Der Duke, der mir die Sinne raubte

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Eine zarte Gestalt rennt direkt vor seine Kutsche! Schockiert zügelt Griffin Stone, Duke of Rotherham, die Pferde und kümmert sich um die reglose Person. Es ist eine betörende junge Dame, nur mit einem Nachthemd bekleidet. Fesselmale zeichnen ihre blassen Arme und Beine. Wer hat sie so zugerichtet? Er bringt die Ohnmächtige auf sein Anwesen. Aber als die verletzte Schönheit endlich die Augen aufschlägt, hat sie keine Antwort auf seine Fragen. Ihre Erinnerung scheint für immer verloren - und ihre Verzweiflung rührt Griffin an seiner schwächsten Stelle: seinem Herz …


  • Erscheinungstag 17.01.2017
  • Bandnummer 573
  • ISBN / Artikelnummer 9783733767976
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Juli 1815, Lancashire, England.

Was zum …?“ Griffin Stone, der zehnte Duke of Rotherham, zog energisch an den Leinen seiner perfekt aufeinander abgestimmten Schimmel, als er glaubte, einen Geist vor sich zu sehen. Eine weiße Gestalt rannte aus der Dunkelheit geradewegs vor seine schnell fahrende Kutsche.

Trotz seiner Bemühungen, einen Zusammenprall zu vermeiden, wäre die zierliche Person beinahe unter die tödlichen Hufe der sich aufbäumenden Pferde geraten und wurde schließlich vom rechten Hinterrad des Phaetons erfasst.

Griffin zuckte zusammen, als er den Zusammenstoß hörte, denn sehen konnte er ihn nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, die Schimmel zum Stehen zu bringen, bevor er von der Kutsche springen und eilig zum hinteren Teil des Wagens laufen konnte.

Der beinahe volle Mond war die einzige Lichtquelle, aber Griffin konnte dennoch die weiße Gestalt erkennen.

Der schemenhafte Körper lag mit dem Gesicht nach unten im Schmutz.

Nach zwei großen Schritten war Griffin bei der vollkommen reglosen Person angekommen und hockte sich neben sie. Er konnte sehen, dass es sich um eine Frau handelte. Langes dunkles Haar fiel ihr über das Gesicht und den Rücken. Ihr weißes Gewand sah Griffin verdächtig nach einem weiten Nachtkleid aus. Zudem war sie barfuß.

Verwirrt betrachtete er ihre nackten Füße. Dieser Privatweg durch Shrawley Woods war lediglich ein ausgefahrener Trampelpfad, und sofern Griffin wusste, gab es in der unmittelbaren Umgebung keine Häuser. Im Grunde war sich Griffin dessen gewiss, da die umliegenden Wälder und Ländereien zu seinem Hauptanwesen gehörten.

Es ergab keinen Sinn, dass diese Frau nur mit einem Nachtkleid bekleidet durch seinen Wald lief.

Er tastete an ihrem Handgelenk nach ihrem Puls, schreckte jedoch im nächsten Moment zurück, als sie unter der Berührung schmerzerfüllt aufstöhnte. Zumindest wusste er jetzt, dass sie noch am Leben war, auch wenn die klebrige Flüssigkeit an seinen Fingerspitzen darauf hindeutete, dass sie irgendeine Verletzung davongetragen haben musste.

Griffin nahm ein Taschentuch aus seiner Tasche und wischte sich das Blut von der Hand, bevor er der Frau das lange dunkle Haar vorsichtig aus dem Gesicht strich. Darunter kam ein leichenblasses Gesicht im Mondlicht zum Vorschein.

„Können Sie mich hören?“ Seine Stimme klang grob – zweifellos noch von dem Schreck, der ihn ereilt hatte, als sie wie aus dem Nichts vor seiner Kutsche aufgetaucht war.

Shrawley Woods war ein dichter Wald, und es war schon bei Tageslicht schwierig, auf diesem kaum genutzten Weg zu fahren. Griffin hatte die Pferde in der Dunkelheit nur deshalb so vehement angetrieben, weil er als Kind in diesen Wäldern gespielt hatte und den Weg zum nahe gelegenen Stonehurst Park in- und auswendig kannte.

Für Griffin hatte es keinen Grund zu der Annahme gegeben, dass sich jemand um elf Uhr abends noch in dieser Gegend aufhalten könnte. Ein Wilderer hätte gewusst, wie er sich im Wald zu bewegen hatte – in offenkundigem Gegensatz zu dieser spärlich bekleideten Frau.

„Können Sie mir sagen, wo Sie verletzt sind, damit ich Ihnen nicht noch einmal Schmerzen bereite?“, fragte Griffin und blickte finster drein, als er keine Antwort erhielt. Er vermutete, dass sie wieder in Ohnmacht gefallen war.

Schnell und sicher traf er die nächste Entscheidung – dafür war er schon in der Armee bekannt gewesen. Es war spät am Abend und vollkommen dunkel, und bisher war noch niemand erschienen, der nach dieser Frau suchte. Wer auch immer sie war – sie benötigte offensichtlich medizinische Versorgung.

Demzufolge gab es nur eine Entscheidung, die er treffen konnte: die Unbekannte zu seinem Phaeton zu bringen und mit ihr weiter nach Stonehurst Park zu fahren. Dort könnte er nach einem Arzt rufen und sich besser um ihre Verletzungen kümmern. Erklärungen über ihre spärliche Bekleidung und ihre Hetzerei durch den Wald würden später folgen.

Griffin richtete sich auf, um seinen Mantel auszuziehen und sie damit zu bedecken, bevor er sie vorsichtig hochhob.

Sie war nicht schwerer als ein Kind. Ihr langes Haar fiel über seinen Arm; ihr Gesicht sah im Mondlicht blass und eingefallen aus. Behutsam bettete er ihren Kopf an seine Schulter.

Sie war jung und sehr zierlich – zu zierlich. Beinahe schien es, als wäre ihr langes Haar zu schwer für ihren schlanken, zerbrechlich wirkenden Nacken.

Keinen Laut gab sie von sich, als Griffin sie auf den Sitz seiner Kutsche hob – auch dann nicht, als er seinen Mantel enger um sie legte. Er nahm wieder die Leinen auf und trieb seine Pferde an, jedoch gemächlicher als zuvor, damit die verletzte Frau nicht unnötig durchgerüttelt wurde.

Die Umstände verlangten es, dass er sein Anwesen in Lancashire aufsuchte. Zum Glück war der offene Krieg gegen Napoleon vorbei. Griffin und mehrere seiner engsten Freunde, die ebenfalls Dukes waren und gemeinhin als die Durchtriebenen Dukes bezeichnet wurden, wussten jedoch im Gegensatz zu den meisten anderen, dass immer noch ein stiller, privater Krieg gegen den geschlagenen Kaiser und seine fanatischen Anhänger geführt wurde.

Erst vor einer Woche hatten die Durchtriebenen Dukes dabei geholfen, einen Plan zu vereiteln, der die Ermordung ihres Prinzregenten und anderer Oberhäupter der Allianz zum Ziel gehabt hatte. Die Verschwörer strebten Napoleons glorreiche Rückkehr nach Paris an und wollten in den anderen Ländern für Aufruhr und Unruhe sorgen.

Der Franzose André Rousseau, der von einem der Durchtriebenen Dukes aufgespürt und umgebracht worden war, hatte zuvor ein Jahr lang in England verbracht. In dieser Zeit hatte er Männer und Frauen, die in den Haushalten von englischen Politikern und Peers arbeiteten, von Napoleons Anliegen überzeugt. Er hatte viele Mitstreiter gewinnen können, denn in England hatten etliche Familien französische Verwandte.

Seitdem waren viele der Verschwörer umgebracht oder verhaftet worden, doch es gab immer noch einige, die nicht gefasst waren. Gerüchte besagten, dass jene, die noch übrig waren, den Befehlen eines noch unbekannten Anführers folgten.

Seit mehreren Jahren hatte Griffin sein herzogliches Anwesen nicht mehr besucht. Auch jetzt fuhr er nur deshalb dorthin, weil Jacob Harker, einer der Verschwörer, in der Nachbarschaft gesehen worden war. Dieser Mann könnte um die Identität jenes mysteriösen Anführers wissen.

Von den Durchtriebenen Dukes hatten in den vergangenen Wochen drei geheiratet, und vor einer Woche hatte eine vierte Hochzeit stattgefunden. Am gleichen Tag war Griffin zu seinem Anwesen in Lancashire aufgebrochen. Da alle seine Freunde mit derart vergnüglichen Dingen beschäftigt waren, oblag es nun Griffin, dem Gerücht um Harkers Aufenthaltsort nachzugehen.

Eine junge Frau mitten in der Nacht mit seiner Kutsche zu überfahren, gehörte allerdings nicht zu Griffins Plan.

Ihr tat alles weh.

Als sie versuchte, die Beine zu bewegen, spürte sie überall schreckliche Schmerzen, die sich wellenartig von den Zehen bis in den Kopf ausbreiteten.

War sie gestürzt?

Hatte sie einen Unfall gehabt?

„Möchten Sie einen Schluck Wasser?“

Beim Klang einer kultivierten männlichen Stimme blieb sie reglos liegen und traute sich kaum zu atmen. Sie bemühte sich vergeblich darum, die Stimme zu identifizieren, bevor sie versuchte, die Augen zu öffnen.

Angst stieg in ihr auf, als sie erkannte, dass dieser Mann ihr völlig fremd war.

„Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung“, erklärte Griffin entschieden, als die junge Frau im Bett verängstigt die Augen aufriss – Augen, die so dunkelblau waren wie der Abendhimmel und von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden, die sich von ihrem blassen, ausgemergelten Gesicht abhoben. Prüfend musterte sie ihn, als er sich neben dem Bett auf einen Stuhl setzte, der für seine großen Gliedmaßen deutlich zu klein war.

Sie hingegen verschwand beinahe unter der Bettdecke im besten Gästegemach seines Hauses in Stonehurst Park. Ihr dichtes dunkles Haar sah rabenschwarz auf den weißen, mit Satin und Seide bezogenen Kissen aus, die ihren Kopf stützten. Ihr Gesicht war unglaublich blass.

„Ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen nichts Böses will“, fügte er entschlossen hinzu. Er war sich bewusst, welche Wirkung seine Körpergröße von fast zwei Metern und seine breite, muskulöse Statur auf Damen ausübten, die so zierlich waren wie diese. „Ihnen wird es sicherlich besser gehen, wenn Sie einen Schluck Wasser trinken.“

Griffin wandte sich zum Nachttisch und goss etwas Wasser in ein Glas. Behutsam umfasste er den Nacken der jungen Frau, damit sie den Kopf heben konnte, und hielt ihr das Glas an die Lippen, bis sie mehrere Schlucke getrunken hatte. Dabei entging ihm nicht, dass jene dunkelblauen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten.

Jetzt sammelten sich Tränen darin, als sie sich wieder auf die Kissen sinken ließ. „Ich …“ Sie schüttelte den Kopf, zuckte jedoch augenblicklich zusammen, da sie offenbar schon bei dieser leichten Bewegung Schmerzen empfand. Mit der Zunge benetzte sie die Lippen, bevor sie wieder zum Sprechen ansetzte: „Das ist sehr freundlich von Ihnen.“

Stirnrunzelnd stellte Griffin das Glas wieder auf dem Nachttisch ab, während er bei dem Anblick ihrer Tränen sein Herz verschloss. Zuerst müsste er mehr darüber erfahren, weshalb sie wie von Sinnen durch seinen Wald gerannt war. Infolge seiner jahrelangen Arbeit für die Krone begegnete er mittlerweile fast jedem Menschen mit Argwohn.

Außerdem wusste er nur zu gut, dass Frauen dazu geneigt waren, Tränen als Waffe einzusetzen.

„Wer sind Sie?“

In Anbetracht der Situation ist das wohl eine angemessene Frage, dachte Griffin. Dennoch war er der Meinung, er hätte derjenige sein sollen, der sie stellte.

Als sie gestern Abend spät in Stonehurst angekommen waren, hatte er die Kutsche und die Pferde in die Obhut seines Stallmeisters gegeben, bevor er die junge Frau schnell in die Arme gehoben und die Treppe zu seinem Haus hochgetragen hatte. Im Eilschritt stürmte mit ihr hinauf zu den Schlafgemächern – vorbei an seinem erstaunten Butler Pelham, den er mit offenem Mund zurückließ.

Anstatt sofort nach einem Arzt zu rufen, nahm Griffin sich die Zeit, sich ein Bild ihrer Verfassung zu machen. Vielleicht sollte er lieber Vorsicht walten lassen, bis er ihr ein paar Fragen gestellt und den Grund für ihren Aufenthalt in seinem Wald erfahren hätte. Schwebte sie womöglich in Gefahr?

Griffin war dankbar für seine Umsicht, nachdem er sie behutsam auf das Bett gelegt und sie aus dem schweren Mantel gewickelt hatte.

Wie vermutet, war die Frau jung – wahrscheinlich achtzehn oder höchstens zwanzig Jahre alt. Ihr herzförmiges Gesicht war überaus hübsch. Sie hatte perfekt gebogene Augenbrauen unter einer glatten Stirn, auch wenn die leicht eingefallenen Wangen dafür sprachen, dass sie Hunger gelitten hatte. Ihre Nase war klein und gerade und ihr Mund von einem hellen rosafarbenen Ton. Die Oberlippe war ein bisschen voller als die Unterlippe, und sie hatte ein schön geschwungenes Kinn.

Über ihrem schlanken Körper trug sie ein dreckiges weißes Nachtkleid aus Baumwolle, das den Blick auf ihre wunden Knöchel und ihre schmutzigen, aufgeschürften Füße freigab. Der Zustand ihrer Füße war sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie barfuß durch den Wald gelaufen war.

An ihrer linken Schläfe zeigte sich bereits eine große Beule, die sie sich zweifellos bei ihrem Zusammenstoß mit der Kutsche zugezogen hatte.

Allerdings waren es ihre anderen Verletzungen, die Griffin entsetzten und bei deren Anblick er scharf den Atem einsog. Sie konnten auf keinen Fall von dem Unfall stammen.

Das Blut, das er zuvor an den Fingern gespürt hatte, kam von den Verletzungen an ihren Handgelenken und Knöcheln. Offenbar hatte man sie kurz vor ihrer Flucht durch den Wald mit Seilen gefesselt.

Dafür konnte es natürlich alle möglichen Erklärungen geben – es musste nicht zwingend etwas Schlimmes dahinterstecken.

Auch wenn Griffin selbst keinen Gefallen daran fand, wusste er wohl, dass manche Männer es genossen, Frauen während des Liebesspiels ans Bett zu binden – ebenso wie es Frauen gab, die solche Praktiken ebenfalls mochten.

Es war auch möglich, dass diese junge Frau von Sinnen war und für ihre eigene Sicherheit und die der anderen festgebunden worden war.

Doch am wahrscheinlichsten war es, dass man sie gegen ihren Willen gefesselt hatte.

Griffin hatte beschlossen, dass er erst einmal die Wahrheit erfahren musste, bis ein anderer mit ihr sprach. Das galt auch für das Hauspersonal.

Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, ordnete er Pelham an, warmes Wasser und Handtücher zu bringen und ein sauberes Nachtkleid von einem der Hausmädchen zu besorgen. Griffin wollte es seinem ungeladenen Gast so behaglich wie möglich machen.

Dennoch war er tief erschüttert, als er mit dem Messer das schmutzige und blutverschmierte Nachtkleid aufschnitt und die vielen alten und neuen Prellungen entdeckte.

Abgesehen von der Beule an ihrer Schläfe war ihr Gesicht unversehrt, doch ihr Körper war von zahlreichen lilafarbenen und schwarzen Flecken übersät. Ältere Blutergüsse hatten bereits einen gelblichen Farbton angenommen. Unter den vielen blauen Flecken auf ihrem Rücken hob sich die Wirbelsäule deutlich hervor – ein weiterer Hinweis darauf, dass die Frau nicht nur wiederholt getreten und geschlagen worden war, sondern auch fast verhungert wäre. Womöglich hatte man ihr über Tage – wenn nicht gar Wochen – nur gerade so viel Essen und Wasser gegeben, dass sie am Leben blieb.

Wenn es sich tatsächlich so verhielt, dann würde Griffin auf jeden Fall herausfinden, wer sich dieser zarten, schönen jungen Frau gegenüber so grausam verhalten hatte – und welche Gründe jene Person dazu bewogen hatten.

Griffin stellte sicher, dass die Frau es so angenehm wie möglich hatte, und überließ sie dann sich selbst, um nach der langen staubigen Fahrt ein Bad zu nehmen. Anschließend zog er saubere Kleidung an und eilte wieder zu ihr, um die Nacht auf dem Stuhl an ihrem Bett zu verbringen. Er wollte bei ihr sein, wenn sie aufwachte.

Falls sie aufwachte.

Sie hatte mehrmals protestierend aufgestöhnt, als Griffin ihr den Schmutz von den Handgelenken, Knöcheln und Füßen wusch, bevor er eine schmerzlindernde Salbe auftrug und Verbände anlegte. Auch ihre wunden Füße rieb er mit der Salbe ein. Die restliche Nacht lag sie jedoch beunruhigend still.

Griffin hingegen blieb genug Zeit, sein eigenes Verhalten zu überdenken.

Natürlich hatte er diese junge Frau nicht allein im Wald zurücklassen können – insbesondere da er die Schuld daran trug, dass sie in Ohnmacht gefallen war. Doch es könnte ernsthafte Konsequenzen für ihn haben, dass er sie in seinem Haus aufgenommen hatte. Schließlich wusste er nicht, wer sie war und welche Gründe zu ihrer Gefangenschaft geführt hatten.

Eigentlich war ihm das vollkommen gleichgültig. Außer der Krone und Gott war Griffin niemandem Rechenschaft schuldig. Allerdings bezweifelte er, dass die Krone sich für diese Person interessierte, und offenbar hatte sich auch Gott in den vergangenen Tagen oder Wochen von ihr abgewendet.

Daher trug Griffin die Verantwortung für sie – zumindest so lange, bis sie aufwachte und ihm erzählen konnte, wie ihre Verletzungen entstanden waren.

Vor wenigen Minuten hatte Griffin gesehen, wie sich ihre Augen hinter ihren zarten hellen Lidern bewegten und ihre dunklen Wimpern über den blassen Wangen blinzelten. Als sie schließlich mit ihm gesprochen hatte, gab ihm ihre Stimme Antwort auf eine seiner vielen Fragen: Ihre Ausdrucksweise war gehoben und nicht mit der regionalen Mundart verwandt. Ihr Verhalten war das einer höflichen jungen Dame.

„Ich bin Griffin Stone, der Duke of Rotherham.“ Kurz neigte er den Kopf. „Wir sind in Stonehurst Park, meinem Anwesen in Lancashire.“ Er runzelte die Stirn, als sie nichts erwiderte. „Und Sie sind?“

Und sie war …?

Erneut wurde sie von nackter Angst erfasst, als sie vergeblich versuchte, sich an ihren Namen und irgendetwas sonst zu erinnern. Sie wusste nur, dass sie vor wenigen Minuten neben einem eindrucksvollen Herrn aufgewacht war, der neben ihr in einem Schlafgemach saß, das ihr genauso unbekannt war wie der Mann selbst.

Der Duke of Rotherham.

Sogar wenn er saß, war er ein beängstigend großer Mann mit modisch geschnittenem, längerem Haar und eindrucksvollen breiten Schultern. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug über einer silbernen Weste und einem weißen Hemd. Seine langen muskulösen Beine wurden durch graue Pantalons, die er über braunen Stiefeln trug, betont.

Doch es war sein Gesicht, das sie in seinen Bann zog. Es hatte etwas Edles und Distanziertes, was sicherlich über viele Generationen seiner blaublütigen Familie hinweg vererbt worden war. Er hatte eine hohe Stirn und perfekt geschwungene Augenbrauen über kalten silbergrauen Augen, die sie mit stechendem Blick ansahen. Seine Adlernase war lang. Er hatte hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn und fein geschwungene Lippen, die nicht lächelten.

Er war ein eindrucksvoller Herr mit mürrischer Miene und einer vornehmen Zurückhaltung, die von einem angeborenen, überheblichen Selbstvertrauen zeugte. Wohingegen sie …

Ihre Lippen fühlten sich plötzlich taub an, und das Schlafzimmer begann vor ihren Augen zu verschwimmen.

„Sie müssen wach bleiben!“ Sofort war der Duke aufgestanden, um sie fest an den Schultern zu packen. Er verringerte den Druck seiner Hände etwas, als sie vor Schmerzen leise aufstöhnte. „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihnen wehgetan habe.“ Er schaute sie grimmig an. „Aber ich kann nicht zulassen, dass Sie wieder einschlafen, bis ich mich nicht vergewissert habe, dass Sie bei klarem Verstand sind. Bisher habe ich keinen Arzt gerufen, aber das war vielleicht nicht sehr klug.“

„Nein!“, rief sie aufgewühlt. „Rufen Sie niemanden! Bitte tun Sie das nicht“, fügte sie aufgelöst hinzu und umklammerte die Ärmel seines Gehrocks, während sie flehentlich zu ihm aufblickte.

Missmutig runzelte Griffin abermals die Stirn. Ihr Verhalten beruhigte ihn keineswegs. Anscheinend war sie nicht dazu in der Lage, einfache Fragen zu beantworten, und geriet aus der Fassung, weil er nach einem Arzt rufen wollte. War es ihr durch den gestrigen Schlag auf den Kopf nicht mehr möglich, klar zu denken? Oder war das schon vorher so gewesen?

Griffin wusste, dass in englischen Heimen für jene bemitleidenswerten Geschöpfe bestenfalls erträgliche, wenn auch gemeinhin unmenschliche Zustände herrschten. Die Anstellung als Wärter war ausgerechnet für solche Personen interessant, die am wenigsten dafür geeignet waren, sich um die Schwächsten der Gesellschaft zu kümmern. Zwar gab es auch Irrsinnige, die gewalttätig werden konnten, doch Griffin bezweifelte stark, dass dies auf die junge Frau zutraf. Sie war sicherlich zu klein und zierlich, als dass sie eine Gefahr für andere darstellte. Es sei denn, ihre Wärter hatten befürchtet, dass sie sich selbst etwas antun könnte.

So unangenehm dieser Gedanke auch war – Griffin konnte nicht ausschließen, dass es eine mögliche Erklärung für die blauen Flecke auf ihrem Körper und die Verletzungen an ihren Handgelenken und Knöcheln war.

Allerdings war er sich gewiss, dass es im Umkreis von Stonehurst Park weithin keine Anstalten dieser Art gab.

„Sagen Sie mir wenigstens Ihren Namen“, forderte er sie erneut auf – diesmal in etwas sanfterem Ton, da er sie nicht noch mehr ängstigen wollte.

„Ich kann nicht.“ Tränen strömten ihr jetzt unablässig über die Wangen.

Griffin fühlte sich angesichts ihrer Tränen und ihrer Reaktionen zunehmend unwohl.

Er wusste nur zu gut, dass Frauen aus allen möglichen Gründen weinten: vor Schmerzen, aus Angst oder Verzweiflung, um abzulenken oder um in die Irre zu führen.

In diesem Moment war es möglich, dass die Frau nur weinte, um seinen Fragen auszuweichen.

Aber vielleicht war das ungerecht von ihm und sie fürchtete sich tatsächlich. Hatte sie Angst davor, dass er sie an den Ort, wo man sie so grausam behandelt hatte, zurückschicken würde?

Es wäre falsch von ihm gewesen zu urteilen, bevor er sich nicht ein genaues Bild der Lage gemacht hätte.

„Können Sie mir wenigstens sagen, warum Sie mitten in der Nacht und nur mit einem Nachtkleid bekleidet durch Shrawley Woods gelaufen sind?“, fragte er. Bei Männern pflegte er seine große Statur zur Einschüchterung einzusetzen, doch ihm war nur allzu klar, wie viel Angst er einer schutzlosen Frau damit einjagen konnte.

„Nein!“ Erstaunt weitete sie die Augen, so als ob sie sich nicht daran erinnern könnte, durch den Wald gerannt zu sein.

Griffin berührte eines ihrer verbundenen Handgelenke leicht mit dem Finger. „Oder wie Sie sich diese Verletzungen zugezogen haben?“

Verwirrt schaute sie auf die Verbände. „Ich … Nein“, wiederholte sie bestürzt.

Griffins Ärger wurde so groß, dass er sich ungeduldig erhob und durch den Raum zu den Fenstern ging, durch die das helle Licht der Morgensonne fiel. Die Vorhänge waren in der Nacht zuvor nicht geschlossen worden.

Das Gemach lag zur Rückseite des Gebäudes. Draußen konnte Griffin das morgendliche Treiben beobachten: die Hausmädchen trugen Milcheimer zum Haus, die Stallburschen fütterten und bewegten die Pferde, und mehrere Arbeiter des Anwesens hatten sich bereits auf die weiter entfernt liegenden Felder begeben.

Die üblichen Arbeiten, um das Anwesen in Gang zu halten.

Wohingegen es im Inneren des Hauses überhaupt nicht wie gewohnt zuging.

Eine unbekannte, verletzte junge Frau lag im Bett von Griffins Gästegemach. Er selbst war nach der tagelangen Reise und der Aufregung nach dem Unfall schlecht gelaunt. Zudem hatte er keinen Schlaf gefunden, da er die ganze Nacht neben ihr am Bett gesessen hatte.

Griffin war ein Mann der Tat.

Wenn etwas getan, repariert oder mit angepackt werden musste, war er sofort zur Stelle – und wehe dem, der sich ihm in den Weg stellte.

Doch dieses Problem konnte er ohne die Hilfe der jungen Frau nicht lösen. Trotz all seiner Bemühungen, das Gegenteilige zu bewirken, fürchtete sie sich im Augenblick so sehr, dass sie ihm nicht einmal ihren Namen preisgeben wollte.

Aus persönlicher Erfahrung wusste er, dass Frauen seine Erscheinung oft als überwältigend empfanden.

Er gehörte gewiss nicht zu den Männern, an die sich Frauen wandten, wenn sie Trost oder Verständnis brauchten. Er war zu groß und zu einschüchternd in seiner Art, als dass irgendeine Frau ihn ins Vertrauen gezogen hätte.

Nein, für Beistand, Verständnis und Mitgefühl in Bezug auf zartere Gefühle suchten empfindsame Frauen keinen Krieger auf, sondern einen Dichter.

So war es auch mit seiner vor sechs Jahren verstorbenen Frau gewesen. Obwohl er wochenlang um sie warb, sich mit ihr verlobte und alles versuchte, damit sie sich bei ihm sicher fühlte, jagte seine große Statur Felicity Angst und Schrecken ein. Griffin war davon überzeugt gewesen, dass sich ihre Angst nach der Hochzeit legen würde, doch er hatte sich geirrt.

„Ich bin nicht … Ich möchte nicht unhöflich oder schwierig erscheinen, Sir“, sagte die junge Frau nun flehentlich. „Die Wahrheit ist, dass ich Ihnen meinen Namen nicht sagen kann, weil … weil ich ihn nicht weiß!“

Eine tiefe Falte bildete sich auf Griffins Stirn, als er sich zu ihr umdrehte und seinen Gast ansah. Er fragte sich, ob er sie richtig verstanden hatte. „Sie wissen nicht, wie Sie heißen? Oder haben Sie keinen Namen?“

Aber natürlich hatte sie einen Namen!

War das nicht bei jedem so?

„Ich bin mir sicher, dass ich einen Namen habe, Sir“, erwiderte sie heiser. „Es ist nur so … Im Augenblick kann ich mich nicht daran erinnern.“

Voller Bestürzung wurde ihr klar, dass sie weder wusste, wie sie hieß, noch wer sie war oder wie sie hierhin gekommen war. Auch konnte sie sich nicht erklären, wie es zu den Verletzungen an ihren Handgelenken gekommen war. Tatsächlich konnte sie sich an nichts erinnern, seit sie vor wenigen Minuten in diesem Bett neben diesem unnahbaren, eindrucksvollen Fremden aufgewacht war. Bei dieser Erkenntnis lief es ihr kalt den Rücken hinunter und eine schreckliche Angst ergriff von ihr Besitz.

2. KAPITEL

Der Duke blieb reglos und in würdevoller Haltung vor dem Fenster stehen. Nach ihrer Offenbarung hatte er nichts mehr gesagt. Mit seinen kalten grauen Augen musterte er sie jetzt unter gesenkten Lidern.

So als ob er sich nicht sicher wäre, ob er ihr Glauben schenken konnte oder nicht.

Warum sollte er das auch? Er wusste ebenfalls nicht, wer sie war – geschweige denn, weshalb sie sich im Wald herumgetrieben hatte.

Warum hatte sie sich so merkwürdig verhalten? Wieso verhielt sich eine Frau so skandalös?

Die naheliegende Antwort schien nur allzu offensichtlich zu sein.

Ob der Duke es auch so sehen würde?

„Sie glauben mir nicht.“ Es war eher eine nüchterne Feststellung als eine Frage.

„Es ist sicherlich nicht die Antwort, die ich erwartet hatte“, erwiderte er schließlich langsam.

„Was haben Sie denn erwartet?“ Mühevoll setzte sie sich auf, um sich gegen die Kissen zu lehnen. Dabei schmerzten nicht nur ihre verbundenen Handgelenke, sondern jede Faser in ihrem Körper. Im Grunde fühlte sie sich, als wäre sie unter die Hufe von Pferden geraten und von einer Kutsche überfahren worden.

Was hatte Griffin erwartet? Es fiel ihm nicht leicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Die Möglichkeit, dass die Verletzungen von einem Liebesspiel stammen könnten, hatte er bereits ausgeschlossen: Es waren zu viele, als dass es ihr sinnliches Vergnügen hätte bereitet haben können. Ihm war auch nicht daran gelegen, dass sich seine Vermutung in Bezug auf eine Krankheit des Geistes bewahrheiten würde. Die Vorstellung, dass die junge Frau vielleicht sogar von der eigenen Familie gegen ihren Willen gefesselt worden war, erschien ihm ebenso abscheulich.

Doch er hätte nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie sich nicht an den eigenen Namen erinnern könnte – ganz zu schweigen davon, dass sie nicht dazu in der Lage war, zu sagen, wo oder durch wen ihr die Verletzungen zugefügt worden waren.

„Können Sie sich denn an gar nichts von letzter Nacht erinnern?“

„Was ich im Wald getan habe? Wie ich hierher gekommen bin?“ Sie runzelte die Stirn. „Nein.“

„Eine der Fragen kann ich zumindest beantworten.“ Großen Schrittes durchquerte Griffin das Gemach, bis er wieder neben ihrem Bett stand und sie anschaute. „Als Sie wie aus dem Nichts vor meine Kutsche liefen, war es mir leider unmöglich, einen Zusammenprall zu vermeiden. Sie erhielten einen Schlag auf den Kopf und sind in Ohnmacht gefallen“, gab er widerwillig zu. „Da in der unmittelbaren Umgebung keine Häuser stehen und auch sonst niemand in der Nähe war, blieb mir keine andere Wahl, als Sie mitzunehmen.“

Dann war sie tatsächlich von Pferden niedergetrampelt und von einer Kutsche überfahren worden.

„Mein Verhalten von gestern Nacht lässt mich vermuten, dass ich wusste, wer ich war, bevor ich den Schlag auf den Kopf bekam. Wäre es da nicht logisch anzunehmen, dass ich durch den Zusammenstoß mein Erinnerungsvermögen verloren habe?“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an.

Das ergibt tatsächlich Sinn, musste Griffin sich eingestehen. Zugleich bewunderte er sie dafür, dass sie in dieser erschütternden Lage dazu imstande war, ihre Verstandeskraft einzusetzen. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als in einem unbekannten Schlafgemach aufzuwachen und nicht zu wissen, wer er war.

Zudem glaubte er nicht, dass eine irrsinnige Frau zu solchen Schlussfolgerungen fähig wäre.

Falls diese junge Frau in Bezug auf ihren Gedächtnisverlust tatsächlich die Wahrheit sprach … Davon war Griffin jedoch noch nicht vollkommen überzeugt.

Letzte Nacht hatte es so ausgesehen, als wäre sie um ihr Leben gerannt. Läge es da nicht nahe, einfach vorzugeben, alle Erinnerungen verloren zu haben, um sich seinen Fragen nicht stellen zu müssen? Womöglich befürchtete sie, den Leuten, die sie gequält hatten, wieder ausgeliefert zu werden.

„Vielleicht“, antwortete er kühl. „Aber das erklärt nicht, was Sie in Ihrem Nachtkleid im Wald zu suchen hatten.“

„Vielleicht bin ich im Schlaf gewandelt?“

„Sie sind gerannt, nicht gegangen“, erwiderte Griffin lakonisch. „Und Sie waren barfuß.“

Wieder zog sie ihre glatte Stirn in Falten. „Wäre das nicht ein weiteres Anzeichen dafür, dass ich im Schlaf gewandelt bin?“

Das wäre es in der Tat.

Wenn sie nicht gerannt wäre, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her gewesen.

Wenn sie nicht jene entsetzlichen blauen Flecken am Leib gehabt hätte.

Und wenn sie an den Handgelenken und Knöcheln nicht diese Male von Fesseln getragen hätte.

Aufgrund dieser Verletzungen würde Griffin in der Gegend keine Erkundigungen über die junge Frau einholen können, ohne ihre Peiniger auf ihren Aufenthaltsort aufmerksam zu machen. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden, solange er nicht mehr über die Umstände ihrer Gefangenschaft und den Grund für ihre Folter in Erfahrung gebracht hatte. Für diese Art von Verletzungen gab es keine Entschuldigung.

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Vielleicht sollten wir uns erst einmal überlegen, wie wir Sie nennen können, bis Ihre Erinnerung wiederkehrt.“

„Und wenn sie nie zurückkommt?“ In ihren Augen stand ein Ausdruck von blankem Entsetzen, als sie ihn ansah.

Falls ihr Zustand nicht vorgespielt war, musste der Zusammenstoß mit seiner Kutsche nicht zwingend der Grund für den Gedächtnisverlust gewesen sein. Griffin hatte viele Soldaten erlebt, die in einer Schlacht tödlich verwundet worden waren und sich daraufhin von der Außenwelt zurückgezogen hatten, um nicht noch zusätzlich zu leiden. Auch wenn diese junge Frau keine tödlichen Verletzungen aufwies, war es dennoch möglich, dass man ihr so schlimme Dinge angetan hatte, dass ihr Verstand sie einfach nicht ertrug und sich daher nicht daran erinnern wollte.

Griffin konnte nicht von sich behaupten, zu verstehen, wie der menschliche Geist funktionierte oder was es mit Gefühlen auf sich hatte. Allerdings konnte er durchaus nachvollziehen, dass der Verlust der Erinnerung an die eigene Identität eine Reaktion auf grauenvolle Erlebnisse war.

Im Moment wollte er das zumindest annehmen.

Vorerst.

„Bella.“

Sie blinzelte verwirrt. „Wie bitte?“

„Ihr neuer Name. Er bedeutet ‚die Schöne‘ auf Italienisch.“

„Das weiß ich.“ Sie wusste tatsächlich, was er bedeutete!

Hieß das womöglich, dass sie italienischer Herkunft war? Ihr Haar, das ihr über die Schultern und Brüste fiel, war sicherlich dunkel genug. Doch ihr Englisch war vollkommen akzentfrei, und ihre Haut war zu blass, als dass sie aus einem sonnigen Land stammen könnte.

Hielt der Duke sie etwa für schön? Warum hatte er sonst diesen Namen für sie ausgesucht?

In Bezug auf die ersten beiden Punkte herrschte in ihrem Kopf nur gähnende Leere. Ihre Fragen schienen an einer Mauer zu zerschellen, die sie weder überwinden noch durchbrechen konnte. Die dritte Frage hingegen …

„Ich spreche Französisch, Deutsch und Italienisch, doch das ist noch lange kein Beweis dafür, dass ich aus einem dieser Länder stamme.“ Offenbar hatte der Duke ihre Gedanken erraten. „Außerdem haben Sie sofort Englisch gesprochen, als Sie aufgewacht sind.“

„Da könnten Sie natürlich recht haben“, erwiderte sie zögerlich, während sie sich immer noch fragte, ob er sie wahrhaftig für schön hielt.

Wie würde es sich anfühlen, die Bewunderung eines so ungemein gut aussehenden Gentlemans wie Griffin Stone zu erhalten? Oder seine Zuneigung zu spüren? Seine Liebe …

Ob sie je zuvor solch einem stattlichen Herrn begegnet war? Einem so wunderbar großen Herrn mit breiten Schultern, einer muskulösen Brust, schlanken Lenden und langen, wohlgeformten Beinen? Einem Mann, der durch sein Auftreten überall, wo er auftauchte, Aufmerksamkeit erregen musste?

Zweifellos war er ein Gentleman, vor dem sich andere in Acht nahmen. Ein mächtiger Mann aufgrund seiner Statur und seines Ranges. Ein Mann, unter dessen Schutz sie nie wieder Angst haben müsste.

Angst wovor?

Für einen flüchtigen Moment glaubte sie, kurz vor etwas zu stehen: einem Durchbruch, einer Erkenntnis. Beinahe wäre ihr wieder einfallen, warum sie gestern Nacht durch den Wald gerannt war.

Doch jetzt war es fort.

Es hatte sich ihr entzogen.

Bestürzt schüttelte sie den Kopf, während sie nachdenklich auf die Bemerkung des Dukes antwortete: „Oder vielleicht habe ich Englisch gesprochen, weil Sie Englisch mit mir geredet haben.“

Zwar konnte diese Frau keine von Griffins Fragen beantworten, aber durch die Unterhaltung hatte er dennoch etwas über sie erfahren.

Ihre Stimme klang weich und kultiviert, wenn sie redete.

Zudem war sie offensichtlich gebildet und intelligent.

Trotz allem, was sie bisher erlitten hatte, schienen seine Größe und sein Titel keinerlei Eindruck auf sie auszuüben.

Natürlich konnte das daran liegen, dass sie gerade persönlichere und dringlichere Dinge bekümmerten – zum Beispiel wer sie war und woher sie kam!

Trotzdem war ihre unverblümte Art ihm gegenüber eine erfrischende Abwechslung nach all den Jahren, in denen ihm die Herren des ton nur mit Hochachtung und die Damen mit Bewunderung begegnet waren.

Abgesehen von seiner Gattin, die nur tiefe Abscheu für ihn empfunden hatte.

Bei der Hochzeit mit Felicity war er erst fünfundzwanzig Jahre alt gewesen. Damals hatte er bereits den Titel von seinem Vater geerbt. Felicity war sieben Jahre jünger als er und die Tochter eines Earls. Die blonde und zierliche Frau war so schön wie ein Engel und hatte noch andere Eigenschaften, die sie wie geschaffen für die Rolle einer Duchess erscheinen ließen: Sie war jung und anmutig und würde ihm sicherlich viele Kinder schenken.

Auch wenn Felicity wie ein Engel ausgesehen hatte, war die Ehe mit ihr die Hölle auf Erden gewesen.

In den vergangenen zwölf Stunden hatte Griffin viel zu oft an seine Ehe gedacht – wahrscheinlich weil Bellas zierliche Erscheinung trotz ihres dunklen Haars ihn so sehr an Felicity erinnerte. „Wir haben uns nun lange genug unterhalten, Bella“, sagte er schroff. „Ich werde nach unten gehen und Ihnen ein Frühstück bringen lassen. Sie müssen etwas essen, um wieder zu Kräften zu kommen.“

„Oh bitte, gehen Sie nicht! Ich weiß nicht, ob ich schon allein sein kann.“ Schnell ergriff sie mit beiden Händen seine viel größere Hand. Mit ihren dunkelblauen Augen sah sie ihn bittend an.

Griffin furchte die Stirn, als er die Angst in ihren ausdrucksstarken Augen sah. Sie fürchtete sich nicht vor ihm, sonst hätte sie jetzt nicht seine Hand umklammert oder ihn so inständig beschworen zu bleiben. Nein, sie hatte vielmehr Angst vor allem und jedem außer ihm.

Es war in gewisser Hinsicht ironisch, dass diese junge Frau so bedingungslos auf seinen Schutz vertraute. Im Gegensatz dazu hatte sich seine Gattin allein bei seinem Anblick so sehr geängstigt, dass sie nur allzu gewillt gewesen war, die Aufmerksamkeit und Wärme eines anderen Mannes anzunehmen.

Verdammt, er wollte keinen weiteren Gedanken an seine Ehe oder Felicity verschwenden!

„Es tut mir leid.“ Eilig ließ Bella die Hand des Dukes los, als sie den Unmut in seinem Gesicht sah. „Ich wollte nicht so vertraulich werden.“ Gegen die Tränen ankämpfend, biss sie sich auf die Unterlippe.

Das Bett schwankte, als er sich neben sie setzte. In seinen Augen stand nichts als Mitgefühl, als er eine ihrer Hände sanft mit seinen umfasste. „Unter den Umständen ist es nur natürlich, dass Sie sich fürchten.“ Seine Stimme klang barsch. „Aber ich versichere Ihnen, dass Sie hier vollkommen sicher sind. Niemand würde es wagen, Ihnen etwas zu tun, solange Sie sich in meinem Haus befinden und unter meinem Schutz stehen“, fügte er mit jener angeborenen Überheblichkeit seines Ranges hinzu.

Bella glaubte ihm sofort.

Nur wenige würden sich trauen, das Wort dieses Gentlemans auf irgendeine Art und Weise anzuzweifeln. Es lag nicht nur an seiner großen und mächtigen Statur; in seinen kalten grauen Augen lag auch eine Entschlossenheit, die von Aufrichtigkeit und Durchsetzungsvermögen sprach. Wenn er sagte, dass ihr in seinem Haus und unter seinem Schutz nichts zustoßen würde, dann vertraute Bella seinen Worten.

Sie entspannte sich ein wenig und lehnte sich gegen die Kissen, während ihre Hand immer noch vertrauensvoll in seiner lag. „Danke.“

Unsicher blickte Griffin sie an. Entweder war sie die beste Schauspielerin, die er je erlebt hatte, und versuchte jetzt, ihn mit ihrer Unschuld hinters Licht zu führen, oder sie glaubte ihm wahrhaftig, dass ihr nichts geschehen würde, solange sie bei ihm war.

Als Reaktion auf ihr Vertrauen spürte er ein vollkommen unangebrachtes, sengendes Verlangen.

Aber war das so überraschend? Schließlich hatte er sie nackt gesehen und wusste, dass sie eine überaus schöne und anziehende junge Frau war. Ihre Augen waren von einem faszinierenden Dunkelblau und ihre Lippen voll und sinnlich. Über dem Ausschnitt ihres Nachtkleides war die reizvolle Erhebung ihrer kleinen Brüste zu sehen. Sie würden sicherlich genau in seine Hände passen.

Was ging ihm bloß durch den Kopf?

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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