Ein Wüstenprinz für eine Nacht?

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Allegra Di Sione will nur eins: Die Fabergé-Schatulle für ihren Großvater finden! Als die Suche sie in den Palast von Scheich Rahim führt, glaubt sie sich am Ziel ihrer Reise. Doch Rahim weigert sich, ihr das Schmuckstück zu geben. Verzweifelt stiehlt Allegra sich in die Privatgemächer des Prinzen und wird von ihm auf frischer Tat ertappt. Atemlos ergibt sie sich seiner Leidenschaft. Um am nächsten Morgen etwas viel Kostbareres unter dem Herzen zu tragen: Rahims Erben! Aber wie kann sie seine Königin werden, wenn er keine Liebe für sie empfindet, sondern nur für sein Land?


  • Erscheinungstag 18.07.2017
  • Bandnummer 0015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708511
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Allegra sah zum Flugbegleiter hoch und lehnte das angebotene Glas Champagner mit einem gezwungenen Lächeln ab.

Glücklicherweise war die erste Klasse nahezu leer. So wurde wenigstens niemand Zeuge ihrer Verzweiflung und tiefen Sorge. Seit zwei Tagen kämpfte sie mit der desaströsen Nachricht, die Matteo ihr überbracht hatte.

Warum hatte ihr Großvater sie nicht über die Schwere seiner Erkrankung aufgeklärt? Natürlich wusste sie von den Tests, die angestanden hatten, um festzustellen, ob die Leukämie wirklich zurückgekehrt war. Doch als sie ihn vor zwei Monaten nach der endgültigen Diagnose gefragt hatte, war er ihr ausgewichen.

Jetzt wusste sie, dass Giovanni nur noch ein Jahr zu leben hatte.

Ihr Herz krampfte sich zusammen. Unmöglich, sich vorzustellen, dass der Mann, den sie stets als unsterbliche Instanz angesehen hatte, beim nächsten Weihnachtsfest nicht mehr dabei sein sollte. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen, die sie hastig wegwischte, als sie den Steward zurückkehren sah.

Sie durfte keine Schwäche zeigen, nicht, wenn die ganze Welt Zeuge davon werden konnte. In diesem hochtechnisierten Zeitalter, wo sich Nachrichten und Bilder in Lichtgeschwindigkeit über den gesamten Globus verbreiteten, war es wichtiger denn je, Haltung zu bewahren.

Besonders als Allegra Di Sione, älteste Enkelin eines der mächtigsten Männer der Welt. Gleichzeitig war sie das Gesicht der Di Sione Foundation, einer Charity-Organisation, die sie selbst aufgebaut hatte. Längst war diese Arbeit zu einem Fulltime-Job geworden, dem sie sich mit großem Eifer und voller Hingabe widmete. Selbst wenn sie ihr Privatleben radikal einschränkte und sie sich oft einsam fühlte.

Energisch schüttelte Allegra den Anfall von Selbstmitleid ab und beobachtete durch das Fenster, wie der Flieger seine Position verließ und in Richtung Startbahn des International Airports von Dubai rollte.

Die letzte Spenden-Gala mit einer Unzahl wohlhabender Gäste war ihr bisher größter Erfolg gewesen, mit der doppelten Spendensumme im Vergleich zum Vorjahr.

Obwohl dieses Ergebnis Allegra stolz machte, konnte sie sich momentan nicht wirklich darüber freuen. Zu schwer wog die Sorge um ihren Großvater.

Immer wieder gingen ihr Matteos Worte durch den Kopf. Denn abgesehen vom alarmierenden Gesundheitszustand ihres Großvaters hatte ihr Bruder noch eine andere Bombe platzen lassen: Giovannis Lieblingsmärchen war offenbar gar keines, wie sie es bisher alle angenommen hatten.

Solange Allegra denken konnte, hatte sie sich von Giovannis Geschichte über seine Verlorenen Geliebten fesseln und verzaubern lassen. Als Teenager hatte sie sich sogar gefragt, ob ihr Großvater heimlich ein ähnlich wildes Leben wie ihre Eltern geführt haben könnte. Doch diese absurde Idee ließ sie gleich wieder fallen, weil sie wusste, dass Nonno seiner Frau bis zu deren Tod die Treue gehalten hatte.

Integrität war eine seiner hervorragenden Charaktereigenschaften, die sie sich zum Vorbild genommen hatte. Daneben war er so damit beschäftigt gewesen, das weltweite Di Sione-Imperium aufzubauen, dass kaum Zeit und Energie für anderes blieb.

Dass die Verlorenen Geliebten einen realen Hintergrund haben sollten, war ein Gedanke, an den Allegra sich nur schwer gewöhnen könnte. Genauso wenig wie an die Vorstellung, dass Nonno ihren Bruder tatsächlich auf die Suche nach einer kostbaren Halskette geschickt hatte, die irgendwie mit der verworrenen Geschichte zusammenhing.

Und dann der Ausdruck in Matteos Augen, als er ihr nahegelegt hatte, schnellstmöglich nach Hause zu kommen …

Der Jet donnerte über das Rollfeld, bevor er sich in den Himmel über der Wüste erhob, und Allegra schloss traurig die Augen.

Sie war erst sechs gewesen, als sie ihre Eltern in einem grauenhaften Autounfall verlor, der damals durch sämtliche Medien ging. Schon damals musste sie ihre Trauer und ihren Schmerz unterdrücken, um für ihre jüngeren Geschwister stark zu sein.

Das hatte sie geprägt und half ihr bis heute, Krisen zu überstehen.

Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Was immer Nonno ihr zu sagen hatte, sie würde damit zurechtkommen.

Obwohl Allegra sich den ganzen Flug über selbst Mut zugesprochen hatte, zitterte sie am ganzen Körper, als die gemietete Limousine in die Auffahrt zu dem Anwesen ihres Großvaters bog.

Ihr gehörte zwar ein luxuriöses Drei-Zimmer-Apartment an der Upper Eastside in New York City, aber trotzdem war der Familienbesitz in Long Island, wo sie zusammen mit ihren Brüdern und Schwestern aufgewachsen war, ihr eigentliches Zuhause.

Anstatt bittersüß wie die Erinnerungen der meisten an ihre Kindheit, waren die von Allegra und ihren Geschwistern eher bitter als süß. Unwillkürlich wandte sie den Kopf in Richtung Westflügel des weitläufigen Prachtbaus. Der Di-Sione-Familiensitz lag inmitten einer gepflegten Parklandschaft und grüner Weiden, die sich bis zum Long Island Sound erstreckten.

Hierher hatte man sie nach der schrecklichen Nacht im Haus ihrer Eltern gebracht, wo ihr Vater und ihre Mutter einen lautstarken Ehekrach ausgefochten hatten, der sich als letztes Gefecht ihrer stürmischen, von Drogen und Alkohol geprägten Verbindung erweisen sollte.

Zwei Stunden später hielt ein Streifenwagen vor dem Haus. Ein Polizist stieg aus und teilte ihnen in knappen Worten mit, dass ihre Eltern tödlich verunglückt und sie damit Vollwaisen seien.

Schluss damit! rief Allegra sich zur Ordnung.

Energisch verbannte sie die quälenden Erinnerungen in den Hinterkopf und stieg aus der Limousine.

Die massive Doppeltür öffnete sich, und heraus trat Giovannis Haushälterin Alma. Seit Allegra denken konnte, war die rundliche Italienerin Teil der Di-Sione-Familie. Obwohl ihr breites Lächeln sie willkommen hieß, blieb Allegra weder der besorgte Ausdruck in Almas braunen Augen noch das nervöse Kneten ihrer Hände verborgen.

Dio, es ist so lange her … viel zu lange“, murmelte sie, während Allegra die großzügige Eingangshalle mit dem polierten Marmorboden betrat.

Sie nickte zustimmend und hielt gleichzeitig Ausschau nach der vertrauten Gestalt ihres Großvaters. „Wo ist er?“, fragte sie rau. „Und, vor allem, wie geht es ihm?“

Almas Lächeln erlosch. „Der Arzt hat ihm Bettruhe verordnet, aber Signor Giovanni bestand darauf, an seinem Lieblingsplatz auf dich zu warten.“

Allegra stoppte vor der imposanten schmiedeeisernen Treppe, die ins Obergeschoss führte, und wandte sich stattdessen dem Westflügel zu, weil ihr Großvater, seit sie denken konnte, bevorzugt auf der Terrasse vor dem kleinen Salon frühstückte.

„Allegra?“

Sie blieb stehen und wandte sich Alma zu. Kummer und Verzweiflung auf dem Gesicht der Haushälterin sandten ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Matteo hatte sie auf ihrer Gala in Dubai ja bereits vorgewarnt, war von seiner attraktiven Begleitung allerdings so abgelenkt gewesen, dass sie insgeheim gehofft hatte, er würde übertreiben.

Almas bedrückte Miene jedoch sagte etwas anderes.

„Du solltest vorbereitet sein. Er hat sich sehr verändert, seit du ihn das letzte Mal gesehen hast.“

Allegra nickte mit trockenem Mund und setzte ihren Weg fort. Dabei hatte sie weder einen Blick für das helle Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster in die Galerie schien, noch für die kostbaren Gemälde an den weiß getünchten Wänden.

Sei vorbereitet …

Trotz der Warnung hielt Allegra erschrocken den Atem an, als sie die Terrasse betrat. Sie hatte erwartet, ihr Großvater würde in seinem geliebten alten Korbstuhl sitzen. Der Anblick des Krankenbetts mit einer Halterung am Kopfende, an dem eine Sauerstoffflasche samt Schlauch und Maske befestigt waren, versetzte ihr einen Schock.

Im Bett, gestützt durch dicke Kissen, unter einer weichen Kaschmirdecke lag ihr Großvater. Seine hagere Brust hob und senkte sich. Die papierdünnen Lider hielt er nahezu geschlossen. Was sie am härtesten traf, war der Verlust dieser ganz besonderen vibrierenden Energie, die ihn für gewöhnlich umgab wie ein unsichtbares Kraftfeld. Unter dem dichten Schopf von schlohweißem Haar wirkte er erschreckend schmal und eingesunken.

Die krasse Veränderung innerhalb von nur zwei Monaten war beängstigend.

„Willst du den ganzen Tag als unbewegliche Marmorstatue verbringen?“

Seine Frage ließ Allegra heftig zusammenzucken. „Nonno …“ Sie wusste nicht, was sie sagen oder wie sie auf das reagieren sollte, was offensichtlich war.

„Komm, nun setz dich schon“, forderte Giovanni und klopfte mit seiner hageren Hand auf die Bettkante.

Allegra beeilte sich, dem nachzukommen, und war froh, noch etwas von dem alten Feuer und Kampfgeist zu spüren, die Giovannis größtes Kapital gewesen waren, als er vor mehr als fünfzig Jahren in Ellis Island landete. Und zum Glück waren seine stahlblauen Augen, wenn auch etwas verblasst, immer noch so scharf und durchdringend wie gewohnt. Die dunklen Schatten darunter sprachen allerdings ihre eigene Sprache.

„Warum hast du mir nichts gesagt?“, flüsterte Allegra, heiser vor unterdrückten Emotionen, die sie ihm nicht zeigen wollte. „Wir haben so oft telefoniert, seit ich das letzte Mal hier war. Du hättest mich früher herbitten sollen.“

„Du hattest andere Dinge zu tun.“

Allegra schob die Brauen zusammen. „Zum Beispiel?“

„Ich weiß, wie wichtig die Charity-Gala für dich war. Und nach allem, was ich darüber gehört und gelesen habe, war sie ein grandioser Erfolg. An so einem Abend soll man sich keine Sorgen um einen kranken alten Mann machen müssen.“

„Meine Arbeit wird mir nie wichtiger sein als du, Nonno, und das weißt du genau. Du hättest mir Bescheid geben müssen.“

Um Giovannis blutleere Lippen geisterte ein schwaches Lächeln. „Nimm gefälligst Rücksicht auf meine angegriffene Gesundheit, piccola mia.“

„Tut mir leid …“, murmelte sie.

„Muss es nicht, dein Temperament ist eine wundervolle Charaktereigenschaft und etwas, worauf ich sehr stolz bin, was dich betrifft … neben vielen anderen Dingen.“ Er streckte seine Hand aus, und Allegra ergriff sie. Seine Finger waren warm, was sie beruhigte, doch ihr Herz zog sich zusammen, weil der gewohnte feste Druck fehlte.

„Deine Leukämie ist also zurück? Und die Prognose lautet ein Jahr, wenn du Glück hast?“ Sie wünschte von ganzem Herzen, es würde nicht wahr sein und hielt einen Moment den Atem an, als ihr Großvater nickte.

„Si“, bestätigte er ruhig, ohne ihrem brennenden Blick auszuweichen. „Und dieses Mal wird es kein medizinisches Wunder in letzter Sekunde geben.“

„Man kann wirklich gar nichts tun?“

„Laut Auskunft der Ärzte war das Risiko schon damals kaum kalkulierbar.“

„Ich könnte mich umhören. Kapazitäten auf dem Gebiet …“

„Basta, cara mia“, bremste Giovanni ihren Elan. „Deshalb bist du nicht hier. Ich habe dem Krebs die Zähne gezeigt, seit er vor fünfzehn Jahren diagnostiziert wurde. Ich hatte ein gutes Leben, bin auf vielfältige Weise beschenkt und gesegnet worden und hadere nicht mit meinem Schicksal. Aber bevor ich gehe …“

„Sag das nicht, Nonno!“, flehte Allegra und presste seine Hand gegen ihre Wange.

Liebevoll betrachtete Giovanni seine Enkelin und schüttelte lächelnd den Kopf. „Du wirst es akzeptieren, wie du schon vieles in deinem Leben hast hinnehmen müssen. Du bist stark, Allegra, und das musst du auch sein, für das, worum ich dich bitten werde.“

Am liebsten hätte sie sich wie ein kleines Kind die Ohren zugehalten, um nicht noch mehr philosophische Sätze ihres Großvaters hören zu müssen. Doch bei drohenden Problemen den Kopf in den Sand zu stecken, war noch nie ihr Ding gewesen.

Nach dem Unfalltod ihrer Eltern hatte sie quasi über Nacht die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen müssen. Ihr ältester Bruder Alessandro und die beiden Teufelsbraten und Zwillingsbrüder Dante und Dario, die einem das Leben wahrlich zur Hölle machen konnten, wurden aufs Internat geschickt, sobald sie alt genug waren. Aber ihre drei jüngeren Geschwister standen unter Allegras Obhut, und sie tat, was sie konnte, um ihnen das Leben als Vollwaisen so leicht wie möglich zu machen, während ihr Großvater rund um die Uhr damit beschäftigt war, das Familienimperium auf- und auszubauen.

Natürlich war ihr die Rolle als Elternersatz nicht durchgängig gelungen, weshalb Giovanni zwischendurch immer wieder hatte einspringen müssen. Mit jedem Versagen wuchsen Allegras Selbstzweifel, doch das hielt sie nie davon ab, stets ihr Bestes für die Familie zu geben. An erster Stelle standen ihr Großvater und ihre Geschwister. Immer!

„Sag mir, was ich für dich tun soll, Nonno“, forderte sie daher nun auch – wenn auch mit klopfendem Herzen.

Entweder lag es an der Entschlossenheit in ihrer Stimme oder an Allegras unausgesprochener Akzeptanz seines Zustandes – ihr Großvater setzte sich jetzt aufrecht hin und bekam tatsächlich etwas Farbe. Während sie überlegte, was er gleich sagen würde, schlug ihr Herz wie verrückt. Es musste auf jeden Fall wichtig sein.

„Ich möchte, dass du etwas für mich besorgst. Etwas sehr Rares und Kostbares, das ich vor langer Zeit verloren habe.“

Sie nickte. „Okay, kein Problem. Ich rufe den Inhaber einer Detektei an, mit der ich schön öfter …“

„Nein, du sollst nichts finden, sondern es mir nur wiederbringen. Ich weiß ja, wo es ist.“

„Warum lässt du es dir nicht einfach schicken?“

Du sollst es mir beschaffen.“

„Aber warum gerade ich?“

Giovanni seufzte. „Ich muss wohl etwas ausholen. Du erinnerst dich an die Geschichte von meinen ‚Verlorenen Geliebten‘?“

Allegra nickte zögernd. „Matteo hat mir erzählt, dass er eines der kostbaren Stücke für dich aufspüren sollte. Es gibt sie also wirklich, ja? Ich hielt sie immer für ein Märchen.“

Um Giovannis blasse Lippen geisterte ein trauriges Lächeln. „Si, cara mia, es gibt sie wirklich. Ich habe sie damals verkauft, um Startkapital für unser Familienunternehmen zu haben, aber jetzt …“ Sein Blick schweifte ab.

Der weltferne Gesichtsausdruck krampfte Allegras Herz zusammen.

„Bevor ich sterbe, muss ich sie wiederhaben. Unbedingt!“

„Was immer es ist, ich werde es für dich finden, Nonno.“

Ihr Großvater seufzte erneut, diesmal vor Erleichterung. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen. Wenn ich mich recht erinnere, wurde meine geliebte Schatulle damals an einen Scheich veräußert. Er wollte sie unbedingt seiner Braut schenken und machte mir ein Angebot, das ich unmöglich ausschlagen konnte. Davon abgesehen …“

Da war es endlich, dieses leicht verschmitzte Lächeln, das Allegra so sehr an ihm vermisst hatte.

„Wer bin ich schon, dass ich mich der wahren, großen Liebe in den Weg stellen könnte?“

„Erinnerst du dich noch an seinen Namen? Oder woher er kam?“, fragte Allegra. Einmal, um möglichst schnell konkrete Fakten zu erhalten, aber auch, um ihren Großvater von Erinnerungen abzulenken, die ihn offensichtlich schwermütig machten. Sie kannte ihn als zupackenden, zukunftsorientierten Mann und ertrug den Anblick der fragilen, hinfälligen Gestalt vor sich im Krankenbett nur schwer.

„An seinen Vornamen kann ich mich nicht erinnern, aber er war Scheich und Herrscher von Dar-Aman. Als wir uns trafen, stand er kurz davor, sich mit der Frau seiner Träume zu vermählen. Die Schatulle sollte Teil seines Hochzeitsgeschenks sein.“

Nonno, ich werde tun, was ich kann, um sie dir wiederzubringen“, versprach Allegra. „Aber du darfst nicht vergessen, dass seither etliche Jahre ins Land gegangen sind. Die Schatulle könnte den Besitzer gewechselt haben, vielleicht sogar mehrfach.“ Sie fühlte sich verpflichtet, ihren Großvater zu warnen, dass sie ihm seinen Wunsch möglicherweise nur schwer oder gar nicht würde erfüllen können.

Doch Giovanni schüttelte überraschend energisch den Kopf. „Nein, ich wollte die Schatulle zurückkaufen, nachdem seine Frau verstorben war, aber er weigerte sich und schwor, sie nie wieder hergeben zu wollen. In den Folgejahren versuchte ich es wieder und wieder, leider ohne Erfolg. Sie ist immer noch im Palast von Dar-Aman.“

Die Emphase in seiner Stimme ließ Allegra vermuten, dass ihr Großvater seine kostbare Schatulle nie wirklich aus den Augen gelassen hatte. Aber warum hatte er dann bis jetzt gewartet? Besonders, da allein der Name Di Sione Türen wie von Zauberhand zu öffnen verstand, ganz abgesehen vom damit verbundenen Vermögen und …

„Du wirst sie mir wiederbringen, nicht wahr, cara mia?“

Dem flehenden Ton in seiner brüchigen Stimme hatte sie nichts entgegenzusetzen. „Natürlich, Nonno“, versicherte Allegra und umfasste zärtlich seine Hände. Die pergamentartige Haut war kühl, der Puls flatterte zart wie ein Kolibri unter ihren Fingerspitzen.

Giovanni musste plötzlich husten. Der raue, gequälte Laut griff ihr ans Herz, und als ihr Großvater dann auch noch zu keuchen anfing, sprang Allegra erschrocken auf.

„Nonno?“

Mit dem Kinn gestikulierte Giovanni in Richtung Sauerstoffflasche. Trotz Panik reagierte Allegra sofort, griff zur Atemmaske, hielt sie ihm über Mund und Nase und öffnete das Ventil an der Flasche, noch bevor ihr jemand zu Hilfe kam. Offenbar hatte die Pflegerin sich bewusst im Hintergrund gehalten, um ihrem Patienten und seiner Enkelin etwas Privatsphäre zu ermöglichen.

Allein ihre Anwesenheit verdeutlichte Allegra einmal mehr, wie schlecht es um ihren Großvater stand.

„Tut mir leid, Miss Di Sione, aber er braucht jetzt dringend Ruhe“, sagte sie jetzt leise.

Allegra schluckte und blickte zu ihrem Großvater, der nach der Maske griff und sie bis zum Kinn herunterzog. „Keine Sorge, diese Anfälle sind meist kurz und sehen schlimmer aus, als sie tatsächlich sind“, erklärte er mit schwacher Stimme. „In diesem alten Ackergaul ist noch weit mehr Leben, als es den Anschein hat.“ Er streckte ihr seine Hand hin, und Allegra griff rasch zu. „Bring sie mir nach Hause …“

„Das werde ich“, versprach sie mit schwankender Stimme. „Aber jetzt schlaf.“

Sein Griff verstärkte sich noch einmal kurz, bevor die Hand schlaff herabfiel.

Nach einem letzten Blick auf die ruhende Gestalt wandte Allegra sich zum Gehen, den Kopf voller Fragen, das Herz voller Trauer. Hinter ihren Lidern brannten heiße Tränen. Auf dem Weg zum Wagen zog sie ihr iPhone hervor, wählte Matteos Nummer und seufzte frustriert, weil sofort die Mailbox ansprang.

Ganz kurz dachte sie daran, ihre anderen Geschwister von Giovannis Zustand in Kenntnis zu setzen, nahm aber gleich wieder Abstand von der Idee. In den letzten Wochen hatte sie nur zu Matteo und Bianca Kontakt gehabt. Möglicherweise wussten die anderen besser Bescheid als sie und würden ihren Großvater besuchen, sobald ihre Verpflichtungen es zuließen. Warum sie dann noch mit der eigenen Traurigkeit behelligen?

Stattdessen würde sie sich voll und ganz darauf konzentrieren, ihrem Großvater seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Ein Versprechen, das sie ihm gegeben hatte und unter allen Umständen zu halten gedachte – komme, was wolle.

2. KAPITEL

„Allegra, es ist zehn Uhr.“

Mit einem Leuchtstift markierte sie eine weitere Passage des vor ihr liegenden Dokuments, dann schaute Allegra hoch. „Was?“, fragte sie abwesend, in Gedanken immer noch nach Lösungen suchend und sämtliche verfügbaren Kräfte bündelnd, um in dem kleinen ostasiatischen Land den Frauen mehr Rechte zu verschaffen. Und zwar gesetzlich verbrieft, um dauerhafte Fortschritte zu garantieren.

Eines hatte Allegra inzwischen begriffen: Egal wie groß oder klein, rückständig oder fortschrittlich ein Staat war, sich allein auf den diplomatischen Weg zu verlassen, erforderte einen langen Atem. Häufig dauerte das einfach zu lang.

Darum machte sie sich eine gedankliche Notiz, ihren Bruder Alessandro anzurufen und ihn zu bitten, an entsprechender Stelle einige für die Region lukrative Geschäfte vorzuschlagen, um den Dienstweg zu verkürzen. Sie hatte zu hart für die Rechte der Frauen dort gekämpft, um sich vor der letzten Hürde noch Knüppel zwischen die Beine werfen zu lassen.

„Scheich Rahim Al-Hadis Sekretär hat dir ein Zeitfenster von exakt fünfzehn Minuten eingeräumt.“ Zara, ihre äußerst effiziente Privatsekretärin, sah mit erhobenen Brauen auf die Uhr. „Jetzt sind es noch vierzehn …“

Allegra schnitt eine Grimasse und legte den Neonstift zur Seite. Nicht zum ersten Mal seit dem Besuch bei ihrem Großvater versuchte sie sich vorzustellen, was für ein Typ Mann dieser Scheich wohl war. Zu mehr als einer halben Stunde Internetrecherche hatte sie bisher keine Zeit gehabt. Und was sie dabei über den Regenten des arabischen Königreichs von Dar-Aman herausgefunden hatte, empfand sie, die sich seit Jahren für Frauenrechte und die Belange Unterdrückter stark machte, als Affront.

Aber sie hatte einen Auftrag zu erledigen, ein Versprechen zu halten.

Mit fliegenden Fingern wählte sie die Nummer auf dem Notizzettel, den Zara ihr hingeschoben hatte, und atmete erleichtert auf, als der Ruf durchging. „Allegra Di Sione für Scheich Al-Hadi, bitte“, sagte sie beherrscht und versuchte, die Bilder auszublenden, die dabei vor ihrem inneren Auge entstanden. Schillernde Eindrücke eines pompösen Playboy-Lifestyles – mit Diamanten besetzte Spiegel, goldbestickte Vorhänge, seidene Bettlaken und Kunstschätze in jedem Raum des königlichen Palasts.

Dass dieser dekadente Luxus und die damit verbundenen Exzesse auf Kosten seiner Untertanen gingen, daran hegte Allegra nicht den geringsten Zweifel. Ihre Hand krampfte sich um den Hörer, während sie mit zusammengekniffenen Lippen darauf wartete, endlich verbunden zu werden.

Sanfte arabische Klänge füllten die endlos erscheinenden Sekunden und glätteten wider Willen ihre aufgestellten Stacheln. Die Musik war überraschend weich, sinnlich … ja regelrecht hypnotisch, sodass sie entspannt den Kopf zurücklehnte und die Augen schloss. Ihre Gedanken schweiften zurück in eine Zeit, als romantische Liebesromane ihre ganz private Flucht vor der harten Wirklichkeit gewesen waren. Bereitwillig hatte sie sich in heißen arabischen Nächten von glutäugigen, dunkelhaarigen Männern in wehenden weißen Roben entführen lassen. Natürlich in die Wüste, auf einem wilden Hengst und …

„Hallo?“

Allegra fuhr zusammen und entnahm dem gereizten Tonfall, dass sie die erste Anrede offenbar verpasst hatte.

„Hmm … Scheich Al-Hadi, zunächst vielen Dank, dass Sie sich Zeit für ein Gespräch mit mir nehmen.“

„Sie können Ihren Dank darin ausdrücken, dass Sie möglichst schnell zum Anlass des Telefonats kommen und ihm die gebührende Aufmerksamkeit schenken“, kam es wenig ermutigend zurück.

Nicht, was er sagte, sondern seine dunkle, seidenweiche Stimme jagte Allegra heiße Schauer über den Rücken. Können Stimmen streicheln?

Ich verliere schon wieder den Faden! Energisch riss sie sich zusammen. „Mein Name ist Allegra Di Sione …“

„Wer Sie sind, ist mir bekannt. Worauf ich warte, ist der Grund Ihres Anrufs.“

Anstatt seinem arroganten Ton in gleicher Manier zu begegnen, atmete Allegra tief durch. Als Charity-Queen der Di-Sione-Familienstiftung hatte sie jahrelange Übung in diplomatischem Smalltalk, selbst, wenn ihr etwas ganz anderes auf der Zunge lag. „Es geht um eine … eher private Angelegenheit von höchster Priorität, die ich nur ungern am Telefon diskutieren möchte.“

„Da Sie und ich uns bisher nie persönlich begegnet sind, nehme ich an, dass es mit der Di Sione Foundation zusammenhängt, deren Präsidentin Sie sind, soweit ich weiß.“

Es irritierte sie, wie gut ihr Gesprächspartner im Bilde war – und wie ihr verräterischer Körper auf diese tiefe, raue Stimme reagierte. Nicht, dass er bisher ähnliche Reaktionen bei ihren unzähligen Diskussionen mit Vertretern des anderen Geschlechts gezeigt hätte …

Der Gedanke, dass der Tenor des kurzen Gesprächs möglicherweise allein von ihrer Antwort abhing, ließ Allegra zögern. Auf keinen Fall durfte sie jetzt einen Fehler machen. Die Mission musste einfach gelingen. Besonders, da sie nicht einmal sicher sein konnte, dass die Schatulle nach dem Tod des vorherigen Herrschers immer noch im Besitz des derzeitigen Scheichs Rahim Al-Hadi war.

„Tatsächlich hat mein Anliegen mit meiner Funktion als Vorstand unserer Familienstiftung zu tun“, formulierte sie mit Bedacht, während ihre Gedanken rasten und sie den Drang verspürte, die Finger hinter dem Rücken zu kreuzen.

Dabei glaubte Allegra weder an Glück noch Bestimmung oder gar Schicksal.

Sonst hätte es unter Garantie ihr Herz gebrochen, dass irgendein höheres Geschick entschieden hatte, sieben kleine Kinder im Bruchteil einer Sekunde zu Vollwaisen zu machen. Das Leben war das, was es war. Punkt aus!

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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