Die Schöne im Schnee

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Erschrocken beobachtet Brant, wie der Wagen von der schneeverwehten Straße abkommt und über die Böschung rast. Als er die zarte Fahrerin aus der Gefahr birgt, wird er das Gefühl nicht los, dass er sie schon mal gesehen hat. Dabei ist er gerade erst von einem langen Auslandseinsatz zurück. Und dann trifft Brant fast der Schlag: Ihr schönes Gesicht kennt er aus der Zeitung ? sie ist das berüchtigte Partygirl Mimi Van Hoyt! Dass sie sich jetzt "Maura" nennt, ändert nichts daran, dass sie überhaupt nicht in seine selbstgewählte Einsamkeit passt und ? einfach bezaubernd ist ?


  • Erscheinungstag 01.10.2013
  • Bandnummer 1904
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730543
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Brant Western war schon an vielen exotischen Schauplätzen gewesen.

Nie jedoch hatte er vergessen, wie sich in Idaho die Kälte eines Februarabends mit eisigen Klauen in der Lunge festkrallen konnte.

Innerhalb der letzten Stunde hatte sich der am Nachmittag noch leichte Schneefall zu einem heftigen Schneegestöber verdichtet.

Die Unwetterfront, vor der die Wetterdienste seit seiner Rückkehr vor zwei Tagen gewarnt hatten, bewegte sich unaufhaltsam auf Wyoming zu. Dabei durchquerte sie auch diesen winzigen Landstrich im östlichen Idaho.

Die eisigen Flocken trafen sein ungeschütztes Gesicht mit der Kraft der Sandstürme, die er vom Militärstützpunkt Al Asad im Irak kannte. Auf irgendeine Weise fanden sie zielgenau jede unbedeckte Stelle seines Körpers und krochen sogar in den Kragen seines gefütterten Ranchermantels.

Dies war eine jener Nächte, in denen man es sich mit einem guten Buch und einer Tasse heißer Schokolade vor dem Feuer gemütlich machte.

Ein reizvoller Gedanke, der ihn schon durch unzählige Feuergefechte und endlose Nächte unter dem afghanischen und irakischen Himmel begleitet hatte.

Später, mahnte er sich zur Geduld. Wenn die wenigen Rinder der Western Sky Ranch gefüttert und die Pferde sicher in ihren Ställen untergebracht waren. Danach konnte er es sich mit dem Thriller, den er am Flughafen gekauft hatte, endlich vor dem Kamin gemütlich machen.

„Komm schon, Tag. Wir sind fast fertig. Danach geht’s nach Hause.“

Sein Pferd, ein kräftiger Wallach, wieherte, als habe er jedes Wort verstanden, und setzte seinen Trott auf dem Trampelpfad fort, der im zunehmenden Schneefall kaum noch zu erkennen war.

Brad wusste, dass dies ein Wahnsinnstrip war. Die hundert Kühe und ihre Kälber gehörten noch nicht einmal ihm, sondern einem Nachbarn der Western Sky. Dieser hatte das Land von ihm gepachtet, während Brant im Einsatz gewesen war.

Carson McRaven sorgte sich gut um sein Vieh. Wäre es anders gewesen, hätte Brant dem Pachtvertrag niemals zugestimmt. Da die Herde jedoch momentan auf seinem Land untergebracht war, fühlte er sich für sie verantwortlich.

Manchmal kann einem dieses Verantwortungsgefühl ganz schön auf die Nerven gehen, dachte er, als er die Heizanlage der Wassertränken überprüfte.

Dann ritt er in die Richtung zurück, in der das Haus lag.

Er und Tag hatten kaum mehr als ein Dutzend Yards hinter sich gebracht, als er das Licht zweier Scheinwerfer bemerkte, das sich schwach durch das Schneegestöber bohrte. Viel zu schnell für die momentanen Wetterbedingungen hielt es genau auf die Ranch zu.

Das verschwommene Halblicht ließ ihn blinzeln.

Wer war dämlich oder verrückt genug, sich bei diesem Unwetter mit dem Auto auf die Straße zu wagen?

Die einzig logische Antwort lautete Easton, aber mit ihr hatte er erst vor einer halben Stunde telefoniert. Sie hatte ihm erklärt, dass sie noch immer Kopfschmerzen von der Hochzeit hatte, auf der sie am Abend zuvor gemeinsam gewesen waren. Und dass sie früh zu Bett gehen wollte.

Brant machte sich Sorgen um sie. Seit ihre Tante – seine Pflegemutter – vor einigen Monaten an Krebs gestorben war, war Easton nicht mehr dieselbe.

Aber eigentlich hatte sie sich davor auch schon verändert. Seit dem Tod von Guff Winder war sie nicht mehr das süße, lustige Mädchen, das er fast sein gesamtes Leben gekannt und geliebt hatte.

Doch auch wenn Easton vielleicht nicht mehr sie selbst war, so hatte sie dennoch genügend Verstand, um sich während eines solchen Sturms in der Winder Ranch zu verbarrikadieren.

Und hätte sie sich doch nach draußen gewagt, wäre sie klug genug, ihre Fahrweise den Wetterbedingungen anzupassen. Schließlich hatten er und seine Stiefbrüder ihr das eingetrichtert, als sie ihr Fahrstunden gegeben hatten.

Wenn also nicht Easton in diesem heftigen Schneesturm auf die Ranch zugerast kam, wer was es dann?

Zweifellos jemand, der sich verfahren hatte. Manchmal war es schwer, sich auf diesen abgelegenen Canyon-Straßen zurechtzufinden. Und abgelegene Orts- und Hinweisschilder wurden leicht vom Schnee verweht.

Seufzend trieb Brant sein Pferd zur Straße, um dem verirrten Reisenden den Weg weisen zu können.

Plötzlich geriet das Fahrzeug ins Schleudern.

Schon als der Fahrer zu schnell in die Kurve fuhr, sah Brant es kommen. Er gab Tag die Sporen und betete, dass er sich irrte. Doch nur einen Moment später übersteuerte der Fahrer den Wagen.

Brant sah, wie der Wagen fast in Zeitlupe auf den Fahrbahnrand zu schlitterte. Und dahinter führte ein anderthalb Meter tiefer Abhang geradewegs in den Cold Creek River.

Als der Wagen aus seinem Blickfeld verschwand, zog Brant an den Zügeln, drückte die Sporen fest in die Flanken des Pferds und ritt eilig auf den Abhang zu.

Am Flussbett konnte er in der anbrechenden Dunkelheit gerade noch erkennen, dass das Fahrzeug nicht völlig versunken war – viel fehlte jedoch nicht. Der SUV war auf einem Granitfelsen in der Mitte des Flussbettes gelandet. Die Schnauze war eingedrückt, und die Hinterreifen berührten noch das Ufer.

Fluchend stieg Brant vom Pferd.

Im Februar war der Fluss nicht sehr tief; und die Strömung war nicht stark genug, um einen SUV mit sich zu reißen.

Aus dem Fahrzeuginnern war ein schwaches Stöhnen zu hören. Und noch ein anderes, ganz eigenartiges Geräusch. Es klang, als würde ein kleines Lamm blöken.

„Halten Sie durch!“, rief er. „Ich hole Sie da raus!“

Es dauerte einige Minuten, bis er sich einen Überblick verschafft hatte, wie er das Problem am besten angehen konnte.

Inzwischen war die Nacht endgültig hereingebrochen, und das Schneegestöber nahm weiter zu. Dazu kam der eisige Wind.

Doch selbst das konnte ihn nicht auf den Gefrierschock vorbereiten, der ihn ereilte, als er bis zu den Knien durch den Fluss watete und das Wasser durch seine Schuhe und die gefütterten Jeans drang.

Wieder war dieses Stöhnen zu stöhnen. Und dieses Mal konnte er das Geräusch, das er zunächst für das Blöken eines Lamms gehalten hatte, genauer einordnen. Es war ein Hund. Dem Geräusch nach ein ziemlich kleiner. Und er kläffte wie verrückt.

„Halten Sie durch!“, rief Brant erneut. „In einer Minute habe ich Sie rausgeholt.“

Er watete weiter durch das Wasser, erreichte schließlich das Fahrzeug und riss die Tür auf.

Der Fahrer war eine Frau, vielleicht Mitte zwanzig. Ihre dunklen Locken bildeten einen deutlichen Kontrast zu ihren blassen, zarten Gesichtszügen.

Mit jeder Sekunde würde ihre Körpertemperatur weiter sinken.

Brant war klar, dass er sie aus dem SUV befreien und aus dem Wasser herausziehen musste, bevor er sich ein Bild über ihren Zustand machen konnte. Auch wenn es jedem Grundsatz der Erste-Hilfe-Ausbildung widersprach, die er als Army Ranger bekommen hatte.

Bevor das Ausmaß der Verletzungen bekannt war, durfte ein Unfallopfer normalerweise nicht bewegt werden.

„Kalt“, murmelte sie.

„Ich weiß. Tut mir leid.“

Dass sie nicht stöhnte oder weinte, während er sie aus dem Wagen befreite, sah er als gutes Zeichen. Wenn sie sich etwas gebrochen hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen, ihre Schmerzen zu verbergen.

Sie gab keinen Ton von sich, sondern krallte nur ihre Hände in seine Jacke. Sie zitterte am ganzen Körper. Aufgrund des Schocks und der Kälte, wie er annahm.

Sie war nicht besonders schwer, fünfzig Kilo schätzungsweise.

Sie durch das eiskalte Wasser zu tragen, beanspruchte dennoch sämtliche Energiereserven.

Als sie das Ufer erreichten und Brant sie die leichte Böschung hinauftrug, atmete er schwer. Ihm kam es vor, als habe er jedes Gefühl in den Beinen verloren.

Durch seine Erfahrungen mit Kriegsverletzungen hatte er gelernt, dass man einen Verletzten am besten beruhigte, indem man ihm möglichst viele Informationen über das Geschehen entlockte. Auf diese Weise fühlte er sich nicht völlig hilflos und ausgeliefert. „Ich reite jetzt mit Ihnen zu mir nach Hause, okay?“

Sie nickte und beschwerte sich auch nicht, als er sie auf Tags Rücken hievte, wo sie sich gleich an das Sattelhorn klammerte.

„Halten Sie sich gut fest. Ich setze mich jetzt hinter Sie und bringe Sie ins Warme.“

Seine eisverkrusteten, nassen Stiefel kamen ihm genauso schwer wie die Frau vor. Er musste seine gesamte Kraft aufbringen, um sie vom Boden zu heben.

Als er den ersten Fuß in den Steigbügel gehievt hatte und gerade das zweite Bein nachziehen wollte, begann die Frau zu stöhnen.

„Simone. Meine Simone. Können Sie sie bitte auch retten?“

Brant schloss die Augen. Simone musste der Hund sein. Im Tosen des Windes war das Kläffen nicht mehr zu hören, und er hatte sich so sehr auf die Frau konzentriert, dass er den Hund ganz vergessen hatte.

„Können Sie eine Minute aushalten?“, fragte er. Beim Gedanken, erneut durch das eiskalte Wasser zu waten, wurde ihm ganz anders.

„Ja. Oh, bitte.“

Er rief sich ins Gedächtnis, dass er schon Schlimmeres als ein bisschen kaltes Wasser überlebt hatte. Viel, viel Schlimmeres.

Der Rückweg zum Fahrzeug dauerte eine Minute. Auf dem Rücksitz fand Brant mindestens ein halbes Dutzend Gepäckstücke und einen winzigen, rosafarbenen Transportkäfig. Der Hund kläffte und knurrte.

„Willst du lieber hierbleiben?“, knurrte Brant zurück. „Ich hätte damit kein Problem.“

Der Hund verstummte. Unter anderen Umständen hätte Brant angesichts dieses prompten Gehorsams vielleicht gelächelt. „Dachte ich’s mir doch. Komm, wir holen dich da raus.“

Während er sich überlegte, wie er das am besten anstellte, wurde ihm klar, dass es kaum möglich war, den sperrigen Transportbehälter zu tragen und gleichzeitig die Frau im Sattel festzuhalten. Aus diesem Grund öffnete er den Riegel des Behälters. Sogleich sprang ein kleines weißes Fellknäuel in seine Arme.

Da er nicht wusste, was er anderes tun sollte, zog er den Reisverschluss seines Mantels zur Hälfte nach unten, schob den kleinen Hund durch die Öffnung und schloss den Mantel wieder. Dabei kam er sich ziemlich albern vor und war froh, dass keiner seiner Männer mitbekam, wie er wegen eines zweieinhalb Kilo schweren Tieres eine Unterkühlung riskierte.

Als Brant sich zurück durch die Fluten gekämpft hatte, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass die Frau noch immer auf Tags Rücken saß. Allerdings wirkte sie dabei etwas unbeholfen.

Sie trug einen schrecklich unpassenden pinkfarbenen Parka mit einer pelzgefütterten Kapuze, der besser auf eine schicke Après-Ski-Party in Jackson Hole gepasst hätte als in die bittere Kälte eines Blizzards in Idaho. Brant wurde jetzt endgültig klar, dass er sie so schnell wie möglich zur Ranch bringen musste.

„Geht es ihr gut?“, fragte die Frau.

Und was ist mit mir? Schließlich war er derjenige mit Frostbeulen an den Füßen. Um ihr dennoch eine Antwort zu geben, öffnete er den Reißverschluss seines Mantels, aus dem kurz darauf der weiße Hundekopf herausragte.

Die Frau seufzte erleichtert, und ihre zarten Gesichtszüge entspannten sich etwas.

Brant reichte ihr den Hund.

Während er sich hinter ihr auf den Sattel schwang, sah er noch, wie ihr der kleine Hund übers Gesicht leckte – ein Gesicht, das ihm auf seltsame Weise bekannt vorkam.

Ihm blieb jedoch keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen gab er dem Pferd die Sporen und war heilfroh, dass er sich mit Tag eines der stärksten und ausdauerndsten Pferde der Western Sky Ranch ausgesucht hatte. „Wir bringen Sie ins Warme. Im Kamin brennt bereits ein Feuer. Sie müssen nur noch ein paar Minuten durchhalten, okay?“

Sie nickte und lehnte sich an ihn. Aus Angst, sie könne den Halt verlieren, legte er beide Arme um sie.

„Vielen Dank“, murmelte sie so leise, dass er sie im Tosen des grimmigen Windes kaum verstand.

Um den Sturm abzuwehren, zog er sie so nah wie möglich an sich heran. „Ich bin Brant“, sagte er nach einer Weile. „Wie heißen Sie?“

Als sie sich halb zu ihm umdrehte, bemerkte er eine gewisse Verwirrung in ihrem Blick. „Wo sind wir hier?“, fragte sie anstelle einer Antwort.

Brant beschloss, sie nicht zu sehr zu bedrängen. Zweifellos litt sie noch immer unter dem Schock, dass sie ihren SUV in einen Fluss gesetzt hatte. „Auf meiner Ranch im östlichen Idaho. Die Western Sky. Das Haus befindet sich gleich hinter dem Hügel dort vorne.“

Sie nickte schwach und er spürte, wie sie kraftlos gegen ihn sank.

„Können Sie mich noch hören?“, fragte er besorgt.

Als sie nicht antwortete, schlang er die Arme noch fester um sie.

Reaktionsschnell schnappte er sich den Hund, bevor die Frau ihn in ihrer Bewusstlosigkeit losgelassen hätte. Für so ein kleines Tier wäre ein Sturz aus dieser Höhe mit Sicherheit tödlich gewesen.

Während er die Frau fester umschlang und Tag dazu anhielt, schneller zu galoppieren, gelang es ihm, den Hund an sich zu reißen und ihn wieder unter seinen Mantel zu stopfen.

Es war ein unangenehmer Ritt – kalt, anstrengend und nervenaufreibend.

Brant sah die Lichter der Ranch erst, als sie das Gebäude erreichten. Für ihn war das der tollste Anblick, der sich ihm jemals geboten hatte.

Er trieb das Pferd bis zum Fuß der Verandatreppe und stieg vorsichtig ab. Dabei hielt er die Frau mit einer Hand weiter fest, sodass sie nicht zu Boden taumeln konnte.

„Tut mir echt leid, Tag“, murmelte er und nahm die ohnmächtige Frau hoch. „Du warst toll. Leider musst du noch ein paar Minuten in der Kälte ausharren, während ich mich um unseren Gast kümmere. Danach bringe ich dich in den warmen Stall. Heute hast du dir eine Extraportion Hafer verdient.“

Das Pferd antwortete mit einem Wiehern, und Brant eilte die Stufen hinauf ins Haus. Schnell trug er die Frau ins Wohnzimmer. Wie versprochen, brannte im Kamin bereits das Feuer, das er vor seinem Ausritt entzündet hatte.

Sie rührte sich nicht, als er sie auf das Sofa legte.

Während er sich über sie beugte, um ihren Parka zu öffnen und sich ihre Verletzungen anzusehen, schlüpfte der Hund unter seinem Mantel hervor, landete neben seinem bewusstlosen Frauchen und begann, die Schnittwunde über ihrem Auge zu lecken. Etwas Blut sickerte daraus hervor.

Eine raue Hundezunge genügte offenbar, um die Frau zumindest ansatzweise wiederzubeleben. „Simone?“, murmelte sie und schlang die Arme um den Hund, der es sich zufrieden bequem machte.

Der heftige Schneesturm hatte sie völlig durchweicht. Brant wusste, dass sie sich erst dann aufwärmen konnte, wenn er sie von den nassen Sachen befreite. Danach musste er sie nach möglichen Knochenbrüchen untersuchen.

„Ich hole Ihnen erst einmal etwas Trockenes zum Anziehen. Bin gleich zurück.“

Erneut schlug sie die Augen auf und nickte. Und wieder überkam Brant das seltsame Gefühl, sie zu kennen.

Aus der näheren Umgebung kam sie allerdings nicht, dessen war sich fast sicher. Andererseits hatte er in den vergangenen fünfzehn Jahren nie mehr als ein paar Wochen am Stück in Pine Gulch verbracht.

Während seiner Aufenthalte schlief er in einem der beiden Schlafzimmer im Erdgeschoss. Hastig zog er einen Pulli aus seinem Seesack. Dazu eine kurze Jogginghose. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer.

„Ich ziehe Ihnen jetzt den Parka aus, damit ich Sie mir genauer ansehen und feststellen kann, ob Sie sich etwas gebrochen haben.“

Sie gab keine Antwort, und er fragte sich, ob sie eingeschlafen oder erneut in Ohnmacht gefallen war.

Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, den Rettungsdienst von Pine Gulch anzurufen. Eigentlich wollte er das in einer so stürmischen Nacht wie dieser vermeiden, wenn es nicht absolut notwendig war.

Außerdem hatte er eine Grundausbildung in Erster Hilfe. Wenn das nicht reichte, konnte er immer noch mit ihr in die Stadt fahren.

Doch zuerst musste er sich ihre Verletzungen ansehen.

Normalerweise hätte er lieber einen Selbstmordattentäter mit bloßen Zähnen entwaffnet, als eine halb bewusstlose Frau auszuziehen. Momentan hatte er jedoch keine Wahl. Er tat nur das, was getan werden musste.

Trotzdem kam er sich komisch vor, als er ihr zunächst die ziemlich nutzlos erscheinenden rosa Stiefel von den Füßen zog. Dann nahm er den Hund und setzte ihn auf dem Boden ab. Dieser nahm sofort seine Pflichten als Wachhund auf und begann, im Zimmer herumzuschnüffeln.

Brant öffnete derweil den Reißverschluss ihres Parkas. Während sie ihre Arme aus den Ärmeln befreite, gab er sich die größte Mühe, ihre sanften Rundungen zu ignorieren.

Kein ganz leichtes Unterfangen. Zuletzt war er vor seinem letzten Einsatz mit einer Frau zusammen gewesen.

Er rief sich ins Gedächtnis, dass er hier nur als Rettungssanitäter tätig war. Ganz unbeteiligt und unpersönlich.

Erleichtert stellte er fest, dass ihr Hemd unter dem Parka fast trocken geblieben war. Ihre Jeans waren allerdings völlig durchweicht und mussten so schnell wie möglich ausgezogen werden. „Ma’am, Sie müssen die Jeans ausziehen. Brauchen Sie meine Hilfe, oder schaffen Sie das allein?“

„Hilfe“, murmelte sie.

Natürlich. Seufzend öffnete er den Druckknopf und den Reißverschluss ihrer Jeans. Seine Hände strichen dabei unterhalb des blauen Bündchens über ihre Hüfte.

Er wusste nicht, ob seine Finger so kalt waren oder sie die Berührung erschreckt hatte. Jedenfalls blinzelte sie einige Male und zuckte mit einem leisen Aufschrei zusammen.

Der kleine Hund unterbrach seine Untersuchung des Zimmers und eilte kläffend herbei, um sich schützend vor seinem Frauchen aufzubauen. Dabei fletschte er die Zähne, als könne er Brant von seinem Vorhaben abhalten.

„Sie müssen sich etwas Trockenes anziehen.“ Er sprach dabei im selben ruhigen Tonfall, den er auch bei verwundeten Soldaten auf dem Schlachtfeld anwandte. „Ich tue Ihnen nicht weh, versprochen! Sie sind hier vollkommen sicher.“

Sie nickte, ohne ganz die Augen zu öffnen.

Als er sie jetzt bei Licht betrachtete, zuckte eine kurze Erinnerung durch seinen Kopf. Er sah sie in einem kaum vorhandenen, verführerisch roten Kleid. Sie schüttelte ihre dunklen Locken und sah ihn aus halb geöffneten Augen mit ihrem Schlafzimmerblick an.

Verrückt. Er konnte schwören, der Frau noch nie in seinem Leben begegnet zu sein.

Er zog ihre Jeans aus und verachtete sich selbst für das leise erwachende Interesse, mit dem sein Blick auf ihr hochgeschnittenes, pinkfarbenes Seidenhöschen fiel.

Er schluckte schwer. „Ich … sehe bloß nach, ob Sie sich etwas gebrochen haben. Danach können Sie die Hose anziehen, die ich hier habe. Okay?“

Sie nickte und beobachtete aus halb geschlossenen Augen misstrauisch, wie er ihr Bein abtastete und dabei so tat, als sei sie nur einer seiner Kameraden. Allerdings hatten Soldaten normalerweise weder solche samtweiche Haut noch sinnliche Kurven. Und hochgeschnittene rosa Seidenhöschen trugen sie auch nicht.

„Soweit ich feststellen kann, ist nichts gebrochen“, sagte er schließlich und war sichtlich erleichtert, als er ihr endlich die verwaschenen, voluminösen Shorts anziehen und ihre aufreizende Haut damit verhüllen konnte.

„Sind Sie Arzt?“, murmelte sie undeutlich.

„Nein. Ich bin beim Militär, Ma’am. Major Brant Western, Kompanie A, 1. Bataillon, 75. Ranger Regiment.“

Sie schien ihn kaum zu verstehen, dennoch nickte sie und schloss wieder die Augen, während er die Sofadecke über ihr ausbreitete.

Ohne medizinische Erfahrung hätte ihn ihr Dämmerzustand wahrscheinlich alarmiert. Er hatte jedoch genügend Soldaten gesehen, die nach einem plötzlichen Schock genauso reagiert hatten. Es war so, als würde der Geist eine kurze Auszeit nehmen, um das Geschehene zu verarbeiten.

Jetzt würde er sich erst einmal um Tag kümmern, und wenn sie dann noch immer so neben der Spur war, würde er Jake Dalton um Rat fragen, den einzigen Hausarzt im Ort.

„Ma’am.“ Er sprach laut und monoton, was damit belohnt wurde, dass sich ihre Augen wieder ein kleines Stück öffneten. Es interessierte ihn, welche Farbe sie wohl hatten. „Ich muss mein Pferd in den Stall bringen und noch mehr Brennholz holen – für den Fall, dass der Strom ausfällt. Ich habe das Gefühl, dass uns eine ungemütliche Nacht bevorsteht. Sie und Ihr Wattebausch ruhen sich jetzt einfach hier aus und wärmen sich auf, ja?“

Nach einer gefühlten unendlich langen Pause nickte sie und schloss wieder die Augen.

Irgendwoher kannte Brant sie. Dass er nicht wusste, woher, ärgerte ihn. Nicht zuletzt deshalb, weil er immer stolz auf sein gutes Gedächtnis gewesen war.

Er beobachtete, wie der Hund sie umkreiste und sich dann auf ihre Füße legte.

Wer immer diese Frau war – wenn sie sich in einer solchen Nacht nach auf die Straße wagte, hatte sie nicht mehr Verstand als dieser Hund.

Wahrscheinlich machte sich bereits jemand Sorgen um sie. Brant musste sich erst um Tag kümmern. Dann würde er herausfinden, ob es jemanden gab, den er verständigen musste.

Er setzte sich den Stetson wieder auf und wagte sich erneut in die Klauen des Sturms.

Schnell versorgte er Tag, und dann nahm er so viel Feuerholz, wie er nur tragen konnte, und ging damit zurück ins Haus.

Allerdings hatte er das Gefühl, dass er in dieser Nacht noch einige Male Nachschub holen musste, und war dankbar, dass seine Mieterin und Hausverwalterin Gwen Bianca so gewissenhaft war und für den Winter gut vorgesorgt hatte.

Was hätte er ohne sie nur getan? Plötzlich quälte ihn eine weitere Sorge.

Seit sie ihm erzählt hatte, dass sie ein Haus in der Nähe von Jackson Hole kaufen wollte, wo sie regelmäßig ihre Töpferarbeiten ausstellte, überlegte er, was er in Zukunft tun sollte.

Zurück im Haus, sah er nach seinem unerwarteten Besuch und fand die Frau immer noch schlafend vor. Allerdings zitterte sie nicht mehr, und als er ihre Stirn berührte, deutete nichts auf ein Fieber hin.

Der Hund begrüßte ihn mit einem leisen Kläffen, ohne dabei seinen Platz auf den Füßen der Frau zu verlassen.

Brant nahm Hut und Mantel ab, hängte beides im Windfang auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Als er ihre Stirn berührt hatte, war sie offenbar aufgewacht. Vielleicht hatte sie auch das Kläffen des Hundes geweckt. Jedenfalls saß sie jetzt aufrecht und hatte die Augen geöffnet.

Sie waren von einem sinnlich-zarten Grün. Jener Farbe, von der er während der harschen und trostlosen afghanischen Winter geträumt hatte. Die Farbe von Frühlingswiesen, die die Berge bedeckten. Von Hoffnung, von Vegetation und von Leben.

Sie lächelte schwach – und da klappte ihm der Kiefer nach unten. Er wusste plötzlich, woher er sie kannte.

Auch das noch!

Die Frau auf seiner Couch, der er seine unvorteilhafteste Jogginghose übergestreift hatte … die ihren Wagen in unmittelbarer Nähe seines Hauses in den Cold Creek gefahren hatte … deren rosafarbene Höschen er schuldbewusst begutachtet hatte …

Diese Frau war, verdammt noch mal, niemand anders als Mimi Van Hoyt!

Ein Mann starrte sie an.

Nein, nicht irgendein Mann. Er war groß, vielleicht einsfünfundachtzig, hatte kurze, dunkle Haare und blaue Augen, starke Muskeln und einen breiten, kräftigen Kiefer, der Entschlossenheit ausstrahlte.

Genau der Typ von Mann, der sie am nervösesten machte. Der nicht aussah, als könne man sie mit einem aufreizenden Lächeln und einem verspielt-schüchternen Blick um den kleinen Finger wickeln.

Er starrte sie an, als seien ihr gerade Hörner aus dem Schädel gewachsen.

Sie stutzte und fühlte sich unter seinen prüfenden Blicken etwas unwohl, auch wenn sie nicht genau wusste, weshalb.

Ihr Blick wanderte über ihre Umgebung, und sie bemerkte, dass sie auf einem rot karierten Sofa saß. Dieses befand sich in einem Zimmer mit einer eher altmodischen, beigen Blumentapete und einem Wirrwarr aus wild zusammengewürfelten Möbeln.

Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal hier gewesen zu sein.

Auch hatte sie keine klare Erinnerung daran, wie sie hierhergekommen war. Nur das unbestimmte Gefühl, dass ihr Leben auf irgendeine Weise ziemlich aus der Spur geraten war. Dass jemand ihr helfen musste, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.

Deshalb war sie losgefahren, immer weiter, im heftiger werdenden Schneegestöber. Und dann erinnerte sie sich nur noch an einen kurzen Moment der Furcht.

Wieder richtete sie ihren Blick auf den Mann und stellte dabei fest, dass er auf seine Art außerordentlich attraktiv war.

War er derjenige, den sie aufsuchen wollte?

Sie blinzelte und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

„Wie geht es Ihnen? Soweit ich feststellen konnte, haben Sie nichts gebrochen. Und der Airbag hat Sie beim Sturz in den Creek wahrscheinlich davor bewahrt, sich den Kopf zu stoßen.“

Creek. Sie schloss die Augen und erinnerte sich daran, wie sie das Lenkrad umklammert hatte. Wie sie gleichzeitig den inneren Drang verspürte, jemanden zu erreichen, der ihr helfen konnte.

Baby.

Das Baby!

Leise stöhnend legte sie die Hände auf ihren Unterleib.

„Ganz ruhig. Haben Sie Bauchschmerzen? Das könnte vom Airbag herrühren. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sich ein, zwei Rippen quetscht, wenn eins dieser Dinger aufgeht. Möchten Sie, dass ich Sie in die Klinik fahre?“

Autor

Rae Anne Thayne
<p>RaeAnne Thayne hat als Redakteurin bei einer Tageszeitung gearbeitet, bevor sie anfing, sich ganz dem Schreiben ihrer berührenden Geschichten zu widmen. Inspiration findet sie in der Schönheit der Berge im Norden Utahs, wo sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern lebt.</p>
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