Märchenhochzeit in der Toskana

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Eine romantische Märchenhochzeit war immer Christinas größter Traum. Stattdessen tritt sie jetzt in Monte Calanetti für eine Scheinehe mit Prinz Antonio vor den Altar - weil es die einzige Möglichkeit ist, einen Skandal bei Hofe abzuwenden! Aber warum spürt sie dann dieses erregende Prickeln, als Antonio sie küsst, um ihr Arrangement zu besiegeln? Tag und Nacht mit ihm zusammen, fühlt sie sich bald immer mehr zu ihm hingezogen. Doch kaum gesteht sie sich ein, dass sie tatsächlich ihr Herz an ihn verloren hat, droht eine gemeine Intrige ihr junges Glück zu zerstören …


  • Erscheinungstag 28.03.2017
  • Bandnummer 0007
  • ISBN / Artikelnummer 9783733708276
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

August, Monte Calanetti, Italien

Der mannshohe Spiegel zeigte eine Braut wie eine Prinzessin, in einem wunderschönen, mit Perlen bestickten weißen Kleid, das die weiblichen Kurven der schlanken Gestalt perfekt zur Geltung brachte. Das Kleid wog gute fünfzehn Kilo, aber ihre Größe von nahezu ein Meter achtzig half ihr, es mit majestätischer Würde zu tragen.

Die filigrane, mit Saphiren besetzte Tiara – das „Etwas Geborgtes“ und „Etwas Blaues“ – hatte die Königin, ihre zukünftige Schwiegermutter, Christina überlassen. Das Schmuckstück hielt die von den Nonnen geklöppelte Spitzen-Mantilla auf ihrem Haar. Angefangen von der Spitze über dem rot-goldenen Haar bis hin zu den Satin-Pumps an ihren Füßen bot Christina ein … ein hübsches Bild.

„Ich fühle mich tatsächlich wie eine Braut“, wisperte sie erstaunt. „Das kann doch gar nicht ich sein.“ Die Verwandlung kam einem kleinen Wunder nahe.

Christina Rose, Braut des Kronprinzen von Halencia, Antonio de l’Accardi, drehte sich erst zur einen, dann zur anderen Seite und dachte dabei an die Zeit, als sie „hässliches Entlein“ und „Pummelchen“ genannt worden war.

Vom Teenageralter bis zu ihrem achtundzwanzigsten Lebensjahr hatte sie mit diesen unschmeichelhaften, hinter vorgehaltener Hand geflüsterten Kommentaren leben müssen. Ohne dass sie sie je mit eigenen Ohren gehört hätte. Seit Christina erwachsen war, widmete sie den Löwenanteil ihrer Zeit Wohltätigkeitsprojekten und hielt damit den Namen ihrer bekannten Familie hoch. Aber sie wusste genau, dass es das war, was die Leute über sie dachten.

Diese Narben verdankte sie ihren Eltern. Von Geburt an war sie Nannys und Erzieherinnen überlassen worden. Ihre gesamte Kindheit hindurch hatte ihr Vater sie immer wieder mit verletzenden Sticheleien gekränkt und sie mit ihren Freundinnen verglichen. „Warum muss unsere Tochter ein solch schwerfälliges Pummelchen sein?“, hatte sie ihn einmal zu ihrer Mutter sagen gehört. „Warum haben wir nur keinen Jungen?“ Für den ersehnten Sohn hatten sie bereits den Namen Christopher ausgewählt, der dann natürlich für die Tochter abgeändert werden musste. So war sie zu ihrem Namen gekommen. Die herzlosen Kommentare ihres Vaters hatten tiefe Wunden geschlagen, vor allem da ihre Mutter früher zur Riege der Supermodels gehört hatte.

Christina verstand nicht, wie ihr Vater derart verletzende Dinge über seine Tochter sagen konnte, schließlich liebte sie ihre Eltern von ganzem Herzen und tat alles, um ihre Anerkennung zu gewinnen. Aber mit ihrem rotbraunen Haar, das sie stets zum Pferdeschwanz zusammengebunden trug, und den ungeraden Zähnen, die dringend der Korrektur bedurft hätten, war sie wohl eine Peinlichkeit für ihre Eltern, die in den höchsten politischen und gesellschaftlichen Kreisen Halencias verkehrten.

Um sich dieser nicht aussetzen zu müssen, hatten sie die übergewichtige Tochter auf ein exklusives Mädcheninternat in der Schweiz geschickt. Es war Christinas größter Kummer gewesen, so weit von zu Hause und ihrer Familie zu leben. Aber ihr Vater wollte sie einfach nicht in der Nähe haben, da der Großteil seiner Welt daraus bestand, Größen aus Politik und Gesellschaft mit Cocktailabenden und Dinnerpartys zu beeindrucken, wozu auch die königliche Familie von Halencia gehörte. Ohne deren Tochter Elena, die ebenfalls das französischsprachige Internat in Montreux besuchte und ihre beste Freundin wurde, hätte Christina die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit dort niemals überstanden.

Elena trug offiziell den Titel „Prinzessin“, hatte ihn in der Schule aber nie benutzt. Und sie hatte sich auch nie verhalten, als fühle sie sich Christina aufgrund ihres Status überlegen. Im Gegenteil, sie war eher ein Wildfang, dazu sah sie genauso gut aus wie ihr älterer Bruder, Kronprinz Antonio de l’Accardi. Das Volk liebte und verehrte ihn, und alle Mädchen und Frauen schwärmten für ihn. Auch Christinas Herz gehörte ihm, von dem Augenblick an, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

Elena hielt sich nicht immer an die Regeln. Zum Beispiel traf sie sich öfter mit ihrem Freund zum Schlittschuhlaufen, ohne dass die Direktorin davon erfuhr. Oder sie stahl sich heimlich mitten in der Nacht zu nächtlichen Ruderbootsfahrten über den See davon. Oder sie schlich aus dem Internat und ließ sich von ihrem Freund in dem schnittigen Lamborghini, den seine reichen Eltern ihm geschenkt hatten, zu einem Ausflug nach Genf kutschieren.

Christina hatte sich immer gewünscht, sie wäre ebenso couragiert und selbstsicher wie die Freundin. Wenn die königliche Familie zusammen einen der vielen Familienurlaube verbrachte, vermisste Christina die Freundin jedes Mal ganz schrecklich. Aber so entwickelte sich mit der Zeit auch eine enge Freundschaft mit der eher stillen Marusha aus Kenia. Marusha war von ihrem Vater, dem prowestlich eingestellten Häuptling eines Kikuyu-Stamms, in die Schweiz geschickt worden, um eine gute, an westlichen Standards orientierte Ausbildung zu erhalten. Sie litt ebenso an Heimweh wie Christina, und so trösteten sich die beiden Mädchen gegenseitig. Mit achtzehn war Christina nach Kenia geflogen, und Marusha hatte ihren Vater überredet, der Freundin zu erlauben, sich vor Ort wohltätig zu betätigen.

Christina gründete eine Stiftung in Halencia, die sich um die Finanzen und Verwaltung kümmerte. Sie selbst übersiedelte nach Afrika, um anderen Menschen ihre Hilfe zukommen zu lassen. Ihr war klar, dass es ihr an einem Ort weit entfernt von zu Hause besser gehen würde. Hier konnte die Unzufriedenheit ihrer Eltern sie wenigstens nicht verletzen …

Ein Klopfen riss Christina aus den Gedanken.

„Scusi“, vernahm sie die männliche Stimme vom Korridor her, die sie seit dem letzten Telefonat vor zwei Monaten nicht mehr gehört hatte. „Ich suche Christina Rose. Ist sie da?“

Was macht Antonio vor der Tür der Hochzeitssuite?

In Panik eilte Christina hinter den Paravent. Sie war hierhergekommen, um allein zu sein. Außerdem hatte sie ein letztes Mal überprüfen wollen, ob mit ihrem Brautkleid alles in Ordnung war. Aber wenn er sie vor der Hochzeit im Brautkleid sah … das brachte Unglück!

„Christina ist nicht hier, signor“, sagte sie daher mit verstellter Stimme.

„Oh, ich glaube schon, dass sie hier ist.“ Sie hörte das Lachen in seiner Stimme. „Ich glaube sogar, dass du selbst es bist, die mir einen Streich spielen will.“

Das Blut schoss ihr in die Wangen. Ertappt! „Auf jeden Fall kannst du nicht hereinkommen.“

„Das ist die Christina, die ich kenne. Schüchtern und vom eigenen Schatten verängstigt. Aber ist das eine Art, seinen zukünftigen Ehemann zu begrüßen?“

„Geh weg, Antonio. Solltest du nicht in der Kapelle sein?“

„Mehr hast du mir nicht zu sagen, nachdem ich Tausende von Meilen geflogen bin, um mit meiner Verlobten zusammen zu sein?“

Den antiken Verlobungsring, einen Vierkaräter in einer goldenen Fassung aus der Schatzschatulle der königlichen Familie, hatte man ihr vor vier Jahren überreicht. Sie hatte das Ritual damals aus den hehrsten Gründen mitgemacht, aber es war der blanke Horror für sie gewesen. Ihre Eltern waren natürlich überglücklich gewesen, dass sie sich den Kronprinzen geangelt hatte. Ein einziges Mal also war es ihr gelungen, die volle Aufmerksamkeit der beiden zu erlangen. Dass sie die Tochter plötzlich mit ganz anderen Augen sahen, hatte Christina geholfen, die Hochzeitsvorbereitungen in Angriff zu nehmen.

Sobald Antonio jedoch nach Amerika zurückgeflogen war, hatte sie den Ring in einem Bankschließfach hinterlegt. Schließlich wäre es absolut undenkbar, wenn sie ihn in Afrika beschädigte oder gar verlor. Hervorgeholt hatte sie ihn nur zu den wenigen Anlässen, bei denen sie und Antonio zusammen in Halencia auftreten mussten. Im Moment lag er sicher verwahrt in ihrer Handtasche. Christina hatte sich nie als Verlobte gefühlt. Sie wusste, dass Antonio ebenso vor der Verbindung grauste wie ihr, aber er war ein zu ehrenhafter Mann. Und daher blieb auch ihr nichts anderes übrig, als die Abmachung zu erfüllen, die sie beide um Elenas willen getroffen hatten.

„Ich hätte nie glaubt, dass dieser Tag tatsächlich kommt.“

Antonio war in San Francisco geblieben und hatte sich ums Geschäftliche gekümmert. Die Presse hatte sich an seine Fersen geheftet, jeden seiner Schritte verfolgt und wusste, dass er seit der Verlobung nur wenige Male mit seiner Braut zusammen gewesen war. Jedes Mal, wenn sie aus Afrika zurückgekommen war, war auch er nach Hause geflogen, um sich mit ihr sehen zu lassen. Damit stützten sie die Illusion, dass sie hoffnungslos ineinander verliebt wären und der Hochzeit entgegenfieberten.

„San Francisco ist weit weg von Halencia, Christina. Ich weiß, ich hätte früher kommen sollen.“

„Und ich weiß, dass du mit deinem Unternehmen in Silicon Valley verheiratet bist. Dagegen kommt keine Verlobte an.“ Genau wie sie wusste, dass ihm die schönsten Frauen zu Füßen lagen und sich an seiner Aufmerksamkeit erfreuten, denn es kümmerte ihn nicht, dass er mit ihr verlobt war.

„Du möchtest doch einen erfolgreichen Mann heiraten, oder? Wir hatten eine Abmachung getroffen – wegen Elena.“

Natürlich. Diese Abmachung war ihr gemeinsames Geheimnis. Niemand ahnte, wie Christina es geschafft hatte, sich einen so dicken Fisch zu angeln. In den Medien hieß sie nur noch die „Cinderella-Braut“.

„Ich weiß, Antonio, und ich gedenke auch, sie einzuhalten. Aber keine Sekunde eher, bis ich in die Kapelle herunterkommen muss. Hast du nichts anderes zu tun?“

„Doch, das tue ich ja gerade. Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich ein kleines Geschenk für dich aufs Bett lege? Ich verspreche auch, dass ich dich nicht ansehe und sofort wieder hinuntergehe.“

„Ich brauche keine Geschenke.“ Sie wusste, wie undankbar und barsch das klang, aber sie konnte nicht anders. Noch nie im Leben war sie so nervös gewesen.

„Es ist die Brosche deiner Familie, die die Bräute der Rose-Familie zur Hochzeit tragen, damit die Ehe von Glück gesegnet ist. Ich habe die herausgefallenen Steine ersetzen lassen und sie erst heute vom Juwelier zurückerhalten.“

Die Brosche?

Ihr ganzes Leben schon kannte Christina die Geschichte der Brosche. Das Schmuckstück, das ein Glücksbringer sein sollte, war lange verschollen gewesen. Sie hatte ihre Hochzeitsplanerin Lindsay gebeten, es aufzutreiben. Allerdings war die Suche nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Zumindest hatte Sofia, ihre Tante väterlicherseits, während der gesamten Hochzeitsvorbereitungen kein Wort davon erwähnt. Warum hat sie sie mir nicht persönlich gegeben? Und woher hat Antonio die Brosche jetzt auf einmal?

„Danke, dass du sie mir bringst“, erwiderte sie leise. „Es bedeutet mir viel.“ Wahrscheinlich mehr, als er ahnte. Ein Talisman, der innerhalb der Rose-Familie weitergegeben wurde. Jetzt war sie bereit.

„Mir bedeutet es auch viel, dass du sie hast. Ich möchte, dass dieser Tag perfekt für dich ist.“

Seine Geste berührte sie tief. Sie hörte die Tür gehen. Wenn er nur die Brosche aufs Bett legte, müsste sie gleich das Klicken des Schlosses hören, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.

„Wartest du mit angehaltenem Atem darauf, dass ich wieder gehe, bellissima?“

Bellissima. Nein, sie war nicht schön, aber so, wie er es aussprach, fühlte sie sich plötzlich schön. Aber heute war schließlich der Tag ihrer Hochzeit. Vermutlich wollte er sie für sich einnehmen, auf eine Art, die er bestens verstand. Sie zweifelte nicht daran, dass er in dieser Hinsicht erfahren war.

Jetzt hörte sie ihn leise lachen. „Wir müssen uns keine Sorgen machen, es ist schließlich keine echte Heirat.“

Sie holte tief Luft, bis ihr klar wurde, dass er sie absichtlich neckte. „Gerade, weil es keine echte Heirat ist, können wir alles Glück gebrauchen, das wir bekommen. Also, bitte, geh endlich, bevor du mit deiner Anwesenheit noch die Zeremonie verhext.“

„Moment noch, per favore. Die Hochzeitssuite gefällt mir. Vom Balkon aus sieht man über ganz Monte Calanetti. Sehr pittoresk. Du musst eine sehr romantische Ader haben, da du den Palazzo di Comparino für unsere Hochzeit gewählt hast. Eingenestelt in die Hügel der Toskana, umgeben vom grünen Meer der Rebstöcke. Ich könnte mir keinen hübscheren Ort vorstellen, um das Gelübde abzulegen.“

„Nachdem du jahrelang gleich neben den Weinbergen von Napa Valley in Kalifornien gelebt hast, glaube ich kaum, dass die Landschaft hier noch einen besonderen Reiz für dich besitzt. Vermutlich sollte ich dir dankbar sein, dass wir die Hochzeit hier abhalten und nicht in der Kathedrale von Voti. Und jetzt … würdest du bitte endlich gehen, damit ich mich anziehen kann?“

Christina war also noch immer so verletzlich und unsicher wie eh und je. Antonio wurde ernst. „Falls es dir ein Trost ist … es tut mir sehr leid, dich in diese Position gebracht zu haben.“

Nach langem Schweigen erwiderte sie mutlos: „Mach dir deshalb keine Gedanken. Es ist ja nicht so, als hätte ich unzählige andere Anträge ablehnen müssen.“

Die Bemerkung verriet ihren Konflikt, den gleichen Konflikt, der auch ihn quälte. Ein Teil von ihm wünschte sich, er könnte sich einfach Hals über Kopf verlieben. Wäre er doch nur ein normaler Bürgerlicher, so wie sein Trauzeuge und Freund Zach. Zach konnte die Frau heiraten, der sein Herz gehörte. Diese Option hatte er nicht. Christina musste ganz ähnlich fühlen, das erhöhte sein Schuldgefühl nur. Doch jetzt war es zu spät und nicht mehr aufzuhalten. In einer Stunde wären sie verheiratet, und Antonio war fest entschlossen, ein guter Ehemann zu sein.

„Denk immer daran, dass wir das für Elena tun“, erinnerte er sie. Vielleicht munterte sie dieser Gedanke ein wenig auf. „Sie müsste gleich hier sein, um dich zur Kapelle zu führen.“ Für einen Moment schloss er die Augen. „Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass ich dich mehr bewundere als jede andere Frau, die ich kenne?“

„Nein, das hilft mir nicht. Tausende Frauen haben politische Bündnisse geschlossen, als Ehen kaschiert. Und wir beide dachten, dass unsere Verlobung niemals so lange hält. Das war wirklich nicht geplant. Ich hatte damit gerechnet, dass du nach Afrika kommst, um mir persönlich zu sagen, dass wir das nicht bis zu Ende durchziehen müssen.“

„Das Ganze ist außer Kontrolle geraten. Die Medien haben es auf die Spitze getrieben, und Vaters Stabschef Guido hat mich angefleht, dich so schnell wie möglich zu heiraten. Das Volk ist die Regentschaft meiner Eltern leid. Jetzt muss unsere Ehe für den Erhalt der Monarchie geschlossen werden, man fürchtet ernsthaft um deren Bestand.“

„Das ist mir klar. Du sollst König werden, und als König brauchst du eine Königin. Gerade deshalb möchte ich dich bitten, keine leeren Floskeln zu benutzen.“

„Ich wollte dir nur ein Kompliment zollen.“

„Ich bin froh, dass ich helfen konnte, den Ruf deiner Schwester zu retten – und jetzt auch die Monarchie, aber ich brauche keine Komplimente. Deine Schwester hat sich wieder gefangen. Sie ist mit einem Mann zusammen, der sie mit Respekt behandelt. Da müssen wir kein unnötiges Theater mehr spielen.“

Antonio hatten bereits Zweifel gequält, als er zur Hochzeitssuite gekommen war. Christinas Bemerkung goss nur noch Öl ins Feuer. Er legte das kleine samtene Kästchen mit der Brosche aufs Bett, zog leise die Tür hinter sich zu und ging den langen Korridor des Palazzo entlang.

Sein bester Freund Zach wartete einen Stock tiefer in seinem Zimmer. Bisher waren gut einhundertfünfzig Gäste angekommen, einschließlich seiner Eltern mit ihrer Entourage. Die kleine intime Hochzeit, die Christina sich gewünscht hatte, war unvermeidlich zum Staatsakt geworden.

Kennengelernt hatte Antonio Christina in der Schweiz bei einem Besuch seiner Schwester. Elena hatte jedes Mal darum gebeten, ihre Zimmergenossin mit auf die Ausflüge oder zu den Dinnern zu nehmen. Zwar hatte Antonio in Christina stets nur Elenas leicht füllige Freundin gesehen, aber sie war beherrscht und vernünftig und wahrscheinlich das netteste Mädchen, das er kannte. Der gute Eindruck war noch gewachsen, als sie ihn vor vier Jahren mitten in der Nacht wegen Elena anrief.

Elena war zusammen mit ihrem damaligen Nichtsnutz von Freund wegen Drogenbesitzes festgenommen worden. Der Fehler seiner Schwester hätte einen weiteren königlichen Skandal in den Medien bedeutet, und das zusätzlich zu seinen so oder so schon skandalträchtigen Eltern. Man hätte Elena in der Luft zerrissen, es hätte das Ende der Monarchie bedeuten können. Doch dank Christinas schneller Reaktion hatte er Gelegenheit, das Schlimmste zu verhindern und das Interesse der Öffentlichkeit auf etwas ganz anderes zu lenken. Er überzeugte Christina nämlich davon, dass die Presse sich viel begieriger auf die Verlobung des Kronprinzen stürzen und so von Elena und der Familie abgelenkt würde.

Es bedurfte einiger Überredungsarbeit. Doch am Ende erklärte Christina sich bereit, nach Halencia zu kommen und seine Verlobte zu werden, denn sie liebte Elena. Außerdem waren sie beide davon ausgegangen, dass diese Verlobung nicht von langer Dauer wäre und sie anschließend wieder getrennter Wege gehen würden.

Kaum jedoch war die Neuigkeit heraus, änderte sich alles schlagartig. Elenas Problem schrumpfte zur kompletten Nichtbeachtung im Schatten der großen Nachricht. Stattdessen stilisierten die Medien die bis dahin völlig unbekannte Christina Rose zur „Cinderella-Braut“ des Kronprinzen und nahmen sie fortan genauestens unter die Lupe. Aber nicht nur das, es wurden Forderungen nach einer königlichen Hochzeit laut, und Guido bestand darauf, dass sie schnell vonstattenging.

Antonio kannte den Grund dafür. Die Akzeptanz der Monarchie sank rapide. Das Königspaar geriet immer heftiger unter Beschuss für seinen extravaganten Lebensstil, gespickt mit Skandalen und Skandälchen. Es hieß sogar, das Paar würde sich aus der königlichen Schatulle bedienen, um private Launen zu finanzieren. Inzwischen eilte auch Elena der zweifelhafte Ruf eines wilden, verschwenderischen Party-Girls voraus. Die Rufe, der König solle abdanken, wurden immer lauter …

Während Antonio also in den USA sein Studium abschloss und sein Geschäft aufbaute, lief in seiner Heimat vieles falsch. Erstaunlicherweise sah das Volk trotz seiner langen Abwesenheit in ihm die Rettung. Damit erlosch Christinas Hoffnung, die Verlobung würde nicht lange dauern. Genau wie seine.

Guidos drängende Telefonate hatten alles geändert, und Antonio saß in der Falle.

In dem Zimmer im zweiten Stockwerk des Palazzo, das für den Bräutigam reserviert war, empfing Zach ihn mit einem erleichterten „Da bist du ja!“ und reichte ihm einen Umschlag. „Ein Brief von deinem Vater.“

Antonio öffnete den Umschlag, las den Brief und steckte ihn dann in seine Tasche. Was sollte das? Da schenkten seine Eltern ihm eine Hochzeitsreise, um die er nicht gebeten hatte und für die zudem bestimmt die Steuerzahler des Reiches aufkamen. Ablehnen konnte er schlecht, aber das würde das letzte Mal sein, dass öffentliche Gelder für die Launen der königlichen Familie verschwendet wurden!

„Es wird Zeit“, sagte Zach. „Du musst dich fertig machen. Lindsay hat alles bis auf die Sekunde geplant.“

Antonio musterte seinen Trauzeugen. „Ich musste Christina noch die Brosche bringen, damit sie sie zur Zeremonie tragen kann.“

„Wie ist das gelaufen?“

„Nun, sie hat sich hinter dem Paravent versteckt und mir mehr oder weniger gesagt, ich solle verschwinden.“ Angesichts dessen, was sie im Zuge dieser Hochzeit hatte durchmachen müssen, verwunderte ihn das auch nicht.

„Das ist nur das übliche Nervenflattern einer Braut, glaub mir. Christina war herzlich und freundlich, als Lindsay und ich mit ihr bei der Anprobe waren.“ Zach half dem Freund mit der mitternachtsblauen königlichen Uniformjacke.

Antonio war da anderer Meinung. „Sie ist keineswegs glücklich darüber, dass die Hochzeit tatsächlich stattfindet.“

Zach legte Antonio die hellblaue Schärpe über die Schulter. „Christina ist schon ein großes Mädchen, Antonio. Ganz gleich, wie viel ihr an Elena liegt … sie hätte der Verlobung mit dir niemals nur aus einem bizarren Pflichtgefühl zugestimmt, wenn sie sie tief in ihrem Innern nicht auch so gewollt hätte. Und sie ist auch nicht der Typ, der eine einmal gegebene Zusage zurückzieht.“

Der angehende Bräutigam schnitt eine Grimasse. „Ich weiß. Obwohl sie jedes Recht dazu hätte. Als ich eben mit ihr gesprochen habe, lag solche Mutlosigkeit in ihrer Stimme.“ Er hatte ihren Schmerz in seinem Innern gespürt. Aber er war entschlossen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit sie glücklich wurde.

„Ihr habt wohl beide den Willen des Volkes unterschätzt“, meinte Zach. „Das Volk wünscht dich als neuen Herrscher.“

„Nur hat sie nie darum gebeten, das alles mitmachen zu müssen“, entgegnete Antonio. Er hatte das Gefühl, dass da riesige Probleme heranzogen.

„Dann setz eben dein geniales Hirn ein und finde einen Weg, um die Ehe wie unbekanntes Territorium zu erobern. Geh es genauso an, wie du ein Problem mit deiner Arbeit angehen würdest. Denk gründlich darüber nach, betrachte es von jedem möglichen Blickwinkel aus, bis du die Lösung gefunden hast.“

„Danke für den Rat, Zach.“ Aber er konnte Christina nicht wie ein Arbeitsproblem angehen. Christina war kein Problem, sondern ein Mensch, der sich für eine Freundin opferte. Das flößte ihm maßlose Demut ein. Solche Loyalität war extrem selten. Und er fragte sich, ob er eine Frau von solcher Opferbereitschaft überhaupt wert war, selbst wenn dieser Akt der Selbstaufgabe sie in die höchsten Ränge des Königreiches katapultierte.

„Alles in Ordnung?“ In Zachs Blick lag Mitgefühl.

Antonio holte tief Luft. „Das muss es sein, ob ich will oder nicht. Dank deiner Hilfe konnte ich ihr zumindest die Brosche überreichen. Dafür kann ich dir nicht genug danken.“

„Du weißt, für dich tue ich alles.“

Ein Klopfen an der Außentür ließ beide Männer den Kopf wenden.

„Tonio …“, nur seine Schwester nannte ihn so. „… es wird Zeit.“

„Ja, ich komme sofort.“

„Du weißt hoffentlich, wie sehr ich dich liebe, großer Bruder. Bitte, sei glücklich, denn du heiratest das netteste Mädchen auf der ganzen Welt.“

„Daran musst du mich nicht erinnern, geliebte Schwester.“ Seit Christina sich zu der Verlobung mit ihm bereit erklärt hatte, stand sie für ihn als strahlende Figur auf einem Podest. Und in fünfzehn Minuten würde sie das Mittelschiff der Kapelle entlang auf den Altar zukommen, um seine unglückliche Ehefrau zu werden. Er sah zu Zach. „Ich bin so weit.“

„Hoheit, du siehst großartig aus.“

„Ich wünschte, ich würde mich auch so fühlen. Lasst uns gehen.“

Nach einem kurzen Klopfen trat Elena in die Hochzeitssuite zu Christina. Sie sah hinreißend aus in dem roten Chiffonkleid und mit der kleinen Tiara, die sie auf dem modisch kurz geschnittenen, blonden Haar trug.

„Oh, du siehst aus wie die Prinzessin, die jedes kleine Mädchen sein will“, rief Christina leise.

„Du auch. Die Tiara, die Mutter dir überlassen hat, scheint allein für dich gemacht worden zu sein.“ Elena ließ den Blick prüfend über die Freundin wandern. „Du siehst absolut überwältigend aus. Heute werden alle Augen bewundernd auf dir liegen, chère sœur.“ Tränen ließen Elenas Augen feucht schimmern. „Meinem Bruder wird es die Sprache verschlagen, sobald er dich sieht. Dein Haar … es glänzt wie rotes Gold.“

„Ich habe mir Strähnchen ziehen lassen.“

„Und du hast dir auch die Zähne richten lassen. Warum hast du das nicht schon viel früher getan?“

„Wahrscheinlich umgekehrter Snobismus. Jeder sagte doch, ich sähe erbarmungswürdig aus. Warum also dieses Image dann nicht pflegen? Ich wusste, wie sehr es meine Eltern ärgerte, und mich hat es geärgert, dass sie mich nicht akzeptieren, wie ich bin. Aber sobald das Hochzeitsdatum feststand, war mir klar, dass ich so etwas wie eine Botschafterin sein soll. Antonio hat nur das Beste verdient, deshalb habe ich an mir gearbeitet. Bis vor einem Monat noch habe ich nie Geld für mich selbst ausgegeben. Es schien mir nicht richtig, wenn so viele Menschen auf der Welt nicht einmal genug zu essen haben.“

„Oh Christina.“ Elena schüttelte traurig den Kopf. „Ich fand schon immer, dass du hübsch bist, aber jetzt siehst du schlicht hinreißend aus. Wenn die Mädchen aus dem Internat dich sehen könnten … sie würden dich alle beneiden.“

„Unsinn!“ Vor Verlegenheit wurde Christina rot.

„Ich meine das ernst. Du hast abgenommen und eine ganz großartige Figur. Und mit deiner Größe – um die ich dich ehrlich beneide – siehst du aus wie eine Königin. Lindsay hat das perfekte Kleid für dich gefunden, und du trägst ja auch die Brosche …“

„Sie ist schon seit Generationen im Besitz unserer Familie. Sie soll Glück bringen. Antonio hat sie mir vorhin erst gebracht. Glaubst du, dass ich sie an der richtigen Stelle angesteckt habe?“

„Direkt über dem Herzen, genau da, wo sie hingehört. Du siehst so rein und perfekt aus … und das bist du ja auch.“

Christina senkte den Blick. „Du weißt, dass ich es nicht bin.“

„Ich weiß, wie sehr deine Eltern dich verletzt haben. Aber lass nicht zu, dass sie dein Selbstwertgefühl zerstören. Eines Tages werden auch sie begreifen, dass du das Juwel in ihrer Krone bist. Ich habe dir das noch nie gesagt, aber … die ganze Zeit, als wir im Internat waren, habe ich gehofft, dass Antonio dich zur Frau wählen wird.“

Ich auch. Sich selbst konnte Christina das eingestehen, aber sie würde es niemals laut zugeben.

„Du bist mir zu der Schwester geworden, die ich nie hatte“, fuhr Elena fort. „Deine Freundschaft bedeutet mir so viel, mehr, als du je ahnen kannst.“

„Das kann ich aus tiefstem Herzen zurückgeben“, sagte Christina mit bebender Stimme.

„In jener fürchterlichen Nacht, als ich dich angerufen habe, weil Rolfe wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde … ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich bin überzeugt, dass es vom Schicksal vorbestimmt war, dass du dann Tonio benachrichtigt hast. Und jetzt wirst du seine Frau, um meinen Ruf zu retten.“ Tränen stiegen in Elenas Augen. „Du musst mir versprechen, dass du glücklich wirst, Christina. Tonio ist der Beste überhaupt, wenn du ihm eine Chance gibst.“

Christina ergriff Elenas Hände. „Das weiß ich, er war in Montreux immer gütig und nett zu mir. Und aus Bruderliebe bringt er dieses Opfer für dich, was Loyalität und Nächstenliebe auf ein ganz neues Level hebt. Er tut es für seine Familie und sein Vermächtnis. Dafür muss man ihn bewundern!“

„Aber ich wünsche mir so, dass du ihn lieben lernst“, wisperte Elena.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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