Süßer ist kein Winterwunder

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Wie ein Weihnachtswunder fühlt es sich für Allie an, als ihr Mann plötzlich vor ihr steht. Schließlich hat man den Polizisten für tot erklärt. Auch für ihre Babys ist seine Rückkehr ein Segen. Aber Allie hat nur eine Sorge: Ist Theo wirklich bereit für ein Leben als Daddy?


  • Erscheinungstag 30.05.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751514392
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes, etwas Blaues.“

Die zukünftige Braut Allie Stark, geborene MacDougal, stand umgeben von ihren Schwestern Merry und Lila vor dem Spiegel im Brautzimmer des Rathauses in Wedlock Creek, als Lila sie an den alten Hochzeitsbrauch erinnerte. Lila war diejenige der Drillinge, die immer großen Wert auf Traditionen legte. Obwohl man die heute bevorstehende Hochzeit wohl kaum als traditionell bezeichnen konnte.

„Hm, etwas Altes.“ Lila musterte sie nachdenklich. „Ah, du trägst Grandmas Perlenohrringe. Perfekt.“

„Meine Schuhe sind etwas Geliehenes.“ Merry zeigte auf die lachsfarbenen Wildlederpumps, die Allie gerade trug.

Die Pumps passten perfekt zu dem lachsfarbenen Bleistiftrock mit passender Kostümjacke. Es war Allies Outfit für alle besonderen Gelegenheiten in ihrem Leben. Aber die Absätze ihrer dazu passenden Schuhe waren schon schrecklich abgenutzt gewesen, also hatte Merry ihr ausgeholfen.

„Und etwas Neues“, fuhr Lila fort. „Sexy Dessous vielleicht?“

Allie verzog das Gesicht. Ihre Schwestern wussten doch genau, dass sexy Dessous in der Beziehung zwischen ihr und ihrem Verlobten wohl kaum eine Rolle spielen würden. Sie wäre nicht überrascht, wenn sie und Elliot sich am heutigen Hochzeitsabend einen Film ansehen, sich dann einen Gutenachtkuss auf die Wange geben und früh schlafen gehen würden.

Sie betrachtete sich von oben bis unten im Spiegel. „Ich glaube, ich habe überhaupt nichts Neues.“ Als verwitwete Mutter von elf Monate alten Vierlingen hatte sie sich in den letzten zwei Jahren nicht eine neue Sache geleistet – und bei der notwendigen Babyausstattung für die Vierlinge hatte es sich auch nur um gebrauchte Kleidungsstücke oder Geschenke gehandelt.

„Doch, das hast du.“ Merry nickte Lila zu, die Allie daraufhin ein kleines Etui überreichte.

„Was ist das?“

Merry lächelte. „Öffne es, es ist unser Hochzeitsgeschenk.“

„Ach, Leute.“ Sie sah von einer Schwester zur anderen, öffnete dann das Etui und betrachtete das wunderschöne ovale Goldmedaillon, das an einer filigranen Goldkette befestigt war.

„Jetzt öffne das Medaillon“, forderte Lila sie auf.

In dem Medaillon befand sich ein klitzekleines Foto ihrer lächelnden vier Babys Tyler, Henry, Ethan und Olivia, das erst vor ein paar Wochen aufgenommen worden war. „Ich bin ganz hin und weg.“ Gerührt umarmte sie ihre Schwestern. „Aber es überrascht mich, dass ihr mir etwas zur Hochzeit schenkt.“

Ihre Schwestern hatten nämlich kein Geheimnis daraus gemacht, wie wenig sie von ihrer Hochzeit mit Elliot Talley hielten. Sie hatten mehrmals betont, dass sie für Allie und die Vierlinge da sein würden und dass Allie keinen Mann heiraten sollte und musste, in den sie nicht verliebt war.

„Natürlich haben wir ein Geschenk für dich“, erwiderte Lila. „Wir lieben und unterstützen dich.“ Sie nahm die Halskette aus dem Etui und legte sie Allie an. Dann betrachtete sie naserümpfend den Freundschaftsring, den ihre Schwester von Elliot zur Verlobung geschenkt bekommen hatte.

Doch Allie brauchte und wollte gar keinen Diamantring. Sie hatte einen zum Ehering passenden Goldring mit einem wunderschönen Solitär. Ihr vor fast zwei Jahren verstorbener Ehemann hatte ihr den Ring sechs Monate vor ihrer Hochzeit geschenkt. Das war jetzt sieben Jahre her.

Sie hatte die beiden Ringe an den rechten Ringfinger gesteckt, nachdem Elliot ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Doch sie hatten zusammen nicht richtig an den Ringfinger der rechten Hand gepasst, also hatte sie die Ringe schließlich weggelegt und war schluchzend in Tränen ausgebrochen.

„Warte, was ist denn mit etwas Blauem?“ Lila strich sich die langen blonden Locken zurück. „Du hast gar nichts Blaues.“

Sie hatte nun wieder das Gesicht von Sergeant Theo Stark vor ihrem geistigen Auge, als sie ihn zum ersten Mal als vierundzwanzigjährigen Kadetten auf der Polizeiakademie gesehen hatte. Vor fast zwei Jahren war er im Einsatz gestorben. „Doch, sicher habe ich das. Die Erinnerung an Theo in seiner blauen Uniform habe ich immer in meinem Herzen.“

„Oh, du meine Güte. Ich fange gleich an zu weinen“, sagte Lila ergriffen.

„Ich auch.“ Merry nahm ihre Schwestern fest in die Arme.

Lila trat zurück und reichte Allie ein Taschentuch. „Du ruinierst dir noch das Make-up. Mit verschmierter Wimperntusche kannst du Elliot nicht heiraten.“

Merry öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann drehte sie sich weg und setzte ein freundliches Gesicht auf.

Allie wusste genau, was ihrer Schwester auf der Zunge gelegen hatte: Du kannst Elliot nicht heiraten. Sie verabredete sich erst seit drei Monaten mit dem netten, verantwortungsbewussten Steuerberater. Sex hatten sie noch nie gehabt. Elliot, der einundvierzig Jahre alt und damit zehn Jahre älter war als sie, wünschte sich eine Familie, die sie bekanntlich bereits hatte. Außerdem kamen sie sehr gut miteinander aus.

Die Beziehung hatte ihm noch dazu viele neue Kunden eingebracht, denn den Leuten in Wedlock Creek kam er vor wie ein Heiliger. Seit seinem Heiratsantrag galt er in der kleinen Stadt als Held – und als verwitwete Mutter von Vierlingen tat sie allen immer nur leid.

In den ersten paar Monaten nach der Geburt der Babys hatte Allie kaum gewusst, wie sie ein Baby versorgen sollte – geschweige denn Vierlinge, doch ihre Familie, die Nachbarn, und sogar Fremde in der Stadt hatten sich um sie geschart und sie bei allem unterstützt.

Ihre Tiefkühltruhe war immer noch gefüllt mit Suppen bis hin zu Aufläufen, die ihr Freunde und Nachbarn vorbeigebracht hatten. Sie hatte eine Küchenschublade voller Geschenkgutscheine für Baby Blitz, und sehr viele Leute hatten sich bereitwillig als Babysitter angeboten.

Doch nach sechs Monaten war ihr klar geworden, dass sie endlich anfangen musste, auf eigenen Beinen zu stehen und zu lernen, wie sie allein für ihre Vierlinge sorgen konnte. Schließlich hatten ihre Schwestern sie dazu gedrängt, sich neu zu orientieren und sich wieder zu verabreden, doch es hatte keinen einzigen Interessenten gegeben. Kein Wunder bei einer Mutter von vier Babys.

Als Elliot sie vor drei Monaten um ein Date gebeten hatte, war sie so überrascht und gerührt gewesen, dass sie spontan Ja gesagt hatte. Er war ein sehr häuslicher Typ. Er kochte gern interessante Nudelgerichte, spielte mit den Babys und brachte ihnen oft kleine Geschenke wie Beißringe mit.

Außerdem hatte er sie bis jetzt nicht zum Sex gedrängt, was ihr in Anbetracht ihrer körperlichen Erschöpfung ehrlich gesagt mehr als nur recht war. Er hatte gesagt, das könne warten, bis sie dazu bereit war – und wenn sie niemals dazu bereit wäre, würde es auch kein Problem darstellen.

Ihre Schwestern verstanden natürlich, warum sie Elliot trotz der fehlenden Leidenschaft ihr Jawort geben wollte, das verstand jeder. Sie mochte Elliot und sie wollte, dass ihre Kinder einen Vater hatten. Jemanden, dem sie vertrauen und auf den sie zählen konnte. Jemanden, der ihren Kindern Sicherheit bieten würde.

Im Gegensatz zu Theo, der als Polizist während seiner Einsätze ständig in Gefahr geraten war, musste sie sich bei Elliot nicht fortwährend Sorgen machen, ob er abends heil nach Hause kommen würde.

Also hatte sie Ja gesagt und damit gleichzeitig akzeptiert, dass Theo Stark nie mehr zu ihr zurückkommen würde. Er war fünf Jahre lang ihr Ehemann gewesen, bevor sie ihn und damit auch jegliche Hoffnung verloren hatte, ihre zuletzt kriselnde Ehe retten zu können. Das war ihr unsagbar schwergefallen.

Da es sich hierbei um keine Liebeshochzeit handelte, hatte sie auch nicht die berühmte und wunderschöne jahrhundertealte Wedlock Creek Wedding Chapel gebucht, die Hochzeitspaare aus dem ganzen Land anzog.

Laut einer Legende bekamen die in der Hochzeitskapelle getrauten Paare immer Mehrlinge – ob es nun durch Glück, Wissenschaft oder purem Zufall dazu kam … Allies verstorbene Eltern hatten vor zweiunddreißig Jahren darin geheiratet und Drillinge bekommen, Allie und Theo hatten darin geheiratet und Vierlinge bekommen.

Das Standesamt im Rathaus mit den Neonröhren und der tristen Einrichtung stand in hartem Kontrast zu der viktorianischen Hochzeitskapelle mit den Buntglasfenstern, die einen unweigerlich an eine Hochzeitstorte erinnerte. Die Glocke im Turm sah sogar fast wie ein Herz aus.

Hundertzweiundsechzig Gäste hatten sich einst in der Kapelle versammelt, um mitzuerleben, wie Theo und sie sich das Jawort gaben. Heute würden außer ihr und Elliot nur die Schreibkraft und Empfangsdame des Standesamtes als Trauzeuginnen dabei sein.

„Wir machen uns jetzt auf den Rückweg“, sagte Merry. „Wir sehen uns dann, wenn du gegen zwei Uhr nach Hause kommst.“

Allie nickte. Ihre Schwestern umarmten sie ein letztes Mal, dann gingen Lila und Merry zurück zu Allies Haus, um dort auf die Vierlinge aufzupassen. Zum Mittagessen waren die Babys bei Allies älterer Nachbarin eingeladen gewesen. Die wundervolle Großmutter hatte ebenfalls in der Hochzeitskapelle geheiratet und daraufhin selbst Vierlinge großgezogen.

Elliot und sie hatten geplant, sich zur Feier des Tages ein üppiges Mittagessen im Marcello’s, dem großartigen italienischen Restaurant in der Stadt, zu gönnen und anschließend sofort ihr Leben als verheiratete Eltern von elf Monate alten Vierlingen zu beginnen.

Die Flitterwochen fielen dieses Mal ebenfalls aus. Theo und sie waren vor sieben Jahren nach Paris geflogen, um dort ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Längere Flitterwochen hatten sie sich damals nicht leisten können.

Allie warf erneut einen Blick in den Spiegel und dachte an das strahlend weiße, trägerlose Hochzeitskleid mit der aufwendigen Perlenstickerei zurück, das sie bei der Hochzeit damals getragen hatte. Sie war sich wie eine Prinzessin vorgekommen. In diesem Kostüm komme ich mir stattdessen wie eine Erwachsene vor, dachte sie.

Wie fühlte es sich wohl an, Allie Talley zu sein? Die letzten sieben Jahre lang war sie Allie Stark gewesen. Doch im Leben lief nicht immer alles nach Plan, und wenn man aus der Bahn geworfen wurde, musste man sich, so gut es ging, an die Gegebenheiten anpassen und neue Pläne schmieden.

Sie würde alles dafür geben, um ihr altes, unzulängliches Leben zurückzuerhalten und eine zweite Chance zu bekommen, doch in zwanzig Minuten würde sie Elliot heiraten. Alles wird gut, versuchte sie sich einzureden. Alles, was sie tat, tat sie für ihre Babys. Für Tyler, Henry, Ethan und Olivia. Doch plötzlich war weglaufen alles, was sie tun wollte.

Ich lebe. Ich bin nicht tot. Ich musste meinen Tod nur vortäuschen. Ich war die ganze Zeit über am Leben …

Theo Stark, der eine Sonnenbrille trug und einen Stetson tief in die Stirn gezogen hatte, saß im Fernfahrerrestaurant an der Stadtgrenze von Wedlock Creek und übte gerade zum wiederholten Mal in Gedanken, was er zu Allie bei ihrem ersten Wiedersehen nach fast zwei Jahren sagen würde.

Auf der Fahrt vom Süden Wyomings nach Wedlock Creek hatte er sich die Worte immer wieder zurechtgelegt, aber je näher er der Stadt gekommen war, desto weniger richtig fühlten sich diese Worte an. Natürlich war es die Wahrheit, doch seine Frau hielt ihn immerhin für tot.

Zunächst einmal würde er wahrscheinlich überhaupt nichts sagen müssen, denn die Tatsache, dass er lebte, war schließlich nicht zu übersehen. Um kurz nach halb fünf heute Morgen hatte er den Anruf erhalten. Der Serienmörder, der sein gesamtes Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte, war tot. Die Gefahr war vorüber, und er konnte endlich wieder aus der Deckung kommen.

Letztes Jahr um diese Zeit hatte er sich nichts mehr gewünscht, als diesen Anruf zu erhalten, um an Weihnachten nach Hause zurückkehren zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits seit vielen Monaten auf einer abgeschieden gelegenen Viehranch versteckt.

Er hatte dort unter falschem Namen gelebt, gearbeitet und gerade genug Geld verdient, um über die Runden zu kommen und – falls nötig – schnell umziehen zu können. Jetzt, nach so vielen weiteren Monaten war endlich der erlösende Anruf gekommen. Nun konnte er nach Hause zurückkehren.

Als die Kellnerin mit der Kaffeekanne an den Tisch kam, um ihm noch eine Tasse Kaffee einzuschenken, senkte er automatisch den Kopf und nickte nur, um sich zu bedanken, denn er durfte nicht riskieren, dass jemand ihn erkannte, bevor er Allie alles erklärt hatte.

Er griff nach der kostenlosen Wochenzeitung Wedlock Creek Chatter, die ein anderer Gast auf dem Tisch liegen gelassen hatte, und gab vor, interessiert darin zu lesen. Als die Kellnerin wegging, wollte er die Zeitung schon wieder weglegen, doch dann fiel ihm eine kleine Hochzeitsanzeige auf. Sein Herz hämmerte wild, als er die Anzeige zwei Mal hintereinander las.

Theo warf achtlos einen Zehndollarschein auf den Tisch, stürmte aus dem Lokal, stieg in sein Auto und raste los … zu Allie, zu seiner Ehefrau, die gerade im Begriff war, einen anderen Mann zu heiraten. Nein, nein, nein.

Ihm blieben noch genau zwanzig Minuten, um sie davon abzuhalten, und er war noch eine Viertelstunde vom Rathaus entfernt. Als erfahrener Sergeant beim Police Department Wedlock Creek wusste er, dass ein Streifenwagen versteckt in der Gasse kurz hinter der East Elm Road stand. Die Leute fuhren nämlich gern zu schnell auf der Zufahrtsstraße zur Stadtmitte.

Aber er konnte es gerade nicht riskieren, als Verkehrssünder gestoppt zu werden, denn außer einem FBI-Agenten und einem Bundespolizisten wusste niemand, dass er bei der Explosion während der schiefgelaufenen Observierung nicht ums Leben gekommen war.

Mit seinem Captain würde er später reden. Allie war die eine Person, die es verdiente, die Wahrheit zuerst von ihm zu erfahren. Er würde ihr alles erklären und … und dann was? Er umklammerte das Lenkrad. Sie wollte gleich einen anderen Mann heiraten.

Vielleicht sollte er es einfach dabei belassen. Allie verdiente es, geliebt zu werden, glücklich zu sein und ein gutes Leben mit diesem Elliot Talley, dem Steuerberater, zu führen. Steuerberater riskierten schließlich nicht ständig ihr Leben. Sie wurden nicht in dunklen und angeblich verlassenen Gebäuden fast in die Luft gejagt und mussten nicht ihren eigenen Tod vortäuschen.

Doch unabhängig davon war Allie bereits verheiratet. Also musste er die Hochzeit stoppen. Das war alles, was er im Moment sicher wusste. Er parkte jetzt hinter dem Rathaus, rannte in das Gebäude und direkt zum Standesamt.

Am Ende des langen Flurs hing ein goldfarbenes Schild mit der Aufschrift Trauungen. Er sog tief die Luft ein und öffnete die Tür. Wie ein Verrückter wollte er gerade rufen: Stoppt die Hochzeit! Aber die Frau, die neben dem Mann vor einem Podest stand, war gar nicht Allie.

Das Paar drehte nun eindeutig verärgert über die Störung die Köpfe zu ihm um. „Entschuldigung.“ Er schloss die Tür hastig wieder. Puh. Andererseits … vielleicht war es ja schon zu spät, vielleicht hatte die Trauung früher als geplant stattgefunden.

Neben dem Raum war eine Tür, die laut dem Schild, ins Brautzimmer führte. Als Theo vor dieser Tür stand, wusste er einfach, dass Allie sich in diesem Zimmer befand. Er fühlte es. Er fühlte sie. Seine Ehefrau Allie.

Er holte tief Luft und wollte seine Sonnenbrille abnehmen, aber am anderen Ende des Flurs gingen gerade Leute vorbei, die er wiedererkannte. Es war jetzt vier Minuten vor zwölf Uhr. Um die richtigen Worte zu finden und ihr die Wahrheit zu sagen, blieb ihm leider keine Zeit mehr. Er klopfte an.

Allie, die wunderschöne Allie, öffnete ihm lächelnd die Tür und fragte, ob sie ihm mit der Krawatte helfen sollte. Offenbar hatte sie ihren Bräutigam erwartet. Doch dann erkannte sie ihn und erstarrte.

Allie hatte gerade noch mal ihre Lippen nachgezogen, als es an der Tür klopfte. Es war jetzt vier Minuten vor zwölf Uhr. Vermutlich brauchte Elliot Hilfe beim Binden der Krawatte. In der Erwartung, Elliots blasses, freundliches Gesicht zu sehen, öffnete sie die Tür.

Doch es war nicht Elliot, es war ein Geist! Es war Theo. Er trug eine Sonnenbrille und einen schwarzen Stetson, den er tief in die Stirn gezogen hatte. Er kann es nicht sein. Sie war wie betäubt und alles drehte sich. Ich träume nur. Ich habe Halluzinationen. „Theo“, flüsterte sie fassungslos. „Theo?“

Er setzte den Stetson und die Sonnenbrille jetzt ab, und steckte sie in die Tasche seiner schwarzen Lederjacke. Sie schnappte immer noch nach Luft. Er sah so echt aus. Dieselben dicken dunklen Haare und diese intensiven grünen Augen … dieselbe Narbe entlang des markanten Kinns … 1,86 m groß … muskulös wie immer.

Mit offenem Mund starrte sie ihn an und streckte dann wie eine Irre die Hand aus, um ihn zu berühren. Er kann nicht hier sein. Er ist vor fast zwei Jahren gestorben.

War sein Geist hierhergekommen, um ihr zu sagen, dass sie Elliot – einen Mann, den sie gar nicht liebte – nicht heiraten sollte? Oder war er hier, um ihr seinen Segen zu geben?

„Ich bin es wirklich“, sagte Theo leise und legte die Hand sanft an ihre Wange. „Oh, Allie. Es tut so gut, dich zu sehen. Ich habe dir so viel zu erzählen.“

Er ist es wirklich. Sie spürte seine Hand deutlich auf ihrer Wange. „Es tut so gut, mich zu sehen?“, stotterte sie. „Was ist passiert?“ Sie schüttelte den Kopf und war sicher, dass er danach nicht mehr da sein würde. „Ich war bei deiner Beerdigung. Du bist …“

Theo schloss die Tür hinter sich, nahm ihre Hände und führte sie behutsam zu den Stühlen, die neben dem Spiegel standen. „Ich bin in dieser Nacht nicht gestorben, Allie“, fügte er mit erstickter Stimme hinzu, als sie sich setzten. „Aber ich musste es alle glauben lassen, um dich zu schützen.“

Erneut schüttelte sie langsam den Kopf und versuchte zuzuhören, als er etwas über einen Serienmörder erzählte, nach dem er und sein Team monatelang gefahndet hatten.

„Er hat gedroht …“ Er verstummte, als jemand an die Tür klopfte.

„Äh, Allie? Ich muss mit dir reden.“

Das war Elliot Talley, ihr Verlobter. Der Mann, den sie in zwei Minuten heiraten sollte. Sie warf einen Blick auf Theo, der aus dem Blickfeld rückte und schnell die Sonnenbrille aufsetzte.

„Allie? Ich muss wirklich dringend mit dir reden.“ Er klopfte erneut.

Sie stand auf. Elliot, das Timing ist perfekt, denn ich muss auch mit dir reden. Anscheinend werde ich nämlich zur Bigamistin, wenn ich dich heirate. Sie öffnete die Tür. Elliot stand nun vor ihr und sah aus wie ein Geist. Er war leichenblass und sein Gesicht war schmerzverzerrt.

„Oh, Allie. Ich kann das nicht tun. Es tut mir leid. Ich dachte, ich könnte es, aber ich kann es leider nicht. Ein Baby ohne Probleme, aber …“ Er schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid. Vielleicht habe ich einfach nur kalte Füße und komme später wieder zur Vernunft, aber das glaube ich nicht.“

Er griff nach ihrer Hand und drückte sie, dann drehte er sich um und rannte den Flur hinunter. Sie starrte ihm mit offenem Mund hinterher, bis er verschwunden war. Das trifft sich ja gut, dachte sie.

Theo sah aus dem Fenster. „Ist er das? Der Mann, der gerade über den Parkplatz rennt?“

Sie ging zum Fenster hinüber. Ihr Bräutigam lief hektisch zu seinem Auto. Aber viel stärker nahm sie wahr, dass Theo neben ihr stand. Sie beobachteten beide, wie Elliot einstieg und wegfuhr. Dann sank sie auf einen Stuhl. Theo lebte! Sie konnte es einfach nicht fassen.

„Woher hast du überhaupt gewusst, dass du hierherkommen musst?“ Weil er mich im Auge behalten hat. Nur das machte einen Sinn. Er hatte es nicht zulassen können, dass sie einen anderen Mann heiratete, denn sie hatte ja bereits einen quicklebendigen Ehemann, der wohlauf war. Also war er schnell hierhergekommen, um die Hochzeit zu verhindern.

Sie stellte sich vor, wie Theo in letzter Minute in die Trauung geplatzt wäre und gerufen hätte: Wie sich herausstellt, bin ich gar nicht tot!

Offensichtlich verliere ich gerade den Verstand, dachte sie. Ihr toter Ehemann saß neben ihr, und sie war komplett durch den Wind. Sie konnte einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Kannte etwa das gesamte Police Department die Wahrheit? Hatten seine Kollegen ihn darüber informiert, was in ihrem Leben passiert war? War er deshalb in letzter Sekunde hier aufgetaucht?

Nein, so war es nicht gewesen. Plötzlich wusste sie mit Sicherheit, dass niemand sie in seinem Auftrag im Auge behalten hatte. Auch wenn er in der Lage gewesen war, sie zu verlassen und sich zwei Jahre lang tot zu stellen, hätte er keinesfalls fortbleiben können, wenn er von den Vierlingen erfahren hätte. Sie wusste nicht wirklich, warum er seinen Tod vorgetäuscht hatte, aber sie kannte ihn.

Du meine Güte. Er hatte keine Ahnung, dass er Vater war. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte so viele Fragen an ihn. Erneut schüttelte sie den Kopf und versuchte, einen Sinn in all dem zu erkennen. Theo war hier. Er holte einen Zeitungsausschnitt aus der Tasche seiner Lederjacke und zeigte ihn ihr.

Ah, die Hochzeitsanzeige. Allie hatte keinerlei Aufsehen wegen der Hochzeit erregen wollen, aber ihre Schwestern hatten darauf bestanden, wenigstens diese Anzeige aufzugeben. Sie hatte nur nachgegeben, um das mitleidige Flüstern der Leute zu beenden, das sie immer noch im Supermarkt oder auf dem Babyspielplatz hörte. Da ist die arme Witwe mit den Vierlingen!

Sie konnte sich sehr gut vorstellen, was die Leute jetzt flüstern würden: Wie sich herausstellt, war ihr Ehemann überhaupt nicht tot, und sie hatte keine Ahnung! Diese arme, nicht verwitwete Frau mit den Vierlingen!

Theo sah sie an. „Du kennst doch das Fernfahrerrestaurant zehn Minuten vor der Stadtgrenze, oder?“

Natürlich. Während ihrer fünfjährigen Ehe hatten sie x-mal dort getankt. Am Anfang, als sie nächtelang nur geredet hatten, waren sie morgens um halb drei dort hingefahren, um Omeletts und Pommes zu essen und sich dann anzugaffen, wie Liebeskranke in einem Hormonrausch. In dem billigen Schnellrestaurant gab es tolle Schokomilchshakes, und sie waren mindestens zweimal in der Woche dort gewesen. Natürlich war es Jahre her. Es war gewesen, bevor …

„Nun, ich habe dort getankt, und ein paar Tassen Kaffee getrunken, während ich überlegt habe, wie ich dir am besten sagen kann, dass ich noch lebe. Ich hatte mir während der gesamten fünfstündigen Fahrt schon Gedanken darüber gemacht, aber plötzlich konnte ich nur noch daran denken, dass ich dich so sehr belogen und betrogen habe und was du wohl für ein Gesicht machen würdest. Ich war wie gelähmt … bis ich die Hochzeitsanzeige gesehen habe.“

Sie stand auf und ging zum Fenster. „Wenn du sagst, du hast es getan, um mich zu schützen, dann glaube ich dir.“ Dennoch machte ihr etwas zu schaffen. Vielleicht war er ja auch ganz erleichtert gewesen, ihr und der problematischen Ehe entkommen zu können.

„Als ich die Anzeige gesehen habe, bin ich so schnell hergekommen, wie ich nur konnte.“

„Nun, wie sich herausgestellt hat, hättest du deinen Kaffee noch in Ruhe austrinken können.“ Sie starrte auf den großen, festlich geschmückten Weihnachtsbaum, der vor dem Rathaus stand, und drehte sich dann zu ihm um.

Halb erwartete sie, dass er nicht mehr dort stehen würde, und dass alles nur ein Traum gewesen war. Er sah so verdammt gut aus und trug Sachen, die sie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Kleider, die der Theo Stark, den sie gekannt hatte, niemals angezogen hätte. Cowboystiefel und eine verblichene Jeans, die seinen muskulösen Körper so unglaublich sexy in Szene setzte.

Theo mochte dunkle Kleidung, schwarze Hosen und Hemden. Die schwarze Lederjacke hingegen passte schon eher zu ihm. Aber sie war zu robust, um sein Stil zu sein. Wo warst du die ganze Zeit über? Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet? Irgendwie, nur ein einziges Mal? Doch sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Sie konnte ihn nur anstarren, während ihr all diese Fragen durch den Kopf gingen.

Er runzelte die Stirn. „Allie, was hat dein Verlobter gemeint, als er gesagt hat: Ein Baby, ohne Probleme?“

„Wenigstens hatte ich diesbezüglich recht, du weißt es wirklich nicht.“

„Was weiß ich nicht?“

Dass uns heute beiden die Überraschung unseres Lebens ins Haus steht. Sie holte das Goldmedaillon unter der Kostümjacke hervor, öffnete es und zeigte ihm das Foto.

Autor

Melissa Senate
<p>Melissa Senate schreibt auch unter dem Pseudonym Meg Maxwell, und ihre Romane wurden bereits in mehr als 25 Ländern veröffentlicht. Melissa lebt mit ihrem Teenager-Sohn, ihrem süßen Schäfermischling Flash und der spitzbübischen Schmusekatze Cleo an der Küste von Maine im Norden der USA. Besuchen Sie ihre Webseite MelissaSenate.com.</p>
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