Schicksalhafte Nacht unter tausend Sternen

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Auf der Suche nach den verschollenen Familienjuwelen begegnet die junge Engländerin Summer dem unwiderstehlich faszinierenden Theron Thiakos. Bevor sie es wagt, dem Geschäftspartner und Ziehsohn ihres lang vermissten Vaters ihre Identität zu offenbaren, lädt er sie zu einem romantischen Dinner ein. Wie im Rausch gibt sie sich ihm anschließend hin. Aber kaum erfährt Theron am nächsten Morgen, wer sie ist, verstößt er sie wieder aus seinem Leben! Verzweifelt bereut sie ihre Lüge – und hat doch bald noch mehr, das sie ihm verschweigen muss …


  • Erscheinungstag 28.06.2022
  • Bandnummer 2550
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509770
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Eine Nacht zuvor …

Leise fluchend überquerte Theron Thiakos die ruhige Straße im teuren Londoner Stadtteil Mayfair. Hörte dieser verdammte Regen denn nie auf? Wie konnten man so leben? Er selbst sehnte sich nach der sengenden Hitze und der hellen Sonne Griechenlands. Nach dem tiefblauen Meer, dessen Funkeln einen regelrecht blenden konnte.

Der wolkenverhangene Abendhimmel verlieh dem Haus, vor dem er schließlich zum Stehen kam, etwas Mysteriöses. Das war er also, der Club Victoriana: unglaublich exklusiv, die Mitglieder nach strengen Kriterien handverlesen.

Zwei Männer flankierten die Tür, von denen einer nun die Hand hob, um Theron zurückzuhalten, als dieser auf sie zutrat.

„Ich bin hier, um Lykos Livas zu treffen“, erklärte Theron und gab sich keine Mühe, die Abneigung zu verbergen, die in seiner Stimme mitschwang. Er hatte keine Zeit und erst recht keine Geduld für so etwas. Der Ärger, der dicht unter der Oberfläche brodelte, brauchte ein Ventil. Und Theron wusste auch schon genau, bei wem er diesem Ärger Luft machen würde.

Der andere Türsteher nickte, hielt die Tür auf und schickte ihn mit einem Kopfnicken zu einer Frau in knielangen Tweedhosen und einer Weste.

Lykos hatte schon immer einen Flair fürs Dramatische gehabt, aber das hier war so … englisch. So altmodisch.

Die Wärme, die ihm entgegenschlug, als er eintrat, war nach der nassen Kälte der englischen Nacht eine Wohltat. Er sehnte sich ein Glas Whiskey herbei, von dem er schon die gesamte Fahrt vom Soames-Anwesen in Norfolk hierher fantasiert hatte, wo er Summer auf den Steinstufen stehend zurückgelassen hatte, unfähig, ihr ins Gesicht zu sehen, als er davonfuhr.

Er hatte alles verloren.

Absolut alles.

Theron folgte der Hostess, die ihn durch die überraschend großzügigen Räumlichkeiten, die – der Name ließ es bereits erahnen – mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen aus der Viktorianischen Ära ausgestattet waren, führte. Und er war widerwillig beeindruckt von der Bar, die sich über die gesamte Länge des Hauptraumes erstreckte. Es mussten mindestens zwei Häuser zusammengelegt worden sein, um so viel Raum zu erhalten.

Er erblickte den Mann, nach dem er suchte, in einer Nische, zusammen mit einer hinreißend schönen Brünetten. Doch Letztere nahm Theron nur am Rande wahr – stattdessen blitzten volles, goldenes Haar, haselnussbraune Augen und rosige, fein geschwungene Lippen vor seinem geistigen Auge auf.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten, als Lykos endlich Notiz von ihm nahm. „Das ist alles deine Schuld“, warf Theron ihm bitter vor.

Lykos starrte ihn einfach nur an, so lange, dass Theron sich schon zu fragen begann, ob der andere Mann ihn überhaupt verstanden hatte. Dann blinzelte er. „Ich würde ja gern sagen, dass ich mich freue, dich zu sehen, aber …“

„Über derartige Nettigkeiten sind wir längst hinaus, Lykos, also wiederhole ich mich gern: Das ist alles deine Schuld.“

„Nun, das hängt wohl davon ab, was das ist“, entgegnete Lykos und nahm einen Schluck von seinem Drink.

Theron unterdrückte einen Fluch und wandte sich an die Frau in Lykos’ Gesellschaft. „Lassen Sie uns allein.“ Er war nicht gern so unhöflich, doch inzwischen wusste er wirklich nicht mehr weiter.

„Das wird wohl kaum notwendig sein“, protestierte Lykos halbherzig.

„Es ist ja wohl kaum so, als würdest du keine andere finden, die das Bett für dich wärmt.“ Theron wandte der Brünetten den Rücken zu und winkte die Barkeeperin heran. „Einen Whiskey.“

Sie nickte und verschwand im hinteren Bereich der Bar.

„Auch wieder wahr.“ Lykos zuckte mit den Schultern und wartete, bis seine Begleiterin beleidigt davongerauscht war, bevor er Theron einen scharfen Blick zuwarf. „Wir begegnen uns einmal in zehn Jahren, und jetzt werde ich dich plötzlich nicht mehr los?“

Es war eine Erleichterung, endlich wieder in seiner Muttersprache sprechen zu können. Es war inzwischen schon eine Woche her, dass er Athen verlassen und sich in diesem Höllenloch in Norfolk wiedergefunden hatte.

„Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt, Lykos.“

„Ja, du hattest wirklich noch nie einen Sinn für Humor.“

Therons Drink wurde gebracht, und er ließ sich auf den nun freien Sitzplatz neben Lykos gleiten. Er umfasste das Glas und starrte hinein.

„Du bringst am besten die ganze Flasche, glykiá mou“, sagte Lykos mit einem anzüglichen Grinsen an die Bedienung. Nicht, dass es die zu stören schien. Ganz und gar nicht sogar.

„Was hat dich überhaupt nach London verschlagen?“, fragte Theron und nippte an seinem Whiskey, obwohl er ihn am liebsten hinunterstürzen wollte.

„Mir gefällt es hier.“

„Ich glaube dir kein Wort. Kein Grieche, der diese Bezeichnung verdient, könnte all dieses … Grau mögen.“

„Grau? Hast du London schon mal bei Tageslicht gesehen? So schlimm ist es nun wirklich nicht.“

„Nun, auf jeden Fall ist Norfolk schlimmer.“

Lykos runzelte die Stirn. „Ist das so?“

„Allerdings. Sie haben sogar eine Farbe danach benannt.“

„Wonach? Norfolk?“

„Ja. Es ist ein bestimmtes Grau.“

Lykos grinste in sein Glas, bevor er wieder ernst wurde und seufzte. „Was hast du getan?“

Theron ballte die Hände zu Fäusten. Einen Moment lang war es wieder wie früher gewesen. Dieses Hin und Her, die Wortgefechte, die zwischen ihnen ganz natürlich gewesen waren. Weil sie einander so gut kannten. Oder gekannt hatten – bevor Lykos ihm und ihrer Freundschaft den Rücken gekehrt hatte.

„Wenn du nach Absolution suchst, bist du bei mir an der falschen Adresse“, warnte Lykos und musterte die Flasche Glenglassaugh, die die Kellnerin auf dem Tisch abgestellt hatte. Er schien darüber nachzudenken, ob er einen so guten Tropfen an jemanden wie Theron verschwenden wollte.

„Ich will keine Absolution. Ich muss wissen, warum du mich letzte Woche angerufen hast.“

„Um dich zu verspotten natürlich“, entgegnete Lykos mit einem süffisanten Lächeln. „Als dein Urlaubsflirt vor meiner Tür auftauchte …“

„Pass auf, wie du über sie redest“, grollte Theron.

„Oh, da ist jemand wohl etwas empfindlich, was?“ Lykos’ Grinsen wurde breiter. „Als die liebenswerte Miss Soames vor meiner Tür auftauchte, um mir ein Fünfzehn-Millionen-Pfund-Anwesen auf dem Land zu einem Drittel des Marktwerts anzudrehen, wollte ich einfach nur angeben. Ich habe mir schon immer ein Schloss gewünscht.“

„Es ist kein Schloss.“

„Ach, nein?“

„Und es ist heruntergekommen. Die Wände sind durchlöchert, und es ist kalt. Immerzu. Und feucht.“ Theron fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

„Nun, diese Details waren kein Bestandteil des Verkaufsgesprächs. Bist du deshalb hier? Um mich vom Kauf des Anwesens abzubringen?“

„Kauf das Anwesen“, sagte er müde. „Und zahl den Marktwert. Nutze nicht die verzweifelte Lage einer verletzlichen Frau aus.“

Lykos knallte sein Glas auf den Tisch und ignorierte die Blicke der anderen Gäste. „Auch ich habe meine Grenzen, Theron“, knurrte er. „Und du balancierst auf einem sehr schmalen Grat.“

Therons Herz hämmerte. Er wollte zurückschlagen, wollte seinem Ärger Luft machen, doch er schluckte die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, hinunter. Stattdessen starrte er Lykos an, der darauf zu warten schien, was er tun würde.

Zähneknirschend kam er zu dem Schluss, dass es wohl besser war, sich der Situation zu entziehen, und erhob sich.

„Setz dich wieder hin, bevor du noch zusammenklappst“, grollte Lykos.

„Zusammenklappst?“

„Ich bitte dich, ich kann die Tränen praktisch von hier aus riechen. Trink das.“ Er schenkte ihm eine großzügige Portion Whiskey ein. „Schließlich wollen wir nicht, dass du uns beide in Verlegenheit bringst, indem du zu heulen anfängst. Und danach sei doch bitte so gütig und verschwinde, ehe du auch noch jede andere angenehme Gesellschaft für heute Abend vergraulst.“

„Du bist wirklich unglaublich, weißt du das?“

„Theron, so schwer es dir auch fallen mag, mir das zu glauben, aber es interessiert mich wirklich nicht, worüber du so aufgebracht bist.“

„Früher hätte es das.“

„Aber du hast dich für Kyros entschieden“, schoss Lykos zurück.

„Nein. Du bist gegangen.“

„Und du hättest mir folgen können.“

„Um mich so dem Mann erkenntlich zu zeigen, dem wir alles verdanken?“

Lykos schüttelte den Kopf. „Das war schon immer dein Problem, Theron. Was wäre deiner Meinung nach ein angemessener Dank für das, was er für uns getan hat? Womit könnten wir uns jemals revanchieren?“

Theron wandte den Blick von seinem ehemals besten Freund ab, starrte in seinen Whiskey und ignorierte das Gefühl, dass er endlich etwas gefunden hatte, mit dem er diese Schuld begleichen konnte.

Sein Herz.

Und sein Kind.

„Schön“, schnaubte Lykos. „Erklär es mir, wenn das nötig ist, damit du aufhörst, mich mit diesem Hundeblick anzusehen. Ich bin ganz Ohr …“

Summer lief vor dem Kamin in der kleinen Bibliothek auf und ab, auf und ab, während die Tränen auf ihren Wangen langsam trockneten. Der Schmerz in ihrem Herzen aber wollte nicht weichen, ganz gleich, was sie auch tat.

Dieser Raum war in den vergangenen beiden Monaten zu einem Zufluchtsort für sie geworden. Jeder Quadratzentimeter so vertraut, als hätte sie schon ihr ganzes Leben in diesen düsteren Mauern verbracht. Doch anstelle der Bücher in den Regalen sah sie dunkle Augen vor sich, glühend wie Kohlen. Augen, die bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken vermochten und vor denen es kein Entrinnen gab.

Ein Zittern durchlief ihren Körper, als sie an letzte Nacht zurückdachte. Wie leidenschaftlich er sie geliebt hatte, sodass sie selbst jetzt noch das Echo ihrer Lust zu spüren glaubte.

Mit einem unterdrückten Stöhnen fuhr sie sich durchs Haar und blickte zum Feuer, dessen Flammen fröhlich im Kamin tanzten, so als wäre alles in bester Ordnung. So als würde ihre ganze Welt nicht in Trümmern liegen.

Noch vor sechs Monaten war sie eine naive Studentin der Geophysik gewesen, deren einzige Sorge darin bestand, wie sie ihren Schwestern jemals zurückzahlen sollte, dass sie mit ihrer harten Arbeit für ihre Studiengebühren aufkamen.

Und jetzt?

Sie war schwanger. Doch sie konnte es sich nicht leisten, darüber nachzudenken. Sie konnte nicht an Theron Thiakos denken, oder an ihren Vater, Kyros. Nein, stattdessen musste sie an ihre Mutter und ihre Schwestern denken. An die Schatzsuche, auf die sie, Star und Skye von ihrem verstorbenen Großvater geschickt worden waren, den sie nie kennengelernt hatten.

Die Aufgabe? Die Soames-Juwelen zu finden, die vor über einhundertfünfzig Jahren von ihrer Urururgroßmutter vor ihrem nichtsnutzigen Ehemann versteckt worden waren. Sie hatten Hinweise entdeckt, codierte Nachrichten entschlüsselt, und ihre Schwestern waren in der Weltgeschichte herumgereist, um die Gegenstände ausfindig zu machen, die sie brauchten, um die Diamanten zu finden.

Vor drei Wochen, als Skye nach Costa Rica und von dort aus weiter nach Frankreich gereist war, um die Karte der Geheimgänge zu beschaffen, die das Anwesen hier in Norfolk durchzogen, war es noch leicht gewesen, ihren Babybauch zu verbergen. Und Star, die kurz darauf nach Duratra in den Mittleren Osten aufgebrochen war, hatte die Anzeichen von Summers Schwangerschaft ebenfalls übersehen.

Den Anweisungen des Testaments ihres Großvaters folgend, war sie selbst, Summer, gezwungen gewesen, zurückzubleiben. Sie hatte die Tagebücher ihrer Urururgroßmutter studiert und nach Hinweisen darauf gesucht, wo genau Catherine die Familienjuwelen versteckt hatte – erfolglos. Aber wenn es ihnen gelang, den Schmuck zu finden, dann erfüllten sie damit die Bedingungen des Testaments, konnten das Anwesen verkaufen und mit dem Erlös die lebenswichtige Therapie für ihre Mutter bezahlen.

Das war alles, was im Augenblick wichtig war. Die Juwelen. Die Gesundheit ihrer Mutter. Alles andere musste sie für den Moment beiseiteschieben. Was insbesondere für den Mann mit den obsidianfarbenen Augen galt, der sein Herz mit einer Schale aus Granit umhüllt hatte. Granit, von dem sie gehofft hatte, ihn durchbrochen zu haben.

Sie legte die Hand auf ihren Bauch und versicherte sowohl sich selbst als auch ihrem Baby, dass alles in Ordnung kommen würde.

„Am Ende wird alles gut“, flüsterte sie und wischte die letzten Tränen fort. „Das sagt Tante Star jedenfalls immer.“

Der Klang der altertümlichen Türglocke hallte durch das riesige Gebäude, das – zumindest von außen – an Downton Abbey erinnerte. Drinnen allerdings sah die Sache ein wenig anders aus. Drei Generationen von Soames-Männern hatten das Anwesen zugrunde gerichtet und auf der Suche nach den Familienjuwelen riesige Löcher in die Wände geschlagen. Die Ironie war, dass sie ihrem Ziel dabei sogar ziemlich nah gekommen waren.

Summer atmete tief durch. „Es ist an der Zeit, deine Tanten kennenzulernen.“

Sie öffnete die Vordertür und fand sich im nächsten Augenblick in den Armen ihrer Schwestern wieder und spürte sofort das überwältigende Gefühl von Heimkommen. Es war ganz egal, wo auf der Welt sie sich aufhielten, solange sie nur zusammen waren.

Sie hatte die beiden so sehr vermisst.

„Oh, Gott, es tut so gut, dich wiederzusehen“, stieß Star atemlos hervor. „Wir haben dir so viel zu erzählen und … Was um Himmels willen ist das?“

Star starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an, und Skye folgte ihrem Blick zu Summers Babybauch und blinzelte schockiert.

„Überraschung“, sagte Summer, bevor sie erneut in Tränen ausbrach.

Sofort wurde sie wieder in die liebende Umarmung ihrer Schwestern gezogen, die sie trösteten und ihr versicherten, dass sie ihr unter die Arme greifen würden, wo sie nur konnten.

Skye auf der einen, Star auf ihrer anderen Seite, betraten sie kurze Zeit später wieder die kleine Bibliothek. Sie bugsierten Summer in den großen Ohrensessel, und Skye verdonnerte Star dazu, Tee aufzusetzen, während sie selbst Holz im Kamin nachlegte.

Schließlich ging Skye vor ihr in die Hocke und sah zu ihr auf. „Bist du okay?“

Summer nickte.

„Ist das Baby okay?“, fragte Star, die hinter ihrer Schwester stand.

Erneut nickte Summer. Ihre Hand wanderte wie von selbst zu ihrem Bauch, und als sie wieder aufblickte, lag ein seliges Lächeln auf den Lippen ihrer Schwestern.

Summer schniefte, und Star reichte ihr ein Taschentuch. Eines behielt sie für sich selbst und tupfte sich die Augen. Sie konnte sehen, wie Skye sich bemühte, angesichts der romantischen Verzückung ihrer mittleren Schwester keine Miene zu verziehen.

„Darf ich fragen …?“

„Ich will nicht darüber sprechen. Jetzt, da ihr zurück seid …“

„Summer“, meldete Star sich zu Wort.

„Bitte nicht.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Außerdem müssen wir die Juwelen noch finden.“

„Aber ich dachte, du hast sie bereits gefunden?“

„Ich habe sie noch nicht gesehen, weil ich auf euch gewartet habe.“

Skye runzelte die Stirn. „Die Diamanten sind da, wo sie sich befinden, in Sicherheit. Sie können warten. Du bist wichtiger. Und wir gehen nirgendwohin, bevor wir nicht wissen, was hier los ist.“

Der Wasserkocher ging mit einem leisen Klicken aus, und Star sagte: „Okay, dann trinken wir jetzt erst einmal eine Tasse Tee, ziehen Bilanz und … ihr wisst schon, atmen tief durch.“

Skye und Summer wechselten einen Blick.

„Okay, wer bist du, und was hast du mit Star gemacht?“, fragte Skye.

Star lächelte. „Wir haben einiges zu besprechen, oder etwa nicht?“

Während Star den Tee zubereitete, erzählte Skye von ihrem Verlobten Benoit und dem Chateau in der Dordogne, in dem sie die vergangenen Wochen verbracht hatten. Star stellte ein paar Fragen, bevor sie begann, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Sie berichtete von der Oase, zu der der Prinz von Duratra sie entführt hatte, von seinem Antrag und wie sie sich wünschte, sie hätte etwas qatayef für sie zum Kosten dabei.

Das alles half Summer dabei, sich zu beruhigen und die Gefühle zu verarbeiten, die sie überwältigt hatten. Schließlich aber sahen ihre Schwestern sie erwartungsvoll an.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“ Hilflos zuckte Summer mit den Schultern.

„Nun, am Anfang würde ich vorschlagen“, entgegnete Star, so als würde sie mit einem ihrer Schüler sprechen.

Summer amtete tief durch, dann nahm sie all ihren Mut zusammen und platzte hervor: „Ich habe meinen Dad gefunden.“

„Was?“ Skye blinzelte überrascht.

„In Griechenland.“

„Aber ich dachte, Mum wüsste seinen Namen nicht“, entgegnete Star stirnrunzelnd. „Deshalb hat sie ihn doch auch nicht ausfindig machen können und …“ Sie verstummte, als sie plötzlich begriff. „Oh, nein, wirklich? Sie hat es die ganze Zeit über gewusst?“

Summer nickte. Sie verstand jetzt, warum ihre Mutter so gehandelt hatte, aber sie selbst hätte sich anders verhalten.

„Warum hast du uns nichts gesagt?“, fragte Skye sanft.

„Ich wollte nicht, dass ihr schlecht von ihr denkt. Ich wollte nicht schlecht von ihr denken.“

Summer schüttelte den Kopf und versuchte die richtigen Worte zu finden, um zu erklären, warum sie diese Dinge für sich behalten hatte. Skyes Vater hatte eine neue Familie gegründet, nachdem er und Mariam sich getrennt hatten. Stars Vater war tragisch ums Leben gekommen, als diese gerade ein paar Monate alt gewesen war. Aber Kyros? Er war ihr Vater, und ein Teil von ihr fürchtete, dass ihre Schwestern nicht verstehen würden, warum sie das dringende Bedürfnis verspürte, einen Mann kennenzulernen, den sie nie getroffen hatte. Und wenn er sie am Ende zurückwies, dann mussten sie es nicht erfahren. Niemand musste es erfahren.

„Ich … wollte ihn zuerst allein treffen“, erklärte Summer.

„Und?“, fragten ihre Schwestern. „Hast du?“

1. KAPITEL

Fünf Monate zuvor

Du schaffst das, sagte Summer zu sich selbst, als sie aus der klimatisierten Ankunftshalle des Flughafens von Athen trat und ihr eine schier atemberaubende Hitze entgegenschlug. Suchend blickte sie sich nach der Bushaltestelle um und musste die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammenkneifen, das vom hellen Betonboden reflektiert wurde.

Sie starrte auf die Instruktionen, die ihr das Hotel hatte zukommen lassen – ein Hotel, das sich in Laufnähe von Kyros Agyros’ Büro befand. Nachdem sie sich einen sehnsuchtsvollen Blick in Richtung des Taxistands gestattet hatte, ging sie stattdessen zum Fahrscheinautomaten, der sich ganz in der Nähe befand und der zum Glück über eine englische Sprachversion verfügte.

Weniger als fünf Euro und zehn Minuten später saß sie im Bus, blickte zum Fenster hinaus und dachte daran zurück, wie sie das Foto ihrer Eltern auf dem Dachboden gefunden hatte, zwischen alten Alben und Familiendokumenten. Mariam hatte ihr immer gesagt, dass sie den Nachnamen von Summers Vater niemals erfahren hatte.

Oh, sie hatte ihr viele andere Dinge erzählt. Dass sein Name Kyros gewesen war und dass er, wie Summer, ein Muttermal auf Höhe des Schüsselbeins gehabt hatte. Dass er sie zum Lachen gebracht und ihr den Glauben an die Liebe zurückgegeben hatte. Und dass es, obwohl sie nur sehr kurz angedauert hatte, eine wunderbare und magische Beziehung gewesen war.

Summer hatte nie daran gezweifelt. Bis zu dem Moment, in dem sie auf der Suche nach ihrem Pass ein Foto von ihrer Mutter zusammen mit einem attraktiven Mann gefunden hatte. Und auf der Rückseite, geschrieben in der Handschrift ihrer Mutter – der Name Kyros Agyros.

Die Tatsache, dass ihre Mutter sie all die Jahre belogen hatte, zog ihr schier den Boden unter den Füßen weg. Und ganz gleich, wie sie sich auch wünschte, mit ihrer Mum darüber sprechen zu können, sie brachte es einfach nicht fertig. Weil Mariam Soames krank war. Sehr krank. Krebs.

Nein, sie konnte ihre Mutter nicht damit konfrontieren. Konnte sie nicht fragen, warum sie ihr den Namen ihres Vaters verschwiegen hatte. Es blieb also nur eine Option.

„Syntagma-Platz“, verkündete die automatische Ansagestimme des Busses, und Summer schnappte sich ihren Rucksack und hastete aus dem Bus. Während sie sich nach der Straße umschaute, die zu ihrem Hotel führte, nahm sie die Umgebung in sich auf. Auf der gegenüberliegenden Seite einer breiten Straße erhob sich ein imposantes Gebäude aus gebrannten Backsteinen, gegen die sich weiße Säulen abhoben. Hinter ihr auf dem Platz gab es einen Springbrunnen, in dem Kinder spielten und sich mit Wasser bespritzten.

Sie überquerte Athens wohl bekanntesten Platz, überwältigt von den vielen Eindrücken. Die Hitze, die Menschen, die Farben und die Geräusche. Alles war so anders als das, was sie kannte. Sie wollte versuchen, die Straße zu finden, in der sich ihr Hotel befand, als ihr ein modernes Bürogebäude auffiel, das hoch in den strahlend blauen Himmel hinaufragte und über dessen Eingangstür ein großes, leuchtend rotes Schild mit dem Namen ihres Vaters hing.

Sie hatte gewusst, dass sich sein Büro in der Nähe befand, aber … ein ganzes Gebäude? Ihr Herz fing an zu hämmern und pumpte Adrenalin durch ihre Adern. Dennoch straffte sie die Schultern und trat durch die gläserne Drehtür hinein in das große Foyer.

Summer blickte zum Empfangstresen, wo eine attraktive, dunkelhaarige Frau stand, die ihr ein Lächeln schenkte.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Ich …“ Summer holte tief Luft. „Ich möchte gern mit Mr. Agyros sprechen.“

Die Empfangsdame tippte etwas in ihren Computer. „Verstehe. Haben Sie einen Termin?“

„Leider nicht. Könnten Sie ihm vielleicht ausrichten, dass … Mariam Soames ihn sehen will?“

„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.“

„Es tut mir leid, ich weiß, ich habe keinen Termin, aber es ist wirklich unglaublich wichtig.“

„Das glaube ich Ihnen auch, aber es nicht möglich, weil er überhaupt nicht im Hause ist. Er macht Urlaub mit der Familie.“

Familie.

Summer wusste, es war nur ein Wort, und ihr war klar gewesen, dass Kyros Agyros eine Familie haben würde, aber es schmerzte trotzdem. Und außerdem sollte er hier sein. Sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht.

„Gibt es vielleicht sonst jemanden, den ich für Sie rufen kann?“

„Nein, vielen Dank“, entgegnete Summer kopfschüttelnd. „Wissen Sie, wann er zurück sein wird?“

„Es ist mir bedauerlicherweise nicht gestattet, darüber Auskunft zu geben.“ Die Empfangsdame lächelte bedauernd.

Wie in Trance verließ Summer das Gebäude. Sie hatte sich erkundigt – er sollte Pressemitteilungen zufolge an einer Konferenz hier in Athen teilnehmen. Wieder draußen auf der Straße lehnte sie sich gegen die Steinwand, die das Gebäude umgab, und schloss die Augen. Sie fühlte sich so verloren. Sie hatte fast ihre gesamten Ersparnisse auf diesen Trip verwendet. Ersparnisse, die eigentlich dafür gedacht gewesen waren, ihren Schwestern etwas zurückzuzahlen.

So dumm.

Hatte sie wirklich angenommen, dass sie … was? Einfach in sein Büro spazieren, sich vorstellen und mit offenen Armen von ihm empfangen werden würde?

Die Online-Recherche, die sie über Kyros gemacht hatte, konzentrierte sich auf seine finanziellen Erfolge und seine Charity-Aktivitäten, aber es gab nur sehr wenige Informationen über den Mann selbst. Er schien sich so weit wie möglich aus dem Blick der Öffentlichkeit herauszuhalten. Und die wenigen Artikel, die sie über ihn gefunden hatte, deuteten an, dass er seine Privatsphäre mit zwei Dingen beschützte: absoluter Rücksichtslosigkeit und einem Mann namens Theron Thiakos.

Als sie aufblickte, sah sie, wie ebenjener Mann durch die Drehtür des Bürogebäudes ins Freie trat. Er blieb ein paar Meter entfernt stehen und nahm ein Telefongespräch an. Mitten auf dem Bürgersteig stand er da und teilte die Passanten wie die Flut, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein.

Sie hatte Fotos gesehen. Dunkles Haar und ein ausdrucksvolles Gesicht, doch sie hatte damals mehr auf ihren Vater geachtet. Theron Thiakos jetzt in Fleisch und Blut zu sehen, raubte ihr schier den Atmen.

Er schien nur aus scharfen Winkeln zu bestehen, die sie mit den Fingerspitzen nachfahren wollte. Das war es, was Summer zuerst an ihm auffiel. Seine breiten Schultern, die kantigen Brauen und die Wangenknochen, an denen man sich schneiden konnte.

Summer schüttelte den Kopf. So hatte sie noch nie zuvor auf einen Mann reagiert. Sie holte tief Luft und versuchte, ihn objektiv zu betrachten, wie es sich für eine Wissenschaftlerin gehörte.

Er war groß, mindestens eins neunzig.

Geschmeidig.

Sie runzelte die Stirn. Was waren das für Gedanken? Und warum konnte sie sie nicht bremsen?

Dunkel. Grüblerisch.

Sie versuchte, ihre Atmung zu beruhigen in der Hoffnung, dass es ihr dabei helfen würde, ihren rasenden Puls in den Griff zu bekommen. Sie ging die Fakten noch einmal durch, die sie recherchiert hatte. Thiakos war nur sechs Jahre älter als sie und hatte mit achtundzwanzig mehr erreicht, als andere sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten. Er hatte eine sehr prestigeträchtige Schule besucht, zusammen mit den Kindern von Prinzen, Diplomaten.

Eine Eliteschule.

Summer biss sich auf die Lippe.

Nach seinem Wehrdienst bei den griechischen Streitkräften hatte er geradewegs eine hohe Position in Agyros’ Unternehmen eingenommen, bevor er sich mit seiner eigenen Sicherheitsfirma selbstständig machte. Agyros war Thiakos’ erster Auftraggeber gewesen, aber keineswegs sein letzter. Aber nichts bei ihren Nachforschungen hatte sie wirklich auf ihn vorbereitet.

Sie schloss die Augen, um sich zu sammeln. Als sie sie wieder öffnete, war er verschwunden.

Autor

Pippa Roscoe
<p>Pippa Roscoe lebt mit ihrer Familie in Norfolk. Jeden Tag nimmt sie sich vor, heute endlich ihren Computer zu verlassen, um einen langen Spaziergang durch die Natur zu unternehmen. Solange sie zurückdenken kann, hat sie von attraktiven Helden und unschuldigen Heldinnen geträumt. Was natürlich ganz allein die Schuld ihrer Mutter...
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