Romana Extra Band 157

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NEUE LIEBE AUF MADEIRA von LUCY FOXGLOVE

Als Romão Almeida auf der Blumeninsel Madeira die junge Witwe Luisa kennenlernt, liegt gleich ein sinnliches Knistern in der Luft. Schnell kommen sie einander näher. Aber nach einem ersten zärtlichen Kuss zieht Luisa sich plötzlich zurück. Ist ihr Herz doch noch nicht frei?

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  • Erscheinungstag 15.03.2025
  • Bandnummer 157
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533089
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Foxglove

1. KAPITEL

Ribeira Brava, Madeira

Luisa parkte den alten Land Rover im Schatten unter einer Linde und stieg aus. Die Sonne brannte auf das kleine Küstenstädtchen und das Meer glitzerte so, dass sie es vom Hang aus als wogenden Silberteppich sah. Schwalben zogen ihre Kreise im leuchtend blauen Himmel, Zikaden zirpten in den Büschen am Straßenrand.

Es war nicht weit bis zum Betonbau der Grundschule von Ribeira Brava. Als die Glocke des Kirchturms dreimal schlug und die ersten Schüler und Schülerinnen aus dem Gebäude stürmten, hörte Luisa Kinderlachen und laute Stimmen. Sie schirmte die Augen gegen die Sonne ab und hielt nach Tiago Ausschau.

Sie erkannte eins der Mädchen aus Tiagos Klasse und winkte ihm fröhlich zu, doch das Mädchen schien sie nicht zu erkennen. Es gab eine Reihe von anderen Eltern, die ihre Kinder abholten, aber viele wohnten hier im Ort. Sie gingen zu Fuß oder nahmen den Linienbus nach Hause.

Zum Weingut ihrer Schwiegereltern, der Quinta da Luz Vermelho, auf dem Luisa mit ihrem Sohn wohnte, fuhr allerdings kein Bus, und zu Fuß wäre Tiago viel zu lange unterwegs. Aber es machte ihr nichts aus, ihn abzuholen. Sie liebte die Fahrt durch die Obstplantagen mit Aprikosen, Bananen und Feigen. Und sie liebte den Moment, in dem sie das Meer zum ersten Mal auf dem Weg ins Tal sehen konnte. Eine Menge Meer und nicht nur eine winzige blaue Ecke, die sie immerhin vom Balkon ihrer Wohnung aus sah.

Wieder stellte Luisa sich auf die Zehenspitzen, um besser über die Mauer spähen zu können. Die meisten Kinder hatten den Schulhof bereits verlassen. Nur von Tiago war noch immer nichts zu sehen. Zwei Jungen kamen aus dem Hauptportal, klatschten sich ab und holten ihre Fahrräder. Ob sie Tiago übersehen hatte? Luisa blickte die Straße hinunter und warf dann einen Blick auf ihr Handy, aber sie hatte keine neue Nachricht bekommen.

Als sie wieder zur Schule sah, kam eine einsame kleine Gestalt mit langsamen Schritten über den Schulhof, den Kopf gesenkt. Tiago. Was hatte er denn?

Luisa ging ihm ein Stück entgegen und winkte ihm, aber er nahm sie nicht wahr. Das Herz wurde ihr schwer. Sie erinnerte sich an Tiagos ersten Schultag vor zwei Wochen, da war er noch so fröhlich gewesen, hatte ihr aufgeregt von der Lehrerin erzählt, von dem Mädchen, das neben ihm saß, von den ersten Buchstaben, die sie gelernt hatten.

Diese Freude war verflogen. Der Anblick schmerzte sie, denn Tiago war ganz alleine. Hoffentlich würde er bald einen Freund in seiner Klasse finden. Ob sie ihm irgendwie helfen konnte? In diesem Moment hob ihr Sohn den Kopf und entdeckte sie, sie breitete die Arme aus, und er beschleunigte seine Schritte endlich.

„Hallo, mein Großer!“, begrüßte sie ihn, schloss ihn in die Arme und strubbelte durch sein Haar. Tiago lachte kurz auf. Als hinter ihnen höhnisches Gelächter ertönte, setzte er aber wieder ein ernstes Gesicht auf.

Louisa drehte sich um und entdeckte zwei etwas größere Jungen als Tiago. Einer von ihnen hatte etwas gesagt, das wie „Schau dir dieses Baby an“ klang, und Luisa wurde schlagartig klar, dass die zwei Tiago meinten. Sie sah zu ihm, aber er war bereits ein Stück die Straße hinuntergegangen in Richtung Auto. Sein schwerer Rucksack schien seine Schultern nun noch weiter hinunterzuziehen als sonst.

Luisa warf den beiden Jungen einen bösen Blick zu, drehte sich um und ging mit schnellen Schritten hinter Tiago her. Sie holte ihn ein und zwang sich, ihm nicht den Arm um die Schultern zu legen, obwohl sie nichts lieber getan hätte als das.

Sie räusperte sich. „Sind die beiden in deiner Klasse?“

Tiago brummte zustimmend.

„Ärgern sie dich?“ In ihrem Bauch verspürte sie Wut. Was waren Kinder manchmal gemein! Dabei gab es nichts, weswegen man Tiago hätte hänseln können. Er war ein fröhliches, aufgewecktes Kind, stets freundlich und lebhaft. Das war doch in der Schule mit Sicherheit nicht anders.

Im Kindergarten hatte er nie Probleme, zumindest keine, von denen sie wusste. Die Betreuerinnen hatten ihn sehr gern gehabt, und er hatte mit vielen Kindern gespielt. Sein bester Freund war doch auch in seiner Klasse, oder hatte sie das falsch verstanden?

„Weiß nicht“, sagte Tiago endlich.

„Was ist denn mit Manuel? Ist er nicht in deiner Klasse?“, fragte sie vorsichtig.

„Doch, wieso?“

Eigentlich wollte Luisa fragen, weshalb er nicht mit Tiago gemeinsam aus dem Schulgebäude gekommen war, warum sie nicht aufeinander warteten, aber vielleicht war genau das ja das Problem. Ob Manuel bereits einen anderen Freund gefunden hatte?

Luisa warf ihrem Sohn einen besorgten Blick zu. Seine Miene war verschlossen, und er trat ärgerlich gegen die kleinen Steinchen, die auf seinem Weg lagen. Kein guter Zeitpunkt, beschloss sie. Ablenkung war sicher besser.

„Wollen wir gleich zusammen Lego bauen?“, fragte sie.

Tiago sah immer noch zu Boden und hob nur leicht die Schultern. „Meinetwegen.“

In den letzten Tagen hatte Luisa sich nicht so oft Zeit nehmen können, um mit ihrem Sohn zu spielen, weil der Weinberg gerade so viel Arbeit für sie und ihre Schwiegereltern bereithielt. Sie half umso tatkräftiger mit, seit ihr Schwiegervater sich aus gesundheitlichen Gründen fast vollständig von der Arbeit auf dem Weingut zurückgezogen hatte.

Seit man dort zur traditionellen Herstellung zurückgekehrt war, war der Ruf fast wieder so gut wie früher. Das war schön, die Kehrseite war jedoch leider, dass sie nicht mehr so viel Zeit mit ihrem Sohn verbringen konnte.

Ohne ein weiteres Wort stieg Tiago ins Auto und sprach auch die ganze Fahrt zurück zum Weingut nicht. Immer wieder warf Luisa ihm besorgte Blicke zu, aber seine Miene wirkte so verschlossen, dass sie ihn lieber in Ruhe ließ. Gleichzeitig sah er wütend und niedergeschlagen aus. Etwas bedrückte ihn ganz sicher. Zwar hatte er bereits am dritten Schultag weniger erzählt, doch jetzt schwieg er vollkommen.

Vielleicht war er einfach erschöpft, versuchte sie sich zu beruhigen. Es war sicher warm in den Schulräumen. Hatte Tiago nicht sogar erzählt, dass sein Klassenzimmer unter dem Dach lag? Die Sonne brannte den ganzen Tag. Gut, dass es wenigstens eine längere Mittagspause gab, die die Kinder im Schulgarten oder auf dem Hof verbringen konnten.

Sie warf ihrem Sohn noch einen Blick zu, ehe sie auf den Hof der Quinta da Luz Vermelho einbog und den Wagen im Schatten vor ihrem Haus parkte. Das Weingut von Davinhos Eltern thronte majestätisch im Sonnenlicht zwischen den grünen Weinreben.

Luisas Schwiegereltern bewohnten das Haupthaus, rechts daneben lag das Nebengebäude, in dem sie mit Tiago wohnte. Selbst nach dem schrecklichen Unfall war es ihr Zuhause geblieben und sie liebte es. Manchmal machte es sie nur traurig, dass Davinho es nicht mehr miterlebt hatte, dass sein Bruder Malino wieder auf dem Weingut eingezogen war. Malino wohnte seit einer Weile mit seiner Frau Emily im neuen Anbau.

Auf der Bank im Schatten eines kleinen Pfirsichbaums saß Luisas Schwiegervater Reinaldo. Offenbar hatte er schon auf sie beide gewartet, er stand auf und kam auf das Auto zu, um seinem Enkel die Tür zu öffnen. Normalerweise lachte Tiago darüber, wenn sein Großvater ihn begrüßte wie einen Prinzen, aber heute rang er sich nur mit Mühe ein Lächeln ab.

„Hattet ihr einen angenehmen Tag, Eure Hoheit?“, fragte Reinaldo und legte einen Arm um die schmalen Schultern des Jungen.

„Geht so“, antwortete Tiago. „Hab viele Hausaufgaben auf, muss mal anfangen.“ Er machte sich los und ging mit schnellen Schritten ins Haus.

Verwirrt drehte Reinaldo sich zu ihr um. „Ist was passiert?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht, aber ich werde es hoffentlich noch herausfinden. Dir hat er auch nichts erzählt in den letzten Tagen?“, fragte sie leise.

Reinaldo schüttelte den Kopf und sah zu ihrer Haustür. „Vielleicht ist es noch anstrengend für ihn, er muss sich daran gewöhnen, den ganzen Tag stillzusitzen. Das ist ja nicht so seine Art.“

Er zwinkerte ihr zu, aber sie sah, dass auch er sich Sorgen machte.

Funchal, Madeira

Romão schloss die Tür zu seinem neuen Haus auf und trat ein. Langsam ging er von Zimmer zu Zimmer. In den sonnendurchfluteten Räumen lag ein Duft von Lavendel und Zitrus. Die neue Haushaltshilfe war bereits da gewesen, sodass alles blinkte und duftete. Vermutlich direkt nach den Spediteuren, die seine neuen Möbel geliefert und alles so angeordnet hatten, wie seine Innenarchitektin es geplant hatte. Sogar alle seine Umzugskisten waren ausgeräumt.

Wie ein Zuhause fühlte es sich allerdings noch nicht an, aber man durfte keine Wunder erwarten. Die letzten Jahre war er immer nur sporadisch nach Madeira gekommen und hatte bei seinen Eltern im Gästezimmer übernachtet. Doch jetzt wollte er bleiben, einen Neuanfang wagen, den er dringend brauchte. Da waren eigene vier Wände natürlich notwendig.

Die viele Freizeit, die vor ihm lag, war seltsam. Seit seinem Studium und der Gründung seiner Firma hatte er viel zu viel gearbeitet. Auch wenn es ihm zu der Zeit nicht bewusst gewesen war, so war es jetzt umso deutlicher. Ein bisschen vermisste er seine vollen Tage, die Effizienz seiner Zeiteinteilung, aber er würde sich daran gewöhnen. Und es sollte ja auch nicht so bleiben. Nach der vom Arzt angeordneten Ruhephase würde er sich eine neue Aufgabe suchen. Hier auf Madeira.

Im Wohnzimmer blieb er stehen, öffnete die Terrassentür und trat nach draußen. Auf dem Meer glitzerten Sonnenstrahlen, und es duftete nach den Pinien, die vor dem Balkon wuchsen und willkommenen Schatten spendeten.

Romão umrundete die Hausecke und sah hinunter auf die Dächer der Hauptstadt Madeiras. Funchal war im Vergleich zu Coimbra oder gar Lissabon auf dem Festland natürlich geradezu winzig, aber dennoch gab es da unten in den schmalen Gassen Restaurants und Cafés, Bars und jede Menge feiernde Menschen.

Von hier oben konnte er gerade mal die Sonnenhüte der Touristen sehen, hörte jedoch außer den Rufen der Schwalben und dem Zirpen der Zikaden keinen Laut. Tief atmete er ein und ließ seinen Blick über die Dächer der Häuser streifen. Seine Eltern wohnten eine halbstündige Autofahrt entfernt, doch seine Freunde von früher lebten mittlerweile alle auf dem Festland.

Seltsam, dass er jetzt die Zeit hätte, sich wieder öfter mit seinem besten Freund zu treffen, jetzt, wo er weggezogen war. Die Arbeit hatte seinen ganzen Tag bestimmt, das war ihm viel zu spät aufgefallen. Zum Glück hatte er es dennoch geschafft, den Kontakt zu seinem Studienfreund Cristiano aufrechtzuerhalten.

Auch, wenn sie sich wenig trafen, schrieben sie sich doch hin und wieder Nachrichten. Cristiano lebte mittlerweile mit Frau und Kind in einem schicken Haus in Coimbra, was der Grund war, weshalb auch er weniger Zeit hatte.

Romão zog sein Handy aus der Hosentasche und schrieb ihm eine Nachricht:

Bin gut angekommen, Aussicht ist klasse. Schade, dass wir uns nicht auf einen Wein treffen können. Genieß den Feierabend!

Die Nachricht ging sofort durch, aber die Häkchen wurden nicht blau, Cristiano hatte sie also bisher nicht gelesen. Romão behielt das Telefon noch eine Weile in der Hand, scrollte durch seine E-Mails und sah sich die Wettervorhersage für die nächsten Tage in Funchal an.

Auch seinen Eltern schickte er eine kurze Nachricht, aber hier brauchte er gar nicht erst zu warten. Seine Mutter würde am Abend vor dem Schlafengehen einmal auf ihr Handy schauen, tagsüber tat sie das aus Prinzip nicht. Sie betonte immer, dass sie das Gerät für ein Ding des Teufels hielt, und vielleicht stimmte das sogar. Bei ihr wusste man nie.

Schließlich steckte er das Handy weg. Es war erst vier Uhr am Nachmittag, zu früh, um essen zu gehen, und erst recht zu früh, um eine der Bars auszutesten, von denen er tatsächlich keine einzige kannte. Er setzte sich mit einem Espresso auf den Balkon und sah hinunter auf die Dächer des Städtchens. Wann war er das letzte Mal dort unten gewesen? Das musste zu Schulzeiten gewesen sein. Was wohl aus all seinen Schulfreunden geworden war?

Romão trank seinen Espresso in einem Zug aus und schüttelte sich. Das Getränk war bereits vollständig abgekühlt. Er brachte die Tasse in die Küche, stellte sie in den Kaffeevollautomaten und drückte erneut den Knopf für einen Espresso. Das Gerät brummte und Dampf stieg auf. Sein Blick fiel auf den großen Kühlschrank mit den mattgebürsteten Edelstahltüren. In Fernsehserien hingen daran immer Fotos oder Postkarten, was ihm eigentlich gut gefiel.

Die Zeit der Postkarten war vermutlich vorbei, und Fotos hatte er nur auf dem Handy. Er öffnete die Galerie auf seinem iPhone und scrollte durch die Aufnahmen der letzten Monate. Die meisten waren geschäftlicher Natur, es gab nur zwei Schnappschüsse, die er von Cristiano und sich per Selbstauslöser gemacht hatte. Verrückt.

Gab es noch Fotos aus dem Studium? Doch! Alice, seine Ex-Freundin, hatte ihm zum Abschied ein Fotoalbum geschenkt, so ein altmodisches mit eingeklebten Bildern. Er erinnerte sich sogar, dass er es in eine der Bücherkisten hatte packen lassen.

Mit dem frischen Espresso ging er ins Wohnzimmer und im Bücherschrank fand er tatsächlich das Fotoalbum von Alice. Daneben stand sogar ein weiteres, vermutlich war das ebenfalls aus seiner Studienzeit, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte. Er nahm beide mit nach draußen auf den Balkon und setzte sich dieses Mal auf den Loungesessel, von dem aus er einen Blick aufs Meer hatte.

Das schwarze Album enthielt Schnappschüsse, die ihn sofort in die Vergangenheit katapultierten. Cristiano und er waren auf vielen zu sehen, aber auch die anderen aus seinem Wohnblock und natürlich Alice mit ihren Freundinnen. Oft stand er in irgendeiner Küche dabei. Ein paar Aufnahmen der Unigebäude hatte Alice ihm auch eingeklebt und ein paar hübsche Fotos von Orten in der Stadt, zu denen sie gerne gegangen waren. Cafés und Plätze, das alte Kino, die Gärten der Quinta das Lágrimas, die Bibliothek Joanina.

Romão ließ das Buch sinken und sah hinunter auf das weite Meer. Wie es ihr wohl ging? Soweit er wusste, war Alice wieder zurück nach England gegangen. Am Anfang hatte sie ihm noch ab und zu eine E-Mail geschickt, aber weil er nie geantwortet hatte, hatte sie es dann aufgegeben.

Nach der Uni war man weitergezogen, so war das eben. Aber auch aus seiner Schulzeit hatte er kaum noch Kontakte. Damals hatte er seine festen Freunde gehabt, die er bis zum Abschluss behalten hatte. Aber danach? Aus den Augen, aus dem Sinn.

Nun ja, jetzt hatte er die Chance, es besser zu machen. Eine neue Stadt, eine neue Aufgabe vor sich, die er erst noch finden musste, und dieses Mal wollte er sich richtig einleben. Er freute sich auch darauf, seine Eltern zu besuchen und ihnen bei den Finanzfragen in Bezug auf ihre neue Pension zu helfen, die sie in Arco de Calheta geerbt hatten. Bisher hatte er nur Fotos gesehen, das machte es umso spannender.

Romão war froh, dass sie wieder mehr telefonierten in letzter Zeit. All die Jahre hatten sie finanzielle Hilfe von ihm strikt abgelehnt und taten es immer noch. Der Verkauf seiner Firma war etwas, das ihm schwergefallen war, aber es war der richtige Schritt gewesen.

Sein Arzt hatte es nicht direkt vorgeschlagen, aber nach seinem Burn-out hatte Romão mehr über sein Leben nachgedacht. Auf einmal hatte er sich nach der Insel gesehnt, nach Madeira, wo er aufgewachsen war. Hier würde er die Ruhe finden, die er brauchte, um nicht noch einmal einen Burn-out zu riskieren. Wenn es nach seinem Kontostand ging, müsste er nie wieder arbeiten, aber er wollte es. Jedoch anders als vorher, in der nächsten Zeit würde er sich überlegen, was genau er sich vorstellte.

Durch die Mieteinnahmen seiner Wohnblocks in Coimbra und Lissabon hatte er genügend Einkommen, doch sich bei seinen Eltern die Finanzen anzusehen, ihnen mit Preisen und Anschaffungen zu helfen, kam ihm nicht wie ein richtiger Job vor. Er machte es gerne, sie waren diejenigen, die das Thema Geld aufgebracht hatten. Sie konnten ihn nicht bezahlen, aber er hätte ohnehin nichts von ihnen genommen.

Kurz nach dem Studium hatte er seine Firma für Luxus-Ausstattungen für Fünfsternehotels gegründet und über die Jahre hatte er Millionen verdient. Natürlich ging so etwas nur mit harter Arbeit, aber ja, es war ihm klar gewesen, dass das nicht auf Dauer so weitergehen konnte. Der Burn-out hatte ihn gerettet, wenn man so wollte.

Genug alte Erinnerungen! Es wurde Zeit, sich auf das Jetzt zu konzentrieren. Schon seit einer Weile sehnte er sich nach einer Aufgabe, die wirklich etwas bewirkte, die sinnvoll war. Er wollte etwas tun, das ihn erfüllte. Das Geld dafür hatte er, er hatte nur noch keinen Plan.

Seufzend legte er das Album zur Seite, ging wieder ins Haus, nahm seinen Autoschlüssel und seine Brieftasche und fuhr hinunter nach Funchal. Natürlich hätte er ebenso gut die Gondel nehmen können, die aus Monte hinunterschwebte, aber er hatte keine Lust, sich in die ewig lange Schlange einzureihen.

So folgte er der kurvenreichen, steilen Straße Richtung Meer, entlang an dunkelrosa gestrichenen Betonmauern, über die die grünen Zweige der Akazien ragten, und an weißen Häusern mit terrakottaroten Dächern vorbei. Die Sonne stand bereits tief, und sein Magen knurrte.

Unweit des Hafens fand er einen Platz in einem Parkhaus und schlenderte kurze Zeit später durch die schmalen Gassen unter großen Stoffschirmen entlang und an schwatzenden Touristen und Postkartenständern vorbei. Kurz entschlossen wählte er ein Restaurant, das nicht so war wie die schicken und teuren, in denen er in Coimbra normalerweise aß. Heute war ihm danach, neu anzufangen, sich an die Stadt zu gewöhnen, sich unter die Einheimischen zu mischen.

Alle Tische waren besetzt, aber er ergatterte gerade noch einen am äußersten Rand der Terrasse. Er war der Einzige, der allein saß. Eine hübsche zierliche Kellnerin mit blond gefärbten Haaren reichte ihm eine Speisekarte.

„Darf ich Ihnen schon ein Getränk bringen?“ Sie lächelte freundlich.

„Eine Poncha, bitte.“

„Sehr gerne.“ Sie eilte zum Nachbartisch, nahm auch dort eine Bestellung auf und verschwand dann im Inneren des Restaurants.

Romão widmete sich der Karte, wählte und ließ seinen Blick dann über die anderen Tische schweifen. Überall saßen Pärchen, bis auf einen Tisch mit vier jungen Frauen, die ausgelassen lachten. Früher oder später würde auch er hier Freundschaften schließen, und dieses Mal würde er sich darauf konzentrieren, diese auch zu halten.

Die Kellnerin brachte ihm seine Poncha und notierte seine Bestellung. Während er wartete, trank Romão einige Schlucke des Nationalgetränks Madeiras. Den Zuckerrohrschnaps schmeckte man deutlich heraus, obwohl in dieser Zusammenstellung mit Honig nicht gegeizt worden war, dafür nahm er nur einen Hauch Zitrone wahr. Eine gute Mischung, wirklich.

Romão sah auf sein Handy. Endlich hatte Cristiano seine Nachricht gelesen, geantwortet hatte er allerdings nicht.

Er aß seine Fischsuppe und danach den Fleischspieß mit Kartoffeln. Auf einen Nachtisch verzichtete er, genau wie auf den Espresso.

Nachdem er bezahlt hatte, schlenderte er über das berühmte Kopfsteinpflaster Funchals an Cafés und Restaurants vorbei. Schwarze und weiße Steine waren zu Mustern gelegt, in einer Straße wirkte es wie ein Mosaik aus Monden, mal erinnerte es an Fischschuppen. Von überall wehten Musikfetzen herüber, manches Mal auch live gesungene Fados. Die melancholischen Lieder passten perfekt zu seinem momentanen Gemütszustand.

Romão spähte in einige Bars, aber je mehr fröhliche, fremde Menschen er sah, desto einsamer fühlte er sich. Seltsam, dass er all das in den letzten Jahren nicht vermisst hatte. Abgesehen von Geschäftsessen hatten seine Tage fast nur aus Arbeit bestanden, bis in die späten Abendstunden.

Erst jetzt wurde ihm klar, wie ungut sein Lebensstil gewesen war. Er hatte kaum Freizeit gehabt. Wenn er nicht arbeitete, war er ins Fitnessstudio gegangen oder hatte geschlafen. Selbst Urlaub hatte er sich selten gegönnt. Er erinnerte sich deutlich an den Arztbesuch, bei dem er erfahren hatte, dass er einen Burn-out hatte. Wenigstens keinen Herzinfarkt, aber der hätte nicht lange auf sich warten lassen, das wusste er. Langsam kehrte er zu seinem Auto zurück.

Das Parkhaus lag am Ende einer Allee mit glatt gelaufenen weißen Pflastersteinen, in denen Muster aus Lilien und anderen Blumen eingearbeitet waren. Lichterketten in den Bäumen strahlten nach Sonnenuntergang die Rinde blau und gelb an. Hier war es beinahe still, die Geräusche der Stadt endlos weit entfernt.

War es richtig gewesen, sein altes Leben so schnell hinter sich zu lassen, alle Zelte abzubrechen? Natürlich hatte er etwas tun müssen, um wieder Fuß zu fassen. Ein Burn-out war kein Spaß und vielleicht wäre es nur der Anfang gewesen, wenn er einfach weitergemacht hätte wie bisher. Wieder in seine Heimat zurückzukehren, war ein Sinnbild dafür, zu seinen Wurzeln zurückzukehren.

Als Kind hatte er es auf Madeira geliebt und er wollte wieder dieses Gefühl haben, spüren, wie es war, zu Hause zu sein. In Coimbra hatte er den Fehler gemacht, sich nicht in seiner Umgebung heimisch zu fühlen. Er hatte nur gearbeitet, sein Büro war mehr sein Zuhause gewesen als seine schicke Stadtwohnung.

Auch seine Eltern sollten wieder Teil seines Lebens werden. Er freute sich auf die Pension, freute sich für seine Eltern. Schon so lange hatten sie davon geträumt, nicht mehr angestellt zu sein, sondern etwas Eigenes zu haben. Und das wünschte er sich auch.

Natürlich hätte er seine Wohnung in Coimbra behalten und erst mal nur vorübergehend für eine längere Auszeit nach Madeira kommen können. Aber er weigerte sich, das jetzt als Fehler anzusehen. Madeira war früher seine Heimat gewesen und würde es sicher wieder werden. Besonders, wenn er hier herausfand, wovon er träumte, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Die Frage war nur, ob ihm das gelingen würde.

2. KAPITEL

Nach dem Frühstück, bestehend aus Kaffee und einer Grapefruit, fuhr Romão zu seinen Eltern nach Arco de Calheta. Die Schnellstraße führte eine ganze Weile durch Funchal hindurch, dann lagen rechts und links graue Berge und vor ihm das funkelnde Meer. An Bananenplantagen vorbei, immer wieder über Land und an hohen bewachsenen Felswänden entlang.

Ab und zu schmückten Agaven und riesige Säulenkakteen den Ausblick aufs Meer und Feigenkakteen mit ihren großen ovalen Segmenten. Dann folgten wieder felsige Abschnitte, übersäht mit Mittagsblumen in Pink und einem zarten Gelb. Obwohl die Klimaanlage im Wagen angeschaltet war, glaubte Romão die Hitze der Sonne zu spüren, und ja, Madeira machte ihrem Namen als Blumeninsel alle Ehre.

Nach den Jahren auf dem Festland genoss er den Anblick des Meeres. Er war auf Madeira aufgewachsen. Damals hatte das Meer zu seinem Alltag gehört, daher hatte er es als Kind gar nicht so sehr zu schätzen gewusst, es als selbstverständlich angesehen.

Immer wieder führte die Straße von der Küste weg ein Stückchen ins Landesinnere, und er fuhr auf einer erhöht liegenden Fahrbahn durch einen Ort, rechts und links die Dächer der Häuser, Palmenspitzen. Die breite Straße tauchte in die Berge ein, führte durch einige Tunnel. Wieder an einem Ort vorbei, dieses Mal einem, den er gut kannte: Ribeira Brava.

Hier wirkte alles viel kleiner, als er es in Erinnerung hatte. Romão glaubte, den Kiosk zu erkennen, wo er sich von seinem Taschengeld Comichefte und bunte Wundertüten gekauft hatte. Hinter einer Mauer lag der Botanische Garten. Die nächste Querstraße führte zu seiner früheren Schule. Wenn er das Fenster herunterließe, könnte er vielleicht die Rufe der Kinder auf dem Pausenhof hören, so wurde die Szenerie nur untermalt von der Musik im Radio.

Er fuhr weiter und die Häuser wurden spärlicher, bis es erneut über Land ging, dicht an Felsen entlang, links fielen sie tief ab hinunter zum Meer. Nach der nächsten Kurve lag Arco de Calheta vor ihm. Die Häuser des Ortes sahen von Weitem aus wie kleine rote Blüten in einem riesigen Busch. Überall wuchsen dunkelgrüne Olivenbäume und Bananenpalmen, dazwischen lagen vereinzelt Häuser am Berghang. Die Stimme des Navigationsgeräts forderte ihn auf, in eine steile Straße einzubiegen, die ihn ein Stück weit den Berg hinaufbrachte. Eine ganze Weile folgte er einer grau gestrichenen Mauer, während die Straße sogar noch steiler wurde. Schließlich verkündete das Gerät, dass er sein Ziel erreicht hätte und es rechts von ihm läge.

Da gab es tatsächlich eine Einfahrt, allerdings verschlossen von einem großen Tor aus rostigem Metall, eingelassen in eben die graue Mauer, an der er schon die ganze Zeit entlanggefahren war. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Nun war er noch gespannter auf das Haus, das seine Eltern geerbt hatten. Während sie jahrelang in unterschiedlichen Hotels in Funchal gearbeitet hatten, seine Mutter als Zimmermädchen, sein Vater als Barkeeper, hatten sie immer von einem eigenen Hotel geträumt.

Nie hätten sie gedacht, dass es einmal Wirklichkeit werden könnte. Doch dann hatte Tante Luana ihnen dieses riesige Anwesen vererbt, und der Traum von einer eigenen Pension war greifbar geworden. Romão konnte sich überhaupt nicht an Tante Luana erinnern, hatte er sie je getroffen? Genau genommen erinnerte er sich nicht einmal daran, dass je jemand ihren Namen erwähnt hatte.

Er stellte den Motor ab, stieg aus und ging auf das Tor zu. Es ließ sich nicht öffnen, aber in der Mauer entdeckte er einen Klingelknopf über einem kleinen leeren Namensschild. Er drückte auf den Knopf und hoffte, dass die Klingel besser in Schuss war als dieses rostige Tor.

Durch das Gitter sah er eine moosgesäumte Levada, durch die Wasser plätscherte. In einiger Entfernung verzweigte sich der für Madeira typische Bewässerungslauf und verschwand zwischen Olivenbäumen auf der einen und Bananenpalmen auf der anderen Seite. Die asphaltierte Einfahrt führte über eine niedrige Brücke und verschwand ebenfalls hinter den Bäumen, sodass er kein Haus entdecken konnte.

Um mehr sehen zu können, schritt er das Tor in seiner ganzen Breite ab. Nach einer Weile kam jemand auf ihn zugeeilt, sein Vater. Braun gebrannt und trotz seiner sechzig Jahre noch immer mit vollem schwarzem Haar gesegnet, strahlte er vor Freude, als er seinen Sohn erkannte.

„Romão! Wie schön, dich zu sehen!“

Mit zwei beherzten Handgriffen öffnete sein Vater das Tor und zog den einen Flügel ganz auf, bevor er auch den zweiten weit aufschob. Dann kam er auf ihn zu und nahm ihn in die Arme.

Mauricio Almeida war sogar noch einen halben Kopf größer als sein Sohn und wirkte absolut in seinem Element hier zwischen den Bäumen an der frischen Luft. Hitze hatte ihm noch nie etwas ausgemacht.

Romão klopfte seinem Vater auf den Rücken. „Toll habt ihr’s hier“, sagte er. „Willst du mitfahren?“

Sein Vater zögerte einen Moment, er fuhr nicht gerne Auto, weshalb seine Frau dies meist übernahm. „Fahr durch, ich mache erst das Tor zu.“

Wenig später stieg Mauricio in den Wagen. Ehrfürchtig strich er über das Armaturenbrett des Maserati. „Ein tolles Auto. Wie ist dein neues Haus? Hat es eine gute Aussicht?“, fragte er und schnallte sich an.

„Top, beides.“ Romão lachte. „Ich muss mich noch einleben, im Moment fühlt es sich so an, als wäre ich zu Besuch.“

Mauricio nickte. „Kenne ich gut, aber verrückt ist, dass es mir hier nie so ging.“ Er machte eine Geste zum Fenster auf das Grundstück.

„Und das Haus?“, fragte Romão.

„Ja, das ist eine andere Sache. Du wirst es gleich sehen.“

„Ich kann mich gar nicht an Tante Luana erinnern, wie kommt Mama mit dem Verlust klar?“

Mauricio zögerte. „Sie hatten kein gutes Verhältnis in den letzten dreißig Jahren. Oder sagen wir so, sie hatten gar keins mehr. Luana hat hier sehr zurückgezogen gelebt mit einigen Angestellten. Ich glaube, sie hat das Haus gar nicht mehr verlassen, und sie hatte kein Telefon. Ein einziges Mal hat deine Mutter sie hier besuchen wollen, aber sie wurde abgewiesen.“

„Und dennoch hat sie euch das Haus vererbt?“

„Sie hatte weder Kinder noch Ehemann. Kurz vor ihrem Tod hat sie einen Brief an deine Mutter geschrieben. Als er ankam, war sie leider bereits gestorben, und so hat Mama nur mit der Haushälterin sprechen können. Wir sind sehr dankbar, dass alle geblieben sind und sich darauf freuen, dass wir hier eine Pension eröffnen wollen.“

Die Straße schlängelte sich zwischen Bananenpalmen und Olivenbäumen hindurch, bis hinter einer weiteren Kurve ein gekiester Platz auftauchte. In der Mitte befand sich eine runde Grasfläche mit riesigen Agaven und einem Springbrunnen. Trotz des Algenbewuchses am Brunnen erkannte Romão die Azulejos, die typischen blau-weißen Fliesen Portugals. Im Moment sprudelte zwar kein Wasser daraus hervor, aber der Brunnen war dennoch wunderschön.

Dahinter lag das Haus. Es glich einem Herrenhaus oder einem kleinen Palast. Riesige Palmen standen an den Seiten. Die Fassade leuchtete gelb im Sonnenlicht, die Fensterläden aus dunklem Holz waren geschlossen. In der ersten Etage gab es eine Reihe von Balkonen mit verzierten Eisengeländern.

„Wie viele Zimmer könnt ihr vermieten?“, fragte Romão.

„Zwölf. Zehn Doppelzimmer und zwei Suiten.“

„Zwei Suiten“, murmelte Romão. Er parkte den Wagen und sie stiegen aus. Er schirmte die Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab und ließ den Blick über den Garten schweifen. Die Mauern des Grundstücks konnte er von hier aus gar nicht sehen.

„Romão!“ Thalita, seine Mutter, kam aus dem Haus gelaufen und schloss ihn in die Arme. „Da bist du ja! Ist es nicht toll?“

„Wirklich beeindruckend.“

„Du musst es von innen sehen und auch die Pools, den kleinen Teich und den Obstgarten.“

Seine Mutter schob ihn die drei Stufen bis zur zweiflügeligen Eingangstür hinauf. Drinnen atmete Romão tief aus, da ihn kühle Luft einhüllte. Es duftete nach Bienenwachs, alten Holzmöbeln, schweren Stoffen und Stein. Die Eingangshalle war groß und passend zu dem Haus. Eine dunkle Holztreppe mit einem roten Teppichläufer führte nach oben auf eine Galerie. Die Wände waren allerdings kahl, und außer zwei antik anmutenden Vasen in den Ecken der Halle war der Raum schmucklos. Die Bodenfliesen hatten vermutlich ein Muster, jedoch konnte man es im herrschenden Dämmerlicht nicht genau erkennen. Es roch nach frischer Farbe.

„Komm“, rief seine Mutter, die bereits in einer der Flügeltüren auf ihn wartete.

Sie zeigte ihm zwei große Zimmer, die eingerichtet waren wie ein Esszimmer und ein Salon, jedoch ebenfalls eher spartanisch.

„Hier kommt der Frühstücksraum hin“, schwärmte sie. „Ich zeige dir nachher die Möbel, die wir bestellt haben.“

Als Nächstes folgte eine große Küche mit antik aussehenden Geräten.

„Du kannst ja gar nichts sehen!“

Thalita stieß die Läden eines bodentiefen Fensters auf, Licht strömte herein und er hörte das Zirpen von Zikaden. Die Küche gefiel ihm sofort. Sie war altmodisch und sehr gemütlich, ganz anders als seine moderne Küche zu Hause. Sie passte zum Haus.

Langsam ging er durch den Raum, strich über die alten Wandfliesen, Azulejos in blau-weiß mit gelben Akzenten. Dargestellt waren verschiedene Bauernhofszenen mit Gemüsegarten, Feldern und Weiden mit Tieren.

„Erst mal eine Limonade“, verkündete Mauricio, der leise hinter ihnen den Raum betreten hatte und drei Gläser mit frischer Limonade befüllte.

Sie schmeckte fantastisch, genau die richtige Mischung aus Sauer und Süß. Romão stellte sein leeres Glas zeitgleich mit seinem Vater auf dem Tisch ab.

„Komm, ich zeige dir den Rest.“ Mauricio lächelte.

„Das kann ich doch machen“, widersprach Thalita.

„Hast du nicht gleich den Termin mit dem Zimmermädchen?“

Seine Mutter warf einen Blick auf die Uhr und stieß einen kleinen Schrei aus. „Schon so spät! Ich gehe sie am Tor abholen.“

Mild lächelnd schüttelte Mauricio den Kopf, und sie setzten ihren Rundgang fort. In der unteren Etage gab es noch einen mittelgroßen Saal, einen weiteren Salon, ein paar Wasch- sowie Lagerräume. Alles wirkte ein wenig aus der Zeit gefallen und versprühte ehrwürdigen Charme.

„Oben sind die Gästezimmer“, sagte sein Vater, und sie stiegen die Treppe hinauf, die an mehreren Stellen knarrte. Jedes Mal verzog Mauricio das Gesicht. „Wird noch gemacht.“

Sie sahen sich die Räume und Suiten an. Die meisten Zimmer hatten ein angeschlossenes Bad.

„Luana hatte damals schon dafür gesorgt, dass die vier ursprünglichen Gästezimmer, die Kinderzimmer und das große Schlafzimmer jeweils ein eigenes Bad haben, daher mussten wir nur fünf Zimmer zu Bädern umbauen. Was natürlich immer noch ganz schön viel ist, aber Luana hat uns nicht nur das Haus vererbt, sondern auch eine beträchtliche Summe. Und sie hat sich gewünscht, dass das Haus mit Leben gefüllt wird.“

„Da passt eine Pension natürlich wunderbar. Es ist ein wirklich schönes Haus“, sagte Romão, als sie in der zweiten Suite standen. „Wann wollt ihr eröffnen?“

Mauricio verzog den Mund. „Ich habe keine Ahnung, bis wann wir fertig sein werden. Die Renovierungsarbeiten in den wichtigsten Räumen müssen ja abgeschlossen sein, und wir müssen uns einig werden über Preise, Frühstück und dergleichen.“

Romão nickte. „Wobei kann ich euch helfen?“

„Mit den Preisen und der Homepage vielleicht?“

Romão freute sich auf die Herausforderung. Den restlichen Tag saßen sie am Küchentisch und machten Listen, rechneten, notierten, telefonierten und sahen Unterlagen durch, sodass er schließlich mit dem guten Gefühl, einen Anfang geleistet zu haben, nach Hause fahren konnte.

Er verabschiedete sich von seinen Eltern und fuhr zurück durch das üppig grüne Grundstück. Das Tor konnte er nun selbst öffnen, weil er jetzt einen eigenen Schlüssel besaß. Morgen würde er wiederkommen.

Luisa kehrte müde aus den Weinbergen zurück und fand Tiago schließlich im alten Stall, wo er den Katzen beim Spielen zusah, während ein kleines weißes Kätzchen auf seinem Schoß lag. Er streichelte es beinahe mechanisch und schien tief in Gedanken versunken zu sein, allerdings offenbar in keine schönen.

Sie strich ihrem Sohn über die widerspenstigen Locken, die er von seinem Vater geerbt hatte. „Du hast es ja gemütlich.“

„Hmm“, sagte Tiago, es klang allerdings nicht überzeugend.

„Hast du dir schon einen Namen überlegt?“

Für einen Moment sah es so aus, als wüsste Tiago nicht, was sie meinte, aber dann zuckte er nur die Achseln. „Ist doch egal. Sie kommt auch zu mir, wenn ich sie nicht rufe.“

„Ja, vermutlich sind Namen überbewertet“, sagte Luisa. „Ich finde Toulouse schön. Du auch?“

Tiago nickte ohne großen Enthusiasmus. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie ihren Sohn so traurig und in sich gekehrt sah. Vom Wirbelwind, der er bis vor Kurzem noch gewesen war, war nicht viel übrig. Ob das einfach zum Großwerden dazugehörte? Zum Ernst des Lebens, der in der Schule begann?

„Hast du Hunger?“

„Schon.“

„Was hältst du davon, wenn wir zusammen kochen?“ Sie hob die Hand, um ihn an einer allzu schnellen Antwort zu hindern. „Du darfst aussuchen. Was soll es zu Abend geben?“ Nachdenklich tippte sie mit der Fingerspitze an ihre Lippen.

Endlich sah er auf, und sein Lächeln wurde breiter. „Ganz egal, was?“

„Ja.“ Luisa kniff die Augen zusammen und tat, als hätte sie Angst, er würde ein Menü aus Zuckerwatte mit Gewürzgurken ohne weiteres Gemüse vorschlagen.

Tiago lachte, was das Katzenbaby weckte. Es streckte sich und kletterte elegant von seinen Beinen, um über einen Heuballen davonzustolzieren und sich dann auf einem hohen Balken zu putzen.

„Au ja“, rief Tiago.

Er sprang auf, griff nach ihrer Hand und gemeinsam liefen sie über den Hof zu ihrem kleinen Häuschen. Im Haupthaus brannte bereits Licht in der Küche und der Duft von gebratenen Süßkartoffeln wehte zu ihnen.

„Süßkartoffeln“, rief Tiago prompt. „Maracuja-Limonade, Serradura und heiße Schokolade.“

„Kein buntes Gemüse? Kein Fleisch?“

„Absolut nicht.“ Er grinste. „Du hast es versprochen!“

Jetzt musste auch Luisa lachen. „Natürlich, und daran halte ich mich. Gut, dass wir noch Maria-Kekse für das Serradura haben.“

„Warum heißt dieser weltleckerste Nachtisch eigentlich ,Sägespäne‘?“, fragte Tiago, als sie die Küche betraten und Luisa die Lampe über der Arbeitsplatte anschaltete.

Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil Kekskrümel so trocken sind wie Sägespäne?“

„Hmm. Ich bin jedenfalls froh, dass kein Holz zwischen die Puddingschichten gelegt wird. Das würde nur Holzwürmern schmecken.“

„Da hast du sicher recht.“ Luisa lachte.

Tiago begann sofort damit, die portugiesischen Butterkekse in eine Schüssel zu zerkrümeln, noch bevor er das Rezept seines Lieblingsdesserts aufschlug.

„Wie möchtest du denn die Süßkartoffeln haben?“, fragte Luisa.

„Als Pommes oder so in Vierteln, mit Thymian und Rosmarin“, sagte Tiago nach kurzem Überlegen.

Während Luisa sich um die Süßkartoffeln und die Maracuja-Limonade kümmerte, bereitete Tiago ganz allein seinen Lieblingspudding zu. Sogar mit der Gelatine konnte er gut umgehen, und auch die Milch im Topf erwärmen.

Er war konzentriert bei der Arbeit und sah entspannt und glücklich aus. Natürlich hatte Luisa gehofft, ihn aufzuheitern, allerdings hatte sie gleichzeitig vorgehabt, ihn auf die Schule anzusprechen und herauszufinden, was das Problem war. Jetzt brachte sie es aber nicht mehr übers Herz.

Normalerweise gehörte das Dessert zwar vier Stunden in den Kühlschrank, aber nachdem sie und Tiago die Süßkartoffel-Wedges aufgegessen und die Limonade getrunken hatten, holten sie sich jeder schon eine Portion.

„Morgen können wir auch noch etwas davon essen.“ Tiago strahlte.

Sie aßen schweigend, aber es herrschte eine entspannte und freundliche Atmosphäre in der Küche. Für die Gemütlichkeit hatte Luisa zwei dicke Kerzen angezündet, und im Hintergrund lief leise Musik. Ein richtig schöner Abend. Sie sah ihrem Sohn dabei zu, wie er den Löffel ableckte und ihn zurück in die leere Schüssel legte. Er atmete tief ein, bevor er seine Finger verschränkte und darauf schaute.

„Octavio lacht über mich. Er hat allen erzählt, dass ich meinen Vater noch nie gesehen habe. Er sagt, dass Jungs, die nur eine Mutter haben, weich sind und nie groß und stark werden. Man sieht es mir an, sagt Octavio. Ich benehme mich wie ein Mädchen.“

Luisa starrte ihren Sohn an. Sie hatte zwar gehofft, dass Tiago sich öffnen würde, aber damit hatte sie nicht gerechnet. Mit so etwas konnte man doch auch nicht rechnen!

Tiago schluckte, und als er sich räusperte, klang seine Stimme ganz belegt. Seine Augen schimmerten feucht. Ruckartig stand Luisa auf, versuchte, sich die richtigen Worte zurechtzulegen, aber die Ansichten dieses Octavio machten sie sprachlos.

Sie legte die Arme um ihren kleinen Jungen, der doch schon gestraft genug war, weil er seinen Vater nie hatte kennenlernen können. Wie konnte dieser Octavio es wagen, so etwas zu sagen? In ihrem Innerem kämpften Wut und Trauer, sie drückte Tiago fest an sich, bis er sich an sie klammerte und weinte.

Ohne ihn loszulassen, setzte Luisa sich auf den Stuhl neben seinem und zog ihn sanft auf ihren Schoß. Während Tiago leise schluchzte, streichelte sie seinen Rücken und summte ein Kinderlied, das ihr spontan einfiel. Erst als er sich beruhigt hatte, erzählte sie ihm von seinem Vater.

„Er hat dich von der ersten Sekunde an geliebt. Sobald wir wussten, dass ich schwanger war, war Davinho ganz vernarrt in die Idee, bald seinen Sohn in den Armen zu halten und später mit ihm Fußball spielen zu können. Obwohl ich ihm gesagt habe, dass es nicht sicher ist, dass du gerne Fußball spielen würdest. Es war ihm egal, er hätte mit dir gemalt, dir vorgelesen, gebastelt. Erinnerst du dich an das Buch mit der kleinen Eule? Das hat Davinho für dich ausgesucht, eine Woche, bevor du zur Welt kamst.“

Tiago schniefte leise. „Hätte er mich so gemocht, wie ich bin?“

„Natürlich, er hätte dich geliebt! Weißt du eigentlich, dass dein Papa dir ganz ähnlich sah, als er so alt war wie du?“

„Ehrlich?“ Tiago sah sie mit großen, feuchten Augen an und wischte sich über die Wangen.

„Habe ich dir noch nie die Fotos gezeigt? Von Davinho, als er klein war?“

„Nein, ich kenne nur das Bild, das im Flur bei Oma und Opa hängt.“

„Dann komm, wir holen die Fotoalben und schauen sie uns an, ja?“

Tiago nickte eifrig, und sie gingen ins Schlafzimmer, wo Luisa das alte Album aus Davinhos Kindheit aufbewahrte, ganz in ihrer Nähe in ihrem Nachttisch. Daneben standen eine Reihe von Fotobüchern, die Davinho ihr nach schönen Urlauben und nach ihrer Hochzeit gemacht hatte.

Sie nahm alle Bücher mit in Tiagos Zimmer und legte sie auf den Nachttisch, dann schickte sie ihn ins Badezimmer zum Zähneputzen. Sie lüftete und schloss dann die Fensterläden, und als Tiago endlich in seinem Schlafanzug im Bett saß, setzte sie sich dazu.

Sie sahen sich alle Fotos an und Luisa erklärte geduldig, wenn Tiago Fragen hatte. Besonders lange sah er sich die Bilder an, auf denen sein Vater als etwa sechsjähriger Junge zu sehen war. Beim letzten Fotobuch, dem von der Hochzeitsreise, fielen ihm die Augen zu.

Leise legte Luisa das Buch zu den anderen, deckte ihren Sohn noch einmal zu, gab ihm einen kleinen Kuss auf die Locken und ging nach unten.

Es war bereits so spät, dass sie selbst bald schlafen gehen musste, aber ihr ging Tiagos trauriges Gesicht einfach nicht aus dem Kopf und die Vorwürfe, die er sich in der Schule von diesem Octavio anhören musste. Ob sie mit der Lehrerin sprechen sollte oder gleich mit den Eltern von Octavio? Würde das etwas bringen? Eins stand jedenfalls fest, so konnte sie nicht schlafen, sie würde Tiago seine Lieblingskekse backen und sie ihm mit in die Schule geben. Vielleicht würde er so ein paar freundliche Gesichter sehen am nächsten Tag.

Der Weg zurück zur Schnellstraße kam Romão länger vor als der Hinweg. Es begann zu regnen und auf einmal zuckten Blitze über den Nachthimmel. Nach weiteren zehn Minuten wurde ihm klar, dass er irgendwo eine Abzweigung verpasst haben musste. Die Straße nach Funchal hätte längst kommen müssen.

Das kam davon, wenn man ohne Navi fuhr nach so einem langen Tag, aber er wollte sich alleine auf der Insel zurechtfinden, die nun seine neue Heimat war. Das sollte ja nicht so schwer sein. Den Scheibenwischer musste er mittlerweile auf Stufe drei stellen, und er konnte kaum die Schilder entziffern. Langsam fuhr er weiter, hier war nicht mal ein anderes Auto zu sehen. Vielleicht sollte er umdrehen.

Er spähte hinaus in die Dunkelheit und entdeckte eine Straßeneinmündung, da ertönte ein Knall. Der Wagen schlitterte. Romão versuchte gegenzulenken, aber die Straße war so voller Wasser, dass die Reifen kaum griffen. Beinahe in Zeitlupe rutschte er auf die Felswand zu. Es gelang ihm, das Lenkrad herumzureißen, sodass der Wagen mit der Seite an die Wand prallte, ein gutes Stück daran entlangrutschte, direkt auf einen Baum zu. Hektisch trat er auf die Bremse, doch es war nichts mehr zu machen. Mit einem überraschend lauten Wumms prallte er gegen den Baum, und der Motor erstarb.

„Verdammt“, murmelte Romão in den Airbag, der ihn in den Sitz presste. Sein Herz raste, und er versuchte, sich zu beruhigen.

Es war nichts passiert, bis auf die Tatsache, dass er hier im Nirgendwo mit einem kaputten Auto stand. Er versuchte, den Wagen zu starten, doch es schien irgendeine Automatik zu greifen, die dies nicht zuließ. Im Fußraum auf der Beifahrerseite suchte er im Dunkeln nach seinem Handy, das eben mit einem Poltern vom Sitz gefallen war. Kein Empfang! Das war ja klar.

Immerhin hatte der Regen aufgehört, und im Moment hörte er weder Donner noch sah er Blitze. Vorsichtig versuchte er, die Tür zu öffnen, und wenigstens das ließ der Wagen zu. Er raffte Autoschlüssel, Handy und Portemonnaie zusammen und stieg aus. Die Motorhaube des Wagens war eingedellt, ein Reifen auf der Fahrerseite geplatzt. Auch die Scheinwerfer hatten etwas abbekommen.

Erneut checkte er den Empfang auf seinem Handy, aber auch außerhalb des Wagens hatte er kein Glück. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß Hilfe zu suchen. Er stellte das Warndreieck auf und ging bis zur nächsten Kurve, um sich zu orientieren. Kein anderes Auto weit und breit. Und auch kein Haus. Nur Obstplantagen und Weinberge.

Romão drehte sich langsam im Kreis, ging ein Stück in die andere Richtung in der Hoffnung, hier vielleicht einen Balken Empfang zu ergattern. Nichts. Genervt hob er den Blick zum Himmel und entdeckte ein Licht. Wenn er den Hügel heraufkletterte, müsste er zu einem Haus kommen. Erneut begann es über ihm zu grummeln, das Gewitter war wohl doch noch nicht ganz vorbei. Er sollte zusehen, dass er von der Straße wegkam.

Auf dem steilen Berg rutschte Romão immer wieder auf der nassen Erde aus, konnte sich jedoch jedes Mal gerade noch an einer Weinrebe festhalten. Endlich sah er mehr von dem Haus, es schien zu einem Weingut zu gehören. Die meisten Fenster waren dunkel, aber in einem in der unteren Etage brannte Licht. Gerade als es wieder zu regnen begann, erreichte er den Hof und trocknete sich die dreckigen Hände an der Hose ab, so gut es ging. Da hörte er ein klägliches lang gezogenes Maunzen, das von irgendwo über ihm zu kommen schien. Eine Katze?

Romão drehte sich um und spähte zu einem Eukalyptusbaum, aber dann sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf dem Dach einer Scheune. Die Katze sah sehr jung aus, sie kauerte dort, nass vom Regen, und ihre Rufe wurden immer panischer, weil sie bei jedem Schritt ein Stück weiter herunterrutschte.

Der Baum stand in der Nähe des Dachs, wenn er da hinaufkäme … Er musste es versuchen, denn wenn das Gewitter wieder stärker wurde, würde die Katze Todesängste aushalten müssen, und offenbar kam sie allein nicht mehr herunter.

Beherzt zog sich Romão mit Hilfe eines alten Weinfasses auf einen niedrigen Ast und kletterte so am Stamm empor. Auf Höhe des Scheunendachs hielt er inne. „Komm, Kleines, ich helfe dir herunter“, rief er leise, um die Katze nicht zu erschrecken.

Sie beobachtete ihn mit großen Augen, hörte aber auf zu schreien. Neugierig kam sie einen Schritt näher in seine Richtung, rutschte in dem Moment ab und schlitterte hinunter bis zur Regenrinne. Romão versuchte, seinen Stand abzusichern, dann zog er sich hinüber auf das Dach der Scheune und streckte eine Hand nach dem Kätzchen aus. Irgendwie schaffte sie es, aus der Regenrinne herauszuklettern, und sprang mit einem Satz auf seinen Arm.

Sie krallte sich in den Stoff seines Hemds, als er sie vorsichtig näher zog. Romão biss die Zähne zusammen, als die kleine Katze seine Haut darunter zerkratzte, aber er hatte sie. Über ihnen donnerte es, und ein greller Blitz zuckte über den Himmel. Dicke Regentropfen prasselten auf das Dach.

Romão hielt eine Hand über die kleine Katze, um sie vor dem Regen zu schützen, und wagte sich sehr vorsichtig an den Abstieg. Geschafft. Mit der zitternden Katze auf dem Arm rannte er zur Haustür neben dem beleuchteten Fenster und drückte auf den Klingelknopf.

Erneut zerriss ein Blitz den nachtschwarzen Himmel und warf sein Licht auf den Namen, der darüber stand. Pereira. Einer der häufigsten Namen auf der Insel, aber bei ihm löste er etwas aus. Eine dumpfe Erinnerung, die er jedoch nicht greifen konnte.

3. KAPITEL

Luisa legte das Nudelholz zur Seite. Hatte es geklingelt? Draußen tobte ein Gewitter, vermutlich war nur etwas umgefallen. Sie stach den ersten Keks aus, da klingelte es erneut. War drüben womöglich etwas passiert? In Windeseile wischte sie ihre Hände an der Schürze ab und eilte zur Tür. Sie riss sie auf. „Was gibt es?“

Doch da stand weder ihr Schwiegervater noch ihre Schwiegermutter, sondern ein Fremder. Sie starrte mehrere Atemzüge lang in seine dunklen Augen, bis er sich eine nasse Strähne aus der Stirn wischte und ein schiefes Grinsen aufsetzte.

„Entschuldigung, ich habe jemanden gefunden. Gehört er oder sie zu Ihnen?“ Er hielt ihr ein nasses, zappelndes Etwas hin.

„Toulouse!“ Luisa nahm die kleine verängstigte Katze entgegen. „Vielen Dank, wo war er denn? Ach, kommen Sie doch bitte rein. Das Wetter ist ja fürchterlich.“

Erst in dem Moment, als der Fremde groß, dunkel und nass vor ihr in ihrem kleinen Flur stand, kam ihr der Gedanke, dass das vielleicht keine gute Idee war. Sie kannte ihn schließlich überhaupt nicht. Am Ende wollte er sie ausrauben, und die Katze war ein Vorwand, um sie mild und vertrauensvoll zu stimmen.

„Meine Schwiegereltern werden den kleinen Racker schon vermissen“, plapperte sie drauflos. „Sie wohnen direkt nebenan, aber Papa hat einen ganz leichten Schlaf. Sicher ist er vom Gewitter aufgewacht.“

„Entschuldigen Sie bitte mein spätes Auftauchen“, sagte der Mann mit tiefer Stimme, als sie kurz Luft holte. „Mein Name ist Romão Almeida, ich wohne seit Kurzem in Funchal und war heute bei meinen Eltern in Arco de Calheta. Auf der Rückfahrt hatte ich einen Unfall, und als ich hier oben ein Licht gesehen habe, wollte ich fragen, ob Sie vielleicht ein Telefon haben. Ich hatte da unten keinen Empfang.“ Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und hielt es prüfend vors Licht. „Ah! Hier geht es. Darf ich kurz im Trockenen stehen bleiben?“

„Aber natürlich. Kommen Sie doch herein, wenn Sie fertig sind mit Ihrem Telefonat. Möchten Sie einen Tee?“ Jetzt war sie sich sicher, dass er ihr nichts Böses wollte. Wenn jemand so ein ehrliches Lächeln hatte, konnte er doch nur ein netter Mann sein.

„Ich möchte keine Umstände bereiten.“

„Das ist selbstverständlich, schließlich haben Sie Toulouse gerettet bei diesem Wetter von … wo war er eigentlich?“ Die kleine Katze presste sich zitternd an sie.

„Auf dem Dach.“ Romão deutete hinter sich Richtung Scheune.

„Oh, normalerweise schafft er es nicht alleine dort wieder herunter.“

„Nein, ich habe ihn geholt, er ist ja wirklich noch sehr klein.“

Toulouse maunzte empört und sprang von ihrem Arm, um mit hocherhobenem Schwanz in die Küche zu flitzen. Luisa folgte dem kleinen Kater, der nun adrett neben dem angeschalteten Backofen saß und begann, sein Fell zu putzen. Sie holte zwei Tassen aus dem Schrank und stand eine Weile vor ihrem Teeregal.

Zwar wollte sie nicht lauschen, aber sie hörte deutlich die Stimme des Fremden nebenan. Es klang ganz danach, als wäre es nicht so einfach, heute noch Hilfe zu bekommen. Nach einer Weile kam er in die Küche, und Luisa deutete auf den Esstisch. Ihr unerwarteter Gast blieb jedoch stehen. Natürlich, seine Kleidung war tropfnass.

„Moment.“ Luisa schaltete im Vorbeigehen den Wasserkocher an und eilte nach oben, um ein Handtuch zu holen.

Auf Zehenspitzen ging sie an Tiagos Zimmer vorbei, aber er schien fest zu schlafen. Wieder in der Küche, reichte sie Romão eine alte Jogginghose von Davinho, einen Sweater und das Handtuch. „Das Badezimmer ist neben der Treppe“, sagte sie und füllte getrocknete Kräuter in ein Teesieb. „Können Sie gar nicht verfehlen.“

Als sie hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte, raste ihr Herz wie verrückt. Hoffentlich machte sie keinen Fehler. Aber der Fremde war bestimmt kein gerissener Gauner, der versuchte, sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Seine Kleidung sah teuer aus, er hatte es ganz sicher nicht nötig, irgendetwas zu stehlen.

Auch in Davinhos Sportkleidung sah er gut aus, musste sie wenige Augenblicke später feststellen. Romão strich sich durch das feuchte Haar und lächelte, als sie den Tee auf den Tisch stellte und den Stuhl für ihn zurückzog. Sie setzte sich zu ihm und schob ihm einen kleinen Teller mit der ersten Ladung fertiger Kekse hin.

„Backen Sie immer zu dieser Uhrzeit?“, fragte er, nahm sich einen Keks und schnupperte daran. „Fenchelkekse? Die habe ich als Kind geliebt, das weiß ich noch.“

„Mein Sohn liebt sie auch.“ Luisa lächelte und nahm sich ebenfalls einen.

„Der Pannendienst kann mir heute leider nicht mehr helfen.“ Romão wirkte erschöpft.

„Ja, das habe ich fast vermutet.“

„Gibt es in der Nähe vielleicht ein Hotel?“, fragte ihr Gast. „Meine Eltern kann ich um diese Zeit jedenfalls nicht mehr anrufen, ich möchte sie nicht beunruhigen. Zur Not muss ich wohl nach Hause laufen.“

„Ich dachte, Sie wohnen in Funchal? Das ist noch ein ganz schönes Stück.“

„Mein Haus ist ganz am Rand, oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer.“

„Oh, ich liebe den Botanischen Garten dort.“

„Ich wohne an der Estrada da Boa Nova, der Botanische Garten ist gerade mal vierhundert Meter Luftlinie entfernt.“

„Wunderschön muss das sein“, sagte Luisa. „Aber das ist bei diesem Wetter und vor allem zu Fuß viel zu weit von hier aus.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie können im Gästezimmer bleiben, heute werden Sie sicherlich nirgends mehr hinkommen.“

„Das kann ich nicht annehmen.“ Romão strich sich müde über die Augen.

„Es macht uns nichts aus“, widersprach Luisa. Zwar meinte sie Tiago und sich, wählte diese Formulierung aber hauptsächlich, damit der Fremde denken konnte, dass ihr Mann oben schlief. Gesundes Misstrauen war schließlich wichtig, oder nicht? Was sie beunruhigte, war vielmehr, dass sie diesen Fremden gerne hierbehalten wollte heute Nacht. Sie selbst schlief in Gewitternächten nie gut, und wenn noch ein Erwachsener im Haus war, würde sie sich sicherer fühlen. Natürlich war das Unsinn, denn der Grund, weshalb sie bei Gewitter meist kein Auge zubekam, war diese eine schlimme Nacht vor knapp sieben Jahren. Die Nacht, in der Davinho diesen tödlichen Autounfall auf regennasser Straße hatte.

Luisa drängte den Gedanken beiseite und aß einen weiteren Keks. Als der Teller leer war und Mitternacht vorbei, konnte sie es wohl nicht länger hinauszögern. Sie zeigte Romão das Gästezimmer, gab ihm eine Zahnbürste, ein weiteres Handtuch und wünschte ihm eine gute Nacht.

Nachdem sie das alte Babyfon wieder in Tiagos Zimmer gestellt hatte, um zu hören, falls etwas sein sollte, ging auch sie ins Bett.

Am nächsten Morgen hörte Luisa, wie Tiago aufstand und ins Bad tapste. Sie lächelte. In den letzten Tagen hatte sie ihn kaum aus dem Bett bekommen. Vielleicht ging es ihm heute besser. Sie räkelte sich unter ihrer dünnen Decke, bis ihr der Fremde einfiel. Zeit, aufzustehen, um ihrem Sohn alles zu erklären. Sie sollte ihn auf ein Zusammentreffen mit dem Mann vorbereiten. Schnell zog sie einen dünnen Morgenmantel über, ging zum Badezimmer und klopfte leise. „Schatz, kann ich reinkommen?“

„Jaha“, rief Tiago gedehnt, und sie öffnete vorsichtig die Tür.

Der Junge stand gut gelaunt am Waschbecken und trocknete sich das Gesicht ab. „Mama, ich habe geträumt, ich wäre ein Superheld! Ich konnte Wände hochklettern und von Dach zu Dach springen in einer richtigen Großstadt mit Hochhäusern.“ Er beschrieb seine Abenteuer in bunten Farben.

Luisa lächelte, schloss die Tür ab und wusch sich ebenfalls das Gesicht.

„Wieso schließt du ab?“, fragte Tiago und unterbrach damit seine Erzählung.

Luisa räusperte sich. „Gestern Abend hat ein Mann geklingelt, er hat Toulouse im Gewitter gerettet und vorher hatte er eine Autopanne. Ich habe ihm angeboten, hier zu übernachten, und er weiß ja nicht, dass wir hier drin sind.“

„Toulouse gerettet?“ Tiago machte große Augen. „Wovor denn?“

„Er saß auf dem Scheunendach und kam nicht mehr herunter“, erklärte Luisa und wunderte sich, dass ihre Wangen so warm wurden. Hoffentlich sah Tiago das nicht. Schnell griff sie ausnahmsweise nach dem Rougepinsel und schminkte sich leicht.

„Kann ich ihn wecken?“ Tiago zog sich an und hüpfte schon in einem Socken zur Badezimmertür. „Es gibt ja gleich Frühstück.“

„Nein, lass ihn bitte schlafen. Wir sollten leise sein.“ Luisa legte den Zeigefinger auf ihre Lippen.

„Schade“, sagte Tiago.

Auch Luisa zog sich schnell an und ging mit Tiago nach unten. „Wir bereiten schon mal alles vor. Wenn er bis sieben nicht wach ist, darfst du bei ihm klopfen, okay?“

Tiago nickte eifrig und sah zur Küchentür, die sie vorsorglich geschlossen hatte, um ihren Gast nicht durch lautes Geklapper zu wecken. Trotzdem glaubte sie auf einmal, Fensterläden klappen zu hören. Sie hielt den Atem an und wartete. Als sie sich dabei ertappte, musste sie lachen. Aber nun meinte sie, Wasser rauschen zu hören, vielleicht war Romão im Bad.

Ein Räuspern ließ sie herumschnellen, und auch Tiago hielt das Honigglas über den Tisch, ohne es abzustellen, und sah gebannt zur Tür. Um etwas zu tun zu haben, griff Luisa wahllos in den Kühlschrank und nahm eine Tüte Milch heraus.

„Guten Morgen“, sagte Romão.

Seine Stimme war sogar noch tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte. Dunkel und samtig. Ihre Knie wurden ganz weich.

„Guten Morgen und herzlich willkommen“, sagte Tiago artig, sodass sie alle lachen mussten.

„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. Das ist mein Sohn Tiago.“ Luisa deutete auf den Kleinen. „Tiago, das ist Romão Almeida. Ich habe dir ja von dem Gewitter und seiner Rettungsaktion mit Toulouse erzählt. Frag ihn doch mal, ob er auch einen Kaffee möchte.“

Romão lächelte. „Zu einem Kaffee sage ich nie Nein, aber vor allem möchte ich beim Frühstückmachen helfen. Was kann ich tun?“

Das löste Tiago aus seiner bewundernden Starre, und er lief auf ihn zu und nahm Romãos Hand. „Ich zeige dir alles. Hier ist die Besteckschublade und hier ist das Geschirr. Wir brauchen alles dreimal. Du isst doch mit, oder?“

„Wenn ich darf, sehr gerne.“

Luisa hielt fragend eine Packung Eier in die Luft und Romão nickte.

„Aber ich esse einfach das, was Sie auch essen. Keine Extrawürste.“

„Bist du Vegetarier?“, fragte Tiago und machte große Augen.

Romão lachte. „Nein, wieso? Ach, wegen der Würste? Grundsätzlich mag ich die schon, wenn es welche gibt, esse ich auch gerne welche.“

Sie deckten zu zweit den Tisch. Tiago sprang um Romão herum, als würde er sich riesig über den unverhofften Besuch freuen, was er vermutlich auch tat. Es versetzte Luisa einen Stich, und sie erinnerte sich an ihr Gespräch über Octavio. Wie sehr wünschte Tiag...

Autor

Barbara Wallace
<p>Babara Wallace entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als eines Tages ihre beste Freundin Kim ihr einen Roman lieh, der von Katzen handelte. Einmal gelesen und sie war gefesselt. Sie ging nach Hause und schrieb ihre eigene Geschichte. Sinnlos zu erwähnen, dass es der Roman „Ginger the Cat“ (ihre eigene Katze)...
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