Der goldene Ring des Fremden

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Wie kommt der Ehering an meinen Finger? Schlagartig ist Kylie hellwach. Schlimmer noch: Der Fremde neben ihr im Bett trägt den gleichen Ring! Sie kann sich an nichts erinnern. Eigentlich wirklich schade, denn sie hat zu einem sehr attraktiven Mann Ja gesagt …


  • Erscheinungstag 04.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754259
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

In den ersten dreißig Jahren ihres Lebens war Kylie Chatterson bisher immer allein aufgewacht.

Heute Morgen nicht.

Sie hatte sich gerade auf der weichen Hotelmatratze herumgerollt und verschlafen geblinzelt, als sie den blonden Mann mit den engelsgleichen Gesichtszügen neben sich im Bett entdeckte und die Augen erschrocken aufriss.

Wer zum Teufel war das, und wie kam er hierher?

Sein muskulöser Körper wirkte wie die Marmorstatue eines griechischen Gottes, strahlte aber weitaus mehr Wärme und Leben aus. Durchs Fenster, dessen Vorhänge sie offenbar vor dem Einschlafen nicht zugezogen hatte, strahlte rücksichtslos die Morgensonne und beleuchtete unnötigerweise die Szenerie, die ihr mit jeder Sekunde peinlicher wurde.

Kylie hielt den Atem an und versuchte, sich nicht zu rühren, damit ihr schmerzender Kopf Gelegenheit hatte zu sortieren, was sie noch wusste.

Erstens: Sie war gestern nach Reno geflogen, um am Junggesellinnenabschied ihrer Freundin teilzunehmen. Sie befand sich definitiv in ihrem eigenen Hotelzimmer, denn ihr fuchsiafarbener Koffer mit Leopardenmuster hing etwas windschief auf dem Gepäckbrett am Fußende des Bettes. Zumindest befand sie sich also dort, wo sie hingehörte. Das war schon einmal ein gutes Zeichen.

Zweitens: Sie erinnerte sich daran, auf der Party des Junggesellinnenabschieds gewesen zu sein und an der Kasinobar ein oder zwei Cocktails getrunken zu haben. Normalerweise trank sie nicht viel Alkohol, also waren es bestimmt nicht mehr als zwei Getränke gewesen. Oder doch? Neben dem Fernseher entdeckte sie drei bunt bedruckte XXL-Plastikbecher. Das war nicht so gut, erklärte aber immerhin, warum ihr Kopf so dröhnte, ihr ein wenig übel war und sie sich an nichts erinnern konnte.

Keine Gefühle jetzt, befahl sie sich selbst. Denk einfach nach.

Drittens: Auf dem Nachttisch neben ihr stand ein Strauß blau gefärbter Nelken neben einem Polaroidfoto in einem kitschigen Papprahmen. Auf dem Foto war der Schriftzug Silver Rush Wedding Chapel aufgedruckt, daneben stand Wir haben uns getraut … in Reno. Das Bild wirkte ziemlich verschwommen – aber vielleicht war auch ihr Blick noch nicht ganz klar. Vorsichtig streckte sie den Arm aus und betrachtete blinzelnd das Sofortbild. Waren sie gestern Nacht noch in irgendeiner Westernbar gewesen? Vielleicht hatte sie da den Typen kennengelernt, der auf dem Foto neben ihr stand und der jetzt neben ihr lag.

Sie atmete leise aus und suchte auf dem Bild nach weiteren Hinweisen. Sie und Mr. Adonis sahen so aus, als ob sie in einem Planwagen säßen. Neben ihnen hockten zwei Menschen in Kostümen aus der Zeit von Nevadas Silberrausch. Jedenfalls hoffte sie, dass es Kostüme waren. Das war wirklich alles ziemlich schräg. Es sei denn …

Vorsichtig blickte sie über ihre nackte Schulter. Der perfekt gebaute Mann schnarchte leise. Während sie den Blick von seinem Gesicht über seinen Körper wandern ließ, revidierte sie ihren Eindruck von engelsgleich. Vom Hals an abwärts hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit einem Engel. War sie mit einigen der anderen weiblichen Partygäste in einer Männerrevue gelandet?

O nein … Vielleicht war der Kerl neben ihr ein Stripper, und sie hatte sich mit ihm eingelassen? Sie rieb sich die Augen und betrachtete das Foto erneut. Offenbar hatten sie sehr viel Spaß gehabt, denn sie wirkten beide sehr glücklich und zufrieden. Ob das gut war oder nicht, musste sich noch zeigen.

Viertens: Sie trug immer noch ihr blaues Set aus Spitzenhöschen und Spitzen-BH – aber sonst nichts. Was bedeutete das? Hatten sie oder hatten sie nicht?

Wieder blickte sie zu ihrem Bettgefährten hinüber. Was er unter der Bettdecke trug, wusste sie nicht, aber darüber waren nur seine beeindruckenden Arm- und Brustmuskeln und sein Lächeln zu sehen. Die peinliche Situation trieb ihr die Röte in die Wangen.

Obwohl die meisten Leute fanden, Kylie kleide sich zu aufreizend und hätte zu viele Verabredungen mit Männern, hatte sie bisher noch keinen Mann weiter an sich rangelassen, als ihr Ausschnitt reichte. Und jetzt wusste sie nicht einmal, wer da neben ihr lag oder ob sie es letzte Nacht wirklich getan hatten! Sie brauchte nicht völlig nüchtern zu sein, um zu erkennen, dass es auf keinen Fall ein gutes Zeichen war, wenn sie halbnackt mit einem Fremden im Bett lag.

Bevor sie zu fünftens kommen konnte, rückte der blonde Adonis näher an sie heran und schlang seinen muskelbepackten Arm um ihre Taille. Seine Wärme fühlte sich auf ihrer angespannten Haut wie ein kleiner Stromschlag an, und sie brauchte ihre ganze, normalerweise ziemlich beachtliche Selbstbeherrschung, um nicht aus dem Bett zu springen und wegzulaufen. Jetzt hatte sie keine Zeit mehr, weiter zu analysieren. Wenn sie weiter versuchte, die Situation gedanklich nachzustellen, würde er inzwischen womöglich aufwachen. Vielleicht konnte sie sich leise wegschleichen.

Dumm nur, dass dies hier ihr Hotelzimmer war.

Sie war als einziges Mädchen mit vier älteren Brüdern und einem starrsinnigen Vater aufgewachsen. Deshalb war sie durchaus daran gewöhnt, ihre Unabhängigkeit und Individualität zu verteidigen. Gleichzeitig war sie kein Mauerblümchen. Kylie hatte früh im Leben gelernt, sich ihren Platz selbst erkämpfen zu müssen, wenn sie es zu etwas bringen wollte. Und sie wusste, wie sie sich gegen Männer durchsetzte – selbst gegen beeindruckend gebaute nackte Männer.

Sie rüttelte an seiner Schulter. „Pst.“

Seine einzige Reaktion war, dass er sie noch näher an sich zog.

„Hey“, sagte sie ein wenig lauter, während sie versuchte, sich so taktvoll wie möglich aus seiner Umarmung zu befreien.

Er drückte seine vollen Lippen an ihren Hals, und ihr lief ein schockierendes Kribbeln den Rücken hinunter. Die intime Berührung erschreckte sie, erregte sie aber auch. Sie versuchte, sich mit den Beinen von ihm abzustoßen, rammte ihm dabei aber aus Versehen ihre Ferse ans Schienbein, woraufhin er aufschrie und seinerseits angestrengt versuchte, von ihr wegzukommen. Dadurch bekam sie so viel Schwung, dass sie über die Bettkante katapultiert wurde und auf dem gemusterten Teppichboden landete.

„Was, zum Teufel!?“, rief sie und versuchte, das Laken vom Bett zu ziehen, um sich zu bedecken.

„Wo bin ich?“, fragte er.

Nachdem Kylie sich endlich in das Laken eingewickelt hatte, kam sie auf die Beine, um sich den ebenfalls ziemlich verwirrten Fremden in ihrem Bett vorzuknöpfen. Als sie sich in ihrer behelfsmäßigen Toga im Spiegel sah, hob sie trotzig das Kinn. Ihre Freunde sagten immer, sie sähe mit ihrem hochgewachsenen kurvigen Körper aus wie die brünette Version von Wonder Woman. Im Moment fühlte sie sich allerdings eher wie deren Alter Ego, die Amazonenprinzessin Diana, die ihr Königreich vor eindringenden Männern verteidigen muss.

„Ich sage Ihnen, wo Sie sind, wenn Sie mir sagen, wer Sie sind!“, erklärte sie energisch.

„Ich bin Andrew.“ Er strich sich durch sein kurz geschnittenes Haar, und es tröstete sie ein bisschen, dass er wahrscheinlich genauso furchtbare Kopfschmerzen hatte wie sie.

Andrew klang auch nicht wie der Name eines Strippers, wobei sie in diesen Dingen nicht wirklich Erfahrung hatte.

„Also, Andrew, Sie sind in meinem Hotelzimmer im Legacy Casino in Reno. Fragen Sie mich nicht, wie Sie hierhergekommen sind. Ich bin mir über die Details auch noch nicht so ganz im Klaren.“

Der Mann betrachtete das zerwühlte Bett, dann sie, wobei er den Blick über ihren ganzen Körper wandern ließ, bevor er sich wieder auf ihr gerötetes Gesicht konzentrierte. Er blinzelte ein paarmal, dann tastete er auf dem Nachttisch nach seiner Brille mit Drahtgestell und setzte sie auf.

„Du bist Kylie“, erklärte er zögernd.

„Na schön, dann erinnert sich wenigstens einer von uns beiden, was …“ Sie unterbrach sich, als sich auch bei ihr ein Erinnerungsfetzen der letzten Nacht einstellte. „Mit der Brille siehst du aus wie dieser Freund von Cooper … Der, der beim Militär ist.“

Sein Nicken bestätigte ihre Befürchtung. O nein. Das war schlecht. Ganz, ganz schlecht.

„Ach, du meine Güte!“ Anklagend zeigte sie auf ihn, während er sich verlegen im Zimmer umschaute, offensichtlich auf der Suche nach seinen Klamotten – zumindest nach seiner Hose. „Du bist der Geistliche, der die Hochzeitszeremonie abhält. Du bist Drew Gregson!“

Stückchenweise kehrte die Erinnerung an den gestrigen Nachmittag zurück. Sie war ziemlich früh in der Cocktailbar angekommen, um auf Wunsch ihrer Freundin die anderen Gäste zu begrüßen. Drew, der beste Freund des Bräutigams, war ebenfalls schon da, wirkte ziemlich verloren und unschuldig wie ein Lämmchen und hatte sie offenbar direkt zur Schlachtbank geführt.

Stöhnend ließ sie sich auf den nächstbesten Stuhl sinken. Er war bis jetzt noch nicht aufgestanden, und sie hatte nicht vor, sich neben einen Geistlichen ins Bett zu legen. „Wir landen so was von in der Hölle …“

Gestern hatte sie ihm einen Drink bestellt und ihm gesagt, das würde ihn entspannen. Dann hatte sie einen schmutzigen Witz erzählt. Er hatte angemessen schockiert dreingeschaut, bevor er anfing zu lachen, und sie hatten auf das Brautpaar angestoßen. Danach war alles verschwommen. Auf schrecklich sündige Art und Weise.

„Ja, der bin ich, aber ich bin kein Geistlicher!“

Sie betrachtete ihn prüfend. Sagte er die Wahrheit oder betrieb er nur Schadensbegrenzung? Vielleicht war er ja daran gewöhnt, in fremden Hotelzimmern neben ihm unbekannten Frauen aufzuwachen, aber um sein Seelenheil schien er nicht allzu besorgt zu sein. Wenn er also kein Pfarrer war, was war er dann? Und wieso war er so unglaublich ruhig – und kein bisschen verlegen?

Sie senkte den Blick. Wenn sie seine steinharten Muskeln noch länger anschaute, konnte sie sich gar nicht mehr konzentrieren und würde nie herausfinden, was letzte Nacht so furchtbar schiefgelaufen war.

„Könntest du dir bitte was überziehen?“

Er fischte die Tagesdecke vom Fußboden und schlang sie um seinen Oberkörper, während er sich weiter suchend im Zimmer umschaute. Inzwischen wäre ihr wirklich jedes männliche Kleidungsstück recht gewesen, aber von seinen Klamotten war nichts zu sehen. Auch sie beteiligte sich an der Suche, aber ihr Blick kehrte immer wieder wie von selbst zurück zu seinem nackten Oberkörper, über dem er mit der linken Hand nur dürftig die Decke zusammenhielt. Und da entdeckte sie ihn: den glänzenden Goldring an seinem Ringfinger.

„Und was, bitte schön, ist das!?“ Sie zeigte auf das Corpus Delicti. „Du bist verheiratet! Ich habe gerade die Nacht mit einem betrunkenen verheirateten Mann verbracht!“

Erschauernd zog sie das weiße Laken enger um sich, als könne sie damit ihr Schamgefühl und den Zorn seiner anonymen Angetrauten von sich fernhalten.

„Wovon redest du überhaupt?“ Drew hatte offenbar endlich gefunden, was er suchte, griff nach dem weißen Unterhemd, das unter der Tagesdecke gelegen hatte, und zog es sich über. „Ich bin nicht verheiratet.“

„Aber du trägst einen Ehering.“

Blinzelnd betrachtete er seinen Finger, und in seine blauen Augen trat angesichts des glänzenden Schmuckstücks ein ehrlich verwirrter Ausdruck. Dann wandte er sich fragend an sie, als könne sie die ganze Sache erklären.

Das traf leider ganz und gar nicht zu, doch sein Blick war ebenso geduldig wie eindringlich, und Kylie beschlich das Gefühl, dass er meistens gewann, wenn sie einander um die Wette in die Augen blickten. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit machte sie nervös und ihr rutschte das Laken aus der Hand. Hastig versuchte sie, es wieder zurechtzuzupfen. Als sie dabei sah, was genau er die ganze Zeit so anstarrte, verschlug es ihr den Atem.

„Du trägst auch einen.“ Er sagte es beiläufig, ohne jede Anklage oder Verurteilung.

Wie versteinert betrachtete sie den mit seinem Ring identischen Goldreif an ihrem Ringfinger. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Kylie Chatterson vollkommen sprachlos und das war ungewöhnlich für die frühere Anführerin des Teams der Boise State Cheerleaders, die Zweitplatzierte bei der Wahl zur Miss Idaho und das derzeitige Genie unter den Steuerberaterinnen.

Sie ließ das Laken fallen, rannte ins Bad und schlug die Tür hinter sich zu.

Vielleicht war das keine sehr reife und vernünftige Art, mit dieser Situation umzugehen, aber sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und ihre Handflächen waren schweißnass. So musste sich eine Panikattacke anfühlen – oder ein massiver Kater. Oh, mein Gott, wie viel hatte sie letzte Nacht wirklich getrunken?

Nein, keine Panik. Wo war ihr gesunder Menschenverstand, wenn sie ihn wirklich dringend brauchte? Wahrscheinlich hockte der noch unten an der Hotelbar.

Sie drehte den Wasserhahn auf und trank einen Schluck, dann hielt sie eine Hand unter den kühlen Strahl, während sie sich dazu zwang, langsam durch die Nase ein- und auszuatmen. Als sie schließlich nicht mehr das Gefühl hatte, ihre Lungen würden jeden Moment explodieren, stellte sie das Wasser ab und trocknete sich die Hände.

Grimmig starrte sie ihr Spiegelbild an, als ob sie hier eine Erklärung für das Schlamassel finden könnte. Ihre langen rotbraunen Locken waren völlig zerzaust, und ihr gestern sorgfältig aufgetragenes Make-up war jetzt wahrscheinlich über eins der Kissen verteilt, zwischen denen der lüsterne Engel immer noch hockte.

Glücklicherweise hatte sie gestern schon ihre Kosmetiktasche ins Bad gebracht. Sie nahm den flauschigen Hotelbademantel vom Haken, streifte ihn über und verknotete den Gürtel zwei Mal. Dann bürstete sie sich die Haare und fasste sie zu einem straffen Pferdeschwanz zusammen, bevor sie sich gründlich das Gesicht wusch. Danach putzte sie sich weit über die von Zahnärzten empfohlene Zeit hinaus ausgiebig die Zähne – viel mehr konnte man im Bad ja auch nicht machen, um Zeit zu gewinnen.

Als sie gerade dabei war, die Zahnbürste auszuwaschen, klopfte es an der Tür. „Äh, Kylie?“

Na toll. Er war immer noch da. Sie musste ihn so schnell wie möglich loswerden.

„Ich habe gerade ein paar Papiere auf dem Schreibtisch gefunden“, verkündete er durch die verschlossene Tür. „Ich glaube, wir haben da ein kleines Problem.“

Drews Kopf fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Die Heiratsurkunde in seinen leicht zitternden Händen sah echt aus, doch sein Blick war noch verschwommen, und er konnte die Worte nur gerade so lesen. Er blickte auf seine Armbanduhr. Oh, kurz vor neun. In ein paar Stunden musste er seine Neffen abholen. Die achtjährigen Zwillinge seines Zwillingsbruders warteten in ihrem Elternhaus in Boise auf ihn.

Wenigstens war er jetzt angezogen und konnte sich der unerwarteten Herausforderung, die sich im Bad eingeschlossen hatte, mit etwas Anstand annehmen. Unanständig war er ja offensichtlich letzte Nacht schon gewesen. Seine Sachen hatten im Hotelzimmer verstreut gelegen, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Normalerweise faltete er alles ordentlich zusammen. Aber natürlich trank er normalerweise auch nicht zu viel Alkohol oder heiratete Frauen, die er gerade mal ein paar Stunden kannte.

Offenbar war er gerade nicht er selbst.

Die ganzen letzten zehn Minuten hatte er versucht, gelassen und gemäßigt zu reagieren, während er sich gleichzeitig den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie er mit dieser schönen Frau im Bett gelandet war. Zum Glück war sie jetzt ins Bad geflohen. Er hoffte, dass sie sich etwas überzog, denn selbst für einen Mann, der sich geschworen hatte, sich von Frauen fernzuhalten, gab es so etwas wie zu große Versuchung.

Gestern Nachmittag war er extrem nervös und unsicher gewesen. Die Aussicht, für seine Neffen der offizielle Erziehungsberechtigte zu werden, während sein Bruder sich den ganzen Sommer über auf eine streng geheime Mission begab, lag ihm schwer im Magen. Dass er außerdem Jetlag hatte, weil er selbst gerade von einem Militärstützpunkt im Nahen Osten eingeflogen war, half auch nicht gerade. Dazu kam noch, dass er demnächst als Psychologe im Militärhospital nahe seiner Heimatstadt anfangen würde. Diese ganzen Neuanfänge stressten ihn ganz schön.

Kopfschüttelnd starrte er auf die Badezimmertür. All das war keine Entschuldigung dafür, was er getan hatte – wenn er doch wenigstens wüsste, was genau das war! Er hatte so vielen Soldaten und Seeleuten beigebracht, wie man nach einem Militäreinsatz gesund und effektiv mit Stress umgeht. Sich zu betrinken und die erste Frau zu heiraten, die einem über den Weg lief, gehörte nicht zu seinen üblichen Ratschlägen, da war er sich ziemlich sicher.

Er erinnerte sich daran, wie er sich gestern Kylie in der Cocktailbar des Casinos vorgestellt hatte, bevor die anderen Partygäste eintrafen. Er hatte sich sehr darauf gefreut, seinen besten Freund Matt Cooper wiederzusehen, der Kylies beste Freundin Maxine Walker heiraten würde.

Kylie war so freundlich und umgänglich gewesen. Als Psychologe war er normalerweise derjenige, der anderen Leuten zuhörte und sie beriet. Er selbst dagegen war es eher nicht gewohnt, über seine Gefühle zu sprechen. Kylie hatte gewitzelt, er bräuchte dringend einen Drink, um sich zu entspannen. Und er hatte angenommen, ein Glas könne ja wohl nicht schaden.

Blinzelnd betrachtete er die neongrünen Maxibecher neben dem Fernseher – tja, von wegen. Diese harmlos schmeckenden Fruchtcocktails stiegen einem schneller in den Kopf, als man bis drei zählen konnte.

Er blickte zu dem „Wir haben uns getraut“-Foto auf dem Nachttisch hinüber und fragte sich, wie viele von den Maxibechern er gebraucht hatte, bis er so betrunken war, dass er es für eine gute Idee hielt, vor Gott und ein paar als Silberschürfer verkleideten Schauspielern ein Ehegelübde abzulegen.

Doch wenn er sich die beiden Personen auf dem Foto genauer anschaute – er in seinen gebügelten Jeans und Kylie im Minirock –, sah er, dass sie beide strahlend lächelten. Sie waren vielleicht blau wie die Veilchen, aber immerhin sahen sie beide ziemlich glücklich aus. Geradezu glückselig.

Dass er eines Tages heiraten würde, hatte für ihn immer festgestanden. Sein Vater war Pfarrer und predigte oft darüber, wie wichtig es war, das Ehegelübde einzuhalten. Ob es nun daran lag, dass er altmodisch war oder allzu religiös erzogen, jedenfalls hatte Drew immer gewusst, dass er nur ein Mal in seinem Leben Ja sagen würde.

Gleich nach dem Studium hatte er sogar gedacht, Jessica wäre seine Zukünftige. Doch er wollte sich Zeit lassen und herausfinden, ob sie wirklich perfekt zueinander passten. Jessica hatte allerdings nicht so viel Geduld gehabt.

Danach hatte er sich geschworen, keine Beziehung mehr einzugehen – nicht einmal eine rein sexuelle –, wenn er sich nicht ganz sicher war, dass er die Frau auch würde heiraten wollen. Sich von Frauen fernzuhalten war für ihn einfach reine Willenssache.

Jetzt allerdings stand seine eiserne Lebensregel auf einem harten Prüfstand. Kylie sah mit ihren roten Haaren, in dem viel Haut zeigenden Outfit und den unglaublich hohen Absätzen nicht gerade aus wie die Ehefrauen seiner geschätzten Kollegen. Als er sie gestern kennenlernte, hatte er sie atemberaubend gefunden, daran erinnerte er sich noch – auch wenn sie nicht gerade konventionell wirkte. Und heute Morgen, als ihr das Laken weggerutscht war und sie in ihrer ganzen weiblichen Schönheit vor ihm stand, hatte er Schwierigkeiten gehabt, den Blick abzuwenden.

Trotz seines selbst auferlegten enthaltsamen Lebens kannte er natürlich, wie die meisten Menschen, fleischliche Gelüste. Bis jetzt hatte er sie aber immer im Griff gehabt. Und auf den Militärbasen, auf denen er die letzten Jahre verbracht hatte, war die Versuchung sowieso nicht so groß. Er stand eben nicht auf Uniformen mit Tarnmuster. Kylies Stil und Persönlichkeit dagegen waren so farbenfroh und lebendig, dass er sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt hatte.

Das Wasserrauschen im Bad hörte auf, und er wappnete sich für ihr Wiederauftauchen. Die Tür öffnete sich, und Kylie kam ungeschminkt und mit hoch erhobenem Kopf heraus. Sogar der übergroße Hotelbademantel konnte ihre bewundernswerten Kurven nur unzulänglich verbergen. Die grünen Augen zusammengenkiffen, lehnte sie sich an den Türrahmen. „Bitte sag mir nicht, was ich denke, dass du mir sagen willst.“

„Wenn du denkst, dass ich dir sagen will, dass das Hochzeitsfoto nur ein Witz war – nein, das werde ich dir nicht sagen.“

„Woher willst du das wissen?“ Sie öffnete mühsam die Augen etwas weiter, und er reichte ihr die sehr offiziell aussehende Heiratsurkunde. Unterschrieben und gestempelt.

Sie war eine kluge Frau. Drew erinnerte sich nicht mehr daran, woher er das wusste, aber irgendwann letzte Nacht hatte er das festgestellt. Also hielt er den Mund und ließ sie ihre Schlüsse selbst ziehen.

„Wow.“ Sie ließ sich am Türrahmen zu Boden gleiten, wobei ihre langen schlanken Beine sichtbar wurden, als der Bademantel auseinanderklaffte.

Er hatte schon früh gelernt, dass man auf Augenhöhe mit Menschen sein musste, wenn man effektiv mit ihnen kommunizieren wollte. Also setzte er sich neben sie auf den Boden, obwohl sein Magen bei der Bewegung rebellierte.

„Tut mir leid“, versuchte er, sie zu trösten. „Ich weiß nicht, wie es passiert ist oder was wir uns dabei gedacht haben, aber es sieht so aus, als wären wir miteinander verheiratet.“

Sie stützte das Kinn auf einer Hand ab, in der anderen hielt sie die Urkunde. Immer wieder überflog sie das Dokument, vielleicht auf der Suche nach einem Schlupfloch oder einem Indiz dafür, dass es doch nur ein Witz war.

„Aber wie können wir verheiratet sein, wenn unsere Trauzeugen ihre Namen als Pistolenpeter und Maddogmolly angegeben haben?“

Drew reichte ihr das Hochzeitsfoto. „Ich glaube, der Kerl mit dem langen Bart und dem Goldgräberhut ist Pistolenpeter. Die grimmig aussehende Frau neben dir muss Molly sein.“

„Lieber Himmel, meine Trauzeugin war eine übergewichtige Saloondame, der ein Zahn fehlt. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das schlimmer finde als die Tatsache, dass ich mit einem Geistlichen in dem Bett da drüben Unzucht getrieben habe.“

„Vielleicht sollten wir uns auf die Fakten konzentrieren“, schlug er vor. „Erstens: Ich bin Arzt. Klinischer Psychologe, um genau zu sein. Kein Geistlicher.“

„Aber du hältst doch die Trauzeremonie ab. Muss man dafür nicht Geistlicher sein?“

„Nein, nicht wirklich. Jeder kann im Internet ein Zertifikat dafür bekommen. Ich schuldete Cooper einen Gefallen, und er weiß, wie ich es hasse, vor Leuten zu reden.“

„Das erklärt einiges.“ Sie seufzte, dann lehnte sie den Kopf so schnell zurück, dass sie heftig gegen die Wand stieß.

„Zurück zu den Fakten?“ Er wartete auf ihr Nicken, bevor er fortfuhr. „Zweitens, es hilft uns beiden nicht weiter, wenn wir darüber nachdenken, welche Sünden wir begangen haben mögen. Drittens, egal, was in dem Bett da drüben gestern Nacht passiert ist, da wir nun mal verheiratet waren, gilt es nicht als Unzucht.“

Drew war ein geduldiger Mensch, aber er wusste nicht, ob die ziemlich fertig wirkende Frau vor ihm für Logik zugänglich war. Woher auch? Er wusste schließlich überhaupt nichts über sie.

„Bei Punkt eins und zwei stimme ich zu“, erwiderte sie schließlich, „aber da du kein Geistlicher bist, sind deine Ansichten darüber, was oder was nicht als Unzucht gilt, keine Expertenaussage.“

Wie bitte, jetzt störte es sie auf einmal, dass er kein Geistlicher war? Vielleicht konnte sie sich mal entscheiden?

„Bist du Anwältin?“, fragte er.

„Nein, Steuerberaterin. Wenn du in Zahlen mit mir sprichst, komme ich viel besser mit.“

Diese Information konnte für die Zukunft wichtig sein. „Hör zu, ich bin genauso durcheinander wie du. Aber wir müssen einen klaren Kopf behalten und vernünftig miteinander reden, wenn wir da heil wieder rauskommen wollen.“

Sie nickte, wirkte aber immer noch besorgt. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Für dich sind das doch bestimmt auch keine freudigen Neuigkeiten, aber du wirkst völlig gelassen.“

„Berufskrankheit. Es ist mein Job, ruhig zu bleiben, wenn um mich herum alles explodiert – wortwörtlich.“

Autor

Christy Jeffries
<p>Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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