Die Wüstenblume und der Gentleman

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"Ich habe die absurde Vorstellung, dass Ihre Küsse nach Pfirsich schmecken würden." Königreich Nessarah, 1815. Zart wie eine Blüte und stolz wie eine Königin: Wer ist die geheimnisvolle Fremde, die der britische Archäologe Christopher Fordyce des Nachts mitten in der Wüste antrifft? Die schöne Tahira betört ihn mit ihrer liebreizenden Art - und entfacht in ihm zugleich ein brennendes Begehren nach ihren verlockenden Lippen. Doch nach märchenhaft leidenschaftlichen Stunden im warmen Wüstensand wird Christopher gewahr: Es kann keine gemeinsame Zukunft für ihn und seine geliebte Wüstenblume geben! Denn Tahira ist bereits einem anderen versprochen …


  • Erscheinungstag 11.09.2018
  • Bandnummer 588
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733728
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Königreich Nessarah, Arabien – Juli 1815

Der Mond war kaum mehr als eine schmale Sichel am nächtlichen Himmel, als Christopher sich der Stelle näherte, von der aus er den perfekten Überblick haben würde. In dieser Nacht wirkten die Sterne eher wie staubige Diamanten und weniger wie die klar umrissenen silbrigen Punkte, die sonst das nächtliche Firmament zierten. Obwohl er ziemlich sicher war, dass die Gegend hier verlassen sein würde, hatte er vorsichtshalber sein Kamel am letzten Brunnen zurückgelassen, der mehr als eine Meile von hier entfernt lag. Inzwischen bewegte er sich nicht mehr auf weichem Sand, sondern auf hartem Kies. Hier und da hatten sich Sträucher ihren Weg durch den kargen Boden gebahnt. Staubig und blattlos waren sie, und ihre dicken Dornen schienen nach seinem Umhang greifen zu wollen, als er vorwärts schlich. Seine weichen Stiefel verursachten dabei keinerlei Geräusche.

Die Felsenformation, die er ins Auge gefasst hatte, glich den Mauern einer alten Festung. Im Licht dieser Nacht schimmerten sie rostrot. Deutlich war ein Weg auszumachen, der durch das Gestrüpp führte, direkt zu einem Spalt in den Felsen. Christopher bückte sich, um den Boden zu betrachten, und er erkannte die Spuren schwerer Wagenräder, die hier entlang gerumpelt waren. Er war definitiv am richtigen Ort.

Die freudige Erwartung ließ sein Herz schneller schlagen, aber er durfte sich nicht zu früh freuen. Die geflüsterten Gespräche, die er belauscht hatte, die vorsichtigen Fragen an seine örtlichen Kontaktpersonen, seine eigenen Nachforschungen, sie konnten sich als unbegründet erweisen. Das vertraute Ziehen in der Magengrube und die leichte Erregung, die solche Entdeckungen immer begleiteten, wurden hier getrübt von einer stattlichen Dosis Verzweiflung. Noch nie zuvor in seiner Laufbahn hatte so viel von einem Mineralfund abgehangen.

Eine einzelne Wolke schob sich vor den Mond und warf einen Schatten auf die Wüstenlandschaft, die vor ihm lag. Sechs Monate lang hatte er den Süden Arabiens erfolglos nach dem perfekten Vorkommen natürlicher Bodenschätze abgesucht. Jetzt war seine Liste möglicher Fundstellen erschöpft. Nessarah war sozusagen der letzte Versuch.

„Aber dieses Mal weiß ich, dass ich am richtigen Ort bin“, murmelte Christopher entschlossen zu sich selbst. Die Antwort musste hier zu finden sein. Er war dieser Suche, die er sich selbst auferlegt hatte, überdrüssig geworden und sehnte sich danach, sie zu beenden. Ein Scheitern kam nicht infrage.

„Und deswegen muss es gelingen.“ Unwillkürlich tastete er dabei nach dem Beutel, der das Amulett enthielt. Er musste es nicht herausnehmen, um zu wissen, wie es aussah: pures Gold, in der Mitte glattes Emaille, die Anordnung jedes einzelnen Edelsteines und der seltsam geformte Spalt, der vielleicht der Schlüssel zur Herkunft des Stückes war. Er trug es stets bei sich, eine spürbare Erinnerung an all das, was er verloren hatte – nicht zuletzt seine eigene Identität.

Sein ganzes Leben hatte sich als Lüge erwiesen, errichtet auf falschen Voraussetzungen, als er das Relikt an jenem schicksalshaften Tag kurz nach der Beerdigung gefunden hatte, zusammen mit der Urkunde, die erklärte, warum es da war. Zu jener Zeit war er kaum imstande gewesen, den Inhalt zu verstehen. Selbst jetzt, nach sechs langen Monaten der Wanderung und neun Monaten, die seit jener Begegnung in London vergangen waren, die alles verändert hatte, wurde ihm noch übel, wenn er darüber nachdachte.

Und deswegen gestattete er sich nicht, daran zu denken. Er tastete nach dem Amulett, ein unbezahlbares antikes Artefakt, Symbol für die Lüge, die er unwissentlich gelebt hatte, und der Preis, der gezahlt worden war, damit die verhasste, schmutzige Wahrheit über seine Vergangenheit begraben blieb. Er wünschte, es nie entdeckt zu haben, aber nachdem er das nun einmal getan hatte, konnte er nichts ändern, bis er es losgeworden war und in sein Zuhause zurückkehren konnte. Erst dann konnte er diesem erschütternden Kapitel in seinem Leben ein Ende setzen, die Tafel mit seiner eigenen Geschichte reinwaschen, von Neuem anfangen, ein anderer Mann werden.

Aber so weit war er noch nicht. Zuerst musste er beweisen, dass die neue Mine ihn mit den lebenswichtigen Informationen versorgen würde, die er bisher nicht hatte finden können. Aus reiner Gewohnheit überprüfte er, ob der Beutel mit dem Amulett sicher befestigt war, dass auch sein Gürtel fest saß, dass der Krummsäbel und der kleine Dolch, die daran hingen, schnell gezogen werden könnten, und dass der kleinere Dolch noch immer an seinem Bein befestigt war. Man konnte nie wissen, wann drastische Maßnahmen ergriffen werden mussten. Ein letzter Blick durch sein Fernglas versicherte ihm, dass er allein war, daher stand Christopher auf und begann mit der Suche nach dem Eingang zur Mine.

Tahira befestigte die Zügel ihres Kamels an einem knorrigen Akazienbaum. Das fahle Mondlicht war nicht ideal, um die Gegend zu erkunden, aber das war nicht wichtig. Dies war ihr erster Besuch, ein Unternehmen, um sich mit dem Terrain vertraut zu machen, um herauszufinden, ob es hier Spuren früherer Siedlungen gab oder eben nicht. Sie nahm Kopfbedeckung und Umhang ab und legte sie ordentlich zusammengefaltet unter die Akazie. Ihre Tunika und ihre Hose hatten die Farbe von Tabak, die gleiche wie ihre Reitstiefel, was es ihr ermöglichte, mit den Schatten zu verschmelzen, obwohl in dieser Nacht solche Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig waren, denn die Ausgrabungen hatten gerade erst begonnen. Es war zu früh, als dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, eine Wache aufzustellen.

Nie zuvor hatte sie eine Mine besucht, die noch in Betrieb war, da sie das Risiko, entdeckt zu werden, für zu groß hielt, aber sie hatte sich auch noch nie von so einer schwierigen Situation zu Hause ablenken müssen. Ihr Bruder war entschlossen, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihm eine Nase zu drehen, indem sie dies hier erforschte, sein neuestes Lieblingsprojekt, auch wenn er von ihren Aktivitäten nie erfahren würde.

Vor Aufregung schlug ihr Herz schneller. Nichts war dem hier vergleichbar – ganz allein in der Wüste zu sein. Nichts ließ sich vergleichen mit diesem kribbelnden Gefühl der Erwartung, wenn sie sich fragte, welche verborgenen Schätze sie hier wohl finden würde. Sie hatte schon immer eine starke, lebendige Verbindung zur Vergangenheit verspürt, die sie ihren Schwestern nie hatte erklären können. Die Mädchen konnten diese Liebe einfach nicht begreifen, nicht verstehen, wie ihr Blut pulsierte, wenn sie ein antikes Stück in der Hand hielt oder an einem Ort stand, an dem schon ihre Vorfahren gelebt hatten. Nicht, dass sie diese Gefühle jemals erwähnt hätte. Ihre Schwestern wären entsetzt, wenn sie von ihren nächtlichen Eskapaden wüssten, hätten Angst vor den Konsequenzen, die sie tragen müsste, wenn sie erwischt würde. Sie würde nicht das Risiko eingehen, die Schwestern zu gefährden, indem sie eine solche Information teilte, sondern sie zog es vor, ihr Geheimnis für sich zu behalten. Indem sie das tat, würden die drei Menschen, die sie am meisten auf der Welt liebte, in Sicherheit sein.

Die drei Menschen auf der Welt, die zu verlassen sie bald gezwungen sein würde, wenn ihr Bruder seinen Willen durchsetzte. Der Druck, ihm zu gehorchen, wurde mit jedem Tag größer, daher war sie entschlossen, das Beste aus den schwindenden Momenten der Freiheit zu machen. Sie sah diese kostbaren Nächte als Bollwerk gegen die Zukunft an, die andere ihr aufzwingen wollten. Eine Zukunft, die sie nicht wollte und die sie nicht selbst gestalten durfte. Hier, im Schutze der Dunkelheit, befreit aus dem goldenen Käfig, in dem sie lebte, konnte sie die Last ihrer Geburt ablegen, das Schicksal vergessen, das man ihr aufzwingen wollte, und eine andere Welt betreten, in der niemand außer ihr selbst ihr vorschreiben konnte, was sie zu tun hatte.

Das geschah nicht ohne ein erhebliches Risiko, aber in dem Maße, in dem das Gefühl bevorstehenden Verhängnisses stärker wurde, wuchs auch ihre Entschlossenheit, sich mit diesen geraubten Stunden zu belohnen. An die Konsequenzen, die eine Entdeckung haben würde, wollte sie nicht denken. Sie wollte nicht daran glauben, dass sie erwischt werden könnte. Außerdem, so überlegte sie, sind meine Handlungen so ungewöhnlich, dass es höchst unwahrscheinlich ist, jemand könnte mir so etwas zutrauen. Das war immerhin ein Vorteil, wenn man nur eine Frau war. Ihr Bruder und ihr Vater würden ein solches Aufbegehren nicht für möglich halten, sofern sie einmal daran denken sollten – was sie nicht tun würden.

Eine leichte Brise wehte durch das Gebüsch, spielte mit ihrer Tunika, zog an dem Schal, mit dem sie sich das Haar aus dem Gesicht gebunden hatte. Eine sanfte Erinnerung daran, dass sie Dinge zu erledigen hatte. Sie hängte sich die Ledertasche um, die ihr Notizbuch und ihre Werkzeuge enthielt. Dann begann sie, das Gelände zu erkunden.

Tahira hatte die Felsformation gerade einmal komplett umrundet und war nun dabei, den Eingang zur Mine zu untersuchen, als das flackernde Licht einer Laterne, das aus dem Inneren nach draußen fiel, sie vor Schreck erstarren ließ. Offenbar gab es doch einen Wachposten. Mit wild klopfendem Herzen und trockener Kehle wandte sie sich ab, um zu ihrem Kamel zu flüchten. Er musste sich mit der Gewandtheit und der Schnelligkeit einer Wüstenkatze bewegt haben, denn sie hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als ein starker Arm sie um die Taille packte und in die Luft hob.

„Wie können Sie es wagen! Lassen Sie mich sofort los!“

Sie konnte nicht verstehen, was der Wächter darauf sagte, denn er murmelte etwas in einer fremden Sprache, aber er stellte sie sofort auf den Boden, ehe er sie herumdrehte, sodass sie ihn ansehen musste. „Eine Frau! Was um alles in der Welt machen Sie hier?“

Jetzt sprach er Arabisch, allerdings mit einem seltsamen Akzent. Tahira sah ihn erstaunt an. „Sie sind kein Wachposten. Was tun Sie hier? Herumschleichen wie ein Dieb in der Nacht?“

Er lachte laut und hielt die Laterne höher. „Ich hätte allen Grund, Ihnen dieselbe Frage zu stellen.“

Er war groß und trug wie sie selbst staubige Alltagskleidung – eine einfache braune Tunika, eine Hose und lederne Reitstiefel. Sein Umhang mochte irgendwann vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein. Aber der Mann selbst war alles andere als alltäglich. Tatsächlich war ihr erster Gedanke, dass man die Begegnung mit einem Mann wie ihm nie mehr vergessen würde. Ihr zweiter Gedanke war, dass er auch auf eine besondere Weise sehr attraktiv war. Sein zerzaustes Haar schimmerte golden im Schein der Laterne. Seine Haut war tief gebräunt, er hatte eine markante Nase und einen sinnlichen Mund. Aber es waren seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit erregten, denn sie waren von durchdringendem Blau mit einem Hauch Türkis, und mehr noch als der Krummsäbel, der von seinem Gürtel herabhing, waren es seine Augen, die ihn als gefährlich kennzeichneten.

Tahira erschauerte, als eine Mischung aus Furcht und Erregung sie durchströmte. „Ihnen ist bewusst, dass Sie hier unbefugt eindringen? Diese Mine ist das Eigentum König Haydars.“

„Wie alle Minen im Königreich Nessarah, glaube ich, aber wie es aussieht, bin ich nicht der einzige Eindringling.“ Er hielt die Laterne so, dass das Licht auf ihr Gesicht fiel. „Ich wage zu behaupten, dass Sie kein Minenarbeiter sind, aber falls Sie das doch sein sollten, so sind Sie der attraktivste, dem ich je das Vergnügen hatte zu begegnen. Und glauben Sie mir, ich habe einige Minenarbeiter getroffen.“

Seine gelassene Selbstsicherheit im Angesicht einer Situation, die er als gefährlich erkennen musste, war erstaunlich. Und ansteckend. Wenn er keine Angst zeigte, warum sollte sie das dann tun? Er machte keine Anstalten, sie am Weggehen zu hindern. Tahira wusste, sie sollte genau das tun, aber jetzt, da sie sicher war, dass er sie nicht erkannt hatte, wollte sie nicht fort. Es gab für sie keinen Grund, diesem Mann zu vertrauen, doch sie spürte, dass er nicht die Absicht hatte, ihr etwas anzutun. Außerdem war sie sehr neugierig. Und ja, fasziniert und hingezogen auch. Bei seinem Lächeln stockte ihr der Atem. Es brachte sie zu der schockierenden Frage, wie es sich wohl anfühlen würde, seine Lippen auf ihren zu spüren – sie, die in ihren vierundzwanzig Lebensjahren kein einziges Mal geküsst worden war.

„Ihre logischen Fähigkeiten sind zu bewundern“, sagte Tahira und konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Sie haben völlig recht, ich bin kein Minenarbeiter.“

Der Fremde holte tief Luft. „Aber Sie sind eine Schönheit. Was machen Sie hier allein in der Wüste mitten in der Nacht?“

„Ich bin durchaus daran gewöhnt, nachts allein in der Wüste zu sein, und bisher hatte ich es nie nötig, meine Einsamkeit zu verteidigen.“

Seine Zähne blitzten weiß auf, als er lächelte. „Dann sind wir verwandte Seelen, Madam …?“

Sie zögerte, aber es war unwahrscheinlich, dass ihm ihr Vorname etwas sagte. „In Anbetracht der informellen Art unserer Begegnung denke ich, Sie können mich Tahira nennen.“

Er zog die Brauen hoch. „Eine Frau von Diskretion. Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Tahira. Gestatten Sie mir, mich auf ähnlich informelle Weise vorzustellen. Ich heiße Christopher“, sagte er und verneigte sich. „Zu Ihren Diensten.“

„Christopher“, wiederholte sie langsam. „Ein englischer Name?“, vermutete sie, und als er nickte, fuhr sie fort: „Sie sind weit weg von zu Hause.“

„Ich habe kein Zuhause.“ Seine Miene verfinsterte sich für einen Moment, aber dann zuckte er die Achseln. „Und Sie, Tahira, sind Sie fern von zu Hause?“

Jetzt war es an ihr, mit den Schultern zu zucken. „Nicht so sehr weit.“

„Sie sind ebenso geheimnisvoll wie diskret.“

Sie lachte. „Eindeutig weniger geheimnisvoll als Sie, ein Fremder in diesem Land.“

„Ich bitte hier zu unterscheiden“, sagte der Engländer und lächelte wieder auf diese hinreißende Art. „Ihre Anwesenheit an diesem Ort gibt Anlass zu vielen Fragen. Warum erkundet eine schöne Frau in Männerkleidung eine Mine, ganz allein und mitten in der Nacht? Wie ist sie hierhergekommen? Woher ist sie gekommen? Warum die Verkleidung? Sie glauben doch nicht wirklich, irgendwen damit täuschen zu können und für einen Mann gehalten zu werden?“

Obwohl sein Tonfall noch immer scherzhaft klang, hatte sie den starken Eindruck, dass seine Fragen auf etwas abzielten. Es ist nur natürlich, dass er neugierig ist, dachte sie, in Anbetracht meiner ungewöhnlichen Erscheinung. Aber sie konnte es nicht riskieren, dass er zu neugierig wurde. „Meine Kleidung ist einfach praktisch, genau wie Ihre“, sagte sie.

Sie hatte ihn unterschätzt. „Ihre Kleidung ist aus deutlich teureren Materialien gearbeitet als meine, und sie ist auch weit weniger abgetragen. Das beweist, falls das überhaupt nötig wäre, dass Sie kein Minenarbeiter sind“, sagte er. „Und doch wissen Sie, dass diese Mine existiert. Sie ist gerade erst geöffnet worden, die Arbeiten befinden sich noch in einer Frühphase. Wie sind Sie an diese Information gekommen?“

Tahira spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie zuckte die Achseln, gleichmütig, wie sie hoffte. „Ich könnte Ihnen dieselbe Frage stellen.“

„Das könnten Sie“, entgegnete der Engländer. „Aber ich habe Sie zuerst gefragt.“

Sein Tonfall klang unverändert, noch immer angenehm, auch seine Miene veränderte sich nicht, dennoch wusste sie ohne jeden Zweifel, dass er eine Antwort hören wollte. Was vermutete er wohl? Sie ahnte, dass er jede Lüge durchschauen würde – aber die Wahrheit, nein, das war unmöglich. Am sichersten wäre es, ohne jeden Kommentar zu gehen, doch sie stellte fest, dass die Sicherheit sie nicht reizte.

„Ich bin nicht an der Mine selbst interessiert“, sagte Tahira und beschloss, einen Teil der Wahrheit anzubieten. „Ich bin nur an der Möglichkeit interessiert, dass durch das Abtragen der Erdschichten Spuren einer antiken Siedlung ans Tageslicht kommen.“

Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Antwort eine so starke Wirkung auf den Engländer haben würde, und sie hatte auch nicht wirklich geglaubt, ihn damit von seiner ursprünglichen Frage ablenken zu können, aber das tat sie. Er hob die Brauen, und jede Spur eines Lächelns verschwand aus seinem Gesicht. „Und? Haben Sie einen solchen Beweis gefunden?“, fragte er. „Haben Sie eine Ahnung davon, wie alt eine solche Siedlung sein würde?“

„Dies ist mein erster Besuch hier, allerdings … einige der Bodenschätze Nessarahs wurden seit alter Zeit abgebaut“, gab Tahira zurück und versuchte zu verstehen, woher diese Veränderung bei ihm rührte. „Oh, ist es möglich … sind Sie selbst an solchen Orten interessiert?“

Ihr Erstaunen brachte ihn wieder zum Lächeln. „Ich bin mehr als interessiert. Tatsächlich bin ich leidenschaftlicher Archäologe.“

Jetzt sah sie ihn verblüfft an. „Machen Sie sich über mich lustig?“

„Nein, im Ernst. In den letzten Jahren war ich an einigen archäologischen Ausgrabungen beteiligt. Ein paar davon in Großbritannien, aber die meisten in Ägypten. Ich muss allerdings sagen, dass mir auf meinen Reisen nie ein weiblicher Archäologe begegnet ist. Arbeiten Sie allein?“

„Ich arbeite nicht. Es interessiert mich, das ist alles.“

„Ein Interesse, dem sie in den dunklen Stunden der Nacht nachgehen?“

Da war wieder dieser Blick. Es war dumm zu glauben, dass er ihre Gedanken lesen konnte, aber genau so fühlte sie sich. Tahira verschränkte die Arme und sah ihm direkt in die blauen Augen. „So wie Sie?“

„Wie Sie bereits erkannt haben, habe ich keine Erlaubnis des Königs, hier zu sein, ebenso wenig wie Sie. Ich frage mich, was Sie hierhergelockt hat, zu gerade dieser Mine in ausgerechnet dieser Nacht?“

Tahira verstand nicht, woher der scharfe Unterton in seiner Stimme kam. Was um alles in der Welt unterstellte er ihr? „Sie glauben doch nicht, dass meine Anwesenheit hier irgendetwas mit Ihnen zu tun hat?“

Sie hatte das ganz ohne nachzudenken gesagt, aber sie hatte offenbar ins Schwarze getroffen.

„Sie werden zugeben, dass das ein seltsamer Zufall ist.“

„Ein Zufall, und sonst nichts“, gab Tahira ein wenig verstimmt zurück. „Wer sind Sie, dass Sie glauben, ich würde solchen Aufwand betreiben, um Ihre Bekanntschaft zu machen?“

Er wirkte etwas verlegen. „Verzeihen Sie, ich bin einfach von Natur aus misstrauisch. Und außerdem sehr neugierig. Wenn unsere Begegnung tatsächlich zufällig sein sollte, dann ist es ein ganz reizender Zufall. Wissen Sie vielleicht, was man hier zu finden hofft?“

Er beschäftigte sich damit, die Laterne zu löschen, aber Tahira ließ sich nicht täuschen. „Wissen Sie es?“

Sie erwartete nicht, dass er darauf antwortete, doch er tat es. „Türkise.“

„Das sollte ein sehr gut gehütetes Geheimnis sein.“

Zu spät verstand sie, warum er sie so prüfend ansah, und begriff, dass sie ihm in die Falle getappt war. „Es stimmt also.“

„Sie sind ein Spekulant?“

Er packte sie am Arm. „Es stimmt? Woher wissen Sie das so genau? Wenn das wirklich eine Türkismine ist, dann würde das das Ende meiner sehr langen Reise bedeuten.“

In seinen Augen lag ein seltsamer Glanz, ein wilder Ausdruck auf seinem Gesicht. Zutiefst enttäuscht riss sie sich von ihm los. „Sie sind also ein Spekulant auf der Suche nach Reichtümern.“

Aber Christopher schüttelte heftig den Kopf. „Wenn ich das wäre, meinen Sie nicht, ich wäre dann mehr daran interessiert, neue Gold- oder Diamantvorkommen zu finden? In Nessarah gibt es von beidem genug.“

„Woher um alles in der Welt wissen Sie das?“

„Das ist nicht wichtig. Was wirklich wichtig ist, ist die zweifelsfreie Bestätigung, dass es sich hier wirklich um eine Türkismine handelt.“

„Es ist noch gar keine Mine“, erklärte Tahira, die sich enttäuscht fühlte. „Wenn Sie wirklich ein Archäologe sind, wie Sie es behaupten, warum sind Sie dann mehr daran interessiert, dass dieses Mineral jetzt hier abgebaut wird, als an der Frage, ob es bereits in alten Zeiten abgebaut wurde?“

„Die Wahrheit ist, dass beides bedeutend ist für den erfolgreichen Abschluss meiner Suche.“

„Eine Suche? Bei Ihnen klingt das wie ein edles Unterfangen.“

„Es ist nichts Edles daran, ganz im Gegenteil, aber es ist ein Unterfangen.“ Der Engländer runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind, warum Sie allein hier sind, oder woher Sie Ihre Informationen haben, aber wenn Sie etwas über Nessarahs alte Minen wissen, dann könnten Sie für mich ein wertvollerer Fund sein als Diamanten.“

Eine Erklärung, die ihr Interesse weckte, auch wenn sie ihm das nicht zeigen wollte. „Ich möchte nicht behaupten, eine Expertin zu sein, allerdings gehört es zu meinen Leidenschaften, Nessarahs Geschichte zu studieren“, sagte Tahira vorsichtig. „Ich habe nicht gelogen, was den Grund meines Hierseins betrifft.“

„Ich versichere Ihnen, auch ich habe nicht gelogen. Auch ich bin hierhergekommen auf der Suche nach einer alten Siedlung, weil mich das der Lösung eines antiken Rätsels einen Schritt näher bringen würde.“

„Was für ein Rätsel denn?“, fragte sie und gab es auf, so zu tun, als wäre sie nicht interessiert.

Aber Christopher, der eben noch kurz davor gewesen war, sich ihr anzuvertrauen, schien jetzt Bedenken zu haben. „Woher soll ich wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann? Woher soll ich wissen, dass Sie nicht schnurstracks dorthin zurückkehren, wo Sie hergekommen sind, und Ihrem Mann davon erzählen, der mich bei den Behörden meldet?“

„Erstens, weil ich keinen Mann habe. Zweitens und vor allem ist es das Letzte, was ich tun würde: jemandem von unserer Begegnung erzählen. Wie Sie bereits vermutet haben, sollte ich nicht hier sein. Wenn man herausfindet, dass ich hier war und nicht dort, wo ich sein sollte …“ Tahira verstummte und unterdrückte ein Schaudern. „Seien Sie versichert, ich bin nicht so dumm, Sie zu verraten, wenn ich damit doch auch mich selbst verraten würde.“

„Meinen Sie damit, dass Sie davongelaufen sind?“

„Entflohen, in gewisser Weise, aber nur vorübergehend.“

„Geflohen vor was?“

„Meinem Leben. Meinem Zuhause“, erklärte sie und versuchte, nicht übermäßig dramatisch zu klingen, auch wenn das der Wahrheit entsprach.

Christopher zog die Brauen hoch. „Sie sollten also sicher im Bett liegen, doch Sie sind in die Nacht hinausgezogen, um Ihrem Interesse an Nessarahs alter Geschichte nachzugehen?“

„Ist das so schwer zu glauben?“

„Tahira.“ Christopher berührte ganz leicht ihren Arm. „Ich mache mich nicht über Sie lustig. Ich bin nur … beeindruckt. Ein solches Risiko auf sich zu nehmen, zeigt eine wahre Liebe zur Gesichte, die mindestens so groß ist wie meine, wenn nicht größer.“

„Oh.“ Seltsamerweise freute sie sich über das Kompliment. „Ich bin nur … es ist etwas, das ich nur für mich tue. Niemand sonst darf davon wissen. Verstehen Sie jetzt, warum ich Sie nicht verraten würde?“

„Sie können davon ausgehen, dass auch ich Sie nicht betrügen werde.“

Genau das hatte sie getan. War sie zu naiv? „Warum sollten Sie das tun, wenn Sie mich doch gerade mit recht dramatischen Worten als kostbaren Fund bezeichnet haben? Außer natürlich, das war ein billiger Versuch zu schmeicheln. Außerdem spricht noch viel mehr dafür, dass Sie aus welchem Grund auch immer ebenso wenig wie ich den Wunsch verspüren, entdeckt zu werden.“

„Da haben Sie natürlich völlig recht“, sagte Christopher, der sich sichtlich entspannte. „Aber ich habe Ihnen nicht geschmeichelt. Ihr Wissen über Nessarahs Geschichte könnte sich für mich als sehr hilfreich erweisen. Wenn Sie es nicht eilig haben, wieder in die Nacht hinaus zu verschwinden, kann ich Ihnen dann vielleicht erklären, warum ich hier bin?“

Dieser Mann war ein Ausländer und ein völlig Fremder. Sie sollte sich auf ihr Kamel setzen und nach Hause zurückkehren. Aber sie wusste, das würde sie bedauern. Ein altes Rätsel. Eine Suche, die ernsthaft war, jedoch nicht edel. Außerdem hatte sie sich nie zuvor so zu einem Mann hingezogen gefühlt. Was kaum überraschend war, denn ihre Lebensumstände brachten es mit sich, dass sie nur wenigen Männern begegnete, dieser Mann hingegen war anders. Er teilte ihre Liebe zur Vergangenheit. Und ja, er sah auch gut aus, aber es waren seine Augen, die ihn zu etwas Besonderem machten. Und dieses Lächeln, das direkt ihr Innerstes zu berühren schien, und das gab ihr trotz ihres Mangels an Erfahrung die Gewissheit, dass die Anziehung beiderseitig war.

„Ich habe es nicht besonders eilig“, sagte Tahira. „Ich verspreche nicht, dass ich Ihnen helfen kann, ich würde jedoch sehr gern mehr hören.“

Die Männerkleidung, die diese exotische Frau trug, brachte Christopher nur umso deutlicher den weiblichen Körper ins Bewusstsein, der darunter lag. Als er Tahira zu der Stelle folgte, wo sie ihr Kamel zurückgelassen hatte, konnte er den Blick nicht abwenden von dem sinnlichen Schwung ihrer Hüften, dem langen, schimmernden Haar, das ihr über den Rücken fiel, zusammengebunden mit einem Schal, der wie ein Banner hinter ihr her wehte und ihm winkte, ihr zu folgen. Sie bewegte sich mit der selbstverständlichen Anmut einer Tänzerin. Als er ihre perfekten Züge zum ersten Mal sah, hatte er den Anblick wie einen Schlag in die Magengrube empfunden. Nein, musste er dann zugeben – es war nicht sein Magen, der auf die großen, mandelförmigen Augen und den kirschroten Mund, das herzförmige Gesicht und die verlockenden Rundungen ihres Körpers reagierte. Nie in seinem Leben hatte er bisher eine Frau getroffen, die so reizend und so unschuldsvoll verführerisch war. Wer zum Teufel mochte sie sein? Seine Neugier war geweckt, aber was ihn noch mehr interessierte, war die Frage, ob sie ihm wohl helfen konnte.

Als sie den weicheren Sand erreicht hatten, setzte Tahira sich anmutig hin, und Christopher ließ sich mit gekreuzten Beinen ihr gegenüber nieder. „So, sagen Sie mir“, meinte er, „halten Sie es für wahrscheinlich, dass sich dies als antiker Ort erweist?“

Sie hob eine feine Braue. „Ist das ein Test für mein Fachwissen, ehe Sie sich mir anvertrauen?“ Als er nicht widersprach, zuckte sie mit den Schultern. „Das ist verständlich. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich keinesfalls eine Expertin bin. Ich habe das Glück, Zugang zu einigen Manuskripten zu haben, zu Urkunden und Karten von Nessarah. Über die Jahre habe ich die alte Geschichte meines Landes studiert und einige der älteren Minen aufgesucht – die Diamanten- und Goldminen, für die wir berühmt sind. Meine praktische Erfahrung allerdings ist sehr begrenzt.“

„Was dem Umstand geschuldet ist, dass Sie Ihre Erkundungen auf die Stunden der Nacht beschränken müssen, wie ich annehme?“

„Ja. Ich weiß, das klingt unwahrscheinlich …“

„Tahira, das ist so unwahrscheinlich, dass ich Ihnen glaube. Eine solche Lüge würden Sie nicht erfinden.“

„Das stimmt. Tatsächlich ist das so unwahrscheinlich, dass ich darin einen der Gründe sehe, warum meine gelegentlichen Abwesenheiten nicht entdeckt werden. In der letzten Zeit allerdings …“ Sie seufzte, mied für einen Moment seinen Blick, ehe sie sich kurz schüttelte. „Ich arbeite nicht streng methodisch. Meine Herangehensweise ist nicht wissenschaftlich, meine Notizen und meine Zeichnungen sind laienhaft, was einem erfahrenen Archäologen wie Ihnen auffallen wird.“

Er sollte sie also nicht fragen, was ‚in der letzten Zeit‘ passiert war. Christopher nahm das widerstrebend hin. So faszinierend sie auch war – zu diesem Zeitpunkt war ihr Wissen für ihn bedeutend wichtiger als ihre Lebensumstände. „Ich bin eigentlich ein Bodengutachter, aber mein Herz gehört der Antike.“

Diese Bemerkung verschaffte ihm ein Lächeln. „Es ist so großartig“, sagte Tahira, „jemanden zu treffen, der weiß, wie spannend es ist, in den Überresten von Gebäuden zu stehen, die vor Tausenden vor Jahren gebaut wurden, Töpfe in der Hand zu halten, mit denen gekocht worden ist, Teller, von denen Speisen gegessen wurden, Becher, aus denen man Wein trank – das ist so aufregend – es gibt nichts Vergleichbares, oder?“

Ihre Augen funkelten. Ihre Lippen hatte sie zu einem so hinreißenden Lächeln verzogen, dass ihm das Blut in die Lenden schoss. „Nein“, sagte Christopher. „Es gibt wirklich nichts Vergleichbares.“

„Meine Schwestern necken mich, wenn ich sage, dass ich etwas spüre – eine Art Verbindung zu einigen unserer Vorfahren. Wenn ich zwischen den Ruinen eines alten Minenarbeiterdorfes hier in Nessarah stehe, eines, das vor langer Zeit errichtet wurde, dann spüre ich die Geister, die Seelen der Menschen, die hier gelebt haben.“

„Wie viele Schwestern haben Sie?“

„Drei, alle jünger als ich, und ihr einziges Interesse an Minen richtet sich auf den Schmuck, der aus den kostbaren Steinen gearbeitet wird, die da unten gefunden werden. Ish… – meine nächstjüngere Schwester sagt, dass unsere Vorfahren vermutlich keine Minenarbeiter waren, und damit hat sie sicher recht, aber … Ach, ich weiß nicht. Mir gefällt der Gedanke, dass es etwas gibt, dass es irgendeine Erinnerung gibt, die mich mit den wenigen Siedlungen verbindet, die ich entdeckt habe, und den Artefakten, die ich dort gefunden habe.“ Verlegen fügte Tahira hinzu: „Sie halten das vermutlich für albern.“

„Tatsächlich“, bekannte Christoper, „weiß ich genau, was Sie meinen. Auch ich fühle gelegentlich eine ähnliche Verbindung. Eine Erinnerung – obwohl es unmöglich eine Erinnerung sein kann. Oder auch einen Geist – allerdings bin ich nicht sicher, ob ich an so etwas glaube. Aber ich weiß, was Sie meinen.“

„Wirklich? Ich kenne sonst niemanden, der so denkt wie ich.“

Ihr schüchternes Lächeln war betörend. Himmel, sie sollte ihn wirklich nicht so ansehen. Christopher wandte sich ab und konzentrierte sich auf den felsigen Vorsprung hinter ihrer Schulter. „Ich nehme an, Ihre Schwestern helfen Ihnen bei Ihren nächtlichen Exkursionen und unterstützen Sie?“

„Oh nein. Sie wären außer sich, wenn sie das herausfänden, und sie würden sich ängstigen um mich. Die Geschichten, die ich ihnen erzähle – sie glauben, ich habe sie alle aus Büchern. Ich wage es nicht, ihnen etwas von meinen Fundstücken zu zeigen. Nicht, dass sie sich dafür interessieren würden, denn nichts davon ist wertvoll.“

„Sie verstecken also Ihre ganze Arbeit?“

„Das ist nicht besonders schwer, da meine Arbeiten nicht sehr umfangreich sind. Irgendwann wird vielleicht jemand meine kleine Sammlung von Papieren und Artefakten finden und sich fragen, wie sie zustande gekommen sein mag. Ich möchte darin gern meinen eigenen Beitrag zu Nessarahs Geschichte sehen, aber ich bezweifle, dass sie für irgendwen außer mir selbst irgendeinen Wert hat.“ Tahira lachte ein wenig bitter. „Mein Lebenswerk. Da ist nicht viel vorzuweisen.“

„Derzeit nicht, vielleicht. Sie sind sehr jung, vor Ihnen liegen noch viele Jahre mit Erkundungen.“

Sie hatte die Angewohnheit, den Kopf zu einer Seite zu drehen und die Augen halb zu schließen, um ihren Blick und ihre Gefühle zu verbergen. „Ich bin vierundzwanzig. Mein Vater und mein Bruder meinen, ich hätte meine besten Jahre hinter mir. Wenn sie ihren Willen durchsetzen, was bald geschehen wird, dann bleibt mir nur wenig Zeit, mich meiner Leidenschaft zu widmen.“

„Was meinen Sie?“

Aber Tahira schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe die Absicht, das meiste aus dem zu machen, was mir an Zeit und Freiheit noch bleibt, das ist alles. Sagen Sie mir, womit beschäftigen Sie sich?“

Das war ein eindeutiger Themenwechsel, und er fügte sich, denn sie war offensichtlich aufgewühlt, und ebenso offensichtlich wollte sie das nicht sein. „Ich habe mich auf die Entdeckung von Mineralien und Erzen spezialisiert“, sagte Christopher. „Und auf diese Weise habe ich meine archäologischen Forschungen begonnen.“

„Darunter auch eine Reise nach Arabien?“

„Es sind nicht die Geschäfte, die mich nach Arabien geführt haben.“

„Nein, in der Tat, Sie sind hier, um ein antikes Rätsel zu lösen, wobei ich Ihnen vielleicht helfen kann.“

„Genau. Ich schlage vor, wenn Ihnen das recht ist, dass wir zusammenarbeiten und unsere Kräfte verbinden. Zeit spielt hier eine entscheidende Rolle. Es ist wahrscheinlich, dass der Beweis, nach dem wir suchen, zerstört wird, wenn der Abbau erst beginnt.“

„Das ist sehr richtig und auch sehr schmeichelhaft“, sagte Tahira und sah ihm direkt in die Augen. „Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, warum Sie diesen Ort überhaupt erforschen wollen.“

Es war eine einfache Frage, und er musste sie beantworten, wenn er die Hilfe dieser faszinierenden Frau in Anspruch nehmen wollte. Doch Christopher zögerte. Konnte er ihr vertrauen? Offensichtlich war sie nicht geschickt worden, um ihn auszuspionieren, wie er lächerlicherweise vermutet hatte. Während der letzten sechs Monate hier in Arabien waren die Agenten, zu denen ihm so zögerlich Zugang gewährt worden war, eine sehr bunt gemischte und gelegentlich zweifelhafte Gruppe, aber es hatte sich keine Frau unter ihnen befunden. War sie eine Spekulantin? Das war zweifellos ebenso lächerlich. Nein, er war ziemlich sicher, dass ihre Behauptung stimmte, Archäologin zu sein. Was immer sie außerdem noch sein mochte …

Es ist nicht wichtig, entschied er. „Es ist der Türkis, auf den es ankommt“, sagte Christopher. „Ich muss beweisen, dass er hier schon vor tausendfünfhundert Jahren abgebaut wurde, und ich muss irgendwie eine Probe dieses Steins in die Hände bekommen.“ Er fühlte sich etwas komisch, als er nach dem Lederbeutel griff, das Amulett herausnahm und es Tahira reichte. „Um zu sehen, ob es mit diesem hier übereinstimmt.“

2. KAPITEL

Tahira sah das Artefakt verwundert an und drehte es in ihren Händen hin und her. Die Glieder der Kette waren von der intensiven tiefgelben Farbe, die auf einen hohen Goldanteil hinwies. Das Amulett selbst war rund, und der Rand war abwechselnd mit Diamanten und Türkisen besetzt. Über den Anhänger war ein betörendes Muster aus leuchtend blauen Emaillestreifen auf Gold gezeichnet, geformt wie Blütenblätter. Aber die Mitte des Amuletts war leer.

„Hier fehlt etwas“, sagte sie und strich mit dem Zeigefinger über die Stelle. „Ein weiterer Stein?“

„Möglich. Das möchte ich gern herausfinden, obwohl ich bezweifle, dass mir das je gelingen wird“, entgegnete Christopher. „Was halten Sie davon?“

„Ich denke, es ist das schönste Schmuckstück, das ich je gesehen habe.“ Tahira betrachtete das Amulett genauer. „Das Muster ist sehr auffallend und typisch für diese Gegend. In alten Manuskripten habe ich Bilder von ähnlichen Exemplaren gesehen. Es stammt mit ziemlicher Sicherheit aus dem Süden Arabiens und ist offenbar sehr alt und sehr wertvoll. Das Licht ist zu schlecht, als dass ich es genauer erkennen könnte, aber diese Diamanten scheinen makellos zu sein. Und die Türkise – auch hier kann ich nicht sicher sein, aber ich glaube nicht, dass ich jemals Steine in diesem besonderen Farbton gesehen habe.“

„Sie sind tatsächlich sehr rar. Ich habe noch nie Vergleichbares gefunden. Bis jetzt.“

„Oh!“ Endlich begriff sie. „Glauben Sie, diese Mine …“

„Ich hoffe es sehr.“

„An dieser Stelle gefunden, vor eintausendfünfhundert Jahren“, sagte Tahira verträumt und strich mit dem Finger über die Türkise. Das Amulett lag warm in ihrer Hand. „Wie wunderbar es wäre, wenn Sie das beweisen könnten. Ich habe mich noch nie von etwas so angezogen gefühlt. Wie sind Sie dazu gekommen?“

Christophers Lächeln wurde angespannt. „Es ist über meine Mutter zu mir gelangt. Allerdings nicht auf direktem Weg. Ich habe sie nicht gekannt. Sie starb bei meiner Geburt.“

„Oh, Christopher!“ Tahira spürte Tränen in ihren Augen. Selbst jetzt, nach all den Jahren, traf die Erinnerung an ihren eigenen Verlust sie unvermittelt. „Auch meine Mutter starb im Kindbett, als sie meine jüngste Schwester zur Welt brachte, aber wenigstens hatte ich noch zehn kostbare Jahre mit ihr. Es tut mir so leid.“

„Man kann nicht vermissen, was man nie gekannt hat, und auch nicht betrauern, was man nie hatte.“

Er sprach kurz und knapp, als wäre ihm die Frau egal, die ihm das Leben geschenkt hatte, doch das konnte nicht sein. Er war ein Mann, das war alles, und als solcher wollte er seinen Schmerz nicht zeigen. „Dann muss Ihnen dieses Amulett sehr viel bedeuten“, sagte Tahira. „Eine sehr kostbare Verbindung zu Ihrer Vergangenheit.“

Sie griff in den Ausschnitt ihrer Tunika und zog ihre goldene Kette hervor. „Meine Mutter hat mir dies hier gegeben. Es ist ein Beduinenstern. Der Stern der Reisenden. Ich trage ihn immer. Meine kostbarste Verbindung zu meiner Vergangenheit. Ich möchte mich niemals davon trennen.“

„Aber wie es nun einmal ist, so bin ich entschlossen, mich von meinem Amulett zu trennen.“

Tahira starrte ihn entsetzt an. „Trennen?“, wiederholte sie und dachte, sie hätte sich verhört, oder dass er das Wort falsch übersetzt hatte.

„Trennen“, wiederholte Christopher vehement. „Indem ich dieses Stück dem wahren Eigentümer zurückgebe.“

„Aber Sie sind doch sicher sein wahrer Eigentümer?“, sagte sie, zutiefst verwirrt und ein wenig verschüchtert wegen seines plötzlichen Stimmungswandels.

Christopher, der ihre Verwirrung spürte, bemühte sich um einen leichteren Tonfall. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht so heftig sprechen sollen. Ich bin seit sechs Monaten in Arabien und versuche, die Steine zu finden, die denen im Amulett entsprechen, und diese Aufgabe hat mich einigermaßen erschöpft.“

„Aber warum überhaupt eine solche Suche beginnen? Ich verstehe nicht. Glauben Sie, dass dieses Amulett gestohlen wurde?“

Er lachte kurz auf. „Da bin ich fast sicher. Von Grabräubern, vor Hunderten von Jahren. Aber was seine jüngere Herkunft angeht …“ Er verzog das Gesicht. „Ich habe aus sicherer Quelle erfahren, dass ich der rechtmäßige Eigentümer bin.“

„Und doch wollen Sie es weggeben? Es muss sehr wertvoll sein. Warum verkaufen Sie es nicht, wenn es Sie schmerzt, es zu besitzen.“

Er erschauerte. „Gewinn durch ein solches Objekt erwerben – nein, undenkbar. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“

Tahira runzelte die Stirn. „Weil es ein heiliger Gegenstand ist? Das kann ich verstehen, aber warum geben Sie es dann nicht einem Museum?“

Sie hielt das für einen guten Vorschlag, doch er verzog nur wieder das Gesicht. „Den Vorschlag hat mir schon einmal jemand gemacht. Sie können nicht verstehen, was ihm hätte klar sein müssen: warum auch das unmöglich ist. Das Amulett gehört hierher, nach Arabien, und nirgends sonst hin.“

„Ihre Gefühle ehren Sie“, sagte Tahira, was stimmte, obwohl sie vermutete, dass diese Gefühle weit von der Wahrheit entfernt waren. „Aber den ganzen Weg hierher nach Arabien zu machen, auf einer … einer Suche, wie Sie es nennen, die Sie anscheinend nicht zu Ende bringen können, erscheint mir, ehrlich gesagt, sehr ungewöhnlich. Was, wenn Ihre Suche sich als vergeblich erweist?“

„Sie darf nicht vergeblich sein. Erst wenn ich dieses Ding loswerde, kann ich …“ Christopher verstummte, kniff die Augen zu und bemühte sich offensichtlich um Selbstbeherrschung. „Ich muss es zurückgeben“, sagte er mit einer Endgültigkeit, die ihr deutlich zeigte, dass dieses Thema beendet war. „Es gibt keine Alternative.“

Warum nicht?, hätte sie gern gefragt. Warum betrachten Sie diesen schönen Gegenstand, als würden Sie ihn verachten? Warum müssen Sie ein Erbstück loswerden, eine Gabe von der Mutter, die Sie nie gekannt haben? Warum ist es so wichtig, dass Sie sechs Monate Ihres Lebens mit einer beinahe unmöglichen Aufgabe verbracht haben? Aber er würde ihr keine dieser Fragen beantworten, soviel war klar. „Wie wollen Sie feststellen, woher das Stück kommt?“, fragte Tahira stattdessen. „Und an wen wollen Sie es zurückgeben?“

„Die Steine sind der Schlüssel“, erwiderte Christopher, und seine ernste Miene wurde bei diesem Themenwechsel etwas heiterer. „Die Kombination dieses besonderen Farbtons der Türkise mit der Reinheit der Diamanten und dem Goldton ist einzigartig. Wenn ich herausfinden kann, woher sie kommen, sie geographisch einordnen kann, beweisen, dass sie alle gefunden wurden, als das Amulett gemacht wurde, dann werde ich wissen, dass ich am richtigen Ort bin.“

„Wie viele Orte haben Sie aufgesucht?“

Er zuckte die Achseln, aber sie sah erfreut die Andeutung eines Lächelns. „Ich habe meine Wanderungen auf den Süden beschränkt und mich auf die Königreiche konzentriert, von denen ich weiß, dass dort Diamanten und Gold abgebaut wurden.“

„Wie sind Sie an solche Informationen gelangt?“

„Nun, Sie sagten selbst, dass dieses Amulett im Stil Südarabiens gearbeitet ist, und ich bin ein Gutachter. Erze und Mineralien sind mein Geschäft, und ich habe … ich habe eine Begabung dafür. Als ich den Ort etwas eingegrenzt hatte, war es recht einfach.“

Dies war der Beweis – nicht, dass sie dafür einen gebraucht hätte –, wie wichtig dieses Unternehmen für Christopher war. „Sie müssen durch viele Königreiche gekommen sein“, sagte Tahira beeindruckt. „Um so weit zu reisen, müssen Sie große Mühen auf sich genommen haben. Strapazen, Papiere, Genehmigungen …“

„Oh, ich kann Papiere vorlegen, wenn es sein muss“, gab er zurück und winkte ab. „Aber ich ziehe es vor, unauffällig zu bleiben. Behörden, die helfen wollen, können manchmal – nun ja, übermäßig neugierig sein. Und manchmal auch übermäßig misstrauisch. Seien Sie ehrlich, Sie waren auch misstrauisch, oder?“

Neckte er sie? Nein, dieser Glanz in seinen Augen – das war mehr eine Herausforderung. „Nun, inzwischen verstehe ich, warum Sie hier sind, und ich bin keine Behörde, Christopher. Allerdings kann ich Ihnen versichern: Wenn Sie dabei erwischt werden, wie Sie in dieser Mine herumschnüffeln, sind Sie in ernsthaften Schwierigkeiten.“

Autor

Marguerite Kaye
<p>Marguerite Kaye ist in Schottland geboren und zur Schule gegangen. Ursprünglich hat sie einen Abschluss in Recht aber sie entschied sich für eine Karriere in der Informationstechnologie. In ihrer Freizeit machte sie nebenbei einen Master – Abschluss in Geschichte. Sie hat schon davon geträumt Autorin zu sein, als sie mit...
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