Du bist meine größte Versuchung

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Juliet schäumt vor Wut: Was fällt Caleb Watford ein? Auf keinen Fall wird sie ihr kleines Fischrestaurant an den millionenschweren Gaststättenbetreiber verkaufen! Doch leider ist Caleb auch ihr unvergessener Jugendschwarm. Und das nutzt er frech aus …


  • Erscheinungstag 13.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506854
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ärger in Sicht

Der Mann füllte den Türrahmen des heruntergekommenen Whiskey Bay Crab Shack beinahe völlig aus. Breitbeinig stand er da, die Schultern gestrafft und das Kinn herausfordernd gehoben.

„Soll das etwa ein Witz sein?“, fragte er.

Jules Parker erkannte ihn sofort. Sie hatte damit gerechnet, dass sie sich über den Weg laufen würden, aber diese offene Feindseligkeit hatte sie nicht erwartet – interessant. Sie hüpfte von dem staubigen, alten Tresen herunter, auf dem sie gekniet hatte, und zog die ledernen Arbeitshandschuhe aus.

„Ich weiß nicht, Caleb“, antwortete sie und schlenderte auf ihn zu, während sie die Handschuhe in die Gesäßtasche ihrer verblichenen Jeans steckte. „Findest du es lustig, Regale abzubauen?“

Er sah sie irritiert an. „Du bist Juliet Parker?“

„Hast du mich etwa nicht erkannt?“

Er bewegte die flache Hand auf und ab, als wolle er damit den Abstand vom Boden abschätzen. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du …“

„Fünfzehn.“

„Kleiner. Und du hattest Sommersprossen.“

Bei diesem Kommentar konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Okay.“

Das war nun neun Jahre her. Hatte er etwa gedacht, sie hätte sich gar nicht verändert?

Er sah sie finster an. „Was soll das hier?“

Sie wies mit dem Daumen hinter sich. „Wie schon gesagt, ich baue die Regale hinter der Bar ab.“

„Ich meine, was du hier machst.“

„In Whiskey Bay?“ Sie und ihre jüngere Schwester Melissa waren gestern angekommen, nachdem sie ihre Rückkehr ein Jahr lang geplant hatten.

„Im Crab Shack.“

„Das Crab Shack gehört mir.“ Zumindest zur Hälfte. Die andere Hälfte gehörte Melissa.

Er zog ein Blatt Papier aus der Hosentasche und wedelte damit vor ihrem Gesicht herum. „Du hast die Gewerbeerlaubnis verlängern lassen.“

„Jap.“ Das schien ihn zu verärgern; sie war sich nur nicht sicher, warum.

„Und du hast die Wettbewerbsklausel verlängern lassen.“

„Jap“, sagte sie erneut. Die Wettbewerbsklausel war Teil der ursprünglichen Zulassung gewesen. Und da die komplette Zulassung verlängert worden war …

Er machte einen Schritt auf sie zu; beinahe bedrohlich überragte er sie, und ihr fiel wieder ein, warum sie als Teenager in ihn verknallt gewesen war. Schon damals war er ganz Mann, und das war er auch jetzt noch – heiß, sexy und unglaublich gut aussehend.

„Was willst du?“, fragte er leise.

Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber das hieß noch lange nicht, dass sie einen Rückzieher machen würde. Sie straffte die Schultern. „Was meinst du damit?“

„Willst du etwa die Ahnungslose spielen?“

„Ich spiele überhaupt nichts. Was willst du, Caleb? Ich habe noch jede Menge zu tun.“

Einen Moment lang starrte er sie bloß wütend an. „Bist du auf Geld aus? Ist es das? Willst du, dass ich dich auszahle?“

Sie versuchte es mit einer kurzen Erklärung. „Das Crab Shack steht nicht zum Verkauf. Es wird wiedereröffnet.“

Das Whiskey Bay Crab Shack war das Vermächtnis ihres Großvaters. Melissa und sie hatten schon immer davon geträumt, es zu neuem Leben zu erwecken, und als ihr geliebter Grandpa im Sterben lag, hatte sie ihm versprochen, diesen Traum wahr werden zu lassen. Ihrem Vater war die Vorstellung zuwider, dass die Familie nach Whiskey Bay zurückkehrte, doch daran verschwendete Jules heute keinen einzigen Gedanken.

Caleb sah sich im Raum um und schien ein vernichtendes Urteil zu fällen. „Wir wissen doch beide, dass es nie dazu kommen wird.“

„Ach ja?“

„Du gehst mir langsam auf die Nerven, Juliet.“

„Jules. Und du gehst mir auch langsam auf die Nerven.“

Verärgert hob er die Stimme. „Du willst mir also wirklich weismachen, dass es nicht darum geht?“

Sie schaute aus dem Fenster in die Richtung, in die er zeigte.

„Worum?“, fragte sie verwirrt.

„Darum.“ Er ging hinaus auf die Veranda.

Neugierig folgte sie ihm und erblickte den Jachthafen von Whiskey Bay. Er sah fast genauso aus wie früher, auch wenn die Boote mittlerweile hochkarätiger waren. Der Pier war von schnittigen, modernen Jachten gesäumt. Jenseits des Hafens, wo bisher unberührtes Land gelegen hatte, standen zwei Sattelschlepper, ein Frontlader, ein Bulldozer und einige Pick-ups.

Was auch immer dort gebaut wurde, würde wahrscheinlich nicht so hübsch aussehen wie die unbebaute Küste, aber es war weit genug entfernt, um ihre Gäste nicht weiter zu stören, wenn das Restaurant wieder öffnete. Südlich des Crab Shack lag wilde Natur: Die unverkennbaren, himmelhohen Felsen von Whiskey Bay waren von Riesenlebensbäumen und Büschen von Shallon-Scheinbeeren bedeckt. Auf den Felsen und dem Geröll konnte niemand bauen. Sie würde einfach darauf achten, dass die Gäste später eine Aussicht Richtung Süden hatten.

„Das dürfte uns nicht allzu sehr stören“, sagte sie.

Das brachte Caleb anscheinend völlig aus der Fassung, doch Jules hatte keine Gelegenheit, näher darauf einzugehen. Draußen fuhr gerade Melissa in ihrem kleinen Pick-up vor.

„Hallo“, rief sie fröhlich und stieg mit mehreren Tüten vom Baumarkt auf dem Arm und einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Wagen.

„Erinnerst du dich noch an Caleb Watford?“, fragte Jules.

„Nicht so richtig.“ Melissa stellte die Tüten auf der Veranda ab und streckte die Hand aus. „Aber ich erinnere mich daran, dass die Parkers die Watfords hassen.“

Der unverblümte Kommentar ihrer Schwester brachte Jules zum Lachen. Caleb konnte das wohl kaum überraschen. Alle wussten von der Fehde zwischen ihren Familien. Sie war wahrscheinlich sogar der Grund, warum Caleb sich so unmöglich aufführte. Er wollte nicht, dass die Parkers nach Whiskey Bay zurückkehrten. Tja, da hatte er wohl Pech gehabt.

Caleb reichte Melissa die Hand. „Entweder seid ihr die besten Schauspielerinnen der Welt …“

Melissa sah verwirrt zu Jules.

„Schau mich nicht so an“, sagte Jules. „Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon er da redet. Aber er ist wegen irgendetwas wütend.“

„Siehst du das?“ Caleb zeigte wieder zu der Ansammlung von Baustellenfahrzeugen.

Melissa schirmte die Augen mit der flachen Hand ab. „Sieht aus wie ein Bulldozer.“

„Das ist mein Bulldozer.“

„Herzlichen Glückwunsch …?“, sagte Melissa zögerlich und sichtlich verwirrt.

„Habt ihr irgendeine Ahnung, was ich beruflich mache?“

„Nein“, antwortete Jules.

„Bist du Bulldozer-Fahrer?“, fragte Melissa.

„Ist das dein Ernst?“, fragte Jules ihre Schwester. Sie konnte sich Caleb beim besten Willen nicht auf einem Bulldozer vorstellen. „Die Watfords sind stinkreich.“

„Er könnte doch trotzdem Bulldozer fahren“, sagte Melissa. „Vielleicht macht es ihm Spaß.“

„Reiche Leute fahren keine Bulldozer.“

„Hast du je ‚Construction Vacation‘ gesehen?“, fragte Melissa.

„Die Fernsehshow?“

„Ja. Da gibt’s ganz unterschiedliche Typen – arm, reich, einfach alles. Sie bewerben sich und dürfen dann mit den ganzen großen Maschinen rumspielen. Die haben Spaß daran. Gibt’s wirklich, kein Witz.“

„Okay, vielleicht so zum Spaß …“

„Aufhören!“ Caleb brüllte fast.

Melissa wich erschrocken vor ihm zurück.

„So führt er sich schon die ganze Zeit auf“, sagte Jules.

„Wie ein Bär mit einem Niednagel.“

„Das ergibt keinen Sinn. Bären haben Krallen.“

Caleb sah von Jules zu Melissa und wieder zurück. Er lief allmählich rot an. Es wäre wahrscheinlich am besten, ihn endlich sagen zu lassen, was er zu sagen hatte.

„Ich bin Eigentümer und Manager der Fisch- und Meeresfrüchterestaurantkette Neo. Das …“, er wies energisch in Richtung Bulldozer, „… soll der nächste Standort werden.“

Beide Frauen sahen die Küste entlang, und Jules verstand endlich, warum Caleb so aufgebracht war.

„Oh“, sagte Melissa. „Und jetzt kannst du nicht mehr bauen wegen der Wettbewerbsklausel in unserer Zulassung.“

„Die sollte eigentlich Mittwoch auslaufen“, sagte er.

„Ja, das hab ich gesehen, als wir sie erneuert haben.“

„Darum geht es also“, sagte Jules. „Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist.“

„Enttäuscht?“ Caleb fing das Bier auf, das Matt Emerson ihm von der Bar auf der anderen Seite der Terrasse aus zuwarf. „Ich habe schon eine Million in das Projekt investiert, und sie denkt, ich sei enttäuscht?“

„Bist du das etwa nicht?“, fragte TJ Bauer ruhig, während er die eigene Bierflasche öffnete.

Die drei Männer saßen auf der Dachterrasse des Bürogebäudes am Jachthafen von Whiskey Bay. Am sternenklaren Himmel stieg ein Viertelmond auf, und die Lichter des Piers spiegelten sich im Wasser zwischen den weißen Jachten wider.

Caleb warf TJ einen bösen Blick zu.

„Glaubst du, das hat etwas mit deinem Vater zu tun?“, fragte Matt.

„Oder mit deinem Großvater?“, fügte TJ hinzu und lehnte sich an das Geländer. „Vielleicht ist das ihre Rache.“

Caleb fiel es schwer zu glauben, dass Jules zu solch einem ruchlosen Racheplan fähig war. „Willst du etwa andeuten, sie hätte herausgefunden, dass ich hier eins meiner Restaurants eröffnen will? Und dann bis zum letztmöglichen Moment – nämlich dem vierzigjähren Jubiläum der Zulassung ihres Großvaters – damit gewartet, ebendiese Zulassung samt der Klausel, die es mir verbietet, ein konkurrierendes Restaurant zu eröffnen, zu verlängern? In der Hoffnung, mein Projekt zum Scheitern zu verurteilen, nachdem ich gerade eine Menge Geld hineingesteckt hatte? Und das alles als Vergeltung für die Taten meines Vaters und Großvaters?!“

„Falls ja, ist sie echt ein hinterhältiges Genie“, sagte TJ.

„Deine Vorfahren waren echt nicht nett zu ihren Vorfahren“, sagte Matt.

Dem konnte Caleb nicht widersprechen. Sein Großvater hatte Felix Parker die Frau ausgespannt, und sein Vater hatte Roland Parkers einzige Chance auf eine Collegeausbildung zunichte gemacht.

Caleb war auf keinen der beiden sonderlich stolz. „Ich habe den Parkers nie etwas getan.“

„Hast du das Jules gesagt?“, fragte Matt.

„Sie bleibt bei ihrer Geschichte – angeblich hatte sie keine Ahnung, dass ich ein Restaurant eröffnen will.“

„Vielleicht ist das ja wahr“, sagte TJ. „Weißt du, jetzt wäre vielleicht kein schlechter Zeitpunkt, dich nach Investoren umzusehen.“

„Es ist ein absolut ungünstiger Zeitpunkt, mich nach Investoren umzusehen.“ Diesen Vorschlag hörte Caleb von TJ nicht zum ersten Mal.

„Nur ein Anruf bei meinen Klienten, Caleb, und schon könnten aus siebzehn Neo-Restaurants in den USA vierzig auf der ganzen Welt werden. Der Verlust einer mickrigen Million wäre absolut unerheblich.“

„Lies es mir von den Lippen ab: Ich habe kein Interesse.“

TJ zuckte mit den Schultern. „Einen Versuch war’s wert.“

„Dann lass es drauf ankommen“, sagte Matt, überquerte die Terrasse und ließ sich auf einen der gepolsterten Stühle fallen, die rund um die gasbetriebene Feuergrube standen.

„Worauf denn?“, fragte Caleb. „Sie hat die Wettbewerbsklausel schon verlängern lassen.“

„Tu so, als würdest du ihr glauben, dass sie nur ihre eigenen Geschäftsinteressen verfolgt und sich nicht an deiner Familie rächen will. Vielleicht lässt sie sich ja zu einem friedlichen Miteinander überreden.“

TJ setzte sich ebenfalls. „Das ist keine schlechte Idee. Erklär ihr einfach, dass das Neo und das Crab Shack gleichzeitig erfolgreich sein können. Wenn sie wirklich nicht auf Rache aus ist, sollte sie zumindest bereit sein, mit dir darüber zu reden.“

„Die Restaurants sprechen ganz unterschiedliche Klientelen an.“ Nun nahm auch Caleb auf einem der Stühle Platz. An der Strategie könnte was dran sein. „Und bei den wenigen Überschneidungen könnten wir vom jeweils anderen profitieren.“

„Gegenseitige Werbung“, sagte TJ.

„Ich könnte gut ein paar Kunden zu ihr schicken.“

„Das solltest du vielleicht ein bisschen weniger arrogant formulieren“, sagte Matt. „Frauen stehen da nicht so drauf, glaube ich.“

„Bist nicht eigentlich du der Frauenexperte?“, fragte TJ mit einem Blick zu Caleb hinüber.

„Jules ist keine Frau“, sagte Caleb. Doch noch während er sprach, musste er an ihre glänzenden blauen Augen denken, an ihr lockiges blondes Haar und ihre vollen roten Lippen. Jules war ganz Frau, und das machte die Sache nur noch komplizierter. „Ich meine, sie ist keine typische Frau. Nicht, dass sie nicht gut aussehen würde, das tut sie. Das sieht selbst ein Blinder. Aber darum geht es nicht. Ich will schließlich nicht mit ihr ausgehen, sondern mit ihr Geschäfte machen.“

„Oh-oh“, sagte Matt zu TJ.

„Das bedeutet Ärger“, sagte TJ zu Matt.

„So ist das nicht“, sagte Caleb. „Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie fünfzehn.“

TJ grinste. „Und das sagst du uns, weil …?“

„Sie war noch ein Kind. Und jetzt ist sie mir ein Dorn im Auge. Das hat wirklich nichts mit unserer Unterhaltung letztens zu tun. Ihr wisst schon, darüber, dass ihr zwei euch wieder auf die Suche macht. Wie läuft das eigentlich bisher?“

Die beiden grinsten ihn breit an. „Glaubst du echt, du könntest uns so leicht ablenken?“

„Wart ihr mittlerweile mal aus?“, fragte Caleb. „Ich hatte nämlich erst letztes Wochenende ein Date.“

Matt hatte gerade eine harte Scheidung hinter sich, und TJs Frau war vor mittlerweile etwas mehr als zwei Jahren verstorben. Beide hatten sich vorgenommen, ein Jahr lang das gleiche Junggesellenleben zu führen wie Caleb. Und Caleb hatte sich dazu verpflichtet, ihnen zu helfen.

„Hey, Matt?“, rief eine weibliche Stimme vom Pier.

„Apropos Frauen …“, sagte TJ mit hörbarem Interesse.

„Apropos keine Frauen“, murmelte Matt und stand auf.

„Wer ist das?“, fragte TJ und beugte sich über das Geländer.

„Meine Mechanikerin“, antwortete Matt und rief: „Hi, Tasha. Was gibt’s?“

„MKs Zusatzmotor macht komische Geräusche. Schaffe ich es noch, ihn auseinanderzunehmen?“

Durch die Stäbe des Geländers hindurch sah Caleb eine schlanke Frau in T-Shirt, Cargohose und ledernen Arbeitsschuhen. Aus ihrer abgetragenen Baseball-Kappe lugte hinten ein Pferdeschwanz hervor.

„Ab Sonntag sind wir ausgebucht.“

„Dann habe ich morgen den ganzen Tag Zeit“, rief Tasha zurück. „Perfekt. Ich sorge dafür, dass sie rechtzeitig fertig ist.“

„Danke, Tasha.“

„Das ist deine Mechanikerin?“, fragte TJ, während er der jungen Frau hinterherschaute.

„Willst du jetzt etwa mit meiner Mechanikerin ausgehen?“

„Sie ist echt süß.“

Matt lachte. „Sie ist echt taff. Vielleicht suchst du dir für den Anfang besser eine andere.“

„Heißt das, du willst sie haben?“

„Ach was, tu dir keinen Zwang an. Sie verspeist dich wahrscheinlich zum Frühstück.“

Caleb konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Wollen wir morgen in der Stadt in einen Club gehen?“

Whiskey Bay war keine zwei Stunden von Olympia und dem dazugehörigen Nachtleben entfernt, und es klang ganz so, als könnten TJ und Matt einen kleinen Schubs in die Dating-Welt vertragen. Caleb würde seine Probleme nur zu gern einen Abend lang vergessen.

„Bin dabei“, sagte Matt.

„Klingt gut“, sagte TJ.

Caleb trank sein Bier aus. „Dann gehe ich mal nach Hause und fange an zu planen.“ Er erhob sich. „Mir gefällt eure Idee, Jules auf die Probe zu stellen. Das mache ich gleich morgen früh.“

„Viel Glück“, rief Matt ihm hinterher.

Caleb ging die Treppe hinunter zum Pier und machte sich auf den Heimweg, die Lichter des Hafens im Rücken.

Whiskey Bay wurde von einer atemberaubenden Steilküste beherrscht. Nur ein kleiner Teil des Ortes befand sich auf Höhe des Meeresspiegels: etwa ein halber Hektar in der Nähe des Hafens und der Landstreifen von ähnlicher Größe, auf dem Caleb das Neo bauen wollte. Das Crab Shack lag auf einer steinigen Landzunge südlich des Hafens. Es hatte geschlossen, als Felix Parker zu alt geworden war, es zu betreiben. Das war nun über zehn Jahre her.

Oben an der Steilküste standen vier Häuser; Matts Villa lag genau über dem Hafen und TJs ein paar Hundert Meter weiter südlich. Knapp dahinter folgte das kleine, alte Haus der Parkers, während Calebs Villa das Schlusslicht der Häuserreihe bildete.

Auf halber Höhe der Felsen befand sich ein Pfad, der die vier Häuser miteinander verband. Caleb, Matt und TJ hatten vor ein paar Jahren solarbetriebene Laternen aufgestellt, sodass man den Weg auch nachts problemlos nutzen konnte. Caleb war schon Tausende Male am Haus der Parkers vorbeigekommen. Aber in den letzten fünf Jahren, die Felix Parker in einem Pflegeheim verbracht hatte, hatte dort nie Licht gebrannt.

Anders als heute. Caleb konnte es selbst von Weitem sehen, zwischen den Zweigen der Lebensbäume hindurch. Als er näher kam, wurde der Blick auf die Veranda frei, und er erinnerte sich plötzlich an Jules als Teenager. Es musste im letzten Sommer gewesen sein, in dem sie ihren Großvater besucht hatte. In abgeschnittenen Shorts, einem gestreiften Top und die Haare zu einem losen Knoten zusammengebunden, hatte sie auf der Veranda getanzt, als wäre sie ganz allein auf der Welt.

Selbst aus der Ferne hatte er ihre Sommersprossen sehen können. Deswegen hatte er sich daran erinnert. Das Sonnenlicht hatte auf ihren blonden Haaren und ihrer hellen Haut geschimmert, und sie war viel zu schön gewesen – und viel zu jung. Damals fühlte er sich schon schuldig, sie überhaupt angesehen zu haben. Er war einundzwanzig gewesen und gerade dabei, in San Francisco das erste Neo-Restaurant aufzubauen.

„Spionierst du uns etwa aus?“ Plötzlich tauchte Jules vor ihm auf dem Pfad auf.

„Bin auf dem Heimweg“, antwortete er und versuchte, schnellstmöglich in die Gegenwart zurückzufinden.

Sie trug keine abgeschnittenen Shorts und auch kein eng anliegendes, gestreiftes Top. Gott sei Dank. Auch wenn ihre Jeans und das bauchfreie, weiße T-Shirt nicht gerade förderlich für seine geistige Gesundheit waren. Sie waren sogar schlimmer, denn mittlerweile war sie erwachsen.

„Du stehst da wie eine Salzsäule“, merkte sie an.

Er antwortete mit einer Halbwahrheit: „Es ist ungewohnt, dass bei euch Licht brennt.“

Sie schaute hoch zur Veranda. „Ist echt schon eine Weile her.“

„Eine ganz schön lange Weile.“

„Wusstest du, dass deine Familie uns Blumen geschickt hat?“, fragte sie. „Als mein Großvater gestorben ist.“

„Die waren von mir.“ Caleb hatte es arrangiert.

„Das hat meinen Vater echt auf die Palme gebracht, das kann ich dir sagen.“

Ihn durchfuhr ein Stich des Bedauerns. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Sie waren also wirklich von dir?“

„War das ein Test?“

„Ich war nur neugierig. Es erschien mir unwahrscheinlich, dass dein Vater Blumen schickt.“

„Verständlich.“ Sein Vater war einmal wegen einer Auseinandersetzung mit Jules’ Vater Roland verhaftet worden. Caleb hatte nie die ganze Geschichte erfahren, aber sein Vater hatte sich oft in Tiraden ergangen, dass die Behörden überreagiert hätten und es Felix Parkers Schuld gewesen sei, dass es überhaupt so weit gekommen war.

„Er hätte höchstens eine Blaskapelle geschickt“, überlegte Jules.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Das sollte ein Witz sein.“

„Ach so. Es erschien mir einfach ein wenig …“

„Unangemessen? Anzuerkennen, dass dein Vater meinem Großvater wahrscheinlich den Tod gewünscht hat?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir können gern so tun, als wäre es anders gewesen, wenn du willst.“

„Ich meine, überhaupt Witze über den Tod deines Großvaters zu machen.“

„Er war neunzig. Das würde ihn nicht stören. Ich glaube, es würde ihm sogar gefallen. Du bist immer noch wütend auf mich, oder?“ Sie neigte den Kopf.

Verdammt noch mal, ja, natürlich war er noch wütend auf sie. Aber er fühlte sich auch unwiderstehlich von ihr angezogen. Im schummerigen Licht der Laternen fiel es ihm ziemlich schwer, ein so negatives Gefühl wie Wut heraufzubeschwören.

„Wir können so tun, als wäre ich es nicht“, sagte er.

Sie lächelte. „Du hast also doch einen Sinn für Humor.“

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Das war kein Scherz gewesen. Er war wirklich bereit, so zu tun, als wäre er nicht wütend auf sie.

Plötzlich trat sie einen Schritt näher. „Ich war früher total in dich verknallt.“

Ihm stockte der Atem.

„Ich habe keine Ahnung, wieso“, fuhr sie fort. „Ich kannte dich ja kaum. Aber du warst älter, und es war Sommer, und ich war fast sechzehn. Wahrscheinlich hat es auch nicht geschadet, dass unsere Familien zerstritten waren. Was könnte das Herz eines jungen Mädchens schon heftiger zum Schlagen bringen als die Montagues und die Capulets oder die Jets und die Sharks? Das ist schon irgendwie lustig, jetzt, wo du …“ Sie runzelte die Stirn. „Caleb?“

Er konnte sie nicht küssen. Er konnte nicht. Er konnte …

„Caleb?“

Das konnte sie unmöglich nur zufällig tun. Sie musste doch wissen, was sie mit ihm anstellte, mit jedem sterblichen Mann anstellen konnte. Sie war wirklich ein hinterhältiges Genie.

„Du weißt genau, was du da tust, oder?“, brachte er verärgert hervor.

Sie sah ihn verwundert an. „Was tue ich denn?“

Die Frau hatte wirklich einen Oscar verdient.

„Du bringst mich aus der Fassung“, sagte er. „Tanzt auf der Veranda herum, enge Hose, enges Oberteil …“

„Was? Ich habe nirgends getanzt.“

„Du bist vierundzwanzig.“

„Das ist mir bewusst.“

„Und jetzt bist du hier im Wald, ganz allein, und sagst einem erwachsenen Mann, dass du mal in ihn verknallt warst.“

Immer noch stirnrunzelnd, trat sie einen Schritt zurück. „Ich dachte, das wäre eine süße Geschichte.“

„Süß?“, fragte er mit erstickter Stimme.

„Na schön, und ein wenig peinlich. Ich wollte offen und ehrlich sein. Ich wollte, dass du mich magst.“

Er schloss die Augen. Das durfte er nicht glauben. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihm unter die Haut ging. Er wusste nicht, was er tun sollte, was er mit ihr tun sollte, wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Ich werde dich nie mögen.“

„Aber …“

„Du solltest jetzt besser gehen.“

„Gehen?“ Sie klang verletzt.

„Wir sind einfach nicht auf derselben Wellenlänge.“

Sie antwortete nicht. Um ihn herum wurde der Wald still.

Er öffnete die Augen; sie war gegangen. Er seufzte vor Erleichterung, doch aus der Erleichterung wurde Bedauern, als er an sich zu zweifeln begann. Normalerweise wusste er die Signale von Frauen zu deuten und erkannte den Unterschied zwischen einem Flirt und einer harmlosen Unterhaltung. Jules bildete da wohl die Ausnahme.

„Du hast ihm erzählt, dass du mal in ihn verknallt warst?“, fragte Melissa am nächsten Tag vom unteren Ende der Leiter aus.

Jules hängte das nächste der Bilder von Fünfzigerjahre-Filmstars ab, mit denen die Wände des Restaurants dekoriert waren. „Ich wollte doch nur … Ich weiß auch nicht.“ Sie bereute ihre Worte jetzt schon seit mehreren Stunden.

„Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, dass er das als Flirtversuch interpretieren könnte?“

Jules reichte Melissa das Porträt von Grace Kelly und griff nach Elizabeth Taylor. „Ich wollte doch gar nicht mit ihm flirten.“

„Aber das hast du.“

„Das ist mir mittlerweile auch aufgefallen.“

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich dachte, es wäre eine nette Geschichte. Ich wollte ehrlich zu ihm sein, ihm eine leicht peinliche Geschichte erzählen. Ich dachte, dadurch würde ich menschlicher wirken.“

„Er dürfte auch so wissen, dass du ein Mensch bist.“

„Letztendlich war es einfach nur demütigend.“ Jules reichte Melissa das Bild von Elizabeth Taylor.

„Dann hast du doch wenigstens etwas daraus gelernt.“ Melissa brachte die Bilder zu dem Karton, der auf der Bar stand.

„Ja, und zwar, dass er absolut kein Interesse daran hat, mit mir zu flirten.“

„Ich dachte da eher an zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen, das richtige Timing und welche Kommentare in welcher Situation als angemessen gelten.“

Jules stieg von der Leiter und schob sie ein Stück zur Seite, damit sie die nächsten drei Porträts abhängen konnte. „Ach so. Nein, das wohl eher nicht.“

Melissa grinste. „Erzähl mir mehr von deiner Schwärmerei. Ich wünschte, das hättest du damals schon getan.“

„Da warst du noch zu jung.“

„Es wäre trotzdem aufregend gewesen.“

Das war es für Jules auf jeden Fall gewesen. „Das war, als ich fünfzehn war. Er war älter, musste sich schon rasieren und wohnte in einer Villa auf den Felsen. Ich war in der Neunten und hatte gerade englische Literatur durchgenommen. Shakespeare und die Brontë-Schwestern haben meine Fantasie ziemlich beflügelt.“

„Ich kann mich gar nicht an ihn erinnern.“

„Du warst ja auch erst zwölf.“

„Am besten erinnere ich mich an Grandmas heiße Schokolade. Es war immer schön, hierherzukommen und Zeit mit ihr zu verbringen, vor allem nach Moms Tod.“

„Ich vermisse sie beide so sehr.“

Melissa drückte Jules’ Arm. „Ich auch. Aber die Eichhörnchen, die uns morgens immer geweckt haben, vermisse ich so gar nicht.“

Jules reichte Audrey Hepburn an Melissa weiter. „Diese Eichhörnchen habe ich schon immer gehasst.“

„Da hättest du echt mal dran denken sollen, bevor wir hierhergezogen sind. Die werden uns jetzt jeden Tag wecken.“

„Meinst du, wir könnten vielleicht Lebendfallen aufstellen und sie umsiedeln, so wie Bären?“

„Klar, wieso nicht?“

Jules dachte darüber nach, während sie Jayne Mansfield hinunterreichte. „Ich frage mich, was wir da wohl für Köder bräuchten.“

„Geht ihr angeln?“ Caleb erschreckte sie so sehr, dass sie schwankte und sich an der Leiter festklammern musste.

„Hoppla.“ Er lief auf sie zu.

Jules fand ihr Gleichgewicht wieder. „Mir geht’s gut.“

Sie starrte ihm auf die Stirn, statt ihm in die Augen zu sehen. Sie würde einfach so tun, als wäre gestern Nacht nichts Peinliches geschehen. Mit ein bisschen Glück spielte er mit und sie könnten es beide einfach ignorieren.

„Solltest du wirklich auf der Leiter stehen?“, fragte er.

„Es lief alles super, bis du mich erschreckt hast.“ Jules wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und griff nach Doris Day.

Autor

Barbara Dunlop
<p>Barbara Dunlop hat sich mit ihren humorvollen Romances einen großen Namen gemacht. Schon als kleines Mädchen dachte sie sich liebend gern Geschichten aus, doch wegen mangelnder Nachfrage blieb es stets bei einer Auflage von einem Exemplar. Das änderte sich, als sie ihr erstes Manuskript verkaufte: Mittlerweile haben die Romane von...
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