Stürmische Rückkehr in deine Arme

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Eigentlich sollte Dario Di Sione triumphieren - aber alles was er fühlt ist Wut! Denn die schöne Anwältin, die ihm auf Hawaii die kostbaren Ohrringe für seinen Großvater überreicht, ist niemand anders als Anais, seine Frau, die ihn vor Jahren infam betrogen hat! Einst ist Dario in ihren dunklen Mandelaugen vor Verlangen versunken, jetzt fühlt sich ihr Wiedersehen an wie ein böser Traum! Sein Vertrauen scheint für immer zerstört, und als sie ihm gesteht, dass er einen Sohn hat, trifft der stolze Milliardär eine fatale Entscheidung: Er rechnet auf seine Art mit ihren Lügen ab …


  • Erscheinungstag 15.08.2017
  • Bandnummer 0017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708573
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Maui präsentierte sich als exotisches Traumurlaubsziel, doch an Dario Di Sione waren farbenfrohe Üppigkeit und Fülle verschwendet. Beim Verlassen seines Privatjets umfing ihn die tropische Schwüle der hawaiianischen Insel wie eine viel zu intime vertrauliche Umarmung. Und wenn er momentan etwas überhaupt nicht ertrug, dann Intimität.

Die extreme Luftfeuchtigkeit ließ die verwaschenen Jeans und sein maßgefertigtes Jackett, das er auf dem langen Flug von New York City getragen hatte, schlagartig schwer und klamm erscheinen. Er beeilte sich, den klimatisierten Range Rover zu erreichen, der wie geordert am Rand des Flugfelds bereitstand.

Eine sanfte Brise wehte inseltypische Gerüche heran. Neben dem nahezu betäubenden Duft exotischer Blüten auch das herbere Aroma von den Zuckerrohrfeldern, die er eben noch überflogen hatte. Das ebenso aufregende wie verlockende Potpourri unterschiedlichster Aromen rief Erinnerungen wach, die ihm absolut nicht willkommen waren.

Schon gar nicht, während er versuchte, sich zu konzentrieren und auf eine rein geschäftliche Konversation einzustellen.

„Steht der Wagen wie gewünscht bereit?“, erkundigte sich seine Sekretärin Marnie über das brandneue Smartphone. Das Gerät war Darios aktuellstes ‚Baby‘ innerhalb der überaus erfolgreichen Angebotspalette von ICE. Als überzeugter User seiner eigenen Produkte konnte er mit Recht stolz auf den internationalen Erfolg seines Unternehmens sein.

„Ich habe ausdrücklich auf einem robusten Fahrzeug bestanden, weil die Zuwegung zum Fuginawa-Anwesen ziemlich unwegsam und zeitweise kaum passierbar …“, fuhr sie fort.

„Keine Sorge, ich schlage mich schon durch“, stoppte Dario ihren Redefluss und versuchte, sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Gleich im Anschluss an die erfolgreiche Präsentation seines innovativen Smartphones in die tropische Hitze fliegen zu müssen, ging ihm zwar gegen den Strich, aber das konnte er nicht seiner PA anlasten. Dafür war er selbst verantwortlich.

Warum hatte er sich auch von der Sentimentalität eines alten, kranken Mannes dazu verleiten lassen, Emotionen über die Vernunft zu stellen? Jetzt zahlte er den Preis dafür!

Anstatt am Schreibtisch zu sitzen, jettete er um den halben Erdball und fand sich in einer Südseekulisse wieder.

„Der Range Rover ist okay und vor Ort“, informierte er Marnie brummig.

Marnie schien zufrieden und ratterte eine endlos lange Liste von Anrufen und Textnachrichten herunter, die in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit im Büro aufgelaufen waren. In den letzten Monaten hatte Dario sogar im Büro übernachtet, um sich überflüssige Wege zu ersparen und keine kostbare Zeit zu verlieren. Es war wie eine Zeitreise zurück zu den Anfängen von ICE gewesen, vor sechs Jahren.

Dario seufzte, zog sein Jackett aus und hängte es sich an einem Finger über die Schulter. Er hasste diese aufdringliche Schwüle, die duftende Brise, und er hasste Flashbacks. Das laue tropische Lüftchen fuhr durch sein Haar wie ein Streicheln und stahl sich unter das feine Leinen seines weißen Hemds, das am Hals weit offenstand. Wie die sanften Finger einer Frau strich der Tropenwind über die schweißnasse Haut und ließ ihn schaudern.

Entnervt von seiner überbordenden Fantasie fluchte Dario laut und fuhr sich über das unrasierte, stoppelige Kinn. Momentan entsprach er nicht gerade dem Bild eines erfolgreichen Geschäftsführers. Dann auch noch eines Unternehmens, das innerhalb der Computer-Branche als Senkrechtstarter Aufmerksamkeit erweckt und dann geradezu durch die Decke gegangen war, während Dario Di Sione selbst als aktueller Darling der internationalen IT-Gemeinde gefeiert wurde.

Verdammt! Dieser Trip ist eine absolute Zeitverschwendung!

Trotz seiner angeschlagenen Verfassung versuchte er, sich auf die Nachrichten zu konzentrieren, bei denen Marnie eine Reaktion seinerseits als unumgänglich erachtete – und zwar möglichst gleich, wenn nicht noch früher! Aber was brachte das, wenn er sich am anderen Ende der Welt aufhielt, anstatt in New York wichtige Geschäfte abzuschließen? Er sollte heute an Marnies Stelle in seinem Büro in Manhattan sitzen, um sich persönlich darum zu kümmern.

Stattdessen hatte er sich dazu überreden lassen, eine zehnstündige Flugreise auf der Nostalgieschiene seines Großvaters anzutreten, um Nonno, wie Giovanni Di Sione von seinen Enkeln genannt wurde, einen Herzenswunsch zu erfüllen.

Nach seiner Ankunft in New York, als junger sizilianischer Einwanderer, hatte Giovanni eine Reihe von Schmuckstücken veräußern müssen, um sich eine Existenz aufbauen zu können. Dario wusste nicht, wie oft er sich in seiner Jugend die rührseligen Märchen über die Verlorenen Geliebten hatte anhören müssen, wie der alte Mann seine ehemaligen Schätze nannte. Jetzt, mit neunundachtzig und dem drohenden Tod vor Augen, bestand er mit seiner gewohnten Mischung aus Theatralik und Durchsetzungsvermögen darauf, sie zurückzubekommen … alle, und egal zu welchen Bedingungen.

Sie erinnern mich an die wahre Liebe meines Lebens …

Mit diesem melodramatischen Statement im Kopf hatte Dario sich deshalb zähneknirschend auf den Weg gemacht, um ein Paar Ohrringe von einem japanischen Milliardär zurückzukaufen, der als menschenscheuer Einsiedler auf Maui lebte.

Von dem Mann persönlich!

Dario schnaubte bei dem Gedanken an die despotische Order seines Großvaters, warf seine Reisetasche auf den Rücksitz des Rovers und feuerte sein Jackett gleich hinterher. Am liebsten hätte er die in seinen Augen schwachsinnige Mission rundheraus abgelehnt, als Nonno ihn anfangs des Monats zu sich aufs Familienanwesen bestellt hatte. Doch wer verwehrte einem alten Mann schon den letzten Wunsch? So abgebrüht war er dann doch nicht.

„Mailen Sie mir die wichtigsten Fakten, Marnie“, wies er seine Sekretärin an, bevor sie fragen konnte, was seine schlechte Laune zu bedeuten hatte. Er hielt große Stücke auf Marnie und wollte sie nicht beunruhigen. Ihr vertraute er mehr als jedem anderen, inklusive den meisten Mitgliedern seiner zur Dramatik neigenden und häufig nervtötenden Familie. Besonders …

„Geben Sie mir eine Minute, bis ich beide Hände frei habe, dann können Sie die Anrufe weiterleiten.“ Ohne Marnies Antwort abzuwarten, krempelte Dario die Ärmel seines Leinenhemds hoch, schwang sich hinters Lenkrad und installierte sein mobiles Freisprech- und Navigationsmodul im Rover. Er tippte die Adresse ein. Kaum hatte er das Flughafengelände verlassen, kam der erste Anruf.

Doch selbst während Dario der angespannten Stimme eines seiner Manager lauschte, der ihm ein mögliches Problem mit dem neuen Smartphone schilderte, dachte er an seinen Großvater und die sogenannte wahre Liebe eines sehr langen Lebens.

Verlorene Geliebte nannte man nach Darios Erfahrung aus einem ganz bestimmten Grund so. Für gewöhnlich, weil sie die ihnen entgegengebrachte Liebe nicht verdient hatten. Oder, und das war seine favorisierte Theorie, weil die einzige, große Liebe nichts anderes war als eine Lüge, mit der Betroffene ihr zumeist übertriebenes und häufig peinliches Verhalten erklären und entschuldigen wollten.

Was sollte man mit verlorenen Geliebten anfangen, wenn man sie endlich gefunden und die Wahrheit über sie herausgefunden hatte? Besser, das Vergangene dort zu lassen, wo es hingehörte, in der Versenkung. So konnte man sich wenigstens voll und ganz der Gegenwart stellen, ohne sie mit Altlasten zu vergiften oder sich von ihnen behindern zu lassen. Zumindest war es das, wofür er sich entschieden hatte.

Es war ihm schwergefallen, seinem Großvater nicht dasselbe zu raten, als er ihm zum x-ten Mal die alte verworrene Geschichte von Liebe, Geheimnissen und Blablabla aufgetischt hatte. Und ihn auf eine Missionsreise schickte, die jeder seiner Angestellten ebenso gut hätte erledigen können. Und doch war er wieder auf den alten Trick reingefallen. Sobald jemand es fertigbrachte, irgendwelche undurchsichtigen, überemotionalen Bedürfnisse absolut rational und schlüssig darzustellen, war er geliefert. Noch schlimmer war es, wenn eine angeblich unerlässliche Notwendigkeit dafür bestand!

Unerlässlich, notwendig … wie auch immer!

Eine Absage, beziehungsweise Weigerung wäre keine Option gewesen. Nicht gegenüber dem Mann, der ihn und seine Geschwister nach dem Unfalltod seiner Eltern bei sich aufgenommen und nach bestem Wissen und Gewissen großgezogen hatte.

Das gehörte sich einfach nicht, oder? Jeder, der ihm jetzt hätte zuhören können, würde ihn als kalt und zynisch bezeichnen. Käme es von jemandem, dem noch ein Funke an ihm lag, hätte er es vielleicht etwas milder als Dario Di Siones überdimensionale Vorliebe für nüchternen Realismus bezeichnet.

Und damit hätte er sogar richtiggelegen. Realismus, Fakten, Wahrheit. Alles Begriffe, die ihm sozusagen zum Fetisch geworden waren … damals, vor sechs Jahren.

Ihm war es egal, was über ihn geredet wurde. Doch was Nonno betraf, erschien es ihm schlichtweg einfacher, seinem Wunsch nachzukommen, als sich auf eine fruchtlose Diskussion mit einem alten, kranken Mann einzulassen. Selbst, wenn das bedeutete, quer über den Planeten zu fliegen, um ein Paar Ohrringe zurückzuholen, die ihm auch per Kurier hätten zugesandt werden können, wären sie nicht mit so viel sentimentalen Emotionen behaftet!

Nebenbei hatte er läuten hören, dass Nonno ihn nicht als Einzigen einspannte, um seine nostalgischen Bedürfnisse zu befriedigen. Er schickte alle Di Sione-Geschwister wegen seiner Lost Mistresses auf Reisen rund um den Globus.

Wenn es nach Dario gegangen wäre, könnte die Vergangenheit wahrhaftig da bleiben, wo sie hingehörte: begraben. Gleich neben seinen ebenso vergnügungssüchtigen wie unverantwortlichen Eltern, die in einem absolut vermeidbaren und allein durch Drogenmissbrauch verursachten Autounfall ums Leben kamen, als er gerade mal acht alt war. Danach waren die Paparazzi wie ein Schwarm Piranhas über den Di Sione-Clan hergefallen, was den kleinen Jungen zunächst verstört und später herausgefordert hatte und noch später anwiderte und abstieß.

Bis heute hatte sich diesbezüglich an seinen Gefühlen wenig geändert.

Wenn er ganz aufrichtig war, dann musste Dario zugeben, dass ein Teil seines Ichs nicht böse darüber gewesen wäre, nie wieder etwas von einem seiner Verwandten zu hören. Irgendwie erwartete er sogar genau das, nachdem der alte Mann seinen letzten Atemzug getan haben würde … und es wäre ja auch nur natürlich.

Dann könnte er sich endlich voll und ganz seiner Arbeit widmen, ohne auch nur den Anflug eines schlechten Gewissens zu haben. Sein Unternehmen beanspruchte jeden Funken seiner Vitalität, Kreativität und Aufmerksamkeit … und verdiente dieses Engagement auch.

ICE: Seine Firma, und – laut aktueller Medienberichte – die Nr. 1 in der globalen IT-Branche. Eine Position, die Dario sich mit harter Arbeit und eiserner Entschlossenheit erobert hatte. So, wie alles andere … alles, was zählte.

Das einzige Mitglied seiner Familie, dem er seine uneingeschränkte Liebe und Akzeptanz geschenkt hatte, war sein eineiiger Zwillingsbruder Dante gewesen. Bis dieser sein Vertrauen und damit ihre enge Verbindung zerstört und in den Schmutz gezogen hatte.

Er konnte nicht leugnen, dass sein Bruder ihn zutiefst verletzt, ja, nahezu zerstört hatte. Aber er hatte ihm auch beigebracht, dass es viel besser war, sich mit Menschen zu umgeben, die für ihre Loyalität bezahlt wurden, anstatt sich auf ihre Integrität und Anständigkeit zu verlassen.

Verdammt! Dario wollte nicht an seinen Zwillingsbruder denken! Das war der Ärger mit diesem erzwungenen Familienkontakt: Er weckte unliebsame Erinnerungen und brachte ihn auf Gedanken, die er normalerweise mit allen Mitteln unterdrückte.

Hoffentlich gelang es ihm, die absurde Mission seines Großvaters zu einem schnellen und erfolgreichen Ende zu bringen! Dann würde seine anstrengende Familie vielleicht endlich damit aufhören, alles, was vor sechs Jahren und seitdem schiefgelaufen war, ihm anzulasten. Zumindest, wenn sie die wahren Hintergründe kannten, aus denen er damals nicht nur seine Ehe beendet, sondern auch den Kontakt zu seinem Zwillingsbruder abgebrochen hatte.

Er jedenfalls konnte sich nicht daran erinnern, dass er seinem Bruder, noch dazu in der stressigsten Zeit seines Lebens, die Erlaubnis erteilt hätte, mit seiner Ehefrau zu schlafen.

Nicht mal stillschweigend! dachte Dario zynisch. Und dass mit ihm etwas nicht in Ordnung sein sollte, nur weil er sich weigerte, seiner Frau oder seinem Bruder diesen schmählichen Betrug zu vergeben, akzeptierte er schon gar nicht. Niemals!

Noch heute wurde ihm übel, wenn er daran dachte, wie perfide die beiden ihn an der Nase herumgeführt hatten, indem sie vorgaben, die spürbare Spannung zwischen ihnen beruhe auf Antipathie. Und er? Zu beschäftigt und eingespannt in die Überlegungen zur Zukunft der Firma, die Dante und er gemeinsam gegründet hatten, war so naiv gewesen, ihnen zu glauben. Er war dafür gewesen, mit ICE zu fusionieren, Dante dagegen. So hatte er sich allein in etlichen schlaflosen Nächten mit Zahlen, Daten, Fakten und Entscheidungen herumschlagen müssen, während die beiden …

„Accidenti!“ Wie häufig griff er vorzugsweise nach einer Verwünschung in der Muttersprache seines Großvaters, um sich Luft zu machen. „Das muss endlich aufhören!“, beschloss Dario. Wenn etwas mit ihm nicht in Ordnung war, dann allein die Tatsache, dass er sich immer noch von irgendeinem Mitglied der Di Sione-Familie beeinflussen ließ. Aber das würde in dem Moment aufhören, in dem er dem alten Mann diese verdammten Ohrringe in die Hand drückte. Danach würde er sich nur noch um sich selbst kümmern.

Mit grimmiger Miene steuerte er den Rover durch das Geschäftsviertel von Kahului, folgte den Anweisungen seines Navis, die ihn wegführten von unzähligen Läden, eingeschossigen Kaufhäusern und Restaurants, die sich vom Flughafen bis ins Inselinnere auf beiden Straßenseiten aneinanderreihten. Über eine Schnellstraße, die sich durch die Zuckerrohrfelder schlängelte, ging es weiter durch eine begrünte Hügellandschaft bis hoch in die West Maui Mountains, wo der Highway von ebenso vielen Windrädern wie Palmen gesäumt war.

Unterhalb des Vulkangebirges funkelte der Pazifische Ozean in sämtlichen Gold- und Grüntönen. Doch an Dario war die atemberaubende Aussicht verschwendet. Er war einfach kein Freizeittyp. Auf die Idee, irgendwo am Strand oder womöglich noch einem Pool herumzulungern, wäre er nie verfallen. Andererseits … würde ich je den Drang verspüren, einmal Urlaub zu machen, käme diese Insel durchaus in die engere Wahl, dachte er selbstironisch.

Seine letzte private Aktivität war ein Extrem-Sportwochenende mit einem der millionenschweren IT-Genies gewesen, wie es sie im Silicon Valley zuhauf gab. Aber da sie sich nach einem Skydiving-Event, das sie fast in die Stromschnellen des Colorado River befördert hätte, den Rest ihrer Zeit mit Diskussionen über technologische Geniestreiche vertrieben hatten, galt das wohl nicht.

Wieder fluchte Dario unterdrückt, genervt von seinem eigenen Gedankenkarussell. Dio mio! Wem gegenüber muss ich mich überhaupt für meine Arbeitswut rechtfertigen?

Ohne sie hättest du vor sechs Jahren vielleicht die ersten Anzeichen und Warnsignale wahrgenommen, meldete sich eine aufdringliche Stimme in seinem Hinterkopf.

„Santo Cielo!“ Es wurde wahrhaftig Zeit, dass er die verdammten Ohrringe in die Finger bekam und zurück nach New York fliegen konnte!

Die holprige Straße schmiegte sich inzwischen dicht an hoch aufragende Felsen, die zum Meer hin steil abfielen, dann fuhr er plötzlich über Schotter und roten Staub, der unter den Rädern des Rovers aufwirbelte. Dario verlangsamte das Tempo und lauschte übers Headset mäßig konzentriert der langatmigen Erklärung eines seiner Chefingenieure, als das Handysignal ausfiel. Grimmig starrte er auf den GPS-Monitor und seufzte, weil er offensichtlich noch eine ziemliche Strecke vor sich hatte.

Es war ihm schleierhaft, wie jemand freiwillig so weit ab von jeglicher Zivilisation wohnen konnte. Über den gegenwärtigen Besitzer der Ohrringe, die sein Großvater unbedingt wiederhaben wollte, wusste Dario nicht viel. Nur, dass er zu dieser Kategorie verschrobener Nabobs zählte, die ebenso berühmt waren für ihr Talent, das Familienvermögen auf unergründliche Weise ständig zu vermehren, wie für ihren Geiz und ihre Exzentrik.

Aber das hier hieß dann doch, den Bogen zu überspannen! Zumindest für seinen Geschmack. Eine befestigte Straße kostete sicher kein Vermögen.

Dario selbst wollte nirgendwo anders leben als in New York City. Er war gern mitten im Zentrum des Geschehens, wo man auch um vier Uhr nachts durch belebte Straßen streifen konnte, als wäre es vier Uhr am Nachmittag. Unterwegs anonym, aber mit Namen angesprochen, sobald man sein Lieblingsrestaurant betrat.

Die Einsamkeit und Stille hier draußen hatten für ihn so gar keinen Reiz, wie fantastisch die Umgebung und Vegetation auch sein mochten. Wozu das alles? Wenn man nicht aufpasste, verführte es höchstens zu rührseligen Gefühlsverwirrungen.

Seine Vorstellung von Entspannung bestand darin, einen neuen Deal abzuschließen und sein Aktiendepot aufzustocken. Und darin war er wirklich gut.

Er passierte einen kleinen Krämerladen, das einzige Anzeichen von Zivilisation seit etlichen Kilometern, dann ging es weiter auf der staubigen Schotterpiste. Zur Linken erstreckte sich hinter einem antiken Steinwall eine endlose Grünfläche, rechts hangelte sich die holperige Straße an kahlen Felsen entlang. Er fühlte sich wie auf einem fremden Planeten.

„Alles nur für dich, alter Mann …“, knurrte er ungnädig. Ohne Handyempfang war er seinen eigenen Gedanken überlassen, denen er, wenn irgend möglich, lieber auswich. Zumindest in den letzten sechs Jahren.

Er schaltete die Klimaanlage aus und ließ die Seitenscheiben herunter. Augenblicklich füllte sich das Wageninnere mit derselben mysteriösen Brise, die ihn bereits am Flughafen in Empfang genommen hatte. Es roch nach Sonnenschein, nach unbekannten Blumen und war wie Balsam für seine überreizten Nerven.

„Alles nur Einbildung!“, entschied er ungnädig und betrachtete die im Gegensatz zu dem exotischen Duftpotpourri extrem karge Landschaft um sich herum. Schwer zu glauben, dass dies eins der begehrtesten Touristenziele auf der ganzen Welt sein sollte. Keine Spur von angesagten Luxushotel-Resorts oder dem viel gepriesenen Golf-Mekka. Von beiden hätte er erwartet, dass sie sich über die ganze Insel erstreckten.

Dieser Inselteil war ganz offensichtlich die raue, ungezähmte Country-Side.

Eine kleine Kirche reckte den Kirchturm gen Himmel, als ob sie ganz allein hier am Ende der Welt dem Ozean trotzte. Kaum hatte er sie passiert, steuerte Dario den Rover wieder über schwarzen Vulkanschotter. Er war nah daran, die Geduld zu verlieren, als er plötzlich vor dem Eingang zum Fuginawa-Anwesen stand. Ein schneller Blick zur Uhr verriet ihm, dass er sich, sollte der Ohrring-Deal so schnell und reibungslos wie erwartet über die Bühne gehen, sofort wieder auf den Rückweg zum Flughafen machen könnte und morgen früh pünktlich in seinem Büro wäre. Ganz sicher würde er hier nicht eine Minute länger als notwendig bleiben.

Nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel fuhr Dario sich mit einer Hand durchs Haar und folgte der gewundenen Auffahrt bis zu einer eindrucksvollen, asiatisch inspirierten Haustür. In der fast greifbaren Stille erschienen ihm seine eigenen Schritte auf dem groben Kies überlaut, dafür öffnete sich die Tür völlig geräuschlos, bevor er sie berühren konnte.

Ein verbindlich lächelnder Bediensteter nahm ihn in Empfang und bedeutete Dario mit einer stummen Geste, ihm zu folgen. Das Hausinnere wirkte hell und luftig. Es war dezent möbliert, mit hohen Decken, an denen Ventilatoren sich mit einem leisen Sirren drehten und für eine angenehme Raumtemperatur sorgten. An den Wänden hingen unschätzbar wertvolle Bilder.

Zur Seeseite hin gab es deckenhohe Glasfronten, die man verschieben konnte, um Raum und Außenanlagen nach Gusto zu einer Einheit verschmelzen zu lassen. Für Darios Empfinden war das alles zu offen, zu leichtsinnig … ja geradezu unverantwortlich. Besonders angesichts der unbezahlbaren Gemälde und anderer extravaganter Kunstgegenstände.

Aber was ging ihn das an? Er investierte nur einen Teil seiner kostbaren Zeit. Mehr nicht.

Der stumme Bedienstete bedeutete ihm höflich, auf einer der Terrassen Platz zu nehmen, unter einer weinberankten Pergola, die angenehmen Schatten spendete, mit Blick auf den Ozean und die gewundene Straße, die er sich eben noch hochgequält hatte.

Es war so ruhig hier, dass Dario trotz der beachtlichen Höhe das Meer tief unter sich rauschen hörte. Eine Kulisse, die durchaus etwas für sich hatte, wäre da nicht die stressige Anfahrt.

Als er in seinem Rücken Schritte hörte, gab er seinen Aussichtsposten auf, zwang ein Lächeln auf seine Lippen, wandte sich um und erstarrte. Sekundenlang glaubte er zu träumen, zu fantasieren oder eine Fata Morgana zu sehen. Denn sie konnte es unmöglich sein! Doch das Bild änderte sich nicht.

Lackschwarzes Haar fiel glatt und schwer bis auf ihre Schultern herab, so perfekt geschnitten und gestylt wie in seiner Erinnerung. Ihr schlanker, graziler Körper steckte in einem ärmellosen schwarzen Maxikleid … und dann ihr Gesicht.

Dieses Gesicht! Ein perfektes Oval mit dunklen Mandelaugen, hohen Wangenknochen und vollen Lippen, deren Anblick ihn immer noch aus der Fassung bringen konnte.

Er war ein erwachsener Mann, erfolgreich und einflussreich. Und jetzt stand er da wie ein pubertierender Jüngling und starrte die Erscheinung vor sich an, als wäre sie ein Geist. Ein Trugbild dieses verdammten hawaiianischen Windes, der ihn zum Narren hielt, seit er einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte. Und der diese Vision auch leicht wieder mit sich nehmen konnte.

Aber das tat er nicht.

„Hallo, Dare …“, begrüßte sie ihn mit dieser selbstbewussten, aufreizenden Ruhe, die nur ihr eigen war. Sie war auch die Einzige, die seinen Namen auf diese Weise abkürzte.

Seine heimtückische, betrügerische Ehefrau, die er niemals hatte wiedersehen wollen. Und der er bis heute die Scheidung verweigerte, weil ihm der Gedanke gefiel, ihr wie ein Mühlstein am schlanken Hals zu hängen, sozusagen als Strafe.

Vor diesem Moment hatte sich Anais Kiyoko-Di Sione sechs lange Jahre gefürchtet.

Sie hatte vor Angst gezittert, von ihm geträumt – beides war gleichermaßen quälend gewesen. Doch nichts, was sie sich in ihrer Fantasie ausgemalt hatte, hatte sie auf diese Situation vorbereiten können.

Auf ihn … auf Dario Di Sione, in Fleisch und Blut.

So war es immer gewesen, von Anfang an. Egal, ob an jenem schicksalhaften ersten Winternachmittag in New York oder als er sich nach ihrer Heirat in einen Fremden verwandelt und sie beschuldigt hatte, ihn betrogen zu haben. Und dann einfach gegangen war.

In den Jahren danach hatte sie darum gekämpft, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Dann kam er her, und alles war wie zuvor.

Aber noch einmal würde sie ihm nicht Gelegenheit geben, sie so brutal zu verletzen. Sie musste sich nur erst von dem Schock erholen, ihm leibhaftig gegenüberzustehen. Wie sie das anstellen sollte, war ihr allerdings ein Rätsel …

„Was, zur Hölle, hast du hier verloren?“, grollte Dario.

Diese Stimme, so dunkel und rau wie in ihrer Erinnerung, sandte ihr selbst heute noch heiße Schauer über den Rücken. Ja, das war Dario Di Sione. Sie hatte ihn natürlich erwartet, aber innerlich gehofft, er würde vielleicht doch nicht hier auftauchen, nach all den Jahren. Und angesichts des Scherbenhaufens, den er hinterlassen hatte. Nach dem grausamen, lastenden Schweigen.

Doch er war es. Dario war hier, auf Mr. Fuginawas Terrasse, Kaupos saftig grüne Hügel auf der einen Seite, den schillernd blauen Ozean weit unter ihnen. Inmitten eines Paradieses, von dem sie gehofft hatte, er würde es nie betreten. Und trotz ihrer inbrünstigen Gebete, das Schicksal möge ihn für seine Härte und Brutalität strafen, präsentierte er sich ihr so arrogant und selbstsicher wie eh und je.

Es erinnerte sie an den Roman über Dorian Gray. Statt dass sich sein hartes Herz und seine schwarze Seele in einem verwüsteten Antlitz niederschlugen, war Dario Di Sione immer noch der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Er musste tatsächlich irgendwo ein Bildnis von sich verbergen, das seinen wahren Charakter widerspiegelte.

Wie unfair!

Während andere, weniger faszinierende Männer nach Aftershave oder Eau de Cologne rochen, verströmte Dario intensive Männlichkeit, pures Testosteron. Seine verwaschenen Jeans und das leichte Leinenhemd trug er mit einer dreisten Selbstverständlichkeit auf dem muskulösen Leib, die nur sehr reichen, mächtigen Männern zu eigen war und den lässigen Style wie ein formelles Outfit erscheinen ließ.

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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