Die Liebe liegt so nah

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So erfolgreich Julia im Job ist, so wenig versteht sie von Männern. Auch der sexy Bauunternehmer Kane Chatterson ist ihr ein Rätsel. Nur eins scheint klar: Er interessiert sich nicht für sie als Frau! Warum sonst will er ihr einen Mann suchen, statt sie selbst zärtlich zu küssen?


  • Erscheinungstag 25.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754280
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Captain Julia Calhoun Fitzgerald konnte mühelos ein komplettes Chirurgenteam durch eine komplizierte Notoperation lotsen. Wenn sie aber nackt einen Kopfstand machen und durch ein Megafon nach dem Kellner rufen würde, dann würde sie kein Mensch im Cowgirl-Up-Café eines weiteren Blickes würdigen.

„Ich hätte gern noch …“ Julia verstummte, als sie merkte, dass sie zum Rücken des jungen Mannes sprach. Er hatte den gefüllten Teller kommentarlos auf die Theke gestellt – ohne zu fragen, ob sie noch etwas brauchte.

Zwei Plätze weiter war eingedeckt, und sie überlegte kurz. Sie konnte weitere zwanzig Minuten unbemerkt sitzen bleiben oder einfach nach rechts greifen und sich die unbenutzte Papierserviette und das Besteck nehmen. Sie entschied sich für Letzteres.

Sie breitete die Serviette auf ihrem Schoß aus und schnitt den riesigen Frühstücksburrito mit chirurgischer Präzision in zwei Hälften. Mit zusammengepressten Lippen starrte sie auf die heraussickernde Bratensoße. Das konnte nicht richtig sein. Sie hob eine Hand und sah sich im Restaurant um. Die einzige Kellnerin eilte gerade zwischen mehreren voll besetzten Tischen umher, steckte ihren Bestellblock weg und nahm einen Stapel schmutziger Teller von einem leeren Tisch.

War es hier immer so voll? Seit sie im letzten Monat an das Shadowview-Militärkrankenhaus versetzt worden war, hatte sie das Restaurant ihrer Tante erst zweimal besucht – beide Male kurz vor dem Schließen, wenn in Sugar Falls in Idaho bereits die Bürgersteige hochgeklappt wurden.

Wo steckte Tante Freckles überhaupt? Julia hätte schwören können, dass sie laut der Termin-App auf ihrem neuen Smartphone um acht Uhr an diesem Morgen miteinander verabredet waren, und zwar genau hier, im Cowgirl-Up-Café. Julia blickte auf die goldene Cartier-Uhr – eines der bescheideneren Erbstücke, die ihre Mutter ihr hinterlassen hatte. In fünfzehn Minuten sollte sie sich in ihrem neuen Haus mit dem Bauunternehmer treffen.

Julia stocherte mit Gabel und Messer in der Weizentortilla auf dem Teller, beugte sich vor und schnupperte am Fleisch, das unter dem Teig zum Vorschein kam. Sie hatte dieses Gericht eindeutig nicht bestellt. Vorsichtig legte sie das Besteck ab, nippte am Orangensaft und versuchte, nicht mitzuhören, was in der Sitznische nebenan gesprochen wurde.

„Die Rockies werden es in diesem Jahr nicht mal in die Play-offs schaffen!“ Einer der älteren Cowboys schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass die Salz- und Pfefferstreuer klirrten.

Julia zuckte zusammen.

„Beruhige dich, Jonesy“, sagte sein Gegenüber – ein jüngerer Mann im Flanellhemd, dessen kräftige gebräunte Unterarme nur von harter Arbeit unter freiem Himmel stammen konnten. Das kurze rotbraune Haar war zerzaust, vermutlich von dem grünen Basecap, das an seinem wippenden Knie hing. Sein kantiges Kinn und die lächelnden Lippen wirkten auf Julia alles andere als beruhigend. Jonesy dagegen riss sich zusammen und atmete zweimal tief durch. „Ich meine ja nur …“

Aus den Augenwinkeln entdeckte Julia die Kellnerin und hob die Hand, um Monica auf sich aufmerksam zu machen. Jedenfalls glaubte sie, dass die Frau so hieß. Sicher konnte sie sich nicht sein, denn die Kellnerin war immer nur an ihr vorbeigerauscht, ohne sie auch nur anzusehen.

„Entschuldigung!“, versuchte Julia es noch einmal, als Monica hinter die Theke eilte, in der einen Hand drei gefüllte Teller, in der anderen eine Kaffeekanne und eine Sirupflasche. Aber die junge Frau schaute wieder nicht in ihre Richtung.

Seufzend beschloss Julia, sich mit den Pommes frites zu begnügen, und schluckte gerade die letzte herunter, als sie einen erstickten Laut aus der Nachbarnische hörte.

Sexy Flanellhemd hielt sich die Hand vor den Mund, und Julia schaltete in den Rettungsmodus. Sie sprang auf, eilte hinüber, zog den Mann von seinem Platz, schlang die Arme von hinten um seinen Oberkörper und verschränkte sie direkt über seinem Oberbauch. Sein Kinn stieß fast gegen ihre Stirn, als er ruckartig den Kopf in den Nacken legte, um sie anzusehen.

„Gleich geht es Ihnen besser!“, sagte sie mit all ihrer ärztlichen Autorität. „Versuchen Sie, ruhig zu bleiben.“

„Ich wäre viel ruhiger, wenn ich wüsste, warum Sie sich so an mich klammern“, erwiderte er. Wenn er sprechen konnte, dann bekam er auch Luft.

Oh nein.

Verlegen richtete Julia sich auf und ließ ihn so langsam los, dass sie mit den Fingerspitzen fühlen konnte, wie weich sein Flanellhemd war. Und wie straff die Muskeln darunter. Das musste an dem Adrenalin liegen, das sie bei einem Notfall immer durchströmte – auch wenn es sich um Fehlalarm handelte.

Hastig verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken.

„Entschuldigung“, sagte sie zu Mr. Flanell und den beiden älteren Cowboys. Ihre Augen waren groß und rund wie Blaubeerpfannkuchen. „Ich dachte, Sie ersticken!“

„Das dachte ich auch“, gab der Mann zu. „Dann wurde mir klar, dass ich nur vergiftet wurde – von meinem Hühnchenburrito.“ Er zeigte auf seinen Teller, und Julia wusste, wo ihr Frühstück gelandet war.

„Offenbar haben Sie meinen Wrap mit Eiweiß und Veggie’s Delight bekommen.“ Sie nahm den Teller, ging zu ihrem Platz und kehrte mit seinem Gericht zurück. „Ich glaube, das hier gehört Ihnen.“

„Und wo sind meine Pommes frites?“ Er starrte auf den Teller.

Julia spürte, wie sie errötete. „Die habe ich gegessen.“

„Die meisten Leute hätten ein falsches Gericht einfach zurückgehen lassen.“

Ach ja? Die meisten Menschen würden nicht würgen und nach Luft schnappen und so tun, als hätte man sie vergiftet? Sie schluckte die Antwort herunter. Sie kannte diesen Mann nicht. Und alle anderen in dieser Stadt auch nicht. Noch nicht. Obwohl alle im Restaurant sie mittlerweile anstarrten. Auch Monica. Endlich!

Julia ging zu ihrem Platz, schnappte sich ihre Tasche und nahm die Geldbörse heraus.

„Hier. Für das entgangene Frühstück.“ Ihre Stimme zitterte, als sie zwei Zwanzigdollarscheine auf den Tisch legte. „Und nur damit Sie es wissen, Sie haben ein Stück Spinat zwischen den Zähnen.“

Auf dem Weg zur Tür hörte sie mehrere Leute lachen, aber sie blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Wie lange würde es wohl dauern, bis sich ihr peinlicher Auftritt herumgesprochen hatte?

Genau deshalb blieb sie lieber im Hintergrund.

Sie war gerade in ihren Wagen gestiegen, als ihr Smartphone zwitscherte. Rasch meldete sie sich.

„Wo bist du?“, fragte Tante Freckles.

„Ich habe gerade das Café verlassen.“ Dass sie eben an einem Gast zur Oberbauchkompression den Handgriff nach Henry J. Heimlich angewendet hatte, erzählte sie nicht. Ihre Tante würde es früh genug erfahren.

„Warum warst du im Café?“

„Weil wir dort verabredet waren, um acht.“

„Nein, waren wir nicht. Wir wollten uns beim Bäcker treffen. Warum sollte ich dich in mein Restaurant bestellen, wenn ich mir den Vormittag freigenommen habe?“

Das erklärte, warum im Café Personalmangel herrschte. Aber wie hatte sie sich so irren können? Julia tippte auf ihren Terminkalender und beendete dadurch versehentlich das Telefonat. Sie holte tief Luft und versuchte, Freckles’ Nummer aufzurufen, aber bevor sie es schaffte, kam eine SMS von ihrer Tante. Jetzt sollten sie sich im neuen Haus treffen. Julia startete ihren Mini Cooper.

Als sie in ihre Straße einbog und ihr Blick auf das alte viktorianische Haus am Ende der Sackgasse fiel, lächelte sie stolz. Wenn man die Stadtvilla in Georgetown, das Sommercottage auf Chicoteague Island in Virginia und die zahlreichen Geschäftsimmobilien im Eigentum der Familienstiftung der Fitzgeralds nicht mitzählte, dann hatte Julia noch nie ein eigenes Dach besessen.

Sie parkte in der Einfahrt und malte sich aus, welche Möglichkeiten das Haus bot. Anders als sie strahlte es weder Vernunft noch Zurückhaltung aus. Aber jeder Quadratzentimeter gehörte ihr. Es gab keine Innenarchitekten, die ihr Farbkombinationen oder überteuerte moderne Kunst vorschlugen. Keine Hausmädchen, die ihr Bett machten, nachdem sie jeden Morgen um halb sechs aufgestanden war, um auf ihrem Cello zu spielen. Keine Privatlehrer, die in der Bibliothek auf sie warteten, damit ihre Schulnoten gut genug fürs Medizinstudium ausfielen – obwohl sie noch nicht einmal alt genug war, um Alkohol zu kaufen, geschweige denn, eine Leiche zu sezieren. Hier musste sie sich nicht gesund ernähren, während ihre Klassenkameraden bei Pizza und Energydrinks für die Abschlussprüfung büffelten.

Hinter ihr hupte es. Sie drehte sich nach dem rostigen Geländewagen um. Freckles war eigentlich ihre Großtante, und bis zum Gedenkgottesdienst für ihre Eltern vor einigen Jahren hatte Julia nur sporadisch Kontakt mit ihr gehabt. Man musste kein Neurochirurg sein, um zu verstehen, warum die ehemalige Rodeo-Queen das schwarze Schaf ihrer konservativen Familie gewesen war.

„Morgen!“, rief Freckles und klopfte auf ihren Wagen. „Ist er nicht eine Schönheit? Earl Larry, mein zweiter Mann, hatte auch so einen. Wir haben einen Wohnwagen angehängt und sind durch ganz Mexiko gefahren.“

Julia hauchte einen Kuss auf die faltige, mit reichlich Rouge versehene Wange, während Freckles sie so fest an sich drückte, dass Julia Angst um ihre Rippen bekam. „Was ist aus Earl Larry geworden?“

„Sein Großvater hat ihm das Familienunternehmen hinterlassen, er wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann und hat nur noch Anzüge mit Weste getragen. So einer war nichts für mich.“

Kein Wunder. Die achtundsiebzigjährige Eugenia Josephine Brighton Fitzgerald trug orangefarbene Cowboystiefel, eine Hose mit Zebramuster und ein schulterfreies T-Shirt, das für das Cowgirl-Up-Café warb.

„Wessen Auto ist das?“

„Kanes“, antwortete Freckles. „Er stand am Snowflake-Boulevard und meinte, er hätte etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Ich habe ihm gesagt, er braucht nur frische Luft. Weil ich seinen alten Bronco schon lange mal fahren wollte, durfte ich mich ans Steuer setzen, damit er den Rest des Wegs zu Fuß gehen kann. Es sind nur ein paar Blocks, also müsste er jeden Moment hier sein.“

Kane Chatterson war der Bauunternehmer, den Tante Freckles ihr vermittelt hatte, aber Julia hatte ihn noch nicht kennengelernt. Falls dieser rollende Schrotthaufen bezeichnend für die Qualifikation des Mannes war, so stand ihrem neuen Zuhause nichts Gutes bevor.

„Möchtest du dir das Haus von innen ansehen?“

„Unbedingt!“, erwiderte Freckles.

„Ich habe nur eine Stunde, bis meine Schicht im Shadowview beginnt. Wenn Mr. Chatterson nicht bald kommt, schicke ich ihm meine Ideen und Vorschläge per E-Mail.“ Das wäre Julia am liebsten, zumal nach dem katastrophalen Beginn dieses Tages.

Aber ihre Tante schüttelte den Kopf. „Kane ist ein guter Junge und äußerst zuverlässig. Er wird pünktlich sein, schließlich habe ich sein Baby als Geisel genommen.“ Sie klimperte mit den Wagenschlüsseln. „Männer haben zu ihren Autos eine unnatürliche Beziehung. Wenn du dir endlich mal die Zeit nimmst, um mit einem anständigen Kerl auszugehen, dann wirst du das selbst merken.“

Julia verdrehte die Augen. Für ihre Tante war jeder Mann unter sechzig ein Junge, und sie ließ keine Gelegenheit aus, Julia an ihr ereignisloses Privatleben zu erinnern.

„Ich stehe fast den ganzen Tag im OP, und wenn ich mal frei habe, dann schwimme ich meine Bahnen oder schlafe mich in der Offiziersunterkunft aus.“

„Du arbeitest zu hart, Süße.“ Freckles tätschelte ihre Schulter. „Und du musst mehr essen. In dem blauen OP-Anzug und der Strickjacke siehst du aus, als wärst du flach wie ein Brett. Gibt es denn gar keinen netten Arzt oder Admiral, mit dem du mal essen gehen kannst?“

„Ich brauche keinen Mann, der mich zum Essen einlädt.“

„Hmm. Die Stadt gibt Ende des Jahres einen großen Empfang, um Geld für das Krankenhaus zu sammeln. Du bist einer der neuen Ärzte und offizieller Einwohner von Sugar Falls, da erwartet das Festkomitee, dass du als Ehrengast kommst, und zwar mit Begleitung, wenn du weißt, was ich meine.“

Ehrengast? In Begleitung? Ein mulmiges Gefühl stieg in Julia auf, und sie begann zu schwitzen, obwohl sich die Novembersonne noch immer hinter den Wolken verbarg. Einen Begleiter zu finden, war einfacher gesagt als getan. Außerdem hatte sie nicht vor, sich jemals wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen.

„Oh, sieh mal“, fuhr Freckles fort. „Da ist Kane ja schon. Versuch, zu lächeln, Julia.“

Nervös drehte sich Julia um.

Oh nein. Das darf nicht wahr sein.

Im Cowgirl-Up-Café war der Mann ihr nicht ganz so groß erschienen, aber jetzt sahen die breiten Schultern und der Brustkorb genauso muskulös aus, wie sie sich vor zwanzig Minuten angefühlt hatten. Was sollte sie tun? Ihm entgegengehen und ihn bitten, den peinlichen Vorfall nicht zu erwähnen, oder sollte sie sich gleich hinter der wuchernden Azalee verstecken?

Sie stand wie gelähmt da, als ihre Tante den Mann auf die Veranda winkte. „Kane Chatterson, das ist meine Lieblingsnichte, Doktor und Captain Julia Fitzgerald.“

„Ich bin deine einzige Nichte.“ Julia räusperte sich nervös und sah ihn an. „Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden.“

Kane Chatterson nickte nur. „Soll ich Sie Doktor oder Captain nennen?“

„Einfach Julia, bitte.“ Sie schüttelte ihm die Hand und fühlte dabei seine Schwielen an der Haut. Als Medizinerin konnte sie sich nicht erklären, warum es ihr dabei kalt den Rücken herunterlief. Als Frau ahnte sie, dass es mit der Ermahnung ihrer Tante zu tun hatte – und vermutlich auch mit der Tatsache, dass sie den Mann attraktiver fand als jeden, dem sie jemals zuvor begegnet war.

„Einfach Julia“, wiederholte er und lächelte noch immer nicht.

Sie blickte auf die Uhr. In zehn Minuten musste sie los. Bis dahin würde sie es wohl schaffen, sich wie eine normale erfolgreiche Frau zu benehmen.

„Was soll das heißen, ihr seid euch noch nicht vorgestellt worden?“ Verdammt. Tante Freckles entging wirklich nichts.

„Wir … haben uns im Cowgirl-Up-Café kurz unterhalten, als unsere Bestellungen verwechselt wurden“, erklärte Julia. Die kupferfarbenen Stoppeln an seinem kantigen Kinn ließen nicht erkennen, ob er errötete.

„Ja, hab mir schon gedacht, dass ich die neue Kellnerin nicht allein lassen sollte“, antwortete Freckles und zwinkerte ihr zu. „Heute Morgen läuft offenbar so einiges schief.“

„Hier.“ Julia reichte ihrer Tante das Smartphone. „Hier steht, dass wir im Café verabredet waren.“

Während Freckles auf dem Display herumtippte und Mr. Chatterson die abblätternde gelbe Farbe am Haus betrachtete, riskierte Julia einen zweiten Blick auf sein missmutiges Gesicht. Sie hatte lediglich versucht, ihm das Leben zu retten. Das konnte er ihr doch nicht übelnehmen – es sei denn, das Gelächter im Restaurant hatte ihm gegolten. Oder er war einfach nur erschöpft und fror nach dem langen Fußmarsch hierher.

Julia schaute auf seine Cowboystiefel. Nein, die sahen ziemlich abgetragen aus. Sie ließ den Blick an den Jeans nach oben wandern, am aus der Hose hängenden Shirt entlang und bis zur grünen Baseballkappe mit der gelben Aufschrift Patterson’s Dairy.

Wieder fühlte sie das eigenartige Kribbeln am Rücken.

Was war los mit ihr? Sie starrte keine fremden Männer an, und ihre Hormone gerieten selbst dann nicht in Aufruhr, wenn der Mann extrem gut aussah.

„Süße.“ Tante Freckles hielt das Smartphone hoch. „Irgendwie hast du es geschafft, das Cowgirl-Up-Café als Treffpunkt für jede Verabredung in diesem Monat abzuspeichern. Unter anderem für fünf Operationen, zwei Teambesprechungen, ein Seminar über neurologische Störungen und das Streichquintett von Boise.“

„Oh!“ Julia nahm das Smartphone und schaltete es aus. Sie hatte Wichtigeres zu tun, als irgendeine dämliche App zu meistern. Hastig nahm sie den Schlüssel aus der Strickjacke, von der Freckles behauptete, dass sie weder ihrem Teint noch ihrer Figur schmeichelte. „Soll ich Sie durchs Haus führen?“

„Na ja, wahrscheinlich könnte ich mich auch allein umsehen.“ Während sie die Tür aufschloss, streifte er seine Stiefel an der obersten Stufe ab. „Aber es kann nicht schaden, wenn ich mir ein paar Ihrer Ideen anhöre.“

Wie großzügig.

„Wollen Sie sich nichts zu schreiben holen?“ Sie zeigte auf seine Rostlaube.

„Wozu?“

„Damit Sie sich Notizen machen können?“

„Brauche ich nicht.“

„Was ist mit den Abmessungen? Sie werden sich doch wohl kaum jede Zahl merken können.“

„Nein, Ma’am. Wahrscheinlich nicht. Aber ich bekomme ein Gefühl für das Haus. Das ist mehr, als mir ein Maßband vermitteln kann.“

„Aber wie wollen Sie mir einen Kostenvoranschlag machen?“

Falls ich den Auftrag übernehme.“ Er schaute zu den Pinien hinauf, die dem reparaturbedürftigen Dach bedenklich nahe kamen. „Ich komme wieder, messe aus und schreibe alles ganz sauber und ordentlich für Sie auf.“

„Süße“, flüsterte Freckles viel zu laut. „Kane weiß, was er tut. Er platzt nicht in deine OP und erzählt dir, wo du schneiden musst.“ Lächelnd drehte sie sich zu dem Bauunternehmer um. „Julia ist Neurochirurgin bei der Navy. Hat einen messerscharfen Verstand, meine Großnichte. Oder habe ich das schon erwähnt?“

„Ja. Sollen wir anfangen?“, fragte er und marschierte ins Haus, als wäre es ihm völlig egal, wie klug Julia war. Nicht, dass sie von ihm bewundert werden wollte, aber es kam selten vor, dass jemand sich von ihrem überragenden IQ nicht beeindrucken ließ.

Der Mann schlenderte durch den Eingangsbereich, als wäre es sein Haus. Julia ärgerte sich darüber ebenso wie über ihre unerklärliche körperliche Reaktion auf ihn. Zu dritt gingen sie von Zimmer zu Zimmer, und irgendwann zählte Julia nicht mehr, wie oft sie ihrer Tante erklären musste, dass sie weder Glitzerfarbe an den Wänden noch eine komplett ausgestattete Bar in jedem Stockwerk haben wollte. Als sie die Besichtigung in der Küche beendeten, riskierte Julia bereits, zehn Minuten zu spät zu ihrer Schicht zu kommen. Leider musste sie befürchten, dass ihre Tante dem Mann irgendeine verrückte Idee aufdrückte, wenn die beiden allein waren.

„Ich finde, du solltest diese coolen türkisfarbenen Retro-Armaturen nehmen und sämtliche Schränke pink und weiß streichen.“ Freckles wedelte mit den Armen wie ein Verkehrspolizist. „Wenn du schwarz-weiß karierte Fliesen anbringst, hast du einen echten Fünfzigerjahrelook. Außerdem könntest du diese Wand entfernen und die Küche zum Wohnzimmer hin öffnen.“

„Welches ist das Wohnzimmer?“ Julia rieb sich die Schläfen.

„Ich glaube, das Zimmer, das Sie als Arbeitszimmer bezeichnet haben“, erwiderte Kane und sah aus, als würde er sie auslachen. „Oder war das der Salon?“

„Was auch immer. Ich möchte kein Fünfzigerjahremotto in meinem Haus. Und die Küche ist mein geringstes Problem.“

„Süße, die Küche ist das Herz des Hauses!“, beharrte Freckles.

„Meistens esse ich im Krankenhaus, und solange ich einen Kühlschrank für all die Reste habe, die du mir mitgibst, komme ich prima zurecht.“

„Genau das ist das Problem. Der Kürbisfestumzug steht kurz bevor, und danach beginnt auch schon die Skisaison, da habe ich im Café jede Menge zu tun. Ich mache mir große Sorgen, dass du ganz allein hier wohnst, nicht richtig isst und immer weniger wirst.“

„Wenn es dich beruhigt, kaufe ich mir ein Kochbuch und bringe mir ein paar einfache Grundrezepte bei. So schwer kann das doch nicht sein.“

„Süße, ich weiß, dir fällt das meiste leicht.“ Freckles legte einen Arm um Julias Taille. „Aber es gibt Dinge im Leben, die kann man nicht aus Büchern lernen.“

Das stimmt leider, dachte Julia. Freckles war ihre letzte lebende Angehörige und der Grund dafür, dass sie sich nach Idaho hatte versetzen lassen. Sie brauchte den Bauunternehmer gar nicht erst anzusehen, um zu wissen, dass sie jeden Preis zahlen würde, den er verlangte. Hauptsache, ihre Tante war beruhigt.

„Na gut“, sagte sie, „aber zuerst brauche ich ein bewohnbares Schlafzimmer, danach kann Mr. Chatterson mit der Küche beginnen – jedoch keine türkisfarbenen Armaturen oder karierte Fußböden.“

„Natürlich, Süße.“

„Und jetzt muss ich wirklich los.“ Julia blickte auf die Uhr. „Lassen Sie sich ruhig Zeit.“

„Soll ich hinterher abschließen?“, fragte Kane, als Julia ihre Tante umarmte.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Muss ich etwas unterschreiben?“

„Erst wenn ich Ihnen meinen Kostenvoranschlag schicke. Wie gesagt, ich weiß noch nicht, ob dieser Auftrag in meine Terminplanung passt.“

Auf dem Weg nach vorn griff sich Julia ihre Ledertasche, schaute auf Kanes alten Wagen und fragte sich, wie sie damit umgehen sollte, dass sie den Mann trotz allem attraktiv fand.

2. KAPITEL

Kane atmete tief durch und spürte, wie sich seine Anspannung etwas legte. Der Auftrag war ganz nach seinem Geschmack – er sollte einem heruntergekommenen Haus zu seinem alten Glanz verhelfen. Doch Dr. Captain Julia Fitzgerald war exakt die Art von Auftraggeber, die er nicht schätzte.

Die blonde Frau war ihm sofort aufgefallen, als sie sich im Cowgirl-Up-Café an die Theke gesetzt hatte. Ihr hübsches Gesicht nicht zu bemerken, wäre schwierig gewesen, obwohl sie jeden Blickkontakt mit den anderen Gästen vermieden und nichts getan hatte, um deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Nicht, dass er in den letzten zwei Jahren besonders umgänglich gewesen wäre. Aber bevor er sich versah, schlang die Frau ihre Arme um ihn und presste ihre kleinen festen Brüste an seinen Rücken. Plötzlich war ihm das Gemüse, in das er versehentlich gebissen hatte, völlig egal gewesen – er konnte nur noch daran denken, wie sehr er sich wünschte, sie würde ihre verschränkten Hände über seinen Bauch nach unten gleiten lassen.

Er war sich nicht mehr sicher, worüber sie danach gesprochen hatten. Er wusste nur noch, dass sie auf etwas zwischen seinen Zähnen gezeigt hatte, bevor die anderen Gäste in Gelächter ausgebrochen waren. Dann war sie verschwunden, bevor er erfahren konnte, wer sie war.

Eine Stunde später hatte er sich noch immer nicht von dem Schock erholt, die Frau aus dem Café neben Freckles auf der Veranda stehen zu sehen. Und wenn er an einer Fensterscheibe vorbeigekommen war, hatte er jedes Mal nachgeschaut, ob er immer noch Spinat zwischen den Zähnen hatte.

„Ist sie wirklich deine Nichte?“, fragte er Freckles und schaute durchs Küchenfenster zu Dr. Captains Wagen hinaus. Julia saß am Steuer und starrte mit gerunzelter Stirn auf ihr Smartphone. Die junge Frau war also Ärztin. Sie verdiente ihr Geld damit, Leben zu retten. Offenbar versuchte sie es sogar beim Frühstück. Er brauchte keinen Collegeabschluss, um zu begreifen, dass Männer wie er unter ihrer Würde waren.

„Hast du die Ähnlichkeit nicht gesehen?“

Er musterte Freckles. Ihr purpurner Lidschatten passte exakt zu dem geometrischen Muster des Tuchs, mit dem sie das orangefarbene Haar hochgebunden hatte. Julia dagegen trug keine Spur von Make-up, aber dafür eine hässliche beigefarbene Strickjacke über ihrer Krankenhausbekleidung.

„Na ja, sie ist fast so hübsch wie du, aber irgendwie erinnert sie mich an diese Legofiguren, mit denen ich als Kind gespielt habe“, antwortete er lächelnd und hoffte, dass Freckles ihm seine Ehrlichkeit nicht übelnahm.

Autor

Christy Jeffries
<p>Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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