Die Antwort kennt nur die Zeit

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Eine stürmische Romanze, eine Blitzhochzeit – Mia fühlt sich wie in einem Märchen! Doch kurz darauf ist der Traum ausgeträumt: Sie verlässt den spanischen Adligen Santos Aguila überstürzt. Ihre Ehe war ein Fehler. Aber Santos spürt sie auf Ibiza auf und verlangt, dass sie zu ihm zurückkehrt. Ihr Nein lässt er nicht gelten. Stattdessen schlägt er vor, dass Mia ihn auf seine Privatinsel begleitet. Denn so heiß zwischen ihnen das Verlangen auch brennt: Im Grunde wissen sie zu wenig voneinander. Ein Neuanfang – Ja oder Nein? Die Antwort kennt nur die Zeit …


  • Erscheinungstag 04.03.2025
  • Bandnummer 2691
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534666
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Technomusik wummerte in Santos Aguilas Ohren, während er mit zusammengekniffenen Augen die überfüllte Bar absuchte. Die Arme vor der muskulösen Brust verschränkt, wünschte er, er müsste nicht hier sein. Noch viel weniger wollte er, dass Mia hier war. Seine davongelaufene Ehefrau.

Santos zog die dunklen Augenbrauen zusammen. Unwillig musterte er die feiernde Menge aus den üblichen Rich Kids und vereinzelten Prominenten, die sich in der Rooftop-Bar in Ibiza-Stadt unters Volk mischten. Er wusste aus sicherer Quelle, dass Mia heute Nacht hier war. Dafür hatte er einen Weltklasse-Privatdetektiv engagiert.

Dröhnende Musik vermischte sich mit schrillem Frauenlachen und dem Klirren von Gläsern. Angespannt rieb sich Santos die Schläfen. Eine Migräne kündigte sich an, und er tat sein Bestes, sie abzuwehren. Bevor er Mia nicht gefunden hatte, konnte er sich keine Schwäche erlauben. Er musste sie finden und nach Hause bringen – für immer. Warum er das alles auf sich nahm, nachdem sie ihn ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte, darüber dachte Santos nicht nach. Als seine Ehefrau gehörte sie zu ihm, das allein zählte.

Kennengelernt hatten sie sich vor nicht einmal sieben Monaten an der portugiesischen Algarve, in einer Bar, die dieser nicht unähnlich war – genauso beliebt bei den Jungen und Hippen, mit ebenso unverschämt hohen Cocktailpreisen. Dort hatte sie hinter dem Tresen gestanden, ihr kastanienbraunes Haar zu einem lockeren Knoten geschlungen, die leuchtend blaugrünen Augen voll frechen Humors, während sie mit eleganter Leichtigkeit Cocktails gemixt hatte. Auch in jene Bar war er nicht freiwillig gegangen. Sein ältester Freund Emiliano hatte Junggesellenabschied gefeiert. Doch als sein Blick an Mia hängen geblieben war, hatte er nicht mehr wegsehen können.

Da war etwas an ihr gewesen. Diese geschmeidigen Bewegungen. Jede Drehung des Handgelenks hatte ihn fasziniert. Ihr offenes, warmherziges Lachen, bei dem sie den Kopf in den Nacken legte, hatte ihn umweht wie eine warme Sommerbrise, und da war eine winzige Lücke zwischen ihren Schneidezähnen, die er schlicht bezaubernd fand. Mia war keine klassische Schönheit wie die kultivierten, anspruchsvollen Frauen, mit denen er sonst verkehrte – zum Beispiel seine Beinahe-Verlobte Isabella. Mia war mehr: authentisch und warmherzig … Zumindest hatte er das einmal geglaubt.

Ihr Blick hatte damals kaum eine Sekunde auf ihm gelegen, bevor sie weggesehen hatte. Dennoch hatte es sich wie eine Herausforderung angefühlt. Da hatte er nicht anders gekonnt, als sich ihr vorzustellen – und das war sehr ungewöhnlich für ihn. Am Ende hatten sie sich unterhalten, bis die Bar um drei Uhr morgens geschlossen hatte. Und danach … Wie gut er sich an das Danach erinnerte!

Doch diesen Gedanken blendete Santos jetzt aus. Welchen Sinn hatte es, sich an der Vergangenheit oder an dem, was später falsch gelaufen war, festzuhalten? Im Moment wollte er Mia finden … und nach Hause bringen.

Mit einer Schulter voran drängelte er sich durch die Menge und schaute in die Gesichter, die immer wieder verschwammen, weil der Schmerz seine Stirn umspannte. Seit über einem Jahr hatte er keine Migräne mehr gehabt. Warum ausgerechnet jetzt? Und wo war Mia?

Ein verschwitzter, rotgesichtiger Mittzwanziger rempelte gegen seine Schulter und verschüttete den grellroten Cocktail in seiner Hand. Beinahe hätte es Santos’ maßgeschneidertes Sakko getroffen. Von der schnellen Ausweichbewegung fuhr ihm ein stechender Schmerz in den Kopf, während der Typ eine Entschuldigung lallte. Was um alles in der Welt machte Mia an diesem Ort? Über diese Frage wollte Santos nicht nachdenken, denn das verstärkte die Befürchtung, dass er seine Ehefrau nicht wirklich kannte.

Trotzdem waren sie verheiratet, und das würde so bleiben, denn ein Aguila hielt sein Eheversprechen. Selbst hier, umgeben von wummernden Bässen und Lärm, erinnerte sich Santos lebhaft an die ernste Stimme seines Vaters, der ihm wieder und wieder erklärt hatte, was es bedeutete, ein Aguila zu sein. Er hatte dessen aristokratisches Gesicht vor Augen, plötzlich vor Schmerzen verzerrt …

Aber diese Erinnerung begrub er tief in seinem Inneren. Was er mit absoluter Bestimmtheit wusste: Ein Aguila hielt sein Wort … egal, was geschah.

Santos trat aus dem überfüllten Innenbereich hinaus auf die Dachterrasse. Die Luft war noch warm, und das dunkle Wasser des Hafens glitzerte im Mondlicht. Fischerboote und Privatjachten lagen dort unten vor Anker. Hier draußen war es ruhiger, und er hatte das Gefühl, wieder Luft zu bekommen. Der Kopfschmerz legte sich etwas … und dann sah er Mia.

Sofort flammte der Schmerz wieder auf, sodass er sich am Türrahmen abstützen musste. Er blinzelte, um seine verschwommene Sicht zu klären, und da war sie: an die niedrige Mauer gelehnt, die die Terrasse umgab, der malerische Hafen als perfekter Hintergrund zu ihrer schlanken Silhouette. Ihr kastanienbraunes Haar wehte in der Seebrise. Sie hielt es sich mit beiden Händen aus dem schönen Gesicht, während sie über etwas lachte, das der Mann neben ihr gesagt hatte. Dieser Kerl, stellte Santos grimmig fest, betrachtete sie mit unverhohlener Bewunderung.

Sie trug ein Kleid – und was für eines! Ein Neckholder-Kleid aus smaragdgrünem Satin, das ihre Haut vom Schlüsselbein bis zu den Fußknöcheln bedeckte, sich aber so reizvoll an ihre Kurven schmiegte, dass sie genauso gut nackt hätte sein können.

In seinem Kopf pochte es schmerzhaft. Was machte seine Frau in diesem Kleid an diesem Ort mit diesem Mann? Langsam ging er auf Mia zu.

Sie war so vertieft in ihr Gespräch mit dem Playboy in enger Kunstlederhose und fast bis zum Bauchnabel geöffnetem Hemd, dass sie ihren Ehemann nicht bemerkte, bis ihm der Kerl einen verwirrten Blick zuwarf.

„Ähm … Suchen Sie etwas?“, fragte er in akzentschwerem Englisch.

Si“, antwortete Santos. „Mi esposa.“ Meine Frau.

Er warf einen bedeutungsvollen Blick in Mias Richtung, und dem Mann klappte der Mund auf. Dann erst sah Mia ihn. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, sodass die Sommersprossen auf dem Nasenrücken hervortraten. Ihre aquamarinfarbenen Augen wurden groß, und ihre wundervollen Lippen, die er geküsst und gekostet hatte, öffneten sich überrascht.

„Santos …“ Sein Name war nicht mehr als ein Hauch.

„Mia.“ Seine Stimme hingegen war hart. Wahrscheinlich starrten sie einander nur eine Sekunde lang an, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. In diesem kurzen Augenblick erinnerte sich Santos an jeden Moment ihrer Ehe: an den Glücksrausch zu Anfang; an das kalte Schweigen danach; an die Kluft, die sie nicht hatten überbrücken können; an die tiefe Enttäuschung und den stechenden Schmerz.

„Ich denke, ich lasse euch zwei allein“, murmelte der Mann und machte sich davon. Mia starrte Santos einfach nur an, ihr Gesicht immer noch blass.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Irgendetwas musste sie doch sagen – sich entschuldigen oder erklären? Sie hatte ihn vor sechs Wochen ohne ein Wort verlassen, sich mitten in der Nacht weggeschlichen wie ein Dieb. Seitdem hatte sie ihm keine einzige Nachricht geschickt. Er hatte noch nicht einmal gewusst, ob sie am Leben war. Sie würde ihm einiges erklären müssen, dachte Santos mit kalter Wut im Bauch, unter der, so fürchtete er, ein viel schlimmerer Schmerz verborgen lag.

Trotzdem sprach sie kein Wort. Nach einer endlosen Sekunde blickte sie weg, als wäre dieses Gespräch für sie beendet. Der Zorn, den er mühsam kontrolliert hatte, brannte nun lichterloh und verstärkte seine Kopfschmerzen. Nach sechs Wochen des Schweigens hatte sie ihm noch immer nichts zu sagen? Er griff nach ihrem Arm. Ihre Haut war weich und kühl.

Mia spannte sich merklich an, als sich seine Finger um ihr Handgelenk schlossen. „Lass mich los, Santos“, sagte sie mit leiser, zittriger Stimme und mied seinen Blick.

„Gehen wir“, erwiderte er grimmig, und sie entriss ihm ihren Arm.

„Mit dir gehe ich nirgendwohin.“

Sie zog den Arm an ihren Körper, als hätte Santos sie verletzt, dabei hatte er sie kaum berührt. Sie verhielt sich, als wäre er eine Bedrohung, obwohl sie diejenige war, die ohne ein Wort gegangen war … und er wollte wissen, warum.

„Mia, du bist meine Ehefrau“, sagte er. „Natürlich kommst du mit mir.“

„Wir sind verheiratet, aber ich gehöre dir nicht“, gab sie zurück, und er musste tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Zornig zu reagieren, würde nur seine Kopfschmerzen verschlimmern.

„Wir müssen reden. Unter vier Augen. So viel bist du mir schuldig.“

Sie zögerte, und er sah einen Schatten über ihr Gesicht huschen. Reue?

„Bitte“, fügte er ruhig hinzu, und ihre zarten Schultern sackten nach vorn.

„In Ordnung.“ Ihr Tonfall war immer noch misstrauisch. Sie blickte sich um. Nach dem Mann von eben? Eifersucht kannte Santos sonst nicht von sich, aber verdammt, sie waren verheiratet. Bedeutete ihr das Gelübde denn gar nichts?

„Wohin gehen wir?“, fragte sie, und einmal mehr schluckte er Wut und Schmerz hinunter.

„Meine Jacht liegt unten im Hafen.“

Ihre Augen weiteten sich. Offensichtlich gefiel ihr die Vorstellung nicht, mit ihm dorthin zu gehen. Hatte sie Angst vor ihm? Dazu hatte er ihr nie Anlass gegeben.

„Ich entführe dich nicht, Mia“, erklärte er brüsk. „Auf meiner Jacht sind wir ungestört, und sie ist nicht weit entfernt.“ Außerdem brauchte er Stille, um die Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen.

Sie biss sich auf die Unterlippe, nickte dann aber. „In Ordnung“, wiederholte sie. Dann hob sie eine Tasche vom Boden auf und hängte sie sich über die Schulter. Santos erkannte den alten, zerschlissenen Rucksack wieder, den sie schon bei ihrem ersten Treffen gehabt hatte. Nicht gerade passend zu dem smaragdgrünen Satinkleid. Sie zögerte und blickte sich um.

„Wen suchst du?“, fragte Santos. „Den Kerl, der sein Glück bei dir versucht hat?“

„Was? Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, sodass ihr die Haare um die Schultern flogen. „Den Besitzer der Bar. Ich war wegen eines Jobs hier.“

Ein Job? Er konnte den Club kaufen und aus seiner Portokasse bezahlen! Warum bewarb sie sich um einen Job? Doch er entschied, dass es im Moment wichtigere Fragen gab.

„Schick ihm doch eine Nachricht.“ Er legte ihr eine Hand in den Rücken, um sie zum Ausgang zu führen. „Und jetzt lass uns gehen.“

Mia schwirrte der Kopf. Die Stelle in ihrem Kreuz, wo Santos’ Hand lag, brannte. Diese Wirkung hatte er vom ersten Moment an auf sie gehabt, als sie ihm seinen Whiskey Sour über die Theke geschoben und dabei seine Finger gestreift hatte. Die elektrisierende Energie war ihr den Arm hinauf und direkt ins Herz geschossen.

Wenn du mit dem Feuer spielst …

Ein Schauer durchlief ihren Körper, doch sie unterdrückte ihn. Santos sollte nicht merken, welche Gefühlsregungen er immer noch in ihr auslöste. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Sie war davon ausgegangen, dass er zu stolz war, um nach ihr zu suchen. Außerdem war er ihrer überdrüssig gewesen, oder nicht? Jedenfalls hatte er sich so benommen. Die letzten zwei Monate ihrer Ehe waren schier unerträglich gewesen. Wegzulaufen war ihr wie die einzige Lösung erschienen.

Außerdem machst du es immer so.

Zusammen drängten sie sich durch die volle Bar, seine Hand immer in ihrem Rücken. Mia spürte jeden einzelnen langen, schlanken Finger wie ein Brandmal an ihrer Wirbelsäule. Was wollte Santos von ihr? Er musste doch erleichtert sein, dass sie gegangen war. Diese kurze, stürmische Ehe bereute er sicherlich.

Sie verließen die Bar über eine Treppe und traten auf die Promenade hinaus. Eine laue, salzige Brise kühlte Mias erhitzte Wangen, während sie auf den Hafen mit seiner kleinen Flotte aus Superjachten hinausblickte. Auf Santos’ Jacht war sie noch nie gewesen. Tatsächlich hatte sie nicht einmal gewusst, dass er eine besaß. Andererseits, der Mann hatte alles. Abgesehen von seinem sehnlichsten Wunsch: einem Kind …

Schuld und Trauer bildeten einen Kloß in ihrer Kehle, den sie kaum herunterzuschlucken vermochte. Nicht daran denken, sagte sie sich. Über dieses Thema würden sie sicher nicht sprechen. Das hatten sie nie getan.

„Also, welche ist deine?“, fragte sie, und er nickte in Richtung einer stromlinienförmigen Jacht mit Streifen in Grau und Gold am Rumpf – den Farben der Familie Aguila, die sich auch in deren Adlerwappen fanden. Mia straffte die Schultern und versuchte, das nervöse Kribbeln in ihrem Bauch unter Kontrolle zu bringen. Sie glaubte nicht, dass Santos sie kidnappen würde. Tatsächlich konnte sie sich besser vorstellen, dass er sie über Bord warf, aber auch das würde er selbstverständlich nicht tun. Wovor also hatte sie Angst?

Vor diesem Mann und seinem mächtigen Charisma; davor, dass er sie nur ansehen musste, um sie zu einem einzigen Durcheinander aus Sehnsucht, Hoffnung und schmerzhafter Enttäuschung werden zu lassen.

Seine Hand lag noch immer in ihrem Rücken. Ihr ganzer Körper stand mittlerweile in Flammen.

Mit einem Gefühl, als würde sie ihrem Schicksal gegenübertreten, ging Mia langsam auf die Jacht zu. Ein Wachmann stand an der Gangway – Ronaldo, erinnerte sie sich. Damals war er nett zu ihr gewesen, jetzt war sein Blick hart wie Granit.

Sicherlich hassten sie jetzt alle. Sie war die schlechteste Ehefrau aller Zeiten. Schon vor ihrem Weglaufen hatte sie die Rolle der zukünftigen Aguila-Matriarchin schlecht ausgefüllt, aber war das eine Überraschung? Sie war die Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die es nie lange an einem Ort ausgehalten hatte. Sie hatte keinen College-Abschluss, sondern nur knapp ihren Schulabschluss geschafft und keinen Job länger als wenige Monate behalten. Sie wechselte ständig den Wohnort. Niemals Wurzeln zu schlagen, war das, was sie kannte. Nichts davon passte zu einer Aguila.

Sie schritt die Gangway hinauf. Santos führte sie zu einem luxuriösen Wohnbereich mit Ledersofas und gläsernen Couchtischen. Als er die doppelflügelige Tür schloss, erfasste Stille den Raum.

Mia schluckte schwer. Sie war nicht bereit, sich diesem Mann zu stellen, den sie geheiratet und in den sie sich verliebt hatte – oder zumindest hatte sie das geglaubt. In den sechs Wochen, seit sie ihn verlassen hatte, hatte sie sich gesagt, dass es nicht real gewesen sein konnte. Konnte sie so schnell so starke Gefühle entwickeln? Und hatte Santos diese Gefühle erwidert, oder hatte er sich nur vom Moment mitreißen lassen? Je länger Mia mit Santos zusammengelebt hatte, desto unglücklicher waren sie beide geworden. Sie glaubte nicht, dass es Liebe gewesen war, obwohl sie es sich beide hatten einreden wollen. Vernarrtheit vielleicht, Leidenschaft – aber Liebe?

Und trotzdem war er jetzt hier.

„Drink?“, fragte er knapp und trat an eine gut ausgestattete Mahagonibar. Mia beobachtete nervös, wie er sich einen doppelten Whiskey einschenkte. Er zog ein Blister aus der Jacketttasche, drückte drei Tabletten heraus und spülte sie mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit herunter, ehe er das leere Glas zurückstellte.

„Wofür waren die?“, fragte sie, und er wandte sich zu ihr um, lehnte sich an die Bar und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Kopfschmerzen.“

Im ersten Moment hielt Mia es für einen sarkastischen Scherz. Es musste ihm Kopfzerbrechen bereitet haben, sie zu finden. Auf ihrem Weg durch Spanien hatte sie immer nur Bargeld verwendet und ihre Spuren sorgsam verwischt.

Dann sah sie, wie er kurz wankte, und ihr wurde klar, dass er tatsächlich Kopfschmerzen hatte.

Unbehaglich erwiderte sie seinen eisigen Blick. Offenbar würde er die unangenehme Stille nicht brechen. Er sah so gut aus, dass sich ihr Inneres vor Verlangen zusammenzog. Sein Haar war tiefschwarz, seine Augen hatten die goldbraune Farbe des Whiskeys, den er gerade heruntergekippt hatte. Auf den schmalen Wangen und dem wie gemeißelt wirkenden Kinn schimmerte sein sauber getrimmter Bart in der gedimmten Beleuchtung. Außerdem waren da noch die breiten Schultern und die muskulöse Brust, der mächtige Körper in maßgeschneiderte Baumwolle gekleidet. In den letzten sechs Wochen hatte er sich überhaupt nicht verändert. Höchstens wirkte er etwas erschöpfter, ein wenig zynischer als zuvor. Das lag vermutlich an ihr.

Mia schluckte erneut, hob das Kinn und zwang sich, ihm in die goldbraunen Augen zu blicken. „Also“, begann sie und bemühte sich erfolglos, unbekümmert zu klingen. „Worüber möchtest du reden?“

Er lachte verächtlich. „Du hast dich nicht verändert, wie ich sehe.“

Tatsächlich sogar sehr, dachte sie und konnte nicht verhindern, dass Bitterkeit in ihr aufstieg. Und nicht zum Besseren.

„Du auch nicht“, gab sie zurück und hob das Kinn noch etwas höher. Er war genauso kühl, arrogant und selbstsicher wie immer. „Warum hast du mich gesucht, Santos?“

„Weil du meine Ehefrau bist.“

„Ich bin nicht dein Besitz“, erinnerte sie ihn, obwohl sie zugeben musste, dass er sie nie so behandelt hatte. Das war nicht das Problem gewesen.

„Das habe ich auch nicht behauptet“, erwiderte er so beherrscht wie eh und je. Der Mann erhob nie die Stimme, was Mia zum Schluss rasend gemacht hatte. Ein Streit wäre ein Ventil für all die schrecklichen Gefühle gewesen, doch er hatte sich nie darauf eingelassen. Immer hatte er mit dieser gemäßigten Stimme gesprochen, nichts preisgegeben, kein Gefühl gezeigt außer stummen Vorwürfen … Sie sah sie auch jetzt in seinen Augen, in seinen aufeinandergepressten Lippen. Da wusste sie wieder, warum sie gegangen war.

„Nun“, begann sie und konnte nicht verhindern, dass sie sarkastisch klang, „gibt es irgendeinen Grund außer dem, dass wir einen dummen Fehler gemacht und geheiratet haben?“

„Sag das nicht“, befahl er leise, aber mit so viel Schärfe, dass Mia blinzelte.

„Was soll ich nicht sagen?“

„Dass unsere Heirat ein Fehler war.“ Der Blick seiner goldbraunen Augen bohrte sich in ihre. „Wir haben uns ein Versprechen gegeben. Als ein Aguila nehme ich das sehr ernst.“

„Als ein Aguila“, wiederholte sie. Sie hatte immer gewusst, wie wichtig es Santos war, das Oberhaupt einer der ältesten spanischen Adelsfamilien zu sein. Aguilas standen zu ihrem Wort – natürlich taten sie das.

„Als Mann“, verbesserte er sich, und Mia fragte sich, ob es für ihn einen Unterschied machte. Auf jeden Fall bedeutete es nicht, dass er sie liebte. Sonst hätte er sie nicht so behandelt – mit all den finsteren Blicken und dem vorwurfsvollen Schweigen. Wenn sein einziger Grund, verheiratet zu bleiben, sein Versprechen war, dann konnte es nur ein zweites Mal in einer Katastrophe enden …

Wenn Santos hergekommen war, weil er sie um seiner Integrität willen nach Sevilla zurückholen wollte, dann musste Mia ihn überzeugen, dass das weder für sie noch für ihn eine gute Idee war.

Santos Aguila stand zu seinem Wort, aber Mia stand auch zu ihrem. Und sie hatte sich selbst versprochen, dass sie ihm nie wieder erlauben würde, sie zu verletzen.

2. KAPITEL

Santos biss die Zähne zusammen. Sein Kopf pochte entsetzlich. Wann wirkten die Tabletten endlich? Eine so heftige Migräne hatte er seit Jahren nicht erlebt. Er hatte gelernt, bei den ersten Symptomen sofort zu reagieren – beim ersten Schmerz, der verschwommenen Sicht und den dunklen Punkten, die durch sein Gesichtsfeld tanzten. Doch jetzt konnte er sich keine Atempause in einem abgedunkelten Raum erlauben. Mia war hier, und er brauchte Antworten. Allerdings sah es nicht danach aus, dass sie ihm welche geben würde.

„Was machst du auf Ibiza?“, hörte er sich fragen.

Er war weder körperlich noch emotional in der Verfassung für die bedeutsameren Fragen.

Warum hast du mich verlassen?

Warum versteckst du dich vor mir?

Warum wolltest du unser Baby nicht?

Nein, davon würde er definitiv nicht anfangen. Vielleicht niemals.

Mia hob eine Schulter, wodurch sich der geschmeidige Satin noch enger an ihre bezaubernden Brüste schmiegte. „Warum nicht Ibiza?“, fragte sie frech.

Das war keine Antwort, und es sollte ihn nicht überraschen. Gegenfragen waren ihre Spezialität. Zu Anfang hatte er ihre Unbekümmertheit sehr charmant gefunden. Bei wichtigen Themen war Ausweichen weniger liebenswert.

„Ich meine es ernst, Mia.“ Er schloss kurz die Augen, um den pochenden Schmerz in den Griff zu bekommen.

„Ich auch“, entgegnete sie eisig. „Diese Insel ist so gut wie jede andere. Ich bin Barkeeperin, Santos. Ich gehe dorthin, wo Cocktails getrunken werden.“ Sie schwieg einen Moment und fügte dann gleichgültig hinzu: „Außerdem sind hier viele Menschen, und ich dachte, du würdest mich nicht so leicht finden.“

Er knirschte mit den Zähnen. „Du wolltest untertauchen.“

„Natürlich.“ Sie lächelte schief, und ihre Augen leuchteten so blaugrün wie das Meer. Früher einmal hatte er sich gefühlt, als könnte er in ihren Augen ertrinken. Als er sie kennengelernt hatte, war sie ihm mysteriös vorgekommen, aber auch warmherzig, offen und unkompliziert. Das Gegenteil von ihm, und genau das hatte ihn so fasziniert. Wenn sie gelacht hatte, war etwas Schweres in ihm ganz leicht geworden. Die Verantwortung, die auf ihm lastete, die schlimmen Erinnerungen … Bei Mia war alles von ihm abgefallen.

Wie sehr sich das nach den ersten Rückschlägen gewandelt hatte!

„Und dieses Kleid?“, fragte er und deutete auf ihre sexy Abendrobe. Fantastisch sah sie darin aus. Warum trug sie so etwas? Offensichtlich nicht für ihn. „Ist das auch Teil deines Jobs?“

Das schiefe Lächeln erstarb. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Was willst du damit sagen, Santos?“

„Normalerweise braucht man fürs Cocktailmixen kein Abendkleid“, gab er betont ruhig zurück.

Sie seufzte, ließ die Schultern hängen und sah zu Boden. „Das war vermutlich ein Fehler“, gab sie leise zu. „Ich habe mich um einen Job als Barkeeperin beworben, aber Ernesto, der Geschäftsführer der Bar, bat mich, es als Hostess zu versuchen. Das Kleid gehört ihm. Ich werde es ihm zurückgeben.“

„Hostess“, wiederholte Santos leise. Nur ein winziger Schritt bis zum Escortservice, wenn überhaupt … „Ernsthaft, Mia?“

„Es war mir nicht klar.“ Sie blickte auf, und ihre Augen glänzten. Ob vor Wut oder Tränen, konnte er nicht sagen. „Er gab mir das Kleid, als ich heute Abend im Club angekommen bin. Ich dachte … Ach, ich weiß auch nicht, was ich dachte. Ich hatte kein Geld mehr. Aber natürlich hätte ich niemals getan, worauf du anspielst.“

Warum hatte sie kein Geld? Er hatte ihr Zugang zu all seinen Konten gegeben. Sie hatten noch nicht einmal einen Ehevertrag unterzeichnet, was seinen Anwalt schockiert hatte. Andererseits war der größte Teil des Aguila-Vermögens sowieso fest in Immobilien und Investments angelegt und damit unerreichbar. Bei der Hochzeit hatten ihn seine Gefühle für Mia so leichtsinnig gemacht, dass er nicht nachgedacht hatte. Dabei handelte er sonst immer sehr überlegt. Mit Mia zusammen zu sein, hatte sich richtig angefühlt. Ein Leben lang war er pflichtbewusst gewesen. Bei Mia anders zu sein, war ein gutes Gefühl gewesen. Aufregend.

Sie sollte keine dubiosen Jobs in Bars annehmen müssen. Er trat einen Schritt auf sie zu, doch von der Bewegung geriet der Raum plötzlich in Schieflage, und der Kopfschmerz flammte auf. „Und worauf, glaubst du, spiele ich an?“, fragte er. 

„Ich habe keine Ahnung“, rief sie und riss die schlanken Arme hoch. „Ich weiß nie, was du denkst. Du sprichst es nicht aus. Du stehst nur da und siehst mich an, als wäre … als wäre dein Hund gestorben oder so.“ Die Worte schienen schwer zwischen ihnen in der Luft zu hängen.

„Nicht mein Hund“, erwiderte Santos leise, und Mias Gesicht verzog sich.

„Tu das nicht, Santos“, flüsterte sie.

Santos fragte sich erschöpft, ob es Sinn hatte, diese Diskussion zu führen. Er hatte sich immer für vernünftig gehalten, doch bei Mia versagte sein Verstand. Da war zu viel Unausgesprochenes zwischen ihnen, weil beide nicht mit den Antworten umgehen konnten.

Und dennoch … Sie war seine Ehefrau, und er nahm dieses Gelübde sehr ernst. Er lief nicht davon, und genauso wenig würde er zulassen, dass sie es tat. Aber wie sollte das ohne gegenseitiges Vertrauen funktionieren?

Es schien unmöglich. Ein Teil von ihm wollte zurückkehren an diesen allerersten Moment in der portugiesischen Bar, als er so verzaubert von ihr gewesen war, dass sie seine Seele in Besitz genommen hatte. Ein anderer Teil wollte sich gar nicht erst auf den Barhocker setzen und sie um eine Getränkeempfehlung bitten. Niemals sehen, wie ihr das Haar ins Gesicht fiel und die Sommersprossen auf der Nase zu tanzen begannen, sobald sie lachte.

Dafür war es zu spät. An einem Strand in der Nähe der Altstadt von Lagos, die glitzernden Wellen in ihrem Rücken, hatten sie sich an den Händen gehalten und ihr Ehegelübde gesprochen. Da hatten sie einander kaum zwei Wochen gekannt.

Rückblickend blanker Wahnsinn. In seinem ganzen Leben hatte er nie so etwas Verrücktes gewagt, und das war vermutlich der Grund, warum er es getan hatte. Alles, woran er sich jetzt noch erinnerte, war, dass er sich für immer so fühlen wollte – glücklich und frei, als ob alles möglich wäre. Eine kurze Zeit lang war es absolut wundervoll gewesen.

Das alles schien eine Ewigkeit her, und er wusste nicht, ob er dieses Gefühl je wiederbekommen konnte – ohne Mia ganz sicher nicht.

„In Ordnung“, lenkte er ein. „Ich spreche nicht davon. Aber dafür kommst du mit mir zurück nach Sevilla, Mia.“ Er würde nicht zulassen, dass seine Frau als Barkeeperin durch die Spelunken Europas tingelte.

Ihr Mund verzog sich zu so etwas wie einem bitteren Lächeln. „Ich dachte, du willst mich nicht entführen.“

„Das tue ich auch nicht.“ Obwohl ein Teil von ihm in Versuchung war. Er könnte die Abfahrt anordnen, und es gäbe nichts, was sie dagegen tun könnte. Aber das war nicht seine Art. „Ich hoffe darauf, dass du freiwillig mitkommst. Für unsere Ehe.“

Ganz langsam schüttelte sie den Kopf. „Warum, Santos? Wir haben einander unglücklich gemacht …“

„Sag das nicht.“ Ja, sie waren am Ende unglücklich gewesen, aber davor unendlich glücklich. Vielleicht konnten sie dahin zurückkehren. Es ging ihm nicht nur darum, zu seinem Wort zu stehen. Mia und er hatten etwas Besonderes geteilt, und er wollte diese Ehe nicht aufgeben, obwohl Mia es offenbar bereits getan hatte.

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