Verliebt, Prinzessin?

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Tief enttäuscht erfährt Prinzessin Adrienne de Marigny den wahren Grund, warum der vermögende Pferdezüchter Hugh Jordan in ihr südpazifisches Inselparadies gekommen ist: Er will ihrer Familie den berühmten Zuchthengst Carazzan abkaufen! Trotz ihrer Gefühle für ihn muss sich Adrienne eingestehen: Hughs leidenschaftlicher Kuss geschah wohl nur aus Berechnung …


  • Erscheinungstag 18.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775452
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Möchten Sie vielleicht einen Luftballon, Miss? Ein Souvenir von der Nuee-Messe?“

Adrienne erstarrte unwillkürlich im ersten Moment, als der Straßenhändler näher kam, beruhigte sich jedoch gleich wieder. Der Mann konnte unmöglich wissen, wer sie war.

Ihre schlichte marineblaue Hose und das handgestrickte weiße Top hatte sie absichtlich angezogen, um in den Menschenmassen auf der jährlich stattfindenden Agrarmesse und Pferdeschau nicht aufzufallen. Ihr Strohhut und die dunkle Sonnenbrille verbargen nicht nur ihr oft fotografiertes Gesicht und das lange rabenschwarze Haar, sondern schützten sie gleichzeitig vor der heißen Nachmittagssonne.

Keiner würde in dieser Kleidung Ihre Hoheit Prinzessin Adrienne de Marigny, Tochter des Herrscherhauses von Carramer, vermuten.

Sie lächelte den Straßenhändler an. Mit acht Jahren hatte man ihr das letzte Mal einen Luftballon angeboten. Ihr Kindermädchen hatte ihn gekauft und für sie getragen. In den Jahren danach war Adrienne oft auf der Messe gewesen, aber immer nur in offizieller Mission.

„Ich nehme gern einen …“

Der Straßenhändler grinste. „Wählen Sie einen aus, hübsches Mädchen. Auch wenn der Mann Ihres Herzens Ihnen eigentlich den Ballon kaufen sollte …“

„Das würde er wohl, wenn es ihn gäbe“, erwiderte sie. Sehr wahrscheinlich nannte er jede Frau unter hundert ein hübsches Mädchen. Und er konnte natürlich nicht wissen, dass Adrienne bei der Auswahl eines Mannes auf ihren Rang und Namen Rücksicht nehmen musste.

Wenn ihre Brüder Lorne und Michel wüssten, dass sie allein diese Messe besuchte, würden sie eine Krise bekommen. Besonders Lorne, dachte sie. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, und Lorne betrachtete sich nicht nur als Monarch, sondern auch als ihr Tugendwächter. Sie wusste, ihr Bruder wollte nur das Beste für sie, aber sie fand, mit dreiundzwanzig war sie alt genug, auf sich selbst aufzupassen.

Da ihre beiden Brüder inzwischen verheiratet waren, hatten Adriennes Pflichten als königliche Gastgeberin abgenommen. Das hatte den Vorteil, dass sie wenigstens ab und an das Joch des Offiziellen abschütteln und einfach sie selbst sein konnte.

So wie heute. Sie hatte nur ein paar kostbare Stunden für sich, denn am Abend musste sie wieder die Rolle der Prinzessin bei einem Galadiner übernehmen. Und sie wollte auf jeden Fall dabei sein, wenn die Pferde zugeritten wurden, ein Ereignis, für das die Insel bekannt war.

Der Straßenhändler hielt ihr einen silbernen Ballon mit einer großen roten Rose darauf hin.

„Also, das passt zu Ihnen, finde ich.“

„Er ist hübsch, aber Pferde passen noch besser zu mir.“ Adrienne deutete auf einen Ballon mit einem Pferdekopf. Mit wilder Mähne und ebenso wildem Blick erinnerte er sie an die Wildpferde, die über die Hügel von Nuee zogen. Die Zureiter fingen sie ein und zähmten sie für ihre verwegenen Shows.

„Ich schenke Ihnen den Ballon“, sagte der Straßenhändler spontan. „Dann können Sie sagen, Sie hätten ihn von einem Mann bekommen.“

Er meinte es offenbar ernst. „Das ist wirklich nett von Ihnen, aber das kann ich nicht annehmen. Sie leben doch davon.“ Adrienne suchte in ihrer Börse nach einer Münze.

Der Ballonverkäufer legte seine schwielige Hand auf ihre. „Sparen Sie Ihr Geld, Miss. Ich gebe Ihnen den Ballon aus.“

„Nun … danke.“ Sie wurde ein wenig rot, als sie den Luftballon entgegennahm, und wunderte sich, dass eine so schlichte kleine Geste sie so anrührte. Sie wusste, der alte Mann tat es nicht, um einen Vorteil zu erlangen, sondern einfach nur, um jemandem eine Freude zu machen.

Das bestätigte sie noch einmal darin, dass es richtig war, sich aus dem Palast zu schleichen und sich wie ein normaler Bürger unter die Messebesucher zu mischen. Kam sie in offizieller Funktion hierher, wurde sie von Leibwächtern begleitet, die ihr den Weg freimachten. Niemals hätten sie diesen Straßenhändler in ihrer Nähe geduldet. Der Mann trottete nun zufrieden ob seiner guten Tat weiter. Die Ballons tanzten dabei lustig über seinem Kopf.

„Passen Sie auf, dass er Ihnen nicht davonfliegt.“

Eine andere männliche Hand legte sich um ihr Handgelenk. Diesmal, um zu verhindern, dass der heliumgefüllte Ballon zum Himmel stieg. Die Berührung war fest, warm und unleugbar männlich, sodass sie unwillkürlich ihre Hand fortriss.

„Schön ruhig“, sagte er, als wolle er ein scheuendes Pferd beruhigen. „Sie scheinen mit Ihren Gedanken weit weg zu sein.“

Adrienne sah sich den Mann genauer an. Breite Schultern in einem braunen Jackett, athletischer Körper. Er war von gleicher stattlicher Größe wie Adriennes Brüder, und es hatte Adrienne noch nie gefallen, hochzuschauen, wenn sie sich mit jemandem unterhielt. Als sie es bei dem Fremden tat, blickte sie in strahlend blaue Augen mit goldenen Flecken darin, beschattet von dichten dunklen Wimpern.

Obwohl er wie ein Geschäftsmann gekleidet war, ließen sein gebräuntes Gesicht und die Hände vermuten, dass er sich viel an der frischen Luft aufhielt. Markig ist wohl das richtige Wort für ihn, dachte sie. Markig und gut aussehend. Dem Akzent nach war er Amerikaner, und sie fragte sich, was ihn auf die Nuee-Messe verschlagen hatte.

„Vielen Dank, dass Sie meinen Luftballon gerettet haben.“

„Warum sichern Sie ihn nicht einfach?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, band er ihr den Ballon ums Handgelenk. Als seine schlanken, kräftigen Finger dabei kurz ihr Gelenk umfassten, durchfuhr sie eine ungewohnte Wärme. Er gab sie sofort wieder frei, dennoch war die Intensität seltsam beunruhigend.

Er schaute hinauf zum Ballon und bemerkte den Pferdekopf. „Mögen Sie Luftballons oder Pferde?“

In Adriennes Nacken begann es zu prickeln. „Beides“, antwortete sie rasch. Seine Stimme erinnerte sie an dunkle Schokolade und Samt auf der Haut.

Die Lautsprecher kündigten die nächste Vorführung der Zureiter an.

„Werden Sie sich die Show ansehen?“, fragte sie, seltsam sicher, dass er Ja sagen würde.

Er nickte, zögerte dann aber. „Ich habe eine Karte für den Mitgliederpavillon. Hätten Sie Lust, die Show von dort aus zu sehen?“, fragte er dann.

Adrienne geriet in starke Versuchung. Die knisternde Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, hatte sie neugierig gemacht. Doch es war zu riskant. Im Mitgliederpavillon würde sie vielleicht jemanden treffen, der sie kannte. Und ihre Verkleidung war nicht ausreichend.

„Ich kann nicht“, sagte sie. „Ich … bin mit jemandem verabredet.“

Ihr Zögern verriet, dass sie sich schnell etwas ausgedacht hatte, und sie sah seinen Augen an, dass er es wusste. „In dem Fall kann ich Ihnen nur viel Spaß bei der Show wünschen.“ Mit zwei Fingern berührte er kurz seine Stirn, dann verschwand er wieder in der Menge.

Als er fort war, empfand sie ein unerklärliches Gefühl des Bedauerns. Er hat mir wohl doch nur aus Höflichkeit angeboten, vom Pavillon aus zuzusehen, dachte sie. Sehr wahrscheinlich war er sogar dankbar, dass sie nicht angenommen hatte. Mit einem Seufzer wandte sie sich dem öffentlichen Teil der Arena zu.

Ich muss verrückt gewesen sein, dachte Hugh auf dem Weg zum Pavillon. Hatte er nicht genug damit zu tun, Prinz Michel die Genehmigung für eine Pferderanch auf Nuee abzuringen? Hugh war von seinen grundsoliden Plänen überzeugt und wusste, dass Carramers Wirtschaft davon nur profitieren würde. Aber bis die Ranch Wirklichkeit war, durfte er sich durch nichts anderes ablenken lassen. Selbst nicht von einer so verlockenden Frau, wie er sie eben gerade kennengelernt hatte.

Er warf einen Blick über die Schulter. Der silberne Ballon, der in der Luft tanzte, markierte ihren Weg durch die Menge zur Arena. Sie war nicht die einzige Frau, die einen Hut und eine dunkle Sonnenbrille trug. Warum hatte ich dann bei ihr das Gefühl, dass sie etwas zu verbergen hat, fragte er sich.

Gegen seine bessere Einsicht regte sich Neugier in ihm. Ihre kultivierte Ausdrucksweise, ihr gepflegtes Englisch ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass sie ebenso zur Aristokratie des Inselstaats zählte wie Prinz Michel.

Sein Instinkt verriet ihm, dass sie nur eine Ausrede gesucht hatte, um ihm einen Korb zu geben. Vielleicht war er nicht ihr Geschmack, und sie war nur zu gut erzogen, es ihm direkt ins Gesicht zu sagen. Das erinnerte ihn unangenehm an seine Exfrau. Er grinste vor sich hin. Wenn ihm jemand deutlich gemacht hatte, wie unsinnig es sei, dem Unerreichbaren nachzujagen, dann war es Jemima Huntly-Jordan gewesen.

Schon bei ihrer ersten Begegnung war ihm der Unterschied zwischen ihm und Jemima Huntly klar geworden. Geschliffenes Glas traf auf einen Diamanten. Er hätte auf die Warnsignale achten sollen, als sie ihm schon bei den ersten Verabredungen Lektionen in gutem Benehmen verpasste. Aber damals war er ein paar Jahre jünger gewesen, auch wenn das nicht seine Dummheit entschuldigte, und bis über beide Ohren in sie verknallt. Und es hatte ihm geschmeichelt, dass eine Frau wie sie, Diplomatentochter mit einem Vermögen, das im Laufe von Generationen vermehrt worden war, einen schlichten Rancher liebte, ohne edlen Stammbaum und mit druckfrischem Geld, sozusagen.

Was für ein Dummkopf bin ich doch gewesen, dachte er. Später hatte sie zugegeben, die Leute ihrer eigenen Schicht hätten sie gelangweilt, und seine direkte, zupackende Art zu leben hatte sie fasziniert. Aber sobald sie verheiratet waren, war es mit der Faszination aus und vorbei, besonders, als er versuchte, ihre hemmungslosen Einkaufsorgien einzuschränken.

Sicher sollte sie nicht wie eine Bettlerin leben, nur ihre Ausgaben ein wenig mindern. Es kam ihm vernünftig vor, nur noch einmal im Jahr nach Europa zu fliegen, um sich neu einzukleiden. Aber Jemima tat so, als würde er sie dazu verdammen, Lumpen zu tragen.

„Ich bin Rancher, kein Ölscheich“, erinnerte er sie, als sich immens hohe Rechnungen französischer und italienischer Stardesigner auf seinem Schreibtisch stapelten.

„Für mich soll ich kein Geld ausgeben, aber für dieses Pferd sind dir Millionen nicht zu schade – Caravan oder wie es heißt.“

„Carazzan Liberte“, half er ihr aus. Sinnlos, ihr klarmachen zu wollen, dass dieses Pferd ihre Zukunft sicherte.

Seit sein letzter Pflegevater ihn mit vor die Tür genommen und ihm bei einem Faustkampf gezeigt hatte, dass er, Hugh, doch nicht so stark war, wie er tat, hatte er endlich herausgefunden, was er war. Ein Rancher, der zu dem Land gehörte, auch wenn er sonst nirgendwohin gehörte.

Hugh würde Big Dan Jordan immer dankbar dafür sein, es ihm gezeigt zu haben. Und dafür, dass er das Potenzial in einem Jungen erkannte, den sonst niemand hatte haben wollen. Bis Dan ihn an die Hand genommen hatte, war Hugh aus einem Kinderheim nach dem anderen hinausgeworfen worden, weil keiner mit ihm zurechtkam. Dans früher Tod durch einen Herzanfall schmerzte ihn noch immer. Aber Dan hatte ihm auch das Land für einen Neuanfang hinterlassen. Das war seine Art zu zeigen, welches Vertrauen er in Hugh setzte.

Und er hatte an Hugh seinen Traum weitergegeben – die besten Reitpferde der Welt zu züchten. Die Erfüllung des Traums lag greifbar nahe, und Carazzan war der Schlüssel dazu. Ein alter Pferdetrainer hatte den jungen Hengst in einer Herde wilder Pferde auf Nuee entdeckt und gezähmt. Für Hugh war klar gewesen, er musste den Hengst haben.

Als er dann hörte, Carazzan sei zu verkaufen, konnte er seine Aufregung kaum beherrschen. Leider war Jemima mit dem Geld, das er für den Ankauf zurückgelegt hatte, nach Paris verschwunden. Carazzan wurde für ein Mitglied der Herrscherfamilie von Carramer erworben und rückte für Hugh damit in weite Ferne. Doch Hugh hatte gelernt, dass man nicht aufgeben durfte. Möglicherweise war es dumm von ihm zu glauben, er könnte der Familie de Marigny den Hengst wieder abkaufen. Aber er hatte schon früher Dummheiten gemacht und würde sie wieder machen. Er wusste, er würde nicht ruhen, bis das Pferd dort war, wohin es gehörte – in seinem Besitz.

Auch wenn er Jemima verzeihen konnte, dass sie mit dem Geld durchgebrannt war, so verzieh er ihr nicht, dass sie ihn mit einem anderen betrog. Er erfuhr es von einem Freund.

„Es war nur eine alte Flamme“, erklärte sie, als er sie zur Rede stellte. „Es hatte keine Bedeutung.“

Er sah das anders und reichte die Scheidung ein. Um sie so schnell wie möglich loszuwerden, hatte er alle Schuld auf sich genommen und ihr angeboten, ihr zu geben, was sie haben wollte.

Aber er hatte nicht mit ihrer Rachsucht gerechnet. Ihre Eitelkeit ertrug es nicht, dass er mit ihr Schluss gemacht hatte. Sie hatte Gerüchte verbreitet, er stecke in finanziellen Schwierigkeiten und würde seine Ranch verlieren. Zudem sei er impotent. Er konnte nur darüber lachen, aber achtzehn Monate später hatte sie fast ihr Ziel erreicht und ihn fertiggemacht. Ihre geschickten Intrigen hatten dafür gesorgt, dass seine Geschäftspartner ihn mieden, Kredite nicht verlängert wurden, und Land, das er für die Expansion brauchte, auf einmal nicht mehr zur Verfügung stand.

Nur unter großen Mühen hatte er die Krise bewältigt. Nach und nach hatte er das Vertrauen in ihn wieder aufbauen können, bis alles seinen normalen Gang lief.

Gegen ihre Unterstellung, er sei impotent, konnte er nichts tun. Aber es war ihm schon immer egal gewesen, was die Leute von ihm dachten, und so sollte es auch bleiben. Nach dem missglückten Experiment mit Jemima war ihm die Lust auf Frauen erst einmal vergangen. Ganz besonders auf die der verwöhnten Sorte, die in einer ihm so fremden Welt lebten.

So wie die Frau mit dem Luftballon, ging es ihm durch den Kopf. Er war kein Fachmann, was Mode betraf, aber er sah sofort, wenn sich jemand gut und teuer anzog. Und das traf auf diese Frau zu, von der Designerbrille bis hinunter zu ihren Sandalen.

Trotzdem war er neugierig geworden. Was versteckte sich hinter diesen großen Sonnengläsern? Sein von Kindheit an geschärfter Instinkt verriet ihm, sie verbarg etwas. Er würde einiges dafür geben, es zu erfahren.

Bis eben hatten ihn nur die Pferde interessiert. Pferde, die es nirgends sonst auf der Welt gab, eine spektakuläre Züchtung aus Lipizzanern, die die Spanier vor langer Zeit hergebracht hatten, und einheimischen Tieren. Herausgekommen war eine herausragende Rasse, und am herausragendsten war Carazzan Liberte, ein Hengst, der die Pferde zeugen würde, von denen Hugh immer schon geträumt hatte.

Carazzan wurde nicht auf der Show gezeigt, aber Hugh hatte es auch nicht erwartet. Und auch seine Eigentümerin zeigte sich nicht. Ihr würde er noch früh genug begegnen, wenn er am Abend am Wohltätigkeitsdiner teilnahm. Er freute sich nicht sonderlich auf die Überdosis an Pomp und Zeremonien. Aber die Teilnahme war der einzige Weg, wie er nahe genug an die Prinzessin herankommen konnte, um sie zu überzeugen, dass Carazzan der wichtigste Faktor in seiner neuen Zucht war.

Hurrarufe ertönten, und Hugh schaute auf die Arena. Die Zureiter kamen hereingeritten, Staub wirbelte auf, und ihre markerschütternden Schreie stiegen in die Luft. Hugh konzentrierte sich auf die Pferde. Deswegen war er schließlich hier.

Als die Reiter in scheinbar wildem Durcheinander an ihr vorbeigaloppierten, beschleunigte sich Adriennes Pulsschlag. Sie wusste, die Abläufe waren genau vorgeschrieben, man hatte sie an jahrhundertealten Abbildern auf Höhlenwänden überall auf Nuee gefunden. Die Mayat, die Vorfahren der heutigen Carramer, waren legendäre Reiter gewesen. Sie hatten ihre Tiere trainiert, in vollem Lauf von den hohen Klippen hinunter in die schäumende Brandung zu springen und ihre Reiter dann wieder sicher an Land zu bringen.

Adrienne hätte viel dafür gegeben, so etwas einmal zu sehen. Diese Reiter hatten all dies nur zum Ruhm ihrer Götter getan. Einige waren dabei umgekommen. Dann waren Lipizzaner von den spanischen Eroberern auf die Inseln gebracht worden. Durch die Kreuzung mit einheimischen Pferden waren spektakulär schöne und intelligente Tiere entstanden, die leicht zu trainieren waren.

Der Beweis war die Show vor ihr. Schnell, wild und exakt spielte sich der Scheinkampf vor ihr ab, mit blitzschnellen Reaktionen und haarsträubenden, genauen Abläufen. Aber Reiter und Pferde wurden ihrem Ruf gerecht, denn immer wieder gelang es ihnen, im letzten Augenblick einen bösen Sturz zu vermeiden. Dann sprangen die Zuschauer auf wie ein Mann und schrien und applaudierten ohrenbetäubend. Als die aufregende Vorstellung endlich zu Ende war, hatte Adrienne das Gefühl, selbst geritten zu sein.

Aus Gewohnheit wandte sie sich beim Gehen zu den Ställen, wie sonst in offizieller Funktion. Als sie um die Ecke bog, bemerkte sie ihren Fehler. Sie befand sich in einem engen Durchgang, und einer der Zureiter versperrte ihr den Weg. Er war betrunken, das bemerkte sie, sobald er den Mund aufmachte.

„Hier haben Zuschauer nichts zu suchen“, knurrte er mit schwerer Zunge und schwankte dabei.

„Ich habe mich geirrt“, sagte sie und wandte sich ab.

Er folgte ihr. „Sie können gern eine Privatführung haben.“

„Nein, danke. Ich gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin.“

Er kam noch näher. „Nur keine Eile. Außer uns ist hier niemand. Mögen Sie wilde Reiter, kleine Lady?“

Seine fleischige Hand legte sich um ihren Arm, und er riss sie an sich. Alkoholdunst strömte ihr ins Gesicht, und sie hielt den Atem an. „Bitte lassen Sie mich los“, sagte sie so ruhig wie möglich, obwohl ihr Herz hämmerte.

„Gleich“, nuschelte er. „Ich bin Kye. Und Sie?“

„Dee“, sagte sie und hoffte, er würde Vernunft annehmen. Sie hatte wirklich keine Lust auf eine Szene, wollte nicht riskieren, dass man ihre wahre Identität entdeckte. „Ich habe Sie gar nicht in der Show gesehen, Kye.“

„Ich war am Morgen dabei. Kommen Sie, mein Pferd steht gleich dahinten.“

Mit eisernem Griff zog er sie in Richtung der Ställe. Als sich der Ballon von ihrem Handgelenk löste und in die Luft stieg, bemühte sie sich, nicht in Panik zu geraten. „Ich kann nicht mit Ihnen kommen, Kye. Ich bin mit jemandem verabredet.“ Sie rief laut: „Hier hinten bin ich, bei den Ställen!“

Der Mann wandte den Kopf und schaute sich mit glasigem Blick um. „Ich kann niemanden sehen …“

„Ich bin hier drüben!“, versuchte sie es noch lauter.

„Hören Sie auf damit.“ Der Mann presste ihr die Hand auf den Mund. Sie bekam keine Luft mehr, und ihr wurde schwindlig. Ruhe bewahren, dachte sie. Nur die Ruhe bewahren.

Ihre Knie gaben beinahe vor Erleichterung nach, als sie einen anderen Mann in den schmalen Gang kommen sah. Und dann erkannte sie den Mann, mit dem sie sich vor der Show unterhalten hatte. Verzweifelt biss sie ihren Peiniger in die Hand. Er schrie auf und gab ihren Mund für einen kurzen Moment frei.

„Hier drüben!“, rief Adrienne, aber schon presste sich die schmutzige Hand wieder auf ihren Mund.

Langsam kam der Mann heran, und sie sah, wie er die Situation abschätzte. Aber er befreite sie nicht von ihrem Angreifer. „Was ist das Problem?“, fragte er dann ausdruckslos.

„Nur ein kleiner Streit zwischen mir und meinem Mädel“, lallte der andere. „Geht keinen außer mir was an.“

„Wie wäre es, wenn Sie die Lady losließen, damit sie es selbst sagen kann?“ Er sprach ruhig, aber seine Haltung verriet, dass er seiner Aufforderung, falls nötig, körperlich Nachdruck verleihen würde.

Kye richtete sich auf und hielt seine Beute kräftig fest. „Das geht Sie nichts an. Sie ist mit mir hier.“ Aber er nahm seine Pranke von ihrem Mund.

Hugh blickte Adrienne an. Das war bestimmt nicht der Mann, mit dem sie sich verabredet hatte. Die beiden passten zusammen wie … ein Cowboy und eine Lady. Aber dann dachte er an sich und Jemima.

„Sind Sie mit ihm zusammen hier?“

Der Abscheu in ihrem Gesicht sagte ihm eigentlich schon genug. „Ich habe ihn noch nie gesehen und auch nicht das Bedürfnis, ihn jemals wiederzusehen.“

Wieder einmal war Hugh bezaubert von ihrem Aussehen. Was um alles in der Welt hatte eine Frau ihrer Klasse hier zwischen den Ställen zu suchen? Wusste sie nicht, dass oft ein paar Drinks reichten, damit sich einige Cowboys wie Don Juan persönlich aufführten?

Er blickte den Mann an. „Ich sagte, lassen Sie sie los.“ Es war klar, ein drittes Mal würde er es nicht sagen.

Der Mann wurde sichtlich unsicher. Hugh war so groß wie er, aber breiter gebaut. Und seine Haltung zeigte, er wusste sich zu verteidigen.

Aber noch bevor der Cowboy sein Dilemma lösen konnte, traf ihn das Knie der Frau mit einer solchen Wucht zwischen den Beinen, dass Hugh vor Mitgefühl zusammenzuckte. Der Mann stieß einen spitzen Schrei aus, krümmte sich zusammen und gab einen Schwall obszöner Flüche von sich, ehe er eiligst Richtung Ställe davonhumpelte.

„Ich rufe den Sicherheitsdienst.“

Das durfte sie nicht zulassen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm, als er losgehen wollte. „Das ist nicht nötig, mir ist nichts passiert.“

„Aber dieser betrunkene Kerl hat Sie belästigt.“

„Er wusste nicht, was er tat.“

„Und wenn er es bei einer anderen Frau nochmals versucht?“

Sie musste zugeben, eine andere hatte vielleicht nicht so viel Glück wie sie. „Ich … ich werde Anzeige erstatten, wenn ich nach Haus gehe. In dem Zustand kommt er nicht weit.“

„Da haben Sie wohl recht.“

Aber er wirkte zögerlich, wie ein Mann, der es nicht gern sah, wenn jemand wie dieser Cowboy ungeschoren davonkam. „Danke für die Rettung“, sagte sie. „Woher wussten Sie, dass ich hier war?“

„Durch Ihren komischen Ballon. Ich sah, wie er in die Luft stieg.“

Wer weiß, wie es ohne den Luftballon ausgegangen wäre, dachte sie und erschauerte unwillkürlich. Er bemerkte es.

„Sind Sie sicher, dass alles mit Ihnen in Ordnung ist?“

War sie nicht, aber sie nickte trotzdem.

Hugh bemerkte ihre verkrampften Finger, sah, dass sie zitterte. Er ergriff sie am Arm. „Kommen Sie, wir besorgen Ihnen etwas zu trinken.“

Es zeigt ihre Aufregung, dass sie diesmal nicht ablehnt, dachte er, als er sie aus der Gasse hinaus zum Mitgliederpavillon führte. In der Lounge fand er einen ruhigen Tisch in einer Ecke und zog einen Stuhl für sie hervor. „Was möchten Sie trinken?“

Sie sank auf den Stuhl und stützte den Kopf in den Händen ab. „Nur einen Kaffee, bitte. Ich … ich kann nicht lange bleiben.“

Er bestellte, und als der wundervoll duftende Kaffee kam, nahm sie die Tasse in beide Hände und trank einen Schluck.

„Fühlen Sie sich jetzt besser, Dee?“

Ihr Kopf ruckte hoch. „Wie haben Sie mich genannt?“

„Diesen Namen haben Sie doch dem Mann genannt, oder?“

Sie nickte. „Er nannte sich Kye.“

„Das sollte helfen, ihn zu identifizieren.“

„Ja, natürlich.“ Sie würde keine offizielle Anzeige erstatten, das verursachte nur zu viel Wirbel. Aber sie würde dafür sorgen, dass der Mann auf andere Art Ärger bekam. Sie war froh, dass ein Ereignis auf der anderen Seite des Raums sie vor weiteren Erklärungen rettete.

„Was ist denn dort los?“

„Miss Show Princess wird der Presse vorgestellt“, erklärte er. „Es stand auf dem Programm.“

Der Anblick so vieler Kameras und Mikrofone machte sie nervös. „Ich sollte gehen.“

„Trinken Sie zuerst Ihren Kaffee aus“, drängte er. „Hier sind wir niemandem im Weg.“

Sie senkte den Kopf, als sie ein paar Paparazzi entdeckte, deren bevorzugtes Objekt normalerweise die herrschaftliche Familie war. Zum Glück ist ihre Aufmerksamkeit diesmal auf eine andere Prinzessin gerichtet, dachte sie, als die Blitzlichter um eine hübsche junge Frau in traditionellem Gewand mit breiter Satinschärpe aufflammten.

Autor

Valerie Parv
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