weshalb der führende Kinderwunschspezialist der Stadt seinen Elfenbeinturm verlässt und sich unter die Leute mischt“, sagte Rose. „An dieser Wohltätigkeitsveranstaltung muss noch etwas anderes dran sein.“

Grant verfluchte sich leise dafür, ausgerechnet zu dieser Party gegangen zu sein, wo er doch sonst nie eine von Roses Einladungen zu Wohltätigkeitsveranstaltungen annahm. Er hatte einfach keine Geduld für große Menschenansammlungen und Small Talk, sondern leistete seinen Beitrag zum Wohl der Menschheit lieber mit einem Scheck. Wie sollte er also seiner Schwester erklären, weshalb er hier war, ohne ihr zu verraten, warum ihm Harleys Wohltätigkeitsorganisation seit der Gründung vor drei Jahren so am Herzen lag?

„Es ist ein guter Zweck“, gab er zurück.

„Das ist es immer.“ Rose ließ nicht locker und versuchte stur, ihm ein Geständnis abzuringen. „Das einzig Besondere an dieser Party ist, dass sie Zest, also Harley Wingates Organisation, zugutekommt.“

„Was meinst du damit?“, fragte Grant und musterte seine Schwester misstrauisch. Obwohl Rose immer den neuesten Klatsch über die wohlhabenden Familien in Royal kannte, vermutete er, dass sie ihn nur aus der Reserve locken wollte. Sie konnte unmöglich wissen, was er für die jüngste Tochter der Wingates empfand. Das wusste er ja selber kaum.

„Dass es um eine gewisse verlorene Tochter geht, die nach ihrem mysteriösen Verschwinden ins Ausland erst unlängst wieder aufgetaucht ist.“

„Ach wirklich?“ Das klang wenig überzeugend, und am scharfen Blick seiner Schwester erkannte Grant, dass er sie nicht hinters Licht führen konnte.

„Du weißt schon“, bohrte Rose weiter. „Die Frau, mit der du nach dem TCC-Ball vor fünf Jahren verschwunden bist? Mit der du damals das Wochenende verbracht hast.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

Roses Lippen kräuselten sich zu einem zufriedenen Lächeln über das, was sie aus seinem Gesichtsausdruck zu lesen schien. „Alle haben sich gefragt, warum Harley Royal ein paar Wochen später so überstürzt verlassen hat.“

„Das hatte nichts mit mir zu tun“, erwiderte Grant und bemerkte zu spät, dass er sich mit diesen Worten verraten hatte. Normalerweise ließ er sich von den Sticheleien seiner Schwester nicht beeindrucken, aber er bereute, was damals mit Harley passiert war und wie er sich bei ihrem letzten Treffen benommen hatte.

„Du hast dich verändert, nachdem sie weg war.“

„Wie denn?“

„Du hast Paisley geheiratet“, fuhr Rose versöhnlicher fort. „Und nachdem du bemerkt hast, dass das ein Fehler war, hast du dich nur noch in deine Arbeit gestürzt.“

Beim Namen seiner Ex-Frau kippte Grant seinen Scotch hinunter und verzog das Gesicht, als der Alkohol in der Kehle brannte. Es war zwar erst sein zweiter Drink, aber er war ja auch noch nicht lange da, und er hatte schnell getrunken. Daher spürte er genau, wie der Alkohol seine Sinne betäubte, sodass er kaum mehr in der Lage war, seinen inneren Schmerz mit plausiblen Ausflüchten vor seiner Schwester zu verbergen.

Er wandte sich von Rose ab und ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Ich möchte nicht über Paisley sprechen.“

Während seiner dreijährigen Ehe waren Grant seine Schwächen in Sachen Beziehung nur allzu deutlich geworden. Er hatte bald aufgehört zu zählen, wie oft Paisley ihn beschuldigt hatte, herzlos zu sein und sie nie wirklich geliebt zu haben. Er hatte sich auch nie dagegen verteidigt. Er hatte sie geheiratet, weil sie attraktiv war und eine angemessene Arztgattin abgab. Sie glaubte hingegen, ihn mit ihrer Liebe zu dem Familienmenschen machen zu können, den sie brauchte. Als er das bemerkt hatte, war es zu spät, und er war vor ihrer erdrückenden Zuneigung zu seiner Arbeit in die Klinik geflohen.

„Ich weiß, du hasst es, zu scheitern, und deine Ehe ist dein wunder Punkt“, sagte Rose leise. „Ich hoffe nur, du begreifst, dass es mit der richtigen Frau ganz anders sein kann.“

Grant schüttelte den Kopf und wünschte sich, seine Schwester würde einsehen, dass er nie ein guter Ehemann und Vater sein konnte. Er stellte nun einmal seine Arbeit über alles und musste sich damit zufriedengeben, die Träume anderer Familien zu erfüllen.

„Ich muss sagen, ich bin beeindruckt.“ Eine zartgliedrige Frau mit dunklen Haaren stand plötzlich neben Rose und bot eine willkommene Ablenkung. Henrietta Sinclair deutete auf den Laufsteg und das helle Sommerkleid, das gerade vorgeführt wurde. Die Frauen von Zest hatten es hergestellt. „Die ganze Kollektion ist wunderschön und so gut verarbeitet.“

„Es ist alles aus Bio-Baumwolle und mit Pflanzenextrakten gefärbt“, sagte Rose und deutete auf die Broschüre in ihrer Hand.

„Da hat Harley Wingate etwas Tolles aufgebaut“, sagte Henrietta. „Ihre Familie sollte stolz auf sie sein.“

„Ja“, antwortete Rose. „Aber ich kann mir vorstellen, dass niemand gedacht hätte, dass sie es zu etwas bringt. So wie sie war, bevor sie weggegangen ist.“

Roses letzte Bemerkung traf Grant ins Mark, und er nutzte die Gelegenheit, um sich zu entschuldigen. Als er durch die Menge wanderte, bemerkte er, dass viele Gäste überrascht zu sein schienen, ihn zu sehen. Er war zwar wegen seiner wohltätigen Spenden und auch als Kinderwunschspezialist und Mitglied des Texas Cattleman’s Club bekannt. Seit seiner Scheidung hatte er jedoch nur eine Handvoll Veranstaltungen besucht, und nun erregte er Aufsehen.

Er war sich sicher, dass niemand außer Rose erraten hatte, weswegen er hier war. Nämlich wegen Harley Wingate. Sie war die Frau, derentwegen er sich bei dem schicksalhaften Ball des Texas Cattleman’s Club so völlig untypisch verhalten hatte. Die beiden Freunde, mit denen er damals dort gewesen war, hatten nichts bemerkt. Dabei hatte sich für ihn alles geändert, als er Harley zum ersten Mal gesehen hatte. Doch er verhielt sich stets diskret – und Harley war dreizehn Jahre jünger als er. Eine wichtige Information, die er damals noch nicht gehabt hatte. Nie hätte er geahnt, dass er so für ein Mädchen empfinden könnte, das gerade mit der Schule fertig geworden war.

Grant schauderte bei dem Gedanken daran, wie er sich gefühlt hatte, als er ihr Alter erfahren hatte. Er hatte ihr gemeinsames Wochenende sofort beendet und sich regelrecht vor der Vorstellung geekelt, eine unschuldige Minderjährige verführt zu haben. Auch wenn er Harley so nicht beschrieben hätte, ganz im Gegenteil. In einem aufreizenden pfauenblauen Kleid, das ihre schlanke Figur betonte, war Harley im vollen Bewusstsein ihrer Wirkung auf ihn über den Ball geschlendert. Als er später noch einmal darüber nachgedacht hatte, war ihm klar geworden, dass sie ihm nachgestellt hatte wie ein Kopfgeldjäger einem gesuchten Verbrecher.

Sie hatte gerade im richtigen Maß mit ihm geflirtet, während sie ihm intelligente Fragen über seinen Beruf und die Wohltätigkeitsarbeit seiner Familie stellte. Er war damals der aufrichtigen Bewunderung in ihren moosgrünen Augen und ihrem verspielten Lächeln erlegen, bei dem sich die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen zeigte.

Auch in den fünf Jahren, in denen sie getrennt gewesen waren, war sein Verlangen nach ihr nicht abgeflaut. Doch jetzt, wo Harley Wingate wieder zu Hause war, musste er sich der großen Frage endlich stellen. Waren die dreizehn Jahre Altersunterschied weniger schlimm, weil sie nun dreiundzwanzig war und er sechsunddreißig?

Grant strich sich über die Schläfen – zu seinem Erschrecken hatte er bereits einige graue Strähnen festgestellt. Doch viele Männer waren mit jüngeren Frauen zusammen, damit hatte er auch kein Problem. Aber die Art und Weise, wie Harley seine Gefühle geweckt hatte, beunruhigte ihn noch immer. Er hatte sich keinerlei Gedanken mehr um irgendwelche Konsequenzen gemacht.

Der Sex war bombastisch gewesen, aber er hatte sich die besondere Chemie zwischen ihnen mit dem Reiz des Verbotenen erklärt. Eine Nacht mit einer schönen Fremden zu verbringen, war nicht gerade angebracht in seiner Position, und doch hatte ihn das nicht abgehalten, als die Zimmertür im Hotel hinter ihnen zugefallen war. Er hatte die nächsten beiden Tage damit verbracht, jeden Zentimeter ihres Körpers zu erkunden und ansonsten keine Fragen zu stellen.

Sie hatte ihm nur ihren Vornamen gesagt, und er hatte sie nicht mit der Familie Wingate in Verbindung gebracht. Selbst nachdem er ihren vollen Namen kannte, passte das schlaksige Mädchen, das er gelegentlich im Texas Cattleman’s Club gesehen hatte, nicht zu der Verführerin, die seine Welt dauerhaft aus den Fugen gebracht hatte.

Fest im Griff des Verlangens nach einer Frau, die so viel jünger war als er, hatte Grant beschlossen, dass er nur deshalb so unvorsichtig gewesen war, weil er sein Privatleben immer vernachlässigt hatte. Kurz nach dem TCC-Ball, auf dem er Harley begegnet war, hatte er begonnen, mit seiner künftigen Frau auszugehen, deren Alter und sozialer Status angemessener waren. Das Scheitern der Ehe bestärkte ihn später in seinem Glauben, dass er nicht als Familienmensch geeignet war.

Vielleicht hätte er Harley nach dem Wochenende noch eine Woche oder einen Monat lang sehen sollen, bis sein Verlangen nach ihr nachgelassen hätte. Das wäre sogar ideal gewesen. Sie hatten sich beide nicht binden wollen. Eine Zeit lang hätten sie vielleicht die Beziehung genossen und sich dann wieder getrennt.

Plötzlich teilte sich die Menschenmenge vor ihm, und da stand Harley nur einige Meter von ihm entfernt, als hätte er sie mit seinen Gedanken herbeigerufen. Die Jahre im Ausland hatten sie ein wenig verändert, und ihr jugendlicher Überschwang war einer strahlenden Eleganz gewichen. Er spürte ihr Unbehagen hinter dem freundlichen Lächeln, als sei es ihr unangenehm, so im Mittelpunkt zu stehen.

Doch während er sie einerseits bedauerte, spürte er gleichzeitig die bekannte Anziehungskraft, die von ihr ausging. Er biss die Zähne zusammen, um Selbstbeherrschung bemüht. Er hatte nie bedeutungslose kleine Affären gehabt. Das impulsive Wochenende mit Harley war eine absolute Ausnahme für ihn gewesen. Nach dem abrupten Ende war er mit vielen offenen Fragen und gemischten Gefühlen zurückgeblieben.

Als sich jetzt ihre Blicke trafen, verspürte er Freude und Ärger zugleich – und ein überwältigendes Gefühl des Begehrens. Doch er musste sich auch eingestehen, dass er immer noch keine Beziehung mit einer Frau eingehen konnte, die dreizehn Jahre jünger war als er. Er wollte Harley Wingate mit jeder Faser seines Körpers, aber er würde nicht wieder den gleichen Fehler machen.

Als sie Grant Everett in die Augen sah, durchfuhr sie der Schreck wie ein Stromschlag. Es fühlte sich anders an als vor fünf Jahren, doch Harley Wingate empfand es nicht weniger heftig.

Am Abend jenes Balls im Texas Cattleman’s Club war sie ein Teenager gewesen, voller Energie und frechem Selbstvertrauen. Sie hatte sich geschworen, dass sie endlich mit einem Mann schlafen würde, der im Bett wusste, was er tat.

Dafür hatte sie Grant ausgewählt, nachdem sie bemerkt hatte, dass ihm mehrere Frauen interessiert hinterherschauten. Seine zur Schau gestellte Gleichgültigkeit war genau die Herausforderung, die Harley gesucht hatte. Sie wollte schaffen, was all diesen wunderschönen Ladys nicht gelungen war, und ihn noch vor Ende des Abends um den Finger wickeln.

Der Abend war zwar nicht genau nach Plan verlaufen, aber die nächsten beiden Tage und Nächte waren wunderbar gewesen, schöner, als sie es sich je erträumt hätte. Unter Grants kundiger Anleitung hatte sie erfahren, wie viel Lust ihr Körper ertragen konnte. Das leidenschaftliche Wochenende zu zweit hatte sie für immer verändert.

Bevor Harley sich entschließen konnte, auf ihn zuzugehen, hatte Grant sich umgedreht und war davongegangen. Sie war bitter enttäuscht.

„Alles in Ordnung?“, fragte Jaymes Owens und sah sie besorgt an.

Harley musste blinzeln, um die Erinnerungen zu vertreiben. Dann sah sie, dass Grant aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Hatte sie sich nur eingebildet, dass er sie erkannt hatte? Sie hatten gerade einmal ein Wochenende miteinander verbracht. Sicher, der Sex war unglaublich gewesen und hatte für all ihre künftigen Verehrer unerreichbare Maßstäbe gesetzt, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie bei ihm weniger Eindruck hinterlassen hatte.

„Klar“, antwortete sie schließlich, nachdem ihre beste Freundin sie in den Arm geknufft hatte. „Wieso?“

„Weil du gerade zusammengezuckt bist. Ist etwa deine Mutter gekommen?“

Harley schauderte. „Wohl kaum.“

„Das kannst du nicht wissen. Vielleicht kommt sie doch noch.“

„Ich hoffe wirklich, dass sie es sich verkneift.“ Jaymes sah sie empört an, doch Harley zuckte nur mit den Schultern. „Die Veranstaltung heute ist sehr wichtig für Zest. Ich will nicht, dass sie mir hier mit ihrer endlosen Kritik und ihren unerwünschten Ratschlägen in den Ohren liegt.“

„Sie will bestimmt nur dein Bestes.“

„Ja, aber nur das, was sie selbst am besten findet.“ Harley kämpfte plötzlich mit den Tränen. „Ich weiß nicht, wie ich denken konnte, dass ich nach fünf Jahren zurückkomme, und alles wäre anders. Ich bin nicht mehr der Mensch, als der ich aus Royal weggegangen bin. Aber alle behandeln mich noch wie die verwöhnte Achtzehnjährige, die ich damals war. Und was noch schlimmer ist, ich verfalle selber in die alten Muster und benehme mich wie ein verzogenes Gör. Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen.“ Harley stieß mit einem dramatischen Seufzer die Luft aus. „Und das ist genau die unreife Einstellung, die ich eigentlich hinter mir lassen wollte.“

Als Jüngste der Familie war sie stets von ihrem Vater und ihren Geschwistern verhätschelt worden. Wenn sie etwas haben wollte, brauchte sie nur so lange zu betteln und zu schmollen, bis sie es bekam. Als ihr Vater kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag einen Schlaganfall erlitt, wurde alles anders. Trent Wingate war mit einem Mal pflegebedürftig geworden, und so übernahm ihre Mutter die Führung. Plötzlich war Harleys Welt nicht mehr so lustig gewesen.

Jaymes legte Harley tröstend den Arm um die Schultern. „Du bist doch erst seit Kurzem wieder da. Gib dir etwas Zeit, dich umzugewöhnen, bevor du dich so fertigmachst.“

„Du hast recht.“ Harley straffte die Schultern und verdrängte die melancholische Stimmung.

„Wenn es nicht deine Mutter war, die dich so aus dem Konzept gebracht hat, wer ist denn dann unerwartet aufgetaucht?“

Einen Moment lang war Harley versucht, ihre Reaktion herunterzuspielen. Aber sie hatte ihrer besten Freundin nie etwas verheimlicht und wollte auch jetzt nicht damit anfangen. „Ich hab Grant gesehen.“

„Echt?“, stieß Jaymes mit aufgerissenen Augen hervor. „Bist du sicher?“

„Ganz sicher.“ Wegen Jaymes’ heftiger Reaktion begann auch Harleys Herz wieder zu wummern. „Ist es ungewöhnlich, dass er sich sehen lässt?“

„Total“, gab Jaymes zurück. „Weißt du, er kommt eigentlich nicht zu solchen Veranstaltungen. Ich wette, er ist deinetwegen hier.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Harley versuchte, ihre zunehmende Erregung zu unterdrücken. Bei dem Gedanken, dass Grant nur gekommen war, um sie zu sehen, wurde ihr schwindelig. „Woher sollte er wissen, dass Zest meine Organisation ist?“

„Ich wette, er weiß es.“

Harley machte eine abwehrende Geste, was jedoch nichts am optimistischen Gesichtsausdruck ihrer Freundin änderte. „Er hat doch bestimmt in den letzten fünf Jahren nicht ein Mal an mich gedacht.“

„Vielleicht ja doch.“

Jaymes hatte ihr mit Rat und Mitgefühl zur Seite gestanden, als sie von ihrem Wochenende mit Grant zurückgekommen war. Harley war wütend gewesen und hatte sich erniedrigt gefühlt, als er sie fortschickte, nachdem er ihr Alter erfahren hatte. Sie hatte auf die Unterstützung ihrer besten Freundin vertraut und Jaymes alles über die Affäre erzählt. Die beiden jungen Frauen hatten sehr unterschiedliche Herangehensweisen an das Leben. Jaymes war ein Fels in der Brandung und ließ sich nur von ihrem Kopf leiten. Harley war dagegen wie ein rauschender Bach, glitzernd und voller impulsiver Ideen. Zum Beispiel sich ins Ausland abzusetzen, als sie bemerkte, dass sie von einem Mann schwanger war, den sie begehrte, der ihr jedoch klargemacht hatte, dass eine Beziehung mit ihr für ihn nicht infrage kam.

Harley schüttelte den Kopf. „Ich war für ihn wahrscheinlich nur eine Kerbe in der Bettkante.“

„Ich muss zugeben, dass ich ihn eigentlich überhaupt nicht kenne“, sagte Jaymes. „Aber alles, was ich über ihn gehört habe, deutet darauf hin, dass er ein Workaholic ist und bisher keine Beziehung hatte, bis auf die mit seiner Ex-Frau. Was zwischen euch passiert ist, war für ihn völlig untypisch.“

„Was meinst du damit?“ Harley hasste es, wie ihr Herz bei der Bemerkung ihrer Freundin zu hüpfen begann.

„Dass das Wochenende sicher aus seinen Erinnerungen hervorsticht.“

„Ja, als etwas, das er nie wieder tun würde“, entgegnete Harley. Ihre Freude verpuffte, als sie sich erinnerte, wie er wenige Wochen nach dem Ball auf einmal mit Paisley Barnes ausgegangen war.

Das Alter und die Eleganz der umwerfenden Blondine hatte er wahrscheinlich viel angemessener gefunden als Harleys Jugend. Er war so angewidert gewesen, als sie ihm am Ende des Wochenendes gesagt hatte, dass sie gerade die High School abgeschlossen hatte. Angebrüllt hatte er sie, dass sie ihn absichtlich vorgeführt habe. Sie hatte sich damals erniedrigt gefühlt wie ein Kind, das erwischt worden war. Und sie hatte sich geweigert zuzugeben, dass es falsch war, sich ihm gegenüber älter gemacht zu haben.

Als sie damals beschloss, Royal den Rücken zu kehren, hatte sie gar nicht so lange fortbleiben wollen. Doch nachdem sie aus dem Schatten ihrer Geschwister herausgetreten war, konnte sie sowohl ihre Stärken als auch ihre Schwächen zum ersten Mal richtig wahrnehmen. Und so war sie weggeblieben, um nicht wieder in alte Muster zu verfallen.

Irgendwann hatte sie aber doch entschieden, dass sie sich ihren Ängsten stellen musste, um zu zeigen, dass sie reifer geworden war. Trotzdem graute ihr davor, Grant an diesem Abend noch einmal zu begegnen. Auch wenn sie durch ihre Mutterschaft in dem halben Jahrzehnt seit ihrer letzten Begegnung schnell erwachsen geworden war, lagen immer noch dreizehn Jahre zwischen ihnen. War es naiv, zu hoffen, dass er anerkennen würde, was sie erreicht hatte?

Einen Moment lang überwog der Stolz. Am Anfang hatte sie gar nicht darüber nachgedacht, wie erfolgreich ihre Organisation wohl sein würde. Ihr war lediglich aufgefallen, dass die meisten Menschen keine Almosen wollten, sondern Unterstützung dabei, selbst etwas zu erreichen. Indem sie den Frauen praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelt und einen Vertriebsweg für ihre Produkte auf die Beine gestellt hatte, ermöglichte sie ihnen ein besseres Leben. Allerdings gab es so viele Frauen in Not, dass Zest schnell über Harleys finanzielle Mittel hinausgewachsen war. Vor allem jetzt, wo durch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihrer Familie die Spenden ausblieben, mit denen sie Zest stets über Wasser gehalten hatte.

„Harley?“ Jaymes musste sie anstoßen, um sie wieder in die Gegenwart zu holen.

„Sorry.“ Harley zog eine Grimasse, um ihre Freundin zu beruhigen. „Ich habe an Zest gedacht.“

„Wir waren aber gerade bei Grant.“

„Ich weiß, aber von all meinen Problemen macht mir Zest im Moment am wenigsten Angst.“ Harley lehnte sich an Jaymes und legte ihr den Arm um die Taille. „Du warst so toll in all den Jahren. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte. Ohne deine moralische Unterstützung und deine Verbindungen wäre Zest verloren gewesen.“

„Da ist etwas dran“, sagte Jaymes und grinste liebevoll.

„Und dass ich bei dir wohnen darf, bis ich irgendwo für die nächsten Monate etwas zur Miete finde, ist einfach …“

„Also wirklich, Sean und ich freuen uns, dass du und Daniel da seid.“

Jaymes war nach fast zwei Jahren Beziehung bei Sean Cavanaugh eingezogen. Die beiden liebten sich hingebungsvoll, waren aber damit zufrieden, dass sich ihre Beziehung eher langsam entwickelte.

„Es ist toll, Sean und Daniel zusammen zu sehen.“

„Und umgekehrt auch“, fügte Jaymes hinzu. „Da merkt man erst, dass dein Junge einen Mann in seinem Leben braucht.“

„Das stimmt“, pflichtete Harley ihr bei, während sie versuchte, die Schuldgefühle niederzukämpfen. „Ich weiß, dass ich nicht der einzige Elternteil bin, den er braucht.“

Deshalb war sie nach Royal zurückgekommen, anstatt in einer großen Stadt wie Dallas nach neuen Investoren für Zest zu suchen. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr Daniel einen Vater vermisste. Bis ihr die Mutter eines seiner Freunde gesteckt hatte, dass Daniel wilde Geschichten über all die tollen Dinge verbreitete, die sein Vater angeblich tat, und weshalb er nicht bei ihm sein konnte. Es hatte Harley das Herz gebrochen, zu erfahren, was ihr Sohn sich einfallen ließ, um die Abwesenheit eines so wichtigen Menschen aushalten zu können. Daraufhin hatte sie beschlossen, alles zu tun, um ihren Fehler wiedergutzumachen.

„Du bist eine tolle Mutter“, entgegnete Jaymes rasch. „Aber ich freue mich, dass du eingesehen hast, dass er auch seinen Vater kennenlernen sollte.“

Seit ihrer Schwangerschaft hatte Harley damit gerungen, ob sie Grant sagen sollte, dass er einen Sohn hatte. Am Anfang war sie verletzt gewesen, dass er sie zurückgewiesen hatte, weil sie erst achtzehn war. Dann hatte sie ihre Unreife bewiesen, indem sie vor der schweren Krankheit ihres Vaters und der Strenge ihrer Mutter davongelaufen war.

Monate später, als sie in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprach, von morgendlicher Übelkeit geschwächt an Grant dachte, hatte sie beschlossen, dass er sie zu Recht für ihre Unbedachtheit und Selbstsucht bestraft hatte. Zu ihrem Pech brauchte sie zu lange, den Mut aufzubringen, ihm von Daniel zu erzählen. Grant war bereits mit Paisley verlobt. Und sie hatte nicht sein Leben ruinieren wollen.

„Ich weiß, dass ich es mir sehr spät überlegt habe, aber hierher zurückzukommen war in jeder Hinsicht schwer.“ Auf dem endlosen Flug war sie starr vor Angst gewesen. Sie hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie sie Grant die Wahrheit beibringen sollte – nämlich, dass er einen Sohn hatte. Und wie sollte sie ihrer Familie die Wahrheit sagen? „Weil ich ihm Daniel so lange verschwiegen habe, ist es jetzt umso schwieriger, alles zu erklären.“ Ihr Magen zog sich zusammen. „Was, wenn Grant ihn ablehnt?“ So wie mich?

Jaymes zog Harley enger zu sich heran. „Das wird er nicht. Er hat sich einen Beruf ausgesucht, bei dem es um Familiengründung geht. Warum sollte er sich denn nicht darüber freuen, Vater zu sein?“

Harley schluckte das gute Dutzend Antworten hinunter, das ihr auf der Zunge lag. „Ich habe einfach Angst, dass er wütend ist, weil ich es ihm so lange nicht gesagt habe.“ Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, und das ängstliche Flattern in ihrer Brust nahm ihr den Atem. „Was, wenn er Daniel nicht anerkennt, weil ich ihn so lange verschwiegen habe?“

„Das wird er nicht machen.“

So sehr Harley ihrer Freundin auch vertraute, diesmal verschwanden ihre Ängste nicht. Vor fünf Jahren hatte Grant auch kein Erbarmen mit ihr gehabt. Seine Ablehnung hatte er eiskalt und schonungslos deutlich gemacht. Dass Grant sie nicht gewollt hatte, war eine Sache. Aber was, wenn er auch ihren Sohn zurückwies? Harley spürte einen Stich im Herzen, als sie wieder an ihr Gespräch mit Daniel dachte, nachdem sie erfahren hatte, was er für Geschichten über seinen Vater erzählte. Er verdiente einen Vater, der ihn liebte und auf den er stolz sein konnte.

„Ich hoffe, du hast recht.“

2. KAPITEL

Die Veranstaltung war in vollem Gange. Grant beschloss, dass es an der Zeit war, zu gehen. Er hätte gar nicht kommen sollen. Zu viele Leute hatten seine Anwesenheit kommentiert, und auch wenn nur wenige nach dem Grund gefragt hatten, war ihm die Neugier auf die Nerven gegangen. Er hatte sich gefühlt wie in einem dieser Albträume, in denen man plötzlich nackt und verwirrt auf einem öffentlichen Platz stand, sich nicht bewegen konnte und sich fragte, wie man dorthin gekommen war.

Grant wusste allerdings genau, wie und warum er auf die Party gekommen war. Der Aussicht, Harley Wingate nach fünf langen Jahren wiederzusehen, hatte er nicht widerstehen können. Eigentlich wollte er nur noch weg, aber er konnte nicht. Es gab noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen.

Vielleicht konnte er sie aus seinem Kopf bekommen, wenn er sich entschuldigte. Auch wenn er damals im ersten Moment extrem wütend auf sie gewesen war, hatte er sich nach ein paar Tagen beruhigt. Danach war ihm seine Reaktion übertrieben vorgekommen. Trotzdem hatte er sie nicht kontaktiert, weil er wusste, dass die Anziehungskraft nicht erloschen war. Und dann war sie einfach verschwunden, ohne dass er seine unbedachten Worte hatte zurücknehmen können.

„Grant?“ In dem Augenblick sagte eine leise Frauenstimme seinen Namen, und er spürte eine leichte Berührung an seinem linken Ärmel. Sein Herz schlug wie wild, als er sich umdrehte.

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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