Dein Ring an meiner Hand

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Als Norah am Morgen nach dem Stadtfest aufwacht, trägt sie einen Goldring am Finger, und neben ihr liegt ein attraktiver Fremder. Jäh erinnert sie sich: Sie hat Reed geheiratet! Natürlich nur zum Spaß, trotzdem lässt es sich nicht annullieren. Mit überraschend romantischen Folgen …


  • Erscheinungstag 23.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514385
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Als Norah Ingalls am Sonntagmorgen aufwachte, bemerkte sie als Erstes den goldenen Ehering an ihrem Finger. Sie war nicht verheiratet und war auch nie verheiratet gewesen. Sie war Single – und hatte sieben Monate alte Drillinge.

Danach stellte sie fest, dass ihr Kopf schmerzte. Anschließend entdeckte sie den sehr gut aussehenden Fremden, der neben ihr im Bett lag. Als sie sich plötzlich erinnerte, wurde sie von heftiger Panik ergriffen. Ihr Herz hämmerte wie wild. Erneut sah sie zu ihm hinüber.

Er hatte kurze dunkle Haare und eine Narbe über der linken Augenbraue. Die Steppdecke bedeckte seinen Körper bis zum Bauchnabel. Der Waschbrettbauch war beeindruckend, die Brust fast unbehaart. Die Bizepse und Trizepse boten einen tollen Anblick. Dieser Mann trieb offensichtlich Sport oder er besaß eine Ranch.

Ruckartig setzte sie sich auf. Oh nein. Er war kein Rancher, sondern ein Geheimagent! Jetzt erinnerte sie sich. Sie waren sich am gestrigen Wedlock Creek Founder’s Day auf der Kirmes begegnet. Es war ihre Idee gewesen, dass sie einander nicht gesagt hatten, wer sie wirklich waren. Es hatte ein Spaß für einen Abend sein sollen.

Der Mann in ihrem Bett arbeitete nicht für den Geheimdienst. Sie hatte keine Ahnung, wer er war oder welchen Beruf er ausübte. Sie schloss die Augen. Was ist passiert? Ich muss nachdenken!

Sie hatte sehr viel Orangenpunsch getrunken und vor sich hin gekichert, obwohl sie sonst nie kicherte. Der Mann hatte gesagt, dass irgendjemand wohl eine Menge Alkohol in den Punsch geschüttet haben musste.

Da seine linke Hand unter der Steppdecke lag, schlug sie vorsichtig die Decke weit genug zurück, um seine Hand sehen zu können. Er trug den gleichen Goldring am Ringfinger wie sie.

Erinnerungsfetzen blitzten in ihrem schmerzenden Kopf auf. Sie legte sich wieder hin und regte sich nicht. Hoffentlich wachte der Mann nicht auf, bevor sie sich daran erinnern konnte, wie es passiert war, dass sie heute Morgen mit einem völlig Fremden verheiratet zu sein schien.

Als sie wieder die Augen schloss, kehrten die Erinnerungen zurück. Als sie und Fabio ihren zehnten Becher Orangenpunsch getrunken hatten, war das Feuerwerk hinter der Wedlock-Creek-Kapelle durch die Baumkronen hindurch am Himmel zu sehen gewesen.

Die große Punschschüssel hatte zur Selbstbedienung auf einem Tisch in der Nähe der Imbissbuden gestanden. Neben dem Stapel Plastikbecher hatte eine Geldkassette mit einem Schlitz gestanden, auf der ein Schild angebracht gewesen war: „Zwei Dollar für einen Becher“.

Fabio hatte einen Hundertdollarschein in die Kassette gesteckt und das Bowlegefäß unter einen Ahornbaum mitgenommen. Dort hatten sie eine halbe Stunde lang gesessen, Punsch getrunken und völligen Unsinn geredet.

Eine knappe Stunde vorher hatten ihre Mutter und ihre Tante Cheyenne darauf bestanden, die Drillinge zu beaufsichtigen, damit Norah einen Abend lang Spaß auf der Kirmes haben könnte.

Sie hatte ein Würstchen im Schlafrock gegessen und bei einem Dartspiel einen kleinen Stoffdelfin gewonnen, den sie prompt wieder irgendwo verloren hatte. Danach war sie am Punschtisch dem Neuankömmling der Stadt begegnet.

„Punsch?“ Er hatte ihr einen Becher Punsch gereicht und einen Fünfdollarschein in die Geldkassette gesteckt. Dann hatte er sich selbst mit der Kelle einen Becher eingegossen.

Der Punsch hatte köstlich geschmeckt. Also hatte sie einen Fünfdollarschein in die Geldkassette gesteckt und ihre beiden Becher wieder gefüllt. „Ich habe Sie noch nie vorher gesehen.“

Sie traute sich, ihn ausgiebig von oben bis unten in Augenschein zu nehmen. Er war etwa eins fünfundachtzig groß, muskulös und schlank, hatte dunkle seidige Haare und dunkelbraune Augen. Er trug ein dunkelblaues T-Shirt, verblichene Jeans und Cowboystiefel. Ansehen konnte sie ihn, aber sie nahm sich vor, ihn nicht anzufassen, ganz bestimmt nicht.

Er streckte ihr die rechte Hand hin. „Ich bin …“

Abwehrend hielt sie die Hand hoch. „Nein, keine richtigen Namen! Keine wahren Geschichten.“ Heute Abend war sie allein unterwegs, was äußerst selten vorkam. Wenn sie sich schon einmal mit einem gut aussehenden, offensichtlich ungebundenen sexy Mann unterhalten könnte, war etwas Fantasie angezeigt.

Seitdem sie Mutter geworden war, verabredete sie sich nicht mehr mit Männern und hatte keinerlei Interesse an Liebesaffären. Ihre Mutter, Tante und Schwester schüttelten immer den Kopf darüber und versuchten sie daran zu erinnern, dass ihr Vertrauen in die Liebe und vielleicht auch ihr Selbstvertrauen verständlicherweise erschüttert worden war. Doch sie würde schon wieder zu sich kommen können.

Nein, das würde sie nicht. Sie war fertig mit den Männern. Er lächelte, und sie betrachtete seine Lachfältchen. Sie schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er sah umwerfend aus.

„In dem Fall bin ich … Fabio. Ein … Geheimagent. Und ich schütze die frische Luft hier in Wedlock Creek.“

Sie kicherte viel zu lange über den Witz. Mann, es musste eine Menge Alkohol im Punsch sein. Wann hatte sie das letzte Mal gekichert? „Für einen FBI-Agenten bist du ziemlich salopp angezogen.“ Sie musterte seine abgewetzten braunen Stiefel.

„Ich muss mich in die Menge einfügen.“ Er zeigte auf die Menschen, die sich auf der Kirmes amüsierten.

„Ah, das ist sinnvoll! Ich bin Angelina, Flugbegleiterin auf internationalen Flügen.“ Angelina klang irgendwie sexy, fand Norah. Sie nahm eine schlappe Pommes vom Pappteller, den er von der Imbissbude auf der anderen Seite des Platzes mitgebracht hatte, tauchte die Pommes ins Ketchup und hielt sie vor ihren Mund.

„Du schaffst es, dass es sexy aussieht.“ Er grinste.

Sexy? Norah Ingalls, Mutter von zahnenden, sabbernden Drillingen? Ha. Das war zum Totlachen. Als sie erneut kicherte, hob er ihr Gesicht an und sah ihr in die Augen. Küss mich, du Idiot von FBI-Agent. Aber er schaute sie lieb statt lüstern an, verdammt.

Dann zeigte er auf den Ahornbaum und schlug vor, dass sie sich setzen sollten. Er steckte den Hundertdollarschein in die Geldkassette und nahm die Punschschüssel mit. Sie trug die Becher zu dem Platz unter dem Baum.

„Trink noch einen Punsch mit mir.“ Sie füllte seinen Becher erneut, immer wieder. Er erzählte ihr Geschichten aus seiner Kindheit, die meistens auf einer abbruchreifen riesigen Ranch spielten. Sie war sich nicht sicher, was davon wahr war.

Sie erzählte ihm von ihrem Dad, der ihr Held gewesen war, und plauderte das Geheimrezept der Hühnerpastete ihrer Mutter aus. Die Hühnerpastete genoss in Wedlock Creek und den umliegenden Städten ein solches Ansehen, dass die Gazette einen Artikel über das Restaurant ihrer Familie veröffentlicht hatte. Sie erzählte ihm alles – außer der Wahrheit über sich.

Heute Abend war sie eine Frau, die auf der Kirmes anlässlich des jährlichen Stadtfestes Spaß hatte. Sie sonnte sich in der Aufmerksamkeit eines gut aussehenden sexy Mannes, der lieb, klug und lustig sein konnte. Um Mitternacht – nun, um dreiundzwanzig Uhr, wenn die Schausteller anfangen würden, ihre Zelte abzubrechen – würde sie sich wieder in Norah Ingalls verwandeln und damit in eine Frau, die sich nicht mit heißen alleinstehenden Männern unterhielt.

„Welche Sorte von Alkohol hat man in den Punsch geschüttet? Was meinst du?“, fragte sie, als er sie mit einer Pommes fütterte und ihr noch einen Becher Punsch eingoss.

Sanft strich er mit zwei Fingern über ihre Wange. „Ich weiß es nicht, aber es ist nett, einmal alles zu vergessen. Nur einen Abend lang, wenn ich einmal nicht im Dienst bin.“

Dienst? Oh, richtig. Du bist ja FBI-Agent. Sie kicherte. Inzwischen war das Feuerwerk anscheinend in vollem Gang. Neben der Knallerei waren in der Ferne Jubel und Beifall zu hören. Von ihrem Platz aus konnten sie das Spektakel kaum sehen. „Lass uns das Feuerwerk anschauen.“ Sie griff nach seiner Hand.

Doch sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Er war blass geworden und schien in Gedanken weit weg zu sein. „Fabio?“ Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Alles in Ordnung?“

Er trank noch einen Punsch. „Das waren Feuerwerkskörper – keine Schüsse.“

Sie lachte. „Schüsse? In Wedlock Creek?! Hier ist seit über siebzig Jahren kein Mord mehr passiert. Zudem ist wegen des Tourismus die Jagd innerhalb der Stadtgrenzen untersagt. Wenn du deinen Hals reckst, kannst du durch die Baumkronen hindurch ein bisschen vom Feuerwerk sehen.“

Er reckte den Hals und lehnte sich mit seiner Schulter an ihre Schulter. „Dann lass es uns anschauen.“

Hand in Hand gingen sie zur Kapelle. Weil sie so beschwipst waren, verliefen sie sich ein paar Mal. Als sie ankamen, war das Feuerwerk schon vorbei, und die Leute spazierten zurück auf die Kirmes.

Die Wedlock-Creek-Kapelle war hell erleuchtet. „Ich habe immer davon geträumt, hier zu heiraten.“ Sie betrachtete die schöne viktorianische Kapelle, die ein bisschen an eine Hochzeitstorte erinnerte. Die Glocke im Turm sah fast wie ein Herz aus.

Laut der Legende bekamen in dieser kleinen Kirche getraute Paare Mehrlinge – ob es nun durch die Ehe, den wissenschaftlichen Fortschritt, durch Adoption oder per Zufall dazu kam. In der Stadt und im Landkreis hatten tatsächlich sehr viele Paare, die hier geheiratet hatten, Zwillinge, Drillinge oder gar Vierlinge bekommen. Nur Fünflinge waren noch nicht vorgekommen.

Manche Leute wie Norah konnten anscheinend auch Drillinge bekommen, ohne einen Fuß in die Kapelle gesetzt zu haben. Sie hatte, wie gesagt, davon geträumt, hier zu heiraten und vielleicht das Glück zu haben, Mehrlinge zu bekommen, als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren und dem Vater des Babys noch nichts davon gesagt hatte.

Sie liebte Babys und hatte sich immer viele Kinder gewünscht, doch der Vater des Babys, der wegen des Rodeos in der Stadt gewesen war, hatte sich für nicht zuständig erklärt und die Stadt verlassen. Sie hatte ihn nie wiedergesehen.

Norah starrte auf die Kapelle. Die Erinnerung an das wirkliche Leben versetzte ihrem Herzen einen Stoß. Wo ist bloß die Punschschale?

„Du wolltest immer hier heiraten? Dann lass uns heiraten!“ Fabio hob sie auf die Arme und trug sie in die Kapelle.

„Wir sind sternhagelvoll – so hat mein Vater immer dazu gesagt.“ Sie lachte.

„Nur auf diese Weise komme ich unter die Haube“, sagte er lallend.

„Dann geh voran, Cowboy.“ Sie legte den Kopf in den Nacken.

Annie Potterowski steckte den Kopf aus dem Hinterzimmer. Einen Moment lang starrte sie Norah und dann deren Begleiter an. „Ah, Detective Barelli! Schön, Sie wiederzusehen.“

„Sie kennen Fabio?“, fragte Norah verwirrt. Die betagte Verwalterin der Kapelle war staatlich befugt, rechtsgültige Eheschließungen durchzuführen.

„Ich bin dem Sheriff über den Weg gelaufen, als er Detective Barelli in der Stadt herumgeführt hat. Der Sheriff ist mein zweiter Cousin mütterlicherseits.“

Norah drehte sich der Kopf. Annie kannte ihren Fantasiebräutigam! Toll. Ihre Gedanken schossen in zehn verschiedene Richtungen. Ihre Babys! Sie sollte nach Hause gehen. Doch es fühlte sich so gut an, auf den Armen eines Mannes getragen zu werden, als wenn sie tatsächlich dessen große Liebe und zukünftige Braut wäre.

Annies Ehemann Abe kam zu ihnen. „Wir haben heute sechzehn Paare verheiratet. Ein Paar ist dafür sogar extra aus Texas angereist.“

„Wir sind hier, um das siebzehnte Paar zu werden“, meinte Fabio.

„Sie sind ein Heiliger!“ Annie strahlte ihn an. „Oh, Norah, ich freue mich so für Sie.“

Der heilige Fabio. Norah lachte schallend. „Willst du etwas wissen?“, flüsterte sie ihrem zukünftigen Bräutigam ins Ohr, als er sie auf dem roten Teppich absetzte, der zum Altar führte.

„Ja.“

„Ich heiße nicht wirklich Angelina, sondern Norah. Mit einem H am Ende.“

Er lächelte. „Mein richtiger Name ist Reed. Mit zweimal e.“ Er taumelte ein wenig.

Der Mann war genauso betrunken wie sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Geheimagenten heirate“, sagte sie, als sie zu den Klängen des Hochzeitsmarsches zum Altar gingen.

„Und wir können all unsere Vielfliegermeilen für unsere Flitterwochen nutzen“, fügte Reed hinzu und brach mit ihr in Gelächter aus.

„Bitte hier unterschreiben.“ Annie zeigte auf die amtliche Heiratserlaubnis, als sie vor dem Altar standen. Nachdem Norah und Reed unterschrieben hatten, faltete sie die Urkunde und steckte sie in einen frankierten Briefumschlag.

Ich heirate! Norah sah in Reeds dunkelbraune Augen. Er stand ihr gegenüber und hielt ihre Hände. Sie schaute an sich hinunter und wunderte sich über das T-Shirt, die Shorts und die ausgeleierten Sneakers.

Wo war ihr trägerloses Prinzessinnenkleid aus Spitze mit dem herzförmigen Ausschnitt und der Perlenstickerei, von dem sie geträumt hatte? Aber es blieb keine Zeit mehr dazu, sich umzuziehen. Annie bat Reed bereits, das Eheversprechen zu wiederholen, und Norah wollte aufmerksam zuhören.

„Reed Barelli, nehmen Sie Norah Ingalls zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheidet?“

„Ganz bestimmt tue ich das“, sagte er und lachte sich kaputt.

Norah lachte auch laut los. Reed hatte ein wunderschönes Lachen. Annie wandte sich ihr zu und wiederholte das Prozedere. Aber ja, sie nahm diesen Mann zu ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann.

„Damit erkläre ich Sie beide zu Mann und Frau“, erklärte Annie und wandte sich dann an Reed. „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“

Er starrte Norah einen Moment lang an. Dann legte er die Hände an ihre Wangen und küsste sie so zärtlich und zugleich so leidenschaftlich, dass Norah sich für einen Moment sicher war, seine Liebe zu spüren. Ihr frischgebackener Ehemann, den sie erst seit zwei Stunden kannte, liebte sie wirklich!

Ihr wurde warm ums Herz. Als Abe Reis auf sie und Reed warf, kicherte sie stockbesoffen.

Reed Barelli stellte fest, dass er einen Brummschädel hatte, bevor er die Augen öffnete. Die Morgensonne schien durch die durchsichtigen weißen Vorhänge, die vor dem Fenster hingen. Er rieb sich die Schläfen.

Gestern hatte er eine Menge Dinge für sein neues Haus gekauft – von Daunenkissen bis zur Kaffeemaschine. An diese Rüschenvorhänge konnte er sich beileibe nicht erinnern. Solche Vorhänge würde er niemals kaufen.

Sein Blick landete auf dem Bücherstapel, der auf dem Nachttisch lag. Ein Krimi, ein Wyoming-Reiseführer und ein Buch mit dem Titel: „Das erste Jahr deines Babys“. Was? Moment mal! Ruckartig setzte er sich auf. Wo befand er sich, zur Hölle? Das war nicht das Haus, das er gemietet hatte.

Er hörte neben sich einen leisen Seufzer und drehte sich nach links. Heiliger Strohsack. Eine Frau schlief in seinem Bett, offenbar wohl eher in ihrem Bett. Er strich die rotblonden Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und schloss die Augen. Oh nein, die Frau war Angelina – beziehungsweise Norah.

Gestern Abend hatte er sich auf ihre Fantasiereise eingelassen. Er war froh gewesen, einen Abend lang die Zeit als Polizist in Cheyenne vergessen zu können.

Er blinzelte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er arbeitete nicht mehr als Polizist in der Hauptstadt Wyomings. Sein letzter Fall hatte ihn derart in Mitleidenschaft gezogen, dass er sich nach einem dreiwöchigen Urlaub einen Job als Kriminalpolizist in Wedlock Creek besorgt hatte.

In der idyllischen Kleinstadt hatte er als Kind mehrere Sommer bei seiner Großmutter väterlicherseits verbracht. Es war eine Stadt, in der nichts schiefzugehen schien. In der Stadt war seit über siebzig Jahren kein Mord mehr geschehen. Hatte Norah das nicht gestern Abend erwähnt? Norah. Gestern Abend.

Er hob die Hand, um sich das Gesicht zu reiben, und in diesem Moment sah er den Goldring an seinem linken Ringfinger – ein Ring, den er nicht getragen hatte, bevor er zur Kirmes gegangen war.

Was zum Teufel …? Langsam kehrten die Erinnerungsfetzen zurück. Eine Punschschale, die er unter einen großen Baum mitgenommen hatte, damit Norah und er den restlichen Punsch allein trinken konnten. Ein Punsch, in den jemand offensichtlich sehr viel Alkohol geschüttet hatte.

Norah, die seine Hand genommen und ihn zur Kapelle geführt hatte. Sie war in ihren Träumen immer davon ausgegangen, in der Kapelle zu heiraten, hatte sie gesagt – und er hatte erwidert: „Dann lass uns heiraten!“

Das hatte er gesagt! Reed Barelli hatte diese Worte gesagt. Sanft schob er die Bettdecke von ihrer Schulter, um auf ihre linke Hand zu sehen. Sie zog die Bettdecke mit der linken Hand wieder nach oben, rümpfte die niedliche Nase und drehte sich um.

Sie trug auch einen Goldring. Meine Güte. Sie hatten tatsächlich geheiratet. Nein, das konnte nicht sein. Die zur Trauung befugte Verwalterin der Kapelle hatte ihn beim Namen genannt.

Die betagte Frau hatte ihn gekannt, und sie hatte auch Norah gekannt. Sie hätte ihn und Norah niemals in total betrunkenem Zustand trauen dürfen!

Das wäre der Gipfel der Verantwortungslosigkeit – und als Gesetzeshüter würde er sie in jedem Fall zur Rechenschaft ziehen und auffordern, ungeschehen zu machen, was passiert war. Er erinnerte sich vage daran, dass er die amtliche Heiratserlaubnis unterschrieben hatte.

Norah schlief noch immer. Einen Moment lang konnte er nicht anders, als ihr hübsches Gesicht zu betrachten. Sie hatte einen hellen Teint, zarte Gesichtszüge und haselnussbraune Augen, wenn er sich richtig erinnerte.

Hatten sie Sex gehabt? Nein, denn daran würde er sich bestimmt erinnern, auch wenn er noch so sturzbetrunken gewesen war. Vielleicht waren sie in ihr Haus zurückgekommen, ins Bett gefallen und eingeschlafen?

Um sich zu orientieren, sah er sich im Schlafzimmer um, und entdeckte das gerahmte Foto auf dem Beistelltisch an Norahs Seite. Sie lag in einem Krankenhausbett und drückte drei Neugeborene an ihre Brust. Oh, Mann!

„Ich bin mir sicher, dass wir nicht wirklich verheiratet sind“, sagte Norah mit schriller Stimme. Sie hatte ein Laken um sich gewickelt, stand total erschrocken vor der Wand und sah den fremden Mann an, der in ihrem Bett lag  – den Mann, der laut den Eheringen an seinem und an ihrem linken Ringfinger ihr Ehemann war. Sie hatte vorgegeben zu schlafen, als er aufgewacht war. Er hatte sich ruckartig aufgesetzt, und sie hatte mitbekommen, dass er sie anstarrte. Doch sie hatte große Angst gehabt, die Augen zu öffnen und der Wahrheit ins Gesicht zu blicken.

Dann war ihr eingefallen, dass sie vergessen hatte, die Drillinge abzuholen. Nun hatte sie sich ruckartig aufgesetzt und konnte sich erst wieder beruhigen, als sie sich daran erinnerte, dass Tante Cheyenne die Drillinge heute Morgen ins Pie Diner mitbringen würde.

Beim Anblick des fremden Mannes, der in ihrem Bett saß, war sie mit einem Satz aus dem Bett gesprungen und hatte eilig das Laken mitgenommen und um sich geschlungen, denn sie trug nur Unterwäsche und ein Top mit Spaghettiträgern. Um Himmels willen, hatten sie …?

Sie starrte Reed an. „Haben wir?“, krächzte sie.

„Ich weiß es nicht wirklich, tut mir leid, aber ich glaube nicht.“

„Es war sehr viel Alkohol im Punsch?“

„Vielleicht hat das jemand lustig gefunden.“

„Und jetzt sind wir verheiratet, ha, ha.“

Er warf einen Blick auf den Goldring an seinem Finger. „Das können wir bestimmt rückgängig machen. Die Frau, die uns getraut hat, schien uns beide zu kennen. Wir waren im Alkoholrausch. Warum hat sie zugelassen, dass wir heiraten?“

Sie zuckte die Schultern. Sie kannte Annie schon ewig. Die Frau hatte ab und zu im Pie Diner gekellnert. Warum hatte Annie nicht Norahs Mutter, Tante oder Schwester angerufen und ihnen gesagt, dass Norah in völlig betrunkenem Zustand einen völlig Fremden heiraten wollte? „Woher kennt sie dich, Reed?“

„Ich habe als Kind den Sommer immer bei meiner Großmutter in Wedlock Creek verbracht. Annie hat vielleicht meine Großmutter gekannt. Wohnt sie neben der Kapelle? Dann könnten wir jetzt hingehen und das Ganze wieder in Ordnung bringen. Ich bin mir sicher, dass Annie die unterschriebene Heiratserlaubnis noch nicht weggeschickt hat.“

„Ganz genau!“ Ihre Stimmung hellte sich auf. „Wir können es ungeschehen machen! Lass uns hingehen!“

Reed warf einen Blick auf seine Kleider, die auf einem Haufen neben dem Bett lagen. „Ich ziehe mich im Bad an.“ Er stand auf und nahm seine Kleider.

Er trug einen ungeheuer sexy schwarzen Slip. Sie hörte im Bad das Wasser rauschen. Ein paar Minuten später kam er zurück und war angezogen wie der Geheimagent Fabio von gestern Abend.

Schnell nahm sie eine Jeans, ein T-Shirt und Unterwäsche aus ihrem Kleiderschrank und lief an ihm vorbei ins Bad. Ihr Herz hämmerte. Eilig wusch sie sich das Gesicht, putzte die Zähne, zog sich an und verließ das Bad wieder.

Reed saß auf einem Stuhl in der Ecke. Wie konnte er so gut aussehen, wenn seine Kleider zerknittert und die Haare so zerzaust waren? „Wolltest du schon immer ein Mitarbeiter des Geheimdienstes werden?“, fragte sie, um die betretene Stille zu beenden.

Er lächelte. „Ich habe keine Ahnung, warum ich dir das erzählt habe. Ich wollte immer Polizist werden. Am Montag trete ich meine Stelle hier in der Polizeidienststelle an. Vermutlich bist du keine Flugbegleiterin?“

„Ich bin noch nie aus Wyoming rausgekommen. Ich backe für das Pie Diner, unser Familienrestaurant.“ Das war alles, was sie jemals hatte tun wollen – für das Familienunternehmen arbeiten und ihre Spezialität, die herzhaften Pasteten und Quiches, perfektionieren.

Der Gedanke ans Pie Diner brachte sie ins wirkliche Leben zurück. Sie vermisste Bella, Bea und Brody, musste sie so schnell wie möglich sehen und im Arm halten. Gestern Abend hatte sie nicht einmal angerufen, um sich nach den Drillingen zu erkundigen, was sonst nie vorkam. Ihre Mom und ihre Tante hatten sich bestimmt bereits gefragt, was sie wohl davon abgehalten haben könnte.

Sie musste ins Pie Diner gehen und ihrer Familie sagen, dass alles in Ordnung war. Als sie auf den Wecker auf dem Nachttisch sah, stellte sie fest, dass es erst kurz vor sechs Uhr war. Vor sieben Uhr würden ihre Mom und ihre Tante sie nicht im Lokal erwarten.

Norah bemerkte, dass Reed das Foto betrachtete, auf dem sie mit den Drillingen kurz nach deren Geburt zu sehen war. Er sagte keinen Ton, aber sie wusste genau, was er dachte, was jeder denken würde: Hilfe! Drillinge? Wie komme ich da wieder raus? Was habe ich getan, zur Hölle?

„Lass uns zu Annie und Abe gehen“, sagte sie. „Sie wachen immer bei Tagesanbruch auf. Ich bin mir sicher, dass sie bereits aufgestanden sind.“

„Gute Idee. Wir können sie erwischen, bevor sie die Heiratserlaubnis zur Beurkundung zum Standesamt schicken.“

„Richtig. Es ist nicht so, dass wir wirklich verheiratet sind. Ich meine, die Ehe ist nicht rechtmäßig.“

Autor

Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
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