Love & Hope Edition Band 5

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ZU OSTERN EINE MAMA von LINDA GOODNIGHT

Witwer Jake zieht mit seiner kleinen Tochter wieder in die Heimat – ausgerechnet neben seine Ex-Frau, mit der ihn eine schmerzhafte Vergangenheit verbindet. Gemeinsam organisieren sie das Osterfest im Ort, und Jake erkennt: Er wird Rachel immer lieben. Doch als er ihr einen Heiratsantrag macht, flieht sie!

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FRIEDEN GESUCHT, LIEBE GEFUNDEN von JESSICA KELLER

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  • Erscheinungstag 15.03.2025
  • Bandnummer 5
  • ISBN / Artikelnummer 9783751532624
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

LINDA GOODNIGHT

1. KAPITEL

Rachel Hamby war gewarnt worden. Haustüren sollten immer abgeschlossen sein, besonders nachts – auch in einer so ruhigen Stadt wie Rosemary Ridge.

Leider vergaß sie es manchmal. In der vergangenen Nacht war ganz offensichtlich eine der Türen offen gewesen. Deswegen hätte sie an diesem Frühlingsmorgen nicht überrascht sein sollen, in ihrer Küche schon jemanden vorzufinden.

Schlafend. Auf dem grauen Fliesenfußboden. In einem mit rosa Hunden bedruckten lila Pyjama. Mit einem Plüschhasen unter das winzige Kinn geschoben.

Ein kleines Mädchen.

Rachel kannte ihre Nachbarn, und dieses Kind gehörte keinem von ihnen. Wer war die Kleine also und warum schlief sie hier?

Plötzlich brauchte Rachel keinen Kaffee mehr. Sie verspürte einen Adrenalinschub, der für Tage reichte. Vielleicht für Wochen.

Das Kind mochte zwei oder drei Jahre alt sein. Das feine braune Haar ringelte sich im Nacken. Lange Wimpern lagen auf glatten runden Wangen.

Rachel betrachtete die Kleine mit einem Gefühl des Bedauerns. Mit achtunddreißig hatte sie alle Hoffnung aufgegeben, den richtigen Mann zu finden und eigene Kinder zu haben. Mit Sicherheit hatte sie nicht erwartet, je ein schlafendes Kind auf ihrem Küchenfußboden zu finden.

Hätte ihr eigenes Kind gelebt, hätte es genauso hinreißend ausgesehen. Da war Rachel sich ganz sicher. Ihr Sohn war mit fünfzehn Wochen viel zu früh geboren worden. Die Schwester hatte ihr seinen winzigen Körper in einem blauen Handtuch gereicht, und schon da war er ihr wie ein Engel erschienen.

Es war das erste und letzte Mal, dass sie ihr Baby gesehen hatte. Sie fragte sich immer noch, was mit den Kindern passierte, die zu früh auf die Welt kamen. Niemand hatte ihr etwas dazu gesagt. Man hatte ihr Baby einfach fortgebracht. Aus den Augen, aus dem Sinn – was bei ihr leider nicht zutraf.

Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihren Sohn und auch an seinen Vater dachte. An die schrecklichen Fehler, die sie gemacht hatten, weil sie nicht mit dem Verlust des Kindes fertiggeworden waren. Irgendwann hatten sie sich getrennt. Sie machte ihm immer noch Vorwürfe und wahrte zudem ein schmerzliches Geheimnis, das sie nie jemandem anvertraut hatte. Hätte es ihm etwas ausgemacht? Wohl nicht.

Er hatte Rosemary Ridge verlassen, um seine Ausbildung zu beenden. Das Letzte, was sie von ihm gehört hatte, war, dass er wieder geheiratet hatte.

Zu erfahren, dass er ein neues Leben begonnen hatte, während sie weiter unter ihrem Verlust litt, war ein besonders schwerer Schlag gewesen. Ihr Sohn hatte ihm nicht genug bedeutet, um länger um ihn zu trauern. Oder um sie.

Ob er jetzt die Kinder hatte, die sie einmal zusammen hatten haben wollen?

Rachel gab sich einen Ruck. All das war jetzt nicht wichtig. Dem kleinen Mädchen war nicht damit geholfen, dass sie sich in altem Schmerz erging. Das Leben ging weiter. Sie hatte viele Freunde und eine Familie, um die sie sich kümmern musste. Ihre Mutter und ihr Bruder verließen sich darauf, dass sie alles übernahm, wozu sie selbst keine Lust hatten. Schließlich hatte sie im Gegensatz zu ihnen keine eigene Familie zu versorgen.

Meist hatte sie nichts gegen ihre Bitten einzuwenden. Oder gegen die der Kirche oder der Stadt. Es gefiel ihr, gebraucht zu werden. So wie jetzt. Heute hatte sie eine ganze Reihe von Terminen, unter anderem ein Treffen mit dem Oster-Komitee der Stadt, bei dem es darum ging, wie die Stadt den Frühling willkommen heißen und den Sonntag der Auferstehung feiern wollte.

Es gab so viel zu tun, aber der kleine Gast auf ihrem Küchenfußboden hatte Vorrang.

Das Kind regte sich.

Die langen Wimpern hoben sich. Schlossen sich wieder und hoben sich erneut.

Die Kleine drückte das Häschen fester an sich und murmelte etwas Unverständliches.

Es musste ihr Angst machen, plötzlich in einer fremden Umgebung aufzuwachen. Rachel kniete sich neben das Kind und strich ihm die feinen Locken aus der Stirn.

Die Berührung schien die Kleine erschreckt zu haben. Sie setzte sich auf und sah sich verwirrt um.

Rachel ließ die Hand sinken. „Hallo, Sweetheart. Kannst du mir sagen, wie du heißt?“

Die großen braunen Augen füllten sich mit Tränen. „Daddy!“

„Wer sind denn deine Mom und dein Daddy? Ich helfe dir, sie zu finden.“

Die Kleine sah sie nur groß an und schob sich das Ohr ihres Häschens in den Mund.

„Hast du Hunger? Oder Durst?“

Die braunen Locken wippten zustimmend.

Das war doch schon einmal ein Anfang. Was hatte sie da, was für ein Kleinkind geeignet war?

Rachel warf einen Blick in den Kühlschrank. Der Pfirsichjoghurt sah vielversprechend aus.

„Magst du Joghurt?“

Die Kleine antwortete nicht, stand aber auf und tapste in ihrem Pyjama, der glücklicherweise auch Füße hatte, zu ihr.

Im März wurde es mit jedem Tag wärmer, aber die Nächte konnten noch ziemlich kalt sein. Wer auch immer verantwortlich war für dieses Kind, hatte es passend angezogen. Die Kleine sah sauber und gut ernährt aus. Geliebt.

Jemand musste dieses Kind doch suchen!

Und dieser Jemand stand wahrscheinlich in diesem Moment eine Höllenangst aus.

Rachel angelte in der Tasche ihres Bademantels nach ihrem Handy und wählte die Nummer der Polizei.

„Rosemary Ridge Police Department, was kann ich für Sie tun?“

„Alice, hier ist Rachel Hamby.“ In einer Stadt dieser Größe kannte fast jeder jeden.

„Hi, Rachel, ist etwas passiert?“

„Nicht wirklich. Aber doch. Ist Chief Ambruster da?“

„Ja, ich hole ihn an den Apparat.“

Sie hörte, wie Alice durch das ganze Büro brüllte: „Chief, es ist Rachel Hamby!“

Nach ein paar Sekunden war der Beamte in der Leitung. Rachel umriss ihm die Situation.

„Du hast sie schlafend in deiner Küche gefunden?“, fragte der Chief erstaunt. „Das ist ja mal was Neues. Ist sie verletzt?“

„Soweit ich das erkennen kann, ist alles in Ordnung mit ihr. Sie trägt einen Pyjama und hat ein Plüschtier bei sich.“

„Hm. Sie muss aus einem der Nachbarhäuser gekommen sein. Kinder machen so was schon mal. Die anderen Beamten sind unterwegs. Ich komme gleich rüber. Behalte sie so lange da.“

Was sonst sollte sie wohl mit einem Kleinkind machen? Es auf die Straße setzen?

Rachel verkniff sich den Kommentar und bedankte sich.

Als sie das Gespräch beendet hatte, zupfte das kleine Wesen sie am Bademantel. „Pipi.“

Rachel nahm sie bei der Hand und führte sie ins Bad. Die Kleine sah sie groß an. Wusste sie nicht, was jetzt zu tun war?

Als sie einfach weiter wartete, hakte Rachel nach: „Brauchst du Hilfe?“

Ein Nicken war die Antwort.

Kein Problem. Sie kannte sich mit kleinen Kindern aus.

„Komm, Süße, ich helfe dir.“

Nachdem alles erledigt war und der Pyjama wieder verschlossen, half sie ihr, die Hände zu waschen.

Die Kleine war leicht wie eine Feder. Sie duftete nach Babylotion und triggerte damit eine Reihe von Emotionen bei Rachel.

Unbewusst drückte sie ihr Gesicht an den zarten Hals und atmete tief durch. Würde sie je aufhören, sich danach zu sehnen, diesen Duft eines eigenen Kindes zu spüren?

Einige Dinge sollten einfach nicht sein. Hatte ihre Mutter das nicht schon hundertmal gesagt? Rachel sträubte sich mit Händen und Füßen dagegen, aber Tatsache war: Sie hatte nie wieder geheiratet oder die Familie bekommen, die sie sich wünschte. Der abgedroschene Spruch schien also wohl seine Berechtigung zu haben.

Ehe sie sich in Selbstmitleid ergehen konnte, trug sie das kleine Mädchen zurück in die Küche. Die Kücheninsel war zu hoch für sie, daher setzte Rachel sich mit ihr auf dem Schoß im Wohnzimmer an den niedrigeren Tisch und ließ sie den Joghurt löffeln.

Dabei erkundigte sie sich nach dem Häschen, erzählte vom bevorstehenden Osterfest und allem anderen, was ihr gerade einfiel, um das Kind abzulenken, bis Hilfe eintraf.

Die Kleine war gerade fertig mit dem Joghurt, als draußen eine Wagentür zugeschlagen wurde.

„Da kommt jetzt ein ganz netter Polizist. Er wird dir helfen, deine Mom zu finden.“ Rachel führte die Kleine zur Tür und öffnete sie, gerade als Chief Ambruster den Weg zum Haus heraufkam.

Der Chef der Polizei von Rosemary Ridge war weit jenseits der fünfzig, aber schlank und fit. Rachel kannte ihn gut, weil er ein enger Freund ihres Vaters war. Clint Ambruster war im wahrsten Sinne ein Freund und Helfer.

„Das ist ja ein süßes kleines Ding“, bemerkte er.

„Kennst du sie?“

„Nein, leider nicht. Ich rufe im Jugendamt an. Ein Sozialarbeiter holt sie dann ab, und wir geben eine Suchmeldung heraus.“

„Das kann ja Stunden dauern. Was machen wir in der Zwischenzeit mit ihr?“

„Ich nehme sie mit aufs Revier. Alice gibt ihr ein paar Doughnuts und lässt sie mit ihrem Handy spielen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wacht jemand heute Morgen auf, stellt fest, dass sie weg ist, und ruft die Polizei an, noch ehe der Sozialarbeiter eingetroffen ist.“

„Ich hätte ja nichts dagegen, sie hier bei mir zu behalten, aber du hast natürlich recht. Jeder würde sich zuerst an die Polizei wenden und sie nicht bei mir suchen.“

Der Chief, der schon mehrfacher Großvater war, ging auf ein Knie. „Wie heißt du denn, Süße?“

„Dawey.“ Es kam so leise, dass Rachel Mühe hatte, es zu verstehen.

Der Chief sah sie fragend an.

„Ich glaube, sie hat Terri gesagt.“

„Okay, Terri.“ Der Chief hielt ihr seine große Hand hin. „Komm mit, und wir finden deine Mom und deinen Daddy.“

Vertrauensvoll legte Terri ihre winzige Hand in die große Pranke des Polizisten.

Rachel ging auf der anderen Seite neben ihr her, eine Hand sanft auf dem Rücken des Kindes.

„Kommst du heute zum Oster-Komitee?“, erkundigte er sich.

„Ja. Wir brauchen noch ein paar gute Ideen. Hast du welche?“

„Ich?“ Er lachte leise. „Für diese Dinge ist Sarah bei uns zuständig. Ich kümmere mich nur um den Verkehr und die Sicherheit.“

Rachel strich ihm über den Arm. „Wir könnten das Fest ohne euch beide nicht organisieren.“ Die Frau des Chiefs war die Vorsitzende des Oster-Komitees und brachte die Geschäftsleute der Stadt zum Spenden und freiwillige Helfer wie Rachel dazu, viele unbezahlte Stunden zu arbeiten – zum „Wohle der Stadt und zur Ehre Gottes“.

Er öffnete die hintere Tür seines Polizeiwagens. „Also dann, Miss Terri – du darfst in meinem Auto mitfahren.“

Im selben Moment war die Stimme eines Mannes irgendwo zu ihrer Linken zu hören.

„Daley! Daley!“

Der Chief hielt inne, und Rachel fuhr herum. Sie sah einen großen Hund auf sich zurennen und wappnete sich für den Aufprall.

Ehe sie entscheiden konnte, ob der Hund Freund oder Feind war, schrie Terri auf, und der Labrador legte vor ihr eine Vollbremsung hin. Das Kind warf beide Arme um den Hals des Tieres.

„Moose, Moose.“

„Ich glaube, sie kennt den Hund“, bemerkte Rachel erleichtert.

„Und der Hund sie.“ Der Chief nickte. „Und ich glaube, der Kerl, der sich da hinten die Lunge aus dem Hals schreit, kennt sie auch.“

Jake Colter fürchtete, den Verstand zu verlieren. Getrieben von panischer Angst rannte er die Straße in der noch schlafenden Nachbarschaft hinunter und rief den Namen seiner Tochter.

Er hatte sie verloren.

Wie um alles in der Welt hatte er sie mitten in der Nacht in einer Stadt verlieren können, die sie überhaupt nicht kannte?

Ein eisiger Schauer überlief ihn, als er sich das Schlimmste vorstellte. Die Hintertür des Hauses hatte weit offen gestanden. Hatte jemand seine Tochter entführt?

Die Zeitungen waren doch heutzutage voll von solchen Fällen. Die Welt war ein beängstigender Ort, besonders für einen Mann, der mit seinem kleinen Mädchen in eine neue Stadt gezogen war.

Er war zu lange fort gewesen, um auf die Gewissheit vertrauen zu können, dass in Rosemary Ridge nichts Schlimmes passierte. Das war vor zwölf Jahren gewesen, aber heute war heute.

Die Welt hatte sich verändert, und zwar ganz eindeutig nicht zum Besseren. Zweifellos galt das auch für Rosemary Ridge.

Seit er Vater geworden war, fürchtete er nichts mehr, als dass irgendjemand seiner Tochter etwas antun könnte.

Er blieb kurz stehen, um Luft zu schöpfen. „Nicht meine Tochter, Herr“, murmelte er dabei. „Bitte, beschütze sie. Sie ist alles, was ich habe.“

Ohne Unterlass flehte er um Gnade und Hilfe. Daley war noch so klein. So unschuldig.

Ohne die frische Luft des frühen Morgens zu bemerken oder einen Blick für die blühenden Tulpen und Osterglocken in den Vorgärten zu haben, hetzte er weiter.

„Wo ist sie, Jesus? Bring sie mir zurück!“

Andere Eltern verlorener Kinder mussten dieselben verzweifelten Bitten ausgestoßen haben. Er mochte nicht daran denken, dass einige unerhört blieben.

Er wusste, wie schmerzlich unerhörte Gebete waren.

Keuchend rannte er weiter. Die Bänder seiner hastig angezogenen Sportschuhe hatten sich gelöst, aber er nahm sich nicht die Zeit, sie zu schließen. Er hetzte weiter, getrieben von nackter Angst.

Er, der die Besitzer kranker oder verletzter Tiere so gut zu beruhigen vermochte, war nun selbst in Gefahr, in Panik zu geraten.

Plötzlich sah er einen Polizeiwagen auf einer Auffahrt stehen.

Polizei! Wieso hatte er nicht daran gedacht, sie anzurufen?

Die Angst hatte ihm ganz offensichtlich den Verstand vernebelt.

Er rannte auf das Auto zu. Als ein offenbar zum Wagen gehörender Polizeibeamter sich aufrichtete, sah Jake seinen rotbraunen Labrador.

Ein Kind klammerte sich an den Hund.

Ein Kind in einem lila Pyjama. Mit einem abgeliebten Plüschhäschen in der Hand.

„Daley, Daley!“

Völlig ausgelaugt ließ sich Jake neben Hund und Kind auf die Knie sinken. Mit einer heftigen Bewegung drückte er seine Tochter an sein jagendes Herz und schickte ein Dankgebet zum Himmel. Gott hatte seine Bitte erhört.

Diesmal war seine Antwort zu Jakes Gunsten ausgefallen.

2. KAPITEL

Es konnte nicht Jake Colter sein! Bei diesem Mann hier musste es sich um einen Doppelgänger handeln. Um jemand, der ihrem Ex-Mann zum Verwechseln ähnlich sah.

Rachel stand wie erstarrt auf dem Rasen. Eine Eiseskälte, die nichts mit der morgendlichen Kühle zu tun hatte, durchlief sie. Sie schlang beide Arme um sich und wünschte, mit ihrem Bademantel im Haus geblieben zu sein.

Sie fühlte sich verletzlich. Verletzlich und schockiert bis in die Spitzen der fluffigen Pantoffeln, in die sie schnell geschlüpft war.

„Ist das Ihr kleines Mädchen, Mister?“ Der Chief runzelte die Stirn, um zu zeigen, dass er es ernst meinte. Ein verlorenes Kind war keine leichte Angelegenheit.

„Ja, Sir. Das ist meine Tochter Daley.“ Der Mann, der nicht Jake sein konnte, erhob sich mit seiner Tochter auf dem Arm.

Rachel drohte an einer Flut von Emotionen zu ersticken. Ihre Hände begannen zu zittern.

Er war es. Es war wirklich Jake! Was machte er in Rosemary Ridge?

Die Zeit war gnädig zu ihm gewesen. Für einen Mann, der auf die vierzig zuging, wirkte er schlank und durchtrainiert. Die Lachfältchen um seine braunen Augen hatten sich vertieft, und auf der Stirn waren ein paar Sorgenfalten zu sehen, aber nichts davon konnte von seinem guten Aussehen ablenken. Er trug eine dunkelblaue Jogginghose und dazu einen nicht passenden leuchtend grünen Hoody. Sein dunkelbraunes Haar war länger, als sie es in Erinnerung hatte, und noch vom Schlaf zerzaust. Entweder trug er einen modischen Dreitagebart oder er war einfach noch nicht dazu gekommen, sich zu rasieren.

Sie wusste nicht, ob ihr dieser Look gefiel oder nicht, aber das spielte auch keine Rolle. Er spielte keine Rolle, seine Tochter schon.

Wieso war er jetzt hier in der Stadt? Und ausgerechnet in ihrer Nachbarschaft?

Während sie versuchte, sich wieder zu sammeln, bemerkte der Chief, dem ihr Dilemma entgangen war: „Ich brauche irgendein Ausweispapier von Ihnen, Sir. Sonst können Sie das Kind nicht mitnehmen.“

Jake sah ihn entgeistert an. „Mein Ausweis liegt im Haus. Als ich sah, dass Daley nicht da war, habe ich mich sofort angezogen und bin losgerannt. In dem Moment habe ich nun wirklich nicht an meinen Ausweis gedacht.“

„Verständlich.“ Der Chief nickte. „Aber Sie werden verstehen, dass Sie und Ihre Tochter mit mir zu Ihrem Haus fahren und mir den Ausweis zeigen müssen, bevor ich Ihnen das Kind überlassen kann.“

„Natürlich. Kein Problem.“ Jake drückte die Kleine fester an sich. Daley – nicht Terri, wie Rachel verstanden hatte – schmiegte sich an ihn und hatte sich sichtlich entspannt. Der große Hund saß hechelnd zu ihren Füßen und wandte den Blick nicht von ihr.

„Was auch immer Sie brauchen“, fuhr Jake fort. „Ich bin ja froh, dass Daley wieder da ist.“

„Dafür können Sie sich bei Rachel bedanken.“ Der Chief nickte in ihre Richtung. „Sie hat Ihre Tochter schlafend in ihrer Küche gefunden.“

„Rachel?“ Zum ersten Mal wandte Jake ihr den Blick zu. Für einen Moment sank seine Kinnlade herab. Die Zeit schien stillzustehen. „Rachel?“, fragte er schließlich ungläubig. „Bist du das wirklich?“

„Jake?“ Sie war viel zu benommen, um mehr als seinen Namen über die Lippen zu bringen.

„Du hast Daley in deinem Haus gefunden?“

Rachel nickte und wandte sich an den Chief. „Du magst dich nicht an ihn erinnern, aber das ist Jake Colter. Er ist hier aufgewachsen.“ Wir haben geheiratet und zusammen ein Baby verloren, bevor er die Flucht ergriffen hat, fügte sie stumm hinzu.

Die Bitterkeit, die sie längst überwunden geglaubt hatte, hinterließ einen unguten Beigeschmack in ihrem Mund. Wenn ihr Puls noch ein wenig schneller raste, würde sie in Ohnmacht fallen. Das war alles zu viel für sie.

Jake löste eine Hand von seiner Tochter und reichte sie dem Chief. „Wir sind gestern eingezogen. Ich bin der neue Tierarzt und arbeite für Doc Howell.“

Wieso wusste sie nichts davon? Ihre Mutter, der normalerweise nichts in der kleinen Stadt entging, hatte kein Wort davon erwähnt.

Rachel wusste nur, dass Doc Howell, der sich dem Pensionsalter näherte und eine kränkliche Frau hatte, nach einem Partner für seine Praxis suchte. Sie hatte keine Ahnung, dass er bereits fündig geworden war. Und dass es sich bei seinem Nachfolger ausgerechnet um Jake Colter handelte!

„Verbürgst du dich für ihn, Rachel?“, fragte der Chief.

Sie wechselte einen Blick mit Jake. Sollte sie es tun? Sie hatte diesen Mann einmal geliebt. Hatte ihm vertraut. Und er? Er hatte sie allein gelassen, als sie ihn am meisten gebraucht hätte.

„Es ist bestimmt kein Problem für ihn, dir seinen Ausweis zu zeigen. Nur, um sicherzugehen. Ich wusste nicht, dass er eine Tochter hat.“ Sie war doch nicht etwa gehässig, oder? Nein, nur vorsichtig. Im Interesse des kleinen Mädchens. Schließlich kannte sie Jake Colter nicht mehr. Falls sie ihn denn je wirklich gekannt hatte.

„Ist ja kein Problem, Sie nach Hause zu fahren“, sagte der Chief. „Wo wohnen Sie, Doc?“

„Mir gehört das Haus direkt hinter diesem – hinter dem schmalen Durchgang zwischen den Gärten.“

Rachel schluckte. Wie groß war die Chance, dass ihr Ex-Mann mit seiner Familie ausgerechnet in eines dieser leerstehenden Stadthäuser zog? „Das erklärt, wieso deine Tochter zu mir gekommen ist. Sie muss über den Weg gelaufen sein.“

„Sie ist Schlafwandlerin, aber so weit ist sie sonst noch nie gekommen. Ich nehme an, die neue Situation hat sie verwirrt.“

„Schließt du denn deine Türen nicht ab?“

„Tust du das denn?“

Rachel riss sich zusammen. Was brachte es, wenn sie sich gleich stritten? Sie berührte die Kleine leicht am Rücken. „Wiedersehen, Daley. Ich mag dein Häschen.“ Zum Polizeibeamten gewandt setzte sie hinzu: „Danke, Chief. Ich nehme an, du brauchst mich nicht mehr.“

Der Chief klopfte ihr auf die Schulter. „Geh nur. Ich weiß ja, wie viel du immer zu tun hast. Ich habe alles im Griff.“

Sie ging zurück zu ihrem Haus.

„Rachel.“ Jakes Stimme ließ sie einhalten.

„Was?“ Ihr Ton war nicht übermäßig freundlich.

Was der Beginn eines versöhnlichen Lächelns hätte sein können, verschwand aus seinen Zügen. „Es ist schön, dich wiederzusehen.“

Das konnte sie umgekehrt nicht behaupten, daher schwieg sie.

Der Gang die Auffahrt hinunter zurück zu ihrem Haus schien doppelt so lang wie zuvor.

Rachel.

Jake hatte gewusst, dass sie sich wieder über den Weg laufen würden, nachdem er den Job in Doc Howells Tierarztpraxis angenommen hatte und wieder nach Rosemary Ridge gezogen war. Allerdings hatte er nicht erwartet, dass die Begegnung so ausfallen würde – er die Straße entlangrennend und sich die Lunge aus dem Hals schreiend nach seiner Tochter und sie ganz entspannt in einem bequemen Bademantel.

Auch mit vom Schlaf zerzausten Haar war Rachel immer noch eine schöne Frau. Ihr Haar war jetzt länger als früher, sodass es ihr bis auf die Schultern fiel. Der neue Look gefiel ihm. Es spielte keine Rolle. Ihre gemeinsame Vergangenheit lag weit zurück.

Nachdem er zusammen mit Daley und dem begeistert hechelnden Moose im Polizeiwagen nach Hause gefahren worden war und dem Chief seinen Ausweis gezeigt hatte – sogar Daleys Geburtsurkunde hatte sich wie durch ein Wunder im Chaos der Umzugskartons gefunden –, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Rachel, seiner ersten Liebe. Seiner ersten Ehefrau.

Er war zuversichtlich gewesen, dass das Wiedersehen ihn nicht weiter berühren würde. Hätte er nicht geglaubt, all den Herzschmerz von Rosemary Ridge hinter sich gelassen zu haben, hätte er den Job nicht angenommen.

Er hatte sich geirrt. Obwohl so viel Zeit vergangen war, drohten die Erinnerungen übermächtig zu werden.

Er war ganz pragmatisch davon ausgegangen, dass niemand sich wirklich je ganz von einer Scheidung erholte, auch wenn er dann wieder neu heiratete und versuchte, es beim zweiten Mal besser zu machen.

Er hatte seine Tochter, seine Arbeit in der Praxis und seinen Glauben an Gott, der ihn durch die schwersten Zeiten seines Lebens getragen hatte. Das war genug.

Ein Mann, der zweimal an der Ehe gescheitert war, war nicht dumm genug, ein drittes Mal in Erwägung zu ziehen. Hätte Mallory gelebt, hätte sie ihn irgendwann verlassen, da war er sich ziemlich sicher. Eher früher als später. Die Liebe zu finden, war leicht, sie wieder zu verlieren, noch leichter. Das hatte er nun zweimal erleben müssen.

Mit Tieren kam er gut zurecht, mit Frauen weniger.

„Daddy.“

„Ja, Baby. Hast du Hunger?“

„Ich … Joghurt.“

„Du möchtest Joghurt zum Frühstück? Wie wäre es mit Müsli?“ Sicher konnte er irgendwo in diesem Chaos eine Packung finden. An Joghurt war nicht zu denken. Dazu musste er erst einkaufen gehen. Das stand heute auf seinem Plan, zusammen mit Auspacken der Kartons und dem Anbringen kindersicherer Schlösser an sämtlichen Türen.

„Nein, Daddy. Die Wady hat mir Joghurt gegebt.“ Daley sprach Lady mit einem W aus wie bei den meisten Wörtern, die ein L enthielten.

Oh. Rachel hatte sich um seine Tochter gekümmert, bis die Polizei gekommen war. Das sah ihr ähnlich. Sie hatte schon immer ein Herz für Kinder gehabt.

Hatte sie wieder geheiratet? Hatte sie das halbe Dutzend Kinder, das sie sich immer gewünscht hatte? Ihnen beiden zusammen war es nicht vergönnt gewesen.

Mit einem Seufzer wandte er sich seiner Tochter zu und versuchte, nicht weiter an Rachel zu denken.

„Bist du sicher, dass du nichts essen oder trinken möchtest?“

Ihre braunen Augen leuchteten auf. „Kann ich Saft haben? Bitte?“

Er gab ihr einen kleinen Stubs auf die Nase. „Ein Becher Saft kommt sofort. Dann suchen wir dir in diesem Chaos etwas zum Anziehen. Wir müssen bis Montag auspacken, Lebensmittel einkaufen, zur Bank gehen und hier etwas aufräumen. Willst du dir nachher meine Praxis ansehen?“

„Sind da Hunde?“ Sie nickte bereits.

„Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Wir finden es zusammen heraus.“

„Okay.“

Jake betrachtete es als einen Segen, dass Daley ein so pflegeleichtes Kind war. Abgesehen von gelegentlichen Albträumen und ihrer Neigung zum Schlafwandeln machte sie selten Probleme. Ihr Kinderarzt meinte, beides würde sich mit der Zeit legen, also versuchte Jake, sich deswegen keine Sorgen zu machen.

Nachdem er ihr den Saft hingestellt hatte, begann er, Umzugskartons auszuräumen. Als Erstes waren die Sachen für Daleys Zimmer dran. Am Vortag hatte er ihr Bett aufgebaut, aber alles andere war noch in den Kisten. Irgendwo.

Nachdem er ein paar Kartons hin und her geschoben hatte, fiel sein Blick auf einen, auf dem Daleys Name stand. Er trug ihn die Treppe hinauf.

„Daddy?“ Daley kam mit, in der einen Hand ihr Häschen, in der anderen den Becher mit dem Saft. Moose fegte an ihnen vorbei nach oben und wartete dort auf sie, als wolle er sagen: Wo bleibt ihr denn, ihr Schlafmützen?

„Was?“

„Ich mag sie. Sie ist nett.“

„Wen meinst du?“

„Die Wady …“

„Du meinst die Lady, die dich heute Morgen gefunden hat?“

„Sie ist nett. Kann sie kommen und pielen?“ Das SP war noch nicht ihr Ding.

Keine gute Idee, wenn er an den bösen Blick dachte, den Rachel ihm nach dem Schock über ihr Wiedersehen zugeworfen hatte. Er hegte keinerlei Feindseligkeit gegen sie, aber umgekehrt war das offenbar anders. „Sie hat wahrscheinlich zu tun, Baby.“

Wie sollte ein Mann einer Dreijährigen erklären, was eine Ex-Frau war?

Daley zog eine grüne Hose aus dem Karton und stülpte sie sich auf den Kopf. Die Beine wirkten wie große Hasenohren.

Seine Tochter hatte wirklich komödiantisches Talent. Sie liebte es, ihn zum Lachen zu bringen. Er tat es und hoffte, sie damit von Rachel abzulenken.

Vergebens.

„Kannst du sie fragen?“

„Nein.“ Ehe seine Tochter ihn mit einem Dutzend Fragen bombardierte, die er nicht beantworten konnte – immer gefolgt von dem unausweichlichen Warum?–, kam die Erlösung durch das Klingeln seines Handys. Das Display zeigte den Namen seines neuen Chefs.

„Guten Morgen, Doc“, sagte er.

„Guten Morgen, Doc“, kam die Antwort.

Sie lachten beide über den alten Witz.

„Hast du dich schon eingerichtet?“, wollte Doc Howell dann wissen.

„Nicht mal ansatzweise.“

„Das habe ich mir gedacht. Du könntest jemanden dafür bezahlen, dass er alles auspackt und für dich einrichtet.“

„Dann würde ich nie etwas wiederfinden.“ Jake sah zu seiner Tochter hinüber, die in ihrem neuen Schrank saß und Schuhe aus einem Karton anprobierte, den er dort deponiert hatte. Moose lag neben ihr, eine Pfote auf ihrem Bein, so als habe er Angst, sie könne ihm noch einmal entwischen. Das war einer der Punkte, der ihn an ihrem Ausflug besonders irritierte. Normalerweise war Moose wie Daleys Schatten, aber in diesem Fall war er ihr nicht gefolgt.

„Kommst du heute Morgen in der Praxis vorbei?“, fragte sein neuer Boss.

Jake warf einen Blick auf die Uhr. „Ja, wie geplant. Hast du schon Arbeit für mich?“

„Ja, aber nicht in der Praxis.“

„Auf einer Farm?“ Jetzt im Frühling bekamen die meisten Tiere ihre Jungen. Schafe und Ziegen brauchten oft Hilfe dabei.

„Es geht um Ostern.“

Jake verstaute ein paar Kindersocken in der obersten Schublade der Kommode. „Ich kann dir nicht ganz folgen.“

Der Doc lachte. „Weißt du nicht mehr, dass Rosemary Ridge zu Ostern immer alle Register zieht?“

„Niemand wird ein solches Ostern je vergessen.“ Die kleine Stadt nahm alle Feste sehr ernst, vor allem Weihnachten und Ostern. Darin waren sich alle Kirchen einig.

„In diesem Jahr wird der fünfundsiebzigste Jahrestag der Osterfeier begangen. Da will die Stadt sich noch einmal selbst übertreffen.“

„Ich verstehe immer noch nicht, was es mit mir und der Arbeit zu tun hat.“

„Normalerweise würde ich mit im Oster-Komitee sitzen – zusammen mit jeder Menge Geschäftsleute und anderer Einwohner der Stadt. Aber bei Helens gesundheitlichen Problemen …“

Jake begriff. Helen war die Frau des Docs und einer der Gründe, wieso er sich zur Ruhe setzen wollte. „Du möchtest, dass ich für dich einspringe.“

„Genau. Sie brauchen sowieso frisches Blut. Wir werden alle allmählich zu alt und haben keine neuen Ideen mehr. Wenn du für mich einspringen könntest, wäre eine große Last von mir genommen. Könntest du heute um zwei dort sein?“

Heute? Jake dachte an all die Dinge, die er noch hatte erledigen wollen. Aber hier ging es um seinen Job. „Wie soll ich meinem neuen Boss etwas abschlagen?“

Doc Howell lachte. „Deine Arbeitszeit beginnt heute um zwei. Abgemacht?“

„Ich werde da sein. Ist es in Ordnung, wenn ich Daley mitbringe?“

„Natürlich, warum nicht?“

Sie beendeten das Gespräch mit einigen weiteren Details und verabschiedeten sich dann.

Jake fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln. Er konnte einen Großteil von dem, was er sich vorgenommen hatte, vergessen. Nun standen Eiersuchen und Osterspiele auf dem Programm.

3. KAPITEL

Im Gemeindesaal der South Cross Church herrschte reges Stimmengewirr. Die Kirche stellte ihren Saal gern für alle möglichen Treffen und Events zur Verfügung. So auch für dieses Meeting.

Der Duft von Kaffee und frisch gebackenen Doughnuts lag in der Luft, gestiftet vom Rise and Shine Shop aus der Hauptstraße.

Jemand – Rachel vermutete, es war Sarah gewesen, die untersetzte rothaarige Frau von Chief Ambruster – hatte eine Leinwand aufgestellt. Ein Laptop stand bereit für einen kurzen Überblick über die Ereignisse des vergangenen Jahres. Die langen Tische standen so, dass jeder jeden hören und sehen konnte.

Sarah Ambruster war eine begnadete Organisatorin und scheute manchmal auch nicht davor zurück, ihre Ellenbogen einzusetzen. Sie hatte eine Art, jeden dazu zu bringen, zu tun, was sie wollte. Ihre letzte Waffe war die Androhung einer Verhaftung durch ihren Mann – der Witz rief immer ein Lachen hervor und führte dann letztlich jedes Mal dazu, dass derjenige, den sie derart unter Druck setzte, ihrem Willen nachkam, wenn vielleicht auch widerstrebend.

Ein Mikrofon piepte durchdringend, als Mrs. Ambruster vortrat. „Eine Minute noch, Leute. Schnappt euch euren Kaffee, und dann wollen wir loslegen. Ostern steht mehr oder weniger vor der Tür.“

Rachel nahm neben ihrer Mutter Platz. Sue Ann Hamby war so unermüdlich wie sie, wenn es um ehrenamtliche Tätigkeiten ging.

Claire Haskins, Rachels beste Freundin, setzte sich ihr gegenüber. „Ich habe es geschafft. Wow! Was für ein Tag!“

„Frag mich mal!“ Rachel seufzte.

Ihre Freundin musterte sie stirnrunzelnd. „Was ist passiert?“

„Ich bin heute Morgen meinem Ex-Mann begegnet. Ich in Morgenmantel und Pantoffeln! Offenbar wohnt er jetzt in dem Haus direkt hinter meinem.“

Claire riss die Augen auf. „Jake ist wieder da?“

Rachel umklammerte ihren Kaffeebecher mit beiden Händen. „Du hast es auch nicht gewusst?“

„Nein.“ Claire deutete auf Rachels Doughnut. „Isst du den?“ Als Rachel den Kopf schüttelte, nahm sie sich das Teil und biss hungrig hinein. „Ich bekomme überhaupt nichts mehr mit außer den Soccer-Terminen meiner Jungs. Aber das ist ja wirklich eine große Neuigkeit.“

Ihre Mutter nippte an ihrem Kaffee. „Ich meine, ich hätte etwas davon gehört.“

Rachel verschluckte sich prompt. „Mom!“, sagte sie empört, als sie wieder sprechen konnte. „Im Ernst? Wieso hast du mir nichts gesagt?“

„Wieso sollte ich? Die Scheidung ist doch schon eine Ewigkeit her. Für die meisten Leute geht das Leben weiter. Sie heiraten wieder und haben eine Familie. Viele haben sogar ein nettes Verhältnis zu ihren Ex-Partnern.“

Rachel warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Mein Leben ist auch weiter gegangen, Mom. Ich fand es nur nicht witzig, ihn heute Morgen so ohne Vorwarnung vor meinem Haus zu sehen.“

„Was?“, fragte Claire eine Spur zu laut. „Was wollte Jake Colter vor deinem Haus?“

„Jake war bei dir?“, fragte ihre Mom verblüfft. „Wieso?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

Mom warf einen kurzen Blick zur Vorsitzenden hinüber, die einen Stapel Papiere bereitlegte. „Gib uns die Kurzversion.“

Mit wenigen Sätzen umriss Rachel die morgendlichen Ereignisse.

„Wie sieht er aus?“, wollte Claire wissen.

Rachel bedachte sie mit einem scharfen Blick. Claire winkte mit dem halbgegessenen Doughnut in der Hand ab. „Vergiss es, vergiss es. Ich hoffe, er ist alt und faltig geworden mit vielen Warzen im Gesicht.“

Rachel und Sue Ann lachten.

„Jake war nicht lange genug da, als dass ich ihn mir so genau hätte ansehen können“, log Rachel. „Er hat sich seine Tochter geschnappt, und dann hat der Chief die beiden und ihren Hund nach Hause gefahren.“

„Ich wusste nicht, dass er ein Kind hat. Oh, Rach.“ Claire legte eine Hand auf die ihrer Freundin. „Ist alles in Ordnung?“

Nicht wirklich, aber sie trug eine positive Fassade zur Schau, wie sie es schon seit Jahren tat.

„Wie Mom schon sagte – es ist ja normal, dass Geschiedene wieder heiraten und neue Familien gründen.“ Was ihr nur wieder einmal bestätigte, dass sie eben nicht normal war.

Sarah Ambruster räusperte sich. Alle Blicke wandten sich ihr zu.

In dem Moment sah Rachel ihn. Direkt auf der anderen Seite des Saals ihr gegenüber.

Jake Colter war ebenfalls hier.

„Da ist die nette Wady, Daddy.“

Das war ihm auch schon aufgefallen.

Jake war kein Mann, der an Schicksal oder Vorsehung glaubte, aber er war kaum vierundzwanzig Stunden in Rosemary Ridge und war seiner Ex-Frau nun schon zweimal über den Weg gelaufen.

Die Tatsache, dass sie ihn entdeckt und demonstrativ den Kopf zur Seite gewandt hatte, sprach für sich. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.

Gut. Er verstand das. Sie hatten sich ja nicht gerade mit herzlichen Umarmungen und dem Versprechen, in Kontakt zu bleiben, verabschiedet. Scheidungen, auch wenn sie in beiderseitigem Einverständnis abliefen, waren immer schmerzlich. Aber nun, wo sie in derselben Stadt und sogar in unmittelbarer Nachbarschaft lebten, mussten sie das Beste daraus machen.

Daley zupfte ihm am Ärmel. „Daddy, die Wady sagt etwas zu dir.“

Sein Herz machte einen Satz. „Was? Welche Lady?“ Rachel?

Daley deutete mit dem Finger nach vorn.

Endlich begriff Jake, dass die Vorsitzende seinen Namen genannt hatte. Er suchte Blickkontakt mit ihr und hoffte, dass sie so nett war, zu wiederholen, was auch immer sie gesagt haben mochte.

„Dr. Jake Colter, willkommen zurück in Rosemary Ridge. Wir freuen uns, Sie und Ihr kleines Mädchen bei uns zu haben. Dr. Howell hat mich informiert, dass Sie in diesem Jahr seinen Platz im Komitee einnehmen werden.“

Jake nickte verlegen. Er sollte wohl besser aufhören, an Rachel zu denken, und aufpassen.

„Ich freue mich, wenn ich helfen kann.“ Das entsprach vielleicht nicht ganz der Wahrheit, aber er wollte es sich nicht gleich mit seinem Boss und der Stadt verderben. „Vielen Dank für das Willkommen.“

„Wie heißt denn Ihr kleines Mädchen?“

„Daley.“

Mrs. Ambruster lächelte. Daleys offene, unschuldige Miene zauberte jedem ein Lächeln ins Gesicht. „Ich bin sicher, alle freuen sich, Sie beide hierzuhaben.“

Er wusste, dass das für eine Person mit Sicherheit nicht galt, und das irritierte ihn. Er bedauerte den Schmerz, den sie einander zugefügt hatten, aber nach all dieser Zeit überraschte Rachels kühler Empfang ihn doch ein wenig.

Er wollte, er hätte sich auch einen Becher Kaffee genommen, um jetzt etwas in den Händen zu haben. Für einen Moment konzentrierte er sich auf Daley, für die er Malbuch und Buntstifte mitgebracht hatte. Und Sticker. Zärtlich beobachtete er, wie seine kleine dunkelhaarige Prinzessin einen rothaarigen Hund mit glitzernden Eiscreme-Stickern verzierte.

Da Daley gut beschäftigt war, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Rückblick auf die Oster-Feierlichkeiten des vergangenen Jahres zu und der Diskussion darüber, wo vielleicht noch etwas zu verändern und zu verbessern war. Anschließend stellte Sarah Ambruster die neuen Arbeitskreise vor.

Das Hauptorganisationskomitee war offenbar bereits seit Monaten an der Arbeit, und jetzt war der Zeitpunkt, um die ganzen Ideen in die Tat umzusetzen.

Jake hörte nur mit halbem Ohr zu. Da er neu war, erwartete er, irgendwo als Helfer in dem Bereich eingesetzt zu werden, in dem bisher Doc Howell tätig gewesen war. Wahrscheinlich baten sie ihn, die Tiere zu untersuchen, die beim Osterumzug mitmachen sollten, oder etwas für die Tierheime zu tun, die die kostenlose Adoption eines Haustiers anboten. Das konnte er machen, kein Problem.

„Da sie im vergangenen Jahr eine so hervorragende Arbeit geleistet hat, wird Rachel Hamby den Arbeitskreis für die Ostereiersuche übernehmen. Ich bin sicher, sie hat Ideen, wie man das Event in diesem Jahr noch größer und schöner machen kann.“

Jakes Blick glitt zu Rachel.

Hamby. Er hatte gewusst, dass sie wieder ihren Mädchennamen angenommen hatte, aber nachdem sie sieben Jahre seinen Namen getragen hatte, klang es in seinen Ohren merkwürdig.

Sie hatte den Kopf zur Seite gewandt, um nach vorn zu sehen. So konnte er sie ungestört betrachten. Dabei redete er sich ein, nichts als Bedauern und eine Spur von Trauer darüber zu empfinden, dass er nicht genug gewesen war, um ihr gebrochenes Herz zu heilen. Es war sein Fehler, das wusste er jetzt.

Sie sah noch genauso aus, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte. Sie trug eine verblichene Jeansjacke über einem dunkelblauen Kleid. Schlicht, aber hübsch.

„Zu Rachels Arbeitskreis gehören Claire Adams, die Myrick-Brüder und Dr. Colter“, fuhr Mrs. Ambruster fort.

Sie las Namen vor, die er nicht kannte. Auch ohne in Rachels Richtung zu sehen, wusste er, dass sie nicht glücklich darüber war, ihn in ihrer Gruppe zu haben.

Mrs. Ambruster fuhr fort: „Rachels Gruppe wird die Zahl der Teilnehmer schätzen – natürlich anhand der Unterlagen vom vergangenen Jahr, die ich hier habe.“ Sie wedelte mit einem Ausdruck. „Sie wird Altersgruppen einteilen und Preise von hoffentlich großzügigen Einzelhändlern der Stadt einholen, um die Plastikeier zu befüllen. Die Eiersuche ist eines der Hauptereignisse, aber ich bin sicher, Rachel und ihr Team können alle Probleme lösen.“

Sarah überreichte Rachel die Liste mit den Punkten, die zu erledigen und zu bedenken waren. Während der Erklärung war Rachels erfreutes Lächeln zunehmend verblasst. War ihre negative Reaktion auf ihn zurückzuführen?

„Wie immer sind unsere Mittel begrenzt, seht also zu, dass ihr ein paar Spenden eintreibt. Rachel wird die Aufgaben verteilen und weitere Helfer dazuholen, falls nötig.“ Sarah verströmte ein Ihr-schafft-das-Lächeln, bevor sie sich den anderen Arbeitskreisen zuwandte.

Jake runzelte die Stirn. Das war nicht das, was er erwartet hatte oder wozu er zugestimmt hatte. Er war Tierarzt, kein Spendensammler. Und schon gar keine Lust hatte er dazu, irgendwelche Plastikeier zu füllen.

Er sah zu Rachel hinüber. Ihre Blicke trafen sich. Auch sie runzelte die Stirn.

Jake atmete tief durch und seufzte. Sein Start mit der neuen Nachbarin hätte besser sein können.

„Ich nehme an, sie hat es vergessen“, sagte Rachel leise zu ihrer Mutter. „Wieso sonst würde Sarah mich in eine so unangenehme Situation bringen?“

„Im letzten Jahr hast du Maggie Stiles im Arbeitskreis für das Osterstück ertragen, und sie ist doch wirklich unmöglich. Dann kommst du auch mit dem neuen Tierarzt zurecht. Jakes Teilnahme an dem Kreis wird nur zu einem Problem, wenn du es dazu machst.“

Die Erwähnung von Maggie Stiles hob Rachels Stimmung ein wenig. Die Zusammenarbeit mit der Frau war wirklich ein Albtraum gewesen. Sie erinnerte sich mit Grausen daran.

Ihre Mutter und sie tauschten einen Blick innigen Einverständnisses.

„Du hast recht.“ Rachel nickte.

„Gut.“ Ihre Mutter tätschelte ihr den Arm. „Du schaffst das. Mit Anstand und Freundlichkeit – wie immer.“

Natürlich konnte sie das schaffen. Das hieß ja nicht, dass sie glücklich darüber sein musste.

Jakes Miene nach zu urteilen, war er auch alles andere als angetan von der Situation. Vielleicht konnte sie Sarah dazu bewegen, Jake einer anderen Gruppe zuzuteilen.

Genauso gut konnte sie darauf hoffen, dass der Mond vom Himmel fiel.

Sarah mochte es nicht, dass jemand ihre Entscheidungen infrage stellte – es sei denn, er wollte als Spielverderber dastehen, der keinen Sinn für Ostern hatte. Oder für Jesus. Die Frau war eine Meisterin darin, einem ein schlechtes Gewissen zu machen.

Der arme Chief Ambruster. Kein Wunder, dass es ihn nicht danach drängte, in den Ruhestand zu gehen.

Sarahs unermüdlichem Einsatz war es zu verdanken, dass die Osterfeierlichkeiten immer ein großes Event für Kirchen, Bürgergruppen und ihrem eigenen Oster-Komitee wurden. Die Werbung war schon vor einer Woche herausgegangen, zusammen mit einem Zeitplan für die ganze Heilige Woche von Palmsonntag bis einschließlich Ostern.

Was regte sie sich so über ihren winzigen Anteil an dem Ganzen auf? Mom hatte recht. Sie konnte es schaffen. Jake so unerwartet wiederzusehen, hatte sie etwas aus dem inneren Gleichgewicht gebracht, das war alles. Sobald sie sich wieder im Griff hatte, war alles in Ordnung.

Anstand und Freundlichkeit.

Mit etwas behutsamem Nachhelfen trat Jake ja vielleicht auch von sich aus den Rückzug an. Als Workaholic hatte er viel zu viel mit der Praxis zu tun, um hier helfen zu können. Es waren genügend andere ehrenamtliche Helfer da, sie brauchten ihn nicht.

Wieso hatte Sarah ihn nicht dem Umzug zuteilen können? Oder der Gruppe, die für die Werbung zuständig war? Oder für Sibirien?

Als die Arbeitskreise sich zusammensetzten, ignorierte Rachel den dunkelhaarigen Tierarzt, der sich einen Stuhl an das Ende ihres Tisches gezogen hatte. Er saß zu ihrer Rechten. Sie musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er da war. Allein diese Gewissheit irritierte sie.

Sie sollte über die ganze Sache hinweg sein. Das sagten alle. Aber sie musste nur Jakes Namen hören, und die Agonie ihrer verlorenen Zukunft legte sich wie eine dunkle Wolke über sie. Die Scheidung tat nicht mehr so weh, wohl aber alles andere.

Der Verlust ihres Kindes saß immer noch tief. Meist kam sie damit zurecht, aber gelegentlich begann sie zu grübeln. Was wäre gewesen, wenn …? Jakes Anblick holte mit einem Schlag alles wieder an die Oberfläche.

Alle fanden, sie müsse wieder nach vorn sehen. Es war nur eine Fehlgeburt.

Nur das Ende des einzigen großen Traums, den sie je gehabt hatte.

Rachels Team hatte sich mit frisch gefüllten Kaffeebechern um sie versammelt. Es konnte losgehen.

„Hallo!“ Sie sah in die Runde, mied dabei aber die rechte Seite. „Sieht so aus, als hätten wir eine gute Gruppe beisammen. Wir sollten in der Lage sein, ein paar neue Ideen auszubrüten. Wie immer findet das Eiersuchen am Samstag vor Ostern im City Park statt. Vorher ist der Umzug, darum kümmern die anderen sich. Viele Kirchen werden kleine Stücke aufführen. Es gibt in der ganzen Woche Konzerte und besondere Gottesdienste.“

„Wow!“, sagte Claire. „Unsere kleine Stadt stellt wirklich einiges auf die Beine.“

„Immerhin ist es der fünfundsiebzigste Jahrestag“, erinnerte Rachel sie.

„Sarah hat ein paar Foodtrucks bestellt und eine Hüpfburg. Ich habe schon Kontakt zu vier der Kirchen aufgenommen, damit sie Leute abstellen, um die Spiele zu beaufsichtigen, die am Samstag stattfinden. Zwei weitere stehen noch auf meiner Liste. Ich möchte sie dazu bringen, eine Bastelecke für die Kinder einzurichten. Was meint ihr dazu?“

Claires Hand schoss in die Höhe. „Was, wenn wir noch ein paar Wettbewerbe organisieren würden?“

Der Nachmittag war schon gespickt voll mit diversen Aktivitäten, aber eine gute Teamleiterin musste auch zuhören können. „Die Idee gefällt mir. Was schlägst du vor?“

„Wie wäre es mit einem Wettbewerb um das schönste Osterei? Wenn wir Schulen, Clubs und Kirchen früh genug informieren, können alle ihre Ideen entwickeln und dann ihre Eier in ein extra dafür aufgebautes Zelt bringen, in dem sie für die Jury ausgestellt werden. Unser Geschäft würde sicher ein paar Preise stiften.“

Die Besitzer von Kim’s Flower and Gifts waren jedes Jahr sehr großzügig im Spenden von Preisen und Gutscheinen.

„Die Idee gefällt mir, Claire.“ Rachel machte sich ein paar Notizen. „Was meinen die anderen? Seid ihr alle dafür?“

Allgemein zustimmendes Murmeln. Rachel ließ den Blick umherwandern. „Sieht so aus, als hätten wir ein aufregendes neues Event“, bemerkte sie zufrieden. Jake hatte nichts gesagt, aber sie musste nicht in seine Richtung sehen, um zu wissen, dass er noch da war.

Sie hatte das Gefühl, dass jemand sie anstarrte. Ihr Nackenhaar schien sich förmlich zu sträuben. War es Jake?

Rachel rief sich zur Ordnung. Was spielte es für eine Rolle, ob er sie anstarrte oder nicht? Sie bedeuteten einander nichts mehr. Absolut rein gar nichts. Er hatte wieder geheiratet und war Vater eines kleines Mädchens. Hatte sie abgehakt.

Sie musste endlich aufhören mit diesen Gedanken!

„Ich habe noch eine Idee!“ Claire war nicht mehr zu stoppen, nachdem ihre erste Idee so gut angekommen war. „Das Thema des diesjährigen Umzugs ist ‚Ein traditionelles Ostern‘. Wieso sollten wir nicht Preise für die am schönsten dekorierten Osterhüte vergeben?“

„Auch eine sehr schöne Idee.“ Rachels Mom nickte. „Früher haben sich die Damen zu Ostern neue Outfits zugelegt und sich groß herausgeputzt. Der Osterhut war quasi die Krönung von allem. Es würde doch Spaß machen, diese alte Tradition wiederzubeleben. Dabei könnten wir auch die Männer mit einbeziehen. Deren Hutmode ist ja auch sehr vielfältig.“

„Mir gefällt die Idee auch, Mom. Was meinen die anderen?“

Erneute Zustimmung rundum und ein paar erhobene Hände.

Rachels Begeisterung wuchs. Das war ja wirklich ein Selbstgänger! Sie hatte eine Supertruppe beisammen. Fast konnte sie dabei vergessen, dass auch ihr Ex-Mann dazugehörte. „Wir könnten die Teilnehmer am Umzug bitten, die Hüte auf den Wagen zu tragen. Die Jury würde ihr Urteil dann beim Vorbeifahren fällen.“

Ein kleines Stimmchen unterbrach die Diskussion. „Ich hab auch ein Hut. Daddy hat ihn dekauft. Er ist rot.“

Rachels Aufmerksamkeit flog zu dem kleinen Mädchen. Daley sah auf von ihrem Malbuch, die Buntstifte in der Hand.

Jake beugte sich vor, um sie zu ermahnen, still zu sein. Er wirkte müde.

Rachel spürte eine Woge des Mitgefühls für ihn. Er war ein guter Dad, sonst hätte er seine kleine Tochter nicht mitgebracht. Was mochte mit Daleys Mutter sein?

So viel also zu ihrer Absicht, ihn zu ignorieren.

„Entschuldigung für die Störung“, sagte er verlegen.

Ihre Blicke blieben für einen Moment aneinander hängen.

Rachel fühlte sich mehr als unwohl. Bemerkten die anderen am Tisch die Spannung zwischen ihnen auch?

Nicht direkt eine negative Spannung, aber etwas Irritierendes.

Sie senkte den Kopf und konzentrierte sich auf den Block, der vor ihr auf dem Tisch lag.

Ihre Mom räusperte sich und nahm die Lesebrille ab – immer ein Zeichen dafür, dass sie etwas sagen wollte.

„Dies ist ein Arbeitskreis, und wenn Daley eine Idee hat, wollen wir sie hören.“ Zu dem kleinen Mädchen sagte sie: „Möchtest du auch an dem Hut-Wettbewerb teilnehmen, Daley?“

Die Kleine nickte so begeistert, dass ein leises Lachen durch die Gruppe lief.

„Das ist doch eine gute Idee. Am Osterhutwettbewerb kann jeder teilnehmen, ganz gleich, welchen Alters.“ An Rachel gewandt fügte ihre Mom hinzu: „Du kannst mich als ehrenamtliche Verantwortliche eintragen. Ich überlege mir die Details und suche die Juroren aus.“

„Super. Danke, Mom.“ Rachel machte eine Notiz in ihrem Block und bemühte sich dabei, nicht zu Jake hinüberzusehen.

Die Müdigkeit, die aus seinen Zügen sprach, irritierte sie.

„Du musst nicht mir danken“, widersprach ihre Mutter. „Bedank dich bei Jakes kleiner Tochter. Es ist ihre Idee.“

Ohne aufzusehen, sagte Rachel: „Danke, Daley.“

Jake schwieg, während zuerst der eine, dann der andere sich bereit erklärte, die eine oder andere Aufgabe beim Eierlauf am Samstag zu übernehmen. Obwohl ein anderer Arbeitskreis für den Umzug verantwortlich war, war Rachel sicher, dass sie den Osterhutwettbewerb übernehmen würden. Sie nahm sich vor, mit dem zuständigen Team darüber zu sprechen.

Während darüber diskutiert wurde, welche Altersgruppen man für die Eiersuche einrichten wollte, meldete sich Sheila Ramirez zu Wort, eine Lehrerin von der Highschool. „Können wir irgendetwas tun, um die Teenager mehr einzubeziehen? Wir haben viele Events für die Kinder, was sehr schön ist, aber meine Jugendlichen fühlen sich dabei übergangen.“

„Liegt ihnen denn etwas am Eiersuchen?“, fragte jemand so skeptisch, dass die Antwort auf der Hand zu liegen schien.

„Teenager interessieren sich doch nicht für solche Kinderspiele“, warf jemand anderes ein.

Zustimmendes Gemurmel und Bemerkungen darüber folgten, dass Teens zu cool oder zu alt für solche Sachen waren.

„Moment mal“, warf Rachel ein. „Uns fällt doch sicher etwas ein, wie wir interessierte Teens mit einbeziehen können. Ostern ist schließlich für alle. Denkt an Johannes 3, Vers 16: Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Diesen Vers, der als die Zusammenfassung der ganzen biblischen Erlösungsbotschaft galt, kannte sie auswendig.

Alle am Tisch schwiegen.

Dann sagte eine männliche Stimme zögernd: „Ich habe eine Idee.“

Alle Blicke wandten sich Jake zu, sodass auch Rachel sich gezwungen fühlte, ihn anzusehen.

Oje!

Die kleine Daley hatte einen Ellenbogen auf den Tisch gestützt und lehnte ihr Kinn auf eine Hand. Dabei sah sie bewundernd zu ihrem Dad auf.

Unwillkürlich fragte Rachel sich, ob ihre gemeinsamen Kinder ihn auch so bewundert hätten. Sie selbst hatte es einmal getan. Bis sie erfuhr, wie er wirklich war.

„Teenager lieben Wettbewerbe“, erklärte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wie wäre es, wenn sie als Teams Eier suchen? Team gegen Team.“

„Eine gute Idee“, fand die Lehrerin. „Meine Schüler sind immer dabei, wenn es um einen Wettbewerb geht.“

Claire runzelte die Stirn. „Wie sollte das ablaufen?“

„Ich könnte es mir so vorstellen …“ Jake legte die Fingerspitzen aneinander, als er sprach. „Die Teens bilden Gruppen von meinetwegen sechs und melden sich als Team. Statt dass sie wie die Kleinen einfach losrennen, gibt es für sie eine Art Staffellauf.“

„Eine brillante Idee, Dr. Colter.“ Die Lehrerin strahlte vor Begeisterung. „Jedes Teammitglied muss ein Ei finden, es zurück zum Korb bringen, und dann rennt der Nächste los. Das erste Team, das sechs Eier im Korb hat, gewinnt.“

„Damit sich mehr Kinder daran beteiligen können, könnten wir drei erste Plätze vergeben“, schlug Rachels Mom vor. „Und ganz gleich, ob sie gewonnen oder verloren haben – jedes Team darf behalten, was sie in den Eiern gefunden haben.“

„Das ist doch perfekt!“, jubelte Sheila Ramirez. „Meine Schüler werden begeistert sein. Ich sehe schon vor mir, wie sie ihre Teams bilden.“

Rachels Mom teilte die allgemeine Begeisterung. „Rachel, du leitest diesen Arbeitskreis. Der Wettbewerb ist Jakes Idee. Wie wäre es, wenn ihr euch zusammensetzt und die Details besprecht?“

Im Ernst? Ihre eigene Mutter fiel ihr in den Rücken?

Rachel musste sich räuspern. „Ich glaube, Jake hat im Moment genügend anderes zu tun.“ Er hatte immer nur gearbeitet, besonders nachdem sie ihr Baby verloren hatten. Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit, das war alles, was der Mann kannte.

„Da er den Platz von Doc Howell in diesem Arbeitskreis eingenommen hat, nehme ich an, er wird die nötige Zeit finden. Stimmt’s, Jake?“ Mom strahlte ihren Ex-Schwiegersohn an.

Jake schien mit sich zu ringen.

Gut. Sie musste sich nicht mit seiner Gesellschaft abquälen. Er würde absagen.

Das tat er nicht.

Er suchte ihren Blick. „Wir tun, was auch immer die Vorsitzende für das Beste hält.“

Rachel spürte förmlich, wie ihr das Herz sank.

An manchen Tagen fragte sie sich, ob Gott sie bestrafen wollte.

Zum Beispiel an Tagen wie diesem.

4. KAPITEL

Zu Jakes größter Erleichterung schloss Rachel endlich das Meeting, und die Teilnehmer unterhielten sich untereinander und bedienten sich dabei am kalten Büfett, das neben der Küche aufgebaut war.

Jake warf einen Blick auf die Uhr. Das war das gefühlt längste Meeting gewesen, das er je hinter sich gebracht hatte.

Zuerst der Schock, in Rachels Arbeitskreis zu landen. Hätte er abgelehnt, hätte er vor der ganzen Stadt schlecht dagestanden. Er wusste ja, wie die Gerüchteküche funktionierte. Es würde sich mit Lichtgeschwindigkeit herumsprechen, dass Dr. Colter sich weigerte, mit seiner Ex-Frau zusammenzuarbeiten. Dabei war sie doch der netteste Mensch überhaupt!

Dem konnte er nur zustimmen. Er hatte sich in der Highschool in sie verliebt, weil sie von Natur aus freundlich war und immer bereit, jemandem in Not zu helfen. Niemals hatte sie sich beklagt, wenn jemand sie für sich einspannte. Tante Sally brauchte einen Babysitter für ihre Kids? Sie musste nur Rachel anrufen. Granny musste zum Arzt gefahren werden, dessen Praxis eine Stunde entfernt lag? Rachel stand bereit. Ein Nachbar war krank oder hatte ein neues Baby oder einen Job verloren? Auf Rachels Hilfe war Verlass. Jedes Mal.

Erstaunlich, dass er sich ausgerechnet jetzt wieder daran erinnerte, nachdem sie ihn mit ihren Blicken diverse Male fast erdolcht hatte. Hatte sie sich so sehr geändert?

„Daddy, darf ich ein Doughnut?“ Daley deutete hoffnungsvoll auf den Tisch mit den Erfrischungen. Die Doughnuts mit den bunten Streuseln darauf schienen sie magisch anzuziehen.

Jake schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. „Wie wäre es mit Erdbeeren?“

„Okay.“ Sie ließ ihr Malbuch Malbuch sein und sprang auf, um zum Büfett zu rennen.

Jake folgte ihr.

Einer der Myrick-Brüder versetzte ihm einen Schlag auf die Schulter. „Schön, dass du wieder da bist, Jake.“

Er blieb stehen, um den alten Cowboy zu begrüßen. „Danke, Wink. Züchtest du immer noch Kühe und Pferde?“

„Was sonst? Doc Howell kümmert sich um sie, wenn etwas ist, aber ich nehme an, bald wirst du dann kommen.“ Wink reichte Jake auch mit Stiefeln und Stetson gerade einmal bis zur Brust.

Sein Bruder Frank, der seinen beachtlichen Bauch unter einem Overall versteckte, trat zu ihnen. Die beiden Männer gehörten zum Urgestein der Stadt. Zumindest war es vor zwölf Jahren so gewesen, bevor Jake gegangen war.

„Wir waren richtig stolz auf dich, als wir hörten, dass du Tierarzt wirst. Dazu gehört schon ein guter Kopf.“ Frank wischte sich mit der Hand über die drei Haarbüschel, die ihm noch geblieben waren.

Jake grinste. „Ich würde sagen, eher Fleiß und Sitzfleisch.“

Es tat gut, sich mit Menschen zu unterhalten, die er schon seit Kindesbeinen kannte. Alte Bekanntschaften aufzufrischen und sich in die Gemeinsc...

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