Ist es dieses Mal für immer?

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"Logan!" Lucia stockt der Atem. Warum meldet sich ihr Exmann nach zwölf Jahren plötzlich bei ihr? Braucht er wirklich nur ihre Meinung als Kunsthistorikerin? Als sie zu ihm in das toskanische Städtchen Monte Calanetti reist, um ein kostbares Wandgemälde zu begutachten, sind sofort all die widerstreitenden Gefühle von damals erneut da: Wut, Trauer, überwältigende Leidenschaft … Doch auch wenn die erotische Anziehung zwischen ihnen bald stärker denn je ist, steht ihrem Glück nach wie vor jener traurige Schicksalsschlag im Weg, der sie einst entzweite …


  • Erscheinungstag 28.02.2017
  • Bandnummer 0005
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708214
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Signore! Signore, venga!“

Logan Cascini reagierte sofort auf den lauten Ruf und hielt in seiner Arbeit inne. Er war mit der Wiederinstandsetzung der alten Kapelle vom Palazzo di Comparino für die anstehende königliche Hochzeit in Monte Calanetti beschäftigt. Damit war für ihn, der auf die Restaurierung historischer Gebäude spezialisiert war, ein Traum in Erfüllung gegangen.

Das große Anwesen, das mitten in den toskanischen Weinbergen lag, war über die Jahre mehr und mehr verfallen. Die Arbeit war mühsam und verlangte Detailgenauigkeit, weshalb Logan nur erfahrene Handwerker beschäftigte, die in der Lage waren, den alten Glanz von Palazzo und Kapelle wiederherzustellen. Fast alle Gebäude, an denen er und seine Leute arbeiteten, standen unter Denkmalschutz. Darum musste er permanent unzählige Auflagen beachten. Inzwischen jedoch kannte er sich bestens mit den alten Methoden aus und wusste sie anzuwenden.

Der zeitliche Rahmen für dieses Projekt war knapp bemessen, da die Kapelle rechtzeitig zur Hochzeit von Prinz Antonio von Halencia und seiner Braut Christina Rose fertig werden musste. Dafür aber hatte Logan freie Hand und war an kein Budget gebunden. Ein eindeutiger Pluspunkt, da zwanzig spezialisierte Baumeister an der Kapelle arbeiteten.

Logan stand von seinem Schreibtisch im Hauptflügel des Palazzo auf und eilte zur Kapelle. Insgeheim betete er still, dass die Handwerker nicht auf irgendein Problem gestoßen waren, das die Arbeiten aufhalten würde. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, wäre ein jahrhundertealtes Grab oder dass jemand auf römische Münzen gestoßen war. In Italien hielten unerwartete archäologische Funde regelmäßig Bauprojekte auf.

Als Erstes fiel ihm die Stille auf, als er bei der Kapelle ankam. Seit Wochen schon lag das Klopfen und Hämmern in der Luft, dazu die Rufe und Gespräche der Arbeiter. Jetzt jedoch standen alle stumm da und hielten den Blick auf eine Wand gerichtet. Logans Augen weiteten sich, als er näherkam. Tageslicht fiel durch die hohen Seitenfenster, die bunten Bleiglasscheiben hinter dem Altar lagen noch im Schatten. Das dämpfte jedoch nicht die Explosion von Farben auf der hinteren Wand.

Die Holzvertäfelung – eine der vielen „Renovierungen“, bei denen Logan sich immer innerlich krümmte – war abgerissen worden, um die Originalwand freizulegen. Aber niemand hätte ahnen können, was darunter verborgen lag.

Jetzt verstand er auch die Stille. Denn hinter dem alten Holz war ein Fresko zum Vorschein gekommen. Die Farben so leuchtend, als wäre das Wandbild soeben erst fertiggestellt worden.

Logans Puls schlug schneller, als er direkt vor der Wand stand. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und er schüttelte erstaunt den Kopf. Das traditionellste aller Motive – Madonna mit Kind. Im Lauf seines Berufslebens hatte Logan Hunderte von diesen Wandbildern gesehen, unter anderem bei privaten Führungen durch die Sixtinische Kapelle.

Aber die Details dieses Freskos aus unmittelbarer Nähe sehen zu dürfen, war ein Geschenk. Jeder Pinselstrich, jede Linie war zu erkennen. Marias Haarsträhnen, die Wimpern des Kindes, die kleinen Falten um Marias Augen. Die Augen von Mutter und Kind waren zum Himmel aufgerichtet, wo aus den geteilten Wolken Lichtstrahlen herabfielen und die Gesichter der beiden erleuchteten.

Ein Teil der Wandmalerei lag noch hinter Holz verborgen, Logan griff nach dem nächstliegenden Werkzeug und machte sich daran, vorsichtig auch noch den letzten Teil freizulegen.

Die Farben waren schlicht fantastisch. Das Holz hatte als Schutz gedient, der Zahn der Zeit hatte dem Bild nichts anhaben können. Die meisten Fresken, die Logan gesehen hatte, waren längst nicht so gut erhalten und hatten über die Jahrhunderte durch die verschiedensten Einflüsse gelitten. Dieses Fresko jedoch hatte unberührt von allem hinter Holz überdauert und wirkte frisch wie am Tag seiner Vollendung.

Unwillkürlich streckte Logan die Hand aus. Der Wunsch, es zu berühren, war übermächtig. Kein Fresko, das er bisher gesehen hatte, war ihm derart lebendig erschienen. Das Blau von Marias Gewand, das Gelb und Weiß der Lichtstrahlen, das Grün der Landschaft, das sanfte Rosa der Babyhaut … Es raubte ihm den Atem.

Er hatte dieser Kapelle wieder zu altem Glanz verhelfen wollen, doch nie hätte er damit gerechnet, so etwas zu finden. Das übertraf alle seine Erwartungen.

„Signor, was machen wir jetzt?“ Vito, einer der Baumeister, trat an seine Seite.

„Nehmt den Rest des Tages frei. Alle …“, entschied Logan. „Es wird eine Entscheidung gefällt werden müssen. Morgen sehen wir weiter.“

Eine Gestalt erschien im Eingang der Kapelle – Louisa, die neue Besitzerin des Palazzo. „Logan? Stimmt etwas nicht? Ich habe die Rufe gehört und …“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende, kam automatisch weiter in die Kapelle hinein.

Louisa Harrison war Amerikanerin. Sie hatte den Palazzo di Comparino vor einiger Zeit geerbt und Logan mit der Renovierung von Palast und Kapelle beauftragt. Eine eher unnahbare Frau, schwer einzuschätzen. Groß und schlank, das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, trug sie Gymnastikhosen und ein weites Oberteil. Eine ungläubige Falte stand auf ihrer Stirn, als sie das Fresko betrachtete.

„Das war hinter der Holzverkleidung?“ Sie sah auf die am Boden verstreuten alten Panelen.

Logan nickte. Louisa wusste wahrscheinlich nicht, was das bedeutete, so, wie sie strahlte.

„Das ist ja wunderbar! Die Farben sind frisch wie am ersten Tag, als hätte der Maler den Pinsel gerade abgelegt. So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Sie?“

Er wählte seine Worte sehr genau. „Schon so einige.“ Mit dem Kopf deutete er zu dem Fresko. „Aber selten so eindrucksvolle.“

Das Lächeln stand noch immer auf ihrem Gesicht und war das Größte an Gefühlen, was er bisher bei ihr gesehen hatte. Louisa sprach kaum mit den Handwerkern, und wenn, dann immer nur rein geschäftlich. Nicht die kleinste persönliche Information, kein einziges persönliches Wort. Offenbar war Louisa eine Frau mit Geheimnissen, und noch immer wusste niemand im Ort, wie und weshalb sie dieses großartige Stück italienischer Geschichte geerbt hatte.

Aber sie schien ehrbare Absichten zu haben. Sie hatte ihn mit der Restaurierung beauftragt, nachdem sie dem Wunsch des königlichen Brautpaars entsprochen und die Kapelle für die Hochzeit zur Verfügung gestellt hatte.

„Das ist doch der perfekte Hintergrund für die Hochzeit, nicht wahr?“, sagte sie leise, den Blick auf das Fresko gehalten.

Logan schluckte. Wie soll ich es ihr am besten erklären? „Sicher. Aber ich muss erst ein paar Anrufe tätigen. Jeder neue Fund historischer Kunst muss gemeldet werden, damit er registriert werden kann.“

Louisa krauste die Nase. „Und ein solches Fresko fällt in diese Kategorie?“

Er nickte. „Ein Fresko … jede Art von historischem Relikt. Das kann ein Mosaik sein, antike Fliesen, Münzen …“ Er beschrieb eine ausholende Geste mit der Hand und lächelte. „Wir Italiener wahren unser Erbe. So viel ist bereits verloren gegangen.“

„Sie wissen, wen Sie verständigen müssen, und kümmern sich um alles?“

Fast konnte er hören, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten, aber er nickte nur.

„Nun, dann lasse ich Sie jetzt in Ruhe weiterarbeiten. Sollten sich irgendwelche Probleme ergeben, sagen Sie mir bitte Bescheid.“ Damit drehte sie sich um und ging.

Logan lenkte den Blick zurück zu der Wand und lauschte auf die sich entfernenden Schritte. Nur langsam wurde ihm das ganze Ausmaß dieser Entdeckung bewusst. Schon jetzt sah er Millionen von Euro, eingeplant für die Hochzeit des Prinzen, den Bach hinuntergehen.

Dass die Hochzeit wie geplant in der Kapelle stattfand, war nun kaum noch wahrscheinlich. Die italienische Bürokratie hatte so ihre Tücken. Vor allem, wenn es um denkmalgeschützte Gebäude und neu entdeckte antike Kunstwerke ging, arbeitete die Verwaltung quälend langsam.

Logan holte tief Luft. Es war heiß, trotzdem bekam er eine Gänsehaut, als wäre ihm kalt. Ihm wurde immer klarer, was dieses Fresko bedeutete.

Er wusste, wen er anrufen musste. Wer die Qualifikation und Autorität hatte zu entscheiden, wie es weiterging. In der Organisation zur Erhaltung des nationalen Kulturerbes in Italien gab es einen Fresko-Experten, der für genau solche Fragen zuständig war.

Seine Ex.

1. KAPITEL

Lucia starrte aus dem Fenster, nippte an ihrem Kaffee und leckte sich dann die Schokolade von den Fingern.

Stünde ihr Schreibtisch nicht auf einer Liste von unschätzbaren Antiquitäten, hätte sie auch noch die Füße hochgelegt, um ihren Beinen eine kleine Ruhepause zu gönnen. Gerade hatte sie einen großen Abschnitt ihres aktuellen Projekts zum Abschluss gebracht. Dafür waren monatelange Verhandlungen mit um den Globus verstreuten Museen und Privatsammlungen, mit Restauratoren und Lieferanten nötig gewesen. Aber jetzt, da die Entscheidungen für die Finanzierung gefällt und die Verträge unterschrieben waren, konnte sie sich eine Pause erlauben.

Sie stieß das Fenster weiter auf. Es war heiß, selbst für eine Frau, die seit zwölf Jahren in Venedig lebte und sich eigentlich daran gewöhnt haben müsste. Außerdem ließen die kleinen Bleiglasscheiben keinen freien Blick auf den Canale Grande zu. In der Ferne zog ein Kreuzfahrtschiff vorbei. In ein paar Monaten würde es solchen großen Schiffen verboten sein, die Route zu befahren. Die Strömungen, die die Schiffsmotoren verursachten, destabilisierten die Fundamente der weltberühmten Stadt. Viel von Venedig war bereits unrettbar verloren, und es oblag der heutigen Generation, die noch bestehende Schönheit für die nächste zu bewahren.

Ihr Chef Alessio Orsini steckte den Kopf zur Tür herein. Seine Augen funkelten. Sofort setzte Lucia sich erwartungsvoll auf. Alessio hatte praktisch alle Wunder dieser Welt gesehen, es musste also schon etwas Außergewöhnliches sein, wenn er so aufgeregt war.

„Ich hatte gerade ein höchst interessantes Telefonat.“

Lucia winkte ihn herein. „Worum geht es denn?“

„Einen Fund – ein neues Fresko. Nun, ein altes, natürlich. Bei der Restaurierung einer Kapelle in der Toskana. Ich habe dem zuständigen Architekten gesagt, er soll sich mit dir in Verbindung setzen.“ Alessio sah auf ihren aufgeräumten Schreibtisch. „Genau richtig abgepasst, nicht wahr?“

Sie lächelte. Obwohl Alessio weit in den Siebzigern war, sah man ihn nur selten sitzen. Und er erwartete von jedem, der mit ihm zusammenarbeitete, die gleiche unbändige Energie. Ihr Interesse war sofort geweckt. Ein bisher unbekanntes Fresko wäre eine Feder, die das Komitee sich gern an den Hut stecken würde, vor allem, wenn es gelang, den Künstler zu identifizieren.

Prompt klingelte ihr Telefon, und sie nahm hastig ab. An so etwas Aufregendem hatte sie schon lange nicht mehr gearbeitet.

Ciao, Lucia.“

Die Stimme hätte sie überall erkannt. Italienisch mit einem leichten schottischen Akzent.

„Logan.“ Mehr brachte sie nicht heraus, da sie kaum noch atmen konnte. Er war der letzte Mensch, von dem sie zu hören erwartet hätte.

Logan Cascini. Die einzige wahre Liebe ihres Lebens. Als sie ihn damals in Florenz traf, war es, als wäre ein Märchen wahr geworden. Das Studium der Kunstgeschichte in Florenz hatte Lucia, die in einem sehr konservativen Elternhaus aufgewachsen war, aus ihrem Schneckenhaus gelockt. Mit Logan hatte sie tatsächlich das Gefühl gehabt, nie in einem Schneckenhaus gelebt zu haben.

Ihre Leidenschaft galt der Kunst, seine der Architektur. Vom ersten Augenblick an, als er ihr versehentlich eine Tasse Espresso über das Sommerkleid geschüttet und sich mit seinem schottischen Akzent überschwänglich entschuldigt hatte, war sie verloren gewesen. Bis dahin hatte sie noch nie einen festen Freund gehabt, aber nur drei Tage nach dem Kennenlernen waren sie zusammengezogen. Das Leben war perfekt gewesen. Er war perfekt gewesen.

Sie ergänzten sich perfekt. Mit ihm zusammen blühte sie auf und kam aus sich heraus, während sie ihn Zurückhaltung und Mäßigung lehrte. Als Spross einer italienisch-schottischen Künstlerfamilie hatte er oft erst den Mund aufgerissen und dann erst nachgedacht. Sie hatte sich schon vorgestellt, wie sie zusammen alt werden würden, doch dann war ihre Beziehung tragisch auseinandergebrochen. Die Stelle in Venedig war ihr Rettungsring gewesen, ihre Fluchtmöglichkeit. Natürlich hatte Lucia immer damit gerechnet, dass sie irgendwann beruflich aufeinandertreffen könnten. Dass das jedoch eine solche Wirkung haben würde, damit hatte sie nicht gerechnet.

Zwölf Jahre war es her, dass sie Logan Cascini verlassen hatte, und plötzlich fühlte sie sich wieder wie damals mit zwanzig.

„Ich hoffe, es geht dir gut“, hörte sie ihn sagen. „Alessio Orsini empfahl dich als die beste Wahl. Ich arbeite gerade an der Restaurierung vom Palazzo di Comparino in Monte Calanetti in der Toskana. Dazu gehört auch die Kapelle, in der Prinz Antonio von Halencia und Christina Rose demnächst ihre Trauung zelebrieren wollen. Gestern haben wir dann die Entdeckung gemacht – ein Fresko. Madonna mit Kind. Es ist einfach fantastisch, Lucia.“

Alessio hatte ihr ja gerade gesagt, dass er ihre Telefonnummer weitergegeben hatte, allerdings nicht, an wen. Logan rief also aus rein beruflichen Gründen an. Warum enttäuscht mich das?

Zwischen ihnen hatte eine solche Nähe bestanden, dass sie wohl nie ganz zerstört werden konnte. Aber Lucia hatte sich entschieden zu gehen, bevor sie sich gegenseitig zerstörten. Manche Beziehungen verkrafteten keine Tragödien.

Sie konzentrierte sich auf das, was er ihr zu sagen hatte. Jetzt, nachdem sie den ersten Schock verwunden hatte, übernahm die Professionalität. Hier ging es um Arbeit, um nichts anderes. Sie atmete tief durch.

Doch ihre Gedanken wollten ihr nicht gehorchen, und alle möglichen Fragen schossen ihr in den Kopf. Was hat er in den letzten zwölf Jahren gemacht? Ist er verheiratet? Hat er Kinder? Das Herz zog sich in ihrer Brust zusammen.

„Lucia?“ Hatte Logan bisher brüsk und sachlich gesprochen, so klang seine Stimme jetzt weicher. So wie früher, wenn er sie beruhigen oder aufmuntern wollte.

Sie räusperte sich. Ich werde Logan als Person ignorieren und mich allein auf die Arbeit konzentrieren. Die Entdeckung des Freskos könnte ihre gesamte weitere Karriere bestimmen. Höchste Zeit also, sich den Kopf auf den Schultern zurechtzurücken. „Was kannst du mir über das Fresko sagen?“

Er zögerte. „Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte.“

Seine Stimme hallte nach, er stand vermutlich in der Kapelle. Lucia kniff die Augen zusammen. Sie brauchte ihn sich gar nicht vorzustellen, wie er mit seinen breiten Schultern, dem dichten dunklen Haar und den so unglaublich sexy grünen Augen dort stand. Er war immer bei ihr, sein Bild eingebrannt in ihre Erinnerung.

Nie würde sie seinen Gesichtsausdruck nach dem Gefühlsaufruhr, der Frustration und den Tränen vergessen. Entschlossen. Endgültig.

Sie hatte gewusst, dass er ihr nicht nachkommen würde. Er mochte zwar nicht ihrer Meinung gewesen sein, aber auch ihm war klar gewesen, dass sie sich gegenseitig zerstörten.

Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, wie um den Gedanken abzuschütteln. „Beschreib mir einfach, was du siehst.“

Vom anderen Ende kam ein Seufzer. „Ich … ich kann nicht, Lucia. Es ist einfach zu überwältigend. Das muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Oder warte … gib mir deine E-Mail-Adresse. Ich schicke dir ein Foto.“

Seltsam, wie unwillig sie dieser Aufforderung nachkam. Nicht einmal diese winzige Information wollte sie ihm überlassen. Alles von sich wollte sie von ihm fernhalten, sicher verstaut hinter Schloss und Riegel.

Sie brauchte diese Sicherheit. Denn allein seine Stimme zu hören genügte, und schon fühlte sie sich verwundbar. Verletzlich. Keinem anderen war es gelungen, solche Leidenschaft in ihr zu erwecken. Vielleicht lag es daran, was sie zusammen durchgemacht hatten, dass ihre Bindung so tief gewesen war. Was auch immer … sie wollte es nicht wiederaufleben lassen. Sie hatte es überlebt, aber sie bezweifelte, dass sie die Kraft hätte, es ein weiteres Mal durchzustehen.

Ihr Postfach meldete den Eingang einer Mail. Lucia öffnete das eingegangene Foto und ließ sich gegen die Rücklehne ihres Stuhls fallen. Wow!

„Ist es angekommen?“

„Oh ja, und ob.“ Ihr ganzes Leben schon studierte sie Fresken. Die meisten waren nur schwache Abbilder des einstigen Selbst, da die Zeit ihnen massiv und teilweise irreparabel zugesetzt hatte. Nur wenige waren so gut erhalten wie das, was sie vor sich auf dem Bildschirm sah. Eine Explosion strahlender Farben, so lebendig und detailliert, dass ihr der Atem stockte.

„Verstehst du jetzt?“ Die Stimme, die durch das Telefon klang, war wie ein Streicheln auf ihrer Haut.

„Ja, ich verstehe sogar sehr gut“, erwiderte sie.

Danach folgte eine längere Pause, die Lucia nutzte, um das Bild auf ihrem Monitor genau zu studieren. Da gab es so viel zu sehen, so vieles zu entdecken. Unwillkürlich streckte sie die Finger aus und berührte das Foto auf dem Bildschirm.

„Und jetzt?“, fragte Logan.

Das war die Frage. Wie ging es jetzt weiter? „Wer ist der Besitzer?“

„Louisa Harrison. Eine Amerikanerin, die das Anwesen von einem entfernten italienischen Verwandten geerbt hat. Sie hat mich beauftragt, den Palazzo und die Kapelle für die königliche Hochzeit zu restaurieren.“

Lucia zog die Brauen zusammen. „Königliche Hochzeit?“, echote sie.

Vom anderen Ende ertönte ein Lachen. „Oh Lucia. Ich hatte vergessen, dass solche Neuigkeiten dich nicht interessieren. Die Hochzeit von Prinz Antonio von Halencia und Christina Rose. Sie ist schon in wenigen Wochen.“

„Und da arbeitest du noch immer an der Restaurierung?“ Sie wusste, dass alle von Logans Projekten Monate dauerten – Monate endloser Verhandlungen wegen der passenden Materialien und dann die unvermeidliche Suche nach den fähigsten Baumeistern.

Das Lachen war ihm vergangen, jetzt klang seine Stimme eher gepresst. „Es arbeiten über vierzig Leute für mich an dem Projekt. Und ja, das Fresko war eine Überraschung, als die Holzpanelen von der Wand herunterkamen. Alle anderen Wände waren kahl, daher hatten wir auch bei der letzten Wand nichts dergleichen erwartet.“ Er seufzte. „Es hätte nur ein oder zwei Tage dauern sollen, die letzte Wand mit dem Originalputz auszugleichen …“

Jetzt verstand sie. Eine außergewöhnliche Entdeckung … die aber Logans Terminplan völlig über den Haufen werfen konnte. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, welche Sorgen er sich jetzt machte.

Logan verpasste nie einen vereinbarten Abschlusstermin, trat nie von einem einmal geschlossenen Vertrag zurück. Zwar hatte sie nichts von dieser königlichen Hochzeit gehört, aber sie war sicher, dass die Medien ausgiebig berichtet hatten. Sollte Logan mit der Restaurierung nicht rechtzeitig fertig werden, wäre sein Ruf dahin. Vom finanziellen Schaden für ihn ganz zu schweigen. Lucia kannte zwar die Eigentümerin nicht, aber sie ging davon aus, dass es bei dem Auftrag eine Schadenersatzklausel gab für den Fall, dass der Termin nicht eingehalten wurde.

„Ich komme rüber.“ Die Worte waren heraus, bevor sie nachgedacht hatte. Sie griff nach Notizblock und Stift. „Gib mir die genaue Adresse. Ich arrangiere noch heute alles für die Reise.“ Währenddessen schrie ihr Verstand: Himmel nein, was machst du denn da?

„Du willst herkommen?“ Er klang mehr als nur erstaunt … ungläubig.

Ihr Magen zog sich zusammen. Logan hatte offensichtlich ebensolche Bedenken hinsichtlich eines Wiedersehens wie sie. Aber warum sollte es nach zwölf Jahren immer noch wehtun?

Und auch Logan hatte sich schnell wieder gefasst. „Mail mir die Flugdaten, dann schicke ich jemanden, der dich abholt.“

Lucia entging nicht, dass er nicht anbot, sie persönlich abzuholen. Zwar war sie allein in ihrem Büro, dennoch zog die Maske, die sie in bestimmten Situationen aufsetzte – zum Beispiel, wenn zu persönliche Fragen gestellt wurden oder Partner andeuteten, man solle die Beziehung auf die nächste Stufe heben – wie von allein auf ihre Züge.

Selbstschutz. Die einzige Möglichkeit, das hier hinter sich zu bringen. „Alles klar, ich schicke dir die Daten per E-Mail“, erwiderte sie knapp und legte auf.

Innerhalb kürzester Zeit hatte sie online einen Flug gebucht. Alessio wäre absolut begeistert über diese Entdeckung. Es sei denn natürlich, das Fresko war eine Fälschung und alle Aufregung umsonst.

Es klang jedoch nicht nach einer Fälschung. Eine Wandmalerei, viele Jahre hinter Holz versteckt, in einer Kapelle auf Privatbesitz. Auch wenn Lucia es nur ungern zugab, Logan hatte genügend Erfahrung, um eine Fälschung sofort zu erkennen.

Inzwischen war es fünf Uhr nachmittags. Ihr Flug ging sehr früh am nächsten Morgen, und sie musste noch packen. Sie informierte die Gemeinschaftssekretärin über ihre Pläne für die nächsten Tage, kehrte zurück in ihr Büro und verschloss die Fenster.

Venedig. Hier hatte sie sich in den letzten Jahren ein neues Leben aufgebaut. Hier hatte sie sich sicher gefühlt – mit gutem Job und schickem Apartment. Lucia war eine selbstbewusste, erfolgreiche Frau, aber bei der Vorstellung an das Wiedersehen mit Logan in der Toskana kam sie sich wieder vor wie ein Teenager.

Sie ging zum Regal und zog einige Bücher und Ordner heraus, die sie mitnehmen wollte. Sie enthielten detaillierte Beschreibungen und Illustrationen aller bekannten Fresken. Einige dieser Künstler hatten auch in der Toskana gelebt. Mit den zur Verfügung stehenden Illustrationen konnten sie Stilvergleiche anstellen. Nachdem sie den Anrufbeantworter eingeschaltet hatte, verließ Lucia ihr Büro.

Sie war Expertin auf ihrem Gebiet, darum hatte man sie dazugeholt. Sie würde sich ganz professionell geben und zuversichtlich sein. Für Logan musste die Situation ebenso unangenehm sein wie für sie. Wenn sie sich nichts anderes als ihre Karriere vor Augen hielt, sollten sich die nächsten Tage überstehen lassen.

Wenn das nicht reichte … wusste sie nicht, was sonst noch helfen könnte.

2. KAPITEL

Mit dem roten Hartschalenkoffer in der Hand stieg Lucia aus dem Flugzeug. Während des Flugs hatte sie anhand ihrer Materialien versucht, eine Liste von Künstlern zu erstellen, die als Maler des Freskos infrage kamen.

Der Stil kam ihr bekannt vor. Aber über die Jahrhunderte hatte es unzählige Freskenmaler gegeben. Oft war das Baudatum des jeweiligen Gebäudes eine große Hilfe, aber die Erbauung des Palazzo di Comparino ging Jahrhunderte zurück und das genaue Datum war unbekannt, das der Kapelle musste noch weiter zurückliegen.

Der Flughafen war ein Privatflughafen und gehörte irgendeinem hiesigen Multimillionär, daher wartete der Wagen, der sie abholte, bereits am Rand des Rollfelds auf sie. Lucia begrüßte den Chauffeur mit einem Nicken und einem Grazie, als er ihren Koffer einlud. „Wenn Sie mich bitte zum Hotel di Stelle bringen …“

„Nein, Signorina. Im Palazzo di Comparino hat man ein bereits ein Zimmer für Sie hergerichtet.“

Ihr Magen verkrampfte sich. Sie hatte unmissverständlich klargemacht, dass sie selbst für ihre Unterbringung sorgen würde. Mit Logan zu arbeiten, war eine Sache, mit ihm unter einem Dach zu wohnen, wenn auch nur für ein paar Tage, eine ganz andere. „Ich bestehe darauf, im Hotel zu wohnen. Würden Sie also bitte meinen Koffer dorthin bringen.“

Der Chauffeur glitt stumm lächelnd hinter das Steuer, nachdem Lucia in den Wagen gestiegen war. Schon bald flog die Landschaft der Toskana an ihnen vorbei. Die kurvige Straße wand sich durch grüne Hügel, vorbei an dichten Olivenhainen und endlosen Rebenreihen, die sich bis an den Horizont erstreckten. Die Toskana war berühmt für ihre feinen Weine und ihr Olivenöl.

Autor

Scarlet Wilson
<p>Scarlet Wilson hat sich mit dem Schreiben einen Kindheitstraum erfüllt, ihre erste Geschichte schrieb sie, als sie acht Jahre alt war. Ihre Familie erinnert sich noch immer gerne an diese erste Erzählung, die sich um die Hauptfigur Shirley, ein magisches Portemonnaie und eine Mäusearmee drehte – der Name jeder Maus...
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