Kann mein Herz dir vertrauen?

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Hauslehrerin für die beiden kleinen Töchter von Single-Dad Aiden sein – für Taryn genau der richtige Neuanfang nach ihrer gescheiterten Beziehung. Schon bald knistert es heftig zwischen ihr und Aiden. Aber sie darf ihr Herz nicht schon wieder in Gefahr bringen …


  • Erscheinungstag 16.01.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521277
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Taryn Robinson blickte in den Spiegel an der Schranktür, um ihr Outfit zu überprüfen. Für den bevorstehenden Termin hatte sie einen schwarzen Hosenanzug, eine weiße Seidenbluse und schwarze Wildlederstiefeletten angezogen.

Es war schon Jahre her, dass sie sich irgendwo vorgestellt hatte – das letzte Mal, als sie erst zweiundzwanzig gewesen war. Da hatte sie das Lehrerexamen ganz frisch in der Tasche gehabt und sich bewusst an einer Grundschule in Brooklyn beworben, an der sie nicht nur unterrichten konnte, sondern wo sie auch etwas zu bewirken vermochte.

Diesen Idealismus hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die sich als Sozialarbeiterin unermüdlich für ihre benachteiligten Klientinnen und Klienten einsetzte. Taryn hatte solchen Menschen ebenfalls helfen wollen, nachdem sie bei ihrem Referendariat in einem der sozial schwächsten Viertel von Washington D. C. mit eigenen Augen gesehen hatte: Einige Kinder fallen einfach durchs soziale Netz. Auch wenn sie natürlich Realistin genug gewesen war, um zu wissen, dass sie nicht die ganze Welt verändern konnte, sondern nur in Einzelfällen die Rolle einer helfenden Hand spielte.

Jetzt – fast zehn Jahre später – hatte sie an besagter Schule gekündigt, um alles, was ihr vertraut war, hinter sich zurückzulassen und in einen anderen Bundestaat zu ziehen.

Sie war jetzt zum dritten Mal in Wickham Falls – einer Kleinstadt in West Virginia mit weniger als viertausendachthundert Einwohnern und nur zwei Ampeln. Die ersten zwei Male hatte sie ihre frühere Mitbewohnerin und Freundin Jessica Calhoun besucht, und jetzt passte sie nach deren Hochzeit mit Sawyer Middleton auf Jessicas Hund auf, während das frisch verheiratete Paar Flitterwochen in der Karibik machte. Dabei nutzte Taryn die Gelegenheit, sich für die Stelle als Hauslehrerin für die Töchter des alleinerziehenden Vaters und ehemaligen Soldaten Aiden Gibson zu bewerben.

Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie nun das quirlige New York City gegen eine ruhige Kleinstadt in West Virginia eintauschen würde. Sie hatte in der Tat lange mit dieser Entscheidung gekämpft, aber da sie ihr Leben sowieso gerade neu sortieren musste, lag ein Neuanfang nahe. Mit ihren fast dreiunddreißig Jahren hatte sie wegen ihrer Trennung von ihrem Freund James nämlich wieder bei ihren Eltern und ihrer Großmutter einziehen müssen und pendelte seitdem täglich neunzig Minuten von Long Island bis nach Brooklyn und zurück, was ganz schön an ihren Kräften zehrte.

Früher einmal hatte sie keine zwanzig Minuten bis zur Schule gebraucht. Dann hatte sie ihre Wohnung in Brooklyn jedoch verkauft, um bei James einzuziehen. Als der schließlich mit ihrer Kollegin und besten Freundin Aisha geschlafen hatte, hatte sie ihre Sachen gepackt und war aus seiner Wohnung ausgezogen.

Und jetzt würde sie auch die Schule hinter sich lassen – vor allem, weil ihr das ersparte, Aisha täglich über den Weg zu laufen. Taryn hatte ihre hinterhältige Freundin nie mit deren Verrat konfrontiert, sondern sie einfach wie Luft behandelt, weil sie sich schon aus Prinzip nie mit einer Frau um einen Mann streiten wollte.

Natürlich würde sie ihre Eltern, ihre Großmutter, ihren Bruder und dessen Frau und Kinder sehr vermissen, aber dafür umso weniger die endlos langen Staus auf dem Long Island Expressway – auch längster Parkplatz der Welt genannt.

Aiden Gibson hatte ihr gestern am Telefon den Weg zu seinem Haus beschrieben. Taryn hatte bisher zwar keine Ahnung, warum er seine vier- und fünfjährigen Töchter zu Hause unterrichten lassen wollte, aber das würde sie schon noch herausfinden.

Nach einem letzten prüfenden Blick auf ihr Haar und ihr Make-up nahm sie die Tasche mit ihren Bewerbungsunterlagen, verließ das Haus und stieg in ihren erst kürzlich gekauften gebrauchten Nissan Pathfinder, um durch die weihnachtlich geschmückte Stadt zu fahren.

Sie brauchte keine vier Minuten bis zu Aiden. Beim Anblick seines großen dreigeschossigen weißen Hauses mit Rundumveranda, schwarzen Fensterläden und der amerikanischen Flagge wie der der US-Navy an den beiden Eingangssäulen musste Taryn lächeln. Aiden und ihr Bruder Langdon hatten anscheinend etwas gemeinsam; auch Lieutenant Robinson war bei der Navy, diente im Gegensatz zu Aiden jedoch noch.

Als sie aus ihrem SUV stieg, ging die Tür auf, und ein großgewachsener blonder Mann mit kurzem Militärhaarschnitt trat auf die Veranda und winkte ihr zu. Jetzt konnte sie der tiefen Stimme mit dem unverkennbaren Südstaatenakzent vom Telefon ein Gesicht zuordnen.

Aiden verbarg seine Überraschung, als er auf die Frau zuging, mit der er schon öfter telefoniert hatte und die ihn offen aus großen, etwas schräg geschnittenen hellbrauen, goldgesprenkelten Augen ansah. Wenn sie die Absicht hatte, einen guten ersten Eindruck auf ihn zu machen, war sie absolut erfolgreich. Alles an ihr strahlte Selbstsicherheit aus, außerdem war sie ausgesprochen attraktiv. Aiden konnte den Blick kaum von ihren zarten Gesichtszügen losreißen und bewunderte ihren Hautton – er erinnerte ihn ein wenig an Milchkaffee.

Er streckte seine rechte Hand aus. „Hi, ich bin Aiden Gibson.“

Taryn sah seine Hand zögernd an, bevor sie diese schüttelte. „Taryn Robinson.“

Obwohl er im Wolf Den, der Sportbar mit Restaurant seiner Familie, schon unzählige Vorstellungsgespräche geführt hatte, kam er sich plötzlich wie ein linkischer Teenager vor, der sich zum ersten Mal mit seinem Schwarm trifft. Taryn wollte aber auch nicht als Bedienung, Tellerwäscherin oder Köchin arbeiten, sondern sie bewarb sich für eine Stelle in seinem Privathaus.

Aiden ließ ihre Hand wieder los. „Kommen Sie rein, da ist es wärmer.“ Er ging ihr voran die Verandastufen hoch und ins Haus. „Haben Sie schon gefrühstückt?“

„Nein. Warum?“, fragte Taryn überrascht.

„Ich dachte, wir unterhalten uns beim Essen. Ich weiß, ich habe Sie gebeten, schon um acht zu kommen, weil ich um neun im Restaurant sein wollte, aber mein Bruder hat mir gerade angeboten, die Mittagsschicht im Wolf Den zu übernehmen.“

„Wer passt eigentlich auf Ihre Töchter auf, wenn Sie arbeiten?“

„Meine Mutter, meine Schwester Esther und meine Schwägerin wechseln sich ab. Meine Mutter ist extra für ein halbes Jahr aus Florida gekommen, um bei mir zu wohnen, ist inzwischen aber wieder zurückgekehrt, nachdem mein Stiefvater sich darüber beklagt hat, wie sehr er sie vermisst. Zurzeit passt meistens meine Schwester auf die beiden auf, wenn ich Spätschicht habe.“

Taryn folgte Aiden durch ein Fernseh-, Wohn und Esszimmer mit klassischen Landhausmöbeln. Auf den Holzdielen lagen bunte Teppiche, die Sofas waren cremeweiß und die Sessel mit unterschiedlich bedruckten Stoffen in verschiedenen Rot- und Rosatönen bezogen. Da sie auf dem College Kunst studiert hatte, war ihr Blick geschult – ihr fielen Farben und Symmetrien immer sofort auf.

„Wie oft arbeiten Sie denn abends?“

„Immer im Zweiwochenwechsel, je sechs Abende die Woche.“ Er zeigte auf die drei Hocker am Frühstückstresen. „Setzen Sie sich.“

Taryn stellte ihre Tasche auf den Fußboden und folgte seiner Aufforderung. Die Küche mit ihren Edelstahlgeräten, weißen Holzschränken und einem Großküchenherd mit integriertem Grill war ein Traum für jeden Profikoch. „Sind Ihre Töchter auch hier?“

Aiden schüttelte den Kopf. „Nein, sie sind gerade in Florida bei ihren Großeltern.“ Er wusch sich die Hände an einem der beiden Edelstahlbecken und streifte sich ein Paar Einweghandschuhe über. „Was wollen Sie zum Frühstück?“

„Oh, ich darf mir das aussuchen?“, fragte Taryn überrascht.

Er musste lächeln. „Na klar.“

In letzter Zeit fiel es ihm nicht immer leicht zu lächeln. Im Restaurant fehlte nämlich gerade ein Koch, sodass er viele Überstunden machen musste und noch weniger Zeit für Allison und Livia hatte als ohnehin schon. Außerdem hatte er Schuldgefühle seiner Mutter gegenüber, die eigentlich ihren Ruhestand genießen sollte, statt ständig auf ihre Enkelinnen aufzupassen. Trotzdem war er froh, die Scheidung hinter sich gebracht und das alleinige Sorgerecht erstritten zu haben.

Taryn stützte die Ellbogen auf die Granitplatte und legte das Kinn auf die Hände. „Haben Sie eine Speisekarte?“, fragte sie frech lächelnd.

Sein Lächeln vertiefte sich. Diese Lehrerin war anscheinend nicht nur bildhübsch, sondern auch witzig. „Im Moment nicht, aber ich richte mich ganz nach Ihren Wünschen.“

„Wenn das so ist, dann hätte ich gern einen Bagel mit Räucherlachs.“

„Sorry, aber die Bagels sind mir leider ausgegangen.“

Taryn rümpfte die Stupsnase. „Dann hätte ich gern ein richtiges Südstaatenfrühstück mit Maisgrütze, Rührei, knusprigem Speck, Buttertoast und Kaffee.“

Die gefällt mir, dachte Aiden, während er den Ofen vorheizte. Anscheinend hatte sie Sinn für Humor – etwas, das seiner Exfrau vollkommen abgegangen war. Denise hatte immer behauptet, nun mal keinen Grund zum Lachen zu haben, wenn die ganze Stadt sie und ihre Familie hasste.

„Das krieg ich hin. Wollen Sie etwas Käse in Ihre Maisgrütze?“

„Gern, danke.“

Aiden ging zum Kühlschrank, um die Zutaten herauszuholen. In seiner Küche fühlte er sich äußerst wohl. Schon als kleiner Junge hatte er zu Hause immer gern seinem Vater beim Kochen zugesehen, und seit Teenagerzeiten stand er zusammen mit den anderen Männern seiner Familie in der Küche des Wolf Den.

„Können Sie auch kochen?“, fragte er Taryn, während er Eier, Speck, Brot und einen Beutel mit geriebenem Cheddarkäse zur Kücheninsel brachte. Er legte die Speckstreifen auf ein Backblech und bestreute sie mit braunem Zucker, bevor er das Blech in den Ofen schob.

„Ja, aber ich backe lieber.“

„Bei mir ist es genau andersherum. Ich koche gern, aber backen ist nicht so mein Ding.“

Taryn glitt vom Hocker, zog ihr Jackett aus und hängte es über die Rückenlehne. „Arbeiten Sie auch an den Wochenenden?“

„Im Moment schon, weil uns ein Koch fehlt.“ Er hob den Kopf und zögerte einen Moment. „Bevor wir mit dem Vorstellungsgespräch beginnen, will ich Sie erst mal etwas fragen.“

„Was denn?“

„Warum sind Sie bereit, meine Töchter zu unterrichten?“

Taryn erwiderte seinen Blick direkt. „Warum brauchen Sie eine Hauslehrerin für Ihre Töchter?“, fragte sie zurück.

Aiden wirkte etwas irritiert. „Ich habe Sie zuerst gefragt.“

„Ich kann Ihre Frage erst beantworten, wenn Sie auf meine antworten. Schließlich sind Sie derjenige, der jemanden für seine Töchter sucht.“

Sie lieferten sich eine Art Blickduell, bis Aiden schließlich widerstrebend nickte. „Hat Sawyer Ihnen schon erzählt, was man hier über meine Ex-Frau und ihre Familie sagt?“

„Er hat mir gegenüber nichts erwähnt“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Die Wilkinsons sind mehr oder weniger die schwarzen Schafe der Stadt, und da meine Töchter von ihnen abstammen, werden sie etwas schief beäugt. Viele Eltern erlauben ihren Kindern nicht, mit Livia und Allison zu spielen, weil sie angeblich einen schlechten Einfluss haben. Aber anstatt mich mit diesen Kleingeistern herumzustreiten, ziehe ich es vor, meine Töchter zu Hause unterrichten zu lassen, bis sie alt genug für die Mittelstufe sind. Bis dahin werden sie hoffentlich selbstbewusst genug sein, um sich gegen organisiertes Mobbing zur Wehr zu setzen.“

Taryn starrte Aiden entgeistert an. Sie traute kaum ihren Ohren. „Haben diese Eltern Ihre Töchter denn offen ausgegrenzt?“

„Nicht dass ich wüsste, aber ihre Kinder schon. Und die käuen doch nur wieder, was ihre Eltern sagen.“

„Dann haben die beiden hier also gar keine Freunde?“

„Sie spielen mit ihren Cousins und Cousinen.“

Taryn fiel es schwer zu glauben, dass Aidens Töchter nur wegen ihrer Mutter praktisch Aussätzige waren. „Anscheinend haben Sie die richtige Entscheidung getroffen, Ihre Töchter vorerst zu Hause unterrichten zu lassen. Mich schreckt ihre Herkunft jedenfalls nicht. Ich werde den beiden alles beibringen, was sie vom Lernplan her wissen müssen.“

Aiden stand die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben. „Dann sind wir uns ja einig. Und jetzt verraten Sie mir, warum Sie lieber Privatunterricht geben wollen, anstatt in einer Schule zu unterrichten.“

Taryn strich sich das schulterlange, chemisch geglättete Haar hinter die Ohren. „Ich bin gern Lehrerin, aber das tägliche Pendeln hat mich geschafft. In New York saß ich fünf Tage die Woche durchschnittlich dreieinhalb Stunden täglich im Auto, und wenn ich dann abends nach Hause kam, wollte ich nur noch etwas essen und ins Bett. Ich war kaum noch mit Kollegen oder Freunden unterwegs.“

„Auch nicht an den Wochenenden?“

Taryn hatte ein sehr aktives Privatleben gehabt, als sie noch in Brooklyn gewohnt hatte – auch schon vor James. Manhattan war schließlich nur eine U-Bahn-Station entfernt. „Wenn ich überhaupt mal ausging, dann meistens auf Long Island, weil ich keine Lust hatte, mich schon wieder ins Auto oder in die Bahn zu setzen.“

Aiden füllte einen Topf mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. „Wollen Sie damit sagen, Sie haben das Großstadtleben endgültig satt?“

„Irgendwie schon.“ Sie griff in ihre Tasche und zog den Umschlag mit ihren Unterlagen heraus. „Hier sind Kopien meiner Zeugnisse und diverse Empfehlungsschreiben. Ich habe schon an meiner alten Schule gekündigt. Wenn Sie mich nicht einstellen, werde ich mich an Jessicas Schule bewerben.“

„Habe ich gesagt, dass ich Sie nicht einstelle?“

„Zumindest auch noch nicht das Gegenteil.“

Aiden lächelte verlegen. „Ehrlich gesagt, hätte ich Sie am liebsten sofort eingestellt, nach den Informationen, die ich über Sie einholen ließ. Außerdem hat Jessica mir erzählt, dass Sie sehr engagiert sind. Und da Jessica zu den beliebtesten Lehrerinnen an der Johnson-County-Schule gehört, glaube ich ihr natürlich.“

„Sie haben gar nicht den Verdacht, dass sie das nur gesagt hat, weil wir Freundinnen sind?“, witzelte sie.

„Ich kenne Jessica nicht gut genug, um zu wissen, wie eng Sie befreundet sind. Ich habe sie erst im Sommer im Wolf Den kennengelernt. Damals habe ich sie gefragt, ob sie zufällig jemanden kennt, der als Nanny bei mir wohnen und arbeiten würde.“

Jessica hatte Taryn bei deren ersten Besuch in Wickham Falls davon erzählt, woran sich Taryn jetzt erinnerte. Sie nickte. „Ich weiß, aber da war ich noch nicht bereit, aus New York wegzuziehen. Wickham Falls war mir einfach zu verschlafen.“

Aiden öffnete die Ofentür, um nach dem Speck zu sehen. „Und was hat Ihre Meinung geändert?“

„Ich war vom vielen Pendeln so gestresst, dass ich fast nur in der Hängematte auf Jessicas Veranda herumhing. Sie hat mich schließlich davon überzeugt, dass das Leben hier viel geruhsamer ist. Außerdem fiel mir wieder ein, wie gern ich während meiner Studienzeit als Babysitterin gearbeitet habe, also habe ich spontan nach Ihrer Telefonnummer gefragt.“

„Dann hat also das Pendeln Sie dazu bewogen, die Lichter der Großstadt gegen das ländliche West Virginia einzutauschen?“

Taryn erzählte Aiden lieber nicht, dass vor allem die ständigen Begegnungen mit ihrer verlogenen Freundin und zugleich Kollegin an der Schule sie zu dem Umzug bewogen hatten. Außerdem wäre es ihr peinlich, ihrem möglichen neuen Arbeitgeber zu erzählen, dass sie wieder bei ihren Eltern wohnte. Nach dem Verkauf ihrer Wohnung hatte sie den Erlös investiert, um sich nach ihrer Hochzeit mit James ein Haus kaufen zu können. Und dazu wäre es ohne die Einmischung ihrer Freundin bestimmt auch gekommen …

„Das ist der Hauptgrund, ja“, antwortete sie nach kurzem Zögern. Das stimmte zwar nicht ganz, war aber auch nicht direkt gelogen.

Aiden ging ans andere Ende der Kücheninsel und öffnete eine Schublade. „Um zu vermeiden, dass Sie sich an Jessicas Schule bewerben, stelle ich Sie hiermit offiziell als Hauslehrerin ein.“ Er nahm einen Umschlag und einen Kugelschreiber aus der Schublade und gab beides an Taryn weiter. „Sie haben gesagt, dass Sie einen Vertrag wollen, also habe ich meinen Anwalt einen aufsetzen lassen. Mein Gehaltsangebot steht schon da drin. Wenn Sie einverstanden sind, unterschreiben Sie bitte sämtliche drei Ausfertigungen. Ich unterschreibe dann ebenfalls und reiche alles an meinen Anwalt weiter.“

Taryn zog den Vertrag aus dem Umschlag und las ihn sich verblüfft durch. Als sie den Blick wieder zu Aiden hob, zuckten seine Mundwinkel belustigt. „Das ist ja exakt mein früheres Gehalt!“, sagte sie.

Ihr fiel auf, dass sie ihn nicht direkt als gutaussehend bezeichnen würde, eher auf eine raue Art attraktiv. Sein Gesicht war etwas zu kantig, und er hatte einen Höcker auf dem Nasenrücken, der auf einen früheren Bruch schließen ließ. Aber seine leuchtend blaugrünen Augen waren so faszinierend, dass es ihr plötzlich für einen Moment den Atem verschlug.

„Der Mann, den ich auf Sie angesetzt hatte, nannte mir diesen Betrag“, gestand Aiden. „Ich hatte Angst, dass Sie den Job sonst nicht annehmen.“

Taryn überraschte dies nicht. Aiden hatte ihr gesagt, dass er Erkundigungen über sie einholen lassen würde, von daher hatte Taryn ihm von selbst ein paar Hinweise gegeben. Beruflich hatte sie keine Bedenken, dass etwas Negatives an die Oberfläche kommen würde, doch was ihr Privatleben anging, war sie sich da schon weniger sicher gewesen. Sie konnte immer noch nicht fassen, wie naiv und vertrauensvoll sie gewesen war, was James und Aisha anging.

Nachdem sie die beiden im Bett erwischt und wieder bei ihren Eltern eingezogen war, hatte sie ihren Kollegen nicht den Grund genannt. Die Wahrheit war trotzdem ans Licht gekommen, als Aisha zusammen mit James bei der Weihnachtsfeier aufgetaucht war. Die anderen hatten eins und eins zusammengezählt und total schockiert reagiert.

„So wie es aussieht, war der Ermittler sehr gründlich.“ Ihr Tonfall verriet nichts von ihrem inneren Aufruhr, als sie sich an die peinliche Begegnung mit ihrem Ex-Freund und ihrer besten Freundin und Kollegin im Speisesaal des Restaurants erinnerte. Es hatte sie fast übermenschliche Anstrengung gekostet, nicht einfach ihren Mantel zu nehmen und zu gehen, sondern bis zum bitteren Ende der Weihnachtsfeier durchzuhalten.

Gleich im Anschluss hatte sie sich erst mal für sechs Tage eine Villa auf den Fidschi-Inseln gebucht, um sich zu überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte. Dann war sie gestärkt und bereit zu einem Neuanfang in die Staaten zurückgekehrt.

„Ich wollte sichergehen, dass ich Ihnen meine Kinder anvertrauen kann. Der Vertrag gilt für ein Jahr und beginnt am ersten Januar. Anfang Dezember kann er entweder verlängert oder gekündigt werden. Wie Sie sehen, übernehme ich auch Ihre Krankenversicherung.“

Taryn betrachtete wieder den Vertrag, der so klar formuliert war, dass sie ihn nicht erst ihrem Vater vorzulegen brauchte, der als Anwalt tätig war. Sie griff nach dem Kugelschreiber und unterzeichnete sämtliche drei Exemplare, bevor sie sie an Aiden weiterreichte.

„Nach dem Frühstück zeige ich Ihnen das Haus und Ihre Privaträume.“

„Gibt es eigentlich einen Extraraum zum Unterrichten?“

„Ja, ich dachte an die verglaste hintere Veranda und das Morgenzimmer. Jeden Freitagmorgen kommt Reinigungspersonal, sodass Sie nicht selbst sauber machen müssen. Auch ums Kochen müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ich bereite sämtliche Mahlzeiten für die Mädchen im Voraus zu.“

„Wann kommen Ihre Töchter nach Hause zurück?“

„Am fünfundzwanzigsten Januar. Warum?“

„Ich muss noch Möbel und Unterrichtsmaterialien für ihr Klassenzimmer besorgen. Am günstigsten wäre es, wenn ich das in New York erledige und die Sachen hierherliefern lasse.“

„Okay.“ Aiden gab Maisgrütze ins kochende Wasser, rührte sie mit einem Holzlöffel um und stellte die Flamme unter dem Topf kleiner. „Wann fahren Sie nach New York zurück?“

„Am dreißigsten Dezember. Ich muss noch ein paar persönliche Dinge einpacken. Ich rufe Sie an, sobald ich alles Nötige für die Mädchen habe, damit Sie wissen, wann Sie mit mir und der Lieferung rechnen können.“ Sie wollte sich auch noch mit ein paar Kollegen zu einem Abschiedsessen in einem ihrer Lieblingsrestaurants in Brooklyn treffen.

„Dann gebe ich Ihnen am besten einen Blankocheck mit, damit Sie alles bezahlen können.“

Taryn schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig. Es ist mitten im Schuljahr, sodass die meisten Sachen bestimmt reduziert sind. Zusammen mit meinem Lehrerrabatt müsste ich alles günstig bekommen.“

„Dann geben Sie mir hinterher die Belege, ja?“

Taryn fand das fast überflüssig, denn sie würde bei ihrem neuen Job nicht nur das gleiche Gehalt bekommen wie früher, sondern noch dazu mietfrei wohnen. Da sie sich das Benzingeld fürs Pendeln sparen würde, war es doch so: Sie würde praktisch in Geld schwimmen. „Erzählen Sie mir von Ihren Töchtern“, forderte sie ihn auf.

Aiden griff nach einem Ei und schlug es in eine Glasschüssel. „Die beiden sind nur elf Monate auseinander. Ich würde sagen, Livia ist genauso weit wie ihre ältere Schwester. Sie ist ganz schön eigenwillig. Im Moment steht sie auf Feen.“

„Ich glaube, sie gefällt mir jetzt schon. Ich stand früher auch auf Feen und Einhörner. Und was ist mit Allison?“, fragte sie, während sie zusah, wie Aiden den Speck aus dem Ofen nahm und die Streifen auf einen Teller mit Küchenpapier legte.

„Allie ist eine echte Gibson, denn sie kocht leidenschaftlich gern. Da sie noch zu klein ist, lasse ich sie zwar noch nicht an den Herd, aber sie darf mir beim Kochen über die Schulter sehen.“ Er setzte den Kaffee auf.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

„Nein danke, ich habe alles im Griff.“ Aiden deckte den Frühstückstresen, häufte luftiges Rührei, Speckstreifen und gebutterten goldbraunen Toast auf eine Servierplatte, füllte zwei Becher mit dampfendem Kaffee und stellte eine Schüssel mit Grütze hin.

„Wollen Sie Milch und Zucker zum Kaffee?“, fragte er Taryn.

„Gern.“ Hungrig betrachtete sie das Essen, das Aiden so mühelos und schnell zubereitet hatte. „Das sieht ja fast zu gut aus, um es wegzuputzen.“

Aiden stellte Milch und Zucker auf den Tresen und setzte sich neben Taryn, sodass ihre Schultern nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Sie können das Essen gern weiter bewundern, aber beschweren Sie sich dann bitte nicht, wenn ich alles allein aufesse.“

Taryn griff nach dem Servierlöffel und füllte sich etwas Grütze auf den Teller. „Ich habe nicht die Absicht, Ihnen beim Essen nur zuzusehen.“

Autor

Rochelle Alers
<p>Seit 1988 hat die US-amerikanische Bestsellerautorin Rochelle Alers mehr als achtzig Bücher und Kurzgeschichten geschrieben. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Zora Neale Hurston Literary Award, den Vivian Stephens Award for Excellence in Romance Writing sowie einen Career Achievement Award von RT Book Reviers. Die Vollzeitautorin ist Mitglied der...
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