Nur Liebe brennt heißer

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Eigentlich wollte Kell Montrose in spätestens achtundvierzig Stunden Emma Chandler feuern. Er hasst den Chandler-Clan, solange er denken kann, er will diese Frau nicht in der Fima haben, die er übernommen hat. Aber dann bleiben sie zusammen im Fahrstuhl stecken. Und sind sich plötzlich so nah wie nie! Zum ersten Mal fällt Kell auf, wie azurblau Emmas Augen sind. Wie weich ihr Haar wirkt. Wie wunderbar voll ihre Lippen sind. Er will sie an sich ziehen, sie küssen … Aber ob er sie dann immer noch entlassen kann, wenn sie jemals das Erdgeschoss erreichen?


  • Erscheinungstag 15.11.2016
  • Bandnummer 1951
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723194
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Emma Chandler zwang sich zu lächeln, während sie ihren Aktenkoffer packte und den Sitzungssaal mit hoch erhobenem Haupt verließ. Es war schon anstrengend genug, sich unfreiwillig in die Fänge ihres Erzfeindes Kell Montrose zu begeben. Aber dabei zusehen zu müssen, wie ihre beiden jüngeren Schwestern mit Kells Cousins, die ebenfalls zum verhassten Montrose-Clan gehörten, Liebesbeziehungen eingingen, war eine noch größere Zumutung.

Plötzlich überkam sie ein Gefühl absoluter Einsamkeit. Es wäre besser, den Kampf um eine Führungsposition bei Playtone-Infinity Games aufzugeben und Kell den Sieg zu überlassen, auch wenn das nicht ihr Stil war. So wie es aussah, stand ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen, für das sie vier Jahre lang hart gearbeitet hatte, unmittelbar bevor.

Die feindliche Übernahme war zwar überraschend gekommen, aber Emma hatte schon lange gewusst, dass Kell Montrose alles tun würde, um ihre Firma erst an sich zu reißen und sie anschließend zu zerschlagen. Dabei spielte es keine Rolle, dass ihr Großvater, Kells eigentlicher Rivale, längst nicht mehr lebte und Infinity Games unter ihrer Führung in leichte Schieflage geraten war. Irgendwie hatte sie gehofft, dass sich unter Kells harter Schale ein menschlicher Charakter befand. Jemand, mit dem sie verhandeln konnte.

Stattdessen musste sie erkennen, dass er von Rache getrieben war. Und ihre beiden Schwestern hatten sich mit dem Feind verbündet, obwohl sie es anfangs nicht darauf angelegt hatten. Mittlerweile hatten Cari und Jessi ihre Positionen im neuen Firmenkonstrukt gefestigt. Bei ihr selbst lag der Fall jedoch anders. Obwohl sie ebenfalls die Chance hatte, sich zu bewähren, ahnte sie, dass Kell sie von allen Chandlers am meisten verabscheute.

Sie war es gewesen, die damals miterlebt hatte, wie er von ihrem Großvater gedemütigt worden war. Deshalb würde Kell sie nicht länger als nötig in seiner Nähe dulden. Er hatte ihr eine Frist von achtundvierzig Stunden eingeräumt, um eine neue Geschäftsidee zu präsentieren. Schaffte sie das nicht, würde er sie feuern, ohne mit der Wimper zu zucken.

Als der Lift da war, stieg sie ein und drückte auf den Knopf, um die Türen rasch zu verschließen. Sie wollte allein sein. Doch kurz bevor der Spalt sich schloss, sah sie, wie eine kräftige Männerhand sich dazwischenschob und sie erneut öffnete.

Sie stöhnte innerlich, als Kell zu ihr in den Aufzug trat. Hoffentlich war ihr Lächeln noch an Ort und Stelle. Wenige Minuten, länger würde die Fahrt ins Erdgeschoss nicht dauern.

„Na, unsere Einzelkämpferin macht sich wohl klammheimlich vom Acker?“ Er musterte sie mit seinen silbergrau strahlenden Augen, die sie von Anfang an fasziniert hatten. Emma fand sie umwerfend, aber gleichzeitig eiskalt und durchdringend.

„Überhaupt nicht. Warum sollte ich?“, antwortete sie. In jeder Situation ruhig zu bleiben war ihre Stärke, und das würde ihr auch dieses Mal gelingen.

Es war verständlich, dass er seinen Triumph auskosten wollte, doch sie war nicht gewillt, das zu ertragen. Sie drückte erneut den Knopf, aber es war zu spät. Der Lift setzte sich bereits in Bewegung.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

Kell hatte ein kantiges Gesicht und ein sehr eigenwilliges Kinn. Er trug sein kräftiges braunes Haar lässig gestylt, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht in seinen Locken zu wühlen.

Sie schaute ihm in die Augen und sah eine Spur Menschlichkeit darin. „Alles bestens. Aber Aufzüge sind mir zuwider. Ich hätte die Treppe nehmen sollen.“

„Und mir dabei aus dem Weg gehen können.“

„Das wäre ein weiterer Vorteil gewesen. Ich weiß, du bist am Drücker, schreibst mich aber noch nicht ganz ab.“

„Ist das bei dir so angekommen?“

Sie hatte den Klang seiner tiefen Stimme schon immer gemocht. Was bin ich doch für eine Idiotin? dachte sie. Seit dem Tod ihres Ehemannes Helio waren bereits vier Jahre verstrichen, in denen sie keinen einzigen Mann attraktiv gefunden hatte. Jetzt stand sie einem Vertreter dieser Spezies im Aufzug gegenüber und spürte plötzlich eine rätselhafte Erregung in sich aufsteigen.

Was war nur mit ihr los? Wollte ihr Unterbewusstsein auf diese Weise sicherstellen, dass sie den Rest ihres Lebens unglücklich blieb?

„Emma?“

Offensichtlich wartete Kell auf ihre Antwort, und für einen Moment entglitt ihr die Selbstkontrolle. „Du hast dich vorhin wie ein Fiesling benommen.“

Er lachte auf. „Da ist es ja wieder, dein Temperament von damals, als wir beide Praktikanten bei Infinity Games waren und du immer die Beste sein wolltest. Was ist damit passiert?“

Als sie beide noch an der Uni gewesen waren, hatte ihr Großvater, Gregory Chandler, den jungen Montrose für ein Betriebspraktikum eingestellt, denn Kells Familie hatte im Fall einer Absage mit Klage gedroht.

„Nichts.“ Sie hatte nicht im Geringsten vor, diesem Mann gegenüber Gefühle zu zeigen. Abgesehen davon, war er ein Vollidiot, wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass der frühe Tod ihres Mannes ihr den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Vor allem, weil sie zu diesem Zeitpunkt hochschwanger gewesen war. Dass er sie jetzt kaltstellen wollte, nachdem sie sich mit all ihrer noch verbliebenen Kraft für Infinity Games eingesetzt hatte, gab ihr den Rest.

Er hakte nach. „Nichts?“

Emma war kurz davor, ihm die Meinung zu geigen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Doch dann überlegte sie es sich anders, denn sie hatte ja nichts zu verlieren. Sein hämisches Grinsen verriet, dass er sich dessen ebenfalls bewusst war.

„Du willst wirklich wissen, was mich umtreibt?“, fragte sie unverblümt. „Ich habe es satt, vor euch zu Kreuze zu kriechen und meine besten Ideen vor der versammelten Geschäftsleitung präsentieren zu müssen. Was ich auch vorschlage, es wird niemals reichen, um wiedergutzumachen, was eurem Großvater angetan worden ist. Ich weiß genau, dass ich keine anderen Optionen habe, falls ich hier erfolglos bin. Meine gesamte Berufserfahrung steckt in einem Unternehmen, das Opfer einer feindlichen Übernahme geworden ist.“

Er stand wortlos da, hatte die Arme verschränkt und seinen stechenden Blick auf sie gerichtet. Bestimmt ließ er sich nicht gern vorhalten, dass er sie in die Enge getrieben hatte und ihr unter keinen Umständen eine Jobperspektive anbieten würde.

„Wie bitte, keine weiteren schadenfrohen Sticheleien?“, fragte sie.

Der Aufzug stoppte mit einem Ruck, und sie streckte einen Arm aus, um sich zu stabilisieren. „Du lässt das besser reparieren, Montrose. Es täte mir leid, wenn dein Imperium von innen heraus zerbröckeln würde.“

Er drückte auf die Knöpfe und dann auf sämtliche Etagennummern, aber nichts passierte. Sie waren in der Kabine gefangen. „Anscheinend stecken wir fest.“

„Na, prima!“

Ihr fielen noch andere Bezeichnungen ein, aber ihr Sohn war jetzt in einem Alter, in dem er jedes Wort nachplapperte, deshalb vermied sie neuerdings deftige Ausdrücke. Konnte dieser Tag überhaupt noch schlimmer werden?

Wenigstens war sie am Leben und hatte ein Dach über dem Kopf. Oh, Gott, wie sie die Sprüche ihrer Mutter hasste. Aber mit einem Mal zählte sie im Geiste alle Dinge auf, für die sie dankbar sein sollte. So hatte ihre Mutter es immer von ihr verlangt, wenn Emma sich über etwas beklagt hatte.

Sie seufzte tief.

„Bist du verletzt? Dauernd machst du seltsame Geräusche“, bemerkte Kell. Die Vorstellung, dass ihr etwas fehlen könnte, schien ihn zu irritieren.

„Alles bestens. Ich musste nur gerade an meine Mutter denken.“

Er sah sie verwundert an.

„Du weißt ja wohl Bescheid über Mütter und ihre Ratschläge. In den Augen meiner Mom war Quengeln eine Unart, deshalb musste ich jedes Mal auflisten, was mir im Leben Gutes widerfahren ist. Eben habe ich daran gedacht, was heute alles schiefläuft, und schon fing ich an, meine Liste zu erstellen. War deine Mutter auch so?“

„Nein.“

„Na, bitte. Sie hat dir wohl jeden Wunsch von den Augen abgelesen? Ich habe meiner Mom oft gesagt, dass es auch solche Mütter gibt.“

„Nein. Kristi Keller Montrose hatte für so etwas nichts übrig. Als ich drei war, ließ sie mich bei meinem Großvater zurück und ging fort, ohne sich ein einziges Mal umzusehen.“

Emma war vor Schreck wie erstarrt. Das erklärte vieles an Kell und ließ ihn zu ihrem Missfallen beinahe menschlich erscheinen. Sie wollte, dass er ihr Feind blieb – wie der dunkle Rächer aus den Lieblingsmärchen ihres Sohnes.

Doch sie kannte seine Schwachstelle. Kell war eindeutig der beste Praktikant aus ihrer Gruppe gewesen, und alle hatten erwartet, dass Gregory Chandler ihm eine Stelle als Manager in seiner Firma anbieten würde. Aber ihr Großvater hatte ihn zu sich gerufen und ihn warten lassen, um ihm dann zu eröffnen, dass er nie einen Job bei Infinity Games bekommen würde. Auch nicht im Falle einer Klage.

„Kell, das tut mir leid.“ Sie hatte Mitleid mit dem kleinen Jungen von einst und dem Mann, zu dem er herangewachsen war.

„Was man nie kennengelernt hat, kann man nicht vermissen“, sagte er beiläufig, während er die Nottaste drückte. Sie waren noch immer im Aufzug eingeschlossen.

Kells Verhältnis zu seinen Eltern war ungefähr das Letzte, worüber er mit Emma diskutieren wollte. Er arbeitete nun seit mehreren Monaten mit ihr zusammen und musste zugeben, dass sie den Fusionsprozess positiv begleitet hatte. Aber jetzt musste sie sich entweder ein neues Tätigkeitsfeld erschließen oder gehen. Genau das hatte er in der Vorstandssitzung auch geäußert, woraufhin ihn seine Cousins und ihre Schwestern angesehen hatten, als ob er der Inbegriff des Bösen sei. Dabei hatte er lediglich die Wahrheit gesagt.

Nachdem Emma abrupt aus dem Saal gestürmt war, hatten ihn die anderen vorwurfsvoll angeschaut. Deshalb war er ihr nachgegangen. Doch das würde an den Tatsachen nichts ändern. Und jetzt waren sie im Lift gefangen, so wie in ihrer alten Familienfehde.

Vor einem halben Jahr hatte Kell die feindliche Übernahme ihrer Firma durch seinen Konzern in die Wege geleitet. Er war mehr als glücklich darüber, dass auch er sich gegenüber Emma und allen Chandlers kühl und bedacht verhalten hatte. Er wagte sogar zu behaupten, dass ihre Kooperation funktionierte.

In der Zwischenzeit waren seine Cousins schwach geworden und hatten sich in die jüngeren Chandler-Schwestern verliebt. Aber Kell hatte ihre entbehrungsreiche Jugend unter der Knute ihres herrschsüchtigen Großvaters nie vergessen können. Für Thomas Montrose hatte es nur ein Ziel gegeben: alle Chandlers leiden zu sehen. So wie Thomas selbst, als er dabei hatte zusehen müssen, wie andere die Gewinne machten, die ihm zugestanden hätten. Als ältester Enkel hatte Kell diese Botschaft verinnerlicht, denn er hatte die meiste Zeit mit seinem Großvater verbracht. Kells Vater war als Marineoffizier im Kampf gefallen, und seine Mutter hatte sich anschließend nach etwas Besserem umgesehen.

Minuten verstrichen, ohne dass jemand auf ihren Hilferuf reagierte. „Ich schätze, der nächste Job, den du besetzen solltest, ist der eines Monteurs“, bemerkte sie spöttisch.

Er grinste. „Das hieße, deine Talente zu vergeuden.“

„Bestimmt, aber ich bin überzeugt, dass wir nicht hier festsitzen würden, wenn ich dafür die Verantwortung hätte.“

„Gibt es noch andere Aufgaben, die du bei Playtone-Infinity Games übernehmen könntest?“, fragte er.

Sie rieb sich den Nacken und schaute zu ihm herüber. Ihre Augen hatten ihn schon immer fasziniert. Ihr Farbton glich dem gleißenden Blau eines klaren kalifornischen Himmels im Spätherbst.

Emma hatte ihr langes rotbraunes Haar zu einem Knoten hochgesteckt, doch ein paar widerspenstige Strähnen kringelten sich verspielt um ihr Ohr. Obwohl Kell solchen Einzelheiten keine Aufmerksamkeit schenken wollte, konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden. Auch ihre sinnlich vollen Lippen zogen ihn in ihren Bann. Allein sie anzuschauen erregte ihn.

Sie trug ein schwarzes Chanel-Kostüm mit Goldkante am Reverskragen, der ihren schmalen Hals betonte. Kell kannte das Modelabel, denn seine frühere Freundin hatte für die Marke gearbeitet.

„Ich könnte mir gut vorstellen, den Wohltätigkeitsbereich des Konzerns in eine Stiftung zu überführen. Es gibt noch weitere Neuerungen, die ich gern umsetzen würde. Aber aus Zeitmangel bin ich bisher nicht dazu gekommen.“

„Zum Beispiel?“, fragte er interessiert. Die Gründung einer Stiftung wäre ein großartiges Steuersparmodell. Das fusionierte Unternehmen versprach, einen Riesengewinn einzufahren, und er hatte nicht vor, ihn komplett dem Fiskus in den Rachen zu werfen.

„Sollte ich diese Ideen nicht lieber erst übermorgen in der Vorstandssitzung präsentieren, wenn es um meinen Verbleib in der Firma geht?“

„Lass sie uns kurz miteinander durchgehen“, schlug er vor.

„Ich arbeite am Prototyp eines Spiels für Tablet-PCs, das Kindern das Lesen lernen erleichtern soll. Zwar gibt es schon einiges in der Richtung auf dem Markt, aber mein Sohn Sammy kommt mit keiner Version zurecht. Deswegen habe ich mich an seinen Vorlieben und Fähigkeiten orientiert.“

„Damit gehst du stark auf einen sehr speziellen Kundenwunsch ein“, sagte Kell. Doch er ahnte bereits das Potenzial, das in der Idee steckte. Falls das Lernspiel von einer Stiftung in Umlauf gebracht wurde, könnten sich bereits Vorschulkinder an die Software des Konzerns gewöhnen. Das erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch im späteren Leben bei den Produkten von Playtone-Infinity Games bleiben würden.

„Ja, aber ich habe mich mit einigen Lehrern aus der Vorschule unterhalten. Sie sagen, dass die meisten Kinder einer von vier oder fünf Lernkategorien zuzuordnen sind. Dementsprechend könnten wir verschiedene Versionen entwickeln und Testreihen durchführen. Was hältst du davon?“

„Ich finde die Idee gut, sehr gut sogar. Aber ein Spiel wird nicht reichen, um deinen Job zu sichern.“

„Das weiß ich“, sagte sie. „Ich habe mir ein paar Notizen dazu gemacht, wie unsere Stiftung für wohltätige Zwecke aussehen könnte.“

„Na, schön. Ich schlage vor, dass wir uns nach der Vorstandssitzung treffen. Wie wäre es nächste Woche in deinem Büro? Du zeigst mir den Prototyp des Spiels und deine Pläne für die Stiftung. Wenn die Konzepte brauchbar sind, werden wir einen Weg finden, sie umzusetzen.“

„Wirklich?“, fragte Emma erstaunt. Es war fast zu schön, um wahr zu sein.

„Das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe.“

„Aber du wolltest dich doch an den Chandlers rächen und mich feuern“, sagte sie ungläubig.

„Wenn du das weiterhin behauptest, werfe ich dich tatsächlich auf der Stelle hinaus. Wir beide gehören jetzt zu einer Familie, wir haben einen gemeinsamen Neffen und eine Nichte. Ich war bisher immer auf Rache aus, aber mittlerweile habe ich erreicht, was ich wollte, und sehe die Zukunft unter anderen Vorzeichen.“

Cari, ihre jüngste Schwester, hatte mit Kells Cousin Dec einen Sohn. Sie wollten heiraten, und das hatte zur Folge, dass Emma und Kell eines Tages mehr miteinander zu tun haben würden. Jessi, die mittlere der Chandler-Schwestern, und Allan, Kells anderer Cousin, hatten die Vormundschaft für Hannah, das Kind ihrer tödlich verunglückten Freunde, übernommen und waren ebenfalls liiert.

„Ich bin nicht sicher, ob ich dir vertrauen kann“, sagte sie.

„Bedenkt man unsere Familiengeschichte, ist deine Skepsis nur allzu verständlich. Aber es wäre wirklich hundsgemein von mir, deine Projekte zu billigen und dich um deinen Job kämpfen zu lassen, nur um dich letztendlich doch zu feuern.“

„So sieht eine perfekte Revanche aus“, erwiderte sie. „Hör zu, du bist bestimmt berechtigt, nach deinem Gutdünken vorzugehen. Ich werde mich ins Zeug legen, aber nur, wenn du mir eine faire Chance einräumst, meinen Job zu behalten.“

„Es wird schwierig werden, meine Meinung in Bezug auf deine Kündigung zu ändern, aber es ist kein Ding der Unmöglichkeit.“

Emma legte den Kopf zur Seite und trat vor, um ihm beide Hände auf die Brust zu legen. „Du willst mich herausfordern, Kell Montrose, und ich bin mehr als bereit dazu. Wir sind uns einig, dass du mir nichts versprochen hast und dass ich doppelt so hart arbeiten muss, um von dir akzeptiert zu werden. Ich bin wild entschlossen, die Leistung zu bringen, aber dann musst du meinen Vertrag verlängern. Und zwar nicht, weil ich eine Chandler bin, sondern weil du ein ehrbarer Mann bist, der sein Wort hält.“

Verdammt noch mal, dachte er, sie hat recht. Er stand zu seinen Absprachen, und das würde auch für ihren momentanen Deal gelten müssen.

„Bist du dir ganz sicher?“, fragte er. „Es wäre keine Schande, Playtone-Infinity jetzt zu verlassen. Ich bin bereit, dir ein großzügiges Abfindungspaket anzubieten. Dadurch wärst du eine vermögende Frau und bräuchtest nie wieder zu arbeiten.“

In ihren Augen las er eiserne Willensstärke. „Das ist unmöglich, denn ich habe einen Sohn, und Playtone-Infinity ist auch sein Familienerbe. Was bin ich denn für ein Vorbild, wenn ich mich einfach aus dem Staub mache?“

Kell bewunderte ihre Courage. Zugegeben, sie war seine Feindin, aber ihre Haltung weckte in ihm den Wunsch, sie möge bleiben.

Um ehrlich zu sein wäre das ein gnädiger Akt in seinem Kampf gegen ihren Großvater Gregory Chandler. Der alte Mann war zwar tot, aber Kell dachte voller Genugtuung daran, wie sehr es Gregory geärgert hätte, dass seine Enkelin mit einem Montrose verhandeln musste, um sowohl ihren Job als auch ihren Stolz behalten zu können.

Als sich der Aufzug wieder in Betrieb setzte, verlor Emma das Gleichgewicht. Ihre Handtasche fiel zu Boden, während sie versuchte, sich irgendwo festzuhalten. Kell fasste sie am Arm und stabilisierte sie.

Es fühlte sich an wie ein gewaltiger Blitz, der in sie beide fuhr. Sie waren sich so nahe wie selten zuvor. Zu seiner Überraschung war ihr Duft blumig und süß.

Sie ist der Feind, dachte er, aber es war zu spät. Jetzt, wo er diese Lippen vor sich sah, hatte er nur noch einen Wunsch: sie zu küssen.

Es war bestimmt keine gute Geschäftsidee, mit Emmas Gefühlen und ihrer Zukunft ein falsches Spiel zu treiben. Aber es war nur ein Kuss, und er glaubte, ein gewisses Anrecht darauf zu haben. Sozusagen als Belohnung dafür, dass er die Chandlers besiegt hatte.

Vorsichtig beugte er sich zu ihr hinab und beobachtete ihre Reaktion. Sie wich ihm nicht aus, sondern schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Sanft streifte er mit seinem Mund ihre Lippen, die weicher waren, als er vermutet hatte. Er hielt Emma sacht umschlungen, während er zu ergründen suchte, warum er sich von seiner Erzfeindin so sehr angezogen fühlte.

2. KAPITEL

Kell schmeckte nicht wie ein Feind. Im Gegenteil, sein Kuss war fabelhaft und dabei unaufdringlich. Er forderte nichts, sondern beschenkte Emma mit seiner Zärtlichkeit, während er sie sicher in seinen Armen hielt.

Sie hatte den Eindruck, dass er von der Situation gleichermaßen überrascht war wie sie. Doch ihr Verstand verabschiedete sich, als er seine Lippen öffnete und sie zuerst seinen heißen Atem und dann seine Zunge spürte.

Sie umklammerte seine Schultern, während der Kuss intensiver wurde. Er übernahm die aktive Rolle, indem er sie rückwärts an die metallene Wand des Lifts drängte. Sie fühlte sich nicht nur von ihm, sondern auch von ihrem eigenen Verlangen gefangen. Er hielt ihr Gesicht mit beiden Händen umfasst, während er ihren Mund genüsslich erforschte. Erregt wand sie sich in seinen Armen und vergrub ihre Hände in seinem vollen Haar. Es fühlte sich genau so weich und sinnlich an, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Er strich ihr über die Seiten und legte schließlich die Arme um ihre schmale Taille. Dann löste er seine Lippen von ihren.

Emma öffnete die Augen und sah zum ersten Mal Verwirrung und eine Spur ehrlichen Gefühls in seinem silbergrauen Blick. Sie packte ihn an seiner Krawatte und zog ihn erneut an sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf ihre Art. So, wie es schon längst überfällig war.

Er stöhnte, während er sie enger umklammerte und sich weiter nach unten tastete. Sie fühlte seine Erregung und sehnte sich nach mehr Nähe, doch da klingelte es, und die Aufzugtüren öffneten sich. Verwirrt ließ sie ihn los.

Hektisch hob Emma ihre Handtasche vom Boden auf und trat hinaus in den Flur, wo sie feststellen musste, dass sie noch nicht im Erdgeschoss angekommen waren. Verdammt! Es wäre Wahnsinn gewesen, zu ihm zurückzugehen. Sie war wie entfesselt und hatte die Kontrolle über sich verloren. Als sie sich umsah, bemerkte sie, dass er den Lift ebenfalls verlassen hatte.

Sie seufzte.

„Stellst du jetzt wieder eine Liste auf, wofür du alles dankbar bist?“, fragte er.

Emma schüttelte den Kopf, unfähig, zu kontern. „Wo ist das Treppenhaus?“

Sie konnte nicht so tun, als ob sie sich nur aus Neugier in den Armen gelegen hätten – obwohl sie sich wünschte, es wäre so gewesen. Aber da war mehr. Es war nicht nur auflodernde Leidenschaft, die sie beide aus der Bahn geworfen hatte.

Jetzt wollte sie nur noch so schnell wie möglich nach Hause fahren, ins Bett gehen und sich einreden, dass die Geschehnisse dieses Tages nie stattgefunden hatten.

„Hier entlang“, sagte er und führte sie zum Treppenhaus, wo er ihr die Tür aufhielt.

„Du brauchst mich nicht nach unten zu begleiten“, sagte sie.

„Doch, genau das werde ich tun. Wir haben noch etwas zu besprechen.“

„In weniger als achtundvierzig Stunden findet unsere nächste Sitzung statt. Dann können wir ausführlich reden“, entgegnete sie.

„Wirklich? Du willst tatsächlich vor unseren Familien und der Geschäftsleitung darüber sprechen, wie scharf mich unser Kuss gemacht hat?“

Sie stoppte und drehte sich auf den Absätzen zu ihm um. „Darüber werden wir niemals diskutieren.“

„Nun ist also die Verleugnungstaktik angesagt?“, stichelte er. „Das überrascht mich kaum. Wo du auf diese Weise doch schon Infinity Games ruiniert hast.“

Sie ließ die Tasche fallen und stieg kampfeslustig zwei Treppenstufen hinauf, um sich direkt vor ihm aufzubauen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt er ihrer Offensive stand.

„Du hast recht. Ich habe damals abgestritten, dass wir in Schwierigkeiten steckten, doch das betraf den Job. Jetzt aber stocherst du in meinem Privatleben herum, und das zu einem Zeitpunkt, wo ich in jeder Hinsicht mit dem Rücken zur Wand stehe. Wenn ich mich auf ein unüberlegtes Techtelmechtel mit dir einlasse, kann ich mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Aber es geht nicht nur um mich, sondern auch um meinen Sohn, der eine ausgeglichene Mutter braucht. Du kannst mir also glauben, dass ich alles daransetzen werde, so zu tun, als sei zwischen uns absolut nichts passiert.“

Er schaute sie nachdenklich an. „Es ist nicht mein Stil, Tatsachen zu leugnen.“

„Dann erlebst du jetzt eine Premiere. Denn wir wissen beide, dass du mir zwar vielleicht eine Stelle im Konzern anbieten kannst, mir im Privatleben jedoch nur das Herz brechen würdest. Etwas anderes zu erwarten, wäre reiner Selbstbetrug.“

Emma wusste, sie musste Klartext reden, denn sie war schon seit einiger Zeit seelisch auf dem Tiefpunkt. Und dass sie mit Kell eben das intensivste sinnliche Erlebnis seit Langem gehabt hatte, passte absolut nicht in ihr Weltbild.

„Okay, ich teile deine Ansicht, dass eine Affäre keine gute Idee wäre. Aber nur fürs Protokoll, Emma: Ich bin kein Monster, dem es Spaß macht, Frauen zu verletzen.“

Sie schüttelte den Kopf, denn sie hatte ihn nicht angreifen wollen.

„Das habe ich auch nicht behauptet. Aber wir beide tragen einfach zu viel Ballast mit uns herum. Wir sind beide die Ältesten in unserer Generation, also diejenigen, die die größte Verantwortung für das Familienerbe tragen. Deshalb sind wir auch die denkbar schlechtesten Kandidaten für eine Beziehung.“

„Völlig richtig“, bestätigte er.

Sie räusperte sich. „Es war wahrscheinlich nur ein Ausrutscher. Mir ging es im Grunde nur darum, dir eine positive Seite abzugewinnen.“

Er grinste sie mitleidig an. „Ich habe aber noch weitaus Besseres zu bieten.“

„Tatsächlich?“, fragte sie und schlug sich dann an die Stirn. „Mit dir zu flirten geht gar nicht.“

„Ich würde dich ja gern um Verzeihung bitten, aber ich bereue überhaupt nichts. Lass es uns nicht komplizierter machen, als es ist.“

„Genau, denn wir werden uns so etwas in Zukunft verkneifen, nicht wahr?“

Er hob abwehrend die Hände. „Du bist mir in die Arme gefallen.“

Sie zeigte mit dem Finger auf ihn „Und du hast mich geküsst.“

„Ja, stimmt. Aber du hast mich angeschaut und deine Lippen geöffnet … was hätte ich da machen sollen?“

Eigentlich war Kell stolz auf seine Fähigkeit, immer alles unter Kontrolle zu behalten. Doch Emma hatte ihn aus dem Konzept gebracht, und er wollte nicht einfach darüber hinwegsehen, sondern den Grund dafür herausfinden. Sie schaffte es, dass er ihretwegen schwächelte, und das durfte nie wieder passieren.

Doch die Tatsache, dass sie vor ihm flüchtete, ließ ihn nachdenklich werden. Sie hatte nicht ganz unrecht. Er beabsichtigte nicht, sich jemals zu verlieben, schon gar nicht in Emma Chandler. Er hatte keine Ahnung, wie man eine Frau liebevoll umsorgte in seinem Inneren staute sich noch immer der alte Hass. Und das, obwohl er sie persönlich nicht kannte und sich stattdessen schon vor langer Zeit eine Meinung über sie gebildet hatte, die nur auf Vorurteilen basierte.

Aber sein rasender Puls und die spürbare Erregung in seinem Unterleib gaben ein anderes Bild der Realität ab. Er wollte nicht, dass sie jetzt von ihm fortging. Nur deshalb stand er noch immer auf dem Treppenabsatz und diskutierte mit ihr. Es war ein Unding, dass er im Augenblick seines beruflichen Triumphs Energie darauf verschwendete, ihr nachzulaufen. War er wirklich im Begriff, sie zu umwerben?

„Ich habe keine Ahnung, was das eben war. Seit Helio hat es keinen Mann mehr in meinem Leben gegeben.“

Emmas Worte bewirkten, dass er plötzlich Mitleid mit ihr bekam. Sie war jung und verwitwet, und erst vor Kurzem hatte er sie beruflich ins Aus manövriert. Er sah ein, dass er Rücksicht auf sie nehmen sollte, denn es war nicht gerade die feine Art, sie weiter zu bedrängen.

Autor

Katherine Garbera
<p>USA-Today-Bestsellerautorin Katherine Garbera hat schon mehr als neunzig Romane geschrieben. Von Büchern bekommt sie einfach nicht genug: ihre zweitliebste Tätigkeit nach dem Schreiben ist das Lesen. Katherine lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem verwöhnten Dackel in England.</p>
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Eigentlich wollte Kell Montrose in spätestens achtundvierzig Stunden Emma Chandler feuern. Er hasst den Chandler-Clan, solange er denken kann, er will diese Frau nicht in der Fima haben, die er übernommen hat. Aber dann bleiben sie zusammen im Fahrstuhl stecken. Und sind sich plötzlich so nah wie nie! Zum ersten Mal fällt Kell auf, wie azurblau Emmas Augen sind. Wie weich ihr Haar wirkt. Wie wunderbar voll ihre Lippen sind. Er will sie an sich ziehen, sie küssen … Aber ob er sie dann immer noch entlassen kann, wenn sie jemals das Erdgeschoss erreichen?