Hand in Hand ins zweite Glück

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Dammbruch in Penhally Bay! Zu Eves Entsetzen ist ausgerechnet Dr. Tom Cornish für die Leitung des Katastrophenteams eingeteilt. Der Mann, der sie vor Jahren verließ und ihr das Herz brach. Jetzt sind all die Gefühle von damals zurück - die Enttäuschung, der Schmerz, aber auch die Liebe. Niemals wollte sie den attraktiven Chirurgen wiedersehen, und doch konnte sie ihn nicht vergessen. Wird sie dem Glück eine zweite Chance geben?


  • Erscheinungstag 28.06.2016
  • Bandnummer 0010
  • ISBN / Artikelnummer 9783733705336
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Knarrend öffnete sich die Kirchentür von St. Mark’s. Eve Dwyer lächelte vor sich hin. Da kam einer auf den letzten Drücker. In ein paar Minuten würde die Trauung beginnen.

Neugierig, wer der Nachzügler wohl sein mochte, blickte sie über die Schulter, und ihr gefror das Lächeln auf den Lippen.

Er war es. Sein volles schwarzes Haar hatte zwar ein paar graue Strähnen, und die Stirnfalten waren vor zwanzig Jahren auch nicht gewesen. Doch Eve hätte den Mann, der mit langen Schritten zu einem der freien Plätze vorn strebte, überall erkannt.

Tom Cornish war wieder in Penhally Bay. Und hätte Eve nicht inmitten der dicht gedrängten Hochzeitsgäste gesessen, sie hätte Hals über Kopf die Flucht ergriffen.

„Gütiger Himmel!“, flüsterte Kate Althorp, die links von ihr saß. „Ist er das wirklich?“

Andere murmelten Ähnliches, wie Eve feststellte. Köpfe drehten sich in Toms Richtung, die Leute stießen ihre Nachbarn an, um sie auf den verspäteten Gast aufmerksam zu machen. Nicht die Jüngeren, aber alle über fünfundvierzig erinnerten sich anscheinend noch sehr gut an ihn. Deutete man die kritischen Mienen richtig, so schienen die wenigsten begeistert zu sein.

„Wer denn?“, fragte Lauren Nightingale zu ihrer Rechten, aber Kate kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten.

Mit Inbrunst griff der Organist in die Tasten, und die Klänge des Hochzeitsmarschs erfüllten die Kirche. Die Braut hielt Einzug. Eine Braut, die Tom nicht kennen konnte. Eve zerknüllte fast die feine Leinenkarte, in die mit goldener Schrift der Ablauf der Zeremonie geprägt war. Alison Myers und der Bräutigam Jack Roberts mussten noch Kinder gewesen sein, als Tom zuletzt in Penhally Bay war. Warum war er dann gekommen? Er hatte doch geschworen, sich nie wieder hier blicken zu lassen …

„Sieht Alison nicht reizend aus?“ Lauren seufzte verzückt, als die Braut in einem langen cremeweißen Satinkleid den Mittelgang entlangschritt.

Eve konnte sich nicht recht daran erfreuen. Ihr war plötzlich kalt, und der Duft der romantischen Blumengestecke verursachte ihr Kopfschmerzen. Hatte sie sich auf der eng besetzten Kirchenbank gerade noch in der Menge geborgen gefühlt, so bekam sie auf einmal kaum Luft.

„Eve, geht es dir nicht gut?“ Kate musterte sie besorgt.

Mit Mühe brachte Eve ein Lächeln zustande. „Doch, doch“, murmelte sie. „Es ist nur ein bisschen voll hier.“

Die Hebamme lachte leise. „Wir lieben Hochzeiten. Taufen auch, aber bei einer Trauung strömt ganz Penhally Bay in die Kirche.“

Selbst Dr. Tom Cornish. Eve versteifte sich, als sie sah, wie er sich halb umdrehte und über die Schulter blickte. Tom, der gesagt hatte, die Ehe sei ein Gefängnis. Tom, der frei sein, reisen wollte. Tom, der verdammt sein wollte, wenn er in dem Fischerstädtchen, wo er geboren war, für den Rest seines Lebens versauern würde. Das waren seine Worte gewesen.

„Oh, sind die beiden süß!“, flüsterte Lauren mit leuchtenden Augen.

Eve folgte ihrem Blick. Stolz präsentierten Alisons Sohn, der dreijährige Sam, und Jacks gleichaltriger Junge Freddie die rosenroten Samtkissen mit den Eheringen.

„Ja“, war das Einzige, was Eve hervorbrachte, während die Anwesenden um sie herum gerührt seufzten.

Was wollte Tom hier? Vor wenigen Jahren hatte sie in einem Ärztejournal gelesen, dass er an die Spitze von Deltaron gerückt war, um die Rettungseinsätze der weltweit operierenden Organisation zu koordinieren. Also müsste er jetzt irgendwo im Ausland sein, Katastrophenopfern helfen – und nicht in der kleinen Kirche von Penhally Bay im nördlichen Cornwall.

Die alten Wunden brachen wieder auf, und Eve wurde die Brust eng, als Schmerz sich mit wachsendem Zorn mischte.

„Eve, ist wirklich alles in Ordnung?“ Mitfühlend legte Kate ihr die Hand auf den Arm. „Du bist ganz blass.“

„Ich habe nur Kopfweh, das ist alles“, schwindelte sie. „Die Blumen, das Parfüm … starke Düfte vertrage ich nicht so gut.“

Kate warf ihr noch einen prüfenden Blick zu, schien die Ausrede aber geschluckt zu haben.

Reiß dich zusammen, ermahnte Eve sich im Stillen. Trotzdem ertappte sie sich immer wieder dabei, dass ihre Blicke von dem jungen Paar abschweiften. Hin zu Tom. Du meine Güte, du bist zweiundvierzig Jahre alt und kein junges Mädchen mehr! Wahrscheinlich erinnert er sich nicht einmal an dich.

Doch es half nichts. Sie konnte sich noch so sehr ins Gewissen reden, irgendwann wollte sie nur eins: verschwinden.

„Eve, du siehst furchtbar aus“, flüsterte Kate, während sich alle zusammen erhoben, als eine glücklich strahlende Alison an Jacks Arm auf den Ausgang zuschritt. „Warte, ich habe Paracetamol in meiner Handtasche …“

„Danke“, wehrte Eve matt ab. „Ich muss nur an die frische Luft.“

Und so schnell wie möglich weg von hier, bevor Tom mich sieht, fügte sie im Stillen hinzu. Sie schob sich mit den anderen durch die breite Doppeltür und flüchtete hinaus in den Sonnenschein. Eve war nicht groß, nur knapp einsfünfundsechzig, und wenn sie es geschickt anstellte, konnte sie in der Menge untertauchen. Danach brauchte sie nur die Harbour Road hinunter nach Hause zu eilen.

Am Montag würde sie dann in der Praxis erzählen, dass sie einen Migräneanfall bekommen hätte. Dafür würden alle Verständnis haben, ganz bestimmt. Also, dachte sie, einfach weitergehen, immer weiter, nicht umdrehen, und …

„Eve Dwyer? Bist du es wirklich?“

Seine Stimme hat sich nicht verändert. Sie klang noch genauso tief und weich wie früher, mit diesem leicht rauen kornischen Tonfall. Eve wollte erst so tun, als hätte sie ihn nicht gehört, aber sie schaffte es nicht.

„Eve Dwyer“, wiederholte Tom und schüttelte ungläubig den Kopf, als sie sich langsam zu ihm umdrehte. „Ich bin keine halbe Stunde in Penhally Bay und laufe dir über den Weg! Ich bin’s, Tom Cornish“, fügte er zögernd hinzu. „Sag bloß, du hast mich vergessen.“

Wie könnte ich? „Natürlich erinnere ich mich an dich, Tom. Du … du siehst gut aus.“

Und wirklich. Von Nahem betrachtet war er kräftiger als damals mit vierundzwanzig, aber es stand ihm ausgezeichnet. Auch die silbergrauen Strähnen in seinem dunklen Haar und die feinen Stirnfalten verliehen seinem Gesicht einen männlich markanten Ausdruck, den er früher noch nicht gehabt hatte. Doch am meisten faszinierten sie seine Augen.

Jahrelang hatten diese tiefgründigen grünen Augen sie bis in ihre Träume verfolgt, hatten sie geneckt, sie angelacht. Bis Eve glaubte, sie seien nur ein Produkt ihrer lebhaften Fantasie, entstanden im Lauf der Zeit – unwirklich.

Doch jetzt musste sie feststellen, dass sie genauso intensiv leuchteten wie in ihrer Erinnerung und Eve noch immer magisch in ihren Bann zogen. Sie schluckte unwillkürlich.

„Also …“

„Also …“

Sie hatten gleichzeitig angefangen, verstummten aber sofort wieder, und Eve spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.

„Ich wusste nicht, dass du Alison und Jack kennst“, brach sie schließlich das Schweigen.

„Wen?“

„Das Paar, dessen Trauung du gerade miterlebt hast.“ Eve trat zwei Schritte zurück, um den Leuten Platz zu machen, die aus der Kirche strömten.

„Bin ihnen noch nie in meinem Leben begegnet.“

„Warum kommst du dann zu ihrer Hochzeit?“, fragte sie verwirrt.

„Als ich kurz vor zwölf in Penhally Bay ankam, war die Stadt wie ausgestorben. Ich fragte an der Tankstelle nach, und man sagte mir, dass wahrscheinlich alle in der Kirche wären.“

Eve war genauso schlau wie vorher … weshalb war er hier? „Tom …“

„Tom Cornish!“ Mit einem herzlichen Lächeln eilte Kate auf sie zu. „Was um alles in der Welt bringt dich nach Penhally Bay? Ich dachte, du wärst noch in den Staaten.“

Tom sah sie prüfend an und grinste plötzlich. „Kate Templar, richtig?“

„Inzwischen Kate Althorp, Tom.“ Sie lachte. „Seit einer halben Ewigkeit.“

Auch Kates Frage hat er nicht beantwortet, dachte Eve.

„Kommst du mit zum Hochzeitsempfang?“ Kate winkte Reverend Kenner kurz zu. „Es gibt ein Büfett im Smugglers’ Inn, zu essen ist also genug da. Ich bin sicher, Alison und Jack möchten dich gern kennenlernen.“

„Tom hat sicher Besseres zu tun, als zu einem Empfang zu gehen, wo es von Ärzten und Krankenschwestern nur so wimmelt. Irgendwann werden sie nur noch über die Arbeit reden“, mischte Eve sich ein.

Toms Brauen gingen in die Höhe. „Da kann ich mithalten. Ich bin Arzt, schon vergessen?“

„Ja, aber …“

„Hast du Angst, dass ich mich betrinke, die Möbel zu Kleinholz schlage und deine Freunde beleidige?“, meinte er spöttisch.

Eve lief dunkelrot an. „Natürlich nicht, ich dachte nur …“ Sie stutzte, als eine kleine Hand sich in ihre schob. „Tassie, mein Schatz, wo kommst du denn her?“, beugte sie sich zu dem kleinen Mädchen mit den langen blonden Haaren herab.

„Ich war hier draußen“, antwortete die Zehnjährige. „Von Anfang an. Ich hab auf der Mauer gesessen und der Musik zugehört.“

„Oh Tassie, Liebes, warum bist du nicht in die Kirche gegangen?“, rief Eve aus. Das dünne fadenscheinige T-Shirt und die abgetragene Baumwollhose waren sicher nicht warm genug, um sich an diesem kühlen Oktobertag lange im Freien aufzuhalten. „Hier weht ein frischer Wind!“

„Mir war nicht kalt“, erwiderte Tassie. „Und ich bin doch für eine Hochzeit nicht richtig angezogen. Ihr Brautkleid ist wunderschön, nicht?“, fügte sie andächtig hinzu, während sie zu Alison und Jack hinüberblickte, die am Tor zum Kirchhof für den Fotografen posierten.

„Ja, sehr schick“, pflichtete Eve ihr abwesend bei. Der sehnsüchtige Ausdruck in den großen braunen Augen des Kindes ging ihr zu Herzen. „Tassie, weiß deine Mutter, dass du hier bist?“

„Sie hat gesagt, ich soll nicht zu Hause rumhängen. Sie macht sich bestimmt keine Sorgen.“

Nein, Amanda Lovelace wohl nicht, dachte Eve resigniert. „Tassie …“

„Kann ich nicht mit zum Empfang?“, unterbrach die Kleine sie. „Mrs. Althorp hat doch gesagt, es gibt genug zu essen. Ich bin auch ganz still, versprochen.“

Eve wurde das Herz schwer. Normalerweise konnte sie Tassie keinen Wunsch abschlagen. Das Kind wuchs in Verhältnissen auf, wo schöne Erlebnisse rar gesät waren. Aber Eve wollte nicht zum Empfang gehen, sie wollte nur nach Hause.

„Tassie, der Empfang ist eigentlich nicht für Kinder“, begann sie. „Sondern mehr für Erwachsene.“

„Quatsch“, mischte Kate sich ein. „Mein Sohn Jem ist dabei, und er ist erst neun. Alisons und Jacks Söhne kommen auch mit, die sind drei. Ich bin sicher, Tassie würde viel Spaß haben.“

„Vielleicht, aber ich glaube nicht, dass …“

„Ich schon“, ergriff Tom Kates Partei. „Wenn Tom Cornish eine Einladung bekommt, darf die Kleine auch mit.“

„Aber ihre Mutter weiß nicht, wo sie ist“, unternahm Eve einen letzten Versuch.

Tom zückte sein Handy. „Nutzen wir die Vorzüge moderner Technologie. Ruf sie an, und dann begleite ich zwei wunderschöne Frauen zum Mittagessen.“

Tassie kicherte, und Eve seufzte stumm. Was sollte sie noch sagen? Widerstrebend nahm sie das Telefon.

„Dann ist das ja geregelt.“ Kate schien zufrieden zu sein, während Eve rasch mit Amanda telefonierte. „Tom, Eve kann dir zeigen, wo das Smugglers’ Inn ist, falls du dich nicht mehr erinnerst, und …“ Sie verstummte abrupt, als ein dumpfes, metallisches Knirschen ertönte, gefolgt von einem verräterischen Klirren. „Was …?“

„Hört sich an, als hätte jemand etwas gerammt“, meinte Tom.

„Dreimal dürft ihr raten, wer“, antwortete Kate mit einem Stöhnen, als sie sah, wie Lauren aus ihrem Wagen stieg und entsetzt die Hand vor den Mund schlug.

„Ach, komm, Kate“, nahm Eve Lauren in Schutz. „Die Autos stehen ziemlich dicht. Wessen Wagen hat sie getroffen?“

Kate reckte den Hals. „Keine Ahnung. Es ist ein metallicblauer Range Rover. Nicht von hier, dem Nummernschild nach zu urteilen. Wahrscheinlich gehört er einem reichen Touristen.“

Tom räusperte sich. „Ich fürchte, der reiche Tourist bin ich. Also, wer ist die Dame, die gerade in meinen Wagen gekracht ist?“

Betreten sah Kate zu Eve, und Eve biss sich auf die Lippe.

„Lauren, unsere Physiotherapeutin. Sie ist ein lieber Mensch, aber leider schrecklich … unfallgefährdet.“

Und völlig aus dem Häuschen, fügte Eve insgeheim hinzu, als Lauren auf sie zueilte, mit sorgenvoller Miene und hochroten Wangen.

„Ich war ganz sicher, dass ich noch genug Platz hatte!“, rief sie aus. „Wisst ihr, wem der blaue Geländewagen gehört?“

„Ja, Tom“, antwortete Eve. „Tom, dies ist Lauren Nightingale.“

„Nicht Florence?“, sagte er umgehend, und Eve verdrehte die Augen.

„Tom, den Spruch hat Lauren sicher schon tausendmal gehört.“

„Jetzt tausendundeinmal“, sagte Lauren. „Aber das ist nicht so wichtig. Es tut mir furchtbar leid wegen Ihres Wagens …“

„Wie es aussieht, hat es Ihren Renault schlimmer erwischt.“ Tom musterte erst ihr, dann sein Auto kritisch. „Der Lack ist beschädigt, während bei mir nur die Abdeckung vom Bremslicht zu Bruch gegangen ist.“

„Was ich natürlich bezahlen werde.“ Lauren kramte in ihrer Handtasche. „Ich habe die Versicherungskarte dabei …“

„Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen einfach die Rechnung schicke, und wir regeln die Sache ohne unsere Versicherungen?“, schlug Tom vor. „Das wäre besser für Ihren Schadensfreiheitsrabatt.“

„Wollen Sie das wirklich machen?“, antwortete Lauren unsicher. Als Tom nickte, zog sie einen Notizblock hervor. „Okay, dann brauchen Sie meine Adresse. Ich wohne im Gatehouse Cottage, das ist …“

„Das Cottage, das am Fuß der Auffahrt zum Manor House liegt.“ Tom lächelte, weil sie ihn verblüfft ansah. „Ich bin in Penhally Bay geboren und habe hier die ersten vierundzwanzig Jahre meines Lebens verbracht. Ich kenne mich aus.“

„Wo kann ich Sie erreichen?“

„Im Anchor Hotel.“ Tom streckte die Hand nach Block und Kugelschreiber aus. „Aber nicht mehr lange, deshalb gebe ich Ihnen besser meine Londoner Adresse.“

Seine Londoner Adresse. Also lebt er nicht mehr in den USA, dachte Eve. Und was heißt das, er bleibt nicht lange im Hotel? Will er in sein altes Zuhause ziehen?

„Du wohnst im Anchor Hotel?“, fragte Kate, bevor Eve die Fragen stellen konnte, auf die sie so sehnlich eine Antwort brauchte. „Sehr edel.“

„Erstaunt es dich, dass sie einen Mann aus Cornwall durch die Tür lassen?“

Der scharfe Unterton war nicht zu überhören gewesen, und Kate errötete. „So meinte ich das nicht! Ich …“ Ihre Stimme verlor sich, ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus.

„Kate, solltest du dich nicht allmählich auf den Weg machen?“, sprang Eve ihr bei. „Alison und Jack sind gerade gefahren. Sie wundern sich bestimmt, wo du bleibst.“

„Oh ja, natürlich.“ Die Hebamme schenkte ihr ein dankbares Lächeln und eilte mit Lauren zu der Reihe parkender Autos.

Eve wandte sich zu Tom um. „Nach all den Jahren springst du immer noch darauf an, wie?“, fragte sie traurig.

An seiner Wange zuckte ein Muskel. „Nur in Penhally Bay“, sagte er knapp, zwang sich dann aber zu einem Lächeln, als er Tassies verwirrten Blick auffing. „So, Kleine, worauf warten wir noch? Wenn wir nicht bald beim Empfang sind, müssen wir die Reste essen.“

„Fahren wir in Ihrem Wagen? In dem schönen blauen?“

„Wir können doch zu Fuß gehen“, sagte Eve rasch. „Bis zum Gasthof ist es nicht weit.“

„Wir fahren“, bestimmte Tom. „Wenn ich zwei umwerfende Frauen zum Essen begleite, dann stilvoll – auch wenn das eine Bremslicht zerdeppert ist.“

Sie wäre lieber gelaufen, als auf begrenztem Raum neben ihm zu sitzen. Aber das konnte sie kaum laut sagen.

„Dann eben mit Stil“, fügte sie sich widerwillig.

„Kann ich vorne sitzen?“ Aufgeregt hüpfte Tassie von einem Bein aufs andere, und die blonden Haare flogen ihr um den Kopf.

Tom schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass Prinzessinnen immer auf dem Rücksitz, hinter dem Chauffeur sitzen?“

„Aber ich bin keine Prinzessin.“

Sein charmantes Lächeln hätte die Sonne hinter Wolken hervorlocken können.

„Heute schon“, sagte er, half Tassie auf den Sitz und verbeugte sich kurz. „Wohin wünschen Hoheit zu fahren?“

„Zum Smugglers’ Inn, so schnell Sie können, Chauffeur“, antwortete Tassie gebieterisch, fing aber gleich darauf an zu kichern.

„Das war nett von dir“, sagte Eve leise, als sie auf den Beifahrersitz glitt und Tom sich hinters Steuer setzte.

„Es gehört zum guten Ton, einer Frau die Tür aufzuhalten.“

„Nein, ich meinte, dass du so nett zu Tassie warst.“

„Sie ist ein liebes Mädchen.“

„Das sehen nicht alle so.“ Mit Mühe brachte sie ein Lächeln zustande, als Tom sie fragend anblickte. „Kennst du dich wirklich noch so gut in Penhally Bay aus, oder soll ich dir sagen, wie wir zum Smugglers’ Inn kommen?“

„Ich habe nicht das Geringste vergessen, was Penhally Bay angeht“, erwiderte er abrupt, verzog jedoch das Gesicht, als Eve die Brauen leicht zusammenzog. „Entschuldige. Kaum bin ich eine Stunde hier, werde ich gleich angriffslustig. Nein, ich brauche keine Wegbeschreibung“, fügte er hinzu, lenkte den Rover vom Parkplatz und bog links ab.

„Lebst du schon lange in London?“, wechselte sie das Thema. „Ich dachte, du wärst noch in den USA, aber du hast Lauren eine Londoner Anschrift gegeben.“

„USA, das ist zehn Jahre her. Ich habe eine Wohnung in London und ein Apartment in Lausanne, am Genfer See.“

„Klingt …“

„Nobel?“ Die feine Ironie war nicht zu überhören.

„Hübsch … Ich wollte sagen, klingt hübsch“, verteidigte sie sich.

Tom zuckte mit den Schultern. „Ich halte mich dort nur zwischen den Einsätzen auf. Beide sind kein richtiges Zuhause. Zu Hause sind Menschen, die du liebst. Deine Ehefrau, Kinder.“

Frag nicht. Eve sah durchs Seitenfenster, nahm die vorbeihuschenden Bäume aber nur schemenhaft wahr. Bäume, die langsam die Blätter verloren und über denen sich ein blauer Himmel spannte, wie es ihn nur in Cornwall gab. Du musst es nicht wissen, sagte sie sich, aber dann fragte sie doch.

„Du bist also nicht verheiratet.“ Sie wandte sich ihm kurz zu.

„Nein.“ Er bremste ab, als ein Kaninchen über die Straße flitzte. „Bei meinem Job ist der Alltag schlecht planbar. Ich habe niemanden gefunden, der das mitmacht. Jedenfalls nicht auf Dauer.“ Die grünen Augen suchten ihren Blick. „Und du?“

Sie sah wieder zu den Bäumen. „Nein, ich bin nicht verheiratet.“ Eve holte tief Luft. „Tom, kommst du wieder nach Penhally Bay zurück, oder bist du …?“

„Nur bis Montag. Ich muss ein paar Dinge … regeln. Dann verschwinde ich wieder.“

Erleichterung überschwemmte sie. Montag. Heute war Samstag. Damit kam sie klar. Falls sie sich morgen noch einmal trafen, konnten sie über dieses und jenes reden. Belangloses.

All die Jahre hatte sie stillgeschwiegen, das schaffte sie auch noch zwei weitere Tage. Welchen Sinn hätte es, ihm davon zu erzählen? Es würde ja doch nichts ändern und auch nicht weniger schmerzhaft sein.

„Eve?“

Sie bemerkte, dass er sie fragend anblickte, und zwang sich zu einem Lächeln. „Vor einer Weile habe ich gelesen, dass du bei Deltaron zum Einsatzleiter befördert worden bist. Du bist sicher froh darüber.“

„Ja, es ist nicht schlecht, wenn man an dem Schreibtisch sitzt, wo die Entscheidungen getroffen werden. Was ist mit dir? Arbeitest du noch als Krankenschwester?“

Sie nickte. „Hier in Penhally Bay habe ich allerdings erst vor einem Monat angefangen. Vorher war ich in Truro und Newquay. Alison – die Braut, deren Hochzeit du gerade gesehen hast – ist schwanger, und ich vertrete sie in der Gemeinschaftspraxis.“

„Das heißt, wenn ihr Mutterschaftsurlaub beendet ist, stehst du ohne Job da?“

„Bestimmt nicht lange. Krankenschwestern werden in ganz England händeringend gesucht. Ich finde schnell wieder was.“

„Aber du würdest lieber hier arbeiten, in deiner Heimatstadt.“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Eve verzog den Mund. „Du hast schon immer gesagt, ich hätte keine Fantasie.“

„Habe ich das? Oje, mit vierundzwanzig hatte ich eine ziemlich große Klappe, was?“

„Stimmt“, sagte sie, und er lachte. „Übrigens, Jacks Vater müsstest du kennen. Es ist Nick Roberts.“

„Der Arzt Nick Roberts?“

„Genau der. Seniorpartner in der Penhally Gemeinschaftspraxis und mein Chef.“

„Ich war auf der Hochzeit eines Mannes, dessen Vater mit mir studiert hat?“ Tom stöhnte auf. „Jetzt fühle ich mich richtig alt.“

Eve lachte auf. „Weißt du noch, wie wir jeden jenseits der vierzig für altersschwach gehalten haben?“

„Und jeder über fünfzig war schon scheintot. Da sieht man mal, wie wenig wir wussten.“ Ihre Blicke trafen sich wieder. „Eve …“

„Wann sind wir da?“, zwitscherte Tassie vom Rücksitz. „Ich hab solchen Hunger.“

„Mit anderen Worten, hör auf zu reden und fahr schneller“, meinte Tom verschmitzt.

„So ähnlich.“ Das Mädchen lachte verlegen.

Tom zwinkerte Eve lächelnd zu, und ihr Herz setzte einen Schlag aus.

Nein, sagte sie sich. Nein! Was vergangen ist, ist vergangen, und wenn ich mich mit ihm einlasse, wird er mir nur wieder wehtun. Und das überlebe ich nicht.

„Was ist los?“ Das übermütige Funkeln in den grünen Augen war schlagartig verschwunden, und Tom musterte sie fragend.

„Nichts, ich bin nur hungrig. Wie Tassie.“

„Eve …“

„Da vorn ist es!“, rief Tassie begeistert, als die granitgraue Fassade des Smugglers’ Inn vor ihnen auftauchte. „So viele Wagen! Hoffentlich finden wir noch einen Tisch.“

Eve wären Stehplätze lieber gewesen. Sie könnte sich unter die Gäste mischen und müsste nicht bei Tom bleiben.

Leider schien er Gedanken lesen zu können. Kaum war sie ausgestiegen, nahm er sie beim Arm und hakte sich bei ihr unter. „Auf ins Gewühl“, meinte er.

„Geht schon vor“, wich sie aus. „Ich muss nur eben …“

Vage deutete sie auf die Tür, hinter der die Damentoilette lag, aber es nützte ihr nicht viel.

„Wir warten hier auf dich, nicht wahr, Tassie?“

Tassie nickte mit leuchtenden Augen, und Eve blieb nichts anderes übrig, als hinter besagter Tür zu verschwinden.

2. KAPITEL

Zum Glück waren die Räume leer. Gesellschaft war das Letzte, was sie sich wünschte. Sie wusch sich die Hände und zog ihre Haarbürste aus der Handtasche. Du siehst furchtbar aus, dachte sie, als ihr ein bleiches Gesicht mit verschreckten braunen Augen aus dem Spiegel entgegenschaute. Die Meeresbrise hatte ihr schulterlanges braunes Haar leicht zerzaust und …

Zweiundvierzig, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich bin zweiundvierzig, und ich sehe auch so aus. Okay, das war kein Alter, aber vor zwanzig Jahren war sie schlanker gewesen und hatte noch nicht diese feinen Fältchen um die Augen gehabt. Und ihr Haar wäre nicht braun, wenn ihre Friseurin nicht alle sechs Wochen eine frische Tönung hineinzauberte.

Na und? Ungeduldig zog sie die Bürste durch die Strähnen. Was macht es schon, dass ich nicht mehr wie zweiundzwanzig aussehe?

Eine Menge, seufzte ihr Herz. Dann würde er erkennen, was er weggeworfen hat, als er dich verließ …

„Geht es dir besser?“

Wie ertappt wirbelte Eve herum. Kate Althorp stand an der Tür und lächelte aufmunternd.

„Sicher“, log sie.

Kate drehte den Hahn auf und wusch sich gründlich die Hände. „Für dich muss es ein Schock gewesen sein, Tom wiederzusehen.“

„Eher eine Überraschung.“

„Ja, aber ihr wart euch ziemlich nahe, bevor er in die USA ging, oder?“

Nahe. Was für ein sehr britischer, sehr distanzierter Ausdruck für Geliebte! Natürlich hatte Kate nicht vergessen, dass Eve und Tom in jenem Sommer unzertrennlich gewesen waren. Kate war nur ein paar Jahre älter, und in Penhally Bay konnte man nichts lange geheim halten, es sei denn, man legte es besonders darauf an.

Und Tom hatte sich nie darum geschert, was die Leute dachten.

„Kate, ich war zweiundzwanzig, er vierundzwanzig“, täuschte sie Gleichgültigkeit vor. „Wir hatten eine kurze Sommerromanze, mehr nicht.“

Kate schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders, trocknete sich die Hände ab und verließ den Raum.

Eve kniff die Augen zusammen. Oh nein, Tom Cornish, dachte sie, das wirst du mir nicht antun. Du wirst nicht alles wieder aufwirbeln und mir mein Leben kaputtmachen, das ich mir mühsam aufgebaut habe. Und auf das ich stolz bin!

„Vorbei ist vorbei“, sagte sie leise und sah wieder in den Spiegel. „Denk nicht mehr daran.“

Was leichter gesagt als getan war. Draußen vor der Tür warteten Tom und Tassie auf sie, verschmitzt grinsend wie zwei Verschwörer.

„Tassie war der festen Meinung, dass du in die Toilette gefallen bist“, sagte er. „Wir wollten noch fünf Minuten warten, dann hätte ich in meiner Eigenschaft als Deltaron-Einsatzleiter die Räume gestürmt.“

„Wer’s glaubt.“

Tom lächelte breit. „Meinst du, das würde ich nicht tun?“

Autor

Maggie Kingsley
Maggie Kingsley ist in Edinburgh, Schottland geboren. Als mittlere von 3 Mädchen wuchs sie mit einem schottischen Vater und einer englischen Mutter auf. Als sie 11 Jahre alt war, hatte sie bereits 5 unterschiedliche Grundschulen besucht. Nicht weil sie von ihnen verwiesen wurde, sondern der Job ihres Vaters sie durch...
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