Die Insel der Delfine

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Alice kommt sich wie Cinderella vor: Der gut aussehende Prinz Lorne de Marigny rettet sie am Strand seines Inselreichs vor dem Ertrinken und nimmt sie als Gast in seiner Sommerresidenz auf. Dort liest er ihr nicht nur jeden Wunsch von den Augen ab, sondern küsst sie auch noch leidenschaftlich. Aber muss sie sich deshalb alles von ihm vorschreiben lassen?


  • Erscheinungstag 18.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774394
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Allie Carter spürte die Unterwasserströmung und wusste, sie war in Schwierigkeiten. Die Strömung war zu stark, es hatte keinen Sinn, dagegen anzuschwimmen. Sie konnte nur noch versuchen, ihren Kopf über Wasser zu behalten.

Ihr Instinkt verlangte, zum Ufer zurückzuschwimmen, aber ihr Verstand prophezeite ihr den sicheren Tod. Allie begann, parallel zum Strand zu schwimmen. Früher oder später würde die Strömung in ruhigeres Wasser übergehen, und dann konnte sie an Land. Aber es würde ein langer Fußmarsch zurück zum Saphir Beach werden, wo sie ins Wasser gegangen war.

„Lass dich tragen, kämpfe nicht dagegen an“, sagte sie sich laut, um die aufsteigende Panik in den Griff zu bekommen. Ohne großen Erfolg, da sie unentwegt an die Haie denken musste, die hier im tieferen Wasser oft genug gesichtet worden waren. Vielleicht frisst diese Art nur Frauen aus Carramer und keine Australierinnen, dachte sie. Aber das war reines Wunschdenken. Immerhin lenkte es sie von den zunehmenden Schmerzen in den Schultern ab.

Gerade als sie glaubte, keine Kraft mehr zu haben, an Land zu kommen, schwächte sich die Strömung ab. Hastig schwamm Allie auf den kleinen Strand zu. Erschöpfung und das Salzwasser schränkten ihre Sicht ein, aber sie nahm auf dem Sand eine Bewegung wahr. Dort war jemand! Oder war das auch nur Wunschdenken?

Als sie endlich das flache Wasser erreichte, war sie so schwach, dass sie nicht einmal aufstehen konnte. Sie blieb keuchend in der Brandung liegen. Ihre Augen brannten höllisch, sie konnte kaum etwas sehen. Wellen brachen über ihr zusammen und drohten sie wieder hinauszuziehen, doch sie hatte nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren.

Plötzlich wurde sie von starken Armen hochgehoben und die letzten wenigen Meter zum Strand getragen.

„Es ist gut. Sie sind jetzt in Sicherheit“, hörte sie eine kräftige Männerstimme mit französischem Akzent sagen. Dann lag sie auf einmal mit dem Bauch auf einem festen Untergrund, und ein schwerer Druck lastete auf ihrem Rücken. Sie versuchte zu protestieren, aber kein Laut kam heraus. Der Druck wechselte rhythmisch, bis sie hustete und einen kräftigen Schwall Salzwasser ausspuckte.

„So ist es besser“, erklang die befehlsgewohnte männliche Stimme. „Bleiben Sie liegen, bis ich einen Arzt geholt habe.“

Benommen stützte sie sich auf einem Ellbogen auf und versuchte ihren Retter zu erkennen. Ein hoch gewachsener, breitschultriger Mann stand über sie gebeugt. Seine Stimme klang besorgt, während er ihr ein zusammengefaltetes Handtuch als Kopfkissen unter den Kopf legte. Mit einem weiteren wischte er ihr vorsichtig das Gesicht ab. Dabei stieg ihr ein schwacher Duft in die Nase, irgendetwas Teures, Französisches, und sehr, sehr männlich.

„Ich brauche keinen Arzt. Wenn ich mich ein paar Minuten ausruhen kann, geht es mir besser“, krächzte sie und hoffte, sie klang überzeugender, als es sich in ihren Ohren anhörte.

„Ihnen geht’s noch lange nicht gut. Sie sind fast im Griff der Schlange ertrunken.“ Es klang diesmal eindeutig missbilligend.

Allie wusste, sie war erschöpft, aber sie hatte keine Halluzinationen. „Die Schlange?“

„Ein örtlicher Aberglaube. Ihr Australier würdet es eine Unterwasserströmung nennen. Sie sind offenbar noch nicht lange in Carramer, sonst würden Sie wissen, wie gefährlich der Saphir Beach für Uneingeweihte ist.“

Sie wusste selbst, wie dumm sie gehandelt hatte, und dass sie wirklich beinahe ertrunken wäre. Das musste ihr nicht auch noch ein Fremder auf die Nase binden. „Woher hätte ich es denn wissen sollen?“, reagierte sie unwirsch. „Die einzigen Hinweistafeln waren in der Landessprache, und die beherrsche ich zufällig nicht!“

„Wie überraschend.“

Der Sarkasmus war nicht zu überhören. Sie rappelte sich hoch und sah, dass sie auf einer dicken gewebten Matte unter einem großen Sonnendach lag, das aussah wie das Zelt eines Wüstenscheichs. Ihr wurde unangenehm klar, dass sie auf einem der vielen Privatstrände des Inselkönigreichs Zuflucht gefunden hatte. Und sein Besitzer schien nicht sonderlich darüber erbaut zu sein.

Ihre Augen hatten sich so weit erholt, dass sie den Mann genauer betrachten konnte. Er hatte ein scharf geschnittenes, aristokratisches Gesicht, wie aus Stein gemeißelt. Nur ein winziger Muskel zuckte an seinem Kinn.

Seine obsidianschwarzen Augen funkelten sie unter fast ebenso schwarzem Haar an. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie war so erschöpft, dass sie kaum klar denken konnte.

Eine andere Frage kam ihr in den Sinn. „Woher wissen Sie, dass ich Australierin bin?“

Er runzelte die Stirn. „Wenn Ihr Akzent Sie nicht verraten hätte, dann Ihre Schönheit und die direkte Art bestimmt.“

„Wollen Sie mir weismachen, Sie erkennen Australierinnen auf Anhieb?“

Er nickte. „Ihre besondere körperliche Robustheit un­terscheidet sie von der Zartheit der Frauen von Carramer, auch wenn sie so schlank und wohlproportioniert sind wie Sie, Miss …“

„Alison Carter.“ Sie war froh, dass ihre Stimme inzwischen weniger krächzend klang. „Allie für meine Freunde.“

„Alison.“ So wie er ihren Namen aussprach, gehörte er nicht zu ihren Freunden. „Ich bin Lorne de Marigny.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Monsieur de Marigny.“ Sie ging auf seinen förmlichen Ton ein, unwillkürlich benutzte sie dabei auch die örtliche französische Anrede. In Australien hätte sie ihn ohne nachzudenken einfach beim Vornamen genannt, aber seine zurückhaltende Art und sein ernstes Gesicht rieten ihr, es nicht zu tun. Sie stand ein wenig mühevoll auf. „Danke für Ihre Hilfe, aber jetzt gehe ich besser.“

Die Landschaft drehte sich vor ihren Augen, und sie schwankte. Sofort legte er ihr den Arm um die Schulter und hielt sie fest. „Sie sind nicht in der Lage, auch nur irgendwohin zu gehen, bis der Arzt es Ihnen erlaubt hat.“

Sein Arm fühlte sich so gut an, dass sie sich am liebsten an ihn gelehnt und ihm die Entscheidungen überlassen hätte. Er schien es gewohnt zu sein, und sie war müde, so unendlich müde. Allie riss sich zusammen. Monsieur de Marigny hatte sichtlich etwas gegen ihre Anwesenheit, also durfte sie ihm nicht weiter zur Last fallen. „Nein, danke. Sie haben mehr als genug getan. Es tut mir leid, dass ich Sie hier gestört habe, aber ich gehe jetzt.“

Sein dunkler Blick bohrte sich förmlich in ihre Augen. „Und wie genau wollen Sie das bewerkstelligen?“

So weit hatte sie noch nicht vorausgedacht. „Ich werde wohl zu Fuß nach Allora zurückgehen. Ich wohne dort in einem kleinen Hotel.“

Eine kurze Handbewegung zeigte arrogant, was er von ihrem Vorhaben hielt. „Sie sind viel zu schwach für einen Fußmarsch über mehrere Meilen zur Stadt zurück.“

Sie blickte ihn überrascht an. „Hat die Strömung mich so weit getragen?“

„Es sieht so aus.“ Er klang amüsiert.

„Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“ Das kam ziemlich spitz heraus.

„Ein Arzt wird Sie sich ansehen. Kommen Sie, meine Villa liegt hinter der Anhöhe.“

„Als Nächstes sagen Sie mir, Sie haben einen Arzt auf Abruf bereitstehen.“

Lorne blickte sie kaum an. „Da muss ich Ihnen zustimmen.“

„Und einen Chauffeur und einen Hubschrauber samt Pilot, nehme ich an?“, spottete sie.

Er neigte leicht den Kopf. „Neben anderem Personal, ja.“

Sie fühlte sich auf einmal wie ein Fisch auf dem Trockenen. Entweder hatte dieser einnehmende Fremde Wahnvorstellungen, oder aber er war tatsächlich ein Mann von Bedeutung. Sie straffte die Schultern. Beides war ihr eigentlich egal. „Ich sehe hier niemanden“, sagte sie und blickte sich betont um.

Sein Blick spießte sie auf. „Stellen Sie mein Wort infrage?“

Es hörte sich an, als wäre ihm das noch nie passiert. Vielleicht wurde es Zeit, dass jemand es einmal wagte.

„In Australien nennen wir die Dinge so, wie wir sie sehen“, erklärte sie und deutete auf den menschenleeren Strand.

Er atmete tief ein, und sie konnte fast fühlen, wie sehr er sich beherrschen musste. „Geben Sie sich keinen Illusionen hin, wir werden inzwischen von mehreren Punkten aus beobachtet. Dieser Strand ist für die Öffentlichkeit gesperrt, und das ist auch bekannt. Mein Personal ist so ausgebildet, mir wenigstens den Anschein von Privatsphäre zu vermitteln.“

So ganz anders als bestimmte Fremde, sollte es eigentlich heißen.

„Hören Sie, ich habe es nicht darauf angelegt, mich ausgerechnet hier an Ihren Privatstrand schwemmen zu lassen!“ Allmählich gingen ihr sein überhebliches Getue und seine beleidigenden Andeutungen auf die Nerven. Was konnte wohl eine gewöhnliche Touristin im Bikini diesem athletischen Mannsbild schon antun? „Wenn einer von Ihrem … Personal so freundlich ist, mich zurück nach Allora zu bringen, sind Sie mich sofort los.“

Er runzelte die Stirn. „Sind Sie immer so aufreizend beharrlich?“

„Nur nachdem ich fast ertrunken wäre“, versicherte sie ihm müde. Sie hatte einfach keine Lust, sich weiter mit Mr Arroganz abzugeben, und wenn ihm halb Carramer gehören sollte.

Das nahm er ihr nicht ab. Sie sah es ihm an. „Also, wenn ich ehrlich bin, bezweifle ich, dass nur der Kampf mit der Schlange diese Neigung bei Ihnen erweckt.“

Sie sagte sich, er hatte ihr immerhin das Leben gerettet. Also lenkte sie ein. „Als ich vier war, nannte meine Mutter mich Miss Dickkopf, weil ich ziemlich stur sein konnte. Ich schätze, ich habe mich seitdem nicht geändert.“

„Ich schätze, Sie haben sich ausnehmend geändert, seit Sie vier waren“, bemerkte er trocken und musterte sie dabei so unverhohlen, dass klar war, was er meinte.

Dies erinnerte sie daran, wie viel ihr weißer Bikini zeigte. Sie hatte vergessen, ihren eigenen Badeanzug einzupacken, und sich notgedrungen gestern in einer der Boutiquen einen Bikini kaufen müssen. Die Insel schien knapp an Stoffvorräten zu sein. Die beiden winzigen Streifen zeigten mehr, als dass sie etwas verdeckten.

Na und, dachte sie trotzig. Schließlich muss ich mich meines Körpers wirklich nicht schämen. Sie war zwar kein Supermodel, aber sorgfältig überlegte Essgewohnheiten und viel körperliche Bewegung hatten ihrem Körper genau die richtigen Rundungen an den richtigen Stellen gegeben.

Dennoch verursachte Lornes eingehende Musterung ih­res Körpers ein seltsames Prickeln in ihrem Bauch. „Sie übernehmen besser die Führung“, schlug sie Lorne vor, doch leicht verunsichert.

Er neigte leicht den Kopf, sichtlich amüsiert. „Das werde ich auf jeden Fall.“

Als er ihren Arm ergriff und sie den schmalen Weg über die Düne führte, hatte sie das Gefühl, an der Stelle zu brennen. Überrascht schaute sie hin. Keine Flammen, nur gewöhnliches Fleisch und Blut. Es musste an ihrer Erschöpfung liegen, dass es ihr jetzt noch heiß über den Rücken lief. Vielleicht war sein Rat doch richtig, sich ärztlich untersuchen zu lassen.

„Was führt Sie nach Carramer? Machen Sie hier Ur­laub?“, fragte er, während sie Mühe hatte, mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Er bemerkte es und verlangsamte sein Tempo.

Sein desinteressierter Ton verriet, dass er nur höflich Konversation machte. „Es ist ein Arbeitsurlaub“, erwiderte sie. „Ich bin hergekommen um zu malen.“

„Sind Sie Künstlerin?“

Wieder dieser missbilligende Ton, und sie fragte sich nach dem Grund. Sie seufzte. „Genau das möchte ich he­rausfinden. Zu Hause in Brisbane gebe ich Kunstunterricht an einer Mädchenschule, aber ich habe immer schon Malerin werden wollen. So beschloss ich, meine Ersparnisse dazu zu benutzen, um herauszufinden, was ich wirklich kann.“

„Warum ausgerechnet Carramer? Sie könnten doch auch in Australien malen, oder?“

Sie nickte. „Das könnte ich, aber dort gibt es zu viele Ablenkungen.“

Er hob eine Augenbraue. „Zum Beispiel durch einen Mann?“

Ablenkungen durch eine Familie, für die ich immer zur Verfügung stehe, dachte sie und unterdrückte den aufsteigenden Ärger. Hin- und hergerissen zwischen einer kränkelnden Mutter, die von ihr erwartete, dass sie kaum von ihrer Seite wich, und einer verwöhnten Schwester, hatte Allie niemals genug Geld oder Zeit für sich selbst gehabt. Ihr Vater hatte die Familie verlassen, als sie sechzehn gewesen war, und ihre Mutter hatte sich von da an voll und ganz auf sie gestützt. Sie war ständig irgendwie krank, sodass sie niemals richtig arbeiten konnte, und so hatte Allie ihren Traum aufgegeben, die Kunstschule zu besuchen. Stattdessen war sie Lehrerin geworden, um die Familie zu ernähren und ihrer Schwester das Studium zu ermöglichen.

Dann, vor ein paar Monaten, hatte ihre Mutter die Bombe platzen lassen. Sie hatte verkündet, einen Nachbarn zu heiraten. Er hatte wohl während Allies Arbeitszeit um ihre Mutter geworben, denn sie selbst hatte nie etwas davon mitbekommen. Es wurde zwar nicht ausgesprochen, aber es war klar, von nun an sollte Allie ihr eigenes Leben führen. Man bedankte sich bei ihr, zeigte ihr aber deutlich, weitere Opfer seien nicht notwendig.

Lorne hielt ihr Schweigen fälschlicherweise für Zustimmung. „Hat dieser Mann Sie betrogen?“

Allie starrte ihn verwirrt an. „Nein, ich meine, es gibt keinen Mann. Ich bin aus persönlichen Gründen hergekommen.“

Er sah sie skeptisch an. „Sie wollen mir erzählen, eine Frau mit Ihrem Aussehen hat keinen Mann, der zu Hause auf sie wartet?“

Sie hatte sich ab und an mit einem Kollegen getroffen, aber er war noch fordernder als ihre Familie gewesen – und dagegen, dass sie Urlaub nahm. Wohl, weil sie ihm dann nicht mehr zur Verfügung stand. Als er dann andeutete, er würde vielleicht nicht mehr für sie da sein, wenn sie zurückkehrte, hatte sie spontan mit ihm Schluss gemacht.

„Es wartet zu Hause kein Mann mehr auf mich“, erklärte sie, konnte aber einen bitteren Unterton dabei nicht verhindern.

„Ich nehme an, Sie haben Ihren eigenen Bedürfnissen den Vorrang gegeben.“ Es klang wie ein Urteil.

Sein Ton gefiel ihr nicht. Sie hatte genug davon, sich von anderen durch die Gegend scheuchen zu lassen, nur um dann wie ein nutzloses Teil abgelegt zu werden, das man nicht mehr brauchte. Es war an der Zeit, einiges zu ändern. Unbewusst hob sie stolz das Kinn. „Und was ist daran falsch?“

Er antwortete nicht sogleich. „Meiner Erfahrung nach ist es nicht richtig, sich über die Bedürfnisse anderer hinwegzusetzen.“

Nichts lag ihr ferner. Aber was wusste er schon, welche Verantwortung sie all die Jahre hatte tragen müssen? So wie er aussah und wie er von seiner Villa und seinem Personal redete, musste er sich bestimmt nur um sich selbst sorgen.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, verwirrt, wie widersprüchlich sie auf ihn reagierte. Einerseits mochte sie seine herrische Art nicht, und doch erregte er sie auf seltsame Weise. Sie brachte die Schmetterlinge in ihrem Bauch zur Ruhe und betrachtete ihn so, wie er sie betrachtet hatte. Er war groß, aber nicht einschüchternd riesig. Ungefähr einen Kopf größer als sie selbst. Und seine Haltung verriet Kraft und Durchsetzungsvermögen.

Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie seine dunklen Augen in Momenten der Freude aufleuchteten und sich sein voller Mund zu einem Lächeln verzog. Ein Schauer rann ihr über den Rücken.

Ich würde ihn gern so malen, wie er jetzt aussieht, dachte sie. Er trug eine schmale schwarze Badehose, aber dennoch wirkte er aristokratisch, wie ein Ritter in voller Montur. Er sah aus, als wäre er sich seines Platzes in der Welt bewusst.

Sie unterdrückte einen Anflug von Neid. Es musste ein wundervolles Gefühl sein, zu wissen, wer man war und was man tun wollte. Etwas, nach dem Allie noch auf der Suche war.

„Was tun Sie hier?“, fragte sie impulsiv.

Einen Moment lang wirkte er verblüfft, dann sagte er: „Was ich tue? Man könnte sagen, ich leite etwas.“

„Sie meinen Manager? Geschäftlich? Oder in der Regierung?“

Er presste die Lippen zusammen. „Sie sind noch nicht lange in Carramer, oder, Alison?“

„Eine Woche, aber ich habe vor, so lange zu bleiben, wie mein Geld reicht. Warum fragen Sie? Sollte ich wissen, wer Sie sind?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich denke, Sie werden es herausfinden.“

Sie schaute in die Richtung, in die sein Kopf wies und sah eine Gestalt, die von einem der Bäume hinter dem Strand heruntersprang. Dann sah sie einen Mann hinter einer viel kleineren Gestalt am Strand herjagen.

„Nori“, sagte Lorne so gefühlvoll, dass Allie ihn neugierig ansah. Er breitete die Arme aus, und das Kind warf sich hinein, schlang ihm beide Arme um den Nacken. „Was machst du denn hier? Du solltest doch deinen Mittagschlaf halten, oder?“

„Ich brauche keinen Mittagsschlaf mehr, ich bin jetzt ein großer Junge“, piepste der Kleine.

Allie empfand eine seltsame Enttäuschung. Ohne Zweifel waren die beiden Vater und Sohn. Die Ähnlichkeit war zu groß. Er war also verheiratet.

Das Kind blickte von der Fremden zu seinem Vater. „Dies ist Alison Carter. Sie hat Probleme mit der Schlange gehabt und fühlt sich nicht ganz wohl“, erklärte Lorne.

Der kleine Junge nickte ernst. „Ich weiß, man muss ganz vorsichtig wegen der Schlange sein, und ich darf nur mit meinem Kindermädchen baden gehen.“

Allie musste lächeln. Mit seinen leuchtenden dunklen Augen und der honigfarbenen Haut war Nori wirklich ein süßes Kind. „Vielleicht sollte ich auch nur mit meinem Kindermädchen baden“, spaßte sie.

Der Kleine sah sie verächtlich an. „Du bist viel zu groß für ein Kindermädchen. Wenn ich groß bin, habe ich auch keins mehr.“

Allie lachte. „Wie alt bist du, Nori?“

„Ich bin jetzt ein großer Junge. Ich bin vier.“ Er hielt drei kurze Finger hoch.

Ohne nachzudenken, streckte Allie die Hand aus und drückte einen weiteren Finger hoch. „Das sind vier Finger.“

Das Kind runzelte die Stirn. „Ich weiß. Ich habe nur Spaß gemacht.“

In diesem Augenblick kam ein solide gebauter Mann in einem weißen Hemd und dunkler Hose herangeschlendert. „Entschuldigen Sie die Störung, Eure Hoheit. Nori bestand darauf, zu Ihnen zu gehen, und noch bevor wir ihn zurückhalten konnten, war er uns schon entwischt.“

Allie erstarrte. Eure Hoheit? Kein Wunder, dass Lorne erwartet hatte, sie würde ihn kennen. Nun erinnerte sie sich, was sie im Reiseführer gelesen hatte. De Marigny war der Name der Herrscherfamilie von Carramer. Sie war einfach in die königliche Residenz gestolpert. Es war ein Wunder, dass er sie selbst aus dem Wasser geholt hatte, anstatt seine Wachen zu rufen. Sie war nur froh, dass sie sich nicht noch mehr blamiert hatte.

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Eure Hoheit. Ich hatte keine Ahnung“, sagte sie. Es fiel ihr schwer, ihren Ärger zu beherrschen. Er hätte ihr ruhig die Wahrheit sagen und ihr damit eine Menge Peinlichkeiten ersparen können.

Er tat es mit einer Handbewegung ab. „Es war für mich eine neue Erfahrung, nicht erkannt zu werden.“

„Es freut mich, Ihnen eine kleine Ablenkung geboten zu haben, Eure Hoheit“, gab sie ungnädig zurück. „In Carramer herrscht wohl ein Mangel an Hofnarren.“

Ihre Verärgerung schien ihn zu überraschen. „Im Gegensatz zu Ihrer Annahme habe ich mich nicht auf Ihre Kosten amüsiert. Ich hatte vor, mich Ihnen vorzustellen, sobald Sie sich ein wenig erholt hatten.“

„Dann tun Sie es besser jetzt gleich. Ich möchte mich nicht zu einem noch größeren Narren machen!“

Obwohl sie leise gesprochen hatte, blickte der Bodyguard sie erstaunt an. Es kam wohl nicht oft vor, dass jemand so zu den Mitgliedern der königlichen Familie sprach. Bevor Lorne etwas erwidern konnte, sagte der Mann: „Ich habe die Ehre, Ihnen seine Hoheit, Prinz Lorne de Marigny, Herrscher des souveränen Königreichs von Carramer, vorzustellen.“

„Sie … Sie sind der Herrscher des ganzen Landes?“, fragte sie schwach, weil sich alles um sie herum drehte.

Lorne nickte. „So scheint es.“

Die ausgestandene Todesangst und dass sie vom Monarchen höchstpersönlich gerettet worden war, musste zu viel für ihre angegriffenen Nerven gewesen sein. Der erschrockene Ausruf des Bodyguards und Lornes Befehl, ihm den Jungen abzunehmen, war das Letzte, was Allie hörte, bevor sie den Sand auf sich zukommen sah.

2. KAPITEL

Als Lorne Allie auf die Arme hob, beruhigte er automatisch seinen Sohn: „Es ist alles in Ordnung, Nori. Miss Carter ist nur vom Kampf mit der Schlange müde. Geh mit Robert zurück ins Haus. Ich komme mit Miss Carter nach.“ An den Bodyguard gewandt, sagte er: „Bitten Sie den Arzt zu mir.“

Allie rührte sich nicht, als Lorne sie das zweite Mal innerhalb einer Stunde auf den Armen hielt. Besorgt sah er auf ihr blasses Gesicht. Es wirkte durchscheinend wie das einer Porzellanpuppe. Leichte violette Schatten lagen unter den Augen. Lorne verfluchte sich stumm, weil er nicht darauf bestanden hatte, dass sie sich sofort von einem Arzt untersuchen ließ.

Als er sie über den feinen weißen Sand hinüber zur Villa trug, wurde ihm klar, dass es ihm Spaß gemacht hatte, sich mit ihr zu unterhalten. Sich mit einer Frau auf gleichberechtigter Ebene zu treffen, war für ihn etwas sehr Außergewöhnliches, denn fast jeder hier erkannte ihn auf den ersten Blick und verhielt sich dementsprechend ehrfürchtig. Zuerst war es wie ein Schock gewesen, dass sie ihn nicht erkannt hatte. Dann aber hatte es ihm gefallen, als Mann und nicht als Monarch behandelt zu werden.

Idiot, schalt er sich sogleich. Hatte er denn nicht genügend aus der Erfahrung mit Noris Mutter gelernt? Chandra war auch Australierin gewesen und ebenso erfrischend in ihrer Art wie Allie, als sie sich bei einem offiziellen Besuch ihrer Heimat kennenlernten. Er hatte sich in die frühere Miss Australien verliebt und sie gegen den Rat seiner Minister als seine Braut nach Carramer mitgebracht.

Der Traum hatte nur so lange gedauert, bis sie begriff, dass ihre Pflichten als Mitglied der königlichen Familie, anders als nach ihrer Wahl zur Miss Australien, nicht nach einem Jahr endeten. Während einer ihrer heftigen Auseinandersetzungen hatte sie Lorne an den Kopf geworfen, sie habe schon immer Prinzessin werden wollen. Nun, wo sie ihr Ziel erreicht hatte, sähe sie keinen Sinn mehr darin, sich mit den lästigen Pflichten herumzuschlagen, die damit verbunden waren.

Die Mutterschaft war für sie eine noch größere Last, und nur zu gern überließ sie ihren Sohn voll und ganz einem Kindermädchen. Weder Kind noch Mann waren Chandra wichtig. Sie verbrachte ihre Zeit lieber damit, sich in Paris an den neuesten Modeschauen zu ergötzen und in der Aufmerksamkeit zu baden, die ihr als Prinzessin zuteil wurde.

Aus Verzweiflung hatte Lorne ihre Ausgaben gekürzt, sodass sie gezwungen war, längere Zeit zu Haus zu verbringen. Sie beschuldigte ihn, ein Tyrann zu sein, keine Rücksicht auf ihre Gefühle und Bedürfnisse zu nehmen. Nach und nach fand sie alles im Königreich unerträglich – einschließlich ihrer Ehe. Lorne fühlte sich einsamer als vor der Hochzeit.

Irgendwann hatte er es satt, ständig zu hören, was alles in Australien besser sei. Aber das, was Chandra wirklich von ihm wollte, konnte er nicht tun – sie von ihrem Ehegelübde befreien, damit sie zwar Prinzessin bleiben, aber ihr Leben in vollen Zügen genießen konnte.

In seinem Land wurde eine Ehe fürs ganze Leben geschlossen. So etwas wie eine Scheidung gab es nicht. Ein Ehepaar konnte zwar getrennt leben, blieb aber bis zum Tod miteinander verheiratet. Chandra hatte verlangt, dass Lorne das Gesetz änderte, aber er hatte sich geweigert, wusste er doch um die Folgen der Scheidungen auf die Kinder in anderen Ländern. Wäre er nicht Herrscher von Carramer gewesen, hätte er ihr erlauben können, von ihm getrennt zu leben. Aber er hatte nicht vor, seinem Volk ein schlechtes Beispiel zu bieten.

Er runzelte die Stirn. Wenn er das Gesetz geändert hätte, würde Chandra dann heute noch leben? Das würde er niemals erfahren. Nach einem heftigen Streit mit ihm war sie zu ihrem Wagen gestürzt und wie eine Verrückte davongerast, hatte die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und war übers Kliff hinab ins Meer gestürzt. Chandra hatte ihre Freiheit wieder gefunden, aber auf eine Art, die ihn sein Leben lang verfolgen würde.

Die Frau in seinen Armen stöhnte leise und riss ihn in die Gegenwart zurück. Ihr inzwischen getrocknetes nussbraunes Haar wehte gegen seine Schulter. Wie leicht sie ist, dachte er unbewusst. Der Kontakt mit ihrem schlanken Körper erinnerte ihn ungewollt daran, dass er seit Chandras Tod vor einem Jahr nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen war, eine lange Zeit für einen gesunden, starken Mann.

Wieder runzelte er die Stirn. Wieso ließ ihn ausgerechnet Alison Carter an sein enthaltsames Leben denken? Nach Chandra hatte er keinerlei Lust darauf, sich mit einer Ausländerin einzulassen, besonders nicht mit einer Australierin. Wie hieß es doch? Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.

Aber an dieser Frau musste etwas Besonderes sein, etwas, das ihn in einer Weise berührte, die er lieber nicht näher erforschen wollte. Je schneller der Arzt sie für gesund erklärte, desto besser für alle Beteiligten.

Autor

Valerie Parv
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