Sehnsucht unter dem Sternenzelt

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Dieses Modepüppchen will in der Wildnis überleben? Niemals! Nur widerwillig gibt sich Alex mit Reporterin Charlotte ab - Stadt-Ladys sind nichts für ihn! Bis ein Sturm ihn zwingt, die Nacht mit ihr in einem Zelt zu verbringen und sie seine harte Schale einfach fortküsst …


  • Erscheinungstag 01.01.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754792
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Alex Russell warf einen missmutigen Blick zu dem silbernen Jeep hinüber, der neben seinem zum Stehen kam. Die Aufkleber auf den Seitentüren passten zu denen auf dem Schlauchboot, das er gerade mit wasserdichten Kisten, Paddeln und anderer Ausrüstung belud. Alex’ Großvater, den jeder im westlichen Idaho – einschließlich Alex – nur den Commodore nannte, weil er den Sugar River wie seine Westentasche kannte, sprang aus dem Jeep, während die Beifahrerin sitzen blieb, das Handy am Ohr.

Alex verdrehte die Augen. Genauso eine Stadtpflanze, wie er vermutet hatte. Aber sein Vater lag mit einer Grippe im Bett, und Alex hatte sofort angeboten, ihn als Führer der heutigen Wildwasser-Exkursion zu vertreten. Sein Vater hätte die Stromschnellen zwar auch mit vierzig Grad Fieber mühelos passiert, aber es war nicht gut fürs Geschäft, die zahlenden Kunden anzustecken. Schlimm genug, dass er den für seine mürrische Art bekannten Commodore auf sie loslassen musste, aber irgendjemanden brauchten sie nun mal als Shuttleservice zwischen dem Einstiegs- und Ausstiegsort.

„Hat Dad nicht gesagt, dass wir heute eine Fünfergruppe haben?“, fragte Alex, als sein Großvater näherkam.

„Das war der Plan.“ Der fünfundsiebzig Jahre alte Commodore, von seiner Familie kurz „Com“ genannt, war ein Einzelgänger und kaute, wo er ging und stand, auf einem Zahnstocher herum – wahrscheinlich, damit er nicht so viel reden musste. Dadurch war sein Gesicht aber auch ständig zu einer Grimasse verzogen, und Alex fand die Kommunikation mit ihm ziemlich anstrengend.

„Was ist also mit den anderen passiert?“, fragte er wider besseres Wissen.

„Keine Ahnung.“ Der Commodore humpelte zum Floß und prüfte die Straffheit der Sicherungsgurte. „Einige von uns stecken ihre Nase nicht in die Geschäfte anderer Leute.“

Alex nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die Stirn. „Ich muss schon ein bisschen mehr wissen.“

Com machte eine kurze Kopfbewegung zum Jeep. „Das Mädel heißt Charlotte Folsom. Eine Touristin, soviel ich weiß. Wenn du mehr wissen willst, kannst du sie ja selbst fragen.“

Alex blickte auf seine Armbanduhr. Wie lange konnte so ein Telefonat dauern? Erstaunlich, dass die Frau hier oben überhaupt Empfang hatte.

„Ist sie gegen frische Luft allergisch oder so?“

„Davon hat sie nichts gesagt, als sie den Haftungsausschluss unterschrieben hat.“

„Und warum steigt sie dann nicht aus?“

Doch kaum hatte Alex die Frage gestellt, öffnete sich die Beifahrertür. Zuerst fiel ihm ihr Haar auf, weil es dieselbe Farbe hatte wie seine Lieblingsschokolade – Zartbitter. Es war vollkommen glatt und eher konservativ geschnitten – in einer geraden Linie knapp unterhalb der Schulter. Ein Haarband hielt alles bis auf ihren dichten Pony aus dem Gesicht. Und was für ein Gesicht das war. Sie hatte hohe und betonte Wangenknochen, eine gerade, perfekt geformte Nase und volle, zartrosa Lippen, die ihn an die Zuckerwatte erinnerten, die sein Vater ihm früher immer auf dem Rummelplatz gekauft hatte. Verflixt, wieso musste er beim Anblick dieser Frau ständig an Essen denken?

„Hallo“, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. „Ich bin Charlotte Folsom. Es tut mir sehr leid, dass ich noch telefonieren musste, aber mein Redakteur hat mir die neuen Flugdaten meiner Crew durchgegeben.“

„Ihrer Crew?“, fragte Alex und blickte auf die langen schlanken Finger in seiner Hand hinunter, die viel zu zart wirkten, um im Wildwasser ein Ruder zu führen.

„Ja. Die Produzentin, ihre Assistentin und zwei Fotografen. Sie sollten in Spokane landen, aber ihr Flieger wurde wegen eines Gewitters in Seattle umgeleitet. Ich denke nicht, dass sie es rechtzeitig schaffen.“ Sie blickte zum grau verhangenen Himmel hinauf. „Das ist doch kein Problem, oder?“

„Das Wetter oder das Fehlen der restlichen Gruppe?“

„Beides.“

„Ach was. Das Wetter ist prima“, mischte sich der Commodore ins Gespräch ein und verschob dafür extra seinen Zahnstocher von der linken auf die rechte Seite. „Und Miss Folsom kennt sich mit Booten aus, also könnt ihr auch zu zweit losfahren.“

Alex hatte schon als Kind gelernt, ein Wildwasserschlauchboot zu steuern. Er hätte die Stromschnellen auch allein durchfahren können, aber es war ihm lieber, jemanden an Bord zu haben, der wusste, was er oder sie tat. Leider hatte jeder Tourist eine andere Definition für „Erfahrung“, und durch Stromschnellen der Klasse IV zu fahren, erforderte viel mehr Geschick, als den meisten klar war. Er wollte Charlotte Folsom ja kein Unrecht tun, aber er war lange genug im Geschäft, um ein Greenhorn zu erkennen, wenn er eins sah. Wahrscheinlich hatte sie erst heute früh die Preisschilder von ihren Outdoor-Klamotten abgetrennt.

„Wie oft waren Sie schon beim Wildwasser-Rafting?“, fragte er und setzte die Sonnenbrille wieder auf, um seine Passagierin nicht seinem skeptischen Blick auszusetzen.

„Oh, das ist mein erstes Mal. Aber in der Mittelschule hat meine Mannschaft zwei Jahre hintereinander die Kanu-Meisterschaft in Camp Butterhorn gewonnen.“

Der Commodore stieß einen anerkennenden Pfiff aus, als wäre das eine Meisterleistung. Im Ernst? Er musste doch wissen, dass es etwas ganz anderes war, auf einem sechssitzigen Schlauchboot durch den schäumenden Sugar River zu steuern als in einem Luxus-Ferienlager in einem Kanu auf einem See herumzupaddeln.

Jedenfalls nahm er an, dass es ein Luxus-Ferienlager gewesen war; das schloss er aus ihren Ohrsteckern mit Diamanten in der Größe von Erdnüssen, den überteuerten, hautengen Paddelhosen und der fuchsiafarbenen, wasserdichten North-Face-Jacke. Unwillkürlich blickte er noch einmal auf ihre Hände, aber sie trug keinen Ehering. Nicht, dass es ihn interessierte, ob sie verheiratet war. Er mochte weniger herausgeputzte, bodenständigere Frauen. Und die, die vor ihm stand, hatte schon nach Supermodel ausgesehen, bevor sie ihre Kameracrew erwähnt hatte. Er wollte nicht schuld sein, wenn sie beim Rafting einen wertvollen Diamant­ohrring verlor.

„Hier ist der Lippenbalsam, von dem ich Ihnen auf der Fahrt erzählt habe, Mr. … ich meine, Commodore.“

Offenbar hatte sie schon gelernt, dass Com nur auf seinen Spitznamen reagierte. Wenn überhaupt. Sie griff in ihre Schultertasche und zog etwas heraus. „Das wirkt bei aufgesprungenen Lippen wirklich Wunder. Sie tragen es einfach so auf …“ Sie tauchte einen Finger in den Tiegel und strich die Creme auf ihre eigenen Lippen. Alex hielt den Atem an, als sie danach das offene Döschen seinem Großvater hinhielt. Der alte Mann – der schon mal einen Friseursalon mitten in einem Haarschnitt verlassen hatte, weil der neue Friseur ihm ein Pflegeprodukt vorgeschlagen hatte – würde bestimmt gleich eine Reihe seiner berüchtigten Flüche loslassen und Schönheitsprodukte als Teufelszeug abtun. Wie immer.

Deshalb hatte Alex kurz das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, als der Commodore seinen rauen Finger vorsichtig in das Tiegelchen steckte und sich mit dem „Wundermittel“ die Lippen betupfte.

„Vielleicht sollten wir die Tour einfach verschieben, bis Ihre Crew hier ist“, schlug Alex vor und wunderte sich, als Com den Kopf schüttelte.

„Das geht nicht“, erklärte Charlotte energisch. Offenbar war sie es nicht gewöhnt, ein Nein zu hören. „Wir sind mit allem schon viel zu spät dran. Es war schon letzte Woche fast zu knapp, den Artikel noch in der Zeitschrift unterzubringen, aber dann hatte ich Probleme, jemanden für die Kinder zu finden, und einer unserer Redakteure bekam eine Lebensmittelvergiftung, also mussten wir den Artikel über indonesische Imbisswagen wieder rausnehmen. Wenn ich also nicht wenigstens ein paar Fotos und fünftausend Worte über Gourmet-Menüs aus der Wildnis besteuern kann, dann wird die nächste Ausgabe ein völliges Desaster.“

Jemand für die Kinder? Die Frau hatte also Kinder, war aber nicht verheiratet? Das ging ihn natürlich nichts an. Natürlich musste er hin und wieder mit den Touristen Small Talk machen, aber eigentlich interessierte ihn nur, wie fit sie waren und ob er würde verhindern müssen, dass sie sich versehentlich bei einem Extremsport umbrachten, für den sie sowieso nicht geschaffen waren.

Es lag also nur an der ungewöhnlichen Situation, dass er sich fragte, warum eine schöne Frau wie Charlotte Folsom Single war. Laut seiner Erfahrung bedeutete das meist, dass sie einfach zu anstrengend waren. Aber wie gesagt, das ging ihn ja nichts an.

Sein Problem war es, Russell’s Sports wieder in die tiefschwarzen Zahlen zu bringen. Der Commodore hatte sein eigenes Verständnis von „Geschäft“ und hatte es sich letztes Jahr zu oft herausgenommen, Kunden einfach abzuweisen, darunter eine lukrative Firmenveranstaltung. Dank einer hohen Steuernachzahlung, die er „vergessen“ hatte und einiger empörter Online-Kommentare über sein Verständnis von Kundenservice, war das Firmenkonto daher chronisch leer.

Letzte Woche hatte sein Vater etwas davon erwähnt, dass ein Magazin sie für eine Fotostrecke buchen wollte. Alex hatte nur mit halbem Ohr zugehört und es für einen Reiseartikel gehalten, der ihnen vielleicht etwas kostenlose Publicity bringen würde. Doch jetzt hörte sich die Sache plötzlich sehr viel komplizierter an.

„Moment mal, warten Sie.“ Er rieb sich mit einer Hand übers Kinn, wobei er seinen Dreitagebart spürte. „Welchen Sinn hat denn ein Fotoshooting, wenn nur das Model da ist?“

Miss Folsom setzte ihre übergroße Schildpatt-Sonnenbrille ab, und Alex blickte plötzlich in zwei Augen, die beinah violett waren. „Ich bin nicht das Model. Das Essen ist das Model.“

„Welches Essen denn?“ Hilflos blickte Alex zu seinem Großvater hinüber, der nur die Achseln zuckte, als wäre das alles nicht sein Problem, und dann wortlos zum Jeep zurückging.

„Mr. Russell, ich arbeite für Fine Tastes. Das ist eins der meistverkauften Magazine für Gourmet-Küche und stilvolles Leben. Ich dachte, unsere Produzentin hätte bereits erklärt, dass wir eine Reportage machen über Glamping und Essen, das aus der Wildnis kommt und aus dem wir al fresco Gourmet-Menüs zaubern.“

„Glamping? Was soll das denn sein?“, rief der Commodore vom Jeep her, bevor Alex fragen konnte, was al fresco bedeutete.

„Ein Modewort, eigentlich eine Abkürzung von ‚glamourösem Camping‘“, erklärte sie und strahlte den Commodore an. „Ich weiß, das schließt sich eigentlich aus, aber bei den Städtern ist das gerade der letzte Schrei.“

„Ja, wirklich zum Schreien“, murmelte der Commodore und stellte eine grellorangene Tasche neben ihr ab. Dabei rieb er seine Lippen aneinander, und es sah fast so aus, als ob er ausnahmsweise keine Grimasse zog. Enthielt der Lippenbalsam etwa eine geheime Zutat, die auch seine Persönlichkeit weicher machte?

Charlotte lachte über seine Bemerkung, ein kehliges Geräusch, das nicht nur unglaublich weiblich, sondern auch überraschend echt klang. Was hatte diese Frau nur angestellt, dass der mürrische Commodore so von ihr eingenommen war?

„Was genau ist also das Ziel dieser zweitägigen Tour, wenn Ihre Crew nicht hier ist, um Ihnen bei dem Artikel zu helfen?“, fragte Alex vorsichtig.

Er war nämlich hier nur der Bootsführer. Auf keinen Fall würde er mit ihr Zelte verschönern oder ihr auf andere Weise beim Auftreiben von – wie hatte sie das genannt? – Essen, das aus der Wildnis kommt helfen. Sicher, dem Commodore gegenüber war sie äußerst charmant, aber Alex sah schon vor sich, wie sie ihn herumkommandieren und wie einen Praktikanten behandeln würde, der für ihre ganze Crew einsprang.

„Angesichts des Wetters und wie spät es schon ist, denke ich nicht, dass wir wirklich zwei Tage unterwegs sein müssen“, erwiderte sie mit strahlendem Lächeln. „Es reicht völlig, wenn wir an einigen idyllischen Stellen anhalten und ein paar Fotomotive inszenieren. Und wenn Sie nichts dagegen hätten, mir ein Interview zu geben, könnte ich aus Ihrem Erfahrungsschatz schöpfen und eine Vorstellung von der Tour bekommen, die ich dann an unsere Leser weitergeben kann.“

„Ehrlich gesagt bin ich nicht mal sicher, ob wir einen ganzen Tag haben“, wandte Alex mit einem Blick zum grauen Himmel ein. „Was sagt dein Knie, Com?“

Sein Großvater klopfte auf sein arthritisches Gelenk, das normalerweise ein sehr guter Wetterprophet war.

„Bis heute Nacht sollte es trocken bleiben.“

„Bist du sicher?“

Der Commodore nickte. „Und wenn ich mich irre, werdet ihr halt ein bisschen nass.“ Seine grünen Augen funkelten herausfordernd. Es war kein Geheimnis, dass Alex seinen sportlichen Ehrgeiz von ihm geerbt hatte. Genau wie die trockenen Lippen offenbar. Alex zog seinen No-Name-Lippenpflegestift aus der Tasche und trug ihn auf. Doch die vertraute Geste beruhigte seine Besorgnis nicht.

„Bitte, Mr. Russell“, mischte sich Miss Folsom ein, die ebenfalls besorgt wirkte. „Nur ein paar Stunden. Ich weiß, dass die Hauptarbeit bei Ihnen liegt, aber ich musste alle Hebel in Bewegung setzen, um überhaupt hier sein zu können. Eine Freundin hier in Sugar Falls passt auf meine Kinder auf, und ich habe mich abgekämpft, um bei den Wetterverhältnissen halbwegs pünktlich hier zu sein. Außerdem habe ich den beiden versprochen, ihnen eine Überraschung aus der Wildnis mitzubringen, und ich würde sie nicht gern enttäuschen.“

Alex fragte sich, an welche Art von Überraschung sie da dachte, aber Herausforderungen und Kindern konnte er einfach nicht widerstehen. Er arbeitete als ehrenamtlicher Trainer für fast alle Jugendmannschaften der Stadt und unterhielt in den Sommerferien ein Outdoor-Tagescamp für Kinder. Und natürlich brauchte Russell’s Sports dringend das Honorar für diese Tour.

Also beschloss er, niemanden zu enttäuschen, auch wenn ihm das Wetter Sorgen machte. „Na schön, dann holen wir den Rest Ihrer Ausrüstung. Ich erklärte Ihnen die Grundlagen, während wir einladen.“

Bereits nach den ersten zwei Kilometern wünschte sich Charlotte, sie hätte ihren stoischen Bootsführer nicht davon überzeugt, die Tour mit ihr zu machen. Sie hatte keinem erzählt, dass sie diesen Artikel dringend brauchte, um auf der Karriereleiter aufzusteigen und – hoffentlich – einen Vertrag für regelmäßige Gastbeiträge in einer landesweit ausgestrahlten Kochshow zu ergattern. Mit dem freiberuflichen Schreiben für Fine Tastes hielt sie sich zwar ganz gut über Wasser, seit Mitchell ins Gefängnis gekommen und sie über Nacht zur alleinerziehenden Mutter von zwei Töchtern geworden war. Aber nachdem einige Beiträge ihres persönlichen Blogs über 400.000 Aufrufe am Tag erzielt hatten, bezeichnete ihr Redakteur und einige lokale Nachrichtensender sie als jüngere und modernere Martha Stewart. Wenn sie es nun noch schaffte, ihre eigene Marke für stillvolle Wohn- und Kochaccessoires zum Erfolg zu führen, konnte sie endlich ihren Eltern und ihrem Ex-Mann beweisen, dass sie mehr war als eine hübsche Dekoration auf Cocktailpartys und Wohltätigkeitsveranstaltungen.

„Hier können wir an Land gehen“, verkündete Alex Russell endlich von seinem Sitz am Ruder des Schlauchbootes aus.

Ein Glück. Eigentlich hatte sie sich für ziemlich fit gehalten, seit sie regelmäßig Pilates machte und jeden Tag dreißig Minuten auf dem Laufband joggte. Aber nach einer Stunde Paddeln fühlten sich ihre Oberarme an, als wären sie mit Blei gefüllt. Mit heißem Blei. Das Boot war zu groß und schwer für sie beide, aber sie brauchte die zusätzliche Ausrüstung und Requisiten, die sie mitgebracht hatte, um die Fotos authentisch aussehen zu lassen.

Ursprünglich hatte sie gedacht, es wäre eine gute Idee, mit dem muskulösen Outdoor-Profi, der dem Begriff „kernig“ eine völlig neue und sehr attraktive Bedeutung verlieh, eine Wildwasser-Tour zu machen. Aber selbst, wenn sie ihre unwillkürliche und sehr eindeutige körperliche Reaktion auf Alex Russell außer Acht ließ – schließlich war sie alleinerziehende Mutter und keine Nonne – fand sie es äußerst stressig, hier mitten im Nichts zu sitzen. Sie hatte ihre Kinder vorher noch nie über Nacht allein gelassen, und obwohl ihre Freundin Kylie ihr versprochen hatte, mit ihnen die erste Mitternachtsparty ihres Lebens zu feiern, war Charlotte jetzt froh, am nächsten Abend zurück zu sein.

Na gut, die Landschaft war wirklich atemberaubend schön, genau wie ihr Bootsführer, aber was, wenn ihre Töchter sie erreichen mussten, weil etwas passiert war? Kylie hatte sich fast totgelacht, als sie gestern Abend mit acht Koffern aufgekreuzt war, von denen die Hälfte die Sachen ihrer Kinder enthielten. Lieblingsdecken und – stofftiere, Bilderbücher, Spiele und Kleidung für jedes Wetter.

Es wäre klüger gewesen, das ganze Wochenende abzusagen oder den Artikel einfach nur über die zahlreichen Antiquitätenläden und gemütlichen Restaurants in Sugar Falls zu schreiben. Aber sie brauchte ein außergewöhnliches Thema, sonst konnte sie ihre Karriere vergessen.

Auf der ganzen Fahrt zum Fluss hatte sie mit sich gerungen, ob sie nicht doch wieder umkehren sollte. Der ältere Russell, ein interessanter Charakterkopf, der gern so tat, als wäre er mürrisch und schroff, hatte sie ganz ihren Gedanken überlassen, und dann hatte sie auch noch selbst fast gebettelt, doch noch zu der Tour aufzubrechen.

Und nun saß sie hier auf dem Boot, auf einem Fluss, der viel steiniger und unruhiger war, als er aussah, und würde das Beste aus der Situation machen – wie immer. Auch wenn ihr die Arme fast abfielen. Mit dem gemütlichen Kanufahren im Schulcamp hatte das hier jedenfalls nichts zu tun. Ihr Bootsführer hatte sich das Lachen bestimmt verkneifen müssen, als sie mit ihrer „Erfahrung“ angegeben hatte.

„Kann ich irgendwie helfen?“, fragte sie, als der jüngere Russell aus dem Boot sprang und durchs knietiefe Wasser watete, um das Boot an den Kiesstrand zu ziehen. Paddeln war vielleicht nicht ihre Stärke, aber zu Hause hatte sie immer alles allein im Griff. Sie hasste es, wenn jemand sich um sie kümmerte oder – schlimmer noch – wenn jemand dachte, man müsse sich um sie kümmern.

„Aber nein. Sie sind die Kundin.“

Der Mann hatte die Ärmel bis zum Ellenbogen aufgekrempelt und sie konnte den Blick einfach nicht von seinen braungebrannten Unterarmen abwenden, an denen sich beeindruckende Muskelstränge abzeichneten, als er das schwere Boot mitsamt ihr und ihrer Ausrüstung zu einem ins Wasser hängenden Busch schob.

Nach der ersten Einweisung hatte er nicht mehr viel gesagt. Und Charlotte hatte sich so aufs Paddeln konzentriert, dass sie nicht viele Fragen gestellt hatte.

„Sie müssen mich aber nicht wie einen Kunden behandeln“, sagte sie und versuchte, so elegant wie möglich aus dem Boot zu steigen, das er gerade an den dickeren Ästen festmachte. „Ich weiß schon, dass die Umstände nicht ideal sind, und ich möchte gern meinen Beitrag leisten.“

„Miss Folsom …“, begann er, doch sie unterbrach ihn schnell.

„Bitte, nennen Sie mich Charlotte. ‚Miss Folsom‘ erinnert mich an die Zeit im Internat, wenn ich zur Direktorin gerufen wurde.“

Er nahm die Sonnenbrille ab und betrachtete sie aus seinen graugrünen Augen von Kopf bis Fuß, bevor er sagte: „Sie wirken nicht wie jemand, über den man sich beschweren müsste.“

Nein? Sie hatte nämlich ganz eindeutig das Gefühl, dass sein Tonfall im Verlaufe des Nachmittages bei den wenigen Sachen, die er gesagt hatte, immer genervter klang.

„Bin ich ja auch nicht.“

Charlotte öffnete die Schnallen an ihrer Schwimmweste, die ihr plötzlich zu eng vorkam.

„Meiner Erfahrung nach“, sagte er, während er ihre Ausrüstung auslud, „werden Kinder nur dann zum Direktor zitiert, wenn ihre Lehrer ihnen nicht gewachsen sind.“

„Na ja, in meinem Fall lag es wohl eher daran, dass meine Eltern mir nicht gewachsen waren. Nein, so meinte ich das nicht“, fuhr sie hastig fort, als ihr klar wurde, dass das klang, als wäre sie ein schwer erziehbares Kind gewesen. „Bei meinen Besuchen beim Direktor ging es meist darum, dass meinen Eltern wieder einmal in letzter Minute etwas dazwischen gekommen war und ich in den Ferien nicht nach Hause fahren konnte.“

Mr. Russell, der ihr noch nicht angeboten hatte, ihn beim Vornamen zu nennen, hob den Kopf. „Leben Ihre Eltern noch?“

„Ich denke schon. Meine Mutter ist in Paris und als ich das letzte Mal mit ihrer Assistentin gesprochen habe, meinte die, mein Vater wäre auf Geschäftsreise in Dubai.“

Der Mann hielt den Blick noch immer auf sie gerichtet, und jetzt wirkte er mitfühlend, was sie hasste. Das hatte sie ihr ganzes Leben auf den Gesichtern der Menschen gelesen: Armes reiches Mädchen, verlassen und ungeliebt. Arme kleine Charlotte, die von den Schulangestellten mit nach Hause genommen worden war, damit sie Weihnachten nicht im leeren Internat allein verbrachte, während ihre Eltern im Ausland Urlaub machten. Arme kleine Charlotte, die sich so verzweifelt nach Liebe und Aufmerksamkeit gesehnt hatte, dass sie den erstbesten Kerl geheiratet hatte, der auch nur ein wenig Interesse an ihr zeigte. Schwerer Fehler.

Bevor ihr Bootsführer eine mitfühlende Bemerkung machen konnte, fuhr sie fort: „Aber letztendlich hatte alles auch seine gute Seite. Normalerweise durften die Schüler nicht in die Internatsküche, aber die Chefköchin mochte mich und sah mein Talent. Das war der Anfang meiner Liebe zum Kochen, und was ich bei ihr gelernt habe, ist mir heute immer noch nützlich.“

Vielleicht hatte sie es mit dem fröhlichen Lächeln etwas übertrieben, denn Mr. Kernig blickte zu den dräuenden Wolken und dann nach wie vor mitfühlend wieder zu ihr. „Der Köchin in unserer Schulkantine ist jeder freiwillig aus dem Weg gegangen, deshalb sind meine Kenntnisse beschränkt. Ich hoffe, Sie haben bessere Ideen als Rührei und Bohnen für ihr Fotoshooting.“

„Sie könnten uns wohl nicht schnell ein paar Fische fangen, während ich Kräuter und Wurzelgemüse sammele?“

„Schnell, was?“

„Ich würde es ja selbst machen, aber ich habe noch nie geangelt, und es würde wahrscheinlich doppelt so lange dauern, wenn Sie versuchen, es mir beizubringen. Es sei denn, Sie möchten lieber die anderen Zutaten sammeln?“

Autor

Christy Jeffries
<p>Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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