Gewagter Deal mit dem Milliardär

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Endlich hat sie Benoit Chalendar aufgespürt! Der erfolgreiche CEO ist der einzige, der etwas über das verschwundene Erbe ihrer Familie weiß. Pflichtbewusst setzt die unkonventionelle Skye alles daran, die Soames-Diamanten wiederzufinden. Da macht Benoit ihr ein unverschämtes Angebot: Er hilft ihr bei der Suche – wenn Skye ihn heiratet! Entrüstet lehnt sie ab. Aber als sie gezwungen sind, in Benoits Haus in Costa Rica alleine Zeit miteinander zu verbringen, erwacht eine ganz neue, sinnliche Seite in ihr. Darf Skye sich gegen jede Vernunft auf diesen gewagten Deal einlassen?


  • Erscheinungstag 24.08.2021
  • Bandnummer 2506
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718947
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Feiner Nieselregen fiel vom grauen, wolkenverhangenen Himmel über dem Friedhof und benetzte Skyes schwarzen Wollmantel, der schwer und unbehaglich an ihr herunterhing. Sie atmete tief durch und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum sie und ihre Schwestern am Grab eines Mannes standen, den sie nie kennengelernt hatten.

Fröstelnd zog sie die Schultern gegen den eisigen Wind zusammen und schlang die Arme schützend um den Körper.

Vor vier Stunden waren sie vor ihrem kleinen Haus am Rande des New Forest von einer Limousine abgeholt worden. Die Nachbarn hatten sich die Nasen an ihren Fenstern plattgedrückt, um auch ja nur keine Sekunde dieses Schauspiels zu verpassen. Vermutlich standen sie nun zusammen und tuschelten und tratschten, so wie sie es immer taten. Und Skye und ihre Schwestern waren hier – um was zu tun? Dem Verstorbenen ihren Respekt zu zollen? Einem Mann, der seine einzige Tochter mit gerade einmal siebzehn Jahren vor die Tür gesetzt hatte? Der ihr seitdem nie einen Penny oder auch nur ein freundliches Wort geschenkt hatte? Denn das war im Grunde auch schon alles, was sie über ihren Großvater Elias Soames wussten.

Ihre jüngste Schwester Summer zog ihren Mantel enger um sich. Ihr Haar, das sie zu einem unordentlichen Zopf zusammengefasst hatte, war von einem hellen Blond, ganz anders als Skyes dunkles Braun oder Stars lange, feurigrote Locken, die der Wind ihr ins Gesicht peitschte. Jede der Schwestern ähnelte dem eigenen Vater. Viele würden sie Halbschwestern nennen, aber in den Augen von Skye, Summer und Star war nichts an ihrer Beziehung zueinander irgendwie halbherzig.

Star hob die Hand, um ihr tizianrotes Haar zurückzustreichen. Dabei sah Skye, dass die grünen Augen ihrer Schwester verräterisch schimmerten.

„Star?“

„Es ist einfach so traurig“, sagte sie leise.

„Wir kennen ihn doch gar nicht. Er hat unsere …“

„Asche zu Asche, Staub zu Staub“, fiel der Priester ihr ins Wort. Er klang beinahe vorwurfsvoll, doch Skye konnte beim besten Willen kein Mitgefühl für ihren Großvater aufbringen. Nicht, da ihnen allen schon bald eine weitere Beerdigung bevorstand. Eine Beerdigung, die das Leben von Skye und ihren Schwestern bis in die Grundfesten erschüttern würde.

Mariam Soames konnte wegen eines Therapietermins nicht an der Bestattung teilnehmen – wenn man das Einnehmen von Kräutertees und Schüssler Salzen als Therapie bezeichnen wollte.

Die einzig erfolgversprechende Behandlung wurde vom staatlichen Gesundheitsdienst nicht bezahlt, was ihre esoterisch angehauchte Mutter dazu bewogen hatte, sich vollkommen auf Naturheilverfahren zu konzentrieren.

Skye hatte sich die Nächte um die Ohren geschlagen, um einen Weg zu finden, die lebensrettende Therapie aus eigener Tasche zu finanzieren. Doch ganz gleich, wie sie auch hin und her rechnete – es reichte hinten und vorne nicht.

Sie blickte zu dem großen Haus in der Ferne. Ihre Mutter hatte mehr als deutlich klargestellt, dass sie selbst dann nicht zur Beerdigung gekommen wäre, wenn sie sich gesundheitlich dazu in der Lage gefühlt hätte. Soweit es Mariam Soames betraf, war zwischen ihr und ihrem Vater in jener Nacht vor siebenunddreißig Jahren, in der sie Norfolk verlassen hatte, alles gesagt worden.

Elias’ Anwalt nickte und beschloss damit die Zeremonie. Außer ihnen waren keine Gäste anwesend. Offensichtlich war Elias Soames in der Gemeinde nicht sonderlich beliebt gewesen, denn die Trauergesellschaft belief sich nur auf insgesamt fünf Personen, den Pfarrer mit inbegriffen.

Der Anwalt führte sie zurück zur Limousine und setzte sich nach vorne zum Fahrer, was jeden Versuch, ein Gespräch zu führen, unterband, bis sie das Anwesen erreichten. Bei dem Gedanken daran, dass ihr Großvater mehr als genug Geld besessen hatte, um die Behandlung seiner Tochter zu finanzieren, wurde Skye ganz schlecht. Gleichzeitig verspürte sie auch einen Anflug von Scham, weil sie nur aus einem einzigen Grund hier war: der Testamentseröffnung.

Keine fünf Minuten später fuhr der Wagen die gewundene Auffahrt hinauf, die zum Anwesen ihres Großvaters führte. Skye war nicht die Einzige, die beim Anblick des Hauses große Augen bekam.

Es mochte nicht die Pracht eines Landsitzes wie Downton Abbey – Summers Lieblingsfernsehserie – besitzen, aber weit davon entfernt war es nicht.

„Heilige …“ Star brach ab, als Skye sie unsanft mit dem Ellbogen in die Seite stupste. Elias’ Anwalt, Mr. Beamish, war auch so schon gegen sie eingenommen. Sie mussten es mit ihrem Verhalten nicht noch verschlimmern.

Skye stieg aus dem Wagen und war gezwungen, den Kopf in den Nacken zu legen, um das Gebäude in all seiner Größe zu bewundern. Unvorstellbar. Und ihre Mutter hatte all dem einfach so den Rücken gekehrt?

„Es gibt über zwanzig Zimmer im Haupthaus. Ost- und Westflügel werden schon seit Längerem nicht mehr genutzt, verfügen aber ebenfalls über jeweils fünfzehn Räume. Ich bedaure, aber wir müssen uns ein wenig sputen“, bemerkte Mr. Beamish. „Sie werden schon bald verstehen, weshalb. Bitte folgen Sie mir.“

Damit wandte er sich auf dem Absatz um und verschwand im Inneren des Hauses.

Skye und ihre Schwestern folgten ihm durch dunkle Korridore, die gesäumt waren von antiken Möbeln und Gemälden ihrer Vorfahren.

Ihre Schwestern sahen sich staunend um, doch Skye konzentrierte sich ausschließlich auf Mr. Beamish. Eine von ihnen musste einen kühlen Kopf behalten. Und wie immer würde sie diejenige sein.

Der Anwalt führte sie in einen Raum, bei dem es sich eindeutig um eine Art Büro handelte, und bedeutete ihnen, sich auf die bereitgestellten Stühle zu setzen. Erst als sie alle saßen, nahm auch Mr. Beamish seinen Platz hinter dem Schreibtisch ein.

Er zog einen Stapel Unterlagen aus seinem Aktenkoffer und begann mit den Formalitäten der Testamentseröffnung. Sie wusste nicht, woran es lag – ob an ihrer generellen Erschöpfung oder Mr. Beamish’ monotonem Tonfall –, doch es fiel Skye schwer, sich auf seine Worte zu konzentrieren.

Wie von selbst wanderte ihr Blick durch den Raum und blieb an einem Ölgemälde direkt hinter dem Anwalt hängen.

Das Bild stellte einen älteren Mann dar, bei dem es sich ohne Zweifel um ihren Großvater handelte. Er sah … grausam aus. Und unglücklich. Kein bisschen wie seine Tochter, die so voller Lachen und Liebe war, dass sie regelrecht zu leuchten schien. Skyes Mutter mochte flatterhaft sein und sich nicht um die praktischen Dinge des Lebens scheren, aber sie liebte aus vollem Herzen.

Sie blinzelte, als sie in die Gegenwart zurückkehrte und realisierte, was der Anwalt gerade gesagt hatte.

„Entschuldigung … was?“, fragte sie entsetzt.

„Wie schon gesagt, Miss Soames. Das ganze Anwesen wird Ihnen gehören – unter gewissen Voraussetzungen. Seit fünf Generationen gelten die Soames-Diamanten als verschollen. So wie sein Vater und sein Großvater vor ihm, hat auch Elias alles versucht, um sie zurückzuerlangen. Die Details seiner Suche finden Sie in diesem Ordner“, erklärte er und schob den grauen Aktenordner zu den drei Frauen herüber. „Vor seinem Tod hat mein Klient bestimmt, dass Sie das Anwesen erben, sofern es Ihnen gelingt, die Soames-Diamanten innerhalb von zwei Monaten nach seinem Tod wieder in den Besitz der Familie zu bringen.“

Skye war sprachlos. Ihre Gedanken überschlugen sich regelrecht angesichts all der Möglichkeiten, die das eröffnen könnte. Für sie. Für ihre Mutter.

„Wir könnten das Anwesen also auch veräußern?“, fragte Star.

Mr. Beamish nickte. „Sofern Sie die Diamanten finden, ja.“

„Ist eine solche Testamentsklausel überhaupt legal?“, hakte Skye nach, obwohl es ihr im Grunde herzlich egal war.

„Sollten Sie die Diamanten nicht finden, wird das Anwesen in den Besitz des National Trust fallen. Die kurze Frist dürfte es Ihnen schwierig machen, das Testament anzufechten. Davon abgesehen wäre ein solches Gerichtsverfahren kostspielig und zeitaufwendig.“

„Aber …“

Mr. Beamish unterbrach Summers Protest mit einem Räuspern und fuhr fort: „Ein Spesenkonto, das unter meiner Verfügungsgewalt steht, wurde eingerichtet, um für die Kosten Ihrer Bemühungen aufzukommen. Eine weitere Klausel im Testament besagt, dass mindestens eine von Ihnen für die gesamten zwei Monate hier auf dem Anwesen wohnen muss. Es steht Ihnen natürlich frei, die Bedingungen abzulehnen. Unter diesen Umständen wird das Anwesen mit allem, was dazugehört, unverzüglich in den Besitz des National Trust übergehen.“ Er bedachte die Frauen mit einem abschätzigen Blick. „Sie werden sicher in Ruhe über alles nachdenken wollen. Ich war so frei, Räumlichkeiten für die kommende Nacht für Sie herrichten zu lassen. Morgen früh erwarte ich dann Ihre Entscheidung.“

Er verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und verschwand.

„Verschollene Diamanten, wie romantisch“, meinte Star mit einem verzückten Seufzen.

Skye schüttelte den Kopf. „Romantisch? Im Ernst?“

„Ja“, beharrte ihre Schwester. „Ich finde es sogar unglaublich romantisch.“

Summer blätterte bereits in dem dicken Ordner, in dem die Details von Elias’ Anstrengungen dokumentiert waren, die Soames-Diamanten wiederzubeschaffen.

„Ich kann nicht einfach zwei Monate freinehmen. Ich habe einen Job“, erklärte Skye.

„Bei dem du noch keinen einzigen Tag gefehlt hast“, bemerkte Summer trocken, während sie weiter durch die Akte blätterte. „Rob würde dir alles geben, was du willst – du musst ihn einfach nur fragen.“

„Nun, es ist nicht mehr lange bis zum Ende des Schuljahrs, und ich bin sicher, dass ich unbezahlten Urlaub nehmen kann. Und Summer hat ja gerade ihren Abschluss gemacht“, sagte Star und lächelte verträumt. „Oh, das könnte richtig spaßig werden.“

Spaß war definitiv nicht das, was Skye als Erstes in den Sinn kam. Sie dachte daran, dass sie, wenn sie die verschwundenen Juwelen fanden, in der Lage sein würden, die Kosten für die Behandlung ihrer Mutter zu bezahlen. Oder vielleicht sogar eine noch bessere Therapie. Und womöglich …

Sie bremste sich, ehe das Pflänzchen der Hoffnung Wurzeln schlagen konnte. Sie war nicht wie Star, die überzeugt war, dass Wünsche und Gebete wahr wurden, wenn man nur fest genug an sie glaubte.

„Wenn wir die Steine ausfindig machen, könnten wir das Anwesen verkaufen“, sagte Summer.

„Aber wie sollen wir Diamanten finden, die schon seit einer halben Ewigkeit verschwunden sind?“, warf Star ein.

„Genau genommen seit 1871“, informierte Summer ihre Schwestern und blickte zum ersten Mal von dem Ordner auf. „Und selbst wenn wir sie fänden, an wen sollten wir das alles hier verkaufen?“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn. „Wobei … Ich kenne da vielleicht jemanden.“

„Jemanden, der ein paar hundert Millionen auf dem Konto hat?“

„Ja“, entgegnete Summer und ignorierte Skyes schneidenden Ton. „Es ist ein Schuss ins Blaue, aber auf jeden Fall einen Versuch wert. Und davon abgesehen, brauchen wir keine paar hundert Millionen. Wir brauchen einfach nur genug.“

Skye nickte. Sie brauchten nur genug, um Mariams Arztrechnungen zu bezahlen.

„Oh, wie großartig. Ein echtes Abenteuer“, jubelte Star.

Skye und Summer verdrehten die Augen angesichts der Begeisterung ihrer Schwester.

„Also, ziehen wir das durch?“, fragte Skye. Sie mochte ihr Leben lang die Vernünftige gewesen sein, als Gegengewicht zu ihrer Mutter, die mit dem Kopf in den Wolken hing. Doch selbst sie konnte nicht abstreiten, dass es aufregend war, auf eine echte Schatzsuche zu gehen.

Als Summer und Star nickten, gestattete Skye sich den Gedanken, dass dies womöglich der Beginn eines großen spannenden Abenteuers sein könnte.

1. KAPITEL

Zwei Wochen später war Skye zu dem Schluss gekommen, dass absolut gar nichts spannend oder gar abenteuerlich daran war, sich erfolglos durch jahrzehntealten Staub zu wühlen. Sie war gerade damit fertig, den letzten Raum im Westflügel nach den Diamanten zu durchsuchen. Beamish hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass die beiden Seitenflügel seit Jahren nicht mehr genutzt worden waren.

Als sie die Tür zur Bibliothek öffnete, die zum Hauptquartier der Soames-Schwestern geworden war, traf sie auf Star, die gerade – nicht besonders behutsam – ein gut und gerne hundertfünfzig Jahre altes Portrait durch den Raum schleifte.

„Ist das wirklich eine gute Idee?“, erkundigte sich Skye.

„Warum nicht?“ Ruck. „Ich dachte …“ Ruck. „Es könnte …“ Ruck. „Eine gute Inspiration sein.“

„Weil es eine schöne Stange Geld wert sein dürfte?“, vermutete Summer, ohne von den Unterlagen aufzublicken, die sie gerade studierte.

Star richtete das Bild auf, und Skye zuckte innerlich zusammen, als sie hörte, wie der vergoldete Rahmen über den alten Parkettfußboden kratzte.

„Hier“, verkündete Star und deutete auf die portraitierte Frau. „Catherine Soames Hochzeitsportrait, auf dem sie die Steine trägt. Kurz danach verschwanden sie spurlos.“

Skye unterdrückte ein Schaudern, als sie daran dachte, dass ihre Ururgroßmutter dazu gezwungen worden war, ihren Cousin zu heiraten. Elias’ Nachforschungen waren überraschend detailliert gewesen. Allerdings versuchten nun auch schon vier Generationen von Soames, die Diamanten ausfindig zu machen, seit sie aus den privaten Räumlichkeiten von Duke Anthony Soames verschwunden waren – zwei Tage nachdem das Gemälde, das Star gerade angeschleppt hatte, fertiggestellt worden war.

„Im Westflügel waren sie nicht, ebenso wenig im Ostflügel“, sagte Skye. „Und den Löchern im Putz nach zu urteilen hat Elias wirklich schon überall gesucht. Es sieht so aus, als wäre er mit dem Vorschlaghammer auf die Wände losgegangen.“

„Vielleicht war er verrückt, und Mum wollte deshalb nicht über ihn sprechen“, überlegte Star laut.

„Vielleicht liegt es in der Familie. Den Aufzeichnungen hier zufolge hat Anthony zuerst seinen persönlichen Diener wegen des Diebstahls in Ketten legen lassen und dann entschieden, dass Catherine sie versteckt haben musste. Allerdings war er nie in der Lage gewesen, das zu beweisen oder auch nur eine Erklärung vorzubringen, wie sie das angestellt haben sollte.“ Summer blickte von der Akte auf, die zu ihrem permanenten Begleiter geworden zu sein schien.

„Ich hoffe, sie hat sie versteckt. Der Duke scheint mir ein erbärmlicher Wicht gewesen zu sein.“

Stars Worte zauberten ein Schmunzeln auf Skyes Lippen. Sie schaltete das Licht ein, denn sie hasste es, wie düster es in der Bibliothek immer war. Dann ließ sie sich auf einen der Lederarmsessel fallen. Es war nicht leicht, unter den gegebenen Umständen optimistisch zu bleiben. Die Bedingungen des Testaments zu akzeptieren, hatte ihnen allen neuen Auftrieb geben. Doch nach zwei Wochen ohne jegliche neue Spur begann Skyes Hoffnung langsam zu schwinden. Nicht, dass sie das Star oder Summer gegenüber erwähnen würde. Die beiden verließen sich auf sie. Darauf, dass sie sie anspornte.

„Ich finde, wir sollten uns eine andere Operationsbasis suchen“, sagte Star und strich mit den Fingerspitzen über die Lederrücken der Bücher im Regal neben ihr. „Ich weiß auch nicht, irgendwie fühle ich mich hier … seltsam.“

„Seltsam?“ Summer lachte.

„Ja … ich weiß auch nicht. Irgendwie ist der Raum … schräg.“

Skye runzelte die Stirn. Ihr war es bisher noch nicht aufgefallen, aber jetzt, wo Star es ausgesprochen hatte, erkannte sie sofort, was ihre Schwester meinte. Skye sah sich um und versuchte, etwas anderes zu sehen als den Raum, in dem sie gemeinsam mehr Stunden verbracht hatten, als ihnen lieb war. Die kleine Bibliothek, die Damenbibliothek, Catherines Bibliothek – der Raum hatte mehr Namen als jeder andere auf dem gesamten Anwesen. Und alle drei Schwestern zogen ihn der ungleich grandioseren Bibliothek des Dukes vor. Trotz der Dunkelheit, die, jetzt wo Skye darauf achtete, damit zu tun haben musste, dass …

„Die Fenster!“, rief Summer im selben Moment, in dem auch Skye ein Licht aufgegangen war. „Die Regale auf der linken Seite … Ich glaube …“

Star lief aus dem Zimmer in den Gang hinaus, blickte zurück in die Bibliothek, nur um dann im angrenzenden Raum zu verschwinden, ehe sie zurückkehrte.

„Die Bibliothek ist kleiner, als sie sein sollte!“, stieß sie voller Begeisterung hervor, und Skye verspürte einen Anflug von Sehnsucht, der ihr nur allzu vertraut war. Ein Teil von ihr wollte gern ein bisschen mehr wie ihre Schwestern sein, die definitiv viel von ihrer Mutter hatten. Skye selbst ähnelte eher ihrem Vater, der ernsthaft, still und zurückhaltend war. Nicht, dass sie das wirklich ändern wollte, nein. Sie klammerte sich geradezu verzweifelt an alles, was sie beide miteinander verband, denn seit seiner zweiten Heirat hatten ihr Vater und sie sich immer mehr voneinander entfernt.

Skye schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich stattdessen darauf, was Summer machte. Nämlich alte Wälzer aus den Regalen ziehen und sie auf dem Boden zu einem Turm stapeln.

„Skye, kannst du …“

„Ich komme schon“, sagte sie. „Summer, das sind Hunderte Jahre alte Bücher, vielleicht solltest du ein bisschen …“

Ein weiterer Band landete mit einem Knall auf dem Boden.

„Entschuldigung“, murmelte ihre Schwester. „Es ist einfach nur so furchtbar …“

„Aufregend, ja, schon klar“, murmelte Skye. Doch wenn dies das Versteck der Diamanten war, dann hätte es doch sicher schon jemand vor ihnen gefunden – oder?

Zwei Regale waren inzwischen freigeräumt. Summer fuhr mit der Hand unter den Einlegeböden entlang, und plötzlich ertönte ein leises Klicken.

Skye stockte der Atem. Hatten sie die Steine gefunden? Konnte es wirklich so einfach sein?

Mit vereinten Kräften zogen sie – der mittlere Regalblock schwang zur Seite und gab den Blick auf eine versteckte kleine Nische frei. Staubpartikel tanzten durch die Luft und kitzelten Skye in der Nase.

Summer fasste in den Zwischenraum und holte ein in Leder eingeschlagenes Bündel hervor. Behutsam legte sie es auf dem großen Tisch ab. Alle drei Schwestern traten einen Schritt zurück, so als wäre es eine tickende Zeitbombe.

Star und Summer blickten Skye erwartungsvoll an. Diese holte tief Luft, ging zum Tisch und öffnete das Bündel.

Eine Woge der Enttäuschung erfasste sie, als sie den Stapel ledergebundener Bücher erblickte. Das waren nicht die Juwelen, nach denen sie suchten.

Summer nahm das oberste Buch und strich zärtlich über den Einband.

„Das sind Tagebücher“, sagte sie ehrfürchtig.

Zwischen den Tagebüchern fanden sie noch das kleine, gerahmte Portrait eines jungen Mädchens von etwa fünf oder sechs Jahren. Darum geschlungen war eine Kette mit Anhänger, das Metall vom Alter angeschlagen.

Skye drehte das Bild um und las die Inschrift auf der Rückseite.

Meine geliebte Laura 1876 – 1881

Das Mädchen war fünf Jahre alt gewesen.

„Das muss Catherines Tochter sein“, flüsterte Skye, überwältigt von Gefühlen. „Sie sieht genauso aus wie du in diesem Alter, Summer.“

Summer blinzelte kurz und räusperte sich. „Seht mal, hier“, sagte sie und reichte je eines der Bücher, die sie in der Hand hielt, an Skye und Star weiter.

Juni 1864

Heute wurde ich in die Gesellschaft eingeführt, und es war nicht, wie ich erwartet habe. Ich bin mir meiner Pflichten bewusst. Da es keinen männlichen Erben gibt, wird der Familienbesitz an meinen Ehemann übergehen. Doch der Gedanke, dass ich deshalb womöglich mit meinem eigenen Cousin verheiratet werden soll, ist mir unerträglich …

Star stieß einen entzückten Aufschrei aus. „Dieses hier ist von 1869, und sie ist im Mittleren Osten und schreibt über Elefanten und Wüstenschlösser …“

„Wir sollten sie chronologisch sortieren und durchgehen. Vielleicht enthalten sie Hinweise über die Juwelen“, schlug Summer vor.

„Warum? Das sind nur Tagebücher“, erwiderte Skye, obwohl es sich nicht richtig anfühlte, Catherines Erinnerungen einfach so abzutun.

„Tagebücher, die an einem geheimen Ort versteckt waren und bis heute unentdeckt geblieben sind“, schnappte Summer, wirkte im nächsten Moment aber so erschrocken über ihren Ausbruch, dass Skye ihr beruhigend den Arm tätschelte.

Star ließ die Kette durch ihre Finger gleiten. „Sie scheint mir nicht recht in die Zeitperiode zu passen.“

„Bist du neuerdings Expertin für Schmuck aus dem neunzehnten Jahrhundert?“, neckte Skye.

„Nein. Es ist nur so … romantisch.“

„Was ist denn der letzte Eintrag?“, fragte Skye. „Vielleicht gibt er uns einen Hinweis auf den Verbleib der Diamanten.“

Summer suchte das letzte Tagebuch heraus und schlug es auf der letzten Seite auf.

Zwei Tage ist es nun her, dass mein Hochzeitsportrait fertiggestellt wurde, und an dieser Stelle werde ich dieses Buch beschließen.

Im Leben gibt es keine Abkürzungen, und ich weiß schon jetzt, dass es die Reise ist, die wirklich von Bedeutung ist, und nicht das Ziel.

Und was mich betrifft: Ich habe meinen Pfad gewählt und werde das Beste daraus machen.

In Liebe, Catherine

„Na toll, das ist ja überhaupt nicht mysteriös“, schnaubte Skye.

Summer nahm ein anderes Buch vom Stapel und blätterte die Seiten durch, die bedeckt waren von verschnörkelter Handschrift.

Skye sah ihr über die Schultern und runzelte die Stirn, als sie einen einzelnen, unterstrichenen Buchstaben bemerkte. Kein Wort, keine Silbe – nur ein Buchstabe.

Zuerst dachte sie, dass es sich vielleicht nur um einen Tintenfleck handelte, doch dann entdeckte sie noch eine weitere Stelle. Und dann noch eine.

„Sind auf deinen Seiten auch unterstrichene Buchstaben?“, fragte sie Star und zeigte ihrer Schwester die entsprechenden Markierungen im Tagebuch. „Hier, sieh mal. Und da ist noch eine. Aber es findet sich nicht auf jeder Seite eine.“

„Das ist ein Code“, sagte Summer staunend. „Eine codierte Nachricht.“

Star seufzte. „Die zu entschlüsseln kann ewig dauern.“

Und tatsächlich vergingen Stunden, obwohl der Code eher simpel war. Summer las die einzelnen Buchstaben vor, Star schrieb sie auf. Für Skye blieb nur, ihren Schwestern, die sie beinahe ganz allein aufgezogen hatte, bei der Arbeit zuzusehen.

Es war Skye gewesen, die ihnen das Abendessen gekocht und bei den Hausaufgaben geholfen hatte. Skye hatte sie morgens für die Schule fertiggemacht, während ihre Mutter ihren Tagträumen nachgehangen hatte.

Doch in den letzten Jahren …

Sie waren alle älter geworden und lebten ihr eigenes Leben. Dennoch fühlte Skye sich manchmal ein bisschen zurückgelassen. So, als würde sie nicht mehr länger gebraucht.

„Ich glaube, ich hab’s!“, rief Summer schließlich. „Hier …“

Über die Person, die meine Nachricht entdeckt hat, kann ich zwei Dinge sagen: dass es sich um eine Frau handelt – kein Mann hätte sich die Mühe gemacht, all meine Aufzeichnungen zu lesen – und dass sie gescheit ist. Letzteres muss sie sein, wenn sie meine Tagebücher gefunden hat. Das allein macht sie schon würdiger und geeigneter, die Soames-Diamanten zu finden, als es mein Ehemann jemals sein könnte.

Er wollte sie schon immer haben. Und obgleich die Gesellschaft ihn als meiner würdig erachtet hat, so erachte ich ihn deswegen noch lange nicht der Steine würdig. Sie sind der einzige Teil des Familienbesitzes, der in weiblicher Linie vererbt wird, und so gedenke ich es beizubehalten.

Benoit Chalendar – ein Name, der jedem bekannt sein sollte, der meine Tagebücher kennt – hat die Karte zu den geheimen Verbindungsgängen.

Die einzige Karte.

„Chalendar? Warum kommt mir der Name so vertraut vor?“, fragte Skye, klappte ihr Laptop auf und gab den Namen in die Suchmaschine ein.

„Er ist der Mann, den Catherines Vater nach dem Feuer mit dem Wiederaufbau des Hauses beauftragt hat.“

„Was für ein Feuer?“

„Ein ziemlich übles. Ein großer Teil des Anwesens brannte nieder. Ich glaube, das ist passiert, noch ehe Catherine mit den Tagebüchern anfing. Sein Name taucht gerade in den ersten Einträgen mehrere Male auf“, erklärte Summer, ehe sie fortfuhr, die geheime Botschaft vorzutragen.

Er wird der erste Abschnitt der Reise sein, so wie er auch die meine gewesen ist. Wir liebten uns …

„Ich wusste es!“, jauchzte Star begeistert.

Jedoch auf eine vollkommen unschuldige und naive Art und Weise. Er hat mir versprochen, die Karte sicher aufzubewahren, ganz gleich, wie lange es auch dauern mag.

Viel Glück, mein Kind. Ich kann dich förmlich vor mir sehen: mutig, herzlich und gescheit. Und all diese Eigenschaften – und mehr – wirst du brauchen, um dein Ziel zu erreichen.

Skye betätigte die Entertaste und wartete auf das Bild eines Mannes aus dem neunzehnten Jahrhundert auf dem Bildschirm ihres Laptops. Doch stattdessen präsentierten sich ihr ein kantiges Kinn, blaue Augen und akkurat geschnittenes sandbraunes Haar – eindeutig aus diesem Jahrhundert.

„Wow, was für eine Augenweide …“

„Star“, wies Skye ihre Schwester zurecht, doch ihr war derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen. „Irgendwas stimmt nicht. Er ist … Er ist ganz offensichtlich …“

„Heiß?“, neckte Summer.

„Ja, das auch, aber sieh doch mal. Hier steht, dass er der amtierende CEO von Chalendar Enterprises ist. Jetzt, meine ich. Nicht damals.“

Autor

Pippa Roscoe
<p>Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...
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