Wachgeküsst vom Boss

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"Ich kündige!" Wütend stürmt Izzy aus Harry Mitchells Büro. Schluss mit den Machtspielchen zwischen ihr und dem Boss! Aber ausgerechnet bei der Party in ihrem Apartment in Notting Hill, wo sie ihre neugewonnene Freiheit feiert, erscheint auch Harry. Komisch, dass ihr im Office nie aufgefallen ist, dass er die blauesten Augen der Welt hat. Und nie hätte sie gedacht, dass Harry so heiß küssen kann! Statt nur mit einem Kater am nächsten Morgen zu erwachen, erwacht Izzy mit ihrem Ex-Boss im Bett. Dabei dachte sie immer, sie hasst ihn von ganzem Herzen …


  • Erscheinungstag 28.09.2020
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719296
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Trägt Luzifer wohl feinsten Wollzwirn?

Obwohl Izzy Dean ihrem Chef auf der anderen Seite des Schreibtischs im zwölften Stock des Londoner Wolkenkratzers gegenübersaß, wusste sie mit Gewissheit, dass Harry Mitchells anthrazitfarbener Anzug sich weich wie das Fell eines Kätzchens anfühlte. Es juckte ihr in den Fingern, mit der Hand über den edlen Stoff zu streichen.

Vielleicht könnte sie sogar ein kurzes Streifen ergattern – wenn sie sich vorbeugte, um ihm dieses überlegene Grinsen aus dem Gesicht mit dem Designer-Drei-Tage-Bart zu schlagen.

„Vorsicht, Dean. Du siehst aus, als würdest du mich am liebsten ohrfeigen.“

„Wirklich?“ Izzy heuchelte Harmlosigkeit. Was er ihr sicher nicht abnahm. Er war zu sehr daran gewöhnt, mit ihr die Klingen zu kreuzen.

Wäre das nicht eine spektakuläre Art, eine großartige Karriere zu beenden? Die Faust ballen, mit all der Kraft, die sie sich als Teenager mit dem Schrubben von Fast-Food-Großküchen antrainiert hatte, ausholen und Mitchell mit einem Schwinger von seinem hochherrschaftlichen und wirklich perfekt geformten Hintern aus seinem Chefsessel hauen? Sie würde unter dem donnernden Applaus der gesamten Belegschaft hinausmarschieren.

„Hallo?“

Ein Gesicht erschien vor ihr, sie starrte direkt in blaue Augen. Oase – so hatten ihre alten Mädchenzeitschriften es unter dem Titel „Welche Farbe haben seine Augen?“ genannt.

Nicht dass sie noch einmal speziell nachgesehen hätte …

Aber sogar die Wimpern passten zu der Oase – wie Palmen mit langen Wedeln umrahmten sie diese Augen. Nur dass an Harry Mitchells Augen nichts Beruhigendes war. Nein, sie sprühten Feuer und Hitze wie ein Vulkan, noch dazu in den unpassendsten Momenten.

So wie jetzt.

„Du bist sauer.“

„Genau aus diesem Grund verdienst du so viel Geld, Mitchell“, fauchte sie leise. „Du hast ein außergewöhnliches Auge fürs Detail.“

„Schon komisch, dass gerade du das Wort ‚Detail‘ benutzt …“

„An meinem Bericht gibt es nichts zu bemängeln!“

„Technisch gesehen nicht …“

Sie schüttelte das kurze Haar zurück und starrte ihn nieder. „Stimmen die Zahlen?“

„Du bist die Anlaufstelle im Büro für die Kollegen.“ Er funkelte zurück. „Natürlich stimmen die Zahlen.“

„Dann ist mit dem Bericht auch alles in Ordnung. Ich sehe keinen Grund, weshalb ich noch mehr Arbeitszeit darauf verschwenden sollte.“

Frustriert fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, und sie atmete seinen Duft in dem kleinen verglasten Büro ein – verführerisch und sehr männlich.

Nicht verführerisch, ermahnte sie sich, sondern „Chefduft“.

„Und es reicht dir, wenn man deine Arbeit als ‚in Ordnung‘ bezeichnet?“

„Ich bin länger als du in der Firma. Man weiß hier, wie ich arbeite.“

„Diese Arbeit?“ Er hielt ihren aktuellen Bericht in die Höhe. „Oder die hier?“

Izzy richtete einen erschrockenen Blick auf die Mappe, die er mit der anderen Hand hochgehoben hatte. „Was ist das?“

„Das ist einer deiner Berichte aus deinen ersten Monaten bei Broadmore Natále. Er ist herausragend.“

Na, endlich mal Anerkennung! Hat ja nur zwölf Monate gedauert!

Aber er war noch nicht fertig. „Der letzte Bericht kommt nicht einmal ansatzweise in die Nähe des alten. Wie lange, glaubst du, kannst du dich auf deinen Lorbeeren ausruhen, Dean?“

Wütend stützte sie die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich zu ihm vor. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ‚Pulitzer-Preisträger‘ eine notwendige Qualifikation für den Job gewesen wäre.“

Er warf die eine Mappe auf den Schreibtisch. „Dieser Bericht ist fade und uninteressant, und ich will wissen, warum.“

Nur mit Mühe schaffte sie es, sich nicht von seinem sexy australischen Akzent ablenken zu lassen, der immer stärker wurde, je verärgerter er war. „Soll ich einen Bericht darüber verfassen?“

Und mit dieser brillanten Retourkutsche verließ sie sein gläsernes Büro. Hinter ihr fiel die Tür lautstark ins Schloss. Izzy ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich.

Hier konnte sie zumindest wesentlich besser denken als in Harry Mitchells Nähe.

Selbstherrlicher Autokrat.

Niemand in diesem Büro erging sich in Poesie, wenn er die Berichte verfasste, die Mitchell ihnen allen aufdrückte. Früher hatte sie sich vielleicht noch Mühe gegeben und auf formale Richtlinien geachtet, doch heute ging es ihr nur um das, was unterm Strich mit dem Pfundzeichen herauskam. Darum ging es bei dem Job schließlich, oder? Das war es, was ihr das monatliche Gehalt sicherte.

Seit wann gab Isadora Dean sich mit „in Ordnung“ zufrieden? Ihr war bewusst, dass ihre schlechte Stimmung sich langsam in ihrer Arbeit niederschlug, und sie hasste es. Noch mehr hasste sie, dass ausgerechnet Harry Mitchell ihr das vorhielt.

Ihr Blick wanderte durch das Großraumbüro. Die Kollegen heuchelten Desinteresse und versagten kläglich. Mitchell hatte recht. Sie alle kamen zu ihr, damit sie noch einen letzten Blick auf die Tabellen und Listen warf – weil sie gut war.

Aber „gut“ bedeutete nicht automatisch „glücklich“.

Sie tippte der kleinen Igelfigur neben ihrem Computer auf die Nase und brachte seinen Kopf damit zu einem wilden Nicken. Dann starrte sie auf das strahlende Gesicht auf dem Foto ihres Firmenausweises. Wo ist die Begeisterung geblieben, wo der Enthusiasmus des ersten Tages? Sie war so glücklich gewesen, diesen gut bezahlten Job in dem renommierten Unternehmen bekommen zu haben. Die Bedenken ihrer Eltern hatte sie ignoriert und stattdessen feucht-fröhlich mit ihren Freundinnen gefeiert …

Izzy befestigte den Ausweis wieder an ihrem Blazer. Neben dem Igel meldete ihr Handy den Eingang einer SMS.

Wenn du mit Schmollen fertig bist, könnten wir dann bitte unsere Unterredung fortsetzen?

Das Gebäude schien sich plötzlich zu neigen, als wäre ganz London in Schräglage geraten. Diese kurze, so typisch provozierende Nachricht brachte Izzy eine Erkenntnis – und die hatte nichts mehr mit Gereiztheit zu tun, sondern war das pure Elend.

Mitchell hat recht. Ich habe meinen Schwung verloren. Und es ist mir nicht einmal aufgefallen.

Niemand wollte sich mit einer deprimierten Angestellten herumschlagen. Vielleicht sollte sie schlicht in sein Büro gehen, den Rüffel wegstecken, Besserung geloben und daran arbeiten, wieder Befriedigung in ihrem Job zu finden.

Das nächste Brummen von ihrem Handy ertönte.

Sie hob den Kopf und sah zu Mitchells Büro. Der Ein-Meter- neunzig-Mann lehnte lässig an der Schreibtischkante. Er hielt das Handy in der Hand, seine hellen Augen waren auf sie gerichtet. Und wie immer löste dieser Blick prompt eine unwillkommene Hitze in ihr aus. Ihr wurde klar, dass genau das ein Grund war, weshalb sie überhaupt noch zur Arbeit kam.

Der tägliche Stromstoß, den ihr die Konfrontation mit „Prinz Harry“ brachte, egal ob in seinem gläsernen Büro, per Text oder in den Team-Meetings.

Wie die Koffeindosis, die das Nachmittagstief überbrückte.

Der Funke, der ihr in Erinnerung rief, dass sie noch lebte.

Es war sein Job, ihr zu sagen, wie sie ihren Job zu erledigen hatte. Warum also mache ich etwas Persönliches daraus? Ganz sicher gab es nettere Chefs, aber es war schließlich nicht seine Schuld, dass sie ihm die Rolle ihres höchst eigenen Defibrillators zugeteilt hatte.

Vielleicht sollte sie versuchen, mit ihm statt gegen ihn zu arbeiten. Vielleicht taugte er besser zum Verbündeten als zum Gegner?

Noch immer starrte sie ihn über die Köpfe der Kollegen an, und etwas in ihrer – trotzigen? – Miene ließ eine tiefe Falte auf seiner Stirn erscheinen.

Vor der nächsten Eiszeit, Dean!

Ihre Finger begannen zu zittern. Sie legte das Handy ab, bevor es ihr aus der Hand glitt.

So viel also zu dem Verbündeten …

Aber dann, ganz plötzlich, kam ihr die beste aller Ideen überhaupt. Diese Idee war so brillant, dass sie nicht verstand, weshalb sie nicht schon früher darauf gekommen war.

Sie stand auf, strich sich den engen Bleistiftrock glatt und steuerte mit der besten Scarlett Johansson-Imitation, die sie zustande brachte, wie in Zeitlupe auf Harry Mitchells Glasbüro zu, wo er bei der Tür stand und ihr irritiert entgegensah. Direkt vor der Tür blieb Izzy stehen, so nah, dass ihre Schuhspitzen seine berührt hätten, wäre da nicht die gläserne Trennscheibe.

Alle Augen in dem Großraumbüro verfolgten das Schauspiel mit, Harry Mitchell bildete da keine Ausnahme. Die verärgerte Frustration auf seiner Miene war verständnislosem Argwohn gewichen. Und da war noch etwas anderes … Er verfolgte ihren Scarlett-Auftritt mit enorm befriedigendem Interesse.

Izzy leckte sich über die Lippen.

Sein Adamsapfel hüpfte.

Sie hauchte auf die Glasscheibe. Sog den Zeigefinger in den Mund.

Seine Brust hob und senkte sich schneller, die blauen Augen sprühten ein Feuerwerk von Funken.

Und dann schrieb Izzy in Spiegelschrift zwei Worte in den Dunst auf dem Glas.

Acht Buchstaben, die ihm sagten, was er von ihr aus machen konnte.

Seine Augen blitzten auf, als er ihre Botschaft las.

„Ich gehe davon aus, dass das deutlich genug ist, Sir“, sagte sie betont nüchtern.

Auf der anderen Seite der Scheibe hob Mitchell eine Augenbraue. Izzys letzte schriftlich eingereichte Botschaft war unmissverständlich, trotz ihrer Knappheit.

Sie war fertig mit Broadmore, auch ohne langes Kündigungsschreiben.

Denn das war es, was sie soeben getan hatte.

Mit dem Ärmel ihres Blazers wischte sie den nebeligen Beweis von der Scheibe, löste sich von der schwelenden Erotik zwischen ihr und Mitchell und schwebte beflügelt zu ihrem Schreibtisch zurück. Dort nahm sie Handtasche, Handy, Handlotion, Plastikigel und das Foto von Tori, Poppy und ihr und marschierte hinaus.

Applaus gab es keinen von ihren verdutzten Kollegen, und sollte jemand Auf Wiedersehen gesagt haben, so war es nicht durch das donnernde Rauschen in ihren Ohren gedrungen.

Im Lift drehte sie sich um und konnte Harry Mitchell hinter seiner Glasscheibe sehen, in sein Gesicht hatte sich ein kompliziertes Diagramm aus Furchen und Falten gegraben.

Enttäuschung – die Art, die sie von ihren Eltern gewöhnt war.

Ungläubiges Erstaunen – die Art, die wohl jeder zeigen würde, nachdem sie soeben professionellen Selbstmord begangen hatte.

Trauer – die Art, die …

Izzy runzelte die Stirn. Die Art, die sie selbst verspürte. Trauer um etwas, das sie nicht einmal richtig verstand.

Und als die Lifttüren sich schlossen, da schlossen sie sich auch vor allem, was Izzy sich immer vom Leben gewünscht hatte.

1. KAPITEL

„Bin ich etwa Zauberschüler?“ Izzy stützte sich mit dem Ellbogen auf, um dem winzigen Spiegel gleich vor dem kleinen Fenster näher zu kommen, damit sie die Wimperntusche auftragen konnte.

Gegen ein paar Zauberkräfte hätte sie jetzt nichts einzuwenden. Einmal den Zauberstab geschwungen, und sie wäre fertig geschminkt. Oder ihr Busen wäre größer. Oder ihr Bankkonto gefüllt. Aber das Einzige, was sie mit dem berühmten Zauberschüler gemein hatte, war „der Schrank unter der Treppe“, den sie und ihre Mitbewohnerinnen bis vor drei Tagen als Abstellkammer genutzt hatten.

Da half es auch nichts, dass die Treppe zu einer wunderschönen Maisonettewohnung gehörte und der „Schrank“ eigentlich ein richtiges Zimmer war, wenn auch klein.

Das Zimmer des armen Mädchens.

Nicht nur hatte sie den Großteil ihrer Habseligkeiten zu ihren Eltern bringen müssen, auch ihre Mitbewohnerinnen waren von ihrer impulsiven Entscheidung betroffen. Erstens hatten sie ihren ganzen Kram umsortieren müssen, und zweitens konnte keine von ihnen in Izzys größeres Zimmer ziehen. Das musste jetzt untervermietet werden, damit sie die Miete zusammenbekamen.

Ihr wunderschönes Zimmer.

In dem jetzt bald jemand anders wohnen würde.

„Das ist der Preis der Freiheit“, erinnerte sie sich murmelnd.

Und des Selbstrespekts. Bei allem, was sie bisher in ihrem Leben angefangen hatte, ging es vor allem darum, sich selbst mit mehr Respekt zu behandeln, als der Rest der Welt es tat.

„Izzy …“ Poppy sah in ihr neues Zimmer. „Wie viel von deiner eigenen Party willst du noch verpassen?“

Alles. Aber es wäre bestimmt nicht klug, das zuzugeben.

Izzy liebte Partys – schließlich hatte sie viel nachzuholen –, aber „Glückwunsch, du bist arbeitslos!“ war in ihren Augen nicht unbedingt ein Grund zum Feiern. Auch wenn Poppys wie immer positiver Ansatz – „Endlich bist du den Job los, der dich ausgesaugt hat!“ – sicher etwas für sich hatte.

Izzy drehte sich von dem verschnörkelten Schminktisch, der schräg eingequetscht zwischen der Wand und dem Bett stand, zu ihrer Freundin um.

„Habe ich da eben Toris Lachen gehört?“, fragte sie übertrieben munter und meinte damit das glockenhelle kokette Klingeln, das die Freundin als bevorzugte Waffe einsetzte. „Wie lange ist sie schon hier?“

Poppy hob eine elegant gezupfte Augenbraue. „Angebrachter ist doch wohl die Frage, wie lange du schon hier bist. Es ist nach acht.“

„Oh. Dann ist es wohl Zeit herauszukommen.“

Warum, um alles in der Welt, habe ich mir eingebildet, es wäre ein Grund zum Feiern, wenn man seinen Job kündigt?

Den Austritt bei Broadmore zu feiern, hatte Izzy vor zwei Tagen beschlossen. Heute war sie da anderer Ansicht. Und in zwei Tagen hätte sie ihre Meinung sicher wieder geändert, bei dem Chaos, das in ihrem Kopf herrschte.

Sie hatte sogar überlegt, ihre Mum anzurufen und es mit ihr durchzusprechen. Bis sie sich daran erinnert hatte, dass sie so etwas nicht mehr tat.

„Komm schon, Iz.“ Poppy hatte ihre Miene richtig gedeutet und hielt die Tür weit auf. „Es wird Spaß machen.“

Ohne ein Glas Champagner in der Hand wohl kaum. Und ein Blick auf die Menge, die sich im Wohnzimmer drängte, bestätigte ihr das nur. Ob es ganz und gar unmöglich wäre, sich einfach abzusetzen, nachdem all ihre Freunde gekommen waren, um sie zu unterstützen?

Es wären nicht die ersten Menschen, die sie hinter sich ließ. Aber der heutige Abend war für stoisches Lächeln und den Freundeskreis gedacht, nicht für Erinnerungen an ihre freudlose Kindheit.

Also folgte sie Poppy in die Küche und hielt den Blick gesenkt, bis jemand ihr ein Glas Champagner in die Hand drückte und sie sich daran festhalten konnte. Sie spülte die erste Runde benutzter Gläser, widmete sich mit Hingabe dem Schneiden von rohem Gemüse in fingerfertige Häppchen, die sie zusammen mit einem Dipschüsselchen auf einem großen Tablett den Gästen anbot. Eine gute Gelegenheit, alle zu begrüßen, ohne stehen bleiben zu müssen.

„Tash, Sally.“ Grüßend hielt sie den beiden Frauen das Tablett hin. „Schön, dass ihr gekommen seid. Hallo, Richard.“

„Ich liebe dieses Arme-Leute-Catering, Izzy“, schwärmte er und tunkte ein Broccoliröschen in den Dip. „Passend zum Thema.“

Hm. Wenn arm sein so amüsant war, warum hatte sie dann als Kind nicht öfter gelacht?

Mit ihrem Tablett bahnte sie sich den Weg durch die Menge, grüßte hier, nickte da und ließ dippen.

„Also, was kommt als Nächstes?“, fragte die Nachbarin von unten.

„Weiß noch nicht“, wich Izzy aus. „Vielleicht eine Konsolidierungsphase?“

Die Mundwinkel in dem hübschen Gesicht verzogen sich nach unten. „Oh! Ich dachte, du hättest schon was Neues.“

Nein, bedaure. Nichts in Aussicht. Dabei wäre es das, was all ihre Freunde von der Izzy, die sie kannten, erwarteten.

Die clevere, karrierebewusste Izzy.

Erste-ihres-Jahrgangs-und Beste-in-der-Firma-Izzy.

Doch die neue Izzy schien nach ihrer Mutter zu schlagen. Die neue Izzy war impulsiv und entschied sich fürs Drama, nicht für die Realität.

Für einen Moment teilte sich die Menge. Izzy erhaschte einen Blick auf Tori, die bei einem Mann auf dem Schoß saß und sich weit zurücklehnte, die Füße mit den Killer-Heels in der Luft. Das Einzige, was sie davon abhielt, flach auf dem Rücken auf dem Boden zu landen, waren die Hände des Mannes. Aber nicht die blassen, schmalen Finger ihres Freundes Mark, sondern starke, gebräunte Hände.

Oh, oh! Ärger im Paradies? Schon?

Die Schneise schloss sich wieder, und Izzy blieben weitere Spekulationen erspart. Sie schlug den Weg zur Küche ein, bot ihr Gemüsetablett hier an und da an.

Vielleicht könnte sie fürs Erste kellnern – beispielsweise in dem Café unten im Erdgeschoss. Damit würde sie sich die Kosten fürs Pendeln sparen. Das einzige Hindernis bestünde in ihrer nicht existenten Erfahrung als Bedienung.

Der letzte Zucchinistick verschwand vom Tablett, kurz bevor Izzy in die Küche einbog.

Natürlich.

Mengen, Zahlen, Kalkulationen. Das war ihr Ding. Ob es sich dabei um Gemüsesticks handelte oder um Investitionen von Broadmore Natále. Die Theorie galt für beides: alle verfügbaren Ressourcen mit größtmöglichem Nutzen einsetzen.

Gott, wie öde.

Kein Wunder, dass sie das Handtuch geworfen hatte. Ihr Job hatte ihr ein fantastisches Einkommen gesichert, was ihr wiederum einen fantastischen Lebensstil mitten in der Stadt gesichert hatte. Aber auch die negativen Seiten wogen schwer: die nervige Pendelei, der aufreibende Chef, das unmenschliche Pensum an Arbeit.

Sicherheit reichte eben nicht mehr. Wie hatte sie sich so lange vormachen können, dass „finanzielle Mittel“ mit „beruflichem Erfolg“ gleichzusetzen wären?

Mit einem Seufzer ließ sie das Tablett in die Spüle gleiten und griff nach der nächsten Paprika und dem Messer.

Als er sich heute Abend aufgemacht hatte, um eine Frau zu treffen, hatte er nicht diese Frau im Sinn gehabt. Und diese Art auch nicht.

Zog man jedoch alles in Betracht, hätte es ihn auch schlimmer erwischen können. Wenn er Mata Hari hier noch zehn Minuten bei Laune halten und noch etwas mehr Zeit mit einer Frau verbringen konnte, die sich freute, ihn zu sehen …

Außerdem konnte er den weiblichen Sichtschutz nutzen, um Izzy Dean zu beobachten.

Isadora.

Fast tat sie ihm leid … wenn er nicht so wütend wäre, ihretwegen jetzt hier sein zu müssen.

Eine Diva wurde nicht sympathischer, nur weil sie gut in dem war, was sie tat. Oder hübsch anzuschauen. Und das war sie, die Glasscheiben seines Büros hatten ihm ausreichend Möglichkeit geboten, zu diesem Urteil zu gelangen.

Er hatte Dean „heranziehen“ wollen, damit sie ihn nach seinem Gastspiel ersetzte, doch nach dem spektakulären Showdown am Mittwoch …

Reisende soll man nicht aufhalten. Die Firma konnte sehr gut auf anspruchsvolle Primadonnen verzichten.

Dennoch war er jetzt hier, ein Bittsteller mit dem Auftrag, sie dazu zu bringen, es sich noch einmal zu überlegen. Weil sie gegangen war, während er am Ruder gestanden hatte. Was sie wohl automatisch zu seiner Verantwortung machte.

Broadmores Personalchef hatte seinen Ärger nur mühsam gezügelt. Zwar hatte der Mann es nicht offen ausgesprochen, aber scheinbar trug allein Harry die Schuld an Deans fristloser Kündigung. Harry wiederum hatte angeführt, dass für Leute, die keine konstruktive Kritik vertrugen, kein Platz im Unternehmen war. Daraufhin hatte Rifkin eine Liste mit Namen von Angestellten angeführt, die die Firma seit seiner Ankunft verlassen hatten, nachdem sie jahrelang ohne Probleme gut gearbeitet hatten.

Rifkins Schlussfolgerung: Harrys Schuld.

Harrys Sichtweise: Kosteneinsparung für das Unternehmen.

Nur weil jemand lange dabei war, hieß das nicht, dass er seinen Beitrag leistete.

Selbst wenn sie das größte Talent im Team war.

Und außerdem hatte Rifkin den Ausdruck an der Glasscheibe nicht gesehen …

„Hier spielt die Musik, Hübscher“, schnurrte die Sirene auf seinem Schoß leicht lallend. Nur unwillig wandte er den Blick von ihrer Sellerieservierenden Freundin ab.

„Ist Ihnen nicht unbequem?“, versuchte er es erneut.

„Ich fühle mich ganz großartig.“ Sie kuschelte sich noch enger an ihn, woraufhin er sich immer unwohler fühlte.

Eine zierliche Brünette drängte sich auf den halben freien Platz neben ihnen, und für einen Moment fürchtete Harry, dass sich sein Problem verdoppelt hatte. Doch dann lehnte sie sich um ihn herum und fragte: „Alles in Ordnung, Tori?“

Tori. Das also hatte sie gemurmelt, während er damit beschäftigt gewesen war, Izzy Dean zu beobachten. Und die kleine Brünette war nicht der Angriff an der Flanke, sondern die rettende Kavallerie.

„Ich amüsiere mich prächtig, Poppy.“ Tori winkte jedwede Sorge mit einem lässigen Handwisch ab. „Kennst du Harry schon?“

Die Brünette reichte ihm die Hand. „Hallo, ich bin Poppy Spencer. Das hier ist meine Wohnung.“

Was wohl der höflichen Form von „Wer sind Sie, und wer hat Sie eingeladen?“ gleichkam. Die dargebotene Hand zu schütteln, bot ihm den perfekten Vorwand, Tori wieder aufzurichten und ein Stück weit von seinem Schoß zu schieben.

„Angenehm.“ Er schüttelte Poppys Hand, nannte aber seinen Namen nicht. „Sie sind also die Gastgeberin?“

„Eigentlich meine Mitbewohnerin. Sie hat gerade ihren Job gekündigt.“

„Ist so etwas bei Ihnen ein Grund zum Feiern?“

„In diesem Fall schon. Seit Monaten fühlt Izzy sich elend. Lausiger Job, lausiger Boss. Sie kann von Glück sagen, dass sie da raus ist.“

„Vielleicht kommt es einfach darauf an, was man aus einem Job macht“, hielt Harry dagegen.

„Sie hat lange genug durchgehalten. Und wenn der Mist nicht mehr zu ertragen ist, sollte man gehen.“

Zu hören, wie seine Anstrengungen und Fähigkeiten mit wenigen Worten niedergemacht wurden, war ein Schlag.

„Möchten Sie einen Drink, Harry?“

„Gern“, nahm er das Angebot an, auch wenn er nicht wusste, wie er ein Glas halten sollte, wenn er beide Hände brauchte, um die beschwipste Frau auf seinem Schoß zu kontrollieren. „Ich würde gern Ihre andere Mitbewohnerin kennenlernen, um … um ihr zu ihrer wiedergefundenen Freiheit zu gratulieren.“ Und sie nötigenfalls zur Firma zurückzuschleifen, wenn sie nicht freiwillig mitkam.

„Das trifft sich gut. Sie und die Drinks sind in der Küche. Izzy versteckt sich nämlich.“

Sich verstecken? Das passte nicht zu der Frau, die er kannte. Isadora Dean stand immer im Rampenlicht, sonnte sich und ihr bewunderndes Publikum darin.

Sie hätte der Mittelpunkt dieser Party sein müssen.

Harry stellte Tori auf die Füße und ließ sich von ihr an der Krawatte Richtung Küche ziehen. Poppy folgte ihnen.

„Izzy“, hauchte Tori theatralisch, als sie in der Küche ankamen. „Der Mann hier braucht dringend etwas zu trinken, bevor er verdurstet.“

Die Angesprochene zog gerade den Kopf aus dem Kühlschrank und wandte den Neuankömmlingen lächelnd das Gesicht zu. Doch es gefror zu Eis, sobald sie erkannte, wen sie vor sich hatte.

„Was, zum Teufel, will der hier?“

„Izzy!“ Polly war ehrlich schockiert.

„Dean.“ Er nickte ihr leicht zu.

„Was hat er hier zu suchen?“, zischte sie.

„Er ist Gast …“ Tori musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Oder?“

„Er ist mein Chef!“, stieß Izzy aus.

Abrupt ließ Tori seine Krawatte los. Alle drei starrten ihn an – die geballte Ladung wütender Frauengesichter.

„Ex-Chef“, stellte er richtig – wobei er hoffte, auf das Ex bald verzichten zu können. „Harry Mitchell.“

„Sie sind das?“, krächzte Poppy.

„Aber Sie sehen blendend aus“, ergänzte Tori, wenn auch nicht unbedingt sehr hilfreich. „Ich hatte Sie mir alt und hässlich vorgestellt.“

„Tori!“ Izzy lief rot an und hielt sich an ihrem Glas fest. „Weshalb bist du gekommen?“

„Um mit dir zu reden.“

Polly lachte. „Um sie anzuflehen, dass sie zurückkommt? Das Fahrgeld für die U-Bahn hätten Sie sich sparen können.“

Flehen, werben, schmeicheln. Miss Schandmaul schien plötzlich die begehrteste Angestellte ganz Englands zu sein. „Laut E-Mail-Rundschreiben sind alle Kollegen eingeladen.“

„Du bist kein Kollege, du bist mein Vorgesetzter.“

Aha, sie benutzt Präsenz. Das ließ hoffen. „Vorgesetzte waren nicht ausdrücklich ausgeschlossen.“

„Damit sind meine Partys also auch unter dem Standard?“, parierte sie. „Die pure Höflichkeit hätte dein Erscheinen ausschließen müssen.“

Diese Isadora Dean erkannte er. Spröde und angriffslustig. Und atemlos und mit roten Wangen, wenn sie aufgezogen wurde. „Na, auf jeden Fall bin ich jetzt hier.“

„Du bist nicht willkommen.“ Das war unhöflich, aber sie war schon unhöflicher zu ihm gewesen.

Er räusperte sich. „Immerhin ziehe ich nicht ein. In ein oder zwei Stunden bin ich verschwunden.“

Izzy blinzelte. „Was?“

„Draußen vor der Tür steht ein Typ mit zwei prall gepackten Reisetaschen.“

Autor

Nikki Logan
Nikki Logan lebt mit ihrem Partner in einem Naturschutzgebiet an der Westküste Australiens. Sie ist eine große Tierfreundin. In ihrer Menagerie tummeln sich zahlreiche gefiederte und pelzige Freunde. Nach ihrem Studium der Film- und Theaterwissenschaften war Nikki zunächst in der Werbung tätig. Doch dann widmete sie sich ihrem Hauptinteresse: dem...
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