Die Duchess und der sündige Bastard

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Langsam und sinnlich verführt Aiden sie, bis sie vor Lust vergeht - seine Raffinesse macht Selena atemlos vor Verlangen. Aber auch vor Angst! Zwar hat die jüngst verwitwete Duchess den skandalösen Elysium Club für Damen aufgesucht, um Aiden Trewlove für sich zu gewinnen und mit ihm das Bett zu teilen. Doch von heftigen Gefühlen war dabei nie die Rede! Sie wollte nur schnellstens guter Hoffnung sein, um das Erbe ihres verstorbenen Mannes zu retten. Aber ihre erwachende Liebe für Aiden ist gefährlich: Soll Selena ihn belügen und kaltherzig ihre materielle Zukunft ohne ihn planen - oder sich zu ihm bekennen und auf Titel und Vermögen verzichten?


  • Erscheinungstag 11.12.2020
  • Bandnummer 127
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748708
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Missmutig betrachtete der Earl of Elverton seinen jüngsten Bastard. Die Hebamme hielt ihm den nackten und unansehnlichen Säugling so stolz entgegen, als wäre es ein bei ägyptischen oder pompejanischen Ausgrabungen gehobener Schatz. Er erwog ernsthaft, dieses Kind zu seiner Frau zu bringen, mit der Aufforderung, es zu stillen und vor aller Welt zu verkünden, sie hätte es selbst zur Welt gebracht.

Warum, zum Teufel, schaffte er es nicht, seine Countess zu schwängern, wo er doch sonst in dieser Hinsicht so erfolgreich war, bei jeder Frau, die er sich ins Bett holte? Vielleicht hätte es ja geklappt, wenn er mit etwas mehr Enthusiasmus bei der Sache gewesen wäre …

Doch sie war ein schlichtes, fügsames Ding, die Tochter eines Marquis. Er war neunzehn gewesen, als sein Vater ihn gezwungen hatte, sie zu heiraten. Nichts an ihr vermochte das Begehren eines Mannes zu wecken, auch wenn er sich immer wieder dazu überwand, mit ihr zu schlafen. Trotzdem waren seine Bemühungen in all den zehn Jahren nie von Erfolg gekrönt gewesen.

Wahrscheinlich sollte er sich ihrer einfach entledigen. Ein Sturz auf der Treppe, aus einem Ruderboot auf tiefem Gewässer oder vom Pferd. So etwas war ihm schon einmal gelungen, bei einem Bruder, der den Titel eigentlich vor ihm hätte erben sollen.

Ein Unfall, als sie auf Moorhuhnjagd gewesen waren. Niemand hatte sich darüber gewundert. Der damalige Erbe hatte sich im Umgang mit Waffen nie besonders wohlgefühlt und war auch kein guter Schütze. „Er ist gestolpert, während er den Finger am Abzug hatte“, lautete Elvertons Version. „Unglücklicherweise löste sich dabei ein Schuss.“ Niemand zweifelte an seinen Worten, als er stammelnd und schluchzend von dem tödlichen Missgeschick berichtete. Keiner kam auf die Idee, dass es sein Finger am Abzug gewesen war, der zum Ableben seines Bruders geführt hatte. Stattdessen wurde er von allen bedauert, weil er fortan mit der Erinnerung an den grauenhaften Vorfall weiterleben musste. Verdammte Narren, allesamt.

Elverton schaute von dem plärrenden Baby zu der Frau, die sich im Bett von den körperlichen Strapazen der Geburt erholte und ihn fragend ansah, auf seine Entscheidung wartend. Wenn er diesen Bastard als seinen rechtmäßigen Erben ausgeben wollte, musste er der Mutter ein nasses Grab auf dem Grund der Themse bereiten, um sich ihr Schweigen zu sichern. Er war bei seinen Missetaten nie bereit, ein Risiko einzugehen. Doch obwohl sie jetzt, verschwitzt und mit wirrem Haar, nicht unbedingt eine Augenweide darstellte, war sie ansonsten die schönste, erregendste Frau, die er je gehabt hatte. Und ihr sinnlicher Mund … Allein bei dem Gedanken daran, was sie alles damit anstellen konnte, erwachte sein Verlangen.

„Wickeln Sie das Baby“, befahl er der Hebamme.

„Kann ich dieses Kind nicht behalten?“, fragte seine bevorzugte Mätresse.

„Wenn du damit unbedingt auf der Straße landen willst? Bastarde sind unbequem, eine Belastung, die ich nicht dulde.“

„Aber du wirst dafür sorgen, dass er in fürsorgliche, liebende Hände gelangt, nicht wahr?“

Er hatte nicht vor, seinen Plan zu ändern, doch was war gegen eine kleine Lüge zu sagen, wenn sie ihn dafür weiterhin bereitwillig in ihrem Bett willkommen hieß? Er schenkte ihr ein gut einstudiertes, besänftigendes Lächeln. „Für dich würde ich doch beinahe alles tun.“

Vielleicht würde er sie sogar heiraten, falls seine Countess ihm nicht bald einen Erben schenkte und es zum Äußersten kam.

Er nahm der Hebamme den Jungen ab und verließ das Zimmer. Er bezahlte dafür, dass seine Bastarde „weggegeben“ – also auf sogenannten Babyfarmen getötet – wurden, achtete aber darauf, sie weiträumig zu verteilen und keine dieser Einrichtungen öfter als ein paar Mal zu benutzen. Erst kürzlich war er in diesem Zusammenhang auf einen neuen Namen gestoßen; den einer Frau, die er noch nie zuvor aufgesucht hatte. Nur zu gern würde er dieser Ettie Trewlove jeden geforderten Betrag zahlen, um sicherzugehen, dass er nie wieder von diesem Kind behelligt wurde.

1. KAPITEL

London

Anfang März 1872

Sie wollte einen Mann. Nicht irgendeinen Mann, sie hatte einen ganz bestimmten im Sinn.

Selena Sheffield, Duchess of Lushing, stand in einer dunklen Ecke des Elysium Clubs, eines exklusiven Spielsalons ausschließlich für Damen, und beobachtete den Eigentümer des Etablissements, der mit bedächtigen Schritten seine Runde drehte. Er erinnerte sie an einen großen, sich geschmeidig bewegenden Löwen, raubtierhaft und gefährlich. Der maßgeschneiderte schwarze Gehrock liebkoste seine breiten Schultern – wie es vermutlich auch schon viele Frauen getan hatten. Die schwarze Brokatweste schmiegte sich an seine Brust, das weiße Hemd und die ebenfalls schneeweiße Krawatte bildeten einen starken Kontrast zu seiner tief gebräunten Haut. Er wirkte nicht wie ein Mann, der seine Zeit ausschließlich im Haus verbrachte.

Sie hatte ihn zum ersten Mal im vergangenen Sommer gesehen, auf der Hochzeit von Lady Aslyn Hastings, als die Tochter des verstorbenen Earl of Eames und Mündel des Duke of Hedley Mick Trewlove das Ja-Wort gab. Bis zu jenem Tag hatte Selena noch nie etwas von den Trewloves gehört, schnappte dann aber von den tuschelnden Gästen pikante Details über diese verrufene Familie auf, die ausschließlich aus Bastarden bestand.

Dann vermählte sich der Duke of Thornley mit Gillie Trewlove – ausgerechnet einer Schankwirtin, um Gottes willen! – und aus dem Getuschel wurde ein Sturm der Entrüstung. Und dann heiratete kürzlich auch noch einer der Trewlove-Brüder die Schwester des Earl of Collinsworth, Lady Lavinia Kent, und plötzlich gab es offenbar kein anderes Thema mehr als die Trewlove-Bastarde, die allmählich eine Schneise durch die gehobene Gesellschaft schlugen wie die Horden des Dschingis Khan und das eroberten, was sich einst für uneinnehmbar gehalten hatte.

Sie selbst glaubte sich gegen den Reiz der Trewloves gefeit, musste aber zugeben, dass Aiden Trewlove sie faszinierte, seit sie ihn zum ersten Mal am Altar neben seinem Bruder erblickte, der so ganz anders aussah als er – aber schließlich wusste nur Gott, wer die beiden gezeugt und wer sie zur Welt gebracht hatte. Doch es lag nicht nur am Bartschatten auf Aidens Kinn und der Patriziernase über den vollen, sinnlichen Lippen, die es ihr unmöglich machten, den Blick von ihm zu wenden. Noch mehr beeindruckte sie, dass ihn die ganze Angelegenheit ziemlich zu amüsieren schien. Er musterte die Leute, die sich in den Kirchenbänken drängten und unbedingt mit ansehen wollten, wie eine Dame aus so vornehmer Familie einem Mann von derart skandalöser Herkunft das Jawort gab, abschätzig unter halb gesenkten Lidern, als sollten sie nicht merken, für wie bedeutungslos er sie hielt.

Als dann jedoch Lady Aslyn über den Mittelgang auf den Altar zuschritt, ließ sein aufrichtig warmes Lächeln keinen Zweifel daran, wie herzlich er sie in seiner Familie willkommen hieß – und dass er im Grunde ein freundlicher, nahbarer Mensch war.

Selena brauchte einen Mann, der beide Eigenschaften in sich vereinte, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen und die Schuldgefühle zu verdrängen, die an ihrer Entschlossenheit nagten. Schließlich war sie nur deshalb hier, an einem Ort, an dem sie nicht hätte sein dürfen – mit dem Rücken an die Wand gelehnt, in einem königsblauen Abendkleid und farblich passender Maske vor den Augen –, weil Aiden Trewlove Frauen Sünden und Verschwiegenheit zugleich bot. Nicht alle Anwesenden trugen Maske, die Mutigen ließen sie weg und auch jene, die nichts zu verlieren hatten. Selena malte sich aus, wie frei man sich fühlen musste, wenn man unmaskiert durch diese Räume schlenderte, wie furchtlos und emanzipiert. Dennoch durfte niemand je von ihrem Besuch in diesen skandalösen Mauern erfahren, die Aiden Trewlove allen Frauen zur Verfügung stellte.

Er hatte für seine weiblichen Gäste einen Himmel geschaffen, in dem die Götter sich verschworen und die köstlichsten Mysterien enthüllten; einen Club, über den die Besucherinnen untereinander tuschelten, einen Ort, der Vätern, Brüdern und Ehemännern unbekannt war. Ein Reich, in dem die Frauen herrschten und das taten, was sie wollten. Innerhalb der grauen Schatten Londons hatte Aiden ihnen ein Paradies geschenkt, das ihnen und nur ihnen allein gehörte. Er hatte gewusst, was sie sich wünschten und was sie brauchten. Und er hatte es ihnen gegeben.

Jemand, der all das hier erschaffen konnte, jemand, der Frauen so gut verstand und wusste, nach welchen Vergnügungen sie sich sehnten, saß bestimmt nicht über sie zu Gericht. Ein solcher Mann wusste vielmehr genau, wie man einen sicheren Hafen gestaltete, wo sie tun konnten, was sie eigentlich nicht tun sollten, ohne Angst haben zu müssen, dass andere davon erfuhren.

Sie beobachtete, wie er einer Dame etwas ins Ohr flüsterte und sie damit zum Lachen brachte, während seine Worte eine andere dazu brachten, den Kopf zu senken und scheu lächelnd zu erröten. Anderen nickte er grinsend zu – und dieses Grinsen wirkte jedes Mal so verführerisch, als sei die Adressatin die einzige Frau im Raum, die ihm etwas bedeutete. Er legte einer Dame die Hand an den Unterarm, um sie davon abzuhalten, einen Stapel hölzerner Jetons in die Mitte des Roulettetischs zu schieben, bedachte sie mit einem Augenzwinkern, das ihr zweifellos den Atem verschlug, und nahm dann einen einzigen Jeton, um ihn auf den Tisch zu werfen.

Dann schlenderte er weiter aufs Geratewohl durch sein Reich …

Nein, nicht aufs Geratewohl. Er kam auf sie zu. Geradewegs.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und in den Handschuhen wurden ihre Handflächen feucht. Sie war noch nicht bereit, aus dem Schatten in das goldene Licht der Kronleuchter zu treten. Sie war noch nicht darauf vorbereitet, mit diesem Mann zu sprechen, der sich vielleicht als ihre Rettung erweisen würde – sofern sie nicht vorher der Mut verließ.

Es war nicht nur sein gutes Aussehen, das sie so aus der Fassung brachte. Sondern auch die Art, wie er sich bewegte; so als zielte jede seiner Bewegungen darauf ab, Aufmerksamkeit zu erregen, während er gleichzeitig den Eindruck vermittelte, als wünschte er genau das Gegenteil. Die Art, wie er alles und jeden um sich herum ganz genau beobachtete, als würden sich ihm dadurch sämtliche Geheimnisse erschließen.

Ihn auszuwählen, konnte sich als kolossaler Fehler erweisen, denn sie hatte Geheimnisse, die sie für sich behalten musste. Wäre sie klug gewesen, hätte sie nun auf schnellstem Weg die Flucht ergriffen. Doch sie war nicht vor den Umständen ihrer Heirat geflüchtet, und sie würde auch jetzt nicht davonlaufen, nur weil sein eindringlicher Blick sie zutiefst verwirrte. Kein Mann hatte sie je so angesehen, als wäre sie ein besonders köstliches Konfekt.

Er trat vom Licht in den Schatten und lehnte sich lässig mit der Schulter an die dunkel- und hellrot gemusterte Wand. Im dämmrigen Licht konnte sie zwar seine Augenfarbe nicht richtig erkennen, wohl aber sein offenkundiges Interesse an ihr und den Anflug eines Lächelns. „Sie sind neu hier.“

Seine Sprechweise war gewählter, als sie erwartet hatte, nicht ganz aristokratisch, aber nahe daran. Sie fragte sich, ob sein Vater dafür gesorgt hatte, dass er gut erzogen wurde. Dass er gebildet war, würde sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen, trotzdem war sie schrecklich nervös. Tief in ihrem Innern fand sie jedoch die Kraft, ihm in selbstbewusstem Ton zu antworten. „Das können Sie unmöglich wissen, schließlich bin ich maskiert.“

„Ich erkenne alle Damen wieder, die hierher kommen, ob sie nun eine Maske tragen oder nicht. Schließlich erkennt man die Menschen nicht nur am Gesicht wieder.“ Er ließ den Blick langsam über sie gleiten; nicht auf eine beleidigende, lüsterne Weise, sondern eher voller Anerkennung. Ein wohliger Schauer überlief sie. „Wie heißen Sie, Liebste?“ Er schaute ihr wieder in die Augen.

Sie wollte gar nicht daran denken, wie sehr sie sich einst danach gesehnt hatte, für jemanden die Liebste zu sein und geflüsterte Koseworte zu hören statt Entschuldigungen. „Lena.“ Eine Version ihres Namens, mit der sie niemand in Verbindung bringen konnte, da sie diese Kurzform ansonsten nie benutzte.

Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sie erneut prüfend. „Das glaube ich nicht. Das wäre ein viel zu einfacher Name für eine so vielschichtige Frau, da gehe ich jede Wette ein. Helena, vielleicht. Helena von Troja. Oder etwas noch Ausgefalleneres.“

Sie befeuchtete ihre Lippen und schaute sich nervös um. Sie merkte, dass sie die Aufmerksamkeit mehrerer unmaskierter Damen auf sich gezogen hatte, die sie kannte. Das hieß, dass auch sie sie wiedererkannt hatten, und wahrscheinlich ein paar der Maskierten ebenfalls. Sie wollte sich die Peinlichkeit und die Schande gar nicht ausmalen, wenn ihre Anwesenheit hier sich herumsprach. „Ich möchte nicht, dass andere meinen Namen hören.“

„Er bleibt ganz unter uns“, murmelte er mit so leiser, verführerischer Stimme, dass ihr ganz warm wurde und sie das Bedürfnis verspürte, ihm in allem voll und ganz zu vertrauen – aber so töricht war sie nun auch wieder nicht.

„Selena“, erwiderte sie flüsternd und dachte gleichzeitig, dass sich kein Wort aus ihrem Mund auch nur annähernd so sinnlich anhörte wie nur eine einzige Silbe aus seinem.

„Selena“, wiederholte er mit noch leiserer Stimme; eine einzige samtige Liebkosung, die sie beinahe dazu gebracht hätte, sich diesen Lippen, über die so wunderbare Laute kamen, noch weiter zu nähern. „Ich heiße Aiden.“

„Ja, ich weiß.“ Warum hörte sie sich plötzlich so atemlos an? „Der Eigentümer. Das hier ist ein ziemlich beeindruckendes Etablissement.“

„Woher wollen Sie das wissen? Sie haben diese Ecke hier nicht verlassen, seit Sie zur Tür hereingekommen sind.“

Oh Gott, er verfügte über eine viel zu scharfe Beobachtungsgabe. Es war definitiv ein Fehler gewesen, ihn auszuwählen! Sie wusste, dass sie nun ohne ein weiteres Wort hätte gehen sollen, aber sein Blick hielt sie gefangen, als wäre sie ein Schmetterling unter einer Lupe. „Ich kann von hier aus den ganzen Raum überblicken.“

„Aber dieser Raum ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich zu bieten habe.“ Er streckte eine Hand aus. Sie war unbehandschuht, rau und so groß, dass er damit eine ihrer Brüste vollständig umfassen könnte. Woher war dieser Gedanke bloß gekommen? Doch die Vorstellung, wie seine langen, schlanken Finger das liebkosten, was zuvor noch nie ein Mann berührt hatte, erschien ihr in diesem Moment ausgesprochen natürlich. „Kommen Sie, Mylady. Erweisen Sie mir die Ehre, Sie ein wenig herumzuführen.“

Um ein Haar hätte sie ihn verbessert. Man redete sie nicht mit Mylady an, sondern mit Eure Gnaden, doch je weniger er über sie wusste, desto besser. Noch dazu – so wie er sie ansah, war sie sich nicht ganz sicher, ob er sie aus Höflichkeit so anredete, oder ob er sagen wollte, sie wäre seine Lady. Was für ein dummer Gedanke. Fast so dumm wie die Erkenntnis, dass sie nichts dagegen gehabt hätte, wenn Letzteres der Fall wäre. Dabei war es für die Umsetzung ihre Vorhabens zwingend erforderlich, dass er nichts für sie empfand und sie nichts für ihn; dass das kleine Abenteuer dieses Abends keine liebevollen Erinnerungen hinterließ, über die sie in den kommenden Tagen und Jahren noch nachgrübeln würde.

Sie schluckte krampfhaft und legte ihre Hand in seine, überrascht, wie die Wärme, die er ausstrahlte, durch die Seide ihres Handschuhs auf ihrer Haut brannte.

Er bot ihr seinen Arm und führte sie aus dem Schatten. „Ich freue mich darauf, Sie mit den vergnüglichen Seiten der Sünde bekannt zu machen.“

Aiden Trewlove führte die Dame ins hellere Licht, um sie sich genauer anzusehen. Ihr Haar war weizenblond, mit einem leicht rötlichen Schimmer, als hätte sie als Kind oft Erdbeeren gegessen, die dann irgendwie zu einem Teil von ihr geworden waren. Es waren jedoch ihre Augen, die ihn am meisten faszinierten, so blau wie das heiße Innere einer Flamme, und er hatte das beunruhigende Gefühl, dass er sich an ihr verbrennen könnte.

Doch das war eher unwahrscheinlich. Er war nicht der Typ, der sich allzu intensiv auf Frauen einließ. Er hatte mit ansehen müssen, wie ein weibliches Wesen beinahe seinen Bruder vernichtet hätte, als sie beide noch jung und ungestüm gewesen waren. Damals hatte Aiden sich geschworen, niemals zuzulassen, dass eine Frau sein Herz eroberte. Er erfreute sich an seinen Geliebten und sorgte dafür, dass auch sie die mit ihm verbrachte Zeit genossen, zog sich jedoch aus der Beziehung zurück, sobald er spürte, dass mehr daraus werden konnte als eine ungezwungene Affäre.

Die Frau an seinem Arm war ihm sofort aufgefallen, als sie sein Etablissement betreten hatte, obwohl er stets alle im Auge behielt, die kamen und gingen. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine Besucherin, die zum ersten Mal in seinen Club kam, anfangs etwas scheu war, sich in eine Ecke zurückzog und zögerte, das anzunehmen, was er zu bieten hatte. Doch diese Dame hier war weder scheu noch zurückhaltend noch zögerlich gewesen. Sie hatte beobachtet. Nicht die Würfelspiele, nicht das Kartenspiel und auch nicht den Roulettetisch. Nicht die elegant gekleideten Herren, die durch den Raum gingen und Champagner, Brandy und Portwein anboten. Nicht die jungen Männer, die sich den Damen zuneigten, um ihnen Spieltipps oder Komplimente ins Ohr zu flüstern. Nein, nichts von alledem hatte ihre Aufmerksamkeit erregt oder ihre Neugier geweckt. Sie hatte ihn beobachtet.

Beinahe körperlich hatte er die Liebkosung ihres Blicks gespürt und plötzlich das ungewohnte Bedürfnis gehabt, sich vorteilhaft zu präsentieren. Doch so etwas lag ihm nicht. Entweder ihr gefiel, was sie sah, oder es gefiel ihr nicht. Die Art, wie ihre Hand in seiner Ellenbogenbeuge ruhte, ließ den Schluss zu, dass es ihr gefallen hatte.

Er wollte sie unbedingt einmal ohne diese Maske sehen, die drei Viertel ihres Gesichts verdeckte und nur ihren Mund und das Kinn frei ließ. Ihr Kinn erinnerte ihn an die untere Hälfte eines Herzens, nur weicher und feiner modelliert durch die sanfte Hand des Schicksals. Die Götter hatten es gut gemeint, als sie diese Frau erschaffen hatten.

Ihre Lippen waren herrlich, rosig, nicht rot geschminkt. Als seine Gedanken unwillkürlich zu anderen Stellen abschweiften, die vielleicht ebenfalls rosig schimmern mochten, riss er sich rasch zusammen. Für so etwas war es noch viel zu früh, außerdem wollte er nicht, dass man ihm womöglich seine Erregung ansah. Er wollte die Damen schließlich nur mit der Sünde vertraut machen, nicht mit Dekadenz.

„Interessieren Sie sich für Glücksspiel?“

„Ich weiß es nicht, ich habe noch nie gespielt.“

„Also interessieren Sie sich nur für das, was Sie bereits kennen? Wo bleibt Ihre Abenteuerlust, Liebste?“

„Ich bin immerhin hier, nicht wahr? Das beweist doch, dass ich überaus abenteuerlustig sein muss.“

„Aber Sie fühlen sich nicht ganz wohl in dieser Umgebung oder mit Ihrem Wagemut, hierhergekommen zu sein.“

„Diesen Schluss lässt vermutlich meine Maske zu, und es stimmt. Ich musste mich sehr überwinden, bis ich den Mut fasste, hierher zu kommen.“

„Hier wird nichts geschehen, was Sie nicht wollen.“

Ihre blauen Augen funkelten amüsiert. „Ich werde also kein Geld verlieren, wenn ich mich an einen dieser Tische setze?“

Er lachte. „Der Punkt geht an Sie.“

Ihre Mundwinkel zuckten, und für den Bruchteil einer Sekunde hoffte er, sie würde ihm wenigsten den Ansatz eines Lächelns schenken. Er würde so gern einen Anflug von Fröhlichkeit bei ihr sehen. Die Aura von Traurigkeit und Sorgen, die sie umgab, appellierte an seinen Beschützerinstinkt und weckte jenes irritierende Gefühl, das ihn stets dazu veranlasste, Opfer zu bringen, ganz gleich, was es ihn kosten mochte. Diese Opferbereitschaft war letztlich auch der Grund, warum er nun dieses Etablissement besaß. Der Club war ein Geschenk seines Bruders Finn, dem zuliebe er sich einmal vor ihrem erbärmlichen Erzeuger erniedrigt hatte. Finn sah darin eine Möglichkeit, die Schuld, in der er sich fühlte, zu begleichen, obwohl Aiden immer wieder beteuert hatte, dass von einer Schuld keine Rede sein konnte.

Doch das spontane Bedürfnis, diese Frau zu beschützen, war stärker als alles, was er je zuvor empfunden hatte. Und es war über alle Maßen lächerlich. Schließlich kannte er die Dame gar nicht und wusste nichts über sie. Es konnte gut sein, dass sie längst einen anderen Beschützer hatte.

Sie war adelig, so viel stand für ihn fest. Der edle Stoff und der Schnitt ihres Abendkleids deuteten darauf hin, aber der entscheidende Hinweis waren ihre Ausdrucksweise und ihre Haltung; so als sei sie es gewohnt, dass die Menschen sich ihrem Willen fügten. Er hatte nie viel für Aristokraten übriggehabt, abgesehen von den Münzen, mit denen sie seine Taschen füllten. Mit neunzehn hatte er den Cerberus Club eröffnet, wild entschlossen sich zum eigenen Vorteil an möglichst vielen Lords zu bereichern. Sicher, auch die weniger Reichen hatten in der Spielhölle verkehrt, aber wenn es um Geld ging, kannte Aiden keine Vorurteile. Damals hatte er es von Söhnen, Brüdern und Ehemännern genommen. Jetzt, im Elysium Club, nahm er es eben von Töchtern, Schwestern und Ehefrauen.

Ursprünglich hatte Finn das Etablissement ins Leben gerufen. Doch dann lenkte die Liebe ihn davon ab, seine Pläne weiterzuverfolgen. Mittlerweile lebte er am Stadtrand von London, machte seine Frau glücklich und züchtete Pferde. Zu dem Zeitpunkt, als er das Elysium an Aiden übergab, kamen pro Abend kaum ein Dutzend Frauen. Aiden hatte dann einige Veränderungen vorgenommen, um noch besser auf die geheimen Wünsche der Damen eingehen zu können.

Die Masken waren seine Idee gewesen, denn er wusste, dass die Frauen zwar neugierig sein mochten, aber doch zögern würden, ihr Gesicht zu zeigen. Natürlich musste jeder, der die Schwelle zum Club überschritt, absolute Verschwiegenheit schwören, doch ihm war nur allzu klar, dass Schwüre auch gebrochen werden konnten. Daher musste er einen Weg finden, jede zu schützen, die des Schutzes bedurfte, den Frauen einen Zufluchtsort zu bieten und gleichzeitig seine eigenen Taschen zu füllen.

Der Spielsaal, durch den er Selena jetzt führte, sah noch immer fast so aus wie zu Finns Zeiten. Hier wurden verschiedene Glücksspiele angeboten, die auch den größten Teil seiner Einnahmen brachten.

„Ich hatte nicht erwartet, hier auch Männer spielen zu sehen“, bemerkte sie.

„Sie helfen ihren Partnerinnen. Schließlich wird diese Art Spiel nicht von Damen nachmittags beim Tee geübt. Soll ich Ihnen einen solchen Unterstützer holen?“ Auch wenn er das aus reiner Gewohnheit anbot, empfand er einen Stich bei dem Gedanken, dass sich ein anderer über ihre Schulter beugen und ihr Empfehlungen in das zarte Ohr raunen würde.

„Ich habe kein Interesse daran, das Kartenspiel zu erlernen.“

Er fragte sich, woran sie sonst interessiert sein mochte, aber wenn er sie direkt darauf ansprach, beraubte er sich selbst seines Vergnügens. Er wollte sie lieber noch eine Weile länger an seiner Seite halten, mehr von ihr erfahren und die unterschiedlichen Facetten ihrer Persönlichkeit entdecken. „Nun, vielleicht interessiert Sie eher das hier.“

Er führte sie durch eine Tür in einen Raum, den sich sein Bruder einst als eleganten Speiseraum vorgestellt hatte, mit weiß gedeckten Tischen und flackernden Kerzen darauf. Aber was machten sich abenteuerlustige Frauen schon aus einem so langweiligen Zeitvertreib wie Essen? Die flackernden Kerzen waren immer noch da, aber sie standen jetzt auf hohen Kerzenständern und warfen ein gedämpftes Licht auf Ottomanen mit vielen weichen Kissen, auf denen sich die Damen ausgestreckt hatten, während Männer ihnen Weintrauben zwischen die Lippen schoben oder ein Glas Wein reichten. Andere junge Männer knieten vor ihnen und hielten ihnen Platten mit allen möglichen Köstlichkeiten hin, von denen die Frauen sich nach Herzenslust bedienen konnten. Einige luden die Männer ein, ihnen beim Essen Gesellschaft zu leisten, andere wiederum wollten sich nur bedienen lassen. Was immer sie sich auch wünschten – die Gentlemen wurden dafür bezahlt, seinen Gästen diese Wünsche zu erfüllen.

„Haben Sie vielleicht Hunger oder Durst?“, erkundigte er sich.

„An Essen oder Wein liegt mir nichts, aber die dekadente Atmosphäre hier fasziniert mich.“ Sie schaute ihn mit ihren flammend blauen Augen an, und es kostete ihn größte Willenskraft, sich nicht Hals über Kopf in diese Flammen zu stürzen. Warum kam eine so verführerische Frau bloß in ein Etablissement, das sich eigentlich einsamer Mauerblümchen annahm? „In diesem Raum sollen sich Frauen wie Göttinnen fühlen“, fuhr sie fort.

Es freute ihn, dass sie den Sinn und Zweck seiner Bemühungen hier verstanden hatte. „Deswegen nennen wir ihn auch den Salon der Göttinnen“, bestätigte er lächelnd.

„Hat Ihnen eine Frau dabei geholfen, ihn einzurichten?“

Er glaubte, einen Anflug von Eifersucht aus ihrer Stimme herauszuhören, aber das konnte eigentlich nicht sein. Sie kannten sich nicht gut genug für solche brisanten Anwandlungen. Andererseits – wäre sie auf die Idee gekommen, länger in diesem Raum zu verweilen, hätte er wohl jeden Mann vertrieben, der ihr nahe genug gekommen wäre, um ihren Erdbeerduft wahrnehmen zu können. „Meine Schwägerin meinte, dass die Damen es genießen würden, wenn man ihnen das Gefühl vermittelt, etwas ganz Besonderes zu sein.“

„Welche? Lady Aslyn oder Lady Lavinia?“

Eindeutig von Adel. Die Namen kamen ihr über die Lippen, als wären sie ihr vertraut, und er zwang sich, nicht darüber nachzudenken, womit er ihre Lippen ebenfalls gern vertraut gemacht hätte. „Lavinia. Allerdings verzichtet sie auf den Titel Lady vor ihrem Namen.“ Außer wenn sie bissige Artikel über die ungerechte Behandlung lediger Mütter und unehelicher Kinder verfasste. Dann betonte sie ihren Rang in der Gesellschaft, damit er ihren Zwecken und damit höheren Zielen diente. „Sie scheinen eine Menge über mich zu wissen.“

„Ihre Familie ist ja schließlich das Stadtgespräch.“

„Meine Familie vielleicht, aber ich nicht.“

„Natürlich auch Sie. Was glauben Sie, woher ich von diesem Etablissement wusste? Warum bieten Sie den Frauen all das hier?“

„Ich besitze auch einen Spielsalon für Männer, nicht so feudal wie dieser hier, und dort wird nur Karten gespielt. Ab und zu kommt auch mal eine Frau dorthin, um zu spielen. Warum sollten Frauen nicht ihren eigenen Bereich haben, in dem sie sich amüsieren können? Warum sollten sie dazu verdammt sein, ihre Abende mit Handarbeiten zu verbringen?“

„Weil sich das eben so schickt für eine anständige Frau.“

„Und Sie sind anständig, nicht wahr?“

„Ich war es einmal, früher.“

„Und jetzt?“

„Ganz offensichtlich nicht mehr so sehr.“

Er hörte den Anflug eines schlechten Gewissens aus ihrer Stimme heraus, vielleicht sogar Scham. Das würde sich mit der Zeit legen; sie würde süchtig werden nach dem, was er zu bieten hatte. Er war noch keiner Dame begegnet, die sich in sein Etablissement gewagt hatte und danach nicht mehr wiedergekommen war. „Sie möchten vielleicht keinen Wein, aber Sie sollten wenigstens die Atmosphäre dieses Raums auf etwas komfortablere Art und Weise in sich aufnehmen.“

2. KAPITEL

Während er sie zu einer riesigen Ottomane im hinteren Teil des Salons führte, erwog sie kurz, dagegen zu protestieren, aber für ihre Pläne war es unabdingbar, dass er nicht das Interesse an ihr verlor. Außerdem war es zweifellos hilfreich, ihn etwas besser kennenzulernen. Das mit Samt bezogene Möbelstück war die größte Ottomane, die sie je gesehen hatte. Er half ihr, sich auf der Kante niederzulassen, auf der sie sittsam sitzen geblieben wäre, wenn er nicht ihre Füße angehoben hätte. Ehe sie sich versah, lag sie an einen Berg von Kissen gelehnt auf der Ottomane. Außer mit ihrem Ehemann hatte sie sich noch nie in einer solchen Situation befunden. „Ich mache den Bezug schmutzig“, murmelte sie.

„Den kann man wieder reinigen. Oder wir können Ihnen auch die Schuhe ausziehen.“ Im Gegensatz zu ihr sprach er ganz ungezwungen, so als hätte er diesen Vorschlag schon ungezählte Male gemacht.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass ein paar Frauen genau das getan hatten; nackte Zehen lugten unter Röcken hervor, bestrumpfte Füße wurden von aufmerksamen Händen gehalten. „Ich lasse sie lieber an.“ Sie würden doch bestimmt nicht so lange hierbleiben.

Er sprach mit einem Lakaien, dann setzte er sich, wobei er sie mit der Hüfte streifte. Sie hasste sich dafür, dass sie prompt zusammenzuckte und sich nicht annähernd so souverän verhielt, wie es ihr lieb gewesen wäre.

„Sie sind ganz verspannt. Soll ich Ihnen ein wenig die Schultern massieren?“

Nervös musterte sie seine großen Hände. „Im Moment nicht.“

„Warum sind Sie denn so verspannt, Kleines?“

Ein anderes Kosewort, und sie fragte sich, wie viele davon er wohl kannte und ob er nur sie damit bedachte oder jede der Damen hier. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, dass wenigstens eins ihr und nur ihr allein galt. Wie töricht zu erwarten, dass sie ihm mehr bedeuten könnte als nur eine Geschäftspartnerin. „Soll ich ehrlich sein?“

„An die Wahrheit erinnert man sich immer leichter als an eine Lüge, wenn das Thema noch einmal zur Sprache kommen sollte.“ Er lehnte sich auf einen Ellenbogen gestützt nach hinten und ließ die Finger seiner freien Hand über ihre Wade gleiten. Erst jetzt merkte sie, dass ihr Rock nicht wie beabsichtigt ihre Fesseln bedeckte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie ihm Einhalt gebieten und die Füße unter den Saum ziehen sollte, um das zu verbergen, was er nicht berühren sollte. Gleichzeitig hoffte sie, dass er sie im Laufe dieser Nacht noch öfter berühren würde.

Durch ihren Strumpf hindurch spürte sie, wie seine Hand sanft und unglaublich intim über ihre Haut strich. Sie schluckte und versuchte, sich nicht ganz in diesen wundervollen Gefühlen zu verlieren. Sie musste einen klaren Kopf bewahren und durfte sich vor Zeugen keinesfalls unschicklich verhalten, ungeachtet der Maske, die sie trug. „Ich habe noch nie etwas auch nur annähernd so Verruchtes getan.“

Er hob den Blick von ihrer entblößten Wade und schaute ihr in die Augen. „Warum dann gerade heute Nacht?“

Sie schüttelte den Kopf und war froh, dass der Lakai das Gespräch unterbrach und mit einem Tablett zurückkehrte, auf dem ein Glas Rotwein stand. Aiden Trewlove richtete sich auf, nahm ihm das Glas ab und reichte es ihr. Obwohl sie vorhin behauptet hatte, keinen Wein zu wollen, beschloss sie jetzt, dass ein Schluck oder zwei durchaus beruhigend auf ihre Nerven wirken könnten. „Leisten Sie mir keine Gesellschaft dabei?“

„Es macht sich nicht gut, wenn der Eigentümer des Etablissements betrunken wird.“

„Ich will auch nicht betrunken werden.“ Trotzdem nippte sie am Wein und stellte erfreut fest, wie weich er im Abgang war, wie er sie wärmte und ihr ein Gefühl der Vertrautheit vermittelte. „Ein sehr guter Jahrgang.“

„Meine Schwester Gillie besitzt eine Schankwirtschaft. Sie würde mich köpfen, wenn ich hier nicht den besten Wein servieren würde.“

„Sie hat den Duke of Thornley geheiratet.“

„Noch etwas, das Sie über uns wissen.“

„Wie ich schon sagte, Sie und Ihre Geschwister sind das Gesprächsthema Nummer eins.“

Er lehnte sich wieder zurück. „Wodurch ich eindeutig im Nachteil bin, weil ich nur so wenig über Sie weiß.“

„Sie wissen gar nichts über mich.“

„Ich weiß, dass Sie verheiratet sind.“

Sie erstarrte, aber er strich erneut mit dem Finger über ihre Wade, und ihre Verspannung löste sich. „Das haben Sie nur geraten.“

„Obwohl Sie Handschuhe tragen, kann ich die Umrisse eines Eherings erkennen. Es wäre klug gewesen, ihn abzulegen, ehe Sie hierhergekommen sind.“

Da hatter er zweifellos recht, aber sie trug diesen Ring nun schon seit fast sieben Jahren und hatte gar nicht daran gedacht. Erschrocken, weil sie nicht einmal die einfachste Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatte, um ihre Identität zu verschleiern, trank sie einen weiteren Schluck Wein und …

„Mit einem Duke, denke ich.“

Sie verschluckte sich an ihrem Wein. Hustend hielt sie sich die freie Hand vor den Mund und merkte kaum, dass er ihr das Glas abnahm und ihr sanft auf den Rücken klopfte. Als sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte, holte sie sich ihr Glas zurück und trank noch einen Schluck. „Wie kommen Sie darauf?“

„Wegen Ihrer überlegen wirkenden Art. Außerdem vermitteln Sie den Eindruck, dass Sie sich gerade an einem Ort aufhalten, der unter Ihrer Würde ist und Sie auch nicht wirklich interessiert, zusammen mit einem Mann, der nicht einmal gut genug ist, Ihnen die Schuhe zu putzen.“

„Da täuschen Sie sich, Mr. Trewlove. Ich vermute, Sie übertragen Ihre eigenen Vorurteile auf mich. Das nehme ich Ihnen auch nicht übel, wenn die Gerüchte stimmen sollten, die ich gehört habe. Es heißt, Ihr Vater ist Aristokrat.“

Seine Finger verkrampften sich auf ihrer Wade. „Ich spreche nicht über meinen Erzeuger. Niemals.“

Also stimmte es, in seinen Adern floss blaues Blut, was ihren Plänen sehr entgegenkam. „Und ich spreche nie über meinen Rang in der Gesellschaft“, gab sie scharf zurück. „In dieser Hinsicht scheinen wir also gleichgesinnt zu sein.“ Er lehnte sich wieder zurück und fuhr fort, ihre Wade zu streicheln, wobei er sich immer weiter nach oben tastete und ihrem Knie gefährlich nahe kam. Höchst unschicklich, aber vielleicht wollte er sie ja auf die Probe stellen und sie zum Widerspruch reizen.

„Wenn ich die Kerzen um Sie herum auslöschte, könnten Sie in der Dunkelheit Ihre Maske abnehmen.“

„Es ist nie vollkommen dunkel. In diesem Raum bleibt die Maske, wo sie ist. Außerdem würden Sie staunen, was für eine scharfe Beobachtungsgabe manche Damen haben.“

Eine ganz Weile musterte er sie schwiegend, dann machte er sich an den Knöpfen ihrer Schuhe zu schaffen.

„Ich sagte, ich behalte sie an.“ Sie wollte ihren Fuß wegziehen, doch er legte eine Hand um ihren Knöchel und hinderte sie daran.

„Sie werden sich ohne Schuhe viel wohler fühlen. Die Fußböden hier sind sauber.“ Er schaute sie unter halb gesenkten Lidern hervor an, auf dieselbe Weise, wie er damals die adelige Hochzeitsgesellschaft in der Kirche angeschaut hatte, und sie verspürte plötzlich den absurden Wunsch, von ihm nicht für bedeutungslos oder feige gehalten zu werden. „Wann sind Sie das letzte Mal barfuß gelaufen?“

Seltsamerweise erinnerte sie sich genau daran. „Ich war neun, und da war eine Wiese voller Klee, der ich nicht widerstehen konnte.“ Es hatte sich angefühlt, als liefe sie über Samt. Sie schüttelte den Kopf. „Meine Gouvernante hatte alle Hände voll zu tun, mir die Schuhe immer wieder anzuziehen.“ An dem Tag hatte ihre Mutter ihr eine gehörige Strafpredigt gehalten und gesagt, sie wäre mittlerweile zu alt für solchen Unfug. Seitdem hatte sie ihre Schuhe stets anbehalten. Sie hatte sich immer ganz schrecklich gefühlt, wenn sie ihre Eltern oder auch sonst irgendjemanden enttäuschte.

Sie leerte ihr Glas, und sofort erschien der Lakai mit einem neuen. Sie nahm es an und musterte den Mann an ihrer Seite, der sich trotz seiner unbequemen Sitzhaltung wohlzufühlen schien. Wie er wohl reagieren mochte, wenn sie ihn aufforderte, seine Beine ebenfalls hochzulegen, damit sie ihm die Stiefel ausziehen konnte … Offenbar zeigte der Wein allmählich Wirkung und machte sie mutiger. Sie nickte leicht, und er fuhr fort, ihre Schuhe aufzuknöpfen.

Als er sie ihr ausgezogen hatte, reichte er sie einem anderen Lakaien, der wie aus dem Nichts erschienen war. Selena war gar nicht aufgefallen, dass Aiden ihn herbeigewinkt hatte. „Bringen Sie sie zu Angie, sie soll sie unter meinem Namen wegstellen.“

„Jawohl, Sir.“

Der Bedienstete eilte davon. „Sie können sie im Foyer abholen, wenn Sie gehen“, erklärte Aiden Trewlove.

Beim Kommen hatte sie ihren Umhang auch dort abgegeben, an einer Theke vor einem Raum voller Umhänge. Das Garderobenmädchen hatte sie gar nicht nach ihrem Namen gefragt, sondern ihr nur eine Nummer ausgehändigt. Sie fragte sich, was die Damen außerdem dort noch abgeben mochten.

Und dann hörte sie auf zu denken, denn er strich mit dem Daumen über ihren Spann, nahm ihren Fuß in beide Hände und begann, ihn sanft zu massieren. Das fühlte sich noch so viel besser an als die Wiese unter ihren Füßen … Beinahe wünschte sie sich, keine Strümpfe zu tragen, und bekam gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil sie seine Aufmerksamkeiten so sehr genoss.

„Wo sind Sie zur Schule gegangen?“, fragte sie, um sich abzulenken.

„Meine Schule war die Straße.“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben eine Schulbildung genossen, das verrät Ihre Sprache.“

„Das ist Gillies Verdienst. Sie ist der Ansicht, dass eine korrekte Sprechweise der erste Schritt nach oben in eine bessere Welt ist. Als wir jünger waren, arbeitete sie für eine Frau, die ihr beibrachte, ihren Cockneyakzent abzulegen. Alles, was sie bei ihr lernte, gab Gillie dann an uns weiter.“

„Hätten Sie nicht diesen Ruf, würde Ihnen niemand anmerken, dass Sie einmal ein Straßenkind waren.“ Sie hatte ihm ein Kompliment machen wollen, aber er zuckte nur mit den Schultern, als wäre es ihm völlig gleichgültig, was die Leute von ihm dachten. Sie wünschte, dasselbe auch von sich behaupten zu können, doch ihre Stellung in der Gesellschaft verlangte von ihr, dass sie stets auf ihren guten Ruf achtete und ihre Familie niemals in Verlegenheit brachte. „Und was hat sie dazu bewogen, einen Spielsalon besitzen zu wollen?“ Sie war aufrichtig neugierig, was diesen Mann betraf, der ihre Füße so himmlisch massierte, ohne je den Blick von ihrem Gesicht zu wenden.

„An diesem Abend geht es nur um Sie, Liebste, nicht um mich.“

Ihr Herz schmolz bei seinen Worten, denn sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal für jemanden derart im Mittelpunkt gestanden hatte, dass ihre Wünsche und ihr Vergnügen absoluten Vorrang hatten. „Wenn das wirklich der Fall ist, dann müssen Sie mir einfach diesen Wunsch erfüllen. Ich möchte Ihre Geschichte zu gern hören.“

Er lächelte auf so männliche, sinnliche Art, dass sie ernsthaft befürchtete, mit ihm in unbekannte Gewässer abzudriften. „Der Grund ist ein wenig kompliziert.“ Er neigte den Kopf zur Seite und hob fragend die Brauen. „Haben Sie schon einmal das Hütchenspiel gespielt?“

„Ich glaube, nicht.“

„Der Hütchenspieler hat drei Becher. Er lässt Sie sehen, wie er unter einen davon eine Erbse oder einen anderen kleinen Gegenstand legt. Dann fängt er an, die Becher blitzschnell hin und her zu schieben, wobei er pausenlos redet. Wenn er damit aufhört, wettet er mit Ihnen um einen gewissen Betrag, dass Sie nicht mehr sagen können, unter welchem Becher sich die Erbse befindet. Wenn Sie richtig raten, bekommen Sie das Geld. Irren Sie sich, müssen Sie ihm einen entsprechenden Betrag zahlen. Meistens geht es um keine großen Summen, um einen Sixpence vielleicht. Das hängt ganz von den Leuten ab, denn er sieht ihnen an, wie viel Einsatz sie sich leisten können.“

„Und Sie haben immer richtig geraten, unter welchem Becher sich die Erbse befand.“

Da war es wieder, dieses Lächeln, und plötzlich hatte sie Schwierigkeiten, zu atmen. „Ich selbst war der Hütchenspieler und wusste immer genau, wo sich die Erbse befand – in meiner Hand. Ganz gleich also, auf welchen Becher sie zeigten, sie lagen immer falsch. ‚Tut mir leid‘, sagte ich dann und kassierte meinen Gewinn ein.“

„Sie haben betrogen!“ Der Gedanke schockierte sie, noch schockierender war jedoch die Tatsache, dass sie von seinem Trick und seiner Fingerfertigkeit beeindruckt war.

Er lachte leise. „Natürlich habe ich das.“

„Haben Sie so das Geld für Ihren Spielsalon verdient? Mit unrechtmäßigen Gewinnen?“

Das schien ihn zu belustigen, denn sein Lächeln wurde breiter. „Nein. Ich hatte diesen wackeligen kleinen Tisch mit nur einem Bein, den ich mit mir herumtrug. Ich war ständig unterwegs und ging von einem Ort zum anderen, zusammen mit meinen drei Bechern und der Erbse. Eines Tages hatte sich eine ganze Schar Menschen um mich versammelt. Da erschien dieser elegant gekleidete Typ mit seiner roten Brokatweste. An die erinnere ich mich noch ganz genau. Ich war damals elf, hatte meinen Trick schon eine ganze Weile sehr erfolgreich angewendet und wurde übermütig. Ich kam zu dem Schluss, dass der elegante Typ Geld hatte, und forderte ihn zu einer Wette um eine Guinee heraus. Ich erklärte ihm die Regeln, und er stimmte zu. Also folgte ich meiner gewohnten Routine. Ich zeigte ihm die Erbse unter dem Becher, nahm sie unauffällig an mich, schob die Becher schnell hin und her und stachelte ihn an: ‚Wo ist die Erbse? Wo ist denn nun die Erbse?‘ Ich hörte auf. ‚Was glauben Sie, wo sie ist, Chef?‘, krähte ich vergnügt. Er hob einen Becher an, und verdammt, es lag eine Erbse darunter.“

Sie lachte hell auf, überrascht von seiner saloppen Ausdrucksweise in ihrer Gegenwart – niemand benutzte ihr gegenüber je Wörter wie „verdammt“. Sein selbstironischer Blick verriet, dass ihm das anscheinend sehr wohl bewusst war. „Er war also auch ein Betrüger?“

Er nickte. „Er war auf der Straße groß geworden und kannte das Spiel. Er brachte seine eigene Erbse mit und ließ sie unauffällig an Ort und Stelle fallen, während er den Becher anhob. Aber ich konnte ihm ja schlecht Betrug vorwerfen, ohne meinen eigenen Trick zu verraten.“

„Also mussten Sie ihm eine ganze Guinee zahlen?“

Er schüttelte den Kopf. „Er gab mir den Tipp, meine Opfer niemals selbst den Becher anheben zu lassen. Offensichtlich hatte er mich schon eine ganze Weile beobachtet. Er nannte mir seinen Namen – Jack Dodger.“

Sie machte große Augen. „Doch nicht etwa der Jack Dodger?“ Einer der reichsten Männer in London, wenn nicht in ganz Großbritannien.

Er nickte. „Doch. Ich habe angefangen in seiner Spielhölle, dem Dodger’s Salon, zu arbeiten und lernte alles über das richtige Glücksspiel. Irgendwann wurde ich Kartenleger, der jüngste, den sie je gehabt hatten. Ich aber wollte oben auf der Galerie stehen und mein Reich überblicken, nicht unten arbeiten und überwacht werden. Also machte ich mich mit neunzehn selbstständig. Aber ich wollte nicht zur Konkurrenz für einen Mann werden, dem ich so viel zu verdanken hatte, daher eröffnete ich den Cerberus Club in Whitechapel, eher für den Bodensatz der Gesellschaft als für die feinen Pinkel. Aber auch der Bodensatz hat Geld, und nicht alle Adeligen sind in ihren eigenen vornehmen Kreisen willkommen.“

„Und danach haben Sie entschieden, dass Frauen ebenfalls einen eigenen Rückzugsort brauchten.“

„Dafür kann nicht ich die Lorbeeren einheimsen. Das war die Idee meines Bruders, aber er war nie wirklich mit dem Herzen bei der Sache, also hat er mir das Etablissement gegeben.“

„Gegeben? Umsonst? Einfach so?“

„Er hatte das Gefühl, mir etwas schuldig zu sein.“

„Warum?“

„Ach, Liebste, das ist eine ganz andere Geschichte.“ Er ließ ihren Fuß los und richtete sich auf. „Jetzt müssen Sie mir eine Geschichte erzählen. Was hat Sie heute Abend hierher gebracht?“

„Eine Kutsche.“

Er lachte leise über ihre Schlagfertigkeit, ihr bewusstes Umgehen seiner Frage. Diese Frau steckte voller Geheimnisse, darauf hätte er den gesamten Umsatz des Abends verwetten mögen. Er konnte nicht sagen, was genau ihn so sehr an ihr faszinierte, dass er bei ihr blieb. Normalerweise verbrachte er nicht viel Zeit mit den Damen, weil er keine von ihnen eifersüchtig machen wollte – Eifersucht war schlecht fürs Geschäft. Aber aus einem unerfindlichen Grund schien er sich nicht von ihr trennen zu können. Vielleicht lag es an der Traurigkeit in ihren Augen, ihrem sichtlichen Unbehagen. Die meisten Frauen waren aufgeregt, wenn sie hierher kamen, doch sie wirkte so, als hätte sie gar kein Interesse an diesem Etablissement und fühlte sich eher gezwungen, hier zu sein. Sie war auf der Suche nach irgendetwas und glaubte, es hier zu finden, aber er hätte ihr sagen können, dass es in diesen Räumen keine Schätze gab. Sie boten nur vorübergehend Zuflucht. Das war zwar etwas Wertvolles, doch immer nur vorübergehend. Das war der Grund, warum die Leute immer wiederkamen, denn das Glück, das sie hier fanden, konnten sie nicht mitnehmen. Sobald sie das Etablissement verließen, löste sich dieses Glück in Luft auf. Das wiederum war gut fürs Geschäft, es sorgte dafür, dass sie die beglückende Erfahrung wiederholen wollten.

Ein Lakai erschien, füllte ihr Weinglas und verschwand wieder. Sie protestierte nicht dagegen, und er vermutete, dass sie sich allmählich etwas entspannter fühlte. Er griff nach ihrer freien Hand und fing an, ihr den langen Handschuh über den Ellenbogen nach unten zu streifen. Warum trugen Frauen Kleider ohne Ärmel, nur um ihre nackten Arme dann durch zusätzliche Accessoires wieder zu verbergen?

„Was tun Sie da?“, fragte sie erschrocken.

„Handschuhe sind ein Ärgernis.“

Sie ballte die Hand zur Faust. „Bitte, ziehen Sie sie mir nicht aus.“

Er dachte an ihren Ehering, den die, die sie kannten, vielleicht wiedererkennen konnten. „Wir könnten den Ring in einem Ihrer Handschuhe verstecken. Dort wäre er sicher, es gibt hier keine Diebe. Oder ich könnte ihn mir in die Tasche stecken.“

Sie schüttelte den Kopf, was ihn ins Grübeln brachte. Wer war der Mann, der ihr das Schmuckstück einst über den Finger gestreift hatte? Warum wollte sie, dass der Ring dort blieb? Wenn sie ihren Mann liebte, warum war sie dann hier? Andererseits kam auch Lady Aslyn gelegentlich her, und sie vergötterte seinen Bruder. Manchmal brauchte eine Dame einfach etwas Zeit für sich.

Er zog ihr den Handschuh wieder hoch und strich dabei mit dem Finger über die weiche Innenseite ihres Arms. „Ich warte auf Ihre Geschichte, Liebste.“

Sie hob ihr Glas an die Lippen, um Zeit zu gewinnen, und er bedauerte fast, es ihr nicht gleichtun zu können. Es war jedoch seine eiserne Regel, nicht allzu vertraut mit seinen Gästen zu werden; auch allzu viel Nähe schadete dem Geschäft eher, als zu nützen. Er wusste, so wie alle seine Geschwister, dass man sich um sein Unternehmen kümmern musste, wenn es einträglich bleiben sollte. Jeder in seiner Familie war skandalöser Abstammung, und das klebte ihnen nach wie vor an den Fersen. Zugegeben, manchmal überschritt er die Grenzen der Schicklichkeit, aber nie hier, niemals. Dennoch reizte diese Frau ihn mehr als jede andere zuvor.

Sie befeuchtete ihre Lippen und wandte den Blick ab. „Ich habe Ihnen doch von der Wiese erzählt.“

„Da gibt es sicher viel interessantere Geschichten.“

Sie sah ihn wieder an. „Eigentlich nicht. Deswegen bin ich ja hier.“

Er glaubte nicht eine Sekunde, dass sie wirklich so langweilig war, wie sie behauptete, aber er wusste auch, wann er jemanden nicht drängen durfte. „Trinken Sie Ihren Wein aus. Ich werde Ihnen noch einen anderen Raum zeigen.“

Es gefiel ihm, wie ihre zarten Halsmuskeln sich beim Schlucken bewegten. Ihm gefiel einfach alles an ihr. Wenn er sie nun in einen vollkommen dunklen Raum führte, würde sie dann ihre Maske abnehmen und ihm gestatten, ihre Gesichtszüge mit den Fingern abzutasten? Er hatte schon immer gern gezeichnet und dachte, wenn er ihre Züge mit dem Finger erkundete, konnte er sie auch zu Papier bringen.

Kaum hatte sie ihr Glas geleert, als ein hübscher junger Mann – sie waren alle hübsch; Lavinia hatte ihn davon überzeugt, dass die Damen das sehr zu schätzen wissen würden – von kaum zwanzig Jahren ihr das Glas abnahm und ein volles reichte.

„Wir sind hier fertig, Jasper“, teilte er dem Bediensteten mit und war selbst überrascht, wie schroff und abweisend er sich anhörte.

Jasper musste genauso überrascht sein, denn seine Augen weiteten sich erschrocken, ehe er nickte und hastig den Rückzug antrat.

Aiden spürte ihren nachdenklichen Blick eher, als dass er ihn sah. Er hatte das Bedürfnis, sich bei ihr und auch dem Jungen zu entschuldigen, war es jedoch nicht gewohnt, sich für irgendetwas zu entschuldigen. Außerdem hätte er dann womöglich eingestehen müssen, wie sehr es ihm missfiel, wenn seine jungen Männer um sie herumscharwenzelten – auch wenn er sie genau dafür bezahlte. Die Lakaien sollten den Damen das Gefühl vermitteln, etwas ganz Besonderes zu sein, damit sie gern wiederkamen.

„Ich brauche meine Schuhe.“

Sie ging nicht auf seine übertrieben heftige Reaktion ein, was ihn überraschte. „Nein, die brauchen Sie nicht“, erwiderte er. „Wie schon gesagt, die Böden hier sind sauber. Warum sollte man so hübsche Füße grundlos in Leder zwängen?“

Er erhob sich und half ihr beim Aufstehen. Ohne Schuhe reichte sie ihm bis zur Schulter, und er wollte nicht genauer darüber nachdenken, wie sehr es ihm gefallen könnte, wenn sie ihre Wange daran schmiegte. Ein seltsamer Gedanke für einen Mann wie ihn. Er mochte Frauen und genoss ihre Gesellschaft über alle Maßen, aber er war nicht der Typ, der sie in den Arm nahm, erst recht nicht, wenn sie eine Umarmung brauchten. Er hielt nie jemanden tröstend im Arm, nur um des Haltens und Tröstens willen. Tränen ließen ihn normalerweise sofort die Flucht ergreifen. Er wollte einfach nur eine gute Zeit haben.

Doch in dieser Nacht war er nicht er selbst – er beschäftigte sich mit nur einer Frau, schenkte ihr seine Aufmerksamkeit und schloss alle anderen aus. Das konnte nicht nur daran liegen, dass sie so geheimnisvoll wirkte. Andere Frauen trugen auch Masken, und bei ihnen war er nicht so darauf versessen, mehr über sie zu erfahren. Er sollte sie wohl lieber einem seiner Angestellten übergeben, doch er befürchtete, der bedauernswerte Gentleman würde es ihm nicht recht machen können. Schenkte er ihr zu wenig Aufmerksamkeit, würde er wütend, weil sie Besseres verdient hatte. Wurde sie hingegen mit zu viel Aufmerksamkeit überschüttet, würde er sich ärgern, weil nicht er derjenige war, der sie verwöhnte.

Falls sie etwas von seinen widerstreitenden Gefühlen ahnte, ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie legte ihm nur wieder eine Hand auf den Arm, so selbstverständlich, als gehörte sie dorthin. Der Wein zeigte Wirkung, sie war jetzt sehr viel entspannter und lockerer. Seltsam, dass er selbst nun umso angespannter war.

Er ließ sich Zeit damit, sie in den nächsten Raum zu führen. Lavinia hatte darauf beharrt, dass er den Damen gefallen würde, auch wenn Aiden ihn insgeheim den Mauerblümchen-Saal nannte, denn hier fand jede Dame einen charmanten Tanzpartner. Aiden hätte gern ärmeren Männern eine Chance gegeben, doch für diesen Job brauchte er Leute von anderem Kaliber – stilsichere Männer mit kultivierter Ausdrucksweise, die die Damen unterhalten konnten. Die meisten seiner Angestellten waren dazu ausgebildet worden, als Lakai in einem vornehmen Haus zu arbeiten. Bei ihm verdienten sie das Doppelte von dem, was sie anderswo bekommen hätten.

„Ich habe nicht damit gerechnet, zu tanzen“, murmelte sie.

Ein paar Damen standen am Rand der Tanzfläche und warteten, bis sie an der Reihe waren. Sie wussten, dass sie sich nicht lange würden gedulden müssen, hier wurde keine Frau je vernachlässigt.

„Möchten Sie vielleicht gern einen Walzer tanzen?“ Er tanzte nie mit seinen Gästen, aber sie wollte er gern im Arm halten und mit ihr über die glänzende Tanzfläche schweben. Zwar hatte er noch nie Walzer getanzt, aber das würde ihn nicht abhalten. Die Grundschritte kannte er – Lavinia dachte, sie könnten ihm vielleicht irgendwann zugute kommen, wenn er doch mal mit einem weiblichen Gast tanzen wollte. Widerstrebend musste er ihr zugestehen, dass sie recht hatte. Auch wenn sie jetzt seine Schwägerin war, tat er sich noch immer schwer damit, ihr zu verzeihen, was sie damals seinem Bruder angetan hatte.

Selena schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht zum Tanzen hier.“

„Sie haben kein Interesse am Glücksspiel, am Essen und auch nicht am Tanzen. Warum sind Sie dann hier, Liebste?“

„Ich bin hier, um verführt zu werden.“

3. KAPITEL

Das Leben in den Elendsvierteln hatte ihn gelehrt, sich nie anmerken zu lassen, was wirklich in ihm vorging, daher verzog er auch jetzt keine Miene, obwohl ihre Unverblümtheit ihn völlig unvorbereitet traf. Genauso wie die Tatsache, dass sie seinem Blick standhielt, als hätte sie nicht gerade etwas vollkommen Schockierendes geäußert. Am liebsten hätte er ihr die Maske abgenommen, um zu sehen, ob sie rot geworden war. Wenn ja, dann hatten sich nur ihre Wangen verfärbt, denn ihr Kinn blieb alabasterfarben, ohne jede Spur des Errötens.

Ihm gefiel nicht, dass sie nur aus diesem einzigen Grund in seinen Club gekommen war, wobei er sich der Ironie des Ganzen durchaus bewusst war. Normalerweise schwelgte er in der Sünde und liebte seine Rolle, andere Menschen mit dem Laster vertraut zu machen. Es war unwahrscheinlich, dass er einmal in den Himmel kommen würde, und daher beabsichtigte er, den Weg bis zur Hölle in vollen Zügen zu genießen. Ihm war klar, dass Menschen Bedürfnisse hatten, und er konnte nie verstehen, was falsch daran sein sollte, diese Bedürfnisse zu befriedigten, ob nun in oder außerhalb der Ehe.

Im Moment jedoch wäre ihm lieber, wenn ihre Wünsche etwas anspruchsvoller wären. Sie sollte sich nicht einzig und allein für den Akt als solchen interessieren, sondern sich darauf einlassen, weil sie sich unwiderstehlich zu jemandem hingezogen fühlte – präziser formuliert: zu ihm. Was zum Teufel war bloß mit ihm los?

„Wenn Sie genauer hinsehen, werden Sie feststellen, dass ein paar der Gentlemen einen roten Knopf am linken Revers tragen. Diese Herren werden Ihnen Ihren Wunsch erfüllen.“ Sein Ton war beiläufig, aber in seinem Innern begann es zu brodeln wie in einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand.

„Die interessieren mich nicht. Sie reizen mich, Mr. Trewlove. Sie sind derjenige, den ich will.“

„Leider trenne ich Geschäftliches und Vergnügen strikt.“ Es brachte ihn beinahe um, das zu sagen.

„Dann betrachten Sie es eben als etwas Geschäftliches.“

„Ich lasse mich nicht mit meinen Gästen ein.“

„Ich bitte Sie ja auch nicht, sich einzulassen. Ich bitte Sie, mit mir zu schlafen.“

Er war es gewohnt, der Jäger zu sein, nicht der Gejagte. Obwohl er ihren Mut bewunderte und, wenn er ehrlich war, sogar anziehend fand, fühlte er sich etwas aus der Bahn geworfen. Es war ja nicht so, dass er sie nicht verführen wollte, er war sich nur nicht sicher, was ihre Motive betraf. Empfanden die Frauen, an denen er Interesse zeigte, etwa dasselbe wie er jetzt? Die Furcht vor der Reue hinterher?

War es überhaupt möglich, sie zu verführen, ohne sich weiter auf sie einzulassen? Sicher, er hatte Affären gehabt, die einzig der Lustbefriedigung dienten, aber sie schien eine Frau zu sein, die mehr verdiente. Hatte sie überhaupt eine Vorstellung von der Einsamkeit, die sich einstellen konnte, wenn der Körper zwar gesättigt war, aber nicht die Seele? Es kam ihm selbst merkwürdig vor, aber obwohl er sie gerade erst kennengelernt hatte, wusste er bereits, dass er nicht einfach nur mit ihr schlafen wollte. Er wünschte sich Zeit, um noch mehr über sie zu erfahren.

„Wir können jetzt hier stehen bleiben und weiter diskutieren – oder tanzen und weiter diskutieren.“ Er deutete eine Verneigung an und zeigte auf die Tanzfläche. „Wollen wir?“

„Ich habe keine Schuhe an.“

„Umso besser.“

Wie oft hatte sie schon daran gedacht, beim Tanzen die Schuhe auszuziehen, in der Gewissheit, dass das lange Kleid ihre nackten Füße verbergen würde? Sie hasste Schuhe, sie engten sie ein und drückten meist. Deshalb war das Gefühl der Freiheit genauso himmlisch, wie sie es sich vorgestellt hatte, als er jetzt mit ihr über das Parkett schwebte. Dass er darüber hinaus auch noch sehr gut aussah, tat dem Ganzen keinen Abbruch.

„Ich habe Sie mit meiner Offenheit schockiert.“ Und sich selbst auch, wenn sie ehrlich war. Sie hatte nicht so einfach damit herausplatzen, sondern es etwas subtiler angehen wollen.

„Nicht schockiert, eher überrascht. Sie sind sicher nicht die Erste, die hierherkommt, um größere Sünden zu begehen. Unglückliche Ehefrauen, einsame Witwen, alte Jungfern. Warum nicht eine Nacht lang mit dem Teufel tanzen?“

„Der Teufel hätte mich wohl nicht zurückgewiesen.“

„Versuchung, Laster und Sucht sind mir nur zu vertraut. Ich spiele nicht an meinen eigenen Tischen. Ich strecke mich nicht auf meinen eigenen Ottomanen aus. Ich trinke nicht von meinem eigenen Alkohol. Und bis jetzt habe ich noch nie auf meiner eigenen Tanzfläche getanzt.“

Sie schenkte ihm ein kleines, zaghaftes Lächeln. „Sie sind also durchaus offen für Ausnahmen.“

„Es sieht ganz danach aus.“

Jetzt hätte sie beinahe gelacht. Sie hatte schon so lange nicht mehr richtig gelacht. „Sie müssen sich dabei nicht so missmutig anhören!“

„Ich bin einfach nur neugierig. Hat man Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie schön sind?“

„So oft, dass das Wort keinerlei Bedeutung mehr für mich hat.“

„Haben Sie aus Liebe geheiratet?“

„Nein.“

„Befriedigt er Sie nicht?“

„Kann eine Frau überhaupt befriedigt werden?“

„Ja, wenn man es richtig anstellt. Und das fängt immer mit Verführung an.“ Er verstärkte leicht den Druck seiner Hand auf ihrem Rücken und zog sie so dicht an sich, dass seine Beine ihre Röcke streiften.

„Das versuchen Sie schon, seit Sie zu mir in die Ecke gekommen sind.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Davor auch schon.“

Jetzt musste sie wirklich lächeln, sie konnte nicht anders. „Ihr Herumstolzieren vorhin im Spielsalon – war das etwa Absicht und galt mir?“

„Ich bin Ihnen aufgefallen, nicht wahr?“ Er schüttelte selbstironisch den Kopf. „Sie bringen mich wirklich dazu, alle meine Regeln zu brechen.“

„Sie kommen mir nicht vor wie jemand, der sich strikt an Regeln hält.“

Autor

Lorraine Heath
Lorraine Heath wurde in England geboren, zog jedoch als Kind mit ihren Eltern in die USA. Geblieben ist ihr eine tiefe Zuneigung zu beiden Ländern. Die Charaktere in ihren erfolgreichen Romanen werden oft als besonders lebensnah bezeichnet, was die New York Times-Bestseller-Autorin auf ihre im Psychologiestudium erworbenen Kenntnisse zurückführt. Lorraine...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Sins for All Seasons