Berauscht von dieser einen Nacht

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Sie geht ihm nicht mehr aus dem Kopf! Dabei hat Harrison schon oft Mädchen wie Gracie getroffen - und meist wollten sie nur eines: sein Geld. Dennoch bezaubert sie den Millionär. Er träumt von heißen Nächten mit Gracie - wenn er nur wüsste, ob er ihr wirklich vertrauen kann …


  • Erscheinungstag 05.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716110
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Gracie Sumner stammte aus einer Familie, in der die Frauen seit Generationen als Kellnerinnen arbeiteten. Ihre Mutter hatte drei Jahrzehnte lang für eine beliebte Restaurantkette gearbeitet, und ihre Großmutter leitete einst die Bar eines glamourösen Diners am Broadway. Schon ihre Ur-Ur-Urgroßmutter hatte in einem Saloon in Denver die Zugpassagiere auf deren Weg in den Westen begrüßt.

Durch ihren Job in dem Vier-Sterne-Café Destiné in Seattle brachte Gracie es in ihrer Familie vielleicht zu etwas mehr Ansehen, aber ihr Instinkt und ihre Fähigkeiten als Kellnerin waren genauso in ihrer DNA verankert wie ihr goldbraunes Haar und ihre braunen Augen.

Und dieser Instinkt sagte ihr, dass der silberhaarige Herr an Tisch fünfzehn an etwas mehr als nur dem Pot-au-feu interessiert war.

Er war zum Ende ihrer Mittagsschicht gekommen und hatte sich in ihren Servicebereich setzen lassen. In der Unterhaltung mit ihm beschlich sie das Gefühl, dass er sie bereits kannte. Aber weder er noch der Name auf seiner Platinum-Kreditkarte – Bennett Tarrant – kamen ihr bekannt vor. Was Gracie nicht überraschte, da er offensichtlich vermögend war, während sie sich mit ihren sechsundzwanzig Jahren noch drei Semester lang abmühen musste, um ihr College zu finanzieren, an dem sie ihren Bachelor in frühkindlicher Erziehung machte.

„Bitte schön, Mr. Tarrant.“ Sie legte das Rechnungsmäppchen zurück auf den Tisch. „Ich hoffe, Sie beehren uns bald wieder.“

„Ich bin aus einem ganz besonderen Grund hier, Miss Sumner.“

Hm. Gästen stellte sie sich immer als Gracie vor, ohne ihren Nachnamen zu nennen. „Vermutlich wegen unseres beliebten Pot-au-feu“, antwortete sie vorsichtig.

„Das war vorzüglich“, versicherte Mr. Tarrant ihr. „Aber tatsächlich möchte ich mit Ihnen im Auftrag eines Mandanten sprechen. Ihre Vermieterin hat mir gesagt, wo Sie arbeiten.“

Gute alte Mrs. Mancini. Wenn es um die Nichteinhaltung von Privatsphäre ging, konnte man sich wirklich auf sie verlassen.

Mr. Tarrant übergab ihr eine Visitenkarte seiner Firma Tarrant, Fiver & Twigg, ansässig in New York City. Laut Karte war er dort Partner und leitender Nachlassverwalter und zuständig für die Erbenermittlung. Was Gracie gar nichts sagte.

„Es tut mir leid, aber ich verstehe nicht. Was ist ein Nachlassverwalter?“

„Ich bin Anwalt. Meine Firma gehört zu denen, die vom Staat New York beauftragt werden, wenn jemand ohne Testament verstirbt oder ein Nachlassbegünstigter gesucht wird. In solchen Fällen machen wir die rechtmäßigen Erben ausfindig.“

Gracies Verwirrung wuchs. „Ich verstehe immer noch nicht. Der Nachlass meiner Mutter in Cincinnati wurde schon vor Jahren abgewickelt.“ Nicht, dass es viel abzuwickeln gegeben hätte. Marian Sumner hatte Gracie gerade genug Geld für die bescheidene Ausstattung einer Einzimmerwohnung und vier Mieten hinterlassen. Und doch war sie dankbar dafür gewesen.

„Es handelt sich nicht um den Nachlass Ihrer Mutter“, erwiderte Mr. Tarrant. „Kennen Sie einen Herrn mit Namen Harrison Sage?“

Gracie schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Wie steht es mit Harry Sagalowsky?“

„Aber ja, natürlich kannte ich Harry! Er war mein Nachbar in Cincinnati. So ein netter Mann.“

Liebevolle Erinnerungen kamen ihr in den Sinn. Harry hatte im selben Haus gewohnt, in das sie nach dem Tod ihrer Mutter einzog. Sie waren sofort Freunde geworden. Er nahm die Rolle des Großvaters ein, den sie nie hatte, und sie wurde die Enkelin, die er nie hatte. Sie machte ihn mit J. K. Rowling und Bruno Mars bekannt und zeigte ihm, wie man seine Mitspieler in Call of Duty vernichtete. Er dagegen führte sie an Patricia Highsmith und Miles Davis heran und brachte ihr im Moondrop Ballroom den Foxtrott bei.

„Er starb vor zwei Jahren. Auch wenn ich nicht mehr in Cincinnati lebe, rechne ich manchmal immer noch damit, dass er seine Tür aufmacht, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, und mir erzählt, dass er African Queen heruntergeladen oder zu viel Chili für eine Person gekocht hat. Ich vermisse ihn sehr.“

Mr. Tarrant lächelte freundlich. „Mr. Sagalowsky hat auch Sie sehr geschätzt. Er hat Sie in seinem Testament bedacht, das kürzlich abgewickelt wurde.“

Gracie lächelte bei dem Gedanken. Das exzentrische Zeug, mit dem Harrys Wohnung vollgestopft gewesen war, konnte nicht viel wert sein. Nach seinem Tod half sie dem Vermieter, alles einzupacken, aber niemand hatte es je abgeholt. Harry hatte nie von einer Familie gesprochen, also konnte sie auch niemanden kontaktieren. Als der Vermieter alles wegwerfen wollte, brachte Gracie die Sachen in einem Lagerraum in Cincinnati unter, dessen Miete sie immer noch bezahlte. Dadurch musste sie sich zwar noch mehr einschränken, aber sie ertrug den Gedanken nicht, dass Harrys Sachen im Müll verrotteten. Vielleicht konnte Mr. Tarrant ihr nun helfen, Harrys Habe an seine Erben zu übergeben. Dieser Gedanke heiterte sie regelrecht auf.

„Es hat leider etwas gedauert, Sie zu finden“, fuhr Mr. Tarrant fort.

Sie versteifte sich. „Hm, ja, ich habe Cincinnati etwas überstürzt verlassen.“

„Ohne eine Adresse zu hinterlassen?“

„Ich, äh, wollte nach einer Trennung neu anfangen. Meine Mutter und Harry waren tot und die meisten meiner Freunde weggezogen. Also hatte ich nicht mehr viele Bindungen dort.“

Mr. Tarrant nickte, auch wenn er keineswegs so aussah, als ob unglückliche Beziehungen sein Spezialgebiet wären.

„Wenn Sie später etwas Zeit hätten, würde ich mich gern mit Ihnen über Mr. Sagalowskys Nachlass unterhalten. Und was das für Sie bedeutet.“

Gracie musste fast lachen. Bei diesem Anwalt hörte es sich so an, als ob Harry irgendein verrückter Howard Hughes gewesen wäre.

„Die Straße hoch gibt es ein Café“, sagte sie. „Mimi’s Mocha Java. Ich könnte Sie dort in ungefähr zwanzig Minuten treffen.“

„Wunderbar. Wir haben eine Menge zu besprechen.“

1. KAPITEL

Als Gracie vor dem Haus, das Harry vor fünfzehn Jahren verlassen hatte – das Haus, das jetzt ihr gehörte –, aus Mr. Tarrants Jaguar Coupé kletterte, versuchte sie, ruhig zu bleiben. So schlimm konnte es doch nicht sein. Die verwitterten Dachziegel machten einen recht anheimelnden Eindruck, und die Schotterauffahrt sah wirklich reizend aus. Was machte es da, dass die Größe nicht ganz das war, was sie erwartet hatte? Das Haus war nett. Richtig nett. Sie musste sich also wirklich nicht davor fürchten, die neue Besitzerin zu sein. Es war geradezu … entzückend.

Allerdings nur dann, wenn man auf Multimillionen Dollar teure Wassergrundstücke in Long Island stand. Heiliger Strohsack, Harrys Haus könnte die Vereinigten Arabischen Emirate beherbergen, und es wäre immer noch Platz für Luxemburg!

Trotz der salzigen Sommerbrise, die vom Meer her wehte, das hinter dem Haus glitzerte, fühlte sie sich wieder etwas schwindelig – ein Zustand, der sie seit ihrem Gespräch mit Mr. Tarrant vor einer Woche regelmäßig überkam. Ihr erstes Treffen hatte darin gegipfelt, dass Gracie in Mimi’s Mocha Java mit ihrem Kopf zwischen den Beinen saß und in eine Papiertüte mit der Aufschrift „Kaffee, Schokolade, Männer – von manchen Dingen kann man nie genug bekommen“ ein- und ausatmete, während Mr. Tarrant ihr den Rücken tätschelte und versicherte, dass alles gut werden würde. Und dass die Tatsache, gerade vierzehn Milliarden Dollar geerbt zu haben, kein Grund sei, in Panik auszubrechen.

Tja, er wusste vermutlich, was man mit vierzehn Milliarden Dollar anstellte. Anstatt nur eine Panikattacke zu bekommen.

Jetzt, wo sie hier waren, schien er ihre erneute Beklommenheit zu spüren – was vermutlich an ihrer Atmung lag, die gerade wieder in Hyperventilieren überging – und hakte ihren Arm unter seinen. „Wir sollten Mrs. Sage, ihren Sohn und ihre Anwälte sowie Mr. Sages Kollegen und deren Anwälte nicht warten lassen. Sie möchten die Formalitäten endlich hinter sich bringen und sind sicher genauso angespannt wie Sie.“

Tja, wäre sie diejenige, die erfuhr, dass ihr seit Langem entfremdeter Ehemann oder Vater, ein Titan der Wirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts, seine letzten Jahre als berenteter Fernsehtechniker im Arbeiterbezirk von Cincinnati verbracht hatte, wo er aufgewachsen war, um dann zu erfahren, dass er fast sein ganzes Vermögen einer Fremden hinterlassen hatte, wäre sie vermutlich auch etwas angespannt. Sie hoffte nur, dass es nicht noch andere Worte gab, die Vivian Sage und ihren Sohn Harrison III. zurzeit beschrieben. Worte wie fuchsteufelswild. Oder rachsüchtig. Oder mordlüstern.

Zumindest war sie dem Anlass entsprechend gekleidet. Harrys Testament war zwar schon einige Male verlesen worden, zumeist vor Gericht, weil nahezu jeder es angefochten hatte, doch Mr. Tarrant versprach ihr, dass dies aufgrund Gracies Anwesenheit das letzte Mal sei. Sie trug ihr schönstes Vintage-Outfit, ein beiges Sechzigerjahrekostüm, bestehend aus Bleistiftrock und kurzem Jäckchen, das Jackie Kennedy hätte gehören können. Sie hatte sogar etwas Make-up aufgelegt und ihr Haar hochgesteckt.

Auf Mr. Tarrants Klopfen hin öffnete ihnen ein livrierter Butler. Schon die Empfangshalle des Hauses war größer als ihre Wohnung in Seattle und randvoll mit Antiquitäten, handgeknüpften Perserteppichen und Kunstgegenständen. Vor Ehrfurcht trat Gracie einen Schritt zurück, aber Mr. Tarrant schob sie weiter. Der Butler führte sie durch das Foyer, einen Flur entlang nach links, dann einen weiteren nach rechts, bis sie vor einer höhlenartigen Bibliothek standen, deren Wände von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt waren. Von den ebenfalls deckenhohen Fenstern hatte man einen wunderschönen Ausblick auf das glitzernde Meer. Gracie hätte sich in dieser Welt nicht fremder vorkommen können.

Ihr Atem normalisierte sich etwas, als sie eintrat. Der Raum war voller Menschen, zwischen denen sie sich verstecken konnte. Mr. Tarrant hatte sie gewarnt, dass eine regelrechte Armee von Anwälten – zusammen mit ihren Mandanten in Form von Harrys ehemaligen Geschäftspartnern und seiner Familie – anwesend sein würde. Sie war überrascht gewesen zu erfahren, dass Harry außer seiner Witwe und seinem Sohn noch zwei weitere Exfrauen mit drei Töchtern hinterlassen hatte. Alle Anwesenden waren ausnahmslos formell gekleidet und unterschiedlichen Alters. Es war Gracie unmöglich zu bestimmen, wer zu wem gehörte.

Einer der Anzugträger winkte Mr. Tarrant zu sich. Nachdem dieser sich vergewissert hatte, dass Gracie einen Moment lang ohne ihn zurechtkam, ging er zu ihm hinüber. Sie mischte sich unter die Leute und war froh, die Situation allein meistern zu können. Eigentlich war es nicht viel anders als bei einem Hochzeitsessen im Café Destiné für ein wohlhabendes Brautpaar aus Seattle. Nur dass sie dabei im Hintergrund agierte, anstatt gleich zum Mittelpunkt des Interesses zu werden. Auch das Trinkgeld würde in diesem Fall etwas höher ausfallen. Vierzehn Milliarden Dollar höher.

Gracie wollte gerade wieder in Panik ausbrechen, als eine freundliche Stimme hinter ihr sagte: „Was ist der Unterschied zwischen einem Haufen Schlipsträger und einem Rudel blutrünstiger Schakale?“

Sie drehte sich um und sah hoch – höher, noch höher – in ein Paar der schönsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Der Rest des Männergesichts vor ihr war nicht weniger anziehend mit geraden pechschwarzen Brauen, einer aristokratischen Nase, einem Kinn wie gemeißelt und vollen Lippen. Ganz zu schweigen von der schwarzen Haarsträhne, die rebellisch über seine Stirn fiel und ihn aussehen ließ, als sei er gerade einem Vierzigerjahrefilm entsprungen.

Sie machte eine schnelle Bestandsaufnahme von seiner restlichen Erscheinung und tat so, als ob sie nicht bemerkte, dass er dasselbe bei ihr tat. Er hatte breite Schultern, eine schmale Taille und verströmte einen schwach rauchigen Geruch, der ihm etwas leicht Unanständiges verlieh. Sein schwarzer Nadelstreifenanzug war sicher von jemandem designt worden, der die teuersten machte. Er sah darin jedoch genauso aus wie einer der Anzugträger, von denen er gerade gesprochen hatte, und so gar nicht wie ein blutrünstiger Schakal.

„Ich weiß nicht“, sagte sie. „Was ist der Unterschied?“

Er grinste, was ihn geradezu unwiderstehlich machte. Gracie bemühte sich, nicht in Ohnmacht zu fallen.

Mit Belustigung in der Stimme antwortete er: „Es gibt keinen.“

Sie kicherte, und zum ersten Mal seit einer Woche legte sich ihre Anspannung. Dafür war sie ihm unendlich dankbar. Nicht, dass sie nicht seine anderen, äh, Eigenschaften genauso schätzen würde. Sehr sogar.

„Aber Sie sind einer dieser Anzugträger“, wandte sie ein.

„Nur aus gegebenem Anlass.“

Wie um seine Abneigung zu demonstrieren, lockerte er seine Krawatte so weit, dass er den obersten Knopf seines Hemdes öffnen konnte. Irgendwie erinnerte er sie an Harry, der der Meinung gewesen war, dass es Wichtigeres im Leben gab, als es anderen recht zu machen.

„Hätten Sie gern einen Kaffee?“, fragte der Mann. „Ich glaube, es gibt auch Kekse.“

Gracie schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“ Nur ein Tropfen Kaffee würde ihre flatternden Nerven umgehend in ein Beben seismografischen Ausmaßes verwandeln. „Aber wenn Sie gern einen hätten …“ Beinahe hätte sie ihm eine Tasse und einen Teller gebracht, so automatisch verfiel sie in ihren Kellnerinnen-Modus.

Aber er ging nicht darauf ein. „Nein, ich hatte genug.“ Die Unterhaltung schien ins Stocken zu geraten. Um nicht den einzigen Freund zu verlieren, den sie heute vermutlich gewinnen würde, platzte sie heraus: „Dieses Haus, dieses Zimmer, dieser Ausblick. Ist das alles nicht wunderschön?“

Die Frage schien ihn zu verblüffen. Er sah sich in der Bibliothek um, als sähe er sie zum ersten Mal, schien aber nicht im Mindesten beeindruckt zu sein. „Es ist ganz okay. Der Raum ist für meinen Geschmack etwas ungemütlich und die Aussicht ein bisschen langweilig, aber …“

Seltsam, dass jemand dieses Haus nicht großartig fand, dachte Gracie. Obwohl sie nicht die Absicht hatte, es zu behalten oder irgendetwas von den vierzehn Milliarden anzunehmen – es war schlichtweg viel zu viel Geld für eine Person –, wusste sie doch die Schönheit des Hauses zu schätzen.

„Was bedeutet für Sie zu Hause?“, fragte sie.

„Die hellen Lichter der Großstadt“, erwiderte er. „Ich lebe seit dem College in Manhattan und werde dort nie wieder wegziehen.“

Seine Begeisterung für diesen schnelllebigen Ort schien überhaupt nicht zu dem zu passen, was sie kurz zuvor an Harry erinnert hatte. „Oh. Okay.“

Sie war wohl nicht sehr überzeugend gewesen, denn er sagte: „Das scheint Sie zu überraschen.“

„Ja, irgendwie schon.“

„Warum?“

Gracie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht weil Sie mich an jemanden erinnern, aber derjenige war überhaupt kein Stadtmensch.“ Zumindest nicht, als sie ihn kannte. Aber in seinem Leben davor? Woher sollte sie das wissen? Nichts, was sie in der letzten Woche über Harry erfahren hatte, schien zu dem Mann zu passen, der ihr Freund gewesen war.

Ihr neuer Freund musterte sie. „Ein alter Exfreund?“

„Alt allemal.“ Grace musste lächeln. „Aber mehr wie ein Großvater.“

Er entspannte sich sichtlich, sah aber hinreißend beschämt aus. „Wissen Sie, das Letzte, was ein Mann hören möchte, der gerade versucht, eine schöne Frau zu beeindrucken, ist, dass er sie an ihren Großvater erinnert.“

Er fand sie schön? Er wollte ihr imponieren und gab es auch noch zu? Wusste er etwa, dass sie auf Männer stand, die sie – abgesehen von einem betörenden Lächeln – mit Offenheit und Ehrlichkeit beeindruckten? Sie kannte nur wenige solcher Exemplare. Eigentlich nur Harry.

„Ich, äh …“, stammelte sie. „Ich meine, äh …“

Es schien ihm zu gefallen, dass er sie sprachlos gemacht hatte, ohne dass er dabei arrogant wirkte. Der Erfolg gab ihm eben recht. „Sie selbst sind also kein Großstadtmensch?“

Dankbar für den Wechsel auf ein Thema, zu dem sie mit Worten beitragen konnte, schüttelte sie den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich habe zwar mein Leben lang in Großstädten gelebt, aber nie mitten drin. Ich war immer ein Vorstadtkind.“

Auch wenn sie ihren Vater nie gekannt hatte und in einer Wohnung aufgewachsen war, hatte sich ihr Leben nicht sehr von dem ihrer Freunde unterschieden, die mit ihren Familien in Häusern wohnten. Irgendwie hatte ihre Mutter trotz ihres mageren Einkommens immer genug Geld gehabt für Sommerurlaube und den Klavier- oder Turnunterricht. Als Kind spielte Gracie im Sommer im Park, im Herbst hüpfte sie in Laubhaufen herum, im Winter baute sie Schneemänner, und im Frühling fuhr sie Fahrrad.

Ihr neuer Freund betrachtete sie erneut prüfend. „Zuerst dachte ich, dass Sie auch ein Stadtmensch wären. Ihr Kostüm ist ein bisschen altmodisch, aber Sie würden trotzdem nach East Village oder Williamsburg passen. Jetzt allerdings …“

Seine Stimme erstarb, bevor er seine Analyse beendete, und er sah sie auf höchst interessante – und interessierte – Weise an. Hitze breitete sich in ihrem Körper aus, bis jede ihrer Zellen davon durchdrungen war und sie sich fühlte, als ob sie gleich in Flammen aufgehen würde. Einen endlosen Moment lang schien der Raum um sie herum still zu werden und es nur noch sie beide zu geben. Gracie hatte so etwas noch nie erlebt. Es war … beunruhigend. Aber schön.

„Jetzt?“, wiederholte sie in der Hoffnung, diesen eigenartigen Zauber zu brechen. Doch sie sprach das Wort so leise aus, und er schien so in Gedanken versunken zu sein, dass sie sich fragte, ob er es überhaupt gehört hatte.

Er schüttelte kaum merklich den Kopf, als ob er versuchen würde, die Gedanken aus seinem Gehirn zu verbannen. „Jetzt scheinen Sie mir eher das brave Mädchen von nebenan zu sein.“

Dieses Mal sah Gracie beschämt aus. „Wissen Sie, das Letzte, was ein Mädchen hören möchte, wenn sie versucht, einen schönen Mann zu beeindrucken, ist, dass sie ihn an ein Glas Milch erinnert.“

Sie mussten beide lachen, und die merkwürdige Spannung zwischen ihnen löste sich endlich auf.

„Müssen Sie hiernach wieder zurück zur Arbeit?“, fragte er. „Oder hätten Sie Zeit für ein spätes Mittagessen?“

Trotz des Zaubers, unter dem sie gerade beide gestanden hatten, war Gracie verblüfft über seine Einladung. Der Morgen hatte mit düsteren Vorahnungen begonnen, und jetzt war sie plötzlich mitten in einem Flirt? Wo war nur dieser Mann hergekommen? Wie konnte sie ihn so gernhaben, obwohl sie ihn gerade erst kennengelernt hatte? Und wie sollte sie seine Einladung zum Mittagessen annehmen, wenn ihr gesamtes Leben kurz davor war, auf atomare Weise zu explodieren?

„Mittagessen? Ich? Äh, Arbeit …?“

Es bereitete ihm offensichtliches Vergnügen, sie wieder aus dem Konzept gebracht zu haben. „Ja, Sie. Und ja, Mittagessen. Für welche Firma arbeiten Sie?“ Er sah sich im Raum um. „Vielleicht kann ich meine Beziehungen für Sie spielen lassen. Die meisten hier kenne ich schon mein Leben lang. Einige schulden mir noch einen Gefallen.“

„Firma?“, wiederholte sie mit zunehmender Verwirrung.

„Welche Anwaltsfirma und welche Beteiligungen meines Vaters vertreten Sie? Auch wenn sie nicht mehr meinem Vater gehören. Nicht nachdem diese billige, durchtriebene, manipulative Hochstaplerin ihn in die Finger bekommen hat. Aber meine Mutter und ich werden dabei nicht kampflos zusehen.“

In diesem Moment dämmerte es Gracie, dass der Mann, der eben noch so freundlich mit ihr gesprochen hatte, nicht zu den zahlreichen hier ansässigen Anwälten gehörte. Und auch keiner von Harrys ehemaligen Kollegen war. Dies hier war Harrys Sohn Harrison Sage III. Der Mann, der zusammen mit seiner Mutter angenommen hatte, er würde den Großteil des Vermögens seines Vaters erben. Dessen Hoffnung sie zerstört hatte. Von dem sie noch vorhin angenommen hatte, dass er vielleicht fuchsteufelswild, rachsüchtig oder gar mordlüstern sein könnte.

Dann fiel ihr seine andere Bemerkung ein. Er hielt sie für eine billige, durchtriebene, manipulative Hochstaplerin? Sie? Die Frau, die niedrige Pfennigabsätze für Stilettos hielt? Deren Röcke über knielang waren? Die heute Morgen beim Wimperntuschen fast erblindet wäre? Die Frau, die fast jeden einzelnen Penny der vierzehn Milliarden Dollar verschenken wollte?

Denn auch ohne Harrys von Mr. Tarrant vorgetragenem Wunsch, dass Gracie den Großteil seines Vermögens dafür verwenden sollte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, hätte sie genau das getan. Sie scheute die Verantwortung für so viel Geld. Oder die damit zusammenhängende Berühmtheit.

Vielleicht hatte sie es bis vor einer Woche schwer gehabt, über die Runden zu kommen, aber sie war über die Runden gekommen. Und sie war glücklich mit ihrem Leben in Seattle. Sie hatte witzige Freunde und eine süße Wohnung. Sie hatte einen Job und arbeitete auf ihren Abschluss hin. Jeden Tag freute sie sich auf den nächsten und auf ihre Zukunft. Aber seit der Nachricht über ihre Erbschaft war sie jeden Morgen mit Magenschmerzen aufgewacht und konnte abends nur mithilfe einer Tablette einschlafen. Dazwischen war sie schreckhaft, verschlossen und verängstigt gewesen.

Die meisten Menschen hielten sie vermutlich für verrückt, aber Gracie wollte keine Milliardärin sein. Nicht einmal eine Millionärin. Sie wollte genug, um ein sorgloses Leben zu führen, aber nicht so viel, um sich den Rest ihres Lebens sorgen zu müssen. Für sie ergab das Sinn. Aber für Harrys Sohn …

Sie suchte nach Worten, die Harrison III. überzeugen würden, dass sie nichts von alldem war, was er soeben frech behauptet hatte. Aber sie verstand selbst so vieles noch nicht. Wie konnte sie es dann einem anderen erklären?

„Ich, äh, tja …“ Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, das sicher genauso gekünstelt aussah, wie es sich anfühlte, und versuchte es erneut. „Eigentlich … also, die Sache ist die …“

Grrr. Wenn sie so weitermachte, würde sie Harry im Jenseits begegnen, bevor sie einen vollständigen Satz zustande brachte. Jetzt spuck es schon aus! Aber alles, was sie herausbrachte, war: „Äh, eigentlich muss ich gleich nicht wieder zur Arbeit.“

Na also! Das war doch ein Anfang. Und die Wahrheit obendrein.

Sofort entspannte sich Harrison Sages Gesichtsausdruck. „Ausgezeichnet. Mögen Sie Thai? Auf der 46. West hat gerade ein toller Laden aufgemacht. Sie werden das Essen dort lieben.“

„Doch, ich mag Thai.“ Auch das war die Wahrheit. Weiter so, Gracie!

„Ausgezeichnet.“ Er schenkte ihr ein weiteres betörendes Lächeln. „Ich heiße übrigens Harrison. Harrison Sage. Falls Sie das noch nicht selbst herausgefunden haben.“

Gracie unterdrückte einen erstickten Laut. „Doch, habe ich irgendwie.“

„Und Sie sind?“

Tja, die adäquate Antwort wäre wohl: „Ich bin besagte billige, durchtriebene, manipulative Hochstaplerin. Angenehm.“

„Ich … ich heiße Gracie“, sagte sie stattdessen.

Sie hoffte, dass ihr Name gängig genug war, um sie nicht mit der Frau in Zusammenhang zu bringen, die er vermutlich mit der Intensität von tausend Höllenfeuern hasste. Doch er verstand sofort. Sie konnte es daran erkennen, wie seine Gesichtszüge sich verhärteten, sein Blick kalt wurde und er mit den Zähnen knirschte.

Und daran, dass die Temperatur im Zimmer gerade um vierzehn Milliarden Grad fiel.

Autor

Elizabeth Bevarly
<p>Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam. Sie...
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