Ein Baby für den Cowboy

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Eine heimliche Liebesnacht mit Folgen – Rancher Finn Crawford und die aparte Avery haben ein großes Problem! Denn seit Jahrzehnten entzweit eine Fehde ihre Familien. Vielleicht ist ein Baby für den Cowboy genau das kleine, süße Wunder, das alle versöhnt?


  • Erscheinungstag 23.01.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536370
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Finn Crawford fand das Leben wunderbar.

Auch wenn sein Vater offenbar verrückt geworden war. Maximilian Crawford hatte tatsächlich eine Heiratsvermittlerin engagiert, die seine Söhne unter die Haube bringen sollte. Das hatte man vielleicht im 19. Jahrhundert noch so gemacht, aber doch heute nicht mehr.

Als ob Finn und seine Brüder die Unterstützung einer Agentur nötig hätten, um Frauen kennenzulernen. Sie waren reich und nicht gerade unansehnlich, und alle Frauenherzen flogen ihnen zu.

War sein Dad etwa deshalb samt seinen sechs Söhnen und einer mehr als tausendköpfigen Rinderherde von Dallas nach Montana gezogen, um seine Jungs besser unter Kontrolle zu haben?

Finn liebte die Frauen – mit Betonung auf der Mehrzahl. Sobald ihm eine charmante, verführerische Frau begegnete, war es um ihn geschehen. Mit Frauen kam er wesentlich besser klar als mit Männern. Er fand sie offener, freundlicher und authentischer, und er liebte ihre Sanftheit und die Art und Weise, wie sie sich für alles einsetzten, ob es nun darum ging, sich um einen streunenden Hund zu kümmern oder ein Geschäft zu führen.

Mit seinen neunundzwanzig Jahren hatte Finn sich schon so oft verliebt, dass er irgendwann mit dem Zählen aufgehört hatte. Und jetzt bezahlte sein Vater diese Viv Dalton dafür, dass sie ihm heiratswillige Frauen präsentierte. Dabei war das Wort Heirat so gänzlich außerhalb von Finns Gedankenwelt.

Aber Finn wäre nicht er selbst, wenn er sich diese Gelegenheit entgehen ließe. Mittlerweile war er schon mit fast allen Ehekandidatinnen in der Umgebung ausgegangen, und Viv verlor allmählich die Geduld.

Die Hochzeitsplanerin saß an ihrem mit Stoffen und Modemagazinen beladenen Arbeitstisch und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Also ehrlich, Finn, in den letzten drei Monaten waren Sie jedes Wochenende mit einer anderen Frau unterwegs.“

„Und sie waren alle entzückend.“ Finn streckte die langen Beine entspannt von sich. „Ich habe absolut keine Beschwerden.“

Max, der neben ihm saß, seufzte tief. „Aber ich habe welche, mein Sohn. Ich will endlich was für mein Geld sehen.“

Dieser Vorwurf prallte an Finn ab. Wenn sein Vater dämlich genug war, eine Million Dollar für die Verheiratung seiner Söhne zu zahlen, war das nicht sein Problem.

Viv schob sich eine blonde Haarsträhne hinters Ohr und verschränkte die Hände auf der Tischplatte. „Glauben Sie mir, Mr. Crawford, ich tue mein Möglichstes, um eine geeignete Braut für Finn zu finden. Aber allmählich gehen mir die Interessenten aus. Wir sind hier schließlich nicht in der Großstadt.“

Leider, dachte Finn und erhob sich. „Sie brauchen nicht weiter zu suchen, Viv. Aber haben Sie vielen Dank für Ihre Bemühungen.“ Er würde diese Wochenend-Dates zwar vermissen, aber sein Vater musste endlich einsehen, dass es zwecklos war, ihn verheiraten zu wollen.

„Setz dich wieder hin, Junge.“ In Maximilians Stimme lag eine Schärfe, die Finn seit seiner Teenagerzeit nicht mehr gehört hatte.

Gehorsam nahm er wieder Platz. Auch wenn er inzwischen erwachsen war, wollte er seinen Vater nicht brüskieren. Er liebte seinen Dad, und außerdem waren die Crawfords nicht nur eine Familie, sondern auch Geschäftspartner. Und warum sollte man wegen einer derart nebensächlichen Angelegenheit die Harmonie stören?

Max sah Viv Dalton mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich hoffe, Sie wissen, was auf dem Spiel steht.“

Viv räusperte sich. „Ja, Sir.“

Verflucht, dachte Finn, was geht hier eigentlich vor? Hatte sein Vater etwa den Einsatz erhöht? Das würde ihm ähnlich sehen. Bisher hatte Maximilian Crawford noch jedes Vorhaben mit einem dicken Scheck durchsetzen können.

Finn seufzte. „Ich habe keine Ahnung, worum es hier geht, aber ich finde, es ist Zeit, dieses Projekt zu beenden. Drei von uns sind ja schon verheiratet.“

Seine Brüder Logan, Xander und Knox hatten sich zur Ehe entschlossen, wenn auch mit keiner von Vivs Anwärterinnen. Der Crawford-Clan würde also weiter bestehen, auch ohne Finns Beitrag.

Max schüttelte den Kopf. „Kommt gar nicht infrage. Wir brauchen Vivs Unterstützung mehr denn je. Denn für dich, Hunter und Wilder scheint es besonders schwierig zu sein, passende Frauen zu finden. Bei Hunter kann ich es verstehen, er trauert noch immer um seine verstorbene Frau. Und Wilder – na ja, der ist der Jüngste. Aber du solltest dir bald überlegen, ob du irgendwann als alter, einsamer Mann enden willst. So wie ich.“

Finn brach in schallendes Gelächter aus. „Du und einsam, also bitte.“

Sein Vater war praktisch nie allein. In dem großen Ranchhaus und auf der weitläufigen Ambling A herrschte immer reger Betrieb, und seine sechs Söhne sah Max jeden Tag. Davon abgesehen war er trotz seines Alters kein Kostverächter und stand seinen Söhnen, was Liebschaften anbelangte, in nichts nach.

Seit vielen Jahren war er schon solo. Seine Frau hatte ihn verlassen, als die Söhne noch klein waren. Danach hatte er nie wieder geheiratet. Nun war er Mitte sechzig und sah mit seiner grauen Mähne und seinen auffallend blauen Augen noch immer blendend aus.

Max grinste schief. „Okay, das einsam kannst du weglassen. Aber es geht hier auch gar nicht um mich, sondern um dich.“

„Vielleicht sollte Ihr Sohn seine Ansprüche etwas zurückschrauben“, schlug Viv vor, als ob Finn nicht anwesend wäre. „Unter den vielen Frauen, die er bisher kennengelernt hat, war garantiert eine dabei, die zu ihm passt.“

„Leider nicht.“ Finn bedachte die Hochzeitsplanerin mit einem spöttischen Lächeln. Diese Frau ging ihm langsam auf die Nerven. Seine Ansprüche herunterschrauben. Was für eine Idee!

Viv seufzte resigniert. „Eine Adresse habe ich noch auf meiner Liste – das Strickland’s Boarding House.“

„Meinen Sie die alte Bruchbude neben der Feuerwache?“

Viv schürzte pikiert die Lippen. „Die viktorianische Villa ist ein Wahrzeichen unserer Stadt.“

„Weil sie lila gestrichen ist?“, fragte Finn spöttisch.

„Lavendel heißt die Farbe“, erwiderte Viv ebenso spöttisch. „Genau die Art von Domizil, die sich eine hübsche junge Frau aussuchen würde.“

„Rufen Sie doch gleich mal an“, schlug Max vor. „Wir warten solange.“

Finn hätte am liebsten seinen Stetson tief ins Gesicht gezogen und ein Nickerchen gemacht. Hier schien sich sowieso niemand um seine Meinung zu kümmern.

Viv wählte eine Nummer und stellte auf laut. Nach zwei Klingeltönen war eine ältere Männerstimme zu hören. „Hallo, Strickland’s Boarding House.“

Viv lächelte. „Hallo, Gene. Hier ist Viv Dalton.“

„Hi, mein Schatz. Was können Melba und ich für dich tun?“

Im Hintergrund war eine Frauenstimme zu hören, die fragte, wer dran sei. Nachdem Old Gene es ihr gesagt hatte, schickte Melba laut ihre Grüße durchs Telefon.

Viv und Old Gene wechselten ein paar belanglose Sätze. Gene erkundigte sich nach Vivs Mann, und Viv fragte, wie es dem Ziegenbaby erginge, um das Gene sich kümmerte.

Finn konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, während Max sich ungeduldig räusperte und Viv wortlos zu verstehen gab, endlich zur Sache zu kommen.

„Weshalb ich anrufe, Gene – ich habe eine etwas seltsame Frage. Wohnt bei dir vielleicht eine alleinstehende junge Frau, die Interesse an einem Date hätte? Ich frage für einen gut aussehenden Cowboy namens Finn Crawford, der vor Kurzem hierhergezogen ist.“

„Komisch, dass du danach fragst. Tatsächlich wohnt hier seit ein paar Wochen eine ganz entzückende junge Frau. Ein bisschen schüchtern, aber äußerst liebreizend.“

Vivs Augen leuchteten auf. „Wirklich? Wie heißt sie denn?“

„Avery.“

Finn runzelte die Stirn. Avery?

Die einzige Avery, die er kannte, würde niemals in eine Kleinstadt wie Rust Creek Falls ziehen.

„Avery wer?“, knurrte Max. „Erzählen Sie mir bitte nicht, dass es sich um die Tochter von diesem verfluchten …“

„Dad“, unterbrach Finn ihn. „Reg dich ab.“

Der Name Ellington brachte seinen Vater regelmäßig in Rage, aber es konnte sich bei dieser Avery unmöglich um die Tochter seines Erzfeindes Oscar Ellington handeln. Avery Ellington lebte in Dallas, tausend Meilen von Rust Creek Falls entfernt, und mit ihren Bleistiftröcken, den rotbesohlten Stöckelschuhen und den Designerhandtaschen entsprach sie nicht gerade dem Bild einer schüchternen, liebreizenden jungen Frau.

Er wusste es, denn er kannte sie schon lange. Und er hatte eine unvergessliche Liebesnacht mit ihr verbracht. Leider war es bei einer Nacht geblieben, aber seitdem musste er ständig an sie denken.

„Gene, hör sofort damit auf!“, tönte Melbas Stimme aus dem Hintergrund.

Viv runzelte die Stirn. „Ist alles klar bei euch?“

„Alles super“, sagte Gene, während Melba von hinten „Nein, ist es nicht!“ schrie. Gleich darauf kam ihre Stimme direkt aus dem Hörer. „Gene hat anscheinend vergessen, dass wir keine privaten Informationen über unsere Gäste weitergeben.“

„Aber sie kommt mir ein wenig einsam vor“, verteidigte sich Gene.

Finns Erinnerung machte einen Sprung zurück nach Oklahoma, wo er während einer Geschäftsreise mit Avery Ellington die heißeste Nacht seines Lebens verbracht hatte. Der Strom war ausgefallen, und die ganze Stadt lag im Dunkeln. Aber als ihre Lippen sich berührten, explodierten genug Sterne, um den ganzen Himmel zu erhellen.

„Entschuldigung.“ Finn beugte sich vor. „Wie sieht denn diese Avery aus?“

Viv verdrehte die Augen. „Macht nichts, Gene“, beendete sie das Gespräch. „Tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Wir reden ein andermal weiter, ja?“

Mit ärgerlichem Gesichtsausdruck wandte sie sich an Finn. „Wie sieht sie aus?“, äffte sie ihn nach. „Das darf doch nicht wahr sein.“

Max zuckte die Achseln. „Ist doch eine legitime Frage.“

Finn hob die Hand. „Moment mal, es geht mir doch nicht …“

Aber Viv schnitt ihm das Wort ab. „Als ob es bei einer zukünftigen Lebenspartnerin nur ums Aussehen ginge!“

Sicher nicht, nur dass Finn keineswegs nach einer Lebenspartnerin suchte. Er hatte ja nur wissen wollen, ob es sich um die Avery handelte, die er kannte. Eine kurze Beschreibung hätte genügt, zum Beispiel langes braunes Haar und dunkle, ausdrucksvolle Augen, dann wäre alles klar gewesen.

Unmöglich. Texas war viel zu weit weg. Außerdem wäre seine Avery in Rust Creek Falls aufgefallen wie ein bunter Hund und hätte nicht wochenlang unbemerkt hier wohnen können.

Finn hatte jetzt endgültig genug und erhob sich von Neuem. „Danke für alles, Viv, aber ich denke, wir lassen das Ganze.“

Er blickte seinen Dad auffordernd an, doch der rührte sich nicht.

Egal, sollte er doch weiterhin seine Zeit und sein Geld verschwenden. Finn tippte an seinen Hut und marschierte zur Tür hinaus.

Avery Ellington klemmte sich ihre Yogamatte unter den Arm und stieg die Wendeltreppe der alten Villa hinunter, in der sie seit ein paar Wochen wohnte.

Wohnte? Na ja, Verstecken wäre eher das passende Wort.

Unwillkürlich wurde ihr Griff um das Geländer fester. Sie sollte nicht zu viel darüber nachdenken, weshalb sie in dieses abgelegene Nest in Montana gekommen war. Im Moment gab es andere Probleme, zum Beispiel, dass ihre Sportlegging buchstäblich aus den Nähten platzte. Trotzdem konnte sie auf dem Weg zur hinteren Terrasse nicht an der Küche vorbei, ohne die Nase hineinzustecken. Es roch einfach zu verlockend.

Sie kannte sich selbst nicht mehr. In Dallas hatte sie nie solchen Appetit gehabt. Da hatte sie sich zum Frühstück irgendwo einen Becher Kaffee geholt und ihn auf dem Weg zur Arbeit getrunken. Dieses neue Leben erschreckte sie irgendwie.

„Ah, guten Morgen, meine Süße.“ Melba wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und kam auf Avery zu. „Claire bringt gerade Bekkah zur Schule, aber sie hat vorhin noch ein Blech Muffins gebacken. Magst du welche?“

Claire war die Enkelin der Stricklands und Köchin im Boarding House. Bis vor Kurzem hatte sie mit Mann und Sohn im Boardinghouse gewohnt, dann waren die drei in ihr eigenes Haus gezogen. Offenbar fehlte Melba der ständige Kontakt mit ihrer Enkelin, denn sie widmete Avery nun mehr Aufmerksamkeit, als dieser recht war.

Obwohl, es war ganz angenehm, ein wenig verwöhnt zu werden. Avery kannte es aus ihrer Familie nicht anders.

„Guten Morgen, Melba. Ja, ich bediene mich gerne. Danke.“ Sie griff nach einem Muffin und deutete auf die Matte unter ihrem Arm. „Ich mache hinten auf der Terrasse ein bisschen Yoga, es ist so schön heute.“

Sie kam sich ein bisschen vor wie eine gelangweilte Hausfrau auf Wellness-Urlaub und nicht wie die stellvertretende Direktorin im familieneigenen Unternehmen.

Die bist du immer noch. Das hier ist nur vorübergehend. Irgendwie.

Genau. Sobald sie das erledigt hatte, weshalb sie hergekommen war, würde sie ihr gewohntes Leben in Dallas wieder aufnehmen. Ihr aufregendes Leben. Das Leben, das sie liebte.

„Hier, mein Kind.“ Melba reichte ihr einen dampfenden Becher, der köstlich nach Apfel und Zimt duftete. Herbst in der Tasse. „Wir haben heute Morgen Apfelpunsch gemacht. Gut zum Aufwärmen, bevor du rausgehst.“

„Oh, vielen Dank.“ Am liebsten hätte Avery sich mit ihrer Tasse in eine gemütliche Ecke am Kamin gekuschelt statt draußen ihre Verrenkungen zu machen.

Sie trank einen Schluck und sah zu Old Gene hinüber, der mit einer kleinen Ziege auf dem Schoß am Küchentisch saß. „Wie geht’s deinem Baby denn heute Morgen?“, fragte sie.

Baby.

Sie spürte einen Kloß im Hals und trank schnell noch einen Schluck Apfelpunsch.

„Sie lebt sich langsam ein.“ Liebevoll betrachtete Old Gene die süße kleine Ziege, die begierig an einem Fläschchen nuckelte.

Melba verdrehte die Augen. „Und nachts weckt sie dich alle zwei Stunden auf. Ich frage mich, welcher Esel dich geritten hat, eine Ziege mit nach Hause zu bringen.“

„Hätte ich lieber eins von Lukes Schweinen mitbringen sollen?“

Hinter Melbas Rücken zwinkerte er Avery zu, und sie lächelte in ihre Teetasse.

Genes Cousin lag mit einer gebrochenen Hüfte im Krankenhaus und konnte sich nicht um seine Farm kümmern. Die meisten Tiere wurden von Nachbarn versorgt, aber das Ziegenbaby brauchte besonders viel Aufmerksamkeit, deshalb hatte Old Gene es mit nach Hause genommen.

Avery hatte mit Tieren eigentlich nicht viel am Hut, auch nicht mit Babyfläschchen.

Melba seufzte. „Du hast es heute Morgen wieder mal drauf abgesehen, mir den letzten Nerv zu rauben.“

„Meinst du das Telefonat mit Viv? Ich bin eben ein freundlicher Mensch.“ Mit Unschuldsmiene fügte er hinzu: „Vielleicht hat Avery ja Spaß daran, mit dem netten jungen Mann auszugehen.“

„Wie bitte?“, fragte Avery, erstaunt über den plötzlichen Themenwechsel.

„Gene!“ Melba sah aus, als ob sie ihrem Gatten eins mit der Pfanne überbraten wollte.

„Darf ich wissen, worum es hier geht?“ Avery stellte ihre Tasse auf die Anrichte.

Old Gene zuckte die Achseln. „Viv Dalton hat einen neuen Kunden, für den sie ein Date vermitteln soll. Anscheinend ein einsamer Cowboy.“

„Keine Sorge, Liebes.“ Melba griff nach Averys Hand und tätschelte sie. „Ich habe Viv klargemacht, dass du im Moment kein Interesse an Männern hast. Aber Old Gene hätte ihr nicht deinen Namen verraten dürfen.“

Avery hatte keine Ahnung, wer diese Viv Dalton war, und es war ihr auch egal. Aber es war ihr nicht egal, dass ihr Name in der Stadt herumschwirrte. „Du hast einer Fremden meinen Namen gesagt, Old Gene?“

„Nur den Vornamen.“ Melba füllte Averys Tasse nach, als ob sie damit die Wogen glätten könnte. „Tut mir leid, Liebes. Old Gene ist immer so offenherzig.“

Avery nickte. Was sollte sie noch sagen? Bei ihrer Ankunft hatte sie Melba nur mitgeteilt, sie brauche eine Ruhepause und wolle möglichst ungestört ein paar Wochen in ihrem Boardinghouse verbringen. Melba hatte nicht weiter nachgefragt, vermutete aber ganz bestimmt, dass ein Mann dahintersteckte. Jedenfalls hatte sie versprochen, niemandem etwas von Averys Anwesenheit zu erzählen.

„Wenigstens könntest du dich bei Avery entschuldigen“, blaffte Melba ihren Mann an.

„Tut mir leid, Avery“, sagte Old Gene zerknirscht.

Avery musste lächeln. Es war unmöglich, einem Mann böse zu sein, der ein Ziegenbaby fütterte. „Schon verziehen.“

Melba atmete hörbar auf. „Mach nur in Ruhe dein Yoga. Gene und ich wissen jetzt, dass du kein Interesse hast, diesen Crawford-Jungen zu treffen. Egal wie unwiderstehlich er angeblich sein soll.“

Vor Schreck ließ Avery beinahe ihre Yogamatte fallen.

Crawford? Womöglich Finn Crawford? Bitte nicht.

Und doch war sie insgeheim sicher, dass er es war. Sie schluckte schwer, und plötzlich wurde ihr übel. Aber das kannte sie schon, genau wie ihre unstillbare Esslust.

Die kleine Ziege saugte geräuschvoll an der Flasche, und Avery konnte den Blick nicht von dem niedlichen Tier wenden. Unvermittelt traten ihr Tränen in die Augen, und sie blinzelte rasch. Wahrscheinlich gehörte die Rührseligkeit auch zu ihrem momentanen Zustand.

Wie hätte sie Melba und Old Gene erklären sollen, dass Finn Crawford der Letzte war, mit dem sie ausgehen würde? Dann hätte sie auch verraten müssen, dass sie seit vier Monaten schwanger war.

Mit seinem Kind.

2. KAPITEL

Eine Stunde Yoga hatte nicht genügt, um Avery zu entspannen. Ständig sah sie das anziehende Gesicht von Finn Crawford vor ihrem inneren Auge, sein verwegenes Lächeln, bei dem sie jedes Mal weiche Knie bekam.

Heftig stieß sie den Atem aus, sprang auf die Füße und rollte ihre Matte zusammen. Mit ihrem friedlichen, ungestörten Aufenthalt in Rust Creek Falls war es nun wohl vorbei. „Schon fertig?“, fragte Melba, als Avery von draußen hereinkam. Sie zuckte die Achseln. „Aber ich kann eh nicht verstehen, wie man Spaß an diesen Verrenkungen haben kann.“

Melbas Schürze war mit Mehl bestäubt, und auf der Kücheninsel stand ein großer Teller frisch gebackener Plätzchen. Das Ziegenbaby schlummerte in seinem Hundekorb unter dem Fenster.

„Ich brauche Bewegung“, erwiderte Avery, „sonst kriege ich einen Koller.“ Sie brauchte nicht nur Bewegung, sondern auch Ablenkung von den Gedanken an Finn Crawford. Noch immer hatte sie keine Idee, wie sie ihm beibringen sollte, dass er Vater wurde. „Ist nicht zufällig wieder ein Gästezimmer sauberzumachen?“

Zu Hause in Dallas hatte sie eine Sechzig-Stunden-Woche, und nie zuvor hatte sie so viel Urlaub am Stück gehabt. Als sie in Montana ankam, hatte sie sich riesig auf die Auszeit gefreut, denn die Arbeit war ihr immer schwerer gefallen. Einmal war sie mitten in einer Sitzung eingeschlafen. Sie hatte definitiv eine Pause gebraucht, auch um den Kopf freizubekommen, und im Boardinghouse hatte sie dafür den perfekten Platz gefunden.

Die Sorgen begannen, als sie eines Morgens den Reißverschluss ihrer Lieblingsjeans nicht mehr zubekam. Da wurde ihr erst richtig bewusst, was es bedeutete, dass da ein Baby in ihr wuchs. Plötzlich hatte sie Angst bekommen, denn sie hatte nicht die geringste Ahnung von Babys und Kindererziehung. Um sich abzulenken, hatte sie sich im Haus nützlich gemacht. Nur verstand sie vom Saubermachen genauso wenig wie von Kindererziehung.

„Danke für das Angebot“, erwiderte Melba auf ihre Frage. „Aber im Moment ist Old Gene noch oben und versucht, das Abflussrohr in der Toilette freizubekommen.“

Avery wurde flammend rot. Die verstopfte Toilette war ihre Schuld, und Melba schien ihr nun nicht mehr zu trauen.

Das Ziegenbaby gab ein zittriges Meckern von sich. Macht sich dieses kleine Monster etwa über mich lustig?, dachte Avery.

Melba räusperte sich. „Guck doch nicht so traurig, Schätzchen. Wir finden bestimmt eine Beschäftigung für dich.“

„Danke, Melba. Ich mache alles, egal was.“

Melba studierte ihre To-do-Liste, die mit einem Fall-Mountain-Magneten am Kühlschrank befestigt war. „Ich müsste verschiedenes besorgen. Du könntest mitkommen.“

Avery freute sich. Einkaufen war ihre Lieblingsbeschäftigung. „Ja“, sagte sie begeistert. „Da bin ich dabei.“

„Sicher?“ Melba bedachte sie mit einem ihrer freundlichen, ein wenig mitleidigen Blicke. „Aber du wolltest doch nicht rausgehen.“

Melba hatte recht. Aber irgendwann würde sie das Boardinghouse verlassen müssen. Und in den Geschäften, die Melba aufsuchte, würde sie gewiss nicht mit Finn Crawford oder seinem berüchtigten Vater zusammenstoßen. Dafür hatten die doch bestimmt ihr Personal.

„Wir gehen ja nur ins Lebensmittelgeschäft, oder hast du noch andere Sachen zu besorgen? Ich habe … ehm … nachher eine Videokonferenz, bis dahin möchte ich zurück sein.“ Es gab keine Videokonferenz, zumindest keine, von der sie wusste. Allerdings hatte sie seit Tagen nicht ihr Büro kontaktiert.

Überhaupt vermied sie es, zu Hause anzurufen. Bisher hatte sie die Überlegung, wie sie ihrem Dad beibringen sollte, dass sie von Finn Crawford schwanger war, erfolgreich verdrängt. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, wie Oscar Ellington reagieren würde.

„Klar“, erwiderte Melba, „wir brauchen nicht so lange.“

Avery strahlte. „Dann renne ich jetzt schnell hoch und ziehe mich um.“

Auf dem Weg in den zweiten Stock hörte sie Old Gene in der Toilette fluchen und krümmte sich innerlich. Das frustrierende Gefühl hielt an, als sie vor ihrem Kleiderschrank stand und versuchte, etwas zu finden, das ihr noch passte.

Keine Chance, sie würde ihre Sportlegging anlassen müssen. Darüber könnte sie das weite hellblaue Hemd tragen, das sie sich von Old Gene geborgt hatte. Falls sie wider Erwarten doch auf Finn stoßen sollte, würde er sie vermutlich nicht mal erkennen.

Ihre unterschwellige Angst brach sich mit einem Schlag Bahn, als sie und Melba sich dem roten Backsteingebäude an der Ecke näherten. Melba deutete auf das Schaufenster mit der weinrot-goldenen Herbstdekoration, doch Avery hatte nur Augen für das Schild über dem Eingang.

Crawford’s General Store.

Gehörte der Laden etwa Finns Familie?

„Avery?“ Melba legte ihr die Hand auf den Arm. „Ist alles in Ordnung?“

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